Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) spricht sich gegen Forderungen nach einem Sexkaufverbot aus. Eine pauschale Kriminalisierung des Sexkaufs im Sinne des sogenannten Nordischen Modells lehnt der djb aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen ab. Die selbstbestimmte Arbeit im Bereich sexueller Dienstleistungen gehört nicht in das Strafrecht. Eine Kriminalisierung des Sexkaufs suggeriert eine einfache und vor allem kostengünstige Lösung für komplexe Problemlagen und versperrt damit den Blick auf tatsächlich notwendige Maßnahmen, um die Situation von Sexarbeiter*innen zu verbessern.
I. Prostitution im Spannungsfeld zwischen Zwang und Selbstbestimmung
Ein Sexkaufverbot, wie es beispielsweise von der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag gefordert worden ist,[1] zielt auf eine Strafbarkeit von Personen ab, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Da die Nachfragenden die Verantwortlichkeit für den bestehenden Markt trügen, sollten (nur) „Käufer“ bestraft werden, nicht aber die Sexarbeiter*innen selbst.[2]
Zentrale rechtliche Bezugspunkte in der Debatte um ein Sexkaufverbot sind der Schutz der Menschenwürde, die Freiheitsrechte und das zugrunde gelegte Autonomieverständnis im Kontext kommerzialisierter Sexualität.[3] Die Frage, wann sexuelle Dienstleistungen „freiwillig“, also selbstbestimmt erbracht werden, ist höchst umstritten.[4] Der djb verkennt nicht, dass Sexarbeit als hochgradig vergeschlechtlichtes Phänomen zu problematischen Implikationen für das Geschlechterverhältnis und den staatlichen Gleichstellungsauftrag führt[5] und dass viele Sexarbeiter*innen faktischen Zwängen unterliegen, etwa im Hinblick auf ihren aufenthaltsrechtlichen Status, ihre finanziellen Ressourcen und in Deutschland anerkannte Schul- und Berufsbildung.[6] Auch unterschiedliche Formen von Abhängigkeiten spielen eine Rolle bei der Entscheidung für die Ausübung der Sexarbeit.[7] Allerdings dürfen die Anforderungen an ein autonomes Handeln im rechtlichen Sinne nicht zu hoch gesteckt werden (dazu sogleich). Andernfalls werden gerade diejenigen, die eine absolute und ideale Vorstellung von Freiwilligkeit nicht erfüllen, von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe ausgeschlossen.[8] Die Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe würden sich in dieser Lesart gegen die Grundrechtsträger*innen wenden.
Vor diesem Hintergrund hält der djb eine Unterscheidung zwischen selbstbestimmter/freiwilliger Sexarbeit auf der einen Seite und Zwangsprostitution auf der anderen Seite für möglich und auch erforderlich. Wie die Parameter, anhand derer sich notwendiger Schutz, Freiheit und Anerkennung in einen angemessenen Ausgleich bringen lassen, in unterschiedlichen Rechtsgebieten konkret zu bestimmen sind, bedarf weiterer (gesellschafts-)politischer und juristischer Diskussion.[9] Hierfür ist verstärkte empirische Forschung notwendig; hilfreich werden die Ergebnisse der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) e.V. sein, die Mitte 2025 vorliegen sollen.[10]
II. Rechtliche Einordnung eines strafrechtlichen Sexkaufverbots
1. Sexkaufverbot verfassungsrechtlich nicht zwingend/geboten
Die hohen verfassungsrechtlichen Hürden für die Einführung eines strafrechtlichen Sexkaufverbots werden nicht durch die Überlegung beseitigt, dass Prostitution gegen die Menschenwürde verstoße und der Staat sie deshalb schon unterbinden müsse. Die auch in der politischen Diskussion weitverbreitete Annahme, Prostitution sei stets (also auch unabhängig von psychischem oder physischem Zwang) unfreiwillig[11] und verstoße deshalb per se gegen die Menschenwürde, ist nicht mit dem im liberalen Rechtsstaat geltenden Menschenwürde-Begriff zu vereinbaren. Dem Grundgesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass der „Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet. (…) Die unverlierbare Würde des Menschen als Person“, so das Bundesverfassungsgericht im Sterbehilfe-Urteil, „besteht (…) darin, dass er stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“[12] Auch diejenigen, die sich aus wirtschaftlicher Not für eine bestimmte Handlung entscheiden und andere Optionen (etwa das Nichtstun) unterlassen, handeln danach selbstverantwortlich. Mit dieser Rechtsprechung ist ein „Zwang zur Würde“ nicht zu vereinbaren.
2. Eingriff in die Grundrechte von Sexarbeiter*innen
Die Einführung eines strafrechtlichen Sexkaufverbots ist nicht nur aus Sicht der Sexkaufenden, die in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit beschränkt werden, sondern auch aus Sicht von Sexarbeiter*innen rechtfertigungsbedürftig. Denn sie werden nicht nur in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern auch in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt.
Die Ausübung der Prostitution ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG geschützt.[13] Ein strafrechtlich sanktioniertes Verbot des Sexkaufs hätte die tatsächliche Wirkung eines objektiven Berufsverbots und müsste den hohen Anforderungen an dessen Rechtfertigung genügen.
Weil sich das mit dem Sexkaufverbot verbundene Berufsverbot auf eine Tätigkeit bezieht, die weit überproportional von Frauen ausgeübt wird, stellt es eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts i.S.d. Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG dar. Dies ist bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Sexkaufverbots zu berücksichtigen.[14]
Eingriffe in die objektive Berufswahlfreiheit sind nur insoweit zulässig, als sie der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dienen.[15] Ein solches überragend wichtiges Gemeinschaftsgut kann etwa die Unterbindung des Menschenhandels und Schutz von Sexarbeiterinnen vor ausbeuterischen Bedingungen darstellen. Ob allerdings die Zulassung der regulierten Sexarbeit nachweisbar Menschenhandel in Deutschland fördert, ist nicht belegt. Daher ist auch fraglich, ob ein pauschales Sexkaufverbot den Menschenhandel überhaupt wirksam eindämmen kann oder dafür erforderlich ist (dazu ausführlich unter 4.).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung[16] auch das Recht umfasst, die eigene Sexualität zu anderen Zwecken als Lust oder Partnerschaft einzusetzen, sie zu instrumentalisieren[17], sofern dies freiwillig und selbstbestimmt geschieht. Ein Beispiel dafür kann das berufliche Anbieten sexueller Dienstleistungen sein. Auch die durch das Bundesministerium der Justiz im Jahr 2015 eingesetzte Reformkommission zum Sexualstrafrecht kam zu dem Ergebnis, dass „[d]as Erbringen von sexuellen Dienstleistungen gegen Entgelt [...] aus strafrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden [ist], soweit sich die Prostituierte auf der Grundlage einer freiverantwortlichen Willensentschließung für die Ausübung der konkreten sexuellen Dienstleistung entschieden hat.“[18] Eine allgemeine Freierstrafbarkeit lehnte die Kommission daher ab.[19] Dem ist zuzustimmen; das Strafrecht darf erst dort eingreifen, wo diese Handlungen nicht mehr selbst-, sondern fremdbestimmt sind.[20]
3. Eingriff in die Grundrechte der Nachfragenden
Weiterhin würde ein Sexkaufverbot die Grundrechte insbesondere derjenigen berühren, die ohne die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen keine oder kaum Möglichkeiten hätten, überhaupt Sexualität mit einer anderen Person zu erleben.[21] Insbesondere für Menschen mit kognitiven und/oder körperlichen Beeinträchtigungen stellt die Inanspruchnahme von (aktiver) Sexualbegleitung/Sexualassistenz mitunter die einzige Möglichkeit für sexuellen Kontakt dar. Stark körperlich beeinträchtigte Personen benötigen zudem die physische Unterstützung einer dritten Person, um aneinander sexuelle Handlungen vornehmen zu können. Aus der Nichtdiskriminierungsdimension des Grundrechts auf sexuelle Selbstbestimmung ergibt sich ein Teilhaberecht sowie ein Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang auch zu sexuellen Dienstleistungen.[22] Die Forderung der Unionsfraktion, auch aktive Sexualassistenz unter Strafe zu stellen,[23] wird dem nicht gerecht.
4. Unverhältnismäßigkeit des Sexkaufverbots
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dem Staat das Strafrecht als „ultima ratio“ für die Zwecke des Rechtsgüterschutzes zur Verfügung, wenn das zu verhindernde Verhalten „über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“.[24] Durch die Strafbewehrung eines Verbots werden gleichzeitig die dagegen verstoßenden Personen mit einem sozialethischen Unwerturteil belegt.[25] Vor diesem Hintergrund bestehen für die pauschale Kriminalisierung aller Sexkaufenden hohe Rechtfertigungsanforderungen.
Soweit die strafrechtliche Sanktionierung des Sexkaufs dazu dienen soll, Menschenhandel und Zwangsprostitution zu bekämpfen, ist darauf hinzuweisen, dass die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen eines Opfers von Menschenhandel oder Zwangsprostitution bereits seit 2016 von § 232a Absatz 6 StGB unter Strafe gestellt ist. Dieser Tatbestand umfasst seit 2021 zudem nicht nur vorsätzliche Taten, sondern auch Fälle, in denen Sexkaufende leichtfertig verkennen, dass es sich bei der die Dienstleistung anbietenden Person um ein Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution handelt (§ 232a Absatz 6 Satz 2 StGB). Zudem sind sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person als sexueller Übergriff nach § 177 Absatz 1 StGB strafbar. Ein pauschales Sexkaufverbot ist vor diesem Hintergrund zur Bekämpfung von Menschenhandel nicht erforderlich. Vielmehr ist die Durchsetzung der bestehenden Regelungen zu verbessern. Dies stellt gegenüber einem pauschalen Sexkaufverbot ein milderes Mittel dar. Ein pauschales Sexkaufverbot würde auch Fälle erfassen, in denen Sexarbeiter*innen gerade nicht Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind, ohne dass dadurch erkennbar das Vorgehen gegen bereits unter der geltenden Rechtslage strafbare Handlungen erleichtert würde. Dem Staat stehen mit §§ 232, 232a StGB bereits hinreichende Mittel zur Verfügung, um Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Zwangsprostitution und die Inanspruchnahme von derartigen Dienstleistungen strafrechtlich zu sanktionieren. Die Tatsache, dass die Verfolgungsarbeit bei diesen Delikten finanziell und personell aufwändig ist, genügt vor dem Hintergrund des „ultima ratio“-Prinzips nicht für eine strafrechtliche Gesamtkriminalisierung; vielmehr bedarf es – als milderes Mittel – einer Stärkung entsprechender Ressourcen.[26]
Zwar folgt aus dem Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung auch die staatliche Pflicht, sexualisierte Gewalt effektivzu bekämpfen.[27] Allerdings ergibt sich daraus nicht zwingend die Notwendigkeit, neue Strafnormen zu schaffen oder bestehende Strafnormen auszudehnen. Vielmehr gelten auch der „ultima ratio”-Grundsatz sowie eine weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers innerhalb der aus Art. 2 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten Schutzpflicht.[28] Der Gesetzgeber verletzt erst dann seine Schutzpflicht, wenn er entweder keine Maßnahmen trifft oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen (sogenanntes „Untermaßverbot“).[29] Solange auch die tatsächliche Durchsetzung bestehender Normen zu einem effektiven Schutz der sexuellen Selbstbestimmung führen kann, sind weitere Verbotsnormen weder aus verfassungs- noch aus strafrechtlicher Sicht angezeigt.
Soweit ein Sexkaufverbot und die damit beabsichtigte Zurückdrängung des Prostitutionsgewerbes mit moralischen Erwägungen begründet werden, ist darauf hinzuweisen, dass der Erhalt eines realen oder mutmaßlichen gesellschaftlichen Konsenses über Moral- oder Wertvorstellungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht unmittelbares Ziel strafgesetzgeberischer Tätigkeit sein darf.[30]
5. Sexkaufverbot gefährdet Sexarbeiter*innen
Prostitution ist mit erheblichen Risiken verbunden, darunter auch Gewalt und Ausbeutung.[31] Dass das „Nordische Modell“ diese Risiken verringern würde, lässt sich bislang empirisch jedoch nicht sicher belegen.[32] In Schweden konnte lediglich im Bereich der Straßenprostitution nach Einführung eines Sexkaufverbots ein Rückgang nachgewiesen werden,[33] wobei es sich dabei ohnehin um einen sichtbaren und damit durch ordnungsbehördliche Maßnahmen gut kontrollierbaren Bereich der Prostitution handelt. Auch im Geltungsbereich von Sexkaufverboten findet Prostitution in der Realität weiterhin statt. Es steht zu befürchten, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für diejenigen verschlechtern, die weiterhin der Prostitution nachgehen (müssen oder wollen).[34] Die mit einem Sexkaufverbot einhergehende Verdrängung der Prostitution in weniger sichtbare Bereiche geht mehreren Untersuchungen zufolge mit einem erhöhten Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten[35] und Gewalt[36] einher. Auch die Weltgesundheitsorganisation befürwortet aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Entkriminalisierung von Sexarbeit.[37] Zudem könnte das „Nordische Modell“ die Stigmatisierung von Sexarbeitenden perpetuieren oder gar repressive Maßnahmen gegen sie legitimieren. Denn es konstruiert Prostituierte als Opfer, unabhängig von deren Verhandlungsspielraum und der Möglichkeit zur Selbstbestimmung.[38] Das kann auch dazu führen, dass Strafverfolgungsbehörden von Sexarbeiter*innen gemieden werden.[39]
Darüber hinaus würde ein Sexkaufverbot dem zivilrechtlichen Schutz von Sexarbeiter*innen zuwiderlaufen. Der mit dem Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 erzielte Erfolg, dass Prostituierte einen wirksamen Anspruch gegen ihre Vertragspartner*innen haben, würde durch die Einführung eines Sexkaufverbotes gefährdet. Aufgrund der strafrechtlichen Regelung könnte auch die Abrede gemäß § 134 BGB nichtig sein. Sexarbeiter*innen hätten dann keine zivilrechtlichen Ansprüche mehr auf die Gegenleistung zu ihrer erbrachten Dienstleistung. Dies könnte einen erheblichen Rechtsverlust im Vergleich zu der bisherigen Regelung bedeuten.[40] Hinzu käme, dass sich in dieser Konstellation eine Person, die nicht zahlungswillig ist und das Entgelt nach Vornahme der sexuellen Dienstleistung nicht entrichtet, ohne eine entsprechende Sonderregelung nicht wegen Betruges strafbar machen würde. Denn aufgrund der nichtigen Abrede fehlte es dann bereits an einem vertraglichen Anspruch. Als Konsequenz könnte eine effektive Schutzlosigkeit derjenigen entstehen, die trotz Sexkaufverbots weiterhin der Sexarbeit nachgehen (müssen oder wollen).[41]
III. Wirksame Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution statt Sexkaufverbot
Um Menschenhandel und Zwangsprostitution effektiver bekämpfen zu können, ist in materiellrechtlicher Hinsicht eine Überarbeitung der Menschenhandelstatbestände im Lichte der Ergebnisse der 2021 veröffentlichen Evaluation des KFN[42] erforderlich, um die Praktikabilität dieser Tatbestände zu erhöhen. Statt polizeiliche Ressourcen durch die Verfolgung der Inanspruchnahme konsensualer sexueller Dienstleistungen zu binden, bedarf es zudem einer Priorisierung der Verfolgung der bestehenden Delikte des Menschenhandels, der Zwangsprostitution und der allgemeinen Sexualdelikte. Außerdem sind umfassende Schulungsmaßnahmen der Bediensteten aller staatlichen Stellen erforderlich, die mit Fällen des Menschenhandels in Berührung kommen könnten.[43] Bei Opfern des Menschenhandels und der Zwangsprostitution handelt es sich häufig um stark belastete und traumatisierte Personen, die oft keine oder wenige deutsche Sprachkenntnisse und einen ungesicherten Aufenthaltsstatus haben. Eine Sensibilisierung im Umgang mit den Opfern ist unerlässlich, ebenso wie umfassende Maßnahmen im Hinblick auf Prävention und Opferschutz.[44]
Es bedarf darüber hinaus weiterer Maßnahmen, die die Situation der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessern. Dazu gehört die Schaffung eines über § 25 Absatz 4a AufenthG hinausgehenden Aufenthaltsrechtes, das unabhängig von der Aussagebereitschaft und über das Strafverfahren hinaus gilt, wie es im Koalitionsvertrag der Ampelparteien vorgesehen war.[45] Zudem bedarf es eines flächendeckenden Ausbaus und der angemessenen Finanzierung von Fachberatungsstellen.
Der djb plädiert für einen pragmatischen rechtspolitischen Ansatz, bei dem die Auswirkungen von Regulierung auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen im Mittelpunkt der Überlegungen stehen.[46] Um ausbeuterische Verhältnisse in der Prostitution zu bekämpfen, braucht es in erster Linie staatliche Maßnahmen gegen ausbeuterische Bedingungen. Hierunter fallen etwa Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherung und des Migrationsrechts, wie etwa die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse,[47] sowie sexuelle Bildungsarbeit an Schulen[48].
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Dilken Çelebi, LL.M.
Vorsitzende der Kommission für Strafrecht
Dr. Stefanie Killinger, LL.M. (Lond.)
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung
[1] Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen, BT-Drs. 20/10384. Ein konkreter Regelungsentwurf liegt bisher nicht vor. Die Vorschläge erschöpfen sich zurzeit in einer abstrakten Forderung nach einer Strafbarkeit der Personen, die eine sexuelle Dienstleistung nachfragen. Je nach konkreter Formulierung des Gesetzes stellen sich auch weitere strafrechtsdogmatische Fragen, wie etwa einer damit verbundenen potenziellen Strafbarkeit der Sexarbeiter*innen wegen Geldwäsche oder eine Strafbarkeit der Sexarbeiter*innen wegen Anstiftung zum Sexkauf, vgl. zur Problematik Heger, ZRP 2024, 11 f.
[2] Vgl. Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Beschluss vom 7. November 2023, „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen”, S. 6, abrufbar unter https://www.cducsu.de/sites/default/files/2023-11/Positionspapier%20Sexkauf%20bestrafen.pdf.
[3] Vgl. Lembke, Zwischen Würde der Frau, reduziertem Liberalismus und Gleichberechtigung der Geschlechter, in: Baer/Sacksofsky (Hrsg.), Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, S. 275 ff.; Harrer/Valentiner, Würde, Freiheit, Gleichheit: Das Autonomiekonzept in der verfassungsrechtlichen Bewertung der Sexarbeit/Prostitution am Beispiel von Sperrgebietsverordnungen, Femina Politica 2024, 57; Harrer, Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution? – Zum Verhältnis von Sex-Arbeit und Menschenwürde, KriPoZ 2021, 287, 291. Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass es keine selbstbestimmte Sexarbeit gebe, vgl. Mau, Entmenschlicht, S. 141; MacKinnon, Trafficking, Prostitution and Inequality, in: Harvard Law Review 2011, 286-288; Mack/Rommelfanger, Sexkauf, S. 166 f.
[4] In einer 2024 veröffentlichten Studie der Deutschen Aidshilfe, die sich mit den Lebensverhältnissen und den Bedürfnissen von Sexarbeiter*innen beschäftigt, wurden bundesweit in elf Fokusgruppen 80 Sexarbeiter*innen aus 23 Herkunftsländern befragt, vgl. Deutsche Aidshilfe, Was brauchen Sexarbeiter*innen? Eine qualitativ-partizipative Studie zu den gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeiter*innen in Deutschland, abrufbar unter https://www.aidshilfe.de/medien/wp-content/uploads/2024/04/Forschungsbericht-Studie-zu-Sexarbeit-Deutsche-Aidshilfe.pdf. Es zeigte sich ein sehr komplexes Bild, das die klare Einteilung von Sexarbeiter*innen in Kategorien wie „unfreiwillig“ und „selbstbestimmt“ nicht zulässt.
[5] Sehr weitgehend Gugel, Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 II Grundgesetz – eine rechtspolitische Untersuchung, S. 66 ff.; vgl. auch Gerheim, Die Produktion des Freiers, S. 61 ff., 278 ff. sowie Grenz, Die Herausforderungen der Prostitution: Zur Komplexität eines alltäglichen Sachverhalts, in: Feministische Studien: Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung 2014, 201, 203 ff.
[6] Vgl. Deutsche Aidshilfe, Was brauchen Sexarbeiter*innen? Eine qualitativ-partizipative Studie zu den gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeiter*innen in Deutschland.
[7] Norak, Menschenhandel und (Zwangs-)Prostitution in Deutschland: Strukturen, (Trauma-)Mechanismen und Folgen, in: Trauma 2022, 16.
[8] Lembke, in: Baer/Sacksofsky, S. 280.
[9] Einen Anstoß geben Harrer/Valentiner, Würde, Freiheit, Gleichheit: Das Autonomiekonzept in der verfassungsrechtlichen Bewertung der Sexarbeit/ Prostitution am Beispiel von Sperrgebietsverordnungen, in: FemPol 2024, 57. S. auch Harrer, Leerstellen in der Debatte um ein Sexkaufverbot in Deutschland, KriPoZ 2024, 412.
[10] S. kfn.de/forschungsprojekte/evaluation-des-prostituiertenschutzgesetzes-prostschg/.
[11] Nachweise in Fn. 3 a.E.
[12] BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 -, BVerfGE 153, 182, Rn. 206.
[13] BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009 – 1 BvR 224/07, Rn. 27.
[14] Vgl. Harrer, Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen, Verfassungsblog, 17.11.2023, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-alte-wunsch-nach-einfachen-losungen/.
[15] BVerfGE 7, 377, „Apotheken-Urteil“.
[16] Siehe auch Valentiner, Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung (2021), S. 91 ff. und passim.
[17] Vgl. Hörnle, ZStW 2015, 851, 884.
[18] Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 19.07.2017, S. 364.
[19] Ebd.
[20] Renzikowski, ZRP 2005, 213, 216.
[21] Valentiner in Kuhn/Renzikowski/Schellhammer (Hrsg.), Sexuelle Selbstbestimmung bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen? 2024, S. 169, 173.
[22] Ebd., S. 176 f, 187 f.; i.E. ebenso Proufas, Sexualassistenz als Leistung der sozialen Teilhabe nach dem SGB IX?, Sozialrecht aktuell 2023, 47.
[23] BT-Drs. 20/10384, S. 2.
[24] BVerfGE 120, 224, 239 f.
[25] BVerfG, NJW 2022, 1160, 1166.
[26] Renzikowski, ZRP 2005, 213, 217; so auch Harrer, Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen, Verfassungsblog, 17.11.2023, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-alte-wunsch-nach-einfachen-losungen/ sowie Heger, ZRP 2024, 11.
[27] Valentiner, Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung 2020, S. 217 f., 385-388 m.w.N.
[28] Vgl. BVerfG, NStZ-RR 2015, 347, 348.
[29] BVerfGE 77, 170, 215; BVerfGE 79, 174, 202; BVerfGE 85, 191, 212 f.; BVerfG NJW 2017, 53 Rn. 70,
[30] BVerfGE 153, 182, 271 Rn. 234.
[31] Siehe zuletzt: Deutsche Aidshilfe, Was brauchen Sexarbeiter*innen?, S. 6 f.
[32] Ausführlich zu den Schwierigkeiten bei der Evaluation dieser Frage siehe Holmström/Skilbrei, The Swedish Sex Purchase Act: Where Does It Stand?, Oslo Law Review 4/2 (2017), 82, 87 ff.
[33] Das Sexkaufverbot als monokausale Ursache für den Rückgang ist umstritten, vgl. Jordan, The Swedish law to criminalize clients: A failed experiment in social engineering, S. 1.
[34] Aus Schweden existieren etwa Berichte, dass der Markteinbruch durch die Kriminalisierung der Kund*innen dazu geführt hat, dass Sexarbeiter*innen sich auf Preise und Praktiken einlassen müssen, welche sie zuvor ablehnen konnten, und das Gewaltrisiko für diejenigen, die weiterhin der (Straßen-)Prostitution nachgehen, steigt, da die Risikoeinschätzung unter dem Verfolgungsdruck erschwert wird. Zudem verhindert ein Sexkaufverbot Schutz durch gemeinsames Arbeiten mehrerer Sexarbeiter*innen z.B. in einer gemeinsamen Wohnung, vgl. Dodillet/Östergren, Das schwedische Sexkaufverbot. Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte, in: Greif (Hrsg.), SexWork(s) – verbieten – erlauben – schützen?, S. 69, 94 ff. Eine Studie mit männlichen Kunden aus Großbritannien weist darauf hin, dass deren Bereitschaft, Fälle von Zwangsprostitution, sexualisierter Gewalt und Ausbeutung an die Behörden zu melden, im Falle einer Kriminalisierung zurückging, vgl. Kingston/Thomas, No model in practice: A ‘Nordic model’ to respond to prostitution?, in: Crime, Law and Social Change (2019), S. 423, 430.
[35] Platt/Grenfell/Miksin et al., Associations between sex work laws and sex workers’ health, PLoS Med. 15/12 (2018); siehe auch Dodillet/Östergren, Das schwedische Sexkaufverbot, in: Greif (Hrsg.) SexWork(s) verbieten – erlauben – schützen? (2012), S. 69, 96 ff.
[36] So gab es in Nordirland nach der Einführung des Sexkaufverbotes einen starken Anstieg leichterer Körperverletzungs- und Nötigungsdelikte zum Nachteil von Sexarbeiter*innen. Ein signifikanter Anstieg schwerer Kriminalität zum Nachteil der Prostituierten war nicht auszumachen. Siehe dazu Ellison/Ní Dhónaill/Early, A Review of the Criminalisation of Paying for Sexual Services in Northern Ireland (2019), S. 165 f.
[37] WHO, Consolidated Guidelines on HIV, Viral Hepatitis and STI Prevention, Diagnosis, Treatment and Care for Key Populations, 29.07.2022, S. 19, abrufbar unter www.who.int/publications/i/item/9789240052390.
[38] Jordan, The Swedish law to criminalize clients: A failed experiment in social engineering, S. 3 ff. Zu betonen ist auch, dass Schweden eine andere Definition von “trafficking” (nämlich Prostitution mit Drittinvolvierung – das erfasst auch ein Bordell) hat als Deutschland, Studien von dort daher vorsichtig betrachtet werden müssen, vgl. Jordan, The Swedish law to criminalize clients: A failed experiment in social engineering, S. 8.
[39] Heinzl, Prostitution im Schweizer Strafrecht, 2016, S. 229 f.
[40] Heger, ZRP 2014, 11, 12, der darauf verweist, dass die Abrede gleichwohl wirksam bleiben könnte, was dann aber zu Wertungswidersprüchen im Zivil- und Strafrecht führen würde.
[41] Ähnliche Beobachtung zu der Lage von Sexarbeiter*innen in Schweden: Jordan, The Swedish law to criminalize clients: A failed experiment in social engineering, S. 4 f.
[42] KFN, Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB), abrufbar unter https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/Bericht_Evaluierung_Strafvorschriften_Bekaempfung_Menschenhandel.pdf.
[43] Dass diese auch von den mit dieser Arbeit Beauftragten befürwortet wird, zeigte sich in der Studie sowie der entsprechenden Forderung des Forschungsberichts des KFN, S. 155 f. Dies entspricht auch den Vorgaben der EU-Menschenhandelsrichtlinie (vgl. insbes. Art. 18b der RL 2011/36/EU in der Fassung der Änderungsrichtlinie (EU) 2024/1712).
[44] Vgl. auch Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V., Rechte von Betroffenen von Menschenhandel im Strafverfahren. Eine Untersuchung zur Umsetzung der Menschenhandelsrichtlinie 2011/36/EU in Deutschland, S. 94 ff. und passim. So auch der Befund des KFN, Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB), S. 154 f.
[45] Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 110. Weiterführend zu den migrationspolitischen Aspekten: Bahl/Ginal, Von Opfern, Tätern und Helfer(innen) – Das humanistische Narrativ und seine repressiven Konsequenzen im Europäischen Migrationsregime, in: Netzwerk MiRA (Hrsg.), Kritische Migrationsforschung? Da kann ja jedeR kommen, 2012, S. 201 ff.
[46] So auch Wersig, Schutz durch Kontrolle? Zur Debatte über die Regulierung der Sexarbeit in Deutschland, in: Lembke (Hrsg.), Regulierungen des Intimen, S. 215 ff.
[47] So auch das gemeinsame Positionspapier „Unterstützung statt Sexkaufverbot“ verschiedener Organisationen aus November 2019, abrufbar unter https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/pressemitteilungen/pm19-40_ggSexkaufverbot_Positionspapier.pdf; Harrer, Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen, Verfassungsblog, 17.11.2023, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-alte-wunsch-nach-einfachen-losungen/; Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V., Rechte von Betroffenen von Menschenhandel im Strafverfahren, S. 97.
[48] Vgl. etwa Verlinden/Asselborn/Kaplan, in: Vanagas (Hrsg.), Sexualpädagogische (Re)Visionen 2021, S. 449 ff.