Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich bei dem Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Es ist aus unserer Sicht sehr begrüßenswert, dass sich der Landtag mit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs befasst. Denn eine Neuregelung ist dringend geboten.[1] So zeigen die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der ELSA-Studie die erheblichen Hürden für den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch auf.[2] Diese betreffen nicht nur die prekäre Versorgungslage, sondern auch erhebliche Stigmatisierungseffekte[3] sowie finanzielle Belastungen.[4] Der im Dezember vorgelegte Gesetzentwurf ist daher grundsätzlich zu befürworten. Er stellt einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zu mehr reproduktiver Gerechtigkeit dar. Langfristig ist eine grundlegende Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs notwendig. Die Ausgestaltung einzelner Vorschriften, insbesondere der strafrechtlichen Regelungen, die der Entwurf enthält, wirft allerdings noch Bedenken auf.
I. Der Regelungsinhalt
Der Entwurf bietet die Chance, die Rechte schwangerer Personen zu verbessern und der derzeit zunehmend unzureichenden Versorgungslage entgegenzuwirken. Er sieht erstmalig vor, die Regelungen zum selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und stattdessen in das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) zu überführen.
Das zentrale Element des Entwurfs ist, dass Abbrüche innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach erfolgter Beratung rechtmäßig sind. Die bisher vorgeschriebene dreitägige Wartezeit entfällt, und die schwangere Person wird grundsätzlich straffrei gestellt.
Damit bringt der Entwurf die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch jedenfalls teilweise in Einklang mit internationalen Vorgaben[5] und beseitigt zugleich dogmatische Widersprüche wie die Konstellation, dass ein Abbruch zwar tatbestandslos, aber dennoch rechtswidrig ist. Er orientiert sich weitgehend an den Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin[6] und setzt einige der grundlegenden Forderungen des djb um.[7]
1. § 12 I SchKG-E
Der Entwurf erklärt Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen nach erfolgter Beratung für rechtmäßig. Auch nach Ablauf dieser Frist stellt er die schwangere Person grundsätzlich straffrei. Diese Regelung unterstützt der djb ausdrücklich. Die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch ist Ausdruck des Rechts auf reproduktive Selbstbestimmung gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und sollte nicht mit Strafandrohungen belegt werden.[8] Die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben darf nicht ausschließlich Privatpersonen überantwortet werden, wenn dies zulasten der selbstbestimmten Entscheidung schwangerer Personen geht.[9] Statt individueller Strafandrohungen bedarf es einer ganzheitlichen Lösung. Anstelle repressiver Maßnahmen sollten präventive Angebote im Fokus stehen.[10]
a) Stellung als „rechtmäßig“ und Überführung ins SchKG
Die im Entwurf vorgesehene Überführung ins SchKG und die Kennzeichnung als rechtmäßig sind geeignet, bestehende Hürden abzubauen. Eine Überführung vom Strafgesetzbuch ins SchKG kann zu einer Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entscheidend beitragen.[11]
Auch die Stellung als rechtmäßig ist grundsätzlich zu begrüßen. Denn eine solche Rechtsstellung ermöglicht die Übernahme der Kosten für den Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungslösung durch die Krankenkassen als Regelfall.
Bislang ist dies aufgrund von § 24b SGB V nicht möglich. Schwangere müssen die Kosten für einen Abbruch in Höhe von etwa 200 bis über 600 Euro[12] prinzipiell selbst tragen. Eine Kostenübernahme erfolgt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wenn die schwangere Person unter einer gering bemessenen Bedarfsschwelle liegt. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch benachteiligen dementsprechend insbesondere Personen, die sich ohnehin in finanziell prekären oder angespannten Situationen befinden. Gemäß der ELSA-Studie stellen für ca. jede fünfte Schwangere die Kosten für den Abbruch eine besondere Hürde dar.[13] Dabei konnte zudem eine Verbindung zur defizitären Versorgungslage hergestellt werden. Je schlechter eine Einrichtung zur Vornahme eines Abbruchs erreichbar oder verfügbar war, desto problematischer gestaltete es sich für Schwangere, für die Kosten aufzukommen.[14]
Die aktuelle Regelung erhält somit nicht nur bestehende Ungleichheiten aufrecht, sondern verschärft sie. Auch die aktuelle Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden.[15] Damit dies realisiert werden kann, müssen Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungslösung als rechtmäßig anerkannt sein. Eine bloße Anhebung der Bedarfsschwelle genügt hingegen nicht. Denn tatsächlich werden die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche unterhalb dieser Schwelle gemäß § 22 SchKG nicht von den Krankenkassen, sondern von den Ländern getragen.
Ein Kritikpunkt betrifft allerdings die Bezeichnung der Abbrüche in § 12 SchKG als „rechtmäßig“. Das darf nur so verstanden werden, dass der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen damit als Gesundheitsleistung eingeordnet und deklaratorisch umfassend als rechtmäßig erklärt wird.
b) Wartezeit und Beratungspflicht
Besonders begrüßenswert ist das Wegfallen der dreitägigen Wartezeit. Diese wird als belastend empfunden,[16] da sie den zeitlichen Druck der gesetzlichen Fristen erhöht, was sich im Zusammenhang mit sonn- und feiertagsbedingten Schließzeiten von Beratungseinrichtungen und Praxen besonders gravierend auswirkt. Sie vermittelt zudem den Eindruck, dass schwangere Personen prinzipiell einer zusätzlichen, staatlich angeordneten Bedenkzeit bedürften. Dadurch wird der Mythos aufrechterhalten, schwangere Personen befänden sich in einer „emotionalen Ausnahmesituation“ und bräuchten deshalb äußere Vorkehrungen, um eine abwägende und selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Solche äußeren Sicherungsmechanismen kennt das deutsche Recht nur in wenigen Ausnahmefällen. Grundsätzlich liegen Entscheidungen über den eigenen Körper bei der einzelnen Person.[17] Diese Regel darf im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs nicht zur Ausnahme werden.
Zudem ist die Annahme, schwangere Personen träfen die Entscheidung für einen Abbruch leichtfertig,[18] schlichtweg falsch. Die Betroffenen wägen diese Entscheidung sorgfältig ab.[19] Ein gelungenes Regelungssystem sollte sich nicht an (absoluten) Ausnahmefällen orientieren, sondern am Regelfall. Auch von gesetzgeberischer Seite bedarf es der rechtlichen Anerkennung, dass Frauen und TIN-Personen eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft zugetraut wird.
Statt weiterer Regulierung ist primär Vertrauen gefragt. Aus diesen Gründen spricht sich der djb gegen eine Beratungspflicht aus.[20] Bereits jetzt trifft die große Mehrheit der Schwangeren ihre Entscheidung für oder gegen einen Abbruch unabhängig von der verpflichtenden Beratung.[21] Sie ist damit nicht geeignet, die vom Gesetzgeber intendierte Wirkung zugunsten des Schutzes des ungeborenen Lebens beizutragen.[22] Statt einer Pflicht bedarf es eines niedrigschwelligen und barrierearmen, umfassenden Beratungsangebots, um eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.[23]
c) Anhebung der Frist
Eine bleibende Herausforderung stellen die teils kurzen Fristen von 12 Wochen dar. Dies gilt insbesondere angesichts der zahlreichen Barrieren beim Zugang zum Schwangerschaftsabbruch.[24] Besonders für Betroffene einer Straftat nach den §§ 176 bis 178 StGB kann eine derart kurze Frist unzumutbar sein. Sie befinden sich häufig in einer Ausnahmesituation – insbesondere dann, wenn sie durch die Straftat traumatisiert sind und sie physische sowie psychische Folgen aus der Tat tragen. Schwangere sollten Entscheidungen für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch nicht übereilt treffen müssen. In solchen Fällen ist es daher wichtig, ihnen eine längere Bedenkzeit einzuräumen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders begrüßenswert, dass der Entwurf die Frist für Abbrüche aufgrund einer kriminologischen Indikation auf 15 Wochen verlängern möchte.
Durch die verlängerte Frist könnte die kriminologische Indikation künftig an Bedeutung in der Praxis gewinnen. Deshalb muss vordergründig ihre Praktikabilität kritisch geprüft werden. Derzeit beurteilen Ärztinnen und Ärzte, ob die Indikation vorliegt. Maßgeblich ist für sie die Frage, ob mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Schwangerschaft auf einer Tat nach §§ 176 ff. StGB beruht. Diese Einschätzung erfordert jedoch neben rechtlicher Expertise auch eine umfassende Aufklärung der Umstände des Einzelfalls – eine Voraussetzung, die aufgrund der Dringlichkeit des Anliegens meist nicht erfüllt ist. Dies führt nicht nur zu Unsicherheiten bei der Anwendung der Indikation, sondern setzt die Ärzt*innen auch einem nicht hinnehmbaren Risiko strafrechtlicher Konsequenzen aus.
2. § 218 StGB-E
Besondere Bedenken bestehen jedoch hinsichtlich der strafrechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch.
a) § 218 Abs. 1 StGB-E
Der djb befürwortet die Umsetzung des Grundtatbestands in § 218 Abs. 1 StGB-E, wonach ein Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren strafbar ist. Dies entspricht den Forderungen des djb.[25] Denn hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass in diesen Fällen die Verletzung des reproduktiven Selbstbestimmungsrechts das unrechtsbegründende Element darstellt.[26] Die Verortung im Abschnitt der Straftaten gegen das Leben bleibt jedoch problematisch. Konsequent wäre eine Überführung in beispielsweise § 226b StGB, damit das konkrete Unrecht, die Verletzung der reproduktiven Selbstbestimmung, zum Ausdruck kommt.
b) § 218 Abs. 3 StGB-E
Es ist bislang unklar, wie genau § 218 Abs. 3 StGB-E zu interpretieren ist. Deshalb bestehen Zweifel, ob die Vorschrift dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG gerecht wird.
Nach § 218 Abs. 3 StGB-E wird bestraft, wer „durch Handlungen gegen den Willen der Schwangeren gegen diese oder gegen den Embryo oder Fetus tätig wird und dadurch den Embryo oder Fetus in die Gefahr des Todes oder der schweren Gesundheitsschädigung (Nr. 1) oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung (Nr. 2) bringt“.
c) Rechtliche Einordnung
Der Wortlaut lässt nicht erkennen, ob es sich bei Absatz 3 um eine Erfolgsqualifikation oder um einen eigenständigen Tatbestand handelt. Üblicherweise verweisen Erfolgsqualifikationen wie in den §§ 226, 227 oder 251 StGB entweder auf den Grundtatbestand („Handlungen nach Abs. 1“) oder benennen diesen ausdrücklich („durch die Körperverletzung“). Absatz 3 folgt jedoch keiner dieser Vorgehensweisen. Statt den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ zu verwenden, spricht die Vorschrift von „Handlungen gegen den Willen der Schwangeren gegen diese oder gegen den Embryo oder Fetus“. Dies könnte alle Handlungen erfassen, die die Rechtsgüter der schwangeren Person verletzen. Neben Abbruchshandlungen wären damit auch Fälle denkbar, in denen der Täter die Schwangere einsperrt (§ 239 StGB) oder zu einer Handlung nötigt (§ 240 StGB) und hierdurch einen Schwangerschaftsabbruch etwa als Stressreaktion der schwangeren Person verursacht. Auch die Verwendung des Plurals „Handlungen“ deutet auf eine solche umfassende Auslegung hin. Eine solche Auslegung würde jedoch die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen der Handlung und dem Gefährdungserfolg in der Praxis erheblich erschweren.
Sollte Absatz 3 hingegen eine Erfolgsqualifikation darstellen, ist nicht nachvollziehbar, warum es eines gesonderten Unrechtsausspruchs für die Gefahr des Todes oder der Gesundheitsschädigung des Embryos oder Fetus bedarf. Denn jede Abbruchshandlung beinhaltet aufgrund ihrer Zielrichtung – dem Schwangerschaftsabbruch – bereits die intendierte Gefahr für Leben und Gesundheit des Embryos oder Fetus. Somit erfüllt jeder Grundtatbestand nach § 218 Abs. 1 StGB-E automatisch auch die Voraussetzungen der Erfolgsqualifikation nach Absatz 3. Angesichts des deutlich erhöhten Strafmaßes von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe und aus strafrechtsdogmatischen Gründen ist dies besonders problematisch.
d) Anwendbarkeit auf das ungeborene Leben
Sowohl in §§ 218 Abs. 3 Nr. 1 als auch in Nr. 2 StGB-E hat der Entwurf den Wortlaut von § 225 StGB (Mißhandlung von Schutzbefohlenen) übernommen. Dabei wurde in dem Entwurf nicht bedacht, dass es sich gerade bei dem ungeborenen Leben und dem geborenen Kind um unterschiedlich geschützte Rechtspositionen handelt. Auch angesichts der qualitativ unterschiedlichen Schwere der Tathandlungen ist eine wortlautgetreue Übertragung nicht angebracht. Während § 225 StGB erhebliche Angriffe wie „Quälen“, „Roh Mißhandeln“ oder die „böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht“ erfasst, bezieht sich § 218 auf eine Abbruchshandlung.
Zudem ist unklar, wie eine Gesundheitsschädigung hinsichtlich des ungeborenen Lebens ausgelegt werden kann und sollte, insbesondere, da sich die §§ 223 ff. bislang nur auf den geborenen Menschen beziehen.[27] Eine Übertragung der bisherigen Auslegung und dazu entschiedener Rechtsprechung ist daher nicht möglich.
Bedenken begegnet auch der § 218 Abs. 3 Nr. 2 StGB‑E. Hiernach wird mit einem erhöhten Strafmaß begegnet, wenn „der Embryo oder der Fetus in die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung“ gebracht wird.
Eine solche Gefahr besteht dann, wenn der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört zu werden droht.[28] Auch hier ist unklar, inwiefern dies Anwendung auf das ungeborene Leben finden kann. Speziell stellt sich die Frage, inwiefern diese Tatbestandsvariante neben § 218 Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt sein kann. Denn hierzu bedarf es einer Handlung, die zwar weder eine Gefahr des Todes noch der Gesundheitsschädigung, aber dennoch die Gefahr einer Entwicklungsstörung verursacht.
Zudem ist der Begriff „seelische Störung“ aufgrund seines stigmatisierenden Wortlautes unpassend. Sinnvoller wäre, ähnlich wie bei § 171 StGB, die Verwendung des Wortlauts „in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden“.
e) Fehlende Erfolgsqualifikation hinsichtlich der Rechtsgüter der Schwangeren
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Erfolgsqualifikation des § 218 Abs. 2 Nr. 2 StGB, die die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der schwangeren Person betrifft, nicht übernommen wurde. Laut Gesetzesbegründung dient die Vorschrift gerade dem Schutz der Rechte der Schwangeren.[29] Diese Regelung findet sich jedoch nur im Schwangerschaftskonfliktgesetz, was eine potenzielle Schutzlücke entstehen lässt. Neben der Erfolgsqualifikation in Form eines Gefährdungsdelikts ist außerdem eine Qualifikation erforderlich, wenn die Gesundheitsschädigung oder der Tod tatsächlich eingetreten ist. Dies sehen nicht nur verschiedene Tatbestände vor (beispielsweise bei sexuellem Übergriff: §§ 177 Abs. 7 Nr. 3, Abs. 8 Nr. 2, 178 StGB; bei Raub: §§ 250 Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2 Nr. 3, 251 StGB), sondern es besteht in solchen Fällen auch ein besonderes Unrecht, dem durch eine Strafnorm Rechnung getragen werden muss.
II. Fazit
Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bleibt dringend erforderlich. Dabei haben sich bereits ein breites Spektrum an Verbänden, u. a. die Evangelischen Frauen in Deutschland,[30] der Deutsche Ärztetag[31] oder etwa der Deutsche Frauenrat[32] für eine Neuregelung ausgesprochen. Auch gesamtgesellschaftlich besteht eine große Mehrheit, die eine weitergehende Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs trägt.[33] Nicht zuletzt hat sich fachliche Expertise zu einer Neuregelung ausgetauscht und Möglichkeiten aufgezeigt.[34] Der vorliegende Gesetzentwurf stellt einen guten ersten Ansatz dar, weist jedoch in der praktischen Umsetzung noch Schwächen auf. Die strafrechtlichen Bestimmungen bedürfen der Überarbeitung.
Der Entwurf kann bei allem zu einer gelingenden Reform nur einen ersten Schritt bedeuten. Angesichts der unzureichenden Versorgungslage ist eine umfassende und nachhaltige Verbesserung der Situation schwangerer Personen sowie des beratenden und medizinischen Personals dringend erforderlich. Der djb setzt sich für einen grundlegenden Paradigmenwechsel ein: Schwangerschaftsabbrüche sollten darin als Gesundheitsdienstleistung anerkannt werden, die grundsätzlich legal ist und nur in Ausnahmefällen strafrechtlich verfolgt wird. Die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch muss uneingeschränkt bis zum Zeitpunkt der Überlebensfähigkeit des Fetus bei der schwangeren Person liegen. Insbesondere die bisher geltende Frist von 12 Schwangerschaftswochen sowie die Beratungspflicht sollten künftig entfallen; der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch ist umfassend zu entkriminalisieren. Dass dies verfassungsrechtlich möglich ist und der Gesetzgeber hierbei einen Entscheidungsspielraum besitzt, der über das in dem hiesigen Gesetzesentwurf vorgesehene Maß hinausgeht, hat nicht zuletzt der Kommissionsbericht deutlich gemacht.[35] Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht geeignet, den angestrebten Zweck – den Schutz des ungeborenen Lebens – zu erfüllen. Tatsächlich bewirkt sie nur, dass Abbrüche und die Umstände, in denen sie zulässig oder jedenfalls akzeptiert sind, unsicherer werden. Die Gesetzgebung darf sich bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht diesen Erkenntnissen der empirischen Forschung verschließen.
Dr. Eva-Maria Kellermann
1. Vorsitzende des Landesverbands Schleswig-Holstein
Céline Feldmann
Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch
[1] Vgl. umfassend Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 24–30, 03.09.2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-30 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 25-06, 10.02.2025, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st25-06 (letzter Zugriff: 30.08.2025).
[2] Abschlussbericht der Studie: Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), S. 781 ff., abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Abschlussberichte/ELSA_Abschlussbericht.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[3] Ebd. S. 781 f.
[4] Ebd. S. 788.
[5] Committee on the Elimination of Discrimination against Women, General Recommendation No. 35 on Gender-based Violence against Women, Updating General Recommendation No. 19, 26.7.2017, UN Doc. CEDAW/C/GC/35, para. 18.
[6] BT-Drs. 20/13775, S. 4. Vgl. hierzu Ergebnis des Abschlussberichts der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, abrufbar unter: https://www.bmbfsfj.bund.de/resource/blob/238402/c47cae58b5cd2f68ffbd6e4e988f920d/bericht-kommission-zur-reproduktiven-selbstbestimmung-und-fortpflanzungsmedizin-data.pdf (letzter Zugriff: 30.08.2025)
[7] Umfassend Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26 (letzter Zugriff 02.02.2025); St 24-30, 03.09.2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-30 (letzter Zugriff 02.02.2025).
[8] Ebd.
[9] Vgl. auch BT-Drs. 20/13775, S. 4.
[10] Vgl. auch BT-Drs. 20/13775, S. 4 f., welcher die Bedeutsamkeit von Prävention betont.
[11] Vgl. auch Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), Kurzbericht, S. 5, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Kurzbericht/Kurzbericht_ELSA.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[12] Vgl. Abschlussbericht der Studie: Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), S. 788, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Kurzbericht/Kurzbericht_ELSA.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[13] Ebd. S. 788.
[14] Ebd. S. 788.
[15] Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 102, abrufbar unter: https://www.koalitionsvertrag2025.de/sites/www.koalitionsvertrag2025.de/files/koav_2025.pdf (letzter Zugriff: 01.09.2025).
[16] Dies gaben über die Hälfte der Befragten der ELSA-Studie an. Vgl. Abschlussbericht der Studie: Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), S. 796., abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Abschlussberichte/ELSA_Abschlussbericht.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[17] Dies geht so weit, dass selbst die Entscheidung gegen das Leben oder eine dringend gebotene medizinische Maßnahme hiervon umfasst ist. Vgl. BVerfGE 153, 182; 142, 313.
[18] So suggeriert in BVerfGE 39, 1, 21, wo von Schwangerschaftsabbrüchen „aus Gleichgültigkeit oder reiner Bequemlichkeit“ die Rede ist.
[19] Vgl. hierzu Abschlussbericht der Studie: Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), S. 778 ff., abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Abschlussberichte/ELSA_Abschlussbericht.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[20] Vgl. Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 24–30, 03.09.2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-30 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 25-06, 10.02.2025, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st25-06 (letzter Zugriff: 30.08.2025).
[21] Vgl. hierzu Abschlussbericht der Studie: Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung (ELSA), S. 796., abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Abschlussberichte/ELSA_Abschlussbericht.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[22] Ebd. S. 796.
[23] Ebd. S. 780; 782 f; 806 f.
[24] Ebd. S. 791.
[25] Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 24–30, 03.09.2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-30 (letzter Zugriff 02.09.2025); St 25-06, 10.02.2025, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st25-06 (letzter Zugriff: 30.08.2025).
[26] Vgl. auch BT-Drs. 20/13775, S. 22.
[27] BeckOK StGB/Eschelbach, 66. Ed. 1.8.2025, StGB § 223 Rn. 12; MüKoStGB/Hardtung, 5. Aufl. 2025, StGB § 223 Rn. 7.
[28] BGH NStZ 2017, 283; TK-StGB/Sternberg-Lieben, 31. Aufl. 2025, StGB § 225 Rn. 22.
[29] BT-Drs. 20/13775, S. 22.
[30] Evangelische Frauen in Deutschland, Beschluss der Mitgliederversammlung vom 5. Oktober 2023, abrufbar unter: https://evangelischefrauen-deutschland.de/wp-content/uploads/2023/10/Beschluss_EFiD_zum_Praragraphen_218__05_Oktober_2023.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[31] 129. Deutscher Ärztetag, Beschluss vom 29.05.2025, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/weniger-stigma-mehr-hilfenhttps://129daet.baek.de/Applications (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[32] Deutscher Frauenrat, Positionierung zum Thema „§ 218 Strafgesetzbuch”, Beschluss vom 27. Juni 2024, abrufbar unter: https://www.frauenrat.de/positionierung-zum-thema-%C2%A7-218-strafgesetzbuch/ (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[33] Vgl. etwa Repräsentative Umfrage von Ipsos, Dezember 2022 i.A.v. Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, abrufbar unter: https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/media/2023/03/Tabelle-1-00016.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[34] Ergebnis des Abschlussberichts der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 326 ff., abrufbar unter: www.bmfsfj.de/resource/blob/238402/c47cae58b5cd2f68ffbd6e4e988f920d/bericht-kommission-zur-reproduktiven-selbstbestimmung-und-fortpflanzungsmedizin-data.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025); Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs Zivilgesellschaft vom 17. Oktober 2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/pressemitteilungen/pm24-66_Anhang_Gesetzentwurf_Schwangerschaftsabbruch.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).
[35] Ergebnis des Abschlussberichts der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 326 ff., abrufbar unter: www.bmfsfj.de/resource/blob/238402/c47cae58b5cd2f68ffbd6e4e988f920d/bericht-kommission-zur-reproduktiven-selbstbestimmung-und-fortpflanzungsmedizin-data.pdf (letzter Zugriff: 02.09.2025).