Stellungnahme: 25-09


zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz zum Gesetz gegen digitale Gewalt

Stellungnahme vom

I. Vorbemerkung

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt ausdrücklich die Neuerungen, die das Bundesministerium der Justiz in dem Diskussionsentwurf für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorsieht. Dass auch unter einer neuen Bundesregierung daran festgehalten werden soll, ist überaus begrüßenswert, ist es doch gerade jetzt essenziell und existentiell, den Kampf gegen digitale Gewalt, die gerade Frauen besonders häufig und besonders heftig trifft,[1] mit ungebrochener Entschlossenheit weiterzuführen. Denn die auf der Münchner Sicherheitskonferenz geäußerte Befürchtung des amerikanischen Vize-Präsidenten J.D. Vance, in Großbritannien und Europa sei „die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug“, ist ebenso verfehlt, wie die Annahme, EU-Kommissare hätten die Absicht, „soziale Medien während Zeiten ziviler Unruhen abzuschalten – sobald sie das entdeckt haben, was sie als hasserfüllte Inhalte einstufen“. Richtig ist, dass digitale Gewalt und rechtswidrige Inhalte in sozialen Netzwerken unvermindert geäußert und verbreitet werden, und – im Gegenteil – die Umsetzung der Europäischen Regeln (insb. des Digital Services Act, DSA) noch nicht auseichend erfolgt. Die besondere Stellung, die dem Kampf gegen digitale Gewalt gegen Frauen zukommt, bestätigt auch die aktuelle politische Erklärung der gerade stattfindenden 69. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission, die das Vorgehen gegen Gewalt im digitalen Kontext, insbesondere auf Plattformen und Social Media hervorhebt.[2]  

Bei der Bekämpfung digitaler Gewalt geht es nicht nur um den Schutz Einzelner, sondern auch um den Erhalt einer wehrhaften Demokratie und die Sicherung der Teilhabe am öffentlichen Diskurs – gerade von Frauen und Mitgliedern der LGBTQ* Community. Digitale Gewalt hat eine klare Geschlechterdimension. Antifeminismus, Hass gegen Frauen und Menschen der LGBTQ* Community finden im Netz Bedingungen, die sich verstärkend auswirken und das Entstehen extremistischer Strömungen begünstigen. Das Netz ist kein neutraler Raum. Für viele Menschen erweist sich das Netz vielmehr als ein Ort der Ausgrenzung, in dem sie beschämt und bedroht werden. Wenn Frauen sich im Netz öffentlich oder gar politisch äußern, sind sie besonders von Hatespeech, Beleidigungen, aber auch Verletzungen des Rechts am eigenen Bild und/oder der sexuellen Selbstbestimmung betroffen – also von digitaler Gewalt. Diese gilt es zu bekämpfen, wozu der vorgelegte Diskussionsentwurf einen Beitrag leisten kann.

Wir fordern deshalb die neue Bundesregierung auf, den vorliegenden Gesetzesentwurf ohne weitere Verzögerungen in den neu zusammengesetzten Bundestag einzubringen.

Zu den einzelnen in dem Eckpunktepapier und nunmehr in dem Diskussionsentwurf vorgeschlagenen Regelungen hat der djb bereits detailliert Stellung genommen[3]. Der djb hält daran ausdrücklich fest, und begrüßt

  • die Ausweitung des bereits existierenden Auskunftsanspruchs bei anonym getätigten Rechtsverletzungen im Internet;
  • die Neueinführung richterlich angeordneter zeitweiliger Accountsperren in Fällen schwerwiegender Rechtsverletzungen;
  • die Sicherungsanordnung zur Speicherung der Bestands- und Nutzungsdaten und Anfertigung einer Kopie des angegriffenen rechtsverletzenden Inhalts;
  • die Beibehaltung und Ausweitung der Zuständigkeit des „inländischen Zustellungsbevollmächtigten“, zu dessen Benennung alle, auch die nicht in den EU-Mitgliedsstaaten ansässigen Betreiber*innen von sozialen Netzwerken, verpflichtet werden sollen, und
  • die Möglichkeit einer Bevollmächtigung für zivilgesellschaftliche Organisationen, um (dann anstelle von Rechtsanwält*innen) Betroffene bei der Rechtsdurchsetzung zu unterstützen.

Genauso ausdrücklich weist der djb aber darauf hin, dass diese Einzelmaßnahmen weit hinter dem zurückbleiben, was im Kampf gegen digitale Gewalt erforderlich ist. Bevor wir zu den geplanten Regelungen unter III. im Einzelnen Stellung nehmen, ist es deshalb erforderlich, den Fokus darauf zu richten, welche wichtigen Maßnahmen die neue Bundesregierung in das Gesetzvorhaben noch aufnehmen sollte.

II. Was im Diskussionsentwurf fehlt – aber im Gesetz enthalten sein sollte

Die folgende, keineswegs abschließende, Auflistung benennt die wesentlichen Lücken im derzeit geplanten Gesetz gegen digitale Gewalt. Ergänzend verweisen wir auf unsere bereits veröffentlichten Papiere und Stellungnahmen, die konkrete Vorschläge und Handlungsoptionen benennen. 

  • Flächendeckende Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Straftaten im Zusammenhang mit digitaler Gewalt, deren Ermittlungen sich nicht auf wirtschaftsstrafrechtliche Fragestellungen beschränken;
  • umfassende (Online-)Beratungsangebote für Opfer digitaler Gewalt;
  • Ausweitung der bestehenden Entschädigungsregelungen auf Opfer psychischer, auch digitaler Gewalt mit schweren Folgen;
  • Verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei, die auch für die geschlechtsspezifische Dimension digitaler Gewalt sensibilisieren;
  • Strafbarkeitslücken im Bereich digitale Gewalt schließen, u.a.:
    • Einheitlicher Komplex von Straftatbeständen innerhalb des Sexualstrafrechts schaffen, der das Herstellen, Gebrauchen und Verbreiten von Bildaufnahmen unter Strafe stellt, die eine andere erwachsene Person sexualbezogen wiedergeben, ohne dass diese wirksam eingewilligt hat;
    • Adhäsionsverfahren ausweiten;
    • Ausweiten der bestehenden (wenigen) Bildungskampagnen, mithilfe derer Nutzer*innen von Sozialen Netzwerken über deren Gefahren aufgeklärt werden (z.B. an Schulen, im TV und in Sozialen Medien).

III. Zu den geplanten Maßnahmen im Einzelnen

1. Anwendungsbereich

Aus Sicht des djb muss sich der Anwendungsbereich des Gesetzes gegen digitale Gewalt auch auf Messengerdienste und VPN-Dienste erstrecken.

Der Messengerdienst WhatsApp etwa ermöglicht nicht nur den Austausch privater Nachrichten zwischen Individuen, sondern auch das Abonnieren von Kanälen nicht persönlicher Kontakte und den Austausch in großen Communities. Es macht wertungsmäßig ebenso wie für die Betroffenen keinen Unterschied, ob ein rechtsverletzender Inhalt über einen Instagram Account oder WhatsApp Kanal an ein breites Publikum gepostet wird. Zudem schlagen Messengerdienste wie WhatsApp und Telegram ihren Nutzer*innen Kanäle vor und greifen so aktiv in den Meinungsmarkt ein. Die Verbreitung digitaler Gewalt liegt daher auch in ihren Händen. Ihre Privilegierung ist unangemessen.

Gleiches gilt für VPN-Dienste. Wenn Betroffene den Anspruch nicht auch gegen VPN-Anbieter*innen richten können, bliebe eine erhebliche Schutzlücke, wenn Verfasser*innen rechtswidriger Inhalte einen VPN nutzen. Denn VPN-Dienste verhindern die direkte Verbindung zum Server einer Webseite, sodass an Dritte ausschließlich die IP-Adresse des VPN-Servers übertragen wird. Die Identität von VPN-Nutzer*innen bleibt daher verborgen; sie zur Rechenschaft zu ziehen unmöglich.

Erfreulich ist, dass der Gesetzesentwurf die vom djb vorgetragene Kritik berücksichtigt, und Plattformen zur Verbreitung von spezifischen Inhalten (anders als noch im NetzDG) von der Anwendung nicht ausgeschlossen werden. Auch solche Plattformen, die speziell zur Verbreitung von speziellen, etwa von berufs-, gaming- oder auch pornographischen Nutzerinhalten bestimmt sind, fallen in den Anwendungsbereich des geplanten Gesetzes.

2. Strafbarkeitsschwelle beim Auskunftsanspruch

Der djb kritisiert, dass der Auskunftsanspruch nach § 2 nur bei Vorliegen einer der in § 1 genannten Straftatbestände greifen soll. Viele Formen digitaler Gewalt erfüllen keinen Straftatbestand, können aber für Betroffene mit erheblichen persönlichen Auswirkungen und tiefgehenden Verletzungen etwa ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verbunden sein; das Offenbaren der sexuellen Orientierung oder einer schweren Erkrankung entgegen den Willen der betroffenen Person etwa – um nur zwei Beispiele zu nennen. Der djb hält es deshalb für erforderlich, aber auch ausreichend, dass jede rechtswidrige Verletzung absoluter Rechte (wohlbemerkt nicht bereits ein Eingriff darin) zur Aufgabe des Anonymitätsschutzes führt. Dabei übersieht der djb nicht, dass die Möglichkeit, sich im Netz anonym zu äußern, besonders schützenswert ist, weil sie die öffentliche Debatte fördert und die Meinungsäußerungsfreiheit sichert. Die Möglichkeit des anonymen Debattierens darf aber auch kein „Freifahrtschein“ für Rechtsverletzungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle sein, weil die zivilrechtliche Rechtsverfolgung bei anonym getätigten Äußerungen nur beim Vorliegen einer der in § 1 Abs. 1 genannten Straftaten möglich ist. Die Meinungsäußerungsfreiheit kann vom Gericht, das über das Auskunftsbegehren entscheidet, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte gebührend berücksichtigt werden.

Der Auskunftsanspruch dient gerade dazu, zivilrechtliche Ansprüche der Betroffenen vorzubereiten, sodass er bei jeder Verletzung absoluter Rechte bestehen sollte, damit er diesen Zweck erfüllen kann. Wer im Internet absolute Rechte anonym verletzt und dabei nicht die Schwelle der Strafbarkeit überschreitet, könnte dafür ansonsten zivilrechtlich überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Würde der Gesetzesentwurf wie vorgeschlagen verabschiedet, müssten anonyme Rechtsverletzer*innen keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben, keine Falschbehauptungen richtigstellen, keine Geldentschädigung zahlen und auch keine Rechtsanwaltskosten erstatten. Damit hätten wir einen „rechtsfreien Raum“, den der Gesetzesentwurf gegen digitale Gewalt gerade verhindern möchte: Die Betroffenen könnten sich nur gegen die Betreiber*innen sozialer Netzwerke wenden und Löschung verlangen. Vor einer erneuten Veröffentlichung der rechtsverletzenden Inhalte wären sie nicht geschützt. Für das sog. Notice-and-Take-down Schreiben müssten Betroffene selbst aufkommen.

Das Offenlassen der Schutzlücke ist auch deshalb bedenklich, weil der Gesetzgeber zur zivilrechtlichen Durchsetzung des Urheberrechts bereits einen flächendeckenden Auskunftsanspruch (§ 101 UrhG) normiert hat. Mit dem Beharren auf der Strafbarkeitsschwelle beim Gesetz gegen digitale Gewalt stellt der Referentenentwurf das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundlos schlechter. Diese Ungleichbehandlung grundrechtlich geschützter Rechte ist nicht nachvollziehbar.

Jedenfalls aber ist der Straftatenkatalog auszuweiten um folgende Tatbestände: Nötigung § 240 StGB, Erpressung § 253 StGB und das Ausspähen von Daten § 202a StGB. Zu begrüßen ist immerhin, dass das große Feld der bildbasierten digitalen Gewalt über § 33 KUG sowie die unberechtigte Veröffentlichung personenbezogener Daten über § 42 BDSG künftig vom Katalog der Rechtsverletzungen umfasst wäre.

3. Darlegungsumfang beim Auskunftsanspruch

Der Gesetzesentwurf ist im Hinblick auf den Darlegungsumfang beim Auskunftsanspruch misslich formuliert: Gemäß § 2 Abs. 3 hat eine*r Betroffene*r die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass er*sie „gegen diesen Nutzung zivilrechtliche Ansprüche geltend macht“. Damit kann allenfalls eine Absichtserklärung gemeint sein, da eine Geltendmachung erst nach Abschluss des Auskunftsverfahren möglich ist. Bei einem erfolglosen Auskunftsverfahren können Betroffene mangels Adressat*in keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen. Es kann auch sein, dass das Auskunftsverfahren zwar erfolgreich ist, der*die Rechtsverletzer*in jedoch eine Bedrohung für die betroffene Person darstellt und diese deshalb davon absieht, zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen, oder es zu einer Verständigung der Parteien kommt.

Der djb schlägt deshalb vor, § 2 Abs. 2 S. 2 wie folgt umzuformulieren: „Dazu hat er die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass ein ihm unbekannter Nutzer eine Rechtsverletzung begangen hat und dass er beabsichtigt, gegen diesen Nutzer zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen."

4. Frist zur Auskunftserteilung

Der Gesetzesentwurf macht keine Vorgaben dazu, binnen welcher Frist die Dienste die Daten speichern und Auskunft erteilen sollen. Hier wäre eine gesetzliche Normierung wünschenswert. Für die Datenspeicherung schlägt der djb „ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber binnen 24 Stunden (unabhängig von Werk- oder Feiertag)“ vor. Hinsichtlich der Auskunftserteilung schlägt der djb „72 Stunden (unabhängig von Werk- oder Feiertag)“ vor. Nur so kann eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung sichergestellt und einem Datenverlust effektiv vorgebeugt werden.

5. Plausibilitätsprüfung

Der djb kritisiert zudem das Erfordernis einer Rechtmäßigkeitsprüfung zum Auskunftsrecht. Die Prüfung sollte zur Entlastung der Gerichte auf eine Plausibilitätsprüfung beschränkt werden.

6. Schutzinteressen der Betroffenen

Der Text des Gesetzesentwurfs selbst sieht für Antragsteller*innen, die befürchten, dass ihre Anonymität durch das Auskunftsverfahren gefährdet wird, keine Ausnahme von dem Grundsatz vor, dass Betroffene nur mit Angabe ihres Namens und ihrer Anschrift Ansprüche geltend machen können. Allerdings verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass diese besonders vulnerablen Personen entsprechend der Praxis bei Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz in ihrem Antrag darauf hinweisen können, dass die Geheimhaltung des Aufenthaltsortes notwendig ist. Dies soll auch für den Rechtsverletzenden gelten, sofern dieser am Verfahren beteiligt ist. In der Folge sei es Aufgabe des Gerichts, durch entsprechende Aktenführung sicherzustellen, dass die Daten gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten nicht bekannt werden. Auch das Akteneinsichtsrecht nach § 13 Absatz 1 FamFG bestehe nur, soweit nicht schwerwiegende Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten entgegenstehen. Es bleibt zu hoffen, dass die mit diesen Verfahren befassten Gerichte und ggf. Rechtsanwält*innen von diesen Möglichkeiten und Pflichten im Bedarfsfall umfassend Gebrauch machen.

7. Zu hohe Voraussetzungen der Accountsperre

Der djb begrüßt weiterhin die Einführung zeitweiliger richterlicher Accountsperren und bejaht deren Effektivität gerade bei Accounts mit hoher Reichweite.[4] Der djb hält weiterhin daran fest, dass das Vorliegen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung als Voraussetzung einer Sperre erforderlich, aber auch ausreichend ist. Der djb begrüßt insofern, dass S. 32 der Gesetzesbegründung den Vorschlag des djb aufgreift und für die Beurteilung der Schwere die Rechtsprechung zur Geldentschädigung bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts heranziehen möchte. Ebenfalls positiv hervorzuheben ist, dass auch die Beweggründe des Rechtsverletzenden berücksichtigt werden sollen, und dabei explizit in der Rechtsverletzung erfüllte Diskriminierungsmerkmale genannt sind.

Der djb lehnt hingegen ab, dass der Gesetzesentwurf die Accountsperre vom Vorliegen einer Rechtsverletzung im Sinne des § 1 Abs. 1 (also nach derzeitigem Stand begrenzt auf die genannten Straftaten) und einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung abhängig macht. Sollte der Gesetzgeber tatsächlich am Strafbarkeitserfordernis festhalten, vermag der djb keinen Mehrwert darin erkennen, zusätzlich eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung zu fordern. Dies würde lediglich zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, dass gegen Gruppen oder Bevölkerungsteile gerichtete Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Var. 1 und 2 StGB) mangels persönlicher Betroffenheit einzelner Personen nicht zu einer Sperrung führen könne. Im effektiven Kampf gegen digitale Gewalt ist aber auch eine zivilrechtliche Handhabe bei gegen Gruppen oder Bevölkerungsteile gerichteter Volksverhetzung erforderlich. Zudem erscheint die derzeitige Regelung insoweit fragwürdig, als keine Konstellationen denkbar sind, in denen zwar ein Straftatbestand erfüllt, aber keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben sein soll.

§ 4 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 3 macht die Sperre von deren „Erforderlichkeit“ abhängig. Wann diese zu bejahen sein soll, wird (vergleichbar zu „Regelbeispielen“) konkretisiert. So soll die Sperrung „in der Regel“ erforderlich sein, wenn der Nutzer bzgl. der konkreten Rechtsverletzung die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert, gegen eine von ihm unterzeichnete strafbewehrte Unterlassungserklärung verstoßen hat oder andere Anhaltspunkte eine weitere Rechtsverletzung befürchten lassen. Zum einen handelt es sich bei all diesen Konstellationen um solche, bei denen die äußerungsrechtliche Rechtsprechung von der Vermutung der Wiederholungsgefahr ausgeht, deren Vorliegen also gerade nicht gesondert belegt und geprüft werden muss. Die geplante Regelung würde die geltende Vermutung der Wiederholungsgefahr aufheben. Der zweifelsohne zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Verhängung der explizit in der Gesetzesbegründung als „ultima Ratio“ bezeichneten Accountsperre wird bereits durch das Erfordernis einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung gewahrt.

Dies wirft auch die (ungeklärte) Frage auf, in welchem Verhältnis der Anspruch auf zeitweilige Sperrung eines Accounts und der (ggf. parallel) im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemachte Unterlassungsanspruch stehen. Lässt eine (vorläufig) verhängte Accountsperre, für die über das Merkmal der „Erforderlichkeit“ das Bestehen der Wiederholungsgefahr geprüft und bejaht werden muss, dann die Vermutung der Wiederholungsgefahr als materielle Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs entfallen?

Zum anderen setzt dies zwingend voraus, dass die betroffene Person zivilrechtlich im Wege einer außergerichtlichen Abmahnung bereits (Unterlassung-)Ansprüche gegen die/den Rechtsverletzer*in geltend gemacht hat. Das wiederum schließt einen Anspruch auf vorläufige Accountsperre gegen anonym gebliebene Rechtsverletzer*innen, im Fall eines erfolglos geltend gemachten Auskunftsanspruchs oder in Fällen, in denen die/der Rechtsverletzer*in so gefährlich ist, dass das Opfer von einer Abmahnung absieht, aus.

Ebenfalls zu begrüßen: Die Sperrung soll sich auch auf künftige Konten, die der Nutzende innerhalb des für die Sperrung maßgeblichen Zeitraums eröffnet, beziehen. Inwieweit es den Anbieter*innen sozialer Netzwerke technisch möglich ist, und auch wirklich ein Interesse daran besteht, Versuche der Nutzerkontoinhaber*innen, eine Sperrung zu umgehen (etwa durch Nutzung einer anderen E-Mailadresse oder Telefonnummer), unterbinden, muss die Praxis zeigen.

8. Umfang der Accountsperre unklar

Der djb begrüßt, dass sämtliche bekannten Accounts des*der Rechtsverletzer*in zu sperren sind und nicht nur der Account zu sperren ist, dem die Rechtsverletzung entstammt. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass Rechtsverletzer*innen auf andere Accounts mit hoher Reichweite ausweichen, um den rechtsverletzenden Inhalt erneut zu veröffentlichen.

Allerdings benennt der Gesetzesentwurf den Umfang der Accountsperre nicht konkret genug. So soll ein Account nach dem § 2 Abs. 2 S. 1 gesperrt sein, wenn der*die Nutzer*in „keine Inhalte veröffentlichen, kommentieren und teilen kann“. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 soll die passive Nutzung des Nutzungskontos im Lesemodus weiterhin möglich sein. Offen bleibt dabei der Umgang mit der Chatfunktion, also privaten Nachrichten zwischen den Nutzer*innen. Hier wäre eine Klarstellung in der Gesetzesbegründung wünschenswert, ob das Verfassen und Versenden privater Nachrichten unter den Begriff des „Veröffentlichen“ des § 2 Abs. 2 S. 1 fallen. Der djb ist der Ansicht, dass für einen effektiven Schutz vor weiteren rechtsverletzenden Inhalten auch die Chatfunktion von der Sperre betroffen sein sollte. Andernfalls könnten Rechtsverletzer*innen die Sperre durch private Nachrichten umgehen.

9. Unzureichende Vorgaben zur Anhörung der Accountinhaber*innen

Der Gesetzesentwurf macht keine Vorgaben dazu, binnen welchen Zeitraums und wie die Dienste die Accountinhaber*innen anhören müssen, also welche konkreten Informationen sie den Accountinhaber*innen bereitstellen müssen und welche Antwortfrist sie ihnen einräumen können. Zur Sicherstellung der Meinungsäußerungsfreiheit der Accountinhaber*innen sollte der Gesetzgeber die gesetzlichen Vorgaben der Anhörung detaillierter ausgestalten und nicht den jeweiligen Diensten überlassen.

Der djb schlägt vor, dass Dienste die Anhörung unverzüglich, spätestens aber binnen 24 Stunden (unabhängig von Werk- oder Feiertag) beim Auskunftsersuchen und drei Werktagen beim Sperrersuchen vornehmen müssen.

Der djb schlägt weiter vor, dass die Dienste den Accountinhaber*innen mindestens die folgenden Informationen übermitteln müssen: (1) Hinweis auf anhängiges Auskunfts-/Sperrersuchen, (2) Screenshots der angegriffenen Inhalte, (3) Veröffentlichungsdatum der angegriffenen Inhalte, (4) Fristsetzung für die Antwort des*der Accountinhaber*in. Als Antwortfrist hält der djb beim Auskunftsersuchen „24 Stunden (unabhängig von Werk- oder Feiertag)“ und beim Sperrersuchen drei Werktage für angemessen.

10. Bloße Bevollmächtigung ungenügend

Auch hier bleibt der Diskussionsentwurf hinter dem Erforderlichen zurück, weil er lediglich zu einem Handeln in fremden Namen ermächtigt und die zivilrechtliche Ahndung der Rechtsverletzung als Individualinteresse wertet (§ 7). Der starke Fokus auf Individualrechtschutz wird der Lage der Betroffenen und den Folgen für unsere demokratische Gesellschaft nicht gerecht. Damit Betroffene ihre Rechte gegen digitale Gewalt durchsetzen und verteidigen können, müssen sie in unserem heutigen System über erhebliche emotionale und finanzielle Ressourcen verfügen und diese einsetzen. Der Kampf gegen digitale Gewalt ist indes eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht allein auf den Betroffenen lasten. Wenn Verbraucherschutzverbände im eigenen Namen gegen UWG-Verstöße vorgehen dürfen, sollten zivilgesellschaftliche Organisationen auch im eigenen Namen gegen digitale Gewalt vorgehen können – zum Schutz des demokratischen Zusammenhalts und freien gesellschaftlichen Diskurses im Internet.

Aus Sicht des djb braucht es daher ein Verbandsklagerecht für zivilgesellschaftliche Organisationen. Nur so lässt sich den dargestellten Problemen der individuellen Prozessführung in Fällen digitaler Gewalt gerecht werden. Ohne Verbandsklagerecht bliebe zudem gegen Gruppen/Bevölkerungsteile gerichtete Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Var. 1 und 2 StGB) zivilrechtlich faktisch ungeahndet. Denn es gibt keine Betroffenen, welchen den Auskunftsanspruch zur Vorbereitung eigener zivilrechtlicher Ansprüche oder eine Accountsperre anmelden und eine zivilgesellschaftliche Organisation mit der Geltendmachung ihrer Rechte bevollmächtigen könnten. Ein Verbandsklagerecht wäre auch mit Art. 86 DSA vereinbar, da dieser nur das Minimum („zumindest“) regelt.

Sofern der Gesetzgeber die zivilrechtliche Ahndung gleichwohl allein den Betroffenen und damit Individualinteressen zuordnet, sollten zivilgesellschaftliche Organisationen diese Rechte wenigstens im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft geltend machen dürfen.

Der djb fordert ferner Klarheit darüber, was der Gesetzgeber mit der Formulierung „nach diesem Gesetz“ in § 7 meint. Der djb versteht diese so, als wäre die Bevollmächtigung nur im Auskunfts- und Accountsperreverfahren zulässig, nicht jedoch in den nachgelagerten Verfahren von Unterlassung, Richtigstellung und Geldentschädigung (da insoweit die ZPO, nicht das FamFG Anwendung findet). Auch in diesen Verfahren sollte der Gesetzgeber Betroffene durch zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützten. Ein Verbandsklagerecht sollte sich daher auch auf diese Verfahren erstrecken, jedenfalls aber eine Geltendmachung durch gewillkürte Prozessstandschaft möglich sein.

11. Kosten

Der djb begrüßt, dass der Gesetzesentwurf – anders als § 21 Abs. 3 TDDDG – die Kostenlast des Auskunftsverfahrens nicht der verletzten Person auferlegt. Soweit S. 34 der Gesetzesbegründung auf den Grundsatz des § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG verweist, weist der djb auf Folgendes hin: Von der Möglichkeit des § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG, von der Erhebung der Kosten gänzlich abzusehen, wird in der Praxis regelmäßig kein Gebrauch gemacht. Betroffene müssten daher damit rechnen, die Kosten für das Auskunfts- und/oder Accountsperreverfahren zu tragen. Mögliche Kosten umfassen dabei nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die Rechtsanwaltskosten des an den Verfahren beteiligten Dienstes. Der djb schlägt deshalb folgende Ergänzung des § 5 vor: „Der Antragsteller trägt in der Regel nicht die Kosten des Verfahrens."

12. Elektronische Zustellung wünschenswert

Die vorgesehenen Regeln zu Zustellungsbevollmächtigten sind zu begrüßen. Allerdings lässt der Gesetzesentwurf offen, wie die Kommunikation zwischen Betroffenen, Gerichten und Diensteanbieter*innen erfolgt. Wenn die Kommunikation allein auf dem Postweg erfolgen kann, ist auch bei reinen Inlandssendungen zu befürchten, dass die Daten längst gelöscht sind, wenn die Sicherungsanordnung die Diensteanbieter*innen erreicht. Dies gilt sowohl für den rechtsverletzenden Inhalt, den die Diensteanbieter*innen mit Screenshots sichern sollen als auch für die Nutzungsdaten, die sie sichern sollen. Der djb fordert daher eine digitale Eingabemaske für Betroffene, die mit den beA-Eingängen der Gerichte verbunden ist. Zudem ist für Diensteanbieter*innen ein elektronisches Postfach für die Zustellung durch das Gericht einzurichten (ähnlich dem besonderen elektronischen Behördenpostfach/Anwaltspostfach).

13. Zuständigkeit; Verordnungsermächtigung

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass für Anträge nach diesem Gesetz das Landgericht ausschließlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Antragstellende seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat. Diese Zuständigkeit soll (abweichend von § 32 ZPO) auch für Streitigkeiten über Ansprüche aus Rechtsverletzungen gelten, wenn zuvor ein Auskunftsverfahren nach § 2 durchgeführt wurde. Dies führt in der Praxis dazu, dass nicht länger die auf äußerungsrechtliche Ansprüche mit speziellen Kammern ausgestatteten Landgerichte, sondern eben jeweils die am Sitz der Betroffenen zuständig sind. Dies mag angesichts der erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen im jeweiligen Einzelfall zu stark divergierender Rechtsprechung führen. Der djb regt daher ausdrücklich an, von der vorgesehenen Ermächtigung der Landesregierungen, durch Rechtsverordnung die Auskunftsverfahren einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen, Gebrauch zu machen.

14. Fazit

Der Diskussionsentwurf des Gesetzes gegen Digitale Gewalt stellt einen wichtigen Schritt zur Stärkung der individuellen Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum dar. Dennoch gibt es einige Kritikpunkte, die adressiert werden sollten, um die Effektivität des Gesetzes zu gewährleisten und eine umfassende Bekämpfung digitaler Gewalt zu ermöglichen. Es bleibt noch genug Zeit, diese bis zur Bildung der neuen Regierung zu überarbeiten, damit die neue Bundesregierung den Gesetzesentwurf ohne weitere Verzögerungen in den neu zusammengesetzten Bundestag einbringen und zügig verabschieden kann.

 

 

Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin

 

Anke Stelkens
Vorsitzende der nichtständigen Kommission Digitales

 

 


[1] Vgl. hierzu nur Anhörung des Ausschusses Digitale Agenda des BT vom 24.03.2021 zum Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die dort abgegebenen Stellungnahmen, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw12-pa-digitale-agenda-gewalt-828920 (zuletzt aufgerufen am 12.03.2025).

[2]https://docs.un.org/en/E/CN.6/2025/L.1 (zuletzt aufgerufen am 12.03.2025).

[3] Vgl. https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st23-15_Eckpunkte_digitale_Gewalt.pdf

[4] siehe dazu ausführlich S. 13 f. der djb-Stellungnahme zum Eckpunktepapier, abrufbar unter https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st23-15_Eckpunkte_digitale_Gewalt.pdf