I. Einleitung
Der Landesverband Sachsen-Anhalt (LV Sachsen-Anhalt) des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb) begrüßt, dass bei der Gestaltung des Rechtsrahmens für das Referendariat die Belange von Referendar*innen mit Sorgeverantwortung Berücksichtigung finden sollen. Die Pandemie hat deren Belastung potenziert und deutlich gemacht, dass eine solche Anpassung dringend Not tut.[1] Es ist daher zu begrüßen, dass durch eine Änderung des Juristenausbildungsgesetzes Sachsen-Anhalt die Änderung des DRiG umgesetzt und eine Option geschaffen werden soll, das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren. Der Staat wird damit seinem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG gerecht und verwirklicht das Fördergebot aus Art. 3 Abs. 2 GG. Nur so kann sichergestellt werden, dass entsprechend der Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG tatsächlich ein gleicher Zugang zu staatlichen Ämtern erfolgt. Das Teilzeitreferendariat ist auch ein wichtiger Baustein, um die juristische Ausbildung wieder attraktiv zu machen. Allerdings wird der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form zu keiner nennenswerten Entlastung derjenigen führen, die sich für ein Referendariat in Teilzeit entscheiden sollten (s.u.).
Über die geplanten Neuregelungen hinaus empfiehlt der LV Sachsen-Anhalt deshalb zwei weitere Reformmaßnahmen, um die juristische Ausbildung gegen Diskriminierung und strukturelle Ausgrenzung abzusichern. Zum einen sollte das Ziel einer diskriminierungsfreien Prüfungspraxis in den Prüfungsvorschriften für die staatliche Pflichtfachprüfung und die zweite Staatsprüfung verankert werden. Zu einer solchen Prüfungspraxis gehören mit Blick auf die mündlichen Examensprüfungen etwa die geschlechtergerechte Besetzung der Prüfungskommissionen, vgl. § 7 Abs. 3 S. 4 JAVO Schleswig-Holstein, verpflichtende Schulungen für Prüfer*innen und die Implementierung eines Beschwerde- und Kontrollsystems.[2]
Der LV Sachsen-Anhalt regt zudem an, die Einrichtung eines Personalrates der Referendar*innen mit einer Gleichstellungsbeauftragten zu regeln und diese mit § 31 JAO Berlin[3] vergleichbaren Rechten auszustatten. Ein Personalrat kann Beschwerden und Anregungen bündeln, weiterleiten und die Bedürfnisse der Referendar*innen sichtbar machen. Der Personalrat ist u.a. in Berlin und Brandenburg etabliert und sorgt dort spürbar für eine Entlastung der Referendar*innen und Ausbilder*innen. Die Gleichstellungsbeauftragte könnte als eine unabhängige Beratungsstelle fungieren, gerade für sorgetragende Referendar*innen. Eine solche Regelung könnte somit sicherstellen, dass die Ziele des geplanten Gesetzes – insbesondere im Hinblick auf das Teilzeitreferendariat auch erreicht werden.
Die Einführung des Bachelor-Grades wird vom LV begrüßt, insbesondere dass die Änderungen rückwirkend bis zum Jahre 2018 gelten sollen.
II. Zur geplanten Teilzeitregelung in § 7a
Zu Abs. 1 und 2
Der Teilzeitanspruch sollte großzügig gehandhabt werden. Nur so kann das Land Sachsen-Anhalt der gesamten Vielfalt der Lebensrealitäten Rechnung tragen, aus denen heraus heute Menschen den Vorbereitungsdienst ableisten. Es sind unbedingt Fälle der eingeschränkten Teilhabe aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung und sorgetragende Beziehungen, die über das strikt an Biologie und Lebenspartnerschaft orientierte gesetzliche Bild aus der bisher vorgesehenen Fassung des Absatz 1 S. 1 hinausgehen, mit in S. 1 zu erfassen. Der vorgesehene S. 2 sollte wie S. 1 als Anspruch ausgestaltet werden.
Die Gegenargumente der Gesetzesbegründung überzeugen nicht: Es liegt an dem/der Präsident*in des Oberlandesgerichtes, der befürchteten Rechtsunsicherheit vorzubeugen, indem der Teilzeitanspruch verlässlich und großzügig ausgelegt wird. Jungen Mitgliedern der Gesellschaft, die Verantwortung für Mitmenschen und ihre eigene psychische und physische Gesundheit übernehmen (müssen), sollte mit Respekt und nicht mit unbegründetem Misstrauen begegnet werden. Junge Menschen starten mit weit divergierenden Privilegien in den Vorbereitungsdienst. Der Grundsatz der Chancengleichheit wird nur dann Realität, wenn diese Unterschiede durch flexiblere Ausbildungsbedingungen ernst genommen und abgemildert werden.
In Absatz 2 wird der Wechsel vom Teilzeit- zum Vollzeitmodell auf die ersten 12 Monate beschränkt. Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt die Vorschrift darauf, Missbrauchspotential einzudämmen.
Der Sinn dieser Regelung erschließt sich für den djb nicht. Es besteht kein Anlass, Referendar*innen, bei denen die anderen Voraussetzungen vorliegen, derart gesetzlich manifestiertes Misstrauen entgegenzubringen. Es soll hier noch einmal betont werden, dass die Möglichkeit eines Teilzeitreferendariats keine Vorteilsgewährung darstellt, sondern vielmehr eine Maßnahme insbesondere für mehr Vereinbarkeit von Ausbildung und Sorgearbeit und dem Ausgleich von behinderungsbedingten Nachteilen. Auch wenn eine flexiblere Gestaltung des Wechsels vom Teilzeit- zum Vollzeitreferendariat und umkehrt wegen der geplanten zwingenden Verlängerung um sechs Monate (hierzu s.u.) sowie der nur zwei Mal im Jahr möglichen Examensablegung nicht möglich wäre, so sollten jedoch an einen Wechsel nach Aufnahme des Referendariats keine erhöhten Hürden gestellt werden. Die fehlende Vereinbarkeit des Aufwands und der tatsächlichen Bedingungen des Referendariats mit einer Sorgeverantwortung oder einer Beeinträchtigung wird oftmals erst nach Beginn der Ausbildung erkennbar sein. Das Missbrauchspotential einer solchen Regelung wird in der Gesetzesbegründung nicht realistisch eingeschätzt. Tatsächlich entspricht es, hier wie auch im Studium, viel mehr der Erfahrung, dass Referendar*innen unter hohem Druck stehen, das Referendariat möglichst schnell zu absolvieren. Eine Missbrauchsgefahr wird in Bezug auf das erste Examen, dessen Zeitpunkt viel flexibler gewählt werden kann, schließlich auch – zurecht – nicht angemahnt.
Zu Abs. 3 S. 1
Kritisch zu beurteilen ist zudem die pauschale Verlängerung des Referendariats. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb gerade die geringfügige Arbeitszeitreduzierung von einem Fünftel in den Stationen eine Verlängerung der Ausbildungszeit insgesamt zur Folge hat – zumal eine tatsächlich der Differenz entsprechende Verlängerung in Sachsen-Anhalt aufgrund des halbjährlichen Ausbildungsbeginns gar nicht möglich wäre. Gegen eine Verlängerung des Referendariats sprechen insbesondere zwei Gründe:
Die geplante Reduzierung der Unterhaltsbeihilfe schlägt dann noch mehr zu Buche. Finanzielle Gründe dürfen nicht dazu führen, dass das Teilzeitreferendariat nicht in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr besteht jedoch, wenn das prekäre Anstellungsverhältnis dadurch noch unattraktiver wird und sich dieser Zustand über einen noch längeren Zeitraum erstreckt.
Eine solche Verlängerung ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten. Denn das an die Voraussetzung der Sorgeverantwortung geknüpfte Teilzeitreferendariat dient gerade dazu, die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Chancengleichheit herzustellen, indem bestehende Nachteile ausgeglichen werden. Dass in der Einzelausbildung weniger Leistungen erbracht werden als durch andere Referendar*innen fällt auch bei einer Arbeitsreduzierung um z.B. bloß ein Drittel nur unerheblich ins Gewicht.
Der djb LV Sachsen-Anhalt fordert daher, eine Verlängerung des Referendariats allenfalls optional einzuführen. Auf Antrag der Referendar*innen ist die Ausbildungszeit um ein halbes Jahr zu verlängern.
Zu Abs. 3 S. 2
Die pauschale – und zugleich nicht nennenswerte – Reduktion um ein Fünftel ist nicht geeignet, den Mehrbelastungen dieser Referendar*innen gerecht zu werden. Um eine spürbare Entlastung zu schaffen, ist die Arbeitszeit um mindestens ein Drittel zu verringern. Die vorgesehene Reduktion um ein Fünftel geht nicht über die derzeit in Einzelfällen praktizierte Entlastung von Referendar*innen mit besonderen Sorge- und Pflegeaufgaben, (Schwer)Behinderung oder vergleichbaren Härten hinaus, die von wenigen Ausbilder*innen individuell angeboten wird. Angesichts der aktuell eher freihändigen Gestaltung des Ausbildungsrahmens im Referendariat, der in der Praxis maßgeblich von individuellen Absprachen mit bzw. einseitigen Vorgaben durch die jeweiligen Ausbilder*innen bestimmt wird, muss es dringend rechtssichere Vorgaben für das Ableisten in Teilzeit geben. Ausbilder*innen sollten ausdrücklich verpflichtet werden, individuell auf die besonderen Bedürfnisse von Referendar*innen mit Sorgeverpflichtungen einzugehen. Dabei muss gewährleistet sein, dass Referendar*innen mit Sorgeverantwortung neben den Pflichtveranstaltungen ausreichend Zeit zum Lernen haben, indem beispielsweise die Einzelausbilder*innen angehalten werden, den Umfang von Aktenbearbeitung angemessen zu halten oder zu ermöglichen, Probeklausuren flexibler zu schreiben. Der Rahmen der Stationsausbildung wird regelmäßig zulasten der persönlichen Vorbereitungszeit überzogen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Missstand im Teilzeitmodell ohne ausdrückliche Regelungen zuspitzt und die Ziele des Teilzeitmodells so faktisch leerlaufen.
Zudem muss gewährleistet werden, dass auch die Ausbildungszeiten, besonders die Veranstaltungen in den Arbeitsgemeinschaften und Klausurenkursen, mit Betreuungszeiten kompatibel sind. Satz 3 ist entsprechend anzupassen.
Zur geplanten Kürzung der Unterhaltsbeihilfe
Der djb beurteilt die Reduktion der sich ohnehin schon am Existenzminimum bewegenden Unterhaltsbeihilfe kritisch.
Die Unterhaltsbeihilfe wird nicht im Gegenzug zur verrichteten Arbeit geleistet, sondern zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Diese verringern sich bei einem Referendariat in Teilzeit aber gerade nicht, sondern können sich bei Sorgeverantwortung oder Behinderung sogar erhöhen. Auch ist es den Referendar*innen nicht zuzumuten, einen etwaigen Familienzuschlag zum Ausgleich für die persönlichen Unterhaltseinbußen einsetzen zu müssen. Referendar*innen könnten so gezwungen sein, sich allein aus finanziellen Gründen gegen die Teilzeit zu entscheiden.
In anderen Bundesländern wird zudem die Unterhaltsbeihilfe gerade nichtgekürzt, wenn sich die Ausbildung in Härtefällen (die in § 5b Abs. 6 S. 2 DRiG n.F. der Sorgeverantwortung gleichgestellt werden) verzögert.[4]
Dr. Afra Waterkamp
Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt
Nergis Zarifi
Vorsitzende des Arbeitsstabes Ausbildung und Beruf
[1] vgl. schon Stellungnahmen des djb zum DRiG, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st21-05, und zuletzt in Sachsen, https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st22-21, und Niedersachsen, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-13.
[2] S. jüngst die Forderungen des djb-Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, S. 26 ff., https://www.nomos-elibrary.de/de/10.5771/2196-7261-2022-1-23/die-muendliche-pruefung-in-den-juristischen-staatsexamina-eine-blackbox-mit-diskriminierungspotential-jahrgang-9-2022-heft-1?page=1; zum Vorschlag der Errichtung einer „Awareness-Stelle“ siehe auch die Prioritätenliste des Personalrates 2021/2022 der Referendar*innen in Hamburg, https://www.referendarrat-hamburg.de/personalrat/aufgaben/.
[3] Vgl. https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-JAOBEpP31.
[4] Vgl. Art. 3 Abs. 4 S. 2 BaySiGjurVD, https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BaySiGjurVD-3, und § 5 Abs. 2 Nr. 2 NRW-VO über die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsbeihilfe an Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=28585&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=573733.