Die Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft wurde 2021 in der djb-Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht (Vorsitz Prof. Dr. Heide Pfarr) erarbeitet und 2024/2025 von der neu zusammengesetzten Kommission (Vorsitz Prof. Dr. Isabell Hensel) überarbeitet und um Handlungshinweise für die Unternehmen erweitert. Zusätzlich zur Konzeption wurde ein Überblick über das Gleichstellungsgesetz und ein Überblick über die Handlungshinweise für Unternehmen veröffentlicht.
Ziel der Konzeption
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) legt eine Konzeption vor, die im ersten Teil einen Vorschlag für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft enthält und im zweiten Teil umfassende Handlungshinweise für Unternehmen und die Interessenvertretungen der Beschäftigten gibt.[1] Der Gesetzesvorschlag und die Handlungshinweise zeigen Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen auf. Ziel ist es, Unternehmen der Privatwirtschaft in Richtung einer diskriminierungsfreien Unternehmenskultur weiterzuentwickeln, in der alle Geschlechter gleiche Verwirklichungschancen haben. Der in Art. 3 Abs. 2 GG verbriefte Handlungsauftrag adressiert Frauen[2] und nichtbinäre Personen[3] in ihrer Vielfalt. Das verlangt die Berücksichtigung von Diskriminierungslagen in ihrer intersektionalen Dimension.
Die Konzeption widmet sich sämtlichen Bereichen in den Unternehmen der Privatwirtschaft, die diskriminierungsanfällig sind, und bietet aufeinander abgestimmte umfassende Lösungen an. Sie entwickelt dazu innovative und konkrete Regulierungsvorschläge und Handlungshinweise unter Einbeziehung unterschiedlicher Fragestellungen der jeweiligen Rechts- und Handlungsgebiete. Damit will sie eine rechts- und unternehmenspolitische Diskussion anstoßen und diese mit praktikablen Umsetzungshinweisen bereichern. Auf diese Weise kann sie eine Grundlage für Erfolge in der Geschlechtergleichstellung in der Privatwirtschaft sein.
Der djb greift mit dem Fokus auf die Erwerbsarbeit in privatwirtschaftlichen Unternehmen einen wesentlichen Aspekt fehlender Gleichstellung auf.[4] Zahlreiche Indikatoren belegen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Dazu zählt die geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen gegenüber der von Männern,[5] insbesondere ihre hohe Teilzeitquote[6] sowie ihre Überrepräsentanz in vielen Formen prekärer und atypischer Beschäftigung.[7] Hinzu treten häufigere und längere Erwerbsunterbrechungen.[8] Trotz besserer Bildungsabschlüsse von Frauen ist die geschlechtshierarchische horizontale wie vertikale Segregation des Arbeitsmarktes hierzulande stark ausgeprägt.[9] Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert.[10] Deutliche Rückschlüsse auf den Stand der Gleichstellung lassen auch der Gender Pay Gap und Gender Care Gap sowie der Gender Pension Gap und Gender Overall Earnings Gap sowie der Digital Gender Gap zu.[11] Im europäischen und globalen Ländervergleich schneidet Deutschland bei diesen Indikatoren besonders schlecht ab.[12]
Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen können jederzeit und überall eingeschlagen werden, von den Unternehmen selbst, den Tarifvertragsparteien und Mitbestimmungsorganen. Allerdings haben sich nur sehr wenige Unternehmen freiwillig auf diesen Weg gemacht. Zwar weisen die zahlreichen Würdigungen wie der German Equal Pay Award auf solche guten und engagierten Projekte in der Privatwirtschaft hin,[13] die Fortschritte in der Gleichstellung mit ökonomischen Erfolgen verbinden. Offensichtlich können diese Best-Practice-Beispiele aber keine ausreichende Vorbildfunktion entfalten.[14] Eine umfassende Wirkung, die auch Wettbewerbsvorteile- und -verzerrungen vermeidet, kann nur durch ein umfassendes und für alle geltendes Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft eintreten. Die im Folgenden formulierten Regelungsmodelle, Analysen und Handlungshinweise zur Entwicklung einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur bieten zudem die Grundlagen für gesetzliche sog. „erste Schritte“, untergesetzliche Regulierungen und eine entsprechende eigenständige Unternehmenspolitik. Darüber hinaus ermöglichen sie die Formulierung konkreter rechtspolitischer Forderungen in der gleichstellungspolitischen Lobbyarbeit. Adressat*innen der hier formulierten Vorschläge sind daher neben dem Gesetzgeber und den Regierungen gleichermaßen Unternehmen, Tarifparteien, Gewerkschaften, betriebliche Interessenvertretungen, Verbände, insbesondere Frauen- und Wirtschaftsverbände. Entsprechend dem unterschiedlichen Adressat*innenkreis ist die nachfolgende Darstellung der Konzeption zweigeteilt. Im ersten Teil wird dargestellt, wie ein erfolgversprechendes Gleichstellungsgesetz aussehen könnte, das Unternehmen auf den Weg zur Diskriminierungsfreiheit führt und sie gleichzeitig nicht überfordert. Im zweiten Teil werden sodann zunächst die Instrumente zum Erkennen und Beseitigen diskriminierender Strukturen in den Unternehmen erläutert und anschließend deren Umsetzung in den entscheidenden Handlungsfeldern praktisch vorgeführt.
1. Teil: Struktur und Ausrichtung eines praktikablen Gleichstellungsgesetzes
I. Defizite des geltenden Gleichstellungsrechts für die Erwerbsarbeit
Der Gesetzgeber verpflichtet im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, im Entgelttransparenzgesetz und auch im Betriebsverfassungsgesetz die Unternehmen und Arbeitgeber*innen, die Tarifvertragsparteien und betrieblichen Interessenvertretungen, Diskriminierungen zu unterlassen und die Gleichstellung der Geschlechter sicherzustellen. Der mangelnde Erfolg dieses regulativen Vorgehens belegt jedoch, dass mit dieser Art Regulierungen das angestrebte Ziel nicht zu erreichen ist. Das geltende Recht stattet die einzelne diskriminierte Person mit dem Recht aus, gegen ihre Diskriminierung vorzugehen und ihre Ansprüche durchzusetzen. Rechtssoziologische Untersuchungen belegen aber, dass Konflikte im Arbeitsverhältnis weitestgehend nicht auf dem Gerichtsweg ausgetragen werden.[15] Von Diskriminierung Betroffene zögern in der Regel, den Rechtsweg zu beschreiten. Dabei spielen die begründete Angst, den Arbeitsplatz oder ein gutes Betriebsklima zu verlieren, sowie mangelnde Rechtskenntnis und Ressourcen eine entscheidende Rolle. Infolgedessen bleiben Erfolge auf Einzelfälle beschränkt und an die Unternehmen gerichtete Regelungen beschränken sich auf Symbolik und Appelle.
Allerdings kann der Gesetzgeber auch nicht strikt vorformulieren und verbindlich vorschreiben, wie im Einzelnen die Gleichstellung der Geschlechter in den Unternehmen herzustellen ist. Denn ein allgemeines Gesetz vermag nicht die Vielfalt betrieblicher Organisationen in den Branchen und Unternehmen wie auch die unterschiedlichen, oft verdeckten diskriminierenden Strukturen und deren wechselseitige Abhängigkeit abzubilden und geht so an den Unternehmensrealitäten vorbei. Starre gesetzliche Ansprüche von Beschäftigten, die nicht in die betriebliche Wirklichkeit mit ihren jeweils unterschiedlichen Möglichkeiten und Begrenzungen rückvermittelt werden, greifen gleichzeitig zu weit und zu kurz. Sie werden daher durch weiche Generalklauseln relativiert. So aber mangelt es an Rechtssicherheit für Beschäftigte und arbeitgebende Unternehmen. Schon deshalb und wegen der Individualisierung der Problemlage kann das geltende Recht nichts zu einer Änderung einer benachteiligenden Unternehmenskultur beitragen.
Die Vorschläge des djb gehen daher davon aus, dass es eines prozeduralen, überwiegend kollektivrechtlichen Vorgehens bedarf, um der Schwäche von Individualansprüchen im einzelnen Diskriminierungsfall zu begegnen und an den Unternehmenspraxen selbst anzusetzen. Dafür hat der djb einen ganzheitlichen Präventionsansatz entwickelt, der mit kontinuierlich-langfristigen Strategien die Strukturen und Entscheidungen in Unternehmen so verändert, dass eine Gleichstellungspraxis durchgängig eine bisherige Diskriminierungspraxis ablöst. Das Gesetz muss flexible Lösungen ermöglichen, gleichzeitig müssen diese vorhersehbar, planbar, verlässlich und rechtssicher sein und die Unternehmen zwar in die Pflicht nehmen, aber nicht überfordern.
II. Modell regulierter Selbstregulierung
Die Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft folgt daher dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung. Selbstregulierung meint: Die Betroffenen und diejenigen, die die Wirklichkeit im Unternehmen gestalten, also insbesondere die zuständigen Führungskräfte sowie die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer*innen, entscheiden und handeln innerhalb eines verpflichtenden gesetzlichen Rahmens selbst aus, was im konkreten Fall bei der Festlegung der Gleichstellungsstrategien unter Ausgleich aller Interessen möglich ist. Denn angesichts der Unterschiedlichkeit von Unternehmen und Betrieben – und auch der jeweiligen Diskriminierungsstrukturen in den einzelnen Handlungsfeldern – können eben diese Akteur*innen am allerbesten die Mittel und Wege finden, um Diskriminierungsstrukturen abzubauen und eine geschlechtergerechte Unternehmenskultur herzustellen. Denn sie haben nicht nur die finanziellen und institutionellen Ressourcen, sondern auch spezielles Wissen über ihre Betriebsabläufe, Beschäftigungsverhältnisse, Strukturen etc.
Ein Gleichstellungsgesetz darf allerdings nicht ignorieren, dass die Selbstregulierung in den Unternehmen trotz gesetzlicher Aufforderung nicht freiwillig in Gang gesetzt wird. Das belegt zuletzt die Evaluation der Selbstverpflichtungsgesetzgebung (siehe etwa die „Zielquote 0“ im Führungspositionengesetz I).[16] Es braucht insofern Regulierung: auf der Basis empirisch gesicherter Erkenntnis über die Defizite bisheriger Regelungsansätze werden die Handlungsfreiräume der Unternehmen verengt und die gesetzliche Regulierung geschärft. Mit der Festlegung von Handlungspflichten wird die staatliche Gewährleistungsverantwortung für die Geschlechtergleichstellung umgesetzt und eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte, effektive Gleichstellungspolitik befördert. Angesichts des bestehenden tatsächlichen Gleichstellungsdefizits und der Maxime des Bundesverfassungsgerichts, effektive Regelungen zu schaffen, kann auf diese rechtliche Ausgestaltung nicht verzichtet werden.
Das der Idee der regulierten Selbstregulierung zugrunde liegende Kooperationsverhältnis zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen verknüpft dabei in besonderer Weise die freie Gestaltung mit einer Verpflichtung zur Umsetzung. Der Staat hat die Selbstregulierung zu sichern, indem er ihr einen regulativen Rahmen gibt. Die mit der Globalisierung und Digitalisierung zunehmende Schwäche imperativer staatlicher Steuerung wird kompensiert durch eine indirekte Steuerung. Der nicht mehr direkt intervenierende Staat trägt nun eine Gewährleistungsverantwortung. Er übernimmt dabei zunächst eine moderierende, mediierende und aktivierende Rolle. Dazu hat er Selbstregulierung und -kontrollen anzustoßen und zu unterstützen, aber gleichzeitig auch deren Effektivität von außen zu kontrollieren. Werden Defizite in der Selbstregulierung festgestellt, muss Druck ausgeübt werden, damit diese Prozesse intern wieder zum Laufen gebracht werden.
III. Verpflichtung der Unternehmen
Das Konzept einer regulierten Selbstregulierung vertraut nicht darauf, dass Arbeitgeber*innen von sich aus das Veränderungspotenzial ausschöpfen oder dass die Vertragspartner*innen und Tarif- oder Betriebsparteien sich in adäquater Weise einigen werden. Vielmehr muss differenziert darauf reagiert werden, in welchem Maße es auf die Selbstregulierungskraft der Unternehmen setzen kann und wann es strikterer Vorgaben bedarf. Auch kann das Konzept keinesfalls hinter geltendem Recht zurückbleiben. Beispielsweise darf es nicht zulassen, dass diskriminierende Entgeltstrukturen, die nach geltendem europäischem wie nationalem Recht rechtswidrig sind, unter dem Hinweis der Selbstregulierung auch nur auf Zeit aufrechterhalten bleiben und Ansprüche von Beschäftigten damit zurückgewiesen oder erschwert werden. Auch bei kollektiven Verhandlungen und innerhalb der Belegschaften werden keineswegs immer alle Interessen im gleichen Umfang Gehör finden. Das gilt insbesondere dann, wenn benachteiligte und marginalisierte Beschäftigtengruppen von dem Erfolg profitieren sollen. Auch Betriebsräte sind keine geschlechtsneutrale Institution.[17] Der Anteil von Frauen in Betriebsräten und ihren Spitzenpositionen ist gering und dies wird fälschlich nicht auf strukturelle Ursachen zurückgeführt, sondern auf individuelle, lebensphasenspezifische Entscheidungen.[18] Die Institutionalisierung einer Gleichstellungspolitik in den Unternehmen in Erfüllung der regulierten Selbstregulierung wird und muss sich daher nicht nur auf die betriebliche Arbeitspolitik, sondern auch auf die gesamte Betriebsratspolitik auswirken, einschließlich der Arbeitsorganisation des Betriebsrats selbst.
Für eine effektive Umsetzung des Gesetzes bedarf es also einer gesetzlichen Regulierung, die durch die Ausgestaltung der Ansprüche und der Verfahren (Strukturen und Prozesse) dafür sorgt, dass es zu einer angemessenen Selbstregulierung kommt. Das gilt insbesondere dann, wenn wegen des Fehlens von Tarifbindung und einer betrieblichen Interessenvertretung das Unternehmen allein zum Handeln verpflichtet ist.
IV. Gesellschaftsrecht und Corporate Governance als Bezugspunkt
Die Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes basiert auf dem Gesellschaftsrecht und der Corporate Governance von Unternehmen. Die Coporate Governance ist u.a. konturiert durch Gesetze, Richtlinien, Kodizes, Absichtserklärungen, dem Unternehmensleitbild und begrenzt als rechtlicher, faktischer und rechtsformunabhängig geltender Ordnungsrahmen die Unternehmensführung.[19]
Schon jetzt steht die Gestaltung der Corporate Governance als wirkungsvolles Instrument zur Verfügung, wenn es um die Frage geht, welche Rolle Unternehmen in unserer Gesellschaft spielen sollen.[20] Der vormals protektive, politisch vermeintlich neutrale Regelungsansatz, einen leistungsfähigen Organisationsrahmen zur Verfolgung und Finanzierung eines gemeinsamen Zwecks und den Schutz aktueller und künftiger Gesellschafter*innen sowie von Gesellschaftsgläubiger*innen zu forcieren, hat der Vergangenheit anzugehören.[21] Denn das Gesellschaftsrecht, speziell der Aufsichtsrat, werden zunehmend im Rahmen eines „transformativen Gesellschaftsrechts“[22] zur Verwirklichung gesellschaftspolitischer Zielsetzungen aktiviert.[23] Dies ist keine neuartige Modeerscheinung.[24] Einzelnen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften sind seit jeher politische Aussagen immanent, weshalb das Gesellschaftsrecht nie im Ganzen unpolitisch war.[25] Dies zeigt etwa die Einführung der betrieblichen Mitbestimmung im Jahr 1952[26] oder die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien zur Förderung von Börsengängen durch Startups im Jahr 2024.[27] Auch im Hinblick auf Gleichstellungsbelange wurden im Aktiengesetz fixe Quoten in den Leitungsgremien (§ 96 Abs. 2 AktG) und Vorgaben zu Zielgrößen (§ 36 GmbHG) eingeführt sowie die sog. Stay on Bord Regelung im Fall von Care Arbeit oder Krankheit von Geschäftsleitenden (§ 84 Abs. 3 AktG) etabliert. Weiterhin determinieren das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG), das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) wie auch die Datenschutzgrundverordung (DS-GVO) nach dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung horizontale Pflichten für die Geschäftsleitung, um die Verantwortung der Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft abzubilden. Auch auf europäischer Ebene intensivieren Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Directive on Corporate Sustainability Due Diligence (CSDDD) und Taxonomie- wie Offenlegungsverordnung die unternehmerischen Erhebungs-, Analyse- und Berichtspflichten und verknüpfen sie mit staatlichen Durchsetzungsinstrumenten.
Selbst wo direkte Handlungspflichten oder eine effektive Durchsetzung (noch) fehlen, wirken diese normativen Vorgaben mittelbar auf die „Corporate Strategie“ ein. Hinzu kommen die unter Corporate Social Responsibility (CSR) und Environment, Social and Governance (ESG) mit zunehmender Dynamik geführten gesellschaftspolitischen Diskurse, die zur Bestimmung der (globalen) Verantwortung der Unternehmen eine Abkehr von reinen Shareholder-Value-Erwägungen einfordern.[28] Davon profitieren auch Unternehmen, denn die Ausrichtung der Unternehmensstrategien, etwa anhand von CSR-Zielen, erfolgt nicht nur uneigennützig, sondern zeigt messbare (Wettbewerbs-)Vorteile.[29] Dazu zählen u.a. die Verbesserung der Reputation bei Kund*innen und am Arbeitsmarkt, leichterer Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Kapital, Effizienzgewinne durch geringeren Ressourceneinsatz und eine leichtere Anpassung an neue regulatorische Anforderungen.[30]
Da zahlreiche aktuelle unternehmensrechtliche Reformprozesse von dem Leitmotiv der Unternehmensverantwortung geprägt sind und eine große Zahl der aktuellen transformierenden Regelungsvorhaben unter dem Topos der Nachhaltigkeit bei angemessener Umsetzung und Anwendung auch Gleichstellungsbelange umfassen, ist der zukünftige Weg in Richtung eines erweiterten Verständnisses unternehmerischer Verantwortung geebnet. Dieser Status quo, wie auch die effiziente und wirksame Möglichkeit, die Unternehmen als Akteur*innen für gleichstellungspolitische Belange zu aktivieren legen es nahe, für ein Gleichstellungsgesetz einen gesellschaftsrechtlichen Rahmen zu wählen und insoweit das gleichstellungsrechtliche Potential des Gesellschaftsrechts weiterhin zu nutzen.
V. Adressat*innen und Akteur*innen
Das bedeutet vor allem, dass diejenigen betrieblichen Akteur*innen, die die Arbeitsbeziehungen gestalten, in die Verantwortung genommen werden müssen. Adressat*innen und Akteur*innen eines Gleichstellungsgesetzessind deshalb Unternehmen, die Betriebsparteien und die Tarifvertragsparteien; sie sollen eigenverantwortliche Entscheidungen über geeignete Gleichstellungskonzepte treffen. Diese werden allerdings die Dringlichkeit einer Veränderung unterschiedlich einschätzen; sie mag in den verschiedenen Handlungsfeldern auch unterschiedlich dringlich sein. Besonders bedeutsam für die Festlegung der Verpflichtungen ist der zu erwartende Widerstand gegenüber eben diesen Veränderungen und den mit ihnen einhergehenden Anforderungen. Auch darüber liegen gesicherte Erfahrungswerte vor.[31]
Nur die Unternehmensspitze[32] kann Gleichstellung zur Aufgabe und Verpflichtung im Unternehmen machen und jede*n im eigenen Aufgabenbereich und mit den eigenen Wirkungsmöglichkeiten zur Herstellung von Gleichstellung verpflichten. Das schließt die Selbstverpflichtung und Vorbildfunktion der Spitze mit ein. Eine wirksame betriebliche Gleichstellungsstrategie, wie sie die Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz zur Handlungspflicht macht, steht und fällt damit, dass alle im Unternehmen die entsprechende Sensibilität und Überzeugung entwickeln und ihr Verhalten am Leitbild einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur ausrichten. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Führungskräfte der mittleren und unteren Ebene, deren Einsatz vor allem in der Umsetzung entscheidend ist. Das Leitbild muss an der betrieblichen Realität so ansetzen, dass alle im Betrieb mitgenommen werden. Sie müssen die Ziele und die notwendigen Veränderungen verstehen und sich zumindest grundsätzlich damit identifizieren können. Das ist ein Entwicklungsprozess, der nicht erreichbar ist, indem man ihn bloß befiehlt.
Bei einer Verlagerung der Entwicklung von Gleichstellungsstrategien auf die Unternehmensebene spielen die Tarifvertragsparteien und die Betriebsparteien eine bedeutsame Rolle. Sie sind es, die diese horizontalen Prozesse voranbringen können und müssen, indem sie die Dringlichkeit der Veränderungen anmahnen und, wenn Verhandlungen nicht zu Ergebnissen führen, mit ihren jeweils eigenen, auch rechtlichen Mitteln durchsetzen. Insofern sieht die Gesetzeskonzeption, in Anlehnung an die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, einen rechtlichen Spielraum für Verhandlungslösungen der Betriebsparteien und fordert die Tarifvertragsparteien auf, mit ihren Mitteln tätig zu werden.
Der mit dieser gesetzlichen Verpflichtung eintretende Aufgabenzuwachs für Betriebsräte kann sicher nicht mit der nach geltendem Recht vorgegebenen Größe und den Freistellungsmöglichkeiten erbracht werden. Eine entsprechende gesetzliche Aufstockung ist unverzichtbar; auch die Bildung eines entsprechenden Ausschusses des Betriebsrats würde hilfreich sein.
VI. Geltungsbereich
1. Verpflichtete Unternehmen
Das Gesetz muss sich auf alle Unternehmen[33]in privater Rechtsform erstrecken, es sei denn, sie unterfallen dem Bundesgleichstellungsgesetz.[34] Die hier formulierten Handlungs- und Berichtspflichten sollen vom Grundsatz her den gleichstellungspolitischen Auftrag für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Organisationsweise und von ihrer Beschäftigtenzahl abbilden (zu den Ausnahmen siehe unter 3. sowie 2. Teil I. 6.). Das gilt insbesondere für die thematisch bestimmten Handlungsfelder.
Unternehmen können verschiedene Betriebe haben, und auf eben dieser Ebene wird eine Gleichstellungspolitik verwirklicht oder auch verfehlt. Deshalb können und müssen die notwendigen Gleichstellungsstrategien und -maßnahmen innerhalb eines Unternehmens in den verschiedenen Betrieben unterschiedlich sein, wenn sich die jeweiligen Strukturen voneinander unterscheiden. Daher wird unter Teil 2, II. innerhalb der einzelnen Handlungsfelder zum Teil auf bestimmte Eigenschaften der Unternehmen hingewiesen und daran besondere Handlungspflichten geknüpft (oder gerade auch nicht).
2. Digitale Plattformen
Auch digitale Plattformen, die analoge oder online ausgeführte Arbeitsleistungen vermitteln (z.B. Essenslieferservices, Fahrdienste, haushaltsnahe Dienstleistungen sowie Online-Arbeiten wie etwa Textarbeit, Programmierung und kreative Tätigkeiten), fallen unter den Unternehmensbegriff, obwohl sie anders organisiert sind als traditionelle Unternehmen und Arbeitsleistungen jenseits einer traditionellen Betriebsstruktur koordinieren. Arbeit über Plattformen wird zwar in vielen Fällen nur zu einem geringen Stundenumfang oder im Nebenverdienst ausgeführt, aktuelle Studien belegen aber dennoch trotz variierender Datenlage die zunehmende Erwerbs- und Arbeitsmarktrelevanz.[35] Daher können diese atypischen Beschäftigungsformen nicht außer Acht gelassen werden. Denn sie erzeugen nicht nur einen hohen Druck auf das Normalarbeitsverhältnis im Betrieb, sondern bewegen sich an den Grenzen des Arbeitsrechts und damit an dessen Schutzgrenzen. Die Plattformbetreiber versuchen, sich durch entsprechende Gestaltung den arbeitsrechtlichen Regelungen zu entziehen und die Mitarbeitenden als freie Mitarbeiter*innen o.ä. zu beschäftigen. Aber auch diese freien Mitarbeiter*innen – sofern sie tatsächlich solche sind, was durch die Rechtsprechung jüngst in Zweifel gezogen wurde und in der Praxis immer stärker kontrolliert wird –[36] müssen in den Schutzbereich des Gesetzes einbezogen werden.
Plattformen neigen aufgrund des besonderen Geschäftsmodells, das auf Netzwerkeffekte und algorithmische Steuerung setzt, zur Monopolisierung. Dies erzeugt besondere Diskriminierungsrisiken für Beschäftigte, insbesondere im Hinblick auf Vergütung, Zugang, Aufstiegschancen und Beschäftigungssicherheit.[37]Gleichstellungspolitisch relevant wird dies vor allem, weil gerade in den prekären, als „einfach“ bezeichneten, oft unsichtbaren und schlecht bezahlten Plattformtätigkeiten eine Überzahl weiblicher Beschäftigter zu finden ist und sich Gender-Stereotype auf Plattformen fortsetzen und sogar noch verstärken.[38] Weil Frauen oft nicht über einen anderen Haupterwerb abgesichert sind bzw. wegen einseitiger Vereinbarkeitslösungen oft auf diese scheinbar flexiblen und mobilen Tätigkeiten verwiesen sind, entstehen und verfestigen sich hier immense Verdienst- und Sicherheitslücken.
3. Differenzierte Anforderungen für kleine Unternehmen
Die geltenden Gesetze mit Bezug zur Gleichstellung setzen für ihre Anwendung typischerweise Mindestgrößen hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten voraus; einige auch eine bestimmte Rechtsform.[39] Auch diese Konzeption muss in Betracht ziehen, dass eine umfassende betriebliche Gleichstellungspolitik – systematische Bestandserhebung, Gleichstellungsstrategien für alle Handlungsfelder gegebenenfalls mit Etappenzielen und einem Umsetzungskonzept für die Handlungsfelder – Ressourcen braucht, die nicht allen Unternehmen unterschiedlicher Größe gleichermaßen zur Verfügung stehen. Eine so begründete Beschränkung der gleichstellungspolitischen Verpflichtung auf größere Unternehmen würde aber die Bedeutung der kleinen Unternehmen in der UnternehmenslandschaftDeutschlands außer Acht lassen:
Von den rund 3,4 Mio. Unternehmen gehören rund 3,0 Mio. zu den Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten; rund 360.000 sind Kleinunternehmen mit zehn bis unter 50 Beschäftigten. Weitere rund 75.000 haben zwischen 50 und 249 Beschäftigte und gehören damit zu den Mittleren Unternehmen.[40]
Von den rund 38,4 Mio. Beschäftigten der Privatwirtschaft sind rund 7,2 Mio. in Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und rund 8,0 Mio. in Kleinunternehmen mit zehn bis unter 50 Beschäftigten tätig. In den mittelgroßen Unternehmen sind es 6,4 Mio. und in den Großunternehmen 16,9 Mio. Beschäftigte.[41]
In den kleinen Unternehmen arbeiten somit zusammengenommen etwa genauso viele Beschäftigte wie in den Großunternehmen. Hinzu kommt, dass Frauen in Kleinst- und Kleinbetrieben überrepräsentiert sein dürften. Das liegt vor allem an den frauentypischen Branchen wie z.B. Hotel- und Gastgewerbe, Reinigungsdienste und Friseurhandwerk, in denen die Beschäftigungsbedingungen oft prekär sind. Es finden sich andererseits auch viele Kleinunternehmen in Beschäftigungsfeldern mit höherem Qualifikationslevel: bei den wirtschaftlichen Dienstleistungen, in der Kreativbranche und in privatwirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen für Bildung, Erziehung, Gesundheit und Pflege.
Mit einer der üblichen Betriebsgrößengrenzen, gemessen an einer Mindestzahl von Beschäftigten, würde also mindestens die Hälfte der weiblichen Beschäftigten in Deutschland der Schutz entzogen. Die Konzeption will dagegen auch für die kleinen Unternehmen Handlungsmöglichkeiten und Regelungsansätze aufzeigen. Das ist nicht nur für die betroffenen weiblichen Beschäftigten notwendig, sondern auch für das allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein über die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit in der Privatwirtschaft. Für kleine Unternehmen, die oftmals eine Vergrößerung anstreben, hat dies den Vorteil, dass nicht plötzlich – mit Überschreiten einer bestimmten Beschäftigtenzahl – zahlreiche Pflichten auf sie zukommen. Jedoch sind Differenzierungen der rechtlichen Pflichten im Hinblick auf Unternehmensgrößen notwendig, um den Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten kleiner Unternehmen Rechnung zu tragen.
Um in kleinen Unternehmen Veränderungen zu erreichen, ist die Unmittelbarkeit der Führungs- und Arbeitsbeziehungen von entscheidender Bedeutung, zumal in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) äußerst selten Betriebsräte vorhanden sind. Singuläre Führungspersonen müssen ein Bewusstsein und eine Haltung für Geschlechtergerechtigkeit entwickeln und stärken, damit strukturell und einzelfallbezogen das berufliche Klima für Frauen verbessert wird und Entscheidungen getroffen werden, die der Chancenverwirklichung dienen.
Eine Verpflichtung zur Aufstellung von Gleichstellungsplänen mit periodenbezogenen Etappenzielen und einem ausgearbeiteten Instrumentenkasten für alle oder für prioritäre Handlungsfelder wird in KMU in der Regel schwer zu erfüllen oder unverhältnismäßig sein. Jedoch kann verlangt werden, dass die Entscheidungsprozesse und Kriterien transparent gemacht werden. Eine Selbstverpflichtung sollte festgelegt und (intern, extern) kommuniziert werden. In ihr sollte der Wille der Unternehmensführung artikuliert werden, in jedem Einzelfall auch zu prüfen, wie die Situation für die einzelne Beschäftigte geschlechtergerecht verbessert werden kann. Zur Verdeutlichung des Gewollten sollte mindestens ein konkretes Beispiel genannt werden.
Die Möglichkeit und den gesetzlichen Auftrag, die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit auch in die kleinen Unternehmen hineinzutragen, haben primär die Organisationen, in denen die KMU per (Zwangs-)Mitgliedschaft organisiert sind, also Kammern und Innungen sowie regionale Untergliederungen von Wirtschaftsverbänden. Sie können und müssen die notwendigen Unterstützungsleistungen für die KMU erbringen, aber auch die angepassten adäquaten Pflichten durchsetzen.
4. Geschützter Personenkreis
Bedeutsam ist, dass das Gesetz für alle Personen gelten soll, die nach nationalrechtlicher Auslegung Arbeitnehmer*innen sind, darüber hinaus aber auch für Personen in der Arbeitswelt, die nicht persönlich, wohl aber wirtschaftlich und/oder organisatorisch von einem Unternehmen abhängig und daher Arbeitnehmer*innen vergleichbar schutzwürdig sind. Dies entspricht dem europäischen Arbeitnehmer*innenbegriff. Eine zunehmend verbreitete Unternehmenspolitik, wonach Abschlüsse von Arbeitsverträgen vermieden und die für das Unternehmen notwendige Arbeit von Personen in ungeschützteren Vertragsverhältnissen erbracht wird, darf die Durchsetzung einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur nicht unterbinden. Insbesondere zum Schutz neuer Beschäftigungsformen in der Gig-Economy, wie Plattformarbeit, ist es angezeigt, den Arbeitnehmer*innenbegriff rechtssicher zu erweitern und neben der wirtschaftlichen auch organisatorische, durch eine besondere Betriebsbindung entstehende Abhängigkeit zu erfassen. Nur so können digitale Plattformen effektiv als Verpflichtete adressiert werden.[42] Vor dem Hintergrund sich verändernder Beschäftigungsformen ist eine sichere Einbeziehung verfassungsrechtlich umso mehr geboten. Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil durch eine Umgehung der Gleichstellungspflichten eine Verfestigung prekärer Beschäftigungsverhältnisse drohte.
Danach werden von dieser Gesetzeskonzeption erfasst: Beschäftigte im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes,[43] Arbeitnehmer*innen nach deutschem Recht,[44] Arbeitnehmer*innen im Sinne des Unionsrechts,[45] arbeitnehmerähnliche Personen, organisatorisch unselbstständige Personen,[46] in Heimarbeit Beschäftigte und diesen Gleichgestellte im Sinne des Heimarbeitsgesetzes,[47] zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte, Bewerber*innen und ausgeschiedene Beschäftigte.
VII. Konkrete Handlungspflichten
1. Handlungsfelder
Im Mittelpunkt des regulativen Ansatzes, der auf regulierte Selbstregulierung setzt, stehen konkrete, passgenaue Gleichstellungsmaßnahmen, die die unternehmens- und betriebsspezifischen Gleichstellungsdefizite beseitigen sollen.
Die hier vorgestellte Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes benennt vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden Ungleichheitslagen folgende Handlungsfelder:
a) Personalstruktur und Personalentwicklung
Dieses Handlungsfeld umfasst: Personalauswahl bei der Einstellung und beim beruflichen Aufstieg; Stellenausschreibungen/Personalgewinnung, Bewerbungsprozesse, betriebliche Verfahren zur Beurteilung von Leistungen, Ausgestaltung der Arbeitsverträge, Beschäftigungen unter prekären Bedingungen und Möglichkeiten für Übergänge aus befristeter oder in anderer Weise prekärer Beschäftigungsformen; Einsatz von Nicht-Arbeitnehmer*innen, diskriminierungsfreier Zugang und Ausgestaltung der Technik, Instanzen für die Überprüfung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz, Bewertung von Potenzialen und Kompetenzen, betriebliche Qualifizierung und Weiterbildung, Ausbildung, Einbeziehung der betrieblichen Interessenvertretung, Führungskräftequalifizierung, Mentoringprogramme, die Kontrolle der betrieblichen Prozesse (Monitoring), Entlassungsbedingungen. Dies alles muss unter Beachtung der intersektionalen Perspektive geschehen.
b) Entgelt
Dieses Handlungsfeld umfasst: tarifliche und betriebliche Entgeltsysteme und die Entgeltpraxis, individuelle Entgeltvereinbarungen, Förderung von Transparenz in Entgeltstrukturen, Verfahren der Leistungsmessung und Arbeitsbewertung, Tarifbindung und Entgelte, Gestaltungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung.
c) Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz
Dieses Handlungsfeld umfasst: Arbeitsgestaltung und den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, physische und psychische Arbeitsbelastungen durch die Art der Tätigkeiten oder die Arbeitsumgebung, Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen und Präventionsmaßnahmen, Mutterschutz, Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Mobbing, Arbeitsgestaltung für nachhaltige Zuschnitte der Arbeitsplätze, Aufgaben und Tätigkeiten.
d) Arbeitszeit und Vereinbarkeit der Lebensbereiche
Dieses Handlungsfeld umfasst: Erwerbsarbeitszeiten im Hinblick auf Sorgearbeit, Arbeitszeit und -ort als Thema zur Abstimmung und Abgrenzung der Lebensbereiche, Transformation betrieblicher Arbeitszeitmodelle und -bedingungen, Verteilung der Arbeitsvolumina auf die Geschlechter, Arbeitszeitinteressen und -wünsche der Beschäftigten, Bedingungen für die Verringerung oder Erhöhung der Arbeitszeit, Anspruch auf Arbeit im Homeoffice und in Co-Working-Spaces, Jobsharing auch in Führungspositionen, Beurlaubungsregelungen einschließlich Abwesenheits- und Rückkehrmanagement, Zeit für Qualifizierung und Weiterbildung.
Zu dem Handlungsfeld Arbeitszeit und Vereinbarkeit der Lebensbereiche hat der djb bereits 2016 eine Konzeption für ein Wahlarbeitszeitgesetz entwickelt, in der die notwendigen gesetzlichen Regelungen detailliert beschrieben sind.[48]
e) Wechselwirkungen zwischen den Handlungsfeldern
Die Aufteilung von Handlungspflichten und -möglichkeiten in Handlungsfelder darf nicht dazu führen, dass die Wechselwirkungen zwischen diesen Handlungsfeldern übersehen werden. Denn nicht selten werden Benachteiligungen und unausgewogene Geschlechtsverhältnisse in einem Handlungsfeld ihre Ursache in einem anderen Handlungsfeld haben, sodass auch das Bemühen um Gleichstellung dort anzusetzen hat.
2. Einsatz webbasierter Systeme und Algorithmen
Die fortschreitende Digitalisierung auch und gerade im Bereich der Erwerbsarbeit wirkt sich auf alle Handlungsfelder aus. Mit ihr haben sich die Rahmenbedingungen für Gleichstellungspolitik grundlegend verändert, und zwar in ambivalenter Weise. Das gilt zum einen im Sinne erheblich verbesserter Chancen, die Verpflichtung von Unternehmen, den Abbau von Diskriminierungsstrukturen durchzusetzen. Denn nur der Einsatz digitaler Tools, die Diskriminierungsstrukturen zu erkennen und deren Beseitigung evaluativ zu begleiten vermögen, erlaubt es Unternehmen und gleichermaßen staatlichen (oder staatlich beauftragten) Institutionen ohne großen bürokratischen Aufwand unter Einhaltung des Datenschutzes zu überprüfen, ob und mit welchem Erfolg Unternehmen Gleichstellungspolitik betreiben.
Zum anderen dürfen die Gefährdungspotenziale der Digitalisierung nicht übersehen werden. Nicht erst das Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“ zeigt, welche Folgen, aber auch Chancen die Digitalisierung der Wirtschaft und die zunehmende Plattformökonomie für die Erwerbsarbeit von Frauen in privatwirtschaftlichen Unternehmen haben. Damit einhergehende gesellschaftliche Transformationsprozesse verändern Berufe, Unternehmen und ganze Branchen, wiederum mit Rückwirkungen auf Lebensverläufe insbesondere von Frauen.[49] Handlungsmöglichkeiten und tatsächliche Verwirklichungschancen von Frauen sind einem digital getriebenen Veränderungs- und Wandlungsdruck unterworfen, was schon einseitig beschrieben wurde als Flexibilisierungs- und Mobilisierungsgewinn durch niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten zum Beschäftigungsmarkt. Aber gleichzeitig wird eben dadurch Druck auf die beschäftigten Frauen ausgeübt. Der Vereinbarkeitsdruck steigt, es entstehen neue Diskriminierungsgefahren durch den Einsatz webbasierter Systeme und Algorithmen. Die digital eröffnete globale Konkurrenzsituation auf dem Beschäftigungsmarkt geht einher mit einer Prekarisierung. Es droht insgesamt eine digitale Abwärtsspirale, ausgelöst durch digitalisierte Anwendungen, die aktuell strukturelle Barrieren, Geschlechterstereotypisierung, Prekarisierung, Diskriminierung und Gewaltbetroffenheit verschärfen und entsprechend analysiert und bekämpft werden müssen.
Zudem tut sich mit dem Digital Gender Gap ein neuer tatsächlicher Graben zwischen den Geschlechtern auf. Die Teilhabe an der digitalen Transformation erfolgt genauso vergeschlechtlicht, wie die Teilhabe an der Gesellschaft im Allgemeinen. So lassen sich geschlechtsbezogene Unterschiede beim Digitalisierungsgrad von Frauen und Männern feststellen.[50] Dabei gilt auch hier, dass es neben Geschlecht auf weitere soziodemografische Aspekte bei der Prüfung gleicher Verwirklichungschancen in der digitalen Gesellschaft ankommt. Der Digitalisierungsgrad bemisst sich grundsätzlich anhand von vier Faktoren: Zugang zu Digitalisierung (Geräteausstattung, Internet), Nutzungsdauer digitaler Anwendungen, digitale Kompetenzen und Aufgeschlossenheit für digitale Anwendungen. Zudem werden weitere Messfaktoren wie Zeit- und Raumsouveränität und informationelle Selbstbestimmung herangezogen.[51] Fehlen diese Ressourcen, vermindert das die Zugangschancen zu Digitalisierung. Dies hat auch Auswirkungen auf die Zugänge zu sozialen und technischen Ressourcen und betrifft so die tatsächlichen Verwirklichungschancen. Ein niedriger persönlicher Digitalisierungsgrad verschlechtert Teilhabechancen.
Digitale Prozesse müssen als grundsätzlich vergeschlechtlicht erkannt werden (soziotechnischer Ansatz). Danach sind technische Prozesse, wie z.B. automatisierte oder datengestützte Entscheidungen, immer zwingend in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu betrachten, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen des Technikeinsatzes müssen also mitgedacht werden.[52] Spezifische Probleme für die Geschlechtergerechtigkeit infolge der Datengetriebenheit digitalisierter Prozesse ergeben sich dann unter zwei Gesichtspunkten.[53] Zum einen kommt es zu Diskriminierungen, wenn geschlechtsbezogene Daten nicht als relevant erkannt werden. Dadurch bleiben Personen und ihre Lebenswirklichkeiten unsichtbar, (algorithmenbasierte) Entscheidungen benachteiligen sie entsprechend. Zum anderen können geschlechtsbezogene Daten, oder auch nur Proxies (Ersatzdaten, anhand derer auf Geschlecht geschlossen wird), dort Relevanz entfalten, wo sie kein Entscheidungskriterium sein dürfen, und diskriminierende Effekte verursachen. Datenschutz, insbesondere auch Beschäftigtendatenschutz, einerseits zu gewährleisten und andererseits durch aktive Datenerhebungen in digitalisierten Auswertungszusammenhängen geschlechtergerechte Teilhabe transparent sicherzustellen, sind die zwei wesentlichen Aufgaben digitaler Technikgestaltung, die sich nur scheinbar widersprechen. Ein soziotechnischer Ansatz stellt dabei sicher, dass die digitale Transformation von Prozessen auch in ihrer intersektionalen Verschränktheit erkennbar wird und nicht nur der Faktor Geschlecht, sondern auch weitere Faktoren von Ungleichbehandlung in der Gesellschaft berücksichtigt werden können.
Um die Datenerhebung und -auswertung effektiv und zertifizierbar zu machen, bedarf es staatlicher Unterstützung.[54] Doch nicht nur die Unterstützung ist ein wichtiges Instrument, sondern auch konkret vorgegebene Kriterien, um die eingesetzte Software überprüfen und eine Vergleichbarkeit der Datenerhebung sicherstellen zu können.[55] Siehe im Übrigen zu den überprüfbaren Berichtspflichten zur Durchsetzung der gesetzlichen Handlungspflichten näher unter 1. Teil VIII. 1. d).
3. Betriebliche Stufen der regulierten Selbstregulierung
In allen Handlungsfeldern gibt es Handlungsbedarf, wobei die zu ergreifenden Maßnahmen durchaus sehr unterschiedlich aussehen können und müssen. Ausgehend von dem Konzept regulierter Selbstregulierung erfolgt die Umsetzung jedoch stets in folgenden Stufen:
a) Erste Stufe: Bestandsaufnahme
Das Konzept regulierter Selbstregulierung nimmt die Unternehmen in die Pflicht, eigenverantwortlich eventuell vorhandene diskriminierende Strukturen zu ermitteln, unter Beachtung der intersektionalen Perspektive. Erhoben werden folgende Daten: Anzahl der Beschäftigten, differenziert jeweils nach den Geschlechtern und Beschäftigungsbereichen, Tätigkeiten, Funktionen und Verantwortungsstufen, Arbeitszeitvolumina, Entgeltsystem, arbeitsvertragliche Bedingungen. Dabei ist der Einsatz digitaler Mittel geboten, allerdings mit soziotechnischem Ansatz, um Diskriminierungsfreiheit zu gewährleisten.
b) Zweite Stufe: Analyse der Erfassungsdaten
Anknüpfungspunkt für die Analyse ist das Geschlechterverhältnis. Ein unausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter gilt als Indiz für Diskriminierungsstrukturen. Die Gründe für die Unausgeglichenheit sind zu ermitteln.
c) Dritte Stufe: Festlegung der Gleichstellungsstrategie
Betriebsspezifische Gleichstellungsstrategien sind für alle Handlungsfelder zu entwickeln; Wechselwirkungen zwischen den Handlungsfeldern sind zu beachten.
Bindende Handlungsverpflichtungen für die Unternehmen gibt es dann, wo Unternehmen auch in jüngerer Vergangenheit zu einer korrigierenden Selbstregulierung nicht willens oder nicht imstande waren.[56]
d) Vierte Stufe: Umsetzungsphase
Die Umsetzung der Gleichstellungsstrategie des Unternehmens bedarf der Bestimmung von Zeitrahmen und konkreten (Etappen-)Zielen.
e) Fünfte Stufe: Evaluationsphase
Begleitend ist ein Prozess der Evaluation und des „Gender Controlling“ einzurichten, um die Umsetzung der einzelnen Schritte der Gleichstellungsmaßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Dazu bedarf es der Festlegung von Verantwortlichkeiten mitsamt Überprüfungs- und Beschwerdestrukturen sowie begleitendes Monitoring für Anpassungen und Veränderungen. Das interne Monitoring wird begleitet durch Berichtspflichten an externe Institutionen zur Ermöglichung einer Überprüfung und Ergreifung positiver wie negativer Maßnahmen. Einen wirksamen Ansatz liefert die Methode des Gender Mainstreaming, wie die Europäische Union sie in ihren beschäftigungspolitischen Leitlinien verdeutlicht hat, erweitert um die intersektionale Perspektive.[57]
Die Einzelheiten darüber, was auf den unterschiedlichen Stufen auf dem Weg zu einem diskriminierungsfreien Unternehmen geschehen sollte, wird unter Teil 2 I. 5. genauer dargestellt.
VIII. Durchsetzung der gesetzlichen Handlungspflichten
Nach dem Modell der regulierten Selbstregulierung hat der Staat die Selbstregulierung durch einen regulativen Rahmen zu sichern. Dies setzt eine starke und mehrdimensionale Durchsetzungsebene voraus, die in unterschiedlichen Phasen der Selbstregulierung ansetzt, also nicht erst nachträglich repressiv, auch nicht ausschließlich intervenierend, sondern vor allem präventiv und begleitend wirkt.
Andere Länder sind der Bundesrepublik in Regulierungen zur Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben voraus.[58] Diese Verspätung hat nur einen einzigen Vorteil: wir können in der Gleichstellungspolitik von anderen Ländern lernen. Im Internet findet sich leicht zugänglich eine Zusammenstellung der Maßnahmen, die in anderen Ländern – fokussiert auf Equal Pay, aber nicht nur Entgeltgleichheit betreffend – verbindlich gemacht worden sind. Nicht alle der in den anderen Staaten vorgesehenen Mittel zur Durchsetzung der Handlungsverpflichtungen haben sich als erfolgreich erwiesen. Das Prinzip Blame and Shame ist in Großbritannien weitestgehend gescheitert[59] und ebenso ist es in der Bundesrepublik dem ersten Führungspositionengesetz ergangen, wie Untersuchungen bestätigt haben.[60] Scham über das eigene Handeln setzt die Wahrnehmung von Unrecht voraus; diese fehlt in den meisten Unternehmen. Erfolgsversprechend sind dagegen Berichtspflichten mit Zertifizierungswirkung, an die weitere Folgen wie Sanktionen aber auch Privilegien geknüpft und die durch besondere handlungsstarke Institutionen kontrolliert werden. Die hier vorgestellte Gesetzeskonzeption verlangt deshalb nicht nur das Sichtbarmachen von Gleichstellungsdefiziten und Gleichstellungsstrategien der Unternehmen, sondern geht, wie von anderen Ländern und in anderen Bereichen der Selbstregulierung vorgemacht, darüber hinaus. Die Durchsetzung muss mehrdimensional angelegt sein.
Die Konzeption will allerdings nicht festlegen, welche Durchsetzungsmechanismen im Einzelnen institutionalisiert und in gesellschaftsrechtlichen Regelungen umgesetzt werden müssen. Die nachfolgenden Darstellungen zeigen das durch regulierte Selbstregulierung eröffnete mehrdimensionale Handlungsspektrum auf, das bei entsprechendem politischem Willen genutzt werden sollte.
1. Durchsetzungsmechanismen und -akteur*innen
Spätestens bei der Erarbeitung von Durchsetzungsmechanismen mit dem Ziel einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur liegt die entscheidende Verantwortung in der Politik, vornehmlich ausgedrückt im Handeln der Regierungen sowohl des Bundes wie der Länder. Eine konsistente politische Haltung in den Fragen Frauen und Erwerbsarbeit, Verwirklichungschancen für alle Geschlechter und gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehungen dient der gesellschaftlichen Orientierung und bildet die Basis für die Beratung und Unterstützung der Unternehmen für ihr eigenständiges Handeln wie auch gegebenenfalls für eine sanktionsbewehrte Durchsetzung. Vor allem ist sie auch Basis für die finanzielle Unterstützung des Gleichstellungsprozesses durch die verbindliche Finanzierung der dafür notwendigen Institutionen. Bundesregierung wie Landesregierungen müssen auch die Monitoringinstanzen schaffen, die die Erfüllung von Gleichstellungszielen erheben und jährlich veröffentlichen, vergleichbar etwa dem Sachverständigenrat.
a) Individualrechtliche Durchsetzung
Alle Regulierungen in anderen Ländern sowie die Entgelttransparenzrichtlinie der EU gehen davon aus, dass individualrechtliche Ansprüche von diskriminierten Beschäftigten notwendig sind, aber nicht ausreichen, um verfestigte Verhaltensstrukturen und eine nicht geschlechtergerechte Unternehmenskultur zu ändern. Das Entgelttransparenzgesetz von 2016, das nur mindere individualrechtliche Ansprüche gab, ist deshalb wirkungslos geblieben.[61] Zur Unterstützung der kollektiven und institutionellen Durchsetzungsmechanismen ist daher auch der individuelle Rechtsanspruch für Betroffene in Bezug auf Verletzungen der Gleichstellungspflichten zu schärfen. Flankiert werden muss ein solches Recht durch umfassende Auskunftsansprüche der Beschäftigten (auch gegenüber Plattformen), die es ermöglichen, nicht nur diskriminierende Strukturen, sondern auch mangelnde Umsetzung der Gleichstellungspflichten aufzudecken. [62]
Soweit die Schwäche der Durchsetzung von Individualansprüchen auf fehlende Ressourcen zurückzuführen ist oder, wie z.B. im Entgeltbereich, auf das Fehlen datengestützter Vergleichszahlen, sind sich rasant entwickelnde Legal-Tech-Ansätze in den Blick zu nehmen, die einen verbesserten Zugang auch zum Arbeitsrecht versprechen.[63] Unter Legal Tech versteht man die Digitalisierung juristischen Arbeitens. Der Einsatz von Technologien, wie digitale Tools zur Dokumentenerstellung und Dokumentenanalyse, soll Rechtsdienstleistungen effizienter und besser machen. Teilweise werden Rechtsberatungen insbesondere in Massenverfahren fast vollständig automatisiert; Rechtsanwält*innen kommen erst vor Gericht zum Einsatz. Im Bereich des Verbraucher*innenschutzes und Antidiskriminierungsrechts finden sich bereits vermehrt solche Angebote von Legal Tech-Startups.[64] So werden etwa Entschädigungsansprüche von Verbraucher*innen anhand von auf einer Webseite eingegebenen Daten durch digitale Tools geprüft und bestehende Forderungen mit automatisch erstellten Schriftsätzen durchgesetzt. Weiter zu verfolgen ist, ob unter Zugrundelegung der Voraussetzungen eines soziotechnischen Ansatzes die Rechtsdurchsetzung durch Legal Tech für die Realisierung gleicher Verwirklichungschancen nutzbar gemacht werden kann.
b) Interne Akteur*innen für die Durchsetzung
Schon das geltende Recht gibt den Betriebsräten die Möglichkeit, die Unternehmensleitung zur Einhaltung ihrer gesetzlichen Pflichten zu zwingen. In mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten kann der Betriebsrat über das Arbeitsgericht die Einsetzung einer Einigungsstelle erzwingen mit dem Ziel, in dieser eine Gleichstellungsstrategie zu entwickeln und zu vereinbaren. Diese Mitbestimmungspflichten wären in den Handlungsfeldern, wo solche Möglichkeiten noch fehlen, auszubauen.
Auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft kann sich an das Arbeitsgericht wenden, um einen groben Verstoß der Arbeitgeber*innen gegen gesetzliche Verpflichtungen zu beenden. Die Nichteinhaltung der Handlungspflichten des Gleichstellungsgesetzes ist ein solcher grober Verstoß.
c) Zivilgesellschaftliche Akteur*innen
In der aktuellen rechtspolitischen Debatte wird, zu Recht, verbreitet die Einführung einer Verbandsklage gefordert. Im AGG sind Antidiskriminierungsverbände mit Befugnissen ausgestattet, die jedoch unzureichend sind. Die Einschränkung beruhte auf der im Gesetzgebungsverfahren 2006 erfolgreich geäußerten Behauptung, es drohe eine Klagewelle nach Inkrafttreten des AGG. Diese ist nicht nur ausgeblieben – im Gegenteil kommen die Gerichte zu großen Teilen kaum mit dem AGG in Berührung. Kollektiver Rechtsschutz ist erforderlich.[65] Verschiedene Landesantidiskriminierungsgesetze, wie das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz, sehen eine Verbandsklage vor.[66]
Ein Verbandsklagerecht würde es dem Verband erlauben, unabhängig von der individuellen Betroffenheit Einzelner Klage vor den jeweils zuständigen Arbeitsgerichten zu erheben, wenn Unternehmen untätig geblieben sind oder ihre Gleichstellungsverpflichtungen unzureichend umgesetzt haben. Bei Erfolg stellt das Gericht den Verstoß des Unternehmens gegen das Gesetz fest, gebietet die Durchführung der Handlungsverpflichtungen des Gleichstellungsgesetzes und droht Bußgelder für den Fall der Nichtbefolgung an; und zwar in einer Höhe, die zu Verhaltensänderungen führt.
Klageberechtigt wären anerkannte Antidiskriminierungsverbände. Die Notwendigkeit der Anerkennung dient dem Ziel, aus der Verbandsklage kein Geschäftsmodell für beliebige Kanzleien werden zu lassen, sondern seriöse, selbstlos agierende Verbände mit Rechten auszustatten. Auch Gewerkschaften sind Antidiskriminierungsverbände. Zu hoffen ist, dass ausreichend Antidiskriminierungsverbände tätig oder noch zu diesem Zweck gebildet werden. Wichtig ist, dass sie dazu auch finanziell in der Lage sind, ohne daraus ein Erwerbsmodell zu machen. Das kann dadurch gewährleistet werden, dass sie ausreichend ausgestattet und ihnen auch die Bußgelder wegen der Verstöße gegen das Gleichstellungsgesetz zur Verfügung gestellt werden, deren sachgemäße Verwendung mit entsprechenden Nachweisen belegt werden müsste.
Wie jedoch kommen die Antidiskriminierungsverbände an die erforderlichen Informationen für die Erhebung einer Verbandsklage? Gewerkschaften und Betriebsräte haben Einblick in die Realität in den Unternehmen und damit genuine Erkenntnisse über diskriminierende Strukturen und die fehlenden oder unwirksamen Reaktionen des Unternehmens darauf. Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt auch bereits jetzt vor, dass bei Betriebsversammlungen die Lage der Gleichstellung in den Betrieben dargestellt werden muss. Dass die Verbandsklagen im Umwelt- und Raumordnungsbereich wirkungsvoll sind, beruht nicht zuletzt darauf, dass es in der Regel um öffentliche Verfahren und um Themen geht, zu denen die Informationen öffentlich vorliegen oder relativ einfach im Internet zu ermitteln sind.
Antidiskriminierungsverbände hingegen sind auf Informationen angewiesen, die heutzutage nicht öffentlich zugänglich sind. Hinweise von einzelnen Beschäftigten mögen hilfreich sein, reichen allerdings in der Regel nicht aus, um eine gut begründete Klage zu erheben. Das belegt erneut, dass die Verfasstheit und das Verhalten der Unternehmen und die Situation der Beschäftigten nicht intern bleiben dürfen.
d) Überprüfbare Berichtspflichten
Regelungen zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit im Ländervergleich ist gemeinsam, dass die Unternehmen Daten über den Stand der Gleichstellung und deren Veränderung durch entsprechende Unternehmenspolitiken erfassenmüssen. Diese Daten müssen öffentlich zugänglich gemacht werden, sei es auf der Website der Unternehmen, sei es auf einer von der öffentlichen Hand betriebenen Website oder nur gegenüber kontrollierenden Akteur*innen und Institutionen. Ihre Effektivität bestimmt sich durch die wirksame Verknüpfung mit unternehmensinternen und -externen Prüfverfahren sowie der Authentizität der Datengrundlage. Audit-systeme, Zertifizierungen und Beglaubigungen der Daten sollen deren Richtigkeit gewährleisten. Die Rechtsfolgen sind unterschiedlich ausgestaltet: Großbritannien verzichtet auf Sanktionen und setzt – ohne Erfolg – auf das Prinzip Blame and Shame, während Frankreich und Island mit Strafgeldern arbeiten. Verbreitet ist die Einrichtung von unabhängigen Kommissionen, die Überprüfungsrechte ausüben und auch als Schiedsinstanz auftreten.[67] Die Veröffentlichungspflichten sind die Grundlagen für weitere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Unternehmen, falls diese sich als unvollständig oder als unzutreffend herausstellen bzw. wenn die dort zutreffend dokumentierten Handlungsweisen nicht zum Erfolg in der Gleichstellung geführt haben.
Berichtspflichten und die Überprüfung der Berichte auf ihre Richtigkeit sind für Unternehmen in Deutschland nichts Neues. Im Gesellschaftsrecht ist es üblich, dass der zu erstellende Jahresabschluss von Wirtschaftsprüfer*innen nicht nur auf die formelle Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften geprüft wird, sondern auch in materieller Hinsicht darauf, ob die Verhältnisse zutreffend dargestellt worden sind. Denn die unrichtige Wiedergabe oder gar Verschleierung der Verhältnisse – sowohl bei der Erstellung als auch Überprüfung des Berichts – ist strafbewehrt. Neben dem eher wirtschaftlichen Jahresabschluss gibt es bei mittelgroßen und größeren Kapitalgesellschaften[68] zusätzlich noch den Lagebericht, der ergänzend zum Jahresabschluss erstellt wird. Hierin wird der bisherige Geschäftsverlauf mit voraussichtlichen Entwicklungen erläutert. Auch hier gilt, dass die unrichtige Wiedergabe oder Verschleierung strafbewehrt ist. Eine Zuwiderhandlung bei der Aufstellung des Lageberichts ist bußgeldbewehrt. Schließlich gibt es zusätzlich zum Lagebericht den ergänzenden Nachhaltigkeitsbericht (vormals nichtfinanzielle Erklärung), in dem Angaben zu Umwelt-, Arbeitnehmer*innen- und Sozialbelangen zu machen sind.[69] Innerhalb der Arbeitnehmer*innenbelange werden beispielhaft „Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Geschlechtergleichstellung ergriffen wurden“ angeführt. Bislang beschränkte das Gesetz die Überprüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung auf eine lediglich formale Prüfung; die Prüfungspflicht wird aber in den kommenden Jahren stark ausgeweitet werden. Schließlich haben große, börsennotierte Aktiengesellschaften eine Erklärung zur Unternehmensführung abzugeben, in der sie ihr Diversitätskonzept beschreiben müssen. Dabei wird in Zukunft zwingend auf Geschlecht in seinen intersektionalen Dimensionen einzugehen sein.[70] Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft würde hier anknüpfen und die notwendigen Berichtspflichten implementieren.[71] Dabei dürften einige inhaltliche Erweiterungen sowie die Harmonisierung oder gar die Verknüpfung der verschiedenen Berichtspflichten notwendig werden.
Entsprechende Institutionen im Ausland verlangen stark formalisierte Berichte und wenden standardisierte Überprüfungs- und Bewertungsmethoden an. Das ergibt angesichts der Fülle der Berichte auch Sinn. Effektive digitale und zertifizierte Instrumente für die Bestandsaufnahme können für Berichtspflichten nutzbar gemacht werden, indem sie Datenverknüpfungen zur Verfügung stellen, die statistisch auswertbare Größen und Kennzahlen in den Betrieben für die Berichte aufbereiten. So können in den Unternehmen statistisch wertvolle Bestandsdaten und Berichtsdaten effektiv digital generiert und erstmalig umfassend erhoben werden. Voraussetzung ist, dass für diese Berichtspflichten einheitliche Standards und Kriterien generiert werden, um die Vergleichbarkeit der Berichte zu gewährleisten.[72]
Hier sind staatliche Aktivitäten gefragt, auch, um die in der digitalisierungsbezogenen Arbeitsforschung aus Geschlechterperspektive bestehenden Lücken zu schließen[73], damit effektive digitale und zertifizierbare Instrumente für die Bestandsaufnahme zur Verfügung gestellt werden können. Daneben sind von staatlicher Seite Zertifizierungsverfahren und -kriterien aufzustellen, anhand derer sich private Software überprüfen lässt.[74] Dabei ist darauf zu achten, dass die zertifizierten Systeme zur Bestandsaufnahme den verfügbaren Kapazitäten der Unternehmen entsprechen, indem sie etwa Schnittstellen zu herkömmlichen Personalverwaltungsprogrammen enthalten.
aa) Institutionen
Für die Sammlung und Überprüfung der Berichte wären untersetzende, stärker unmittelbar in die Unternehmen hineinwirkende handlungsmächtige Institutionen mit dem expliziten Auftrag der Durchsetzung des Gleichstellungsgesetzes nötig. Das können neu zu schaffende Institutionen sein oder bereits bestehende, die entsprechend in Auftrag und Ausstattung zu erweitern wären. Die Erfahrungen mit staatlichen Vollzugsbehörden in anderen Rechtsbereichen (z.B. Arbeitsschutzrecht, Umweltschutz, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) zeigen, dass der Weg zur Akzeptanz und zur Veränderung mehrdimensional in dem staatlichen Institutionsgefüge selbst angelegt sein muss. Es geht um die Aufsicht (Beratung und Unterstützung verbunden mit Kontrolle durch Informationsrechte und Zugang ins Unternehmen), die Durchsetzung der Berichtspflichten, die Formulierung von Handlungsgeboten an die Unternehmen zur Beseitigung von Mängeln und schließlich um positiv reagierende Maßnahmen bei Rechtstreue und Erfolg oder, gegebenenfalls, die Sanktionierung (Strafanzeige, Bußgelder). Antidiskriminierungsstellen auf Länderebene bieten sich an, die auch die stärksten Träger*innen eines Verbandsklagerechts sein könnten.
Das sind allerdings nicht die einzigen Institutionen, die in Frage kommen, diskriminierungsfreie Unternehmenskulturen durchzusetzen. Die Unternehmen könnten sich beispielsweise auch um eine Zertifizierung oder um ein Audit bemühen, wonach ihnen bestätigt wird, dass sie sich in effektiver Weise um eine solche Unternehmenskultur bemühen. Auditierungen und Zertifizierungsverfahren können durchaus durch privatwirtschaftlich tätige Unternehmen durchgeführt werden, soweit sie selbst durch eine staatliche Stelle dafür zertifiziert worden sind. Auf ihre diskriminierungsfreie Ausgestaltung kommt es entscheidend an.[75]
bb) Unterstützung der Unternehmen bei der Umsetzung des Gesetzes
Großunternehmen mögen Expertise und Erfahrungswissen zu Gleichstellungsfragen zukaufen und sogar bei sich fest installieren können. Jene Unternehmen, denen diese Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, dürfen in ihrem Bemühen, Gleichstellungsstrategien zu entwickeln, nicht allein gelassen werden. Es bedarf durchaus spezieller Kenntnisse und auch eines Erfahrungsaustausches über Probleme und ihre Lösungen, um die konkreten Diskriminierungsstrukturen festzustellen und Abhilfemöglichkeiten zu entwickeln und umzusetzen. Begleitend zu den Verpflichtungen der Unternehmen in einem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft muss auch festgelegt werden, welche gesellschaftlichen und wirtschaftsnahen Institutionen den Unternehmen hilfreich zur Seite stehen können. Sie könnten das unternehmerische wie auch das öffentliche Bewusstsein schärfen, die Kompetenzentwicklung bei den Unternehmen fördern und ggfs. bei der Implementierung praktische Hilfestellung leisten.
Dasselbe gilt, wenn aus den Berichten der Unternehmen deutlich wird, dass sie die angestrebten Ziele durch ihre Gleichstellungsmaßnahmen nicht erreicht haben. Bevor deshalb sanktioniert wird, müssen zunächst Nachbesserungen und Abhilfen verlangt werden, die zu benennen wiederum diese Kompetenz zur Voraussetzung wie zur Folge hat. Unterstützung geht vor Sanktion, aber die Annahme der Unterstützung bedarf auch des Drucks einer drohenden Sanktion.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat zurzeit nicht die Ressourcen, um einzelne Unternehmen zu deren Gleichstellungsstrategien zu beraten und individuell zu unterstützen. Ihre Aufgabenstellung und Ausstattung müssten daher um übergreifende, allgemeine Formen der Unterstützung, z.B. durch Veröffentlichung von Beispielen guter Praxis oder durch Bereitstellung von anwendungsgerechten Instrumenten in allgemein aussagefähiger Form, erweitert werden. Hinzukommen müssten Antidiskriminierungsstellen auf der Ebene der Länder, auch auf der Ebene jedenfalls der größeren Kommunen, die wiederum untereinander und mit der des Bundes ein Netzwerk bilden müssten. Vor allem aber müssen weitere staatliche Institutionen, wie es etwa mit der Bundesstiftung Gleichstellung geschehen ist, geschaffen und entsprechend ausgestattet werden. Dabei ist vor allen Dingen daran zu denken, dass eine räumliche Nähe zu den Unternehmen, die beraten und unterstützt werden sollen, hilfreich ist.
Diese Nähe haben die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Sie sind Zwangskörperschaften in Selbstverwaltung der Unternehmen und haben als solche eine unbestrittene Autorität.[76] Sie vertreten die Interessen der Unternehmen im politisch-öffentlichen Raum und wirken meinungs- und bewusstseinsbildend. Für die Mitgliedsunternehmen stellen sie Angebote von Information, Beratung und Fortbildung sowie für positive Öffentlichkeitsdarstellung bereit. Gesetzlich vorgesehen ist, dass den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern dazu neue staatliche Aufgaben übertragen werden können. Schon heute haben die Industrie- und Handelskammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks, einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, wahrzunehmen. Dazu gehören auch die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Geschlechtergerechtigkeit ist integraler Bestandteil der nachhaltigen Entwicklung. Durch die Bildung von Arbeitskreisen oder Arbeitsgemeinschaften sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene können Behörden und Ministerien durch Vorschläge, Gutachten und Berichte der Kammern unterstützt werden. Mit den entsprechenden finanziellen Mitteln und der Personalaufstockung können darüber hinaus Umsetzungs- und Beratungsmöglichkeiten gebildet werden, die die einzelnen Unternehmen in ihren Bestrebungen unterstützen und begleiten.
Wichtige Unterstützer*innen der betrieblichen Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes in den Unternehmen vor Ort können auch kommunale Frauenbüros und Gleichstellungsstellen und andere entsprechende staatliche Einrichtungen sein, zur Unterstützung auf regionaler und lokaler Ebene auch die regionale Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung. Diese – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – genannten Institutionen haben wichtige Unterstützungsfunktonen, wenngleich sie keine Durchsetzungsmacht haben. Trotzdem darf ihre Bedeutung nicht kleingeredet werden, sondern sie müssen wertgeschätzt und gestärkt werden.
Das erfordert auch eine konstruktive Auseinandersetzung über die Prämissen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Vielfalt, Diversity, Intersektionalität und Frauenförderung. Die bestehenden, breit in die Privatwirtschaft hinein beispielgebenden Initiativen zum Diversity Management (z.B. Charta der Vielfalt) und andere Bemühungen um gute Unternehmenskultur werden nicht als Konkurrenz zu dieser Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes gesehen, die ja ausdrücklich intersektional angelegt ist. Gender und Diversity sollten z.B. in der Personalpolitik in einem gemeinsamen Ansatz adäquat gewichtet und umgesetzt werden, sonst verfehlt Diversity Management auch seine eigenen Ziele. D.h., die institutionalisierten Akteur*innen von Diversity/Vielfalt können die Umsetzung der vom Gleichstellungsgesetz geforderten Handlungsverpflichtungen bei ihren Zielen, Aufgaben und Aktionen einbeziehen.
cc) Positive Reaktionen und negative Sanktionen
Um die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen zu gewährleisten, muss das Gleichstellungsgesetz auch Sanktionen vorsehen. Zu bevorzugen sind positive staatliche Reaktionen für diejenigen Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten und Erfolge bei der Herstellung einer diskriminierungsfreien Unternehmenskultur aufweisen. Es sind verschiedene Ansatzpunkte vorstellbar, die hier nicht alle im Einzelnen ausformuliert werden können. Sie reichen positiv von einer Auditierung über steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Erleichterungen und negativ über Bußgelder bis zum Beihilfe- und Vergaberecht.
Erste Anhaltspunkte für die Ausgestaltung im Vergaberecht können den §§ 22 und 24 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes entnommen werden, die Rechtsfolgen für Verletzungen von Selbstregulierungspflichten festschreiben. Passgenaue positive wie negative Reaktionen bieten sich durch eine Verzahnung von noch zu konkretisierenden (Berichts-)Pflichten im novellierten Entgelttransparenzgesetz mit zugleich erfolgenden Änderungen im Vergaberecht an. Die notwendigerweise einzuhaltenden Verpflichtungen von Unternehmen bei der Auftragsausführung sollten um den Grundsatz des gleichen Entgelts ergänzt werden.[77] Diese Möglichkeit wird in der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) bereits ausdrücklich benannt, vgl. § 24 ETRL. Bei Nichteinhaltung dieses Grundsatzes können öffentliche Auftraggeber Unternehmen von der Auftragsvergabe ausschließen.[78]
Ein hilfreicher Durchsetzungsmechanismus sowohl als positive als auch als negative Reaktion auf das Verhalten der Unternehmen in Bezug auf Gleichstellung würde darin liegen, wenn der Staat – vom Bund bis hinunter zu den Kommunen – in seiner Rolle als Auftraggeber schon bei der Bewerbung von Unternehmen um Aufträge verlangt, dass sie schriftlich erklären und nachweisen, dass sie die Handlungspflichten aus einem Gleichstellungsgesetz erfüllen, also rechtstreu sind. Subunternehmer bzw. Nachunternehmer müssten entsprechend in die Erklärungspflicht einbezogen werden. Ist das Unternehmen auditiert oder zertifiziert oder hat eine vom Staat dafür vorgesehene entsprechende Bestätigung, würde die Einhaltung der Gleichstellungspflichten vermutet. Wahrheitswidrige Erklärungen sind sanktionsbewehrt. Dieselben Grundsätze müssten angewandt werden bei der Vergabe von Beihilfen der Kommunen, Länder und des Bundes. Unternehmen, die eine Rechtstreueerklärung bzw. einen vergaberechtlichen Nachweis nicht abgeben können oder wollen, würden von der Vergabe öffentlicher Aufträge und Beihilfeleistungen ausgeschlossen.
2. Besonderheiten zur Durchsetzung für kleine Unternehmen
Aktivitäten von Politik, Öffentlichkeit und aus der Wirtschaft selbst können in verschiedener Weise öffentliche Transparenz herstellen und, indem sie regional die Bekanntheit und das Ansehen kleiner Unternehmen beeinflussen, zur Durchsetzung beitragen. Beispielsweise sind kleine und mittlere Unternehmen nicht verpflichtet, die oben genannten Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Dennoch besteht ihrerseits schon aus Gründen der Rechtssicherheit ein Interesse an insoweit einheitlichen Vorgaben: Zum einen, weil sie möglicherweise aus geschäftsstrategischen Gründen freiwillig berichten möchten, zum anderen, weil sie als Vertragspartner von großen Unternehmen von diesen vertraglich zur Preisgabe einschlägiger Information verpflichtet werden. Auf internationaler Ebene wurden daher bereits freiwillige Berichtsstandards für kleine und mittelständische Unternehmen vorgeschlagen.[79] Diese beinhalten auch Gleichstellungsaspekte, namentlich Angaben über geschlechtsspezifische Diversität im Unternehmen.
Auch für kleine Unternehmen verlangt das Gleichstellungsgesetz deshalb eine Berichterstattung. Der Bericht sollte (ergänzend zur vereinfachten Bestandserhebung) digital erstellt werden mittels einer Checkliste in Form eines kurzen Fragenkatalogs, mit dem auch qualitative Aspekte von Gleichstellungsorientierung und -förderung im Unternehmen sichtbar gemacht werden können. Die Entwicklung und Zertifizierung solcher Berichts-Tools sollte in gleicher Weise wie bei den Analyse-Tools (Bestandserhebung) stattfinden. Die Berichterstattung sollte für Drei-Jahres-Perioden erfolgen und für kleine Unternehmen bis unter 100 Beschäftigte freiwillig, ab 100 verpflichtend sein.
Die Industrie- und Handelskammern (oder eine andere vom Staat dazu bestimmte Institution) registrieren, welche der kleinen Unternehmen freiwillig der Berichtspflicht nachgekommen sind, und nehmen Evaluierungen für das Gesamtbild[80] vor, um Hinweise auf weitere erforderliche Durchsetzungsmaßnahmen zu erhalten. Sie schaffen hier Transparenz in vergleichbarer Weise, wie sie es für die Aktivitäten und Defizite unternehmerischen Handelns im System der beruflichen Bildung tun.
Die Konzeption verzichtet bei den kleinen Unternehmen unter 100 Beschäftigten auf Bußgelder. Das Interesse an der Abgabe aussagefähiger Berichte über Gleichstellungsmaßnahmen sollte aber ebenfalls über entsprechend formulierte Anreize in den Vergaberegelungen durchgesetzt werden.
3. Kriterien effektiver Durchsetzung
Nachfolgend werden die Kriterien benannt, die erfüllt sein müssen, wenn eine effektive Gleichstellungspolitik in den Unternehmen umgesetzt und schließlich das Ziel einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur erreicht werden soll:
- die Erhebung von Daten über den Ist-Zustand der Gleichstellung in den Unternehmen und, in bestimmten Abständen, deren Veränderung durch zu beschließende und umzusetzende Maßnahmen und zwar mittels zertifizierter digitaler Instrumente, die eine digitale Überprüfung zulassen und bei Verdacht auf Falschangabe eine menschliche Überprüfung ermöglichen
- die Analyse dieser Daten, um Diskriminierungsstrukturen aufzudecken und die notwendigen Maßnahmen in den einzelnen Handlungsfeldern zu erkennen
- die verbindliche Festlegung von Gleichstellungsstrategien, Gleichstellungsmaßnahmen und die Verortung der Verantwortlichkeiten für die Umsetzung des Gleichstellungsprozesses
- das Monitoring der Veränderungsprozesse im Unternehmen selbst
- institutionalisierte Angebote zur Unterstützung des Gleichstellungsprozesses in den Unternehmen; gegebenenfalls auch Kostenentlastungen oder Kostenübernahmen
- Berichtspflichten der Unternehmen an Institutionen außerhalb des Unternehmens, die, unter Verwendung digitaler Instrumente, die Daten der Bestandsaufnahmen, die beschlossenen Maßnahmen zur Beseitigung von Defiziten und deren Erfolge bzw. Misserfolge enthalten müssen
- Überprüfbarkeit und Überprüfung dieser Berichte durch staatliche bzw. vom Staat beliehene Institutionen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft, gegebenenfalls mit der Aufforderung zu Nachbesserungen und Abhilfe
- Ausbau des kollektiven Rechtsschutzes gegen Umsetzungsdefizite
- positive Reaktionen auf erfolgreiche Gleichstellungspolitiken in den Unternehmen, seien es Auditierungen, Zertifikate, Steuererleichterungen, Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Beihilfen
- Sanktionen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen, seien es staatliche Ordnungsmaßnahmen und Bußgelder in verhaltensändernder Höhe, seien es Folgen des Vorgehens von Akteur*innen der Zivilgesellschaft, zum Beispiel von Gewerkschaften
Keine der hier aufgezählten Durchsetzungsmaßnahmen ist für sich allein geeignet, Rechtstreue bei den Unternehmen zu erzeugen. Regelungen, die diesen Kriterien in welcher Form auch immer entsprechen, bieten jedoch eine gewisse Gewähr dafür, dass die vom Gesetz intendierte Gleichstellungspolitik von den Unternehmen aktiv vorangebracht wird. Es liegt nahe, dass – je nach Handlungsfeld – für die Gleichstellungsmaßnahmen unterschiedliche Formen der Durchsetzung besonders effektiv sein können. Dazu werden innerhalb der Ausführungen zu den Handlungsfeldern entsprechende Überlegungen angestellt.
IX. Zusammenfassung
Die Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft will der im Grundgesetz garantierten Gleichberechtigung der Geschlechter auch in der Erwerbsarbeit zum Durchbruch verhelfen. Die Regulierungen sollen die Verwirklichungschancen von Frauen und nichtbinären Personen sicherstellen, unabhängig von sozialer Herkunft, Alter, Bildung und Qualifikation, Ethnie, Gesundheit und davon, in welcher Lebenslage sie sich befinden. Dies ist möglich, wenn die oft verdeckt bleibenden diskriminierenden Strukturen in der Erwerbsarbeit abgelöst werden durch eine geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Unternehmenskultur.
- Als Steuerungsverfahren zur Erreichung dieses Ziels bedient sich die Konzeption der regulierten Selbstregulierung. Diejenigen, die die Unternehmenskultur prägen und maßgeblichen Gestaltungseinfluss haben, werden gesetzlich verpflichtet, diskriminierende Strukturen aufzudecken und eigenverantwortlich, aber verbindlich, Gleichstellungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen – also selbst zu regulieren.
- Die Konzeption sieht, je nach Regulierungsdruck, unterschiedlich konkrete Handlungsverpflichtungen für die vier Handlungsfelder "Personalstruktur und Personalentwicklung", "Entgeltgleichheit", "Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz" sowie "Arbeitszeit und Vereinbarkeit der Lebensbereiche" vor, die weitgehend eigenständig in den Unternehmen durch passgenaue Gleichstellungsstrategien zu konkretisieren und realisieren sind.
- Das Gleichstellungsgesetz gibt nicht nur Rahmen, Verfahren und Bedingungen vor, sondern sichert auch die Durchsetzung. Die Konzeption schafft eine öffentliche Kontrollmöglichkeit durch Berichtspflichten in digitalisierter Form, die dem Staat und seinen Institutionen sowie auch zivilgesellschaftlichen Akteur*innen (beispielsweise in Form der Verbandsklage) die Möglichkeit geben, die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen und die Fortschritte in der Gleichstellungspolitik der Unternehmen zu überprüfen und gegebenenfalls verstärkend einzuwirken. Zur weiteren Durchsetzung bevorzugt die Konzeption positive Reaktionen wie Auditierungen, Zertifizierungen und weitere sozial- und steuerrechtliche Erleichterungen für rechtstreue Unternehmen. Dabei bezieht sie insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung mit ein. Jedoch sind auch Sanktionen vorgesehen und nötig, von Bußgeldern bis zum Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und Beihilfen.
2. Teil: Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen
Machen sich Unternehmen, Tarifparteien und Mitbestimmungsorgane auf den Weg, in den von ihnen geführten oder mitbestimmten Unternehmen Diskriminierungsfreiheit zu erreichen, gibt ihnen der folgende Teil allgemeine (I.) sowie auf die vier relevanten Handlungsfelder zugespitzte Handlungshinweise und -empfehlungen an die Hand (II.). Sie operationalisieren bereits die im Rahmen der Gesetzeskonzeption aufgestellten normativen Forderungen für die betriebliche Ebene.
I. Allgemeine Handlungshinweise für Unternehmen
1. Entwicklung eines gleichstellungspolitischen Selbstverständnissea
a) Gleiche Verwirklichungschancen
Das Handeln der Unternehmen sollte dem Maßstab folgen, allen Beschäftigten mit ihren unterschiedlichen Modellen der Lebensgestaltung die gleichen Verwirklichungschancen einzuräumen. Sie sind die Voraussetzung, dass die in Art. 3 Abs. 2 GG garantierte Gleichstellung von Frauen und Männern auch tatsächlich gelebte Lebenswirklichkeit werden kann. „Wahlfreiheit“ allein reicht somit nicht aus; es muss vielmehr auch realistische Möglichkeiten geben, eine Wahl ohne langfristig negative Folgen zu verwirklichen.[81] Ob gleiche Verwirklichungschancen gegeben sind, kann nur an einer möglichst gleichmäßigen Beteiligung und Betroffenheit der Geschlechter in allen Bereichen gemessen werden. Numerisch gleiche Geschlechterrelationen sind eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt. Diese muss auch qualitative Aspekte einer diskriminierungsfreien Erwerbstätigkeit einbeziehen, wie z.B. die Beseitigung von Geschlechterrollenstereotypen und Sexismus am Arbeitsplatz.
Gleiche Verwirklichungschancen sind Voraussetzung dafür, dass Frauen ihre Existenz eigenständig sichern und wirtschaftlich unabhängig leben können – mit oder ohne neben der Erwerbsarbeit zu erbringende unbezahlten Sorgearbeit. Auch Männer, die den noch dominanten Vorstellungen von Männlichkeit nicht entsprechen wollen, profitieren von dem Ziel dieses gleichstellungspolitischen Ansatzes.
b) Auswirkung unternehmerischer Entscheidungen auf Gender Gaps
Der Zweite Gleichstellungsbericht stellt heraus, dass die statistisch nachweisbaren Unterschiede in der Lebensrealität von Frauen und Männern, genauso wie die von aktuellen Studien belegten Diskriminierungen nichtbinärer Personen am Arbeitsmarkt[82], Indizien dafür sind, dass Gleichstellung im Sinne verwirklichter Lebensplanungen noch nicht erreicht ist.[83] Maßgebliche Indikatoren sind der Gender Pay Gap sowie der Gender Care Gap.[84] Letzterer zeigt den unterschiedlichen Zeitaufwand, den Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit – wie zum Beispiel die Betreuung und Pflege von Kindern und Erwachsenen sowie sämtliche Arbeiten im Haushalt und Garten – aufbringen. Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern und Unterschiede in der Zeitverwendung haben ihre Ursache in einem Wechselspiel aus privaten Entscheidungen und den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, die diese individuellen Entscheidungen begrenzen und mit Rollenbildern lenken. Geringere Löhne, Arbeitsverträge mit geringerem Schutz, belastende Arbeitsbedingungen und schlechtere Aussichten auf erfolgreiche Karriereverläufe von Frauen wirken sich auch auf ihre Erwerbsentscheidungen aus. Die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes für gleiche oder gleichwertige Arbeit und die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe insbesondere von Frauen und Männern am und im Arbeitsleben können dazu führen, dass sich Präferenzen ändern. Hier setzen Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen an.
2. Diverse und intersektionale Ausrichtung unseres Geschlechterbegriffs
a) Vielfalt von Geschlecht
Die Handlungshinweise sollen die Zementierung von Ungleichheitsstrukturen vermeiden, wie sie zB. in rein betriebswirtschaftlich motivierten „Diversity“-Politiken droht. Vielmehr zielen sie darauf, geschlechtsbezogene Diskriminierungen von Frauen und nichtbinären Personen durch betriebliches Handeln zu beseitigen und gleiche Verwirklichungschancen auch für die bislang benachteiligten Geschlechter zu sichern. Es geht also darum, festzustellen, wie Unterschiede, Benachteiligungen und Ausschlüsse gemacht sind, wie also im Sinne eines doing gender Identitäten aktiv sozial hergestellt werden und zu benachteiligenden Ausschlüssen führen. Wir verwenden einen Geschlechterbegriff, der Geschlecht in seiner sozialen Dimension erfasst, also auch und hier insbesondere, wie Geschlechterrollen durch Unternehmenspolitiken festgeschrieben werden.
b) Intersektionalität
Frauen und nichtbinäre Personen werden hier nicht als homogene Gruppen begriffen, sondern in ihrer Vielfalt wahrgenommen. Damit die Handlungshinweise möglichst viele Frauen und nichtbinäre Personen erfassen, sind sie intersektional ausgerichtet. Sie nehmen nicht nur die Diversität von Geschlecht in den Blick, sondern auch innerhalb der Kategorie Frauen die unterschiedlichen Lebensrealitäten etwa von älteren Frauen, Frauen mit Behinderung, migrantische/migrantisierte Frauen[85], prekär arbeitende Frauen oder Frauen ohne Ausbildung und erfassen damit alle Dimensionen der Ungleichbehandlung in der Erwerbsarbeit. Denn Ungleichheitsverhältnisse treten nur selten eindimensional, isoliert und situativ begrenzt auf, sondern, wie schon von § 4 AGG erfasst, „wegen mehrerer Gründe“. Regelmäßig sind mehrere Differenzierungskategorien wie vor allem Geschlecht, Klasse, soziale Herkunft, Behinderung und „Rasse“ miteinander verwoben und können in ihren Überschneidungen zu einer Potenzierung und nicht auf einzelne Differenzen zurückführbaren Diskriminierung führen.[86] Internationale Studien belegen, dass von rassistischem Verhalten betroffene Frauen auf dem Arbeitsmarkt deutlich mehr benachteiligt werden.[87] Solche Diskriminierungserfahrungen dürfen nicht hierarchisiert und gegeneinander ausgespielt werden.
c) Berücksichtigung nichtbinärer Personen
Sehen Gleichstellungsmaßnahmen im Unternehmen vor, dass Angehörige einer von Diskriminierung bedrohten Gruppe in bestimmter Weise oder in bestimmter Höhe berücksichtigt werden müssen (Quoten), sind auch nichtbinäre Personen einzubeziehen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder können sie sich alleine nach ihrer Wahl für den Zweck der Quotierung entscheiden, ob sie der Gruppe der Männer oder der Frauen zugeordnet werden möchten. Sie können sich auch keinem der beiden Geschlechter zuordnen, wodurch sie jedoch aus Quotenregelungen herausfallen würden. Oder sie können sich, als eigenständige Gruppe, für die Zwecke der Quotierung immer der Gruppe der Frauen anschließen, da Frauen strukturell die benachteiligte Gruppe sind.
3. Verantwortung in den Unternehmen
Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen zu erreichen verlangt einen top-down-Prozess, unabhängig davon, wer die Forderung formuliert oder beschlossen hat, dass dieser Weg gegangen werden soll. Gegen den Widerstand oder ein Desinteresse der Unternehmensführung werden Bemühungen trotz aller großen Anstrengungen regelmäßig im Sande verlaufen.
Die Zuständigkeit für die konkrete Formulierung und Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen muss im Unternehmen unter den Kriterien „Kompetenz“ und „Zweckmäßigkeit“ festgelegt werden. Das können beispielsweise die Personalabteilung, einzelne Personen oder eine Koordinierungsstelle für das Gleichstellungsmanagement sein, die immer jedenfalls berichtspflichtig an die Führungsebene sind. Unternehmensgrundsätze und Regeln sind als klare Ansagen und konkrete Handlungsanweisungen orientierungsstiftend und hilfreich. Sie beziehen sich auf geschlechtergerechtes Führungsverhalten, Teamarbeit und Konfliktmanagement.
Die Entwicklung von Gleichstellungsstrategien und die Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen betrifft die Belegschaft unmittelbar. Daher müssen bei Entwicklung, Steuerung der Umsetzung sowie der innerbetrieblichen (Selbst-)Kontrolle die innerbetrieblichen Akteur*innen eingebunden werden. Bereits jetzt ist die Etablierung einer internen Anlauf- und Beschwerdestelle für Beschäftigte, die von Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts betroffen sind, verpflichtend. In KMU wird eine Persönlichkeit zu suchen und beauftragen sein, die von den Beschäftigten als Vertrauensperson mit persönlicher Integrität anerkannt wird. Ferner kann es hilfreich sein, eine Gleichstellungs-, Diversity- oder Vielfaltsbeauftragte zu schaffen, sofern sie mit effektiven Kompetenzen (zB. direkter Zugang zur Unternehmensspitze und zu relevanten Gremien einschließlich des Betriebsrates) und den erforderlichen Ressourcen (z.B. personeller Art) ausgestattet ist (in KMU als Erweiterung der Aufgaben des/der Personalzuständigen). Die Einrichtung übergreifender Gremien (zB. Gleichstellungsausschuss), mit Beteiligung des Betriebsrates, könnte ebenfalls anvisiert werden (in KMU zB. Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die hierarchie- und/oder bereichsübergreifend besetzt ist), da ein solches betriebliches, im Querschnitt der Unternehmensbereiche besetztes Gremium bedeutungsvolle Erkenntnisse beitragen kann. Digitalisierte Verfahren dürfen diese Beteiligung nicht ersetzen, sondern müssen im Gegenteil durch hinreichende Beteiligung und Transparenz überprüfbar sein. Die Schaffung einer internen Gleichstellungsplattform für die interne digitale Kommunikation und Sensibilisierung für Gleichstellungsthemen wäre eine – auch in KMU flexibel realisierbare – Möglichkeit. Ein „Algorithmic Responsibility Codex“ schreibt die Nutzungs- und Verantwortungskriterien fest, um im Sinne einer "Digital Responsibility" diskriminierungsrechtlich relevante Auswirkungen des Einsatzes digitaler Tools im Blick zu behalten.
Gender Compliance Management kann so weit gefasst werden, dass auch die Außendarstellung der Unternehmenskultur im Hinblick auf Diskriminierungsfreiheit dazu gehört: als Bekenntnis,[88] vor allem aber durch Verbreitung tatsächlich erreichter Veränderungen. Das trägt zur Selbstbindung und Vermeidung von Rückschritten bei. Die Instrumente wären vielfältig: auf der Website des Unternehmens, in der Kommunikationswelt der Social Media; im Rahmen von Imagemaßnahmen wie z.B. Sponsoring, Social Day für Unternehmen, bei Teilnahme an Wettbewerben wie Better Workplace, Charta der Vielfalt usw.; beim Sponsoring, Girl`s Day und Social Day. Vieles davon ist auch für KMU umsetzbar.
4. Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung
Der Weg zu diskriminierungsfreien Unternehmen ist umso erfolgreicher, je mehr er von den Beschäftigten und insbesondere ihrer betrieblichen Interessenvertretung getragen und begleitet wird. Schon das geltende Arbeitsrecht gibt den Betriebsräten eine Verantwortung für die Gleichstellung in den Unternehmen. Diese können und sollten sie verstärkt wahrnehmen. Die Unternehmen selbst profitieren von der Sachkenntnis und der Vermittlung der Betriebsräte in hohem Maße.
Auch Betriebsräte müssen allerdings für sich selbst – in eigener Verantwortung – Gleichstellungsstrategien entwickeln, also nicht nur in Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte für das Unternehmen, sondern auch, um ihre eigene Verfasstheit, ihre Verfahrensweisen, ihre Schwerpunktsetzungen und Festlegungen von Verantwortlichkeiten in Bezug auf Geschlechterungleichheiten kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren. Das betrifft zunächst organisatorische Aspekte, wie zB. die zeitliche Lage von Sitzungen, hohe Anforderungen an zeitliche Verfügbarkeit und Mobilität, und schließlich auch die Rahmenbedingungen wie zB. Kinderbetreuungseinrichtungen. Denn für Frauen bedeutet Betriebsratsarbeit oft Dreifachbelastung, die nicht oder nur schwer mit Sorgeverpflichtungen zu vereinbaren ist. Das immer noch weit verbreitete Überwiegen von traditionellen Geschlechterarrangements bei Betriebsräten[89] macht es schwer, Sensibilität für die diskriminierenden Strukturen im eigenen Gremium und Abhilfemöglichkeiten zu entwickeln. Beratung und Unterstützung auch und gerade durch Gewerkschaften können dazu beitragen, über die gesetzlich garantierte Mindestbeteiligung von Frauen in der betrieblichen Interessenvertretung hinaus eine veränderte Betriebsratskultur zu schaffen, die auf Teamarbeit setzt, auf offene und transparente Diskussionen und schließlich auf Mentoring, mit dem Ziel, mehr Frauen für die Mitarbeit auch und gerade bei der Formulierung der Gleichstellungspolitik des Unternehmens zu gewinnen und auch Spitzenpositionen zu übernehmen. So kann es gelingen, dass das anspruchsvolle Tagesgeschäft der Betriebsräte, namentlich Arbeitszeitgestaltung, Beschäftigungssicherung, Mitgestaltung von Transformations- und Digitalisierungsprozessen, nicht mehr wie bisher als geschlechtsneutral gesehen wird, sondern immer auch als Geschlechterpolitik.[90]
5. Betriebliche Stufen auf dem Weg zur Diskriminierungsfreiheit im Unternehmen
a) Bestandsaufnahme
Die erste Stufe auf dem Weg zu einem diskriminierungsfreien Unternehmen ist, eventuell vorhandene diskriminierende Strukturen zu ermitteln. Dafür sind Mechanismen auszubauen, um strukturelle Ungleichheit zu erfassen und Defizite im Erkennen von struktureller Diskriminierung zu bekämpfen.
Grundlage ist immer eine – am besten kontinuierlich fortzuschreibende – statistische Bestandsaufnahme der Beschäftigtenstruktur, die gemeinsam mit dem Betriebsrat und, soweit bereits eingerichtet, der Gleichstellungsbeauftragten und entsprechenden Gremien vorzunehmen ist. Um die Entwicklung deutlich zu machen, sollten sich die Daten auf das aktuelle Jahrsowie die zwei zurückliegenden Jahre beziehen. Die Bestandsaufnahme ist mindestens jährlich zu wiederholen, wobei die Zeitabstände für kleine Unternehmen länger sein können. Die zweite und jede nachfolgende Bestandsaufnahme wird anders aussehen als die vorangegangenen; auf jeden Fall werden sie einfacher sein, weil die Aktualisierung der Daten gegenüber der Erhebung beim ersten Mal einen geringeren Ressourceneinsatz benötigt.
Die Bestandsaufnahme dient dem Unternehmen dazu, diejenigen Basisinformationen zu gewinnen, die notwendig sind, um sich Klarheit über bestehende Gleichstellungsdefizite innerhalb des Unternehmens zu verschaffen. Die Daten bilden darüber hinaus die Grundlage für die Entwicklung einer Gleichstellungsstrategie, das Controlling und die Zielanpassung eines effektiven betrieblichen Gleichstellungsmanagements. Denn wenn Gleichstellungskonzepte praktisch umgesetzt werden, kann die im Zeitverlauf wiederholte Bestandsaufnahme die eingetretenen Veränderungen im Hinblick auf durchgeführte Gleichstellungsmaßnahmen benennen und bewerten.
Es kommt auf die konkreten Gegebenheiten im Unternehmen an, ob es genügt, die statistische Bestandsaufnahme im Gesamtunternehmen durchzuführen, oder ob es notwendig ist, dies zusätzlich getrennt in den einzelnen Standorten und Betrieben des Unternehmens zu erheben.
aa) Erfassungsdaten
Für die Bestandaufnahme werden Daten über die Anzahl der Beschäftigten erhoben, differenziert jeweils nach den Geschlechtern in den verschiedenen Beschäftigungsbereichen, Tätigkeiten, Funktionen und Verantwortungsstufen innerhalb der Unternehmenshierarchie, sowie ihren jeweiligen Arbeitszeitvolumina, ihrer Zuordnung in das betriebliche Entgeltsystem und die Verdienste aufgeschlüsselt nach Geschlecht für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten. Des Weiteren sind der Anteil von Frauen und nichtbinären Personen auf allen Führungsebenen sowie die arbeitsvertraglichen Bedingungen, unter denen die Beschäftigten tätig sind, zu ermitteln. Zu erfassen sind auch die Auszubildenden, getrennt nach den Geschlechtern, in den verschiedenen Ausbildungsberufen.
Ein digitales und geschlechter- und intersektional sensibles Instrumentarium ist geeignet, die Strukturen von Ungleichheit in den Betrieben abzubilden und in ihrem Ausmaß zu erfassen. Es liefert die Grundlagen für eine datengestützte Gleichstellungsberichterstattung, die Entwicklung von gleichstellungspolitischen Leitindikatoren und Zielvorgaben. Damit herrschende Geschlechterverhältnisse und stereotype Benachteiligungsstrukturen in den Betrieben sichtbar werden und nicht vertiefend durch Algorithmen verschleiert werden, ist es unabdingbar, dass nur solche digitalen Tools für die Bestandsaufnahme verwendet werden, die unter Heranziehung eines soziotechnischen Ansatzes entwickelt worden sind. Das bedeutet konkret, dass sowohl Datenerfassungen und Datenauswertungen, als auch die Datenauswertungskriterien und Problemstellungen für algorithmische Datenaufbereitungen geschlechterkompetent und frei von geschlechterstereotypen Vorentscheidungen sind. Auch die datenschutzrechtliche Ausgestaltung muss die besondere Vulnerabilität diskriminierungsgefährdeter Beschäftigten berücksichtigen. Für die Bestandsaufnahme sind daher ausschließlich zertifizierte Verfahren geeignet, die frei von Diskriminierung sind und sicherstellen, dass alle gleichstellungsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden.
bb) Erfassung von Daten zur Intersektionalität
Die Berücksichtigung intersektionaler Betroffenheit von Beschäftigten stellt für die Datenerhebung ein Problem dar, denn sie setzt eine breite Datengrundlage voraus. Zurzeit verfügen Unternehmen nur über Daten von den Beschäftigten wie Namen und Adresse, Geschlecht, Alter, Nationalität, Geburtsort und, aus steuerlichen Gründen, Familienstand und Steuerklasse. Das sind schon entscheidende Daten, um intersektionale Verschränkungen von Geschlecht und Alter oder Familienstand in den Gleichstellungsstrategien zu berücksichtigen. Fraglich ist, welche zusätzlichen Daten wie zur Verfügung stehen müssten, um den intersektionalen Ansatz umfassend umzusetzen. Es müssten dann zumindest die weiteren anerkannten Diskriminierungsmerkmale des AGG erhoben werden, aber darüber hinaus auch Daten über andere benachteiligende Merkmale wie zum Beispiel Herkunft, Klasse, Schichtzugehörigkeit, Bildungsbenachteiligung. Würden Arbeitgeber*innen über diese Daten verfügen, wäre das allerdings problematisch. Nach geltendem Recht ist eine Einordnung als Mensch mit Behinderungen freiwillig, vergleichbares gilt für „divers“. Und das ist auch gut so: Beschäftigtendatenschutz – und zwar sowohl im Hinblick auf das Verhalten von Mitarbeiter*innen als auch deren persönliche Daten – verfolgt keinen Selbstzweck.
Nicht-anonymisierte Daten, die eine intersektionale Positionalität nahelegen, bergen das erhöhte Risiko einer Viktimisierung und Diskriminierung der betroffenen Beschäftigten. Daten zu Diskriminierungskategorien können zudem, ähnlich wie dies für Bevölkerungszählungen problematisiert wird, zu einer (erneuten) Konstruktion und Festschreibung von Gruppen beitragen. Dies birgt die Gefahr, dass Ungleichbehandlungen aufrechterhalten werden. Offenbarungs- oder Auskunftspflichten für die Beschäftigten über die Betroffenheit von Diskriminierungsmerkmalen darf es daher nicht geben. Gleichfalls verbietet sich eine entsprechende Markierung in den Personaldaten der Unternehmen aufgrund des Anscheins, seien es Aussehen, Name, Geburtsort, Verhalten oder dergleichen. Gläserne Beschäftigte dürfen keinesfalls die Voraussetzung für eine intersektional angelegte Gleichstellungspolitik im Unternehmen sein. In Wissenschaft und Praxis wird deshalb kontrovers diskutiert, ob überhaupt mehr Daten erfasst werden sollten. Zugleich macht die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf das Fehlen von Daten zu intersektionaler Diskriminierung in Deutschland zur passgenauen Intervention und Prävention aufmerksam.[91]
Angesichts dieser Problematik erscheint es ratsam, nach den Anknüpfungspunkten der Strategien zum Abbau von Diskriminierung zu unterscheiden. Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen können sich zum einen auf die Förderung von konkreten, intersektional positionierten Beschäftigten beziehen oder zum anderen auf Strategien ausgerichtet sein, mit denen systematisch Diskriminierungsstrukturen abgebaut werden.
Für die erste Variante – die Adressierung an eine individuelle diskriminierte Person – muss gelten: Selbstverständlich ist es möglich, dass von Diskriminierungsstrukturen betroffenen Personen die Anonymität selbstgewählt aufgeben, etwa, um bei der Umsetzung positiver Maßnahmen bevorzugt berücksichtigt zu werden oder an solchen Maßnahmen teilzunehmen, die speziell nichtbinäre Personen oder intersektional Betroffene adressieren. Eine Pflicht zur Aufgabe der Anonymität darf damit nicht einher gehen. Außerdem müsste wegen des Entfallens der Anonymität grundsätzlich eine nachfolgende Maßregelung ausgeschlossen werden. Das zu garantieren, birgt in der praktischen Anwendung allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Zudem sind an das datenschutzrechtliche Kriterium der Freiwilligkeit aufgrund der Hierarchie in Beschäftigungsverhältnissen hohe Anforderungen zu stellen.
Eine positive Bewertung der Erhebung von Daten über die Betroffenheit von Beschäftigten von intersektionalen Diskriminierungsstrukturen ist insbesondere für die zweite Variante möglich. Die entsprechende Datenerhebung durch Befragung der Beschäftigten ist ausschließlich darauf gerichtet, auf der Basis dieser Kenntnisse zielgerichtete Gleichstellungsstrategien und
-maßnahmen zu entwickeln, zu erproben und anzuwenden, die intersektionale Betroffenheit erkennen und bekämpfen. Ein solches Analysewerkzeug, ausgestattet mit den Daten, kann auch für das Monitoring, die Bewertung und etwaige Anpassungen dienen.[92] Diese Erhebung kann zunächst einer Analyse des Ist-Zustands dienen, aus der sich dann weitere Handlungsanforderungen für Unternehmen formulieren lassen.
Dafür kann allerdings nur eine Datenerhebung über externe Dienstleister*innen in Betracht kommen, weil diese die notwendige Distanz und Neutralität zur Datenlage mitbringen und so einer Missbrauchsgefahr vorgebeugt wird. Bei dem externen Dienstleister muss absolute Anonymisierung sowie Datensicherheit gewährleistet sein.
Aus informationstechnologischer Sicht wird dabei Folgendes vorgeschlagen: Die erhobenen Daten sind absolut anonymisiert (synthetisiert) in einem sog. Datatrust abzulegen. Die Ablage in einem Datatrust bedeutet, dass dort niemand Zugriff hat. Um diese Daten dann im Sinne der erweiterten intersektionalen Analyse nutzen zu können, werden die Befragungsdaten mit den Personengrunddaten in den Datatrust geladen und dort sofort hochautomatisiert mittels eines Synthetisierungsverfahrens komplett anonymisiert. Dafür könnte ein Synthetisierungsverfahren entwickelt werden, das alle relevanten Dimensionen in der Struktur der Daten erhält, jedoch keinerlei Rückschlüsse auf konkrete Personen zulässt. Nach der Erstellung der synthetisierten Daten werden die Originaldaten sofort gelöscht und alle Analysen können mit den strukturgleichen synthetisierten Daten durchgeführt werden.[93]
- Als praktisches Beispiel sei hier genannt: Die Analyse im Handlungsfeld Personalstruktur und Personalentwicklung hat ergeben, dass Männer überproportional bei Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen vertreten sind, die sich qualitativ auf Entgelt und Karriere positiv auswirken, während jüngere Frauen aus nichtakademischen Familien bestenfalls in kürzeren und qualitativ schlechteren Maßnahmen zu finden sind. Bei der Überarbeitung des Qualifizierungsangebots werden die möglichen Erfolge unterschiedlicher Veränderungen durch das Analysewerkzeug überprüft, wobei festgestellt werden kann, ob Beschäftigte mit besonderer Diskriminierungsbetroffenheit ausreichend adressiert werden oder deren spezielle Bedürfnisse und Lebenslagen nicht ausreichend berücksichtigt worden sind und welche Arten von Veränderungen (etwa eine veränderte Ansprache oder Ausrichtung der Angebote) erfolgsträchtig sein würden.
Diese Art der Verwendung intersektionaler Daten würde nicht dazu führen, dass einzelne von Diskriminierung betroffene Personen damit identifiziert werden, was allerdings auch zur Folge hat, dass sie nicht auf diese Weise individuell, sondern immer über die besonders von intersektionaler Diskriminierung betroffene „Gruppe“ adressiert werden können. Zurzeit sehen wir keine Möglichkeiten, dies zu verändern, ohne dass sich Betroffene selbst outen.
Führt ein Unternehmen mit Zustimmung des Betriebsrats eine Befragung der Beschäftigten mit Zielrichtung Intersektionalität durch, sind die Leitlinien der intersektionalen Datenanalyse zu beachten.[94] Diese Leitlinien sind allerdings für ein Vorgehen entworfen worden, das nicht die Einbeziehung eines Datatrusts berücksichtigt. Sie verlangen Folgendes:
- Die Teilnahme ist freiwillig und die Beschäftigten haben die Möglichkeit, jederzeit die Teilnahme an Befragungen abzubrechen.
- Die Befragung ist anonym. Es muss garantiert werden, dass keine Rückschlüsse von Angaben aus Befragungen und auf identifizierbare Personendaten erfolgen können, beispielsweise über das Verfahren wie oben beschrieben.
- Über den Zweck der Datenerhebung ist ausführlich zu informieren. Außerdem hat eine Aufklärung über Art, Dauer und Ort der Speicherung der erhobenen Daten zu erfolgen sowie über die Dauer und die Anforderungen der Datenerhebung. Es muss eine informierte Einverständniserklärung der Teilnehmenden vorliegen.
- Die Befragten müssen darüber hinaus die Möglichkeit haben, selbst anzugeben, als was sie sich identifizieren und dabei mehrere Identitäten sowie Diskriminierungsgründe zu nennen. Wie die kritische Auseinandersetzung mit dem im Antidiskriminierungsrecht verankerten Ausdruck „wegen“ einer Kategorie zeigt,[95] hängt Diskriminierung nicht notwendigerweise von der Selbstidentifikation ab. Denkbar ist deshalb neben der Angabe der Selbstidentifikation auch die (Wahrnehmung der) von außen zugeschriebene(n) Identität oder Gruppenzugehörigkeit. Zusätzlich sollten externe Vertreter*innen der potenziell diskriminierten Gruppen bei der Befragung sowie der Auswertung beteiligt werden.[96] Zu den Empfehlungen etwa Migrantischer Selbstorganisationen gehört, dass Befragte die Möglichkeit haben, mehrere Gruppenidentifikationen anzugeben. Auch die selbstbestimmte Angabe von Diskriminierungserfahrungsmodalitäten, Diskriminierungserfahrungsdimensionen, ob individuell, gruppenbezogen, beobachtet oder erfahren, sowie Diskriminierungsstrukturen sollte möglich sein.[97]
Dieses Verfahren, das auf Anonymität setzt, taugt nicht bei Einbeziehung eines Datatrusts. Bei diesem werden die intersektionalen Daten mit den – nicht anonymisierten – Personengrunddaten zusammengeführt und erst dann in Datatrust zur vollständigen Anonymisierung synthetisiert, ohne dass das Unternehmen jemals Personen identifizieren kann. Aus diesen Daten über Identitäten und möglicherweise erfragten Diskriminierungserfahrungen würde dann – geschützt im Datatrust – auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen die Analyse erfolgen, die Grundlage für intersektional sensible Gleichstellungsmaßnahmen sein kann.
Auch wenn die hier beschriebenen Verfahren, aus welchen Gründen auch immer, nicht angewendet werden: Die intersektionale Ausrichtung der unternehmerischen Maßnahmen darf nicht mit Verweis auf die Problematik der Erfassung tatsächlicher mehrdimensionaler Diskriminierung unterlassen werden. Im Gegenteil verpflichtet gerade die Unsichtbarkeit dieser Strukturen dazu, besondere Sensibilität, Aufmerksamkeit und besonderes Wissen auszubilden und intersektionale Diskriminierungsgefahren präventiv zu verhindern. Das bedeutet, dass selbst ohne entsprechende Datenlage die Vermutung intersektionaler Verwobenheit gilt, die entsprechend bei den Maßnahmen zu berücksichtigen ist. Die Instrumente des Gender Mainstreaming sind entsprechend weiterzuentwickeln.
b) Analyse der Erfassungsdaten
Der nächste Schritt besteht in der Analyse der Daten. Anknüpfungspunkt für die Analyse der erhobenen Daten in Bezug auf diskriminierende Strukturen ist das Geschlechterverhältnis. Der Grund liegt darin, dass bei einer gleichmäßigen Beteiligung und Betroffenheit der Geschlechter in allen Bereichen davon ausgegangen werden kann, dass allen gleichermaßen Verwirklichungschancen zur Verfügung standen. Dieser Anknüpfungspunkt ist allgemein anerkannt und Grundlage jeglicher Gleichstellungspolitiken: Liegt ein unausgeglichenes Geschlechterverhältnis in den erfragten Kategorien vor, so gilt dies als Indiz für Diskriminierungsstrukturen im Unternehmen.
Diese Einordnung beruht nicht auf der Vorstellung, dass es in der Welt erst dann geschlechtergerecht zugeht, wenn allüberall und zu jedem Zeitpunkt die Geschlechter hälftig vertreten sind. Falls es in einer schönen Zukunft gelungen sein wird, das Machtverhältnis des einen, männlichen Geschlechts über die anderen Geschlechter zu beseitigen und so alle sich unabhängig von ihrem Geschlecht selbst verwirklichen können, kann es durchaus sein, dass in der Umsetzung dieser Selbstverwirklichung hier und da mengenmäßig „unausgeglichene Geschlechterverhältnisse“ auftreten, wobei wohl darauf geachtet werden sollte, dass immer mindestens eine „kritische Masse“ des geringer vertretenen Geschlechts vorhanden ist. Aber bis dahin gibt es keine Veranlassung, zu vermuten, dass verschobene Geschlechterverhältnisse darauf beruhen, dass Frauen und nichtbinäre Personen frei ihre Verwirklichungschancen genutzt haben, jene Menschen, die vielmehr immer und immer wieder auf benachteiligende Strukturen und Entscheidungen getroffen sind und treffen.
Wann kann man im Unternehmen von einer gleichmäßigen Beteiligung sprechen? Für Unternehmen außerhalb der „Frauenbranchen“ könnte dies dann zu bejahen sein, wenn 1. entweder im Unternehmen und/oder seinen Betrieben die Geschlechterrelationen bei den Beschäftigten überall im Bereich 40:60 liegt und der Durchschnittsverdienst der Frauen und nichtbinären Personen mit vergleichbarer Arbeit mindestens genauso hoch ist wie der der Männer, oder 2., wenn die Geschlechter in allen Entgeltgruppen sowie auf allen Stufen der betrieblichen Hierarchie zu mindestens 40 % vertreten sind und 3. die Analyse der Arbeitszeiten belegt, dass die durchschnittlichen Arbeitszeiten der Geschlechter auf allen Stufen der betrieblichen Hierarchie nicht mehr als 10 % voneinander abweichen.
Eine Überrepräsentanz von Frauen muss differenziert bewertet werden. Wenn ein Unternehmen in einer „Frauenbranche“ tätig ist, beruht die Überrepräsentanz von Frauen auf der horizontalen Arbeitsmarktsegregation, die selbst Voraussetzung und Folge von Diskriminierung ist. Sie kann aber nicht allein betriebswirtschaftlich auf Unternehmensebene entscheidend verändert werden. Beschränkt sich hingegen innerhalb eines Unternehmens die Überrepräsentanz von Frauen auf bestimmte niedrig bezahlte Tätigkeitsfelder mit geringen Aufstiegs- und Weiterqualifizierungschancen, ist dies durchaus ein Indiz für Diskriminierung – und zwar der Frauen. Keinesfalls ist es etwa Indiz für eine Benachteiligung von Männern.
In der Analyse sind die Gründe für das unausgeglichene Geschlechterverhältnis zu hinterfragen. Dazu müssen die einzelnen Handlungsfelder zunächst getrennt analysiert werden. Allerdings hängen sie inhaltlich eng zusammen und es ist keineswegs so, dass die Beseitigung benachteiligender Strukturen in einem Handlungsfeld genau auch in diesem vorgenommen werden kann. So kann beispielsweise ein geringer Frauenanteil bei bestimmten Beschäftigungspositionen einem nicht geschlechtergerechten Vorgehen bei der Personalrekrutierung geschuldet sein, möglicherweise aber liegt die Ursache in den Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregimen. Die Gründe für die Benachteiligung von Frauen und nichtbinären Personen müssen so weit analysiert werden, wie es für die zukünftigen Gleichstellungsmaßnahmen nötig ist. Das ist nicht zu unterschätzen, da insbesondere in größeren Unternehmen oft von einer komplexen und auch intransparenten Verschränkung der Handlungsfelder auszugehen ist.
c) Festlegung der betrieblichen Gleichstellungsstrategie
Auf der Grundlage der Analysen können die Unternehmen betriebsspezifische Gleichstellungsstrategien entwickeln, die festlegen, wie, mit welchen Mitteln, durch wen und wann die Handlungsziele erreicht werden sollen. Dabei kann die Beseitigung von diskriminierenden Strukturen auch bei starkem Bemühen nicht immer kurzfristig erreicht werden, denn es können Faktoren bedeutsam sein, auf die das Unternehmen keinen oder nur einen geringen Einfluss hat, beispielsweise auf geringe Personalfluktuation. In diesen Fällen können durchaus realistische, aber auch ambitionierte Etappenziele auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur festgelegt werden. Die Gründe für Etappenziele und der Zeitpunkt für ihre Erreichung sollten transparent gemacht werden. Glaubwürdig sind sie nur, wenn sie auf belegten Daten und Fakten beruhen.
d) Betriebliche Umsetzungsphase
Die Gleichstellungsstrategien und Gleichstellungsmaßnahmen werden erst dann Realität, wenn sie auch umgesetzt werden. Unverzichtbar für den Erfolg der Gleichstellungsstrategie ist eine explizite und transparente Übernahme von Verantwortung und Rechenschaftspflicht durch ein Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung, bzw. im kleinen oder mittleren Unternehmen durch die/den Einzelunternehmer*in oder ihren/seinen Stellvertreter*in. Bei größeren Unternehmen darf es nicht nur eine allgemeine Verantwortung geben, sondern die Verantwortungen sollten sehr konkret für die einzelnen Strategien festgelegt werden.
e) Betriebliche Evaluierungsphase
Begleitend ist ein Prozess der Evaluation und des „Gender Controlling“ einzurichten, um die Umsetzung der einzelnen Schritte der Gleichstellungsmaßnahmen wieder anzustoßen, zu bewerten und gegebenenfalls deren Korrektur vorzuschlagen. Auch hier ist es angezeigt, im Anschluss an zertifizierte digitale Verfahren der Bestandsaufnahme äquivalente digitale Verfahren einzusetzen, die geeignet sind, die Umsetzungsphase zu erfassen und zu analysieren. Die diskriminierungs- und datenschutzrechtlichen Anforderungen sind identisch. Ob dies durch Integration in ein vorhandenes allgemeinesCompliance Management System zu realisieren ist oder neue Funktionen und Regelungen notwendig sind, muss unternehmensbezogen geprüft und entschieden werden.
6. Differenzierung für Kleinunternehmen
Die Relevanz aller Handlungsfelder für eine Gleichstellungspolitik im Unternehmen besteht unabhängig von der Beschäftigtenzahl; jedoch kommen in kleinen Unternehmen im Verlauf eines Jahres nur sehr geringe Zahlen von Personalentscheidungen und Einzelfälle der Überprüfung von Entgeltgleichheit oder von Arbeitsbedingungen (Arbeitsorganisation, Arbeitsbelastungen, Arbeitszeitwünsche) vor.
Jedoch ist auch für kleine Unternehmen mit geringen Beschäftigtenzahlen eine systematische Feststellung des Ist-Zustandes notwendig, möglich und von Vorteil. Dafür müssen vereinfachte und weniger umfangreiche digitale Tools (Checklisten) niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden. Die Antidiskriminierungsstelle oder eine vom Staat beauftragte Institution sollte als Zertifizierungsstelle KMU-geeignete Instrumente bewerten und zur Verfügung stellen. Hilfreich kann auch ein spezielles Web-Portal sein, mit dem niedrigschwellige Checklisten und Handlungshilfen bereitgestellt werden, oder ein regional organisiertes Betreuungsnetzwerk für Dienstleistungen, die KMU helfen können, die Handlungspflichten des Gleichstellungsgesetzes abzuarbeiten.[98]
II. Handlungshinweise für Handlungsfelder im Unternehmen
Die im vorigen Abschnitt dargestellten grundsätzlichen Hinweise gelten in jedem konkreten Handlungsfeld. Darüber hinaus werden im Folgenden spezielle Hinweise zu den jeweiligen Handlungsfeldern aufgezeigt.
1. Handlungsfeld Personalstruktur und Personalentwicklung
a) Probleme und Handlungsziel
Ein diskriminierungsfreies Unternehmen gibt allen Beschäftigten gleiche Verwirklichungschancen. Eine geschlechtlich unausgewogene Personalstruktur ist ein Indiz dafür, dass dies noch nicht gelungen ist. Denn die Unausgewogenheit ist kein Zufall. Der sowohl horizontal als auch vertikal segregierte Arbeitsmarkt spiegelt die Rollenzuschreibungen an die Geschlechter sowie die Verweigerung oder Ermöglichung des Zugangs zum Erwerbsarbeitsmarkt wider und ist nicht nur historisch bedingt das Ergebnis einer bewussten Personalpolitik der Unternehmen. Solange Unternehmen das Unternehmensziel Geschlechtergerechtigkeit nicht als für sich verbindlich anerkennen, konzentriert sich die Personalpolitik allein auf die Bereitstellung von Personal, mit dem das Unternehmensziel Gewinnmaximierung erreicht werden soll, nicht aber auf die Ermöglichung von Vielfalt. Im Gegenteil: Transparente Verfahren und rationale Entscheidungen treten oft hinter der Umsetzung von Geschlechterrollenzuschreibungen zurück. Das Muster bei Einstellungsentscheidungen ist häufig die Präferenz für Ähnlichkeit, sei es zu den Entscheidungsträgern, sei es zu den in dem Bereich bereits Beschäftigten. Wie für die Berufung von Frauen in Führungspositionen leicht zu belegen ist, wird vor allem hier und in Gremien Homogenität angestrebt.[99] Da diese immer noch männlich geprägt sind und Frauen grundsätzlich als „anders“ gesehen werden, wird unter den Bewerber*innen nach dem Geschlecht ausgewählt – das bedeutet: Es gibt eine Männerquote mit erheblichen Auswirkungen auf Frauen und nichtbinäre Personen. Wenn CEO Michael als CFO einen Michael sucht, wird er ihn in Sabine nicht finden. Gelangt Sabine dennoch in das Führungsgremium, werden die Kollegen in ihr Michael suchen – vergebens, eher selten und oft nicht erfolgreich, wenn Sabine versucht, den Michael zu geben. Da aber Sabine nicht Michael ist und sie ihn nicht richtig imitieren kann, gilt sie entweder als nicht geeignet, nicht qualifiziert oder sie will gar nicht in das Leitungsgremium, für das doch ein Michael gesucht wurde. Wird jedoch Sabine bewusst als Sabine und zusammen mit Nicole, Hatice und Jennifer in das Leitungsgremium berufen, dann verändert sich etwas sehr Grundsätzliches: Sabine und ihre Kolleg*innen müssen nicht mehr männlichen Spielregeln und imaginierten Erwartungen entsprechen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Unternehmen Bedingungen schaffen oder zulassen muss, die das ermöglichen. Durch die Verringerung der Männerquote entstehen Verwirklichungschancen – ein wichtiger Schritt hin zu einer diskriminierungsfreien Unternehmenskultur, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt.
Eine immer noch dominierende Politik der Unternehmen im Bereich Human Resources ist darauf gerichtet, vielen Personen, die notwendige Arbeit für das Unternehmen verrichten, den Schutz des Arbeitsrechts möglichst weitgehend zu entziehen. Das geschieht durch den vermehrten Einsatz von Werkverträgen, Leiharbeit, Plattformarbeit, Minijobs[100] und Outsourcing, um der Geltung von Tarifverträgen und arbeitsrechtlichen Regelungen mit bestimmten Mindestgrößen zu entgehen, und schließlich auch durch Befristungen. Das ist sozialpolitisch höchst bedenklich, aber auch gleichstellungsrelevant. Befristete Arbeitsverträge beispielsweise wirken auf die Geschlechter unterschiedlich, da sie bei einer Schwangerschaft oft ein längerfristiges Ausscheiden der Mutter aus der Erwerbsarbeit zur Folge haben. Sie sind also besonders für Frauen prekär. Die Plattformwirtschaft weitet diesen Bereich prekärer Beschäftigungsverhältnisse für Frauen „am Rand der Unternehmen“ weiter aus, indem sie niedrigschwellige, scheinbar flexible, aber gleichzeitig unsichere und schlecht vergütete „Minijobs“ ohne Aufstiegsperspektive vergibt. Darüber hinaus sind hier Zugangs- und Teilnahmechancen intransparent und stehen unter Diskriminierungsverdacht. Die Kriterien der internen Jobvergabe, Arbeitsbewertung und Aufstiegschancen, genauso wie die Relevanz von Reputationssystemen bleiben nicht selten undurchsichtig und nicht überprüfbar. Internationale Studien belegen bereits, wie hier Frauen strukturell benachteiligt werden und sich vor allem Männer beruflich weiter entwickeln können – auch, weil sie die nötige Flexibilität mitbringen oder über andere Anstellungsverhältnisse derart abgesichert sind, dass sie sich auf den als Spiel angelegten Erwerbsmodus einlassen können.[101]
b) Bestandsaufnahme
Die Basis einer jeden Gleichstellungspolitik ist die Feststellung des Ist-Zustands der Personalstruktur und Personalentwicklung im Unternehmen. Die dafür erforderliche Bestandsaufnahme sollte mithilfe eines zertifizierten Verfahrens durchgeführt werden. Betriebsrat und Gleichstellungsbeauftragte sind zu beteiligen. Zu erheben sind Daten über die Anzahl der beschäftigten Frauen, Männer und nichtbinären Personen, differenziert nach deren Tätigkeit, Funktion und Ausgestaltung mit und ohne Führungsverantwortung und Einordnung in das betriebliche Entgeltsystem innerhalb der Unternehmenshierarchie. Auch ist zu ermitteln, welche Beschäftigten und Beschäftigtengruppen mit welcher Art von Verträgen im Unternehmen tätig sind und wie Arbeitszeiten auf die Geschlechter verteilt sind. Die Daten sollten sich auf das aktuelle Jahr sowie die zwei zurückliegenden Jahre beziehen.
Weisen diese Daten auf, dass die Geschlechter nicht überall gleichermaßen vertreten sind und gibt es viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse, so ist dies Indiz für diskriminierende Strukturen in der Unternehmenskultur und weist auf die Notwendigkeit zum Handeln hin.
c) Analyse
Die nachfolgende Analyse soll aufzeigen, wie es zu der Ungleichverteilung der Geschlechter auf die Funktionen gekommen ist. Für erklärende Auskünfte bietet sich ein ganzes Spektrum an, für das gegebenenfalls weitere Fakten ermittelt werden müssen. Beispielsweise: Nach welchen Kriterien werden Vertragsgestaltungen gewählt? Welche Personen entscheiden in welcher Weise über die Einstellung und Beurteilung von Beschäftigten? Welche Auswirkungen haben Arbeitszeitregime und Arbeitsbedingungen? Wie entstehen unterschiedliche Karrieregeschwindigkeiten? Sind Softwareprogramme eingesetzt worden? Und wenn ja: Sind sie zertifiziert und stellen sie sicher, dass sie nicht zu geschlechtlich verschobenen Ergebnissen kommen? Auch für die Analyse sollten datengestützte Tools zur Verfügung stehen.
Was die prekären Beschäftigungsbedingungen betrifft, ist zu prüfen, ob es für diese einen zwingenden Anlass gibt.[102]
Die Bestandsaufnahme und die Analyse sollten in einem Prüfbericht zusammengefasst werden, der mit dem Betriebsrat und den Gleichstellungsbeauftragten abzustimmen ist. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme sowie der Prüfbericht sollten in anonymisierter Form unternehmensöffentlich gemacht werden, um die Beschäftigten zu informieren und sie damit zu aktiver Beteiligung an dem Weg zur Diskriminierungsfreiheit zu motivieren.
d) Entwicklung von Gleichstellungsstrategien
Wenn eine verfestigte, überwiegend eingeschlechtlich besetzte Personalstruktur aufgebrochen werden soll, ist mit erheblichem Widerstand zu rechnen, wie an der nur durch das Gesetz angestoßenen bzw. durchgesetzten, viel zu geringen und langsamen Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen abzulesen ist. Dem kann nur begegnet werden, wenn die Unternehmensführung den entsprechenden Willen entwickelt und auch durch organisatorische Entscheidungen die Umsetzung dieses Wollens begleitet.[103] Der notwendige Veränderungsprozess kann dadurch eingeleitet werden, indem die Unternehmen Sorge dafür tragen, dass bei den Beschäftigten auf jeder Qualifikationsebene und in jedem Beschäftigungsbereich der Anteil der Männer den der Frauen und nichtbinären Personen nicht übersteigt. Jede Qualifikationsebene und jeder Beschäftigungsbereich bedeutet: das oberste Leitungsgremium[104], sofern es aus mehreren Personen besteht, alle Ebenen mit Leitungsfunktionen darunter, aber auch darüber hinaus. Für jede Gruppe von Beschäftigten, die über die gleiche Qualifikation verfügen und/oder in dieselbe Entgeltkategorie fallen und/oder in demselben Beschäftigungsbereich tätig sind, ist für eine stärkere geschlechtsspezifische Ausgewogenheit zu sorgen, bis hinunter zu den Auszubildenden. Eine Überrepräsentanz von Frauen in Beschäftigungspositionen, die niedrig entgolten und wenig aussichtsreich sind, signalisiert allerdings nicht etwa das Fehlen von Diskriminierung, sondern das Gegenteil. Dieser Beschäftigungsbereich ist daher in das Gleichstellungskonzept einzubeziehen. Zu betonen ist nochmals, dass das Ziel nicht die dauerhafte paritätische Besetzung von Funktionen und Arbeitsplätzen sein soll. Die Verringerung der Männerquote durch die Verpflichtung, mehr Frauen und nichtbinäre Personen zu berücksichtigen, ist nur ein vorübergehendes Mittel, nicht schön, aber so lange unvermeidlich, bis die Unternehmenskultur dahingehend verändert ist, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt und alle gleichermaßen Verwirklichungschancen haben.
Eine solche stärker ausgewogene Personalstruktur wird nicht auf Anhieb zu erreichen sein. Das gilt insbesondere für jene Unternehmen, die wenige Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen im Jahr zu treffen haben. Deshalb können sich Unternehmen Etappenziele setzen, also festlegen, in welchem Zeitraum und mit welchen Mitteln sie sie erreichen werden. Glaubhaft sind Etappenziele allerdings nur dann, wenn die in der Analyse gefundenen Gründe für die Unausgewogenheit in der Personalstruktur eben diese Etappenziele erforderlich machen. Die Zielerreichung und die Formulierung des Etappenziels müssen intensiv prüfend begleitet werden.
Das Bemühen um eine ausgewogene Personalstruktur beginnt beim Recruiting. Dies kann über den Arbeitsmarkt geschehen, wobei es darauf ankommt, dass Stellenausschreibungs- und Bewerbungsverfahren hinreichend transparent gestaltet sind und weibliche und nichtbinäre Personen sich ausreichend adressiert fühlen und auch nicht über andere persönliche Merkmale wie z.B. Alter und Herkunft oder die Abwertung atypischer Beschäftigungsverläufe ausgeschlossen werden.[105] Dafür sind geschlechterdiversitätsinklusive Berufsbezeichnungen in der Ausschreibung durch neutrale beziehungsweise inklusive Formulierungen sowie ausdrückliche Aufforderungen zur Bewerbung an strukturell diskriminierte Personen geeignet. Auch auf die diskriminierungssensible Kommunikation mit den Bewerber*innen in den Bewerbungsverfahren ist verstärkt zu achten. Für diskriminierungssensible Auswahlprozesse und die Vermeidung von Zuschreibungen und Vorurteilen können standardisierte Kriterien für die Auswahlprozesse formuliert werden, die den Blick weg von persönlichen und körperlichen Merkmalen und hin zu tätigkeitsrelevanten (formalen) Qualifikationen und Fähigkeiten lenken. Auch bieten sich mehrstufige und teilanonymisierte Bewerbungsverfahren an, die Toleranz gegenüber Abweichungen oder uneinheitlichen Angaben im Lebenslauf entwickeln. Das erfordert, dass persönliche Daten erst auf einer höheren Auswahlstufe bekannt, Auswahlteams genderkompetent geschult und evaluiert oder computergestützte Verfahren eingesetzt werden.[106]
In diesem Sinn muss bei dem Einsatz algorithmischer Auswahlverfahren sichergestellt werden, dass diese keine diskriminierenden Auswirkungen haben. Aufgrund ihrer spezifischen Skalierungsweise sind sie besonders diskriminierungsanfällig und bedürfen spezifischer Überprüfung vor und nach der Verwendung.[107] Das Risikomanagement kann bestehen aus der Nutzung zertifizierter, diskriminierungsfreier Software, der Transparenz, Protokollierung und Begründung der Verwendung sowie der Veröffentlichung einer Folgenabschätzung. Angezeigt ist es, dass klare Verantwortlichkeiten (im Sinne von „Digital Responsibility“) und Prüfrechte benannt werden. Hierzu können betriebliche Instanzen vorgesehen bzw. entsprechend geschulte externe Sachverständige ermächtigt werden. Ergeben die Überprüfungen, dass bestimmte Diskriminierungsrisiken nicht ausgeschlossen werden können, ist angezeigt, die Verwendung zu unterlassen.
Diese diskriminierungsrechtlichen Maßgaben gelten auch für digitale Beschäftigungsplattformen entsprechend, soweit sie algorithmische Steuerungsprozesse einsetzen, um ua. über Zugänge und Jobverteilung zu entscheiden oder Reputationen der Plattformbeschäftigten zu erstellen, die für plattforminterne Aufstiegs- und Vergütungsstrukturen maßgeblich werden. Entscheidend kommt es hier auf die Transparenz der Zugangs-, Anforderungs- und Jobvergabe-Kriterien an. Es ist offen zu legen, wie Reputationen zustande kommen und eingesetzt werden, damit hinreichend nachvollzogen werden kann, dass personenbezogene Merkmale nicht relevant gemacht wurden.
Die Bundesstiftung für Gleichstellung hat 2023 eine Studie veröffentlicht, die Voraussetzungen und Lösungsmöglichkeiten für eine diskriminierungsärmere Rekrutierungspraxis entsprechend diesen Handlungshinweisen prüft und erläutert, inwieweit der Einsatz digitaler Tools die Unternehmen dabei unterstützen und entlasten könnte.[108] Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sie für den Bereich der Personalrekrutierung insbesondere durch die Möglichkeit multivariater Analysen den Vorteil bieten, Ursachen und Wirkungen der Personalpraxis näher zu untersuchen. Dazu bedürfe es digitaler und zertifizierter Analysetools, um diese komplexen Zusammenhänge zu berücksichtigen und in der betrieblichen Praxis Stellschrauben und Handlungsoptionen zur Verbesserung und Sicherung der betrieblichen Gleichstellung aufzuzeigen.
Neben dem Recruiting werden Unternehmen zweifellos, wie schon bisher, viele Positionen intern besetzen wollen. Für interne Auswahl- und Aufstiegsverfahren gelten die eben genannten Maßgaben für externe Auswahlprozesse entsprechend. Gelingt es nicht, unter den Beschäftigten qualifizierte Frauen und nichtbinäre Personen für die zu besetzenden Funktionen zu finden, liegt es in der Verantwortung des Unternehmens, den Beschäftigten die notwendigen – auch digitalen – Qualifikationen zu vermitteln. Eine ausreichend große Pipeline sollte gebildet und durch gezielte Nachfolgeplanungen effizient ausgestattet werden.[109] Die Gleichstellungsstrategie der Unternehmen im Personalbereich müsste dafür vorsehen, dass genügend Frauen und nichtbinäre Personen in den Qualifikationsebenen unter der zu besetzenden Funktion diese Möglichkeit bekommen, beispielsweise durch (auch spezifisch zugeschnittene) Qualifizierungs- und Mentoringprogramme und gegebenenfalls durch die Korrektur der Beurteilungspraxis. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Sozialstrukturkategorien zu richten. Denn die Verbesserung ihrer Verwirklichungschancen durch Aufnahme in die Pipeline darf nicht nur den am wenigsten benachteiligten Frauen eingeräumt werden, sondern muss auch und gerade jenen zugutekommen, die zudem wegen nationaler, ethnischer und sozialer Herkunft auf besondere Hindernisse stoßen. Zudem hängt der niedrigschwellige Zugang auch von einem diskriminierungs- und gewaltfreien Arbeitsklima ab. Der aktive Einsatz und Schutz gegen sexuelle Belästigung in Auswahlprozessen und Beschäftigungsverhältnissen beispielsweise erhöht die Zugänglichkeit für alle Frauen.[110]
Doch wann ist eine Pipeline effektiv? Hier bietet sich folgende Lösung an: Für jeden Platz in der Funktionsebene, in der eine Frau für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis fehlt, müssten drei Frauen oder nichtbinäre Personen (selbstverständlich mit der erforderlichen Grundqualifikation) extern oder intern in jene Positionen berufen werden, aus denen heraus die darüberliegende Funktionsebene üblicherweise besetzt zu werden pflegt. Dass es mehr als ein für jeden nicht durch eine Frau besetzten Platz sein sollte, ist der Notwendigkeit geschuldet, dass ein Scheitern der Qualifizierung nicht ausgeschlossen ist und außerdem noch eine Auswahlmöglichkeit bestehen soll.
Dieses Modell, hier an der Vorstellung von Funktionen mit Führungsverantwortung gebildet, ist für die darunterliegenden Qualifikationsebenen gleichermaßen anzuwenden, bis hinunter zu den Auszubildenden. Es muss um alle Frauen und nichtbinären Personen in allen Beschäftigungsbereichen im Unternehmen welcher Qualifikationsanforderung auch immer gehen.
e) Umsetzung
Beispielhaft sei erläutert, wie Unternehmen vorgehen sollten, wenn eine ausgewogene Personalstruktur daran zu scheitern droht, dass Frauen mit dererforderlichen Qualifikation nicht zu finden seien,[111] bei international tätigen Unternehmen weltweit nicht. Das ist oft eine bloße Schutzbehauptung[112] und müsste mit Daten über qualifiziert ausgebildeten Frauen belegt werden, einschließlich einer Prognose über die Entwicklung dieser Zahlen. Das verdeutlicht nochmals die Notwendigkeit, geschlechtsbezogene Daten innerhalb und außerhalb des Unternehmens fortlaufend zu evaluieren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine geschlechtergerechte digitale Transformation, die eine Analyse von Tätigkeitsprofilen und Kompetenzen nötig machen kann. Zu prüfen bleibt auch, ob die vermisste Qualifikation wirklich notwendig ist – das ist gewiss nicht der Fall, wenn die Betriebswirte und Juristen bei der Auswahlentscheidung auf (MINT-)Qualifikationen bestehen, die für ihre eigene Berufung in diesem Beschäftigungsbereich offensichtlich keine Rolle gespielt hatten. Es ist auch darauf zu achten, Digitalkompetenznicht geschlechterstereotyp ungleichzu bewerten; sie muss in büroverwaltenden Tätigkeitsfeldern genauso anerkannt werden wie in maschinenlastigen Bereichen.[113]
Vor allem aber sollten Unternehmen Strategien entwerfen, wie sie selbst dazu beitragen können, die entsprechenden Qualifikationen bei Frauen zu entwickeln oder die Anforderungen stärker an bereits vorhandene Qualifikationen anzupassen. Der geringe Frauenanteil im Studienfach Informatik oder in anderen MINT-Studiengängen und Ausbildungen muss nicht hingenommen werden. Denn dieser geringe Frauenanteil hat seine Gründe, die änderbar sind, im Studium oder der Ausbildung selbst.[114] Das Unternehmen könnte aktiv werden durch eigene Ausbildungsplätze, Stipendien, Praktika und Mentoring für die unterrepräsentierten Geschlechter. Auch eine geschlechtergerechte Vermittlung digitalisierungsbezogener Kompetenzen, etwa durch Schulungen und Neujustierung betrieblicher Prüfverfahren, ist angezeigt.[115]
Ist die verlangte MINT-Qualifikation unverzichtbar, wäre ein Etappenziel angemessen, das einen Frauenanteil etwa von 20 % oberhalb des Frauenanteils im jeweiligen Studium oder dem Ausbildungsbereich anstrebt. Das würde nicht dauerhaft gelten, sondern für jeweils neu zu belegende kurze Zeiten.
Zudem zeigt ein soziotechnischer Ansatz, dass neben der Ausbildung in anerkannten Technikberufen die interdisziplinäre Personal- und Kompetenzausstattung von Technikunternehmen und MINT-Ausbildungen zu fordern und zu fördern wäre[116]. So würden sich Berufschancen für typischerweise weibliche Berufsprofile wie z.B. Soziologie, Kommunikationswissenschaft oder Sozialwissenschaften eröffnen, ohne dass sich Frauen in ihrer beruflich selbstgewählten Präferenz an fremdvorgegebene MINT-Vorgaben anpassen müssten, wie es im Moment von ihnen eingefordert wird.
Veranlassung zu vertieften Überlegungen bietet die Feststellung, es gäbe durchaus qualifizierte Frauen, aber sie wollten die ihnen angebotene Position nicht annehmen. Oder die Variante, es gäbe durchaus qualifizierte Frauen, die die Position anstrebten, aber sie hätten besondere Vorstellungen über ihre zukünftige Arbeit, die von ihren männlichen Vorgängern nie formuliert worden und nicht erfüllbar seien. Ihre Anforderungen an die Arbeitsbedingungen seien zu hoch, zu kompliziert, zu ungewöhnlich.
Dieses Verhalten von Frauen gibt es und es ist zu hoffen, dass es noch viel häufiger auftritt. Arbeitsbedingungen und -anforderungen[117] durchzusetzen, die für traditionelle Männer ungewohnt sind, ist der Weg die unterrepräsentierten Geschlechter, um die eigenen Vorstellungen über die Bedeutung der Erwerbsarbeit für sich selbst und ihre Ausgestaltung und Sinnhaftigkeit behalten und damit leben und arbeiten zu können. Das eröffnet Chancen für Unternehmen. Denn genau dies führt zu einer Änderung der männerzentrierten Unternehmenskultur hin zu einer geschlechtergerechten. Unternehmen müssen so ihr Verhalten und ihre Bedingungen genau analysieren und die unternehmensinternen Prozesse gegebenenfalls entsprechend anpassen: Welche Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregime werden von Frauen nicht oder weniger oft akzeptiert? Welche zeitlichen und räumlichen Verfügbarkeiten können und wollen sie erbringen? Welche Formen des professionellen wie auch des persönlichen Miteinanders und welchen Führungsstil erwarten sie? Welchen Werten fühlen sie sich auch in einer kapitalistisch geformten Wirtschaft verpflichtet? Gefährden Abweichungen vom Hergebrachten wirklich den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens?[118] Ein solches Vorgehen im Unternehmen ist selbst für Männer attraktiv: Auch sie können dann den Forderungen nach vorgegebenen männlichen Verhaltensmustern entfliehen, so, wie es den Frauen und nichtbinären Personen gelingt, nicht mehr in Geschlechtsrollen und Zuschreibungen gezwängt zu werden.
Der gängige Einwand gegen diese Forderungen, die Wirtschaft sei kein Ponyhof, sondern folge mit den Anforderungen an Qualifikation und Verhalten der Beschäftigten lediglich wirtschaftlicher Vernunft, blendet die Frage aus, ob es diese zwingende ökonomische Logik überhaupt gibt und, wenn ja, ob sie immer das Handeln und die Entscheidungen der Verantwortlichen bestimmt. Die ökonomische Zunft identifiziert ja je nach Ausrichtung durchaus unterschiedliche ökonomische Gesetze, und obwohl sie als in Stein gemeißelt gelehrt werden, kann deren Akzeptanz im Zeitverlauf selbst bei den Steinmetzen durchaus schwinden oder ganz verloren gehen. Methoden der Personalführung und Rezepte für Wirtschaftserfolge sind durchaus Moden unterworfen. Sie sind menschengemacht, genauer: gemacht von Männern für Männer. Selbst die kulturellen Muster und normativen Vorgaben, wie sich erfolgreiche männliche Führungskräfte zu verhalten haben, unterliegen Veränderungen; für Führungskräfte mit Erstarken des Finanzmarktkapitalismus allerdings bisher in einer eher problematischen Weise.[119] Bei jüngeren Männern hingegen ist eine Entwicklung zur Abkehr von hegemonialen Männlichkeitsmustern zu erkennen, die aber zahlenmäßig nicht dominiert und starkem Druck ausgesetzt ist. Der zähe Widerstand gegen Veränderungen bei der Personalauswahl im Unternehmen richtet sich immer noch gegen die „Anderen“, die auf ihren Platz verwiesen werden und dort verharren sollen.
Als Rechtfertigung dafür, dass eine ausgewogene Personalstruktur jedenfalls derzeit nicht möglich sei, wird oft genannt, dass Männer auf der Basis ihrer Verträge längerfristig die Positionen besetzen, es also keine freien Plätze für Frauen gibt. Ziel oder Nebenwirkung einer Gleichstellungsstrategie im Unternehmen ist es nicht, dass Männer gekündigt werden. Allerdings muss vermieden werden, dass mit der Begründung, es stünden zurzeit qualifizierte Frauen nicht zur Verfügung, dauerhafte oder langfristige Verträge mit Männern abgeschlossen werden. Solange Männer in einer Führungsebene oder einer Qualifikationsstufe weit überrepräsentiert sind, sollten neue Verträge mit Männern nur kommissarisch, mit kurzen Laufzeiten und/oder mit der Möglichkeit der Vertragsänderung abgeschlossen werden. Zweifellos würden diese Positionen dadurch für Männer weniger attraktiv, es würde aber auch weniger attraktiv, die Qualifikation von Frauen abzuwerten und so dafür zu sorgen, dass keine qualifizierte Bewerberin gefunden oder gehalten werden kann.
Selbstverständlich dürfen die Bemühungen um Diskriminierungsfreiheit ein Unternehmen nicht veranlassen, Unmögliches oder Schädliches zu tun. Ziel ist es nicht, ein Unternehmen zu zerstören oder seinen Erfolg zu schmälern. Aber es ist ebenso selbstverständlich, dass es in seinen Gleichstellungsstrategien alles in diesem Unternehmen nur irgend Mögliche auch umsetzen muss.
2. Handlungsfeld Entgeltgleichheit
a) Probleme und Handlungsziel
Seit 1949 gilt in Deutschland das Entgeltgleichheitsgebot, das Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet. Das Gebot ist im Laufe der Zeit durch umfangreiche europäische und nationale Vorschriften und die Rechtsprechung erweitert und konkretisiert worden. Alle Arbeitgeber*innen und die Tarifvertragsparteien sind rechtlich zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots verpflichtet.
Die rechtliche Lage und die gesellschaftliche Wirklichkeit fallen jedoch stark auseinander. Ursache dafür ist vor allem ein eklatanter Mangel an Durchsetzungund Durchsetzbarkeit. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit von verbindlichen verfahrensrechtlichen Regelungen. Diese Erkenntnis liegt auch der RL 2023/970/EU zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzesdes gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen[120](Entgelttransparenzrichtlinie) zugrunde. Sie ist von Deutschland innerhalb der Frist bis spätestens 7.6.2026 umzusetzen. Bereits jetzt lassen sich die Vorgaben der Richtlinie in praktikable Handlungshinweise umsetzen. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich an den Regelungen der Richtlinie.
b) Gestaltungsfreiheit der Arbeitsvertrags-, Betriebs- und Tarifvertragsparteien
Nach der deutschen Rechtsordnung ist es Sache der Akteur*innen der Wirtschaft (= Tarifvertrags-, Betriebs- und Arbeitsvertragsparteien), Entgeltsysteme und Entgelte selbst zu gestalten und zu vereinbaren. Welche Entgeltsysteme sie benutzen, bleibt ihnen überlassen. Die Grenze ihrer Gestaltungsfreiheit ist und bleibt aber das Verbot der Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts. Denn nur bei Beachtung dieses Verbotes sind die gewählten tariflichen oder betrieblichen Entgeltsysteme und individualvertraglichen Vereinbarungen auch rechtlich wirksam. Nach der Entgelttransparenzrichtline müssen Entgeltstrukturen es ermöglichen, Arbeit anhand objektiver Kriterien zu bewerten und zu vergleichen. Diese Kriterien umfassen mindestens die vier Hauptkriterien: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Dies gilt sowohl für individualrechtliche, tarifliche als auch betriebliche Entgeltfestsetzungen.[121]
aa) Tarifverträge und Schutz der Tarifautonomie
Diskriminierende Entgeltstrukturen im Unternehmen können ihren Ursprung in Tarifverträgen haben. Typischerweise liegen die Fehler darin, dass die Anforderungen und Belastungen auf Arbeitsplätzen, die überwiegend von Frauen besetzt werden, nur mangelhaft berücksichtigt werden. Derartige nicht rechtskonforme und dem Entgeltgleichheitsgebot widersprechende Tarifbestimmungen sind nicht von der Tarifautonomie geschützt; Tarifautonomie ermächtigt nicht zur Geschlechtsdiskriminierung.
Die Tarifvertragsparteien spielen so bei der Durchsetzung von Entgeltgleichheit eine entscheidende Rolle. Dies betont auch die Entgelttransparenzrichtlinie. Sie erkennt das Recht auf Aushandlung, Abschluss und Durchsetzung von Tarifverträgen ausdrücklich an, sieht zugleich aber keine Privilegierungen oder besondere Verfahren zur Herstellung von Entgeltgleichheit in Tarifverträgen vor.[122] Es liegt somit in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien, geeignete Maßnahmen und Verfahren zu finden.[123]
bb) Gleiche und gleichwertige Arbeit
Das Entgeltgleichheitsgebot verlangt, dass Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit ein gleiches Entgelt erhalten. Unter gleichwertiger Arbeit ist dabei solche zu verstehen, bei der sich die Arbeitnehmer*innen gemäß nichtdiskriminierenden und objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien in einer vergleichbaren Situation befinden.
Die Entgelttransparenzrichtlinie gibt die Mindestkriterien für die Bewertung von Arbeiten vor: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen und gegebenenfalls weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Genannt werden noch berufliche Anforderungen, Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbildungsanforderungen, unabhängig von Unterschieden in den Beschäftigungsmodellen.[124]Betont wird außerdem, dass insbesondere soziale Kompetenzen nicht unterbewertet werden dürfen. Dass ausdrücklich vier Kriterien verbindlich vorgeschrieben werden, ist neu. Zuvor war in der Rechtsprechung allgemeiner von den Faktoren der Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen die Rede. Nicht festgelegt sind die Gewichtung der Kriterien sowie die Rolle von zusätzlichen Kriterien, die weiterhin verwendet werden dürfen. Es bestehen Beurteilungsspielräume, die immer Diskriminierungsrisiken bergen. Diese gilt es zu erkennen und zu minimieren. Beispielsweise dürfen nicht jene Kriterien besonders hoch gewichtet werden, die typischerweise bei männlich dominierten Tätigkeiten vorliegen. Eine gewisse Gewähr kann die Gestaltung des Verfahrens bieten. Deshalb sollten bei der Überprüfung betrieblicher Entgeltstrukturen, neben dem Betriebsrat oder einer Interessenvertretung der Beschäftigten, Gleichstellungsbeauftragte sowie sachverständige Personen einbezogen werden.[125]
Groß- und Mittelunternehmen in Deutschland verfügen über komplexe Entgeltstrukturen. Bei tarifgebundenen Unternehmen sind sie in Tarifverträgen geregelt. Die Entgeltstrukturen basieren in der Regel bereits auf Arbeitsbewertungsverfahren. Die jeweiligen Einstufungen könnten die Basis für die Feststellung gleichwertiger Arbeit sein. Jedoch können sie gleichzeitig Ursache und Ausdruck mangelnder Gleichstellung sein und/oder diskriminierende Elemente enthalten und bedürfen daher einer kritischen Überprüfung.
Diese ist möglich und wurde in der Bundesrepublik auch in einigen Unternehmen durchgeführt, jedoch mit einem erheblichen Aufwand.[126] Island, das erfolgreichste Land bei der Minimierung des Equal Pay Gaps, zeigt eindrücklich, mit welch aufwendigem Instrumentarium die Garantie gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit erreicht wurde. Grundlage war ein stringentes Gleichstellungsgesetz, das als Basis von Gleichstellungsstrategien im Unternehmen eine konkrete Arbeitsbewertung aller Arbeitsplätze vorschrieb. Island ist ein kleines Land mit vergleichsweise wenigen Unternehmen, aber selbst da hat die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben unerwartet lange Zeit gedauert. Denn die Bewertung der Tätigkeiten wurde durch Zertifizierer*innen in jedem einzelnen Unternehmen persönlich und vor Ort durchgeführt und zog Kritik auf sich, da nicht alle gleiche Maßstäbe verwendeten.
Angesichts der Dimensionen in der Bundesrepublik (und gar in Europa) ist ein Vorgehen, das auf Zertifizierung durch einzelne Personen setzt, schon mengenmäßig nicht denkbar. Nur der Einsatz digitaler Instrumente macht es möglich, in allen Unternehmen die Gleichwertigkeit von Tätigkeiten festzustellen. Entsprechend entwickelte Tools sind imstande, eine adäquate Datengrundlage über die Tätigkeiten im Unternehmen zu schaffen, um Gleichwertigkeit zu erkennen und sodann auf dieser Grundlage deren Diskriminierungsfreiheit zu überprüfen. Die einzusetzenden digitalen Tools müssen so aufgebaut werden, dass sie Diskriminierungsstrukturen nicht übersehen oder gar selbst für die Verfestigung von Diskriminierungsstrukturen sorgen. Das ist nicht leicht und stellt an die Entwicklungen dieser Tools hohe Anforderungen.
Die in der Richtlinie genannten Kriterien bilden praktisch bereits den Rahmen verschiedener Arbeitsbewertungssysteme[127], die allerdings Entgeltgleichheit nicht haben herstellen können. Allgemein anerkannte, diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungsverfahren, die auch praktikabel und effektiv in allen Unternehmen eingesetzt werden können, stehen zurzeit nicht zur Verfügung. Diesem Umstand trägt die Richtlinie auch Rechnung.[128] Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Instrumente oder Methoden zur Arbeitsbewertung entsprechend den festgelegten Kriterien verfügbar gemacht werden und leicht zugänglich sind. Diese Instrumente oder Methoden müssen es Arbeitgeber*innen und/oder den Sozialpartner*innen ermöglichen, leicht Systeme zur geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung und beruflichen Einstufung einzurichten und zu verwenden, mit denen jegliche Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen wird. Der Staat wird also in die Pflicht genommen, indem er zertifizierte Tools zur Verfügung stellt und nur die Verwendung von zertifizierten Tools akzeptiert.
c) Bestandsaufnahme und Entgeltbericht
Der erste Schritt für die Herstellung der Entgeltgleichheit ist die Datenerhebung. Mit der Bestandsaufnahme gewinnen die Unternehmen einen Überblick darüber, welche Entgeltsysteme angewandt, auf welcher Grundlage Entgeltbestandteile an welche Beschäftigten(-gruppen) gezahlt werden und wie sich Frauen, nichtbinäre Personen und Männer auf diese Entgeltgruppen verteilen. Ermittelt werden muss die Entlohnung von Frauen, nichtbinären Personen und Männern aufgeschlüsselt nach verschiedenen Entgelt- oder Gehaltsstufen und nach allen Entgeltbestandteilen (jeweils Durchschnitts- und Medianentgelt). Frauendominierte Tätigkeiten mit einem Frauenanteil von mehr als 60 % sind auszuweisen; gleichwertige Tätigkeiten sind zu ermitteln. Berichte über die so zu ermittelnden Indikatoren werden für viele Unternehmen mit der Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtend. Die Richtlinie sieht für Arbeitgeber*innen ab 100 Arbeitnehmer*innen alle ein bis drei Jahre – abhängig von der Beschäftigtenzahl – Berichtspflichten über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle vor. Das ist auch angemessen.
Die Erhebung der Daten verlangt durchaus einigen Aufwand. Das gilt aber nur für die Einführung. Wenn erst ein entsprechendes Tool erarbeitet und zertifiziert bzw. ein vom Staat zur Verfügung gestelltes zertifiziertes Tool an das jeweilige Unternehmen angepasst wurde, ist nur noch ein verhältnismäßig geringer personeller Einsatz erforderlich. Diese Tools machen es möglich, breit angelegt und blitzschnell die im Unternehmen vorhandenen Daten der zur Überprüfung entwickelten Fragestellung zuzuordnen und dabei Unterschiede und Verschiebungen zu entdecken. Eine auf diese Weise erstellte Bestandsaufnahme vermittelt einen Überblick und kann Überprüfungen da anstoßen, wo es Auffälligkeiten gibt – auch in Gestalt von Diskriminierungen oder Diskriminierungspotenzialen. Gleichzeitig sind die so gewonnenen Auskünfte digital übermittelbar und überprüfbar, insbesondere auf Veränderungen, die auf einer entsprechenden Politik des Unternehmens beruhen, aber auch, wenn diese ausbleiben.
Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden in einem Entgeltbericht zusammengefasst. Die Entgelttransparenzrichtlinie sieht vor, dass der Entgeltbericht an eine staatliche Monitoringstelle übermittelt wird, die diesen zum Teil veröffentlicht. Daneben können Arbeitgeber*innen selbst die Informationen auf ihrer Website oder auf andere Weise öffentlich machen. Es ist darauf zu achten, dass die betrieblichen Interessenvertretungen beteiligt werden.
Der Bericht über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle nach Gruppen von Arbeitnehmer*innen, die gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten ausüben, muss nach der Entgelttransparenzrichtlinie nicht veröffentlicht werden. Diese Informationen stellen Arbeitgeber*innen aber allen ihren Arbeitnehmer*innen und deren Vertreter*innen sowie, auf Ersuchen, auch bestimmten staatlichen Stellen zur Verfügung. Diese haben außerdem jeweils das Recht, zusätzliche Klarstellungen, Einzelheiten und Erläuterungen zu allen bereitgestellten Daten zu erhalten. Ziel ist es, die Entgeltpraxis im Unternehmen für alle Beschäftigten transparent und überprüfbar zu machen und unternehmensinterne Diskussionen zu ermöglichen.
d) Analyse und Prüfbericht
Die Daten aus dem Entgeltbericht sind zu analysieren. Die Analyse muss mittels geeigneten, bevorzugt digitalen Prüfinstrumenten erfolgen, die zertifiziert sind.
Nach der Entgelttransparenzrichtlinie gehört die Analyse der Ursachen des geschlechtsspezifischen Entgeltgefälles zu den Aufgaben einer einzurichtenden staatlichen Monitoringstelle. Arbeitgeber*innen müssen jedoch auch selbst ihre Entgeltstrukturen untersuchen. Denn sie sind verpflichtet, Abhilfe zu schaffen, wenn geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt sind. Dabei haben sie insbesondere eng mit den Arbeitnehmer*innenvertretungen zusammenzuarbeiten.
Eine umfassende Analyse jeder einzelnen Gruppe von Arbeitnehmer*innen, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, ist nach der Entgelttransparenzrichtlinie mit dem Instrument der gemeinsamen Entgeltbewertung vorgesehen. Untersucht werden muss in jeder einzelnen Gruppe jeweils der Anteil nach Geschlecht und Unterschieden in der durchschnittlichen Entgelthöhe sowie bei ergänzenden und variablen Entgeltbestandteilen. Die Gründe für die Unterschiede sind zu ermitteln. Hierbei helfen die nun von der Richtlinie vorgegebenen Kriterien für gleichwertige Arbeit (Kompetenzen, Belastungen, Verantwortungen, Arbeitsbedingungen). Soweit Entgeltunterschiede nicht durch solche objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien gerechtfertigt sind, sind Maßnahmen zur Beseitigung von Entgeltunterschieden vorzunehmen und anschließend ihre Wirksamkeit zu bewerten. Diese Bewertung ist dann gegebenenfalls bei einer erneuten gemeinsamen Entgeltbewertung zu berücksichtigen.
Die gemeinsamen Entgeltbewertungen sind nach der Entgelttransparenzrichtlinie den Arbeitnehmer*innen und ihren Vertreter*innen sowie der staatlichen Monitoringstelle zur Verfügung zu stellen. Außerdem kann eine staatliche Stelle (Aufsichtsbehörde und/oder Gleichbehandlungsstelle) aufgefordert werden, am Prozess mitzuwirken.
Die Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtet zu einer gemeinsamen Entgeltbewertung, wenn sich bei Arbeitnehmer*innen, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, ein nicht gerechtfertigter geschlechtsspezifischer Unterschied der durchschnittlichen Entgelthöhe von mindestens fünf Prozent ergibt und der*die Arbeitgeber*in diesen nicht innerhalb von sechs Monaten nach Berichterstattung bereits selbst korrigiert hat. Für Arbeitgeber*innen mit weniger als 100 Beschäftigten, die nicht der Berichterstattungspflicht nach der Entgelttransparenzrichtlinie unterliegen, sowie für diejenigen, bei denen sich geringere Entgeltunterschiede ergeben, ist zwar das Instrument der gemeinsamen Entgeltbewertung nicht verpflichtend, sie sind jedoch trotzdem an den Entgeltgleichheitsgrundsatz gebunden. Soweit sie noch keine Entgeltgleichheit erreicht haben, müssen auch sie Maßnahmen ergreifen. Es bietet sich an, sich dabei an den Vorgaben für die gemeinsame Entgeltbewertung zu orientieren.
Bestandsaufnahme und Analyse sind erste Schritte zur Herstellung von Entgeltgleichheit. Sie sind jedoch nur wirksam, wenn anschließend Arbeitgeber*innen, in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, sowie ggf. die Tarifvertragsparteien dabei festgestellte diskriminierende Entgeltstrukturen überarbeiten.
e) Handlungspflichten zur Herstellung von Entgeltgleichheit
Solange diskriminierende betriebliche bzw. tarifliche Entgeltregelungen noch nicht korrigiert wurden, haben die diskriminierten Beschäftigten Anspruch auf das Entgelt der begünstigten Gruppeoder Person. Das gilt auch dann, wenn Tarifbestimmungen die Grundlage der ungleichen Bezahlung sind. Dies entspricht dem europäischen Recht und ist auch mit der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie vereinbar. Die Tarifautonomie erlaubt allemal, Beschäftigten ein höheres Entgelt zu zahlen, als im Tarifvertrag vorgesehen (Günstigkeitsprinzip).
aa) Abhilfemaßnahmen
Im Falle einer Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts müssen die zuständigen Behörden oder Gerichte Maßnahmen anordnen, die sicherstellen, dass die Rechte oder Pflichten erfüllt werden.
Es böte sich ein Verfahren an, das danach unterscheidet, ob die Arbeitsentgelte durch einen Tarifvertrag geregelt sind, an den das Unternehmen gebunden ist, oder nicht.
Ist dies nicht der Fall und ist in dem Unternehmen ein Betriebsrat vorhanden, muss dieser an dem Veränderungsprozess beteiligt werden, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten, diesen Prozess mittragen und den Beschäftigten rückvermitteln zu können. Dasselbe gilt, wenn in einem tarifgebundenen Unternehmen über den Tarifvertrag hinaus Absprachen zum Entgelt bestehen sollten.
Das Entgeltgleichheitsgebot ist in Entgeltregelungen umzusetzen, die durchaus unterschiedlich gestaltet werden können. Für die Regelungsfrage sind der Betriebsrat und die Tarifvertragsparteien zu beteiligen. Die Rolle dieser Interessenvertretungen kann dabei höchst ambivalent sein. Denn die diskriminierenden Strukturen können von ihnen nicht nur mitgetragen, sondern möglicherweise auch angeregt worden sein und scheinen nun den Besitzstand einer möglicherweise durchsetzungsstarken Gruppe von Begünstigten zu gefährden. Deshalb ist es erforderlich, externen Sachverstand und Moderationsinstanzen mit eigenen Rechten an dem Analyse- und Veränderungsprozess zu beteiligen.
Im Fall der Tarifungebundenheit des Unternehmens sollte deshalb, entsprechend den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes, eine Einigungsstelle für Entgeltgleichheit gebildet werden. Dasselbe gilt, wenn in einem tarifgebundenen Unternehmen die Ungleichbehandlung ihren Ursprung in der Praxis der Eingruppierung in Tarifgruppen hat. Bestehen neben den tariflichen Regelungen zusätzliche Entgeltabreden, ist gleichfalls die Einigungsstelle anzurufen. Die Tarifvertragsparteien können Beisitzer*innen zusätzlich zu den üblichen Beteiligten benennen. Die sachverständige Person, die die Prüfung durchgeführt hat, und die Gleichstellungsbeauftragte sind zu beteiligen. Die sachverständige Person kann eigene Vorschläge einbringen und muss zum Ergebnis der Einigungsstelle eine Stellungnahme abgeben, die gleichfalls veröffentlicht werden muss.
Ziel der Einigungsstelle ist es, Ansprüche auf Nachzahlung zu wenig gezahlten Entgelts festzustellen, eine diskriminierende Entgeltpraxis zu beseitigen und das System für die Zukunft diskriminierungsfrei zu gestalten. Dabei kann sie alle Regelungen verabschieden, die auf Unternehmensebene getroffen werden können. Hat die Entgeltdiskriminierung ihre Grundlage allein in einer tariflichen Regelung und nicht in seiner Umsetzung auf Unternehmensebene, ist wie oben angemerkt vorzugehen. Gegen die Entscheidung der Einigungsstelle ist der übliche Rechtsweg gegeben, wobei in diesem Verfahren auch die Feststellungen des Prüfberichtes angegriffen werden können.
bb) Vorgehen in Unternehmen ohne Betriebsrat
Die Entgelttransparenzrichtlinie verlangt die Einbindung von Arbeitnehmervertreter*innen. Soweit kein Betriebsrat existiert, sollte ein besonderes Vertretungsorgan gebildet werden, indem die im Betrieb vertretenden Gewerkschaften die Mitglieder dieses Organs benennen. In diesen Fällen sollte zudem von der durch die Entgelttransparenzrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Mitwirkung einer staatlichen Stelle (Aufsichtsbehörde und/oder Gleichbehandlungsstelle) Gebrauch gemacht werden.
Das übrige Verfahren entspricht dem für Unternehmen mit Betriebsrat.
3. Handlungsfeld Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz
a) Probleme und Handlungsziel
Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen heißt auch, gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten zu schaffen, sodass die Beschäftigten ihrer Arbeit gesund und sicher nachgehen können. Arbeitgeber*innen sind rechtlich dazu verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten,[129] dass gesundheitliche Gefährdungen möglichst gar nicht erst entstehen.[130]Dazu haben sie die Arbeitsplätze in den einzelnen Betrieben auf ihre Gefährdungen zu beurteilen und müssen möglichen Gefahren durch geeignete Maßnahmen entgegentreten.[131]
Dieses Ziel einer gefährdungsfreien Arbeitsgestaltung ist aber keineswegs Realität. Die Kategorie Geschlecht wirkt sich bei arbeitsbedingten Belastungen und Beanspruchungen nachteilhaft aus,[132] wobei intersektionale Betroffenheit das Risiko ungleicher Arbeitsgefährdungen erhöht.[133] Konkret können sich sowohl die Geschlechtersegregation ganzer Branchen[134] als die innerhalb einer Branche vorhandenen geschlechterstereotypen Rollenerwartungen[135] negativ auf die Arbeits- und Gesundheitssituation der Beschäftigten auswirken. Ferner spielen auch die Wechselwirkungen zu anderen Handlungsfeldern eine Rolle, da gerade prekäre Beschäftigung mit unsicheren Aufstiegschancen, ungerechter Vergütung und auch eine Doppelbelastung durch Erwerbs- und Sorgearbeit mögliche Belastungsfaktoren darstellen.
Hinweise zur Integration von Genderaspekten in den Arbeitsschutz existieren,[136] jedoch mangelt es häufig an der Umsetzung. Dabei ist insbesondere die Erfassung von genderbezogenen Gefährdungen in der Arbeitssituation von Frauen ein Problem.
b) Bestandsaufnahme
Das Bemühen um eine ausgewogene Gesundheitspolitik beginnt bei der gendersensibilisierten Wahrnehmung der Arbeitssituation. Damit sich Belastungen bei der Arbeit nicht gesundheitsschädigend auswirken, müssen die Gefährdungsfaktoren zunächst erkannt werden. Als erster Schritt ist daher der Ist-Zustand der gesundheitlichen Beanspruchungen im Unternehmen festzustellen.[137]
Dabei empfiehlt es sich, zunächst die Verteilung aller Geschlechter auf Arbeits- und Tätigkeitsprofile sowie nach Hierarchieebenen und Art des Verhältnisses aufzuschlüsseln. Weiter ist von Bedeutung, in welchem Zeitumfang und an welchen Orten sie ihrer Tätigkeit nachgehen. Im Fazit des Stressreports 2012 wird empfohlen, arbeitsbezogene und soziodemographische Merkmale zu verbinden.[138] Von Bedeutung könnten hier das Bildungs- und Qualifikationsniveau sowie Sprachkenntnisse sein. Als gesundheitsrelevante Kennzahlen zählen die arbeitsbedingten Belastungen und Erkrankungen, Krankheitstage und krankheitsbedingten Fehlzeiten, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten sowie Frühverrentung. Auch Fluktuation und Eigenkündigungen können als Indizien herangezogen werden. Vervollständigt wird die Situationsanalyse durch Daten und Fakten zu Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und ggfs. Darstellung des betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems.
Da Belastungen oft nicht rein numerisch erfasst werden können, empfiehlt sich ein partizipativer Ansatz: Beschäftigte bringen ihre Erfahrungen mit belastenden Bedingungen ein. Qualitative Methoden wie Workshops, Beobachtungsinterviews oder standardisierte Fragebögen binden sie direkt ein. Besonders wichtig ist die Einbeziehung aller, einschließlich Beschäftigter in prekären Verhältnissen, mit unüblichen Arbeitszeiten oder isolierten Arbeitsplätzen.
Zentrale Themenfelder sind die physischen Belastungen und Beanspruchungen (aa), die psychosozialen Belastungen (bb) und Beanspruchungen, aber auch Berufserkrankungen (cc).
aa) Physische Belastungen und Beanspruchungen
Physische Belastungen und Beanspruchungen umfassen klassische Themen wie Gefahrstoffe, Lärm, extreme Temperaturen, Maschinen und Ergonomie. Was das Heben und Tragen schwerer Lasten wie auch einseitig-repetitive Tätigkeiten angeht, werden die körperlichen Belastungen insbesondere auf Frauenarbeitsplätze oft unterschätzt. Was persönliche Schutzausrüstungen (PSA) als Arbeitsmittel angeht, zeigen sich auch hier Lücken hinsichtlich der richtigen Größe und Passgenauigkeit. Dasselbe gilt für die Einrichtung der Arbeitsstätten.
Ein weiteres Themenfeld betrifft die biologischen Unterschiede in geschlechtsspezifischen Lebensphasen wie Schwangerschaft, Mutterschutz und Stillzeit, aber auch Menstruation und Menopause. Häufig werden Schwangere und stillende Mütter krankgeschrieben oder mit betrieblichen und/oder ärztlichen Beschäftigungsverboten konfrontiert, was negative Folgen für Karrieren und Qualifikationen hat.[139] Dies führt dazu, dass Schwangerschaft im betrieblichen Kontext oft als Krankheit oder Ausstiegsoption wahrgenommen wird, anstatt als normaler Bestandteil des Arbeitsschutzes.
Gefahren für die reproduktive Gesundheit von weiblichen Beschäftigten, einschließlich Menstruation und Menopause, werden kaum berücksichtigt. Stress am Arbeitsplatz kann beispielsweise das prämenstruelle Syndrom verstärken, indem er den Menstruationszyklus negativ beeinflusst. Eine deutschlandweite Studie zur Menopause am Arbeitsplatz zeigt, dass Wechseljahresbeschwerden erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit und das Wohlbefinden von Frauen haben.[140] Da über Menstruation jedoch nur selten offen gesprochen wird, tauchen Menstruations- und Menopausenprobleme in den üblichen Checklisten und Erhebungen, die zur Risikobewertung am Arbeitsplatz verwendet werden, meist nicht auf.
bb) Psychosoziale Belastungen und Beanspruchungen
Die meisten Indikatoren zur Stressbelastung weisen auf fortbestehende, teilweise noch steigende Geschlechterunterschiede hin. Bei Zusammenfassung der einzelnen Stressindikatoren zu einem Stressindex ergibt sich als Gesamtbild, dass Frauen häufiger gesundheitliche Beschwerden, Erschöpfung und schlechten allgemeinen Gesundheitszustand aufweisen.[141] Daten der BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2018 zeigen, dass Frauen in fast allen Berufsgruppen seltener über Handlungsspielräume verfügen als Männer.[142] Auch im Hinblick auf emotionale Anforderungen gibt es Unterschiede, da weibliche Beschäftigte ihre Arbeitssituation deutlich schlechter bewerten als männliche Beschäftigte.[143]
Ein Arbeitsumfeld, in dem ein rauer Umgangston mit Beschimpfungen und Beleidigungen und einseitige hierarchische Anordnungen üblich sind, wo Angst und Misstrauen vorherrschen und andauernd Konkurrenz- und Abgrenzungskämpfe ausgetragen werden, ist für weibliche Beschäftigte besonders belastend, kann sich aber auch für männliche Beschäftigte schädlich auswirken. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine geschlechtsbezogene Belastung, die sich in der Regel offensiv vor allem gegen Frauen richtet.[144] Sofern am Arbeitsplatz sexistische Vorurteile und Verhaltensweisen gelebt werden, kann sich dies auch für Personen mit einerdiversen Geschlechtsidentität belastend auswirken.[145] Auch digitalisierte Erscheinungsformen, wie Hassrede und Cybermobbing, gehören in dieses Handlungsfeld. Es gibt viele Stimmen, die insbesondere für den Bereich bestellte Tätigkeiten über das Internet („Work on Demand via Apps”) eine erhöhte Gefahr beschreiben.[146] Auch häusliche Gewalt kann sich belastend auf die Arbeit auswirken: Einerseits kann die Betroffenheit zu Gesundheitsproblemen und Fehlzeiten führen, die die Arbeitsleistung beeinträchtigen. Andererseits können Betroffene am Arbeitsplatz von den gewaltausübenden Partnern (sehr viel seltener von Partnerinnen)[147] aufgesucht werden, was die Notwendigkeit auslösen kann, Schutzmaßnahmen zu ermöglichen.[148]
Digitalisierung hat für die Geschlechter unterschiedliche Auswirkungen auf die physischen und psychischen Arbeitsbelastungen. Homeoffice etwa birgt Gefahren der Arbeitsverdichtung, der Entgrenzung von Arbeit und der Doppelbelastung von Frauen durch unsichtbare Arbeit. [149]
cc) Längerfristige Erkrankungen
Die Folgen von räumlichen, zeitlichen und organisatorischen Überlastungen können sich in erhöhten Fehlzeiten, steigendem Krankheitsstand und erhöhtem Unfallrisiko manifestieren.[150] Die Teilhabe von Frauen an betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen liegt bei einer Relation 40 % zu 60 % Männern, sodass sie unterproportional ist.[151] Insbesondere unfaire Behandlungen können Gründe für längere Abwesenheiten und Fluktuationen am Arbeitsplatz sein und bis hin zur Eigenkündigung führen. Geschlechterunterschiede bestehen auch bei den Krankmeldungen.[152] Der Anteil von Frauen ist bei längerfristig erkrankten Beschäftigten geringfügig höher als unter den Männern.[153] Bei den Krankheitsdiagnosen sind Frauen weit überproportional in der Diagnosegruppe der psychischen Erkrankungen und Atemwegserkrankungen zu finden.[154] Es gibt zuletzt auch genderbezogene Unterschiede im Hinblick auf die diskriminierenden Anerkennungsraten von Berufskrankheiten.[155] Hinsichtlich der Neuverrentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind die Zahlen seit 2012 nahezu unverändert; so zeigt auch die jüngste Veröffentlichung eine Betroffenheit von fast 50 Prozent bei den Frauen.[156]
c) Analyse
Auf die Bestandsaufnahme folgt die Auswertung der erhobenen Daten. Sofern die Daten auf ungleiche Be- und Entlastungsfaktoren hinweisen, kann dies als Indiz für diskriminierende Strukturen in der Unternehmenskultur gewertet werden. In einem nächsten Schritt ist die Frage zu klären, wie es zu dieser Ungleichbelastung der Geschlechter gekommen ist. Ansonsten besteht die Gefahr, ungleiche Geschlechterverhältnisse zu verfestigen, anstatt ihnen entgegenzuwirken. Denn ungleiche Belastungen zwischen den Geschlechtern sind meistens die Folge vorausgegangener Geschlechterdifferenzierungen. Diese Bewertungsmuster sind nun ebenfalls in den Blick zu nehmen.
Ein Beispiel dafür ist die sog. leichte Frauenarbeit. Damit werden Vorstellungen von typischen Frauenarbeitsplätzen als „einfach“ und die beruflichen Anforderungen hiervon als „niedrig“ verbunden.[157] Wenn auch Studien nach wie vor darauf hingewiesen haben, dass hierfür geschlechtsbezogene Vorurteile ursächlich sind,[158] halten sich diese hartnäckig. Während emotionale Tätigkeiten gerade bei Frauenberufen heruntergespielt wird, da dies doch auf eine „natürlich“ vorhandene Qualifikation von Frauen zurückgehe, wird von Männern im Gegenteil erwartet, dass sie „hart im Nehmen“ sind; beide Ausprägungen führen häufig dazu, dass Belastungen und Stressfaktoren verdrängt oder hingenommen werden.[159] Betriebliche Maßnahmen dürfen vorurteilsbehaftete Annahmen – zum Beispiel, dass Frauen weniger belastbar sind als Männer – nicht reproduzieren oder umkehren. Es ist stets zu fragen, welche Arbeitsanforderungen für wen als normal gelten und warum. Erst dieser Fokus kann zur Überwindung von diskriminierenden Praktiken verhelfen. Gendersensibilisierung und Genderkompetenz sind erforderlich, um die Verhältnisse und das Verhalten geschlechtergerecht zu verändern.
Bestandsaufnahme und Analyse sollten in einem Prüfbericht zusammengefasst werden. Dazu gehört auch die Feststellung, ob und in welchem Umfang die bisherigen arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen die Genderperspektive ausreichend berücksichtigen. Der Bericht ist mit dem Betriebsrat und – soweit vorhanden – mit der Gleichstellungsbeauftragten abzustimmen. Die Ergebnisse sollen verdeutlichen, welche Arbeitsbedingungen unter dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit für bestimmte Beschäftigte besonders nachteilig sind und welche Auswirkungen dies auf deren berufliche Verwirklichungschancen hat.
d) Entwicklung von Gleichstellungsstrategien
Für die Praxis gilt es nun, diese genderbezogenen Aspekte im Hinblick auf die Bestandsaufnahme und die Analyse innerhalb des betrieblichen Handelns zu reflektieren. Geschlechtergerechtigkeit dient als Maßstab, der bei der Arbeitsgestaltung Anwendung finden muss. Das bedeutet, die bei der Bestandsaufnahme erwähnten Situationen in die betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen aufnehmen und ein risikominderndes Verhalten in den betrieblichen Alltag zu integrieren. Beim Beispiel von Schwangerschaften könnten durch ein proaktives Vorgehen unverantwortbare Risiken für Mutter und Kind vermieden und die Weiterbeschäftigung schwangerer Frauen und stillender Mütter ermöglicht werden. Zur Gestaltung der gesundheitsrelevanten Bedingungen des Arbeitsplatzes gibt es ferner auch mitbestimmungsrechtliche Instrumente.[160] Entlang der folgenden vier Fragen sind belastungsmindernde Maßnahmen zu orientieren:[161]
- Identifikation von Gefährdungen: Welche spezifischen Gefährdungen bestehen am Arbeitsplatz?
- Maßnahmen zum Arbeitsschutz: Welche präventiven und schützenden Maßnahmen können ergriffen werden?
- Wissen und Schulung: Verfügen die Beschäftigten über ausreichende Kenntnisse und wurden sie entsprechend geschult?
- Unternehmenskultur: Ermutigt die Unternehmenskultur die Beschäftigten dazu, sich aktiv bei Arbeitsschutzthemen einbringen und diese mitzugestalten?
Ziele in diesem Handlungsfeld können quantitativ und qualitativ gefasst sein:
- Quantitative Ziele wären beispielweise die Erhöhung der Quote durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen mit Fokus auf frauentypische Gefährdungen oder eine gesteigerte Teilnahmequote von Frauen in Angeboten der betrieblichen Gesundheitsförderung, während
- Qualitative Ziele die Durchführung gendersensibel gestalteter Beschäftigtenbefragung zu psychischen Belastungen, die Einrichtung eines Gesundheitszirkels zu genderrelevanten Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Wertschätzung und der Umgang mit Sexismus in den Arbeitsbeziehungen, oder die Etablierung eines gendersensiblen betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems sein können.
Die Überprüfung der Wirksamkeit ließe sich zunächst schematisch einfach in Form geringerer Krankenstände und weniger Arbeitsunfällen erfassen, bei der Frage nach Verbesserungen im Bereich der psychischen Belastungen auch mittels einer Wiederholungsbefragung. Dabei ist entscheidend, dass die Maßnahmen geschlechtergerecht gestaltet sind und nicht lediglich „geschlechtsspezifisch“. Wer alle gleichbehandelt, handelt im Arbeitsschutz zunächst ungerecht, da der Arbeits- und Gesundheitsschutz nirgends von vornherein „Geschlechtsneutralität“ voraussetzen darf.
Gute Vorbereitung wirkt entlastend. Neben Schutzmaßnahmen sollten auch Kurse, Schulungen und Weiterbildung (Resilienz, Stressmanagement, Anti-Gewalt-Training) mitsamt Bereitstellung relevanter Informationen für alle in zugänglicher Form zu Sicherheits- und Gesundheitsrisiken vorgesehen werden. Ferner kann das Vorliegen von Konzepten, z.B. in Formen von Betriebsvereinbarungen, ebenso entlastend wirken.[162] Mögliche Themen für betriebsinterne Vereinbarungen und Leitlinien können Führungsverhalten, (digitale) Kommunikation, (häusliche) Gewalt und Belästigung, oder betriebliche Gesundheitsförderung sein. Einzelne Maßnahmen können sich für Gender Budgeting eignen, zum Beispiel die Verwendung von Mitteln für BGF oder für ausreichende Schulungen und Begleitmaßnahmen.
Betriebsintern sind neben den Arbeitgeber*innen und den Beschäftigten auch weitere Personen mit der Umsetzung des Arbeitsschutzes betraut.[163]Die Arbeitgeber*innen sowie die Betriebsräte können sich bei der Gestaltung geschlechtergerechter Arbeitsbedingungen fachkundig unterstützen lassen. Zu den gesetzlichen Aufgaben der staatlichen Arbeitsschutzbehörden sowie der Berufsgenossenschaften als Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung und sonstiger Aufsichtsämter gehören auch heute schon geschlechtersensible Gefährdungsbeurteilungen und Arbeitsschutzmaßnahmen.[164] Zur Unterstützung der Betriebe bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl zum Teil branchenbezogener Informationsangebote, Schulungen und Handlungshilfen bereitgestellt.[165]
4. Handlungsfeld Arbeitszeit und Vereinbarkeit der Lebensbereiche
a) Probleme und Handlungsziel
Arbeitszeitregime in Unternehmen beruhen auf Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder einseitigen Festlegungen und verlangen von den Beschäftigten häufig zeitliche Flexibilität. Unternehmen, die sich aktiv auf Flexibilitätsbedürfnisse von Beschäftigten einstellen, sind die Ausnahme. Gesetzliche Regelungen, die den Beschäftigten einen Anspruch auf flexible Arbeitszeitgestaltung einräumen[166], sind begrenzt. Das benachteiligt besonders Beschäftigte mit Sorgeverpflichtungen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit ist aber keine individuelle Aufgabe des Zeitmanagements, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, die (auch) die Unternehmen mittragen sollten.[167]
Viele Menschenwünschen sich selbstbestimmte Arbeitszeiten, die zu ihren Lebensphasen passen.[168] Es geht um die Berücksichtigung privater Bedingungen.[169] Besonders in Phasen intensiver Betreuung von Kindern oder pflegebedürftiger Angehöriger, in Phasen der Weiterbildung oder auch von Krankheit und Rehabilitation steht weniger Zeit für Erwerbsarbeit zur Verfügung.
Die ungleiche Verteilung von Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern führt zu gravierenden Gerechtigkeitsproblemen, denn die Erwerbsarbeitszeiten polarisieren sich. Frauen arbeiten zu knapp fünfzig Prozent in Teilzeit[170] (meist mit kürzeren Arbeitszeiten als gewünscht[171]) und können Vollzeitstellen oder Führungspositionen oft nicht wahrnehmen. Die sog. Brückenteilzeit[172] hilft nur begrenzt gegen die sog. Teilzeitfalle[173]. Frauen leisten im Durchschnitt täglich 44,3 % mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer, sodass Männer strukturell mehr Zeit für Erwerbsarbeit aufwenden können als Frauen. Dies begünstigt die kontinuierliche berufliche Entwicklung von Männern, während Frauenkarrieren oft stagnieren. Die verkürzte und/oder unterbrochene Erwerbsarbeitszeit hat auch Auswirkungen auf die Ungleichheit der Geschlechter beim Entgelt[174], beim Zugang zu Beschäftigungsbereichen und Aufstieg, bei Weiterbildungen und schließlich im Rentenalter. Im Jahr 2023 betrug die Altersversorgung von Frauen im Schnitt nur etwa 60 % von derjenigen der Männer.[175]
Arbeitszeitregime in den Unternehmen sind also Schlüsselthema für die Zukunftder Arbeit und auch der Geschlechtergerechtigkeit. Erforderlich ist ein Abrücken von einer „Normalarbeitszeit“, die traditionelle Rollenbilder verfestigt und große Teile der Erwerbsfähigen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, wenn nicht sogar (zeitweise) vom Arbeitsmarkt ausschließt. Eine geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik muss Bestandteil jeder nachhaltigen Personalpolitik sein und ist für alle Beschäftigten wichtig. Auch die Vereinbarkeits-Richtlinie der Europäischen Union[176] verfolgt das Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben unter anderem durch flexible Arbeitszeiten zu erleichtern, um die Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben zu fördern.
Individuelle Rechte auf selbstbestimmte Arbeitszeiten sind notwendig, reichen jedoch für eine geschlechtergerechte Arbeitszeitkultur nicht aus. Einzelne Beschäftigte sollten für ihre Rechte nicht in den Konflikt mit der Arbeitgeberseite treten müssen. Eine echte Änderung derArbeitszeitkultur erfordert kollektiv erarbeitete,wirkende und abgesicherte Optionen für Beschäftigte, die vorhersehbar, planbar, verlässlich und rechtssicher sind. Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit an ihre Lebensbedürfnisse anpassen, gelten dann nicht mehr als Störfaktor und müssen auch nicht mehr das individuelle Durchsetzungsrisiko tragen. Außerdem verbessern solche Optionen auch die Chancen für Männer, ihren partnerschaftlichen Anteil an der Sorgearbeit zu leisten.
Selbstbestimmte Arbeitszeiten erfordern durchaus organisatorischen Aufwand und können an betriebliche Grenzen stoßen. Dabei sind die Bedingungen der Unternehmen hinsichtlich ihrer gestalterischen Möglichkeiten ganz unterschiedlich. Große Unternehmen haben oft mehr Spielraum, doch auch kleine und mittlere Betriebe (KMU) können flexible Arbeitszeiten ermöglichen. KMU haben aufgrund ihrer flachen Hierarchien und eines weniger formalisierten Personalmanagements im Gegenteil sogar besonders gute Voraussetzungen für die Ermöglichung von Zeitsouveränität.[177]
In bestimmten Tätigkeitsbereichen, wie z.B. der Fließbandproduktion, kann bereits die befristete Reduzierung der Arbeitszeit Einzelner um wenige Stunden zu organisatorischen Problemen führen, die in anderen Bereichen, etwa im Dienstleistungsbereich, seltener sind. Daher sollten alle Betriebe sämtlicher Branchen und Größen differenzierte Lösungen finden, die das Unternehmen nicht überfordern, aber den Wunsch der Beschäftigten nach Arbeitszeitsouveränität berücksichtigen.
Tarifvertragsparteien und Betriebsparteien spielen dabei eine wichtige Rolle. Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren sichern kollektive Arbeitszeitkonzepte, die betriebliche und Beschäftigteninteressen ausgewogen verbinden.
b) Bestandsaufnahme
Der erste Schritt zu einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur im Handlungsfeld Arbeitszeit ist die Bestandsaufnahme der Arbeitszeitregime im Unternehmen und, sofern unterschiedlich, in den einzelnen Betrieben und/oder Betriebsteilen. Außerdem sollten die aktuellen und zukünftigen Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten erfasst werden, um zu prüfen, ob die bestehenden Regelungen den Bedürfnissen der Beschäftigten und der Geschlechtergerechtigkeit entsprechen. Ferner muss der „Arbeitszeit-Check“ die reale Verteilung der Arbeitszeit auf die Geschlechter bezogen auf Dauer, Lage, Rhythmus und Arbeitsort ermitteln. Damit bildet er eine wertvolle Grundlage für ein geschlechtergerechtes Arbeitszeitkonzept, indem bislang nicht vorhandenes Wissen über die tatsächlichen Arbeitszeitinteressen und -wünsche der Beschäftigten gewonnen wird.
c) Analyse
Die durch den „Arbeitszeit-Check“ gewonnenen Daten müssen analysiert werden; der Betriebsrat ist zu beteiligen. Dabei sind folgende Gesichtspunkte von Belang: Welche Arbeitsaufgaben erfordern strikte Zeitvorgaben über Dauer und/oder Lage der Arbeitszeit? Wieviel Flexibilität ist hinsichtlich der zeitlichen Erbringung der Arbeit möglich? Nutzt der Betrieb seine Flexibilitätsspielräume vollständig? Wird die Arbeitszeitgestaltung bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt und ist sie Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements? Welche gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Vorgaben begrenzen die Handlungsspielräume des Unternehmens und die Berücksichtigung der Zeitinteressen der Beschäftigten? Wie viele Beschäftigte und welche Beschäftigten(gruppen) haben Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich Umfang, Lage und selbstbestimmter Flexibilität ihrer Arbeitszeit sowie des Arbeitsortes? Welche arbeitszeit- und arbeitsortbezogenen Bedarfe der Beschäftigten beruhen auf ihrer Lebenssituation, insbesondere im Hinblick auf Sorge- und Pflegeaufgaben? Diese Fragen können je nach Tätigkeitsbereich im Unternehmen unterschiedlich zu beantworten sein.
d) Gleichstellungsstrategie
Auf der Basis der Erkenntnisse aus dem „Arbeitszeit-Check“ kann das Unternehmen ein geschlechtergerechtes Arbeitszeitkonzept entwickeln, das ein selbstbestimmtes bzw. lebenslauforientiertes Arbeiten hinsichtlich Dauer, Lage, Rhythmus und Ort ermöglicht. Es sollten umsetzbare Optionen für die unterschiedlichen Arbeitszeitbedürfnisse zur Verfügung gestellt werden. Alles, was im Unternehmen machbar ist, sollte angeboten werden; was nicht möglich ist, bleibt unberücksichtigt.
Arbeitszeitregime unterliegen der Mitbestimmung. In Unternehmen mit Betriebsrat sollte das Arbeitszeitkonzept in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. In tarifgebundenen Unternehmen muss das Arbeitszeitkonzept mit dem Tarifvertrag übereinstimmen, andernfalls ist die Zustimmung der Tarifvertragsparteien einzuholen. In nicht mitbestimmten Betrieben ist die erforderliche Verbindlichkeit durch entsprechende Zusage an die Beschäftigten[178] herzustellen.
Das Konzept sollte alle drei Jahre auf seine Interessen- und Geschlechtergerechtigkeit überprüft und bei Bedarf aktualisiert werden. Änderungswünsche der Beschäftigten müssen zeitnah berücksichtigt werden, etwa durch die Schaffung neuer oder die Erweiterung bestehender Optionen. Es ist wichtig, den Beschäftigten eine jederzeit flexibel anpassbare Arbeitszeiteinteilung bereitzustellen.
Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist erstrebenswert. Die Unzufriedenheit vieler Menschen mit ihrer Arbeitszeit ist umso größer, je länger die Arbeitszeit ist.[179] Die Arbeitszeitverkürzung ersetzt aber nicht das Recht auf bedürfnisadäquate Arbeitszeit im Einzelfall; vielmehr ergänzen sich beide. Eine wöchentliche Arbeitszeit von etwa dreißig Stunden würde die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Lebenswirklichkeit verbessern und den geschlechtsspezifischen Effekt der Inanspruchnahme von Arbeitszeitverkürzung, der vor allem Frauen betrifft, weitgehend minimieren Dennoch kann auch eine kürzere Vollzeitarbeit nicht alle Bedürfnisse nach flexiblen Arbeitszeiten im Lebensverlauf abdecken.
Die Einführung einer Vier-Tage-Woche muss differenziert betrachtet werden. Zunächst betrifft sie lediglich die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Nur vier Tage in der Woche mit Erwerbsarbeit zu verbringen, kann bei bestimmten Beschäftigten und in bestimmten Beschäftigungsbereichen sinnvoll sein. Das gilt allerdings nicht allgemein. Ist die Einführung einer Vier-Tage-Woche nicht mit Arbeitszeitverkürzung verbunden und führt zu zehn Stunden täglicher Erwerbsarbeit, kann dies gesundheitliche Risiken mit sich bringen.[180] Zudem kann dies für Menschen mit Sorgeverpflichtungen eine erhebliche Erschwerung bedeuten; man denke etwa an die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen.[181] Auch ist die Annahme, die gewonnene „Frei“-Zeit führe fast zwangsläufig dazu, dass die Verteilung der Sorgearbeit gerechter erfolge, nicht gerechtfertigt. Denn Studien zeigen, dass Frauen auch an Wochenenden durchschnittlich mehr Zeit für Haushaltsaufgaben aufwenden als Männer.[182]
Ein geschlechtergerechtes Arbeitszeitkonzept im Unternehmen ist stets das individuelle Recht von Beschäftigten auf die Änderung der jeweiligen vertraglichen Arbeitszeit entsprechend den Optionen des Arbeitszeitkonzepts. Dabei geht es bei der Dauer der Arbeitszeit nicht nur um (zeitweise) Reduzierungen der ursprünglich vertraglich vereinbarten Arbeitszeit, sondern auch (sofern ein freies Arbeitszeitvolumen vorhanden ist) um gewünschte Erhöhungen der Arbeitszeit. Dies gilt auch für Beschäftigte, die von Beginn an teilzeitbeschäftigt waren. Ebenso muss die Lage der Arbeitszeit an die individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse angepasst werden können. Dafür kommen passgerechte Anfangs- und Endzeiten, eine flexible Einteilung der Arbeitszeit oder auch Gleitzeit und Kernarbeitszeiten in Betracht.[183] In jedem Fall sind die betrieblichen Maßnahmen so auszugestalten, dass sie die geschlechterparitätische Wahrnehmung von Sorgeaufgaben ermöglichen, fördern und unterstützen.
Eine Flexibilisierungsmöglichkeit ist gesetzlich auch für Führungspositionen vorgesehen und bedarf ebenfalls der Verankerung in der Unternehmenskultur. So wurde 2021 durch das Zweite Führungspositionengesetz (FüPOG II) für Mitglieder derVertretungsorgane von Kapitalgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Mandatspause eingeführt[184] und ihnen damit die Chance eröffnet, ihre Führungstätigskeiten an individuelle Lebenssituationen anzupassen. Vorstands- und Geschäftsfürungsmitglieder dürfen in Fällen von Schwangerschaft, Pflege von Angehörigen, Elternzeit oder Krankheit nicht gezwungen sein, ihr Amt endgültig niederzulegen. Sie müssen deshalb die Möglichkeit haben, im Rahmen einer „Auszeit“ auf andere Weise von gesellschaftsrechtlichen Haftungsrisiken befreit zu werden. Nur so werden sich Frauen vermehrt bereit erklären, solche Ämter zu übernehmen. Gleiche Verwirklichungschancen dürfen nicht nur für den Weg in das Gremium mittels Quoten geschaffen werden, sondern müssen auch für die anschließende Mandatsausübung gelten.
Der Arbeitsort sollte ebenfallsberücksichtigt werden. Wenn möglich, sollte es ein Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten geben. Durch den Wegfall der Wegezeit zum und vom Arbeitsplatz entsteht eine Zeitersparnis. Auch können Beschäftigte ihre Arbeitszeit flexibler gestalten und sie an die Bedürfnisse ihres individuellen Alltags anpassen. Allerdings sind Homeoffice und mobiles Arbeiten nicht grundsätzlich als geschlechtergerechtes Arbeiten zu begreifen, da Erwerbs- und Sorgearbeiten auch im Homeoffice nicht parallel geleistet werden können.[185] Zudem bestehen Herausforderungen hinsichtlich einer adäquaten Arbeitsausstattung, einer realistischen Arbeitszeiterfassung und der mangelnden unmittelbaren Kommunikation.[186] Diese Probleme können durch Co-Working-Spaces gemindert werden, da sie Austausch mit Kolleg*innen, Trennung von Arbeit und Privatleben sowie eher eine arbeitsschutzkonforme Arbeitsumgebung bieten. Co-Working-Spaces können auch Kinderbetreuung integrieren und so die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie fördern. Neben Homeoffice und Arbeiten in Co-Working-Spaces kommen auch noch weitere Arten mobilen Arbeitens[187] in Betracht.
Aus Gründen der Sicherheit und Planbarkeit für die Betriebe und die Beschäftigten sollten bei der Umsetzung des Arbeitszeitkonzepts Fristen für die Geltendmachung gesetzt werden. Auch sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Inanspruchnahme der vorgesehenen Optionen zeitlich zu befristen. Die Dauer der Befristung sollte dabei auf die Bedürfnisse der Beschäftigten sowie die betrieblichen Möglichkeiten abgestimmt werden. Rechtzeitig vor dem Auslaufen der Befristung sollten die Parteien klären, ob die gewählte Option verlängert, durch eine andere (befristete) Option ersetzt oder einfach auslaufen soll. Dabei gibt die Befristung den Beschäftigten die Sicherheit, dass mit dem Auslaufen der getroffenen Vereinbarung wieder ihre ursprünglichen Vertragsbedingungen gelten. Gleichzeitig erhalten Betriebe Planungssicherheit bei der Frage, wie und für welche Dauer Lücken und Bedarfe, die durch die Geltendmachung von Ansprüchen auf Grundlage des Arbeitszeitkonzepts entstehen, ausgeglichen werden müssen. Darüber hinaus sollte aber auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Vereinbarungen bestehen, wenn eine Änderung der tatsächlichen Lebensumstände dies erfordert. Ähnliches sieht auch die Vereinbarkeits-Richtlinie der Europäischen Union vor. Danach haben Arbeitgeber*innen über Anträge von Beschäftigten auf vorzeitige Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Arbeitsmuster unter Berücksichtigung der beiderseitigen Bedürfnisse zu entscheiden.[188] Eine ähnliche Regelung sollte auch in das Arbeitszeitkonzept aufgenommen werden, wobei die Gründe, aus denen ein Antrag auf vorzeitige Rückkehr zu den ursprünglichen Vertragsbedingungen abgelehnt werden kann, näher bestimmt werden sollten.
Nach längeren sorgearbeitsbedingten Auszeiten sollte ein Rückkehrmanagement eingeführt werden, um die Wiedereingliederung der Beschäftigten zu erleichtern und die Planbarkeit für den Betrieb zu erhöhen.[189] Dazu sollten rechtzeitig vor der Wiederaufnahme der Tätigkeit Gespräche stattfinden, in denen die Beschäftigten über etwaige betriebliche Umstrukturierungen und personelle Veränderungen informiert und ihre Arbeitszeitwünsche, Tätigkeitsvorstellungen sowie Karriereplanungen abgefragt werden. Gegebenenfalls sollte ein Wiedereingliederungsplan erstellt werden. Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass Beschäftigte – soweit erwünscht – im Rahmen eines Abwesenheitsmanagements auch während einer Auszeit über aktuelle betriebliche Ereignisse und Entwicklungen sowie berufliche Veranstaltungen auf dem Laufenden gehalten werden.
Bei der Entwicklung von Arbeitszeitoptionen müssen die Interessen der Beschäftigten und des Unternehmens sowie der Beschäftigten untereinander abgewogen werden. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass bestimmte Arbeitszeitwünsche zurückzutreten haben. Vielmehr können sich unterschiedliche Bedürfnisse ergänzen und so Arbeitszeiten ermöglichen, die für möglichst viele Beschäftigte wie auch das Unternehmen passende Lösungen bieten. Allerdings können Interessenkollisionen und damit Konflikte zwischen Beschäftigten auftreten. Denn ein Interesse an (zeitweiser) vollständiger oder teilweise Arbeitszeitreduzierung kann in einem Beschäftigungsbereich nicht von allen Beschäftigten gleichzeitig verwirklicht werden. Es geht dann um Priorisierungen und Auswahlentscheidungen. Um hierfür die nötige Akzeptanz herzustellen, müssen im Unternehmen geeignete Instrumente der innerbetrieblichen Information und Kommunikation sowie entsprechende Verfahren entwickelt und etabliert werden.
Unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitszeitkonzepts sollte eine Regelung zu der Frage sein, wie Lücken und Bedarfe, die durch die Inanspruchnahme von Arbeitszeitoptionen entstehen, ausgeglichen werden. Das ist eine anspruchsvolle organisatorische Herausforderung, die Faktoren wie Kurzfristigkeit der Geltendmachung, Dauer und Umfang der Arbeitszeitreduktion oder des Ausfalls, Qualifikation der Beschäftigten, Tätigkeitsbereich, wirtschaftliche Lage des Unternehmens und vorhandene Personalressourcen berücksichtigen muss.[190] Das geltende Recht nimmt dieses Problem kaum in den Blick, was zur Arbeitsverdichtung durch Nichtanpassung des Arbeitsvolumens an die geringere Arbeitszeit, Verlagerung unbesetzten Arbeitsvolumens auf andere Beschäftigte und zu prekärer Beschäftigung von Vertretungspersonal führt. Arbeitszeitsouveränität durch einzelne Beschäftigte darf nicht auf Kosten anderer Beschäftigter erfolgen, auch wenn im Einzelfall eine gewisse Solidarität verlangt werden kann und muss.
Zur Vermeidung vonArbeitsverdichtung und Arbeitsverlagerungen ist eine vorausschauende Personalplanung notwendig, die an die Flexibilitätsbedürfnisse der Beschäftigten angepasst ist.[191] Dies kann durch Neueinstellungen, Teilzeit- und Arbeitszeiterhöhungsangebote oder eine Aufteilung von Aufgaben auf mehrere Beschäftigte erfolgen; gegebenenfalls nach Erweiterung des Qualifikationsspektrums der Beschäftigten durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen. Zudem sollten die Möglichkeiten einer Überprüfung und Anpassung der Arbeitsprozesse und der unternehmerischen Aktivitäten genutzt werden, indem Arbeitsaufgaben priorisiert, Projekte zeitweilig zurückgestellt oder vorgesehene Zeitpläne gestreckt werden.[192] Potentiale des Jobsharings sollten ausgeschöpft werden. Dies bietet sich auch bei Führungspositionen an, weil Jobsharing es ermöglicht, einheitliche Führungsaufgaben auf mehrere Personen aufzuteilen (sog. Top-Sharing).[193] Jobsharing darf aber nicht dazu führen, dass ein Jobsharing-Tandem de facto wie zwei Vollzeitbeschäftigte behandelt wird, was zwangsläufig zu mehr Zeitdruck sowie zahlreichen Überstunden führt. Außerdem ist darauf zu achten, dass beide Tandem-Beschäftigte im Unternehmen (z.B. auch im EDV-System) sichtbar sind und dass mit Jobsharing keine schlechtere Bezahlung und/oder geringere Aufstiegschancen verbunden sind.[194] Zur Vermeidung dieser Risiken sollten entsprechende Fortbildungen für Vorgesetze vorgesehen werden.
Zusammengefasst sollten für die Entwicklung von Arbeitszeitkonzepten folgende Maßnahmen geprüft und, wenn für das jeweilige Unternehmen möglich, auch umgesetzt werden:
- Festlegung innerbetrieblicher Verfahrensweisen bei individuellen Verkürzungen oder Verlängerungen der Arbeitszeit, Änderungen der Lage der Arbeitszeit oder des Arbeitsorts sowie längeren Auszeiten
- Information und Kommunikation in alle Beschäftigtengruppen, Benennung von Ansprechpersonen
- Proaktive Unterstützung sorgearbeitsbedingter Arbeitszeitverkürzung von Männern sowie Elternzeit von Vätern und gleichberechtigter Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit unter den Geschlechtern
- Regelungen zur Teilhabe an betrieblichen Prozessen (z.B. Fortbildungen, Personalentwicklungsgespräche) bei Inanspruchnahme von Elternzeit oder anderen sorgearbeitsbedingten Auszeiten
- Einführung eines Abwesenheits- und Rückkehrmanagements bei Inanspruchnahme von Elternzeit und anderen sorgearbeitsbedingten Auszeiten
- Regelungen zur Umverteilung des bei Arbeitszeitverkürzung freiwerdenden Arbeits-/Aufgabenvolumens
- Verfahrensweise und Kriterien für die Zuteilung von freigewordenem Arbeitszeitvolumen, insbesondere Berücksichtigung derjenigen Beschäftigten, die den Wunsch nach Arbeitszeitaufstockung äußern oder geäußert haben
- Benennung der Zeiten innerhalb eines Tages, der Wochentage oder Wochen innerhalb des Jahres, die bei Arbeitszeitreduzierungen ohne Probleme für die Betriebsabläufe frei genommen werden können
- Einführung eines betrieblichen und überbetrieblichen Vertretungspools
- Vorgehensweise beim Tausch von Arbeitszeiten
- Verfahren und Kriterien für die Entscheidung bei Kollisionen mit den Interessen anderer Beschäftigter
- Berücksichtigung der Öffnungszeiten betriebsinterner oder -externer Kinderbetreuungseinrichtungen bei der Festlegung von Arbeitszeiten, Arbeitsorten und Arbeitsvolumina (z.B. durch Gleitzeit, flexible Schichtübergaben in der Produktion, zeiterfasste Mobilarbeit)
- Angebot von (übertragbaren) Jahres-/Lebensarbeitszeitkonten oder anderen Arbeitszeitansparmodellen für den kurzfristigen Abruf (z.B. für Schließzeiten von Betreuungseinrichtungen)
- Angebot örtlich dezentraler Arbeit (Homeoffice, mobiles Arbeiten, Arbeit in Co-Working-Spaces) und Fortbildung (z.B. eLearning), verbunden mit der Gewährleistung betrieblicher Kontakte und dem Recht, auf einen betrieblichen Arbeitsplatz zurückzukehren oder bei der Besetzung eines solchen Arbeitsplatzes bevorzugt berücksichtigt zu werden
- Schaffung zeitautonomer Gruppen, die Umfang und Lage ihrer Arbeitszeiten selbstständig untereinander absprechen und koordinieren können
- Ausgestaltung von Führungskräftearbeitsplätzen unter dem Gesichtspunkt einer familienfreundlichen Arbeitszeit (z.B. auch durch Jobsharing-Angebote)
- Umwandlung von Mini-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse
Verfügen KMU nicht oder nur begrenzt über die finanziellen, technischen oder personellen Ressourcen, um ein Arbeitszeitkonzept zu entwickeln, sollten sie dennoch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem fördern und Regelungen anzubieten, mit denen den Interessen der Beschäftigten wie den betrieblichen Notwendigkeiten bestmöglich Rechnung getragen wird. Kammern,Innungen sowie regionale Untergliederungen von Wirtschaftsverbänden können hierbei gegebenenfalls unterstützend tätig werden.
Impressum
Herausgeber: Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb)
Präsidium: Ursula Matthiessen-Kreuder, Rechtsanwältin, Bad Homburg (Präsidentin), Lucy Chebout, Rechtsanwältin, Berlin und Verena Haisch, Rechtsanwältin, Hamburg (Vizepräsidentinnen), Petra Lorenz, Regierungsdirektorin i.R. (Schatzmeisterin), Anke Gimbal, Rechtsassessorin, Berlin (Geschäftsführerin)
Verantwortlich: Die Konzeption wurde 2021 in der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht des djb (Vorsitz Prof. Dr. Heide Pfarr) erarbeitet und 2024/2025 von der neu zusammengesetzten Kommission (Vorsitz Prof. Dr. Isabell Hensel) unter der Federführung von Prof. Dr. Heide Pfarr überarbeitet und um Handlungshinweise für die Unternehmen erweitert.
Bundesgeschäftsstelle
Kronenstr. 73
10117 Berlin
Telefon: +49 30 4432700
https://www.djb.de/
geschaeftsstelle@djb.de
AG Dortmund, Vereinsreg.-Nr.: 1444
Berlin, 2025
[1] Die 2021 erarbeitete Version wurde 2024/2025 an entscheidenden Stellen überarbeitet.
[2] Es sind alle Personen erfasst, die sich unabhängig von ihrem Eintrag im Personenstandsgesetz als Frau identifizieren.
[3] Nichtbinär findet sich im Diskurs häufig als Selbstbezeichnung und wird in diesem Text zur Vereinfachung als zusammenfassende Bezeichnung verwendet. Nichtbinäre Personen sind solche, die sich mit den Begriffen „Frau“ und „Mann“ nicht treffend bezeichnet sehen und deren Geschlechtsidentität aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in ein binäres Geschlechtermodell passt, weil sie nicht ganz, nicht immer oder nicht „männlich“ oder „weiblich“ sind. Der vergleichsweise neutrale Begriff steht für die Vielfalt von Geschlechtern und soll zum Ausdruck bringen, dass ein drittes Geschlecht nicht einheitlich bestimmt werden kann. Siehe dazu Kasten, Bedeutung der ‚Dritten Option‘ in der Universität, Abbau von Diskriminierungen nicht-binärer und binärer inter- und transgeschlechtlicher Personen, 2019; Plett, Rechtswissenschaftliche Expertise zum 3. Geschlechtseintrag, 2019.
[4] Damit werden nicht andere Bereiche wie etwa öffentliche Infrastrukturen, der öffentliche Dienst oder der Bereich der – nach wie vor gesellschaftlich zu wenig anerkannten – unbezahlten Sorgearbeit relativiert bzw. der Reformbedarf priorisiert. Es wird nur hervorgehoben, dass der Gleichstellungsaspekt in der Privatwirtschaft rechtspolitisch und regelungstechnisch dringend eigene Ansätze und Umsetzungsmöglichkeiten braucht.
[5] Die Erwerbstätigenquote von Frauen lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2023 bei 73,6%, die der Männer bei 80,8%, vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigenquoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html#fussnote-3-120426 (26.8.2024).
[6] Im Jahr 2023 waren 34,3 % aller Vollzeitbeschäftigten Frauen, dagegen 75,9 % aller Teilzeitbeschäftigten, vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/teilhabe-frauen-erwerbsleben.html (08.01.2025).
[7] Jede dritte Frau arbeitet in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, siehe Seils/Baumann, Trends und Verbreitung atypischer Beschäftigung, WSI-Policy Brief Nr. 34 2019, abrufbar unter https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_pb_34_2019.pdf (26.8.2024).
[8] Siehe Diener u.a., Lange Erwerbsunterbrechungen von Frauen: Beruflicher Wiedereinstieg mit Hürden, IAB-Kurzbericht Nr. 24, 2013, abrufbar unter https://doku.iab.de/kurzber/2013/kb2413.pdf (26.8.2024); Drahs u.a., Geplante und tatsächliche Erwerbsunterbrechungen von Müttern, DIW Roundup 64, 2015, abrufbar unter https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.504495.de/diw_roundup_64_de.pdf (26.8.2024).
[9] So Hobler u.a., Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern, WSI Report Nr. 56, Februar 2020, S. 6 ff., 17, abrufbar unter https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_56_2020.pdf (26.8.2024).
[10] Der Frauenanteil in den der Mindestquote unterliegenden Unternehmen lag bei 35% im Aufsichtsrat und 13% im Vorstand, bei den nicht der Mindestquote unterliegenden Unternehmen nur bei 24% im Aufsichtsrat und 10,5% im Vorstand, so Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), 2020, S. 66 ff; nach Angaben des statistischen Bundesamtes waren 2022 nur 28,9 % aller Führungskräfte Frauen, vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Grundgesetz/frauen_fuehrungspositionen.html (26.8.2024).
[11] Vgl. statt vieler Schäper/Schrenker/Wrohlich, Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, DIW Wochenbericht 9/2023. Der Gender Pay Gap liegt seit 2020 bei 18%, so die aktuelle Pressemitteilung Nr. 083 des Statistischen Bundesamts vom 5.3.2024, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_083_621.html (26.8.2024). Der Gender Care Gap liegt bei 44,3%, der Gender Pension Gap bei 29,9%, der Gender Lifetime Earnings Gap liegt bei 49,8%, so die Gender Gaps in Deutschland der UN Women von Februar 2024, abrufbar unter https://unwomen.de/gender-gaps-in-deutschland/ (26.8.2024). Der Digital Gender Gap weist ebenfalls auf geschlechtsbezogene Unterschiede zwischen Männern und Frauen hin, siehe Lott, Der Gender Digital Gap in Transformation?, WSI Report Nr. 81, Februar 2023, abrufbar unter https://www.wsi.de/fpdf/HBS-008549/p_wsi_report_81_2023.pdf (26.8.2024).
[12] Die Bundesrepublik Deutschland belegt nur Platz 11 in dem EU Gender Equality Index 2023, vgl. https://eige.europa.eu/gender-equality-index/2023/country/DE (26.9.2024) und Platz 12 des Global Gender Gap Index 2023, vgl. https://www.weforum.org/publications/global-gender-gap-report-2023/ (26.8.2024). Hier ist eine jährliche Verschlechterung zu beobachten, weil Deutschland im Teilbereich „Wirtschaftliche Teilhabe“, insbesondere bei den Themen Lohnungleichheit und Anteil von Frauen in Führungspositionen weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen liegt und andere Länder wesentlich schneller aufholen, vgl. World Economic Forum, Global Gender Gap Report 2021, 2021, abrufbar unter https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2021.pdf (26.8.2024).
[13] Zum Preis und gewürdigten Projekten: https://www.perspektiven-schaffen.de/ps-de/unternehmen-arbeitgeber/entgeltgleichheit/german-equal-pay-award (26.8.2024).
[14] Vgl. eine aktuelle Bestandsaufnahme des bmwk, Auf dem Weg zur ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern: eine Bestandsaufnahmein, Schlaglichter Wirtschaftspolitik 8/2023.
[15] So Brändle u.a., Evaluationsgutachten zum Entgelttransparenzgesetz gem. § 23 EntgTranspG, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern sowie zum Stand der Umsetzung des Entgeltgleichheitsgebots in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten, S. 147 f. Hiernach haben 23% der befragten Beschäftigten keinen Gebrauch vom individuellen Auskunftsanspruch gemacht, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen hatten. Dieser Anteil ist unter Frauen höher als unter Männern (28 % ggü. 19%).
[16] Vgl. dazu das Evaluationsgutachten zum FüPoG: Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), 2020, S. 69 ff., 76 ff.
[17]Demir u.a., Generationswechsel und Geschlechterpolitik im Betriebsrat, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 458, 2021 mwN.
[18]Demir u.a., Generationswechsel und Geschlechterpolitik im Betriebsrat, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 458, 2021, S. 152.
[19]Marsch-Barner/Schäfer, Begriff der Corporate Governance, in: Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennotierte AG, 5. Auflage 2022, 1., Rn. 2.1 f.
[20]Spießhofer, Sustainable Corporate Governance, NZG 2022, 435 ff.
[21]Fest, Nachhaltige Unternehmensführung – Die Perspektive des Vorstands unter besonderer Berücksichtigung von Art. 25 CSDDD-E, AG 2023, 713; Lieder/Döhrn, Auswirkungen der ESG-Richtlinien auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats, AG 2023, 722.
[22] So beschreibt Fleischer die Indienstnahme des vermeintlich unpolitischen Organisationsrechts für politische Zwecke, vgl. Fleischer, Selbstreflexion im Gesellschaftsrecht: „Hottest Game in Town“ oder „Death of Corporate Law“?, ZGR 2022, 466 (481).
[23]Habersack, Gemeinwohlbindung und Unternehmensrecht, AcP 220 (2020), 5 94(595); Lieder/Döhrn, Auswirkungen der ESG-Richtlinien auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats, AG 2023, 722.
[24] Zu dieser Transformation des Gesellschaftsrechts statt vieler Fleischer, Selbstreflexion im Gesellschaftsrecht: „Hottest Game in Town“ oder „Death of Corporate Law“?, ZGR 2022, 466 (468, 477 f.)
[25]Fleischer, Selbstreflexion im Gesellschaftsrecht: „Hottest Game in Town“ oder „Death of Corporate Law“?, ZGR 2022, 466 (477); Fleischer, Klimaschutz im Gesellschafts-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht, DB 2022, 37 (38); Seibert, in: Vogt/Fleischer/Kalss (Hrsg.), Protagonisten im Gesellschaftsrecht, 2020, S. 169 (170 f).
[26] Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vom 11. Oktober 1952, BGBl. I S. 681.
[27] Gesetz zur Finanzierung der Zukunft (ZuFinG), BGBl. 2023 I Nr. 354 vom 14.12.2023.
[28] Vgl. EU Kommission, Inception Impact Assessment, Sustainable Corporate Governance, Ref. Ares (2020)4 034 032 – 30/07/2020.
[29]Forst, Corporate Social Responsibility in Familienunternehmen: Herausforderung oder Selbstverständlichkeit?, RFamU 2022, 99 mwN.
[30] Siehe etwa Du/Bhattacharya/Sen, Reaping relational rewards from corporate social responsibility: The role of competitive positioning, International Journal of Research in Marketing 24 (2007), 224; Hansen/Dunford/Boss, A./Boss, R./Angermeier, Corporate Social Responsibility and the Benefits of Employee Trust: A Cross-Disciplinary Perspective, Journal of Business Ethics 102 (2011), 29; Sprinkle/Maines, The benefits and costs of corporate social responsibility, Business Horizons 53 (2010), 445 (jeweils mwN.).
[31] Vgl. zu den Herausforderungen in Veränderungsprozessen allgemein Schmitz, Systemisches Coaching als Erfolgsfaktor im Change Management 2022, S. 9 f.
[32] In einer Personengesellschaft sicherlich als Commitment auch ein*e Mehrheitsgesellschafter*in mit entsprechender Stärke; ebenso ein* Mehrheitsaktionär*in.
[33] In der Konzeption wird der Begriff „Unternehmen“ auch dann verwandt, wenn nach arbeitsrechtlicher Diktion „Betrieb“ angemessen wäre.
[34] Das Bundesgleichstellungsgesetz gilt für den öffentlichen Dienst des Bundes und Unternehmen mit Bundesbeteiligung, die das Gesetz in ihrer Satzung für anwendbar erklärt haben.
[35] Zur Beschäftigungsrelevanz: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Eckpunkte für Faire Arbeit in der Plattformökonomie, 2020, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Pressemitteilungen/2020/eckpunkte-faire-plattformarbeit-kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (30.11.2024); Serfling, Crowdworking-Monitor No. 1, 2018, S. 27; international: Berg, Income Security in the On-Demand Economy: Findings and Policy Lessons from a Survey of Crowdworkers, Comparative Labour Law & Policy Journal 37, 2016, S. 18 ff.; ergänzend auch: Hampel, Krause, Plattformarbeit: Experimentierfeld für die Arbeit der Zukunft, 2023, dort v.a. Tab. 1, S. 14 ff, abrufbar unter https://minor-kontor.de/wp-content/uploads/2023/03/CPA_WP_Phaenomenbeschreibung_2023-01-30-1.pdf (30.11.2024).
[36] Siehe zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses BAG, 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, BAGE 173, 111. Jüngere Rechtsprechung belegt zudem eine strengere Überprüfung der (Schein-)Selbstständigkeit, siehe BSG, 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R, NZS 2022, 860 zur Statusfeststellung einer Lehrerin an einer Musikschule. Grundsätzlich gilt, sollten sich die Beteiligten über den Status eines Auftragsverhältnisses im Unklaren sein, können sie ein Statusfeststellungsverfahren gem. § 7a SGV IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragen, also eine verbindliche Entscheidung über den abhängigen oder unabhängigen Erwerbsstatus des Auftragsverhältnisses. Wird in einem solchen Verfahren festgestellt, dass eine Versicherungspflicht bestanden hat, so sind jedenfalls die bisher nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers hinsichtlich des Verstoßes gegen die Meldepflicht zur Sozialversicherung liegt eine bußgeldbewerte Ordnungswidrigkeit vor.
[37] Ausführlich zu den Diskriminierungslagen Hensel, Genderaspekte von Plattformarbeit: Stand in Forschung und Literatur, 2020, S. 28 ff. mwN, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227388/8969df822c22fec4d976cf66faecf136/hensel-isabell-genderaspekte-von-plattformarbeit-stand-in-forschung-und-literatur-data.pdf (30.11.2024).
[38]Galperin, “This gig is not for women”: Gender stereotyping in online hiring, Social Science Computer Review, 2019, S. 1 ff.; Fritsch/von Schwichow, Zwischen Flexibilität und Unsicherheit: Erfahrungen von Frauen in der Plattformökonomie, 2020, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227378/81d8af1796108d64db7e1a4d2d70fd61/fritsch-katrin-von-schwichow-helene-zwischen-flexibilitaet-und-unsicherheit-erfahrungen-von-frauen-in-der-plattformoekonomie-data.pdf (30.11.2024). Zu den prekären Arbeitsbedingungen gerade für Frauen etwa Rani/Gobel/Dhir, Experiences of women on online labour platforms: insights from global surveys, in: Digital Future Society (Hrsg.), Global perspectives on women, work, and digital labour platforms, 2022, S. 13 (15); Wallis, Digitale Arbeit und soziale Reproduktion: Crowdwork in Deutschland und Rumänien. in: Altenried/Dück/Wallis (Hrsg.), Plattformkapitalismus und die Krise der sozialen Reproduktion, 2021, S. 228 (240).
[39] Exemplarisch seien hier das erste und zweite nationale Führungspositionen-Gesetz (FüPoG I und II) genannt, die an Kriterien der Mitbestimmung und/oder Börsennotierung festhalten, wie auch die Equal Pay-Richtlinie der Europäischen Kommission, die ab mindestens 250 Beschäftigten anwendbar ist.
[40] So die Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2022, vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1929/umfrage/unternehmen-nach-beschaeftigtengroessenklassen/ (30.11.2024).
[41] So die Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2021, vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/731962/umfrage/beschaeftigte-in-unternehmen-in-deutschland-nach-unternehmensgroesse/ (30.11.2024).
[42] Die Rechtsprechung des BAG, 1.12.2020 - 9 AZR 102/20 - BAGE 173, 111 ist hier richtungsweisend.
[43] § 6 Abs. 1 AGG.
[44] § 611a Abs. 1 BGB.
[45] Unter den unionsrechtlichen Begriffen fallen u.a.: Fremdgeschäftsführer*innen und Eigengeschäftsführer*innen mit Minderheitsstimmrecht einer GmbH, Vorstandsmitglieder einer AG (soweit nicht zugleich Hauptaktionär*in), Beamt*innen in privatrechtlich organisierten Unternehmen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG; z.B. Postnachfolgeunternehmen).
[46] Dh.: Organisatorisch abhängig hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Ort, Verteilung, Kontrolle der Tätigkeit.
[47] § 1 Abs. 1 und 2 HAG.
[48] Konzeption und Kurzfassung abrufbar unter https://www.djb.de/wahlarbeitszeit (30.11.2024).
[49] Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (87, 90 ff., 123 ff.) mwN.
[50] Statt vieler: Initiative D21 e.V. (Hrsg.), Digital Gender Gap, Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt, 2019, abrufbar unter initiatived21.de/app/uploads/2020/01/d21_digitalgendergap.pdf (30.11.2024); beispielhaft auch Dobusch/Dobusch/Müller-Seitz, Closing for the Benefit of Openness? The Case of Wikimedia’s open strategy process, in: Organization Studies 40, 2019, S. 343 ff.
[51] Siehe Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (90 f.).
[52] Zu diesem Ansatz und den daraus folgenden Forderungen Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (87).
[53] Siehe dazu umfassend Orwat, Diskriminierungsrisiken durch Verwendung von Algorithmen, 2019, S. 76 ff.
[54] Vgl. Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungs-bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (150).
[55] Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend lässt ein Tool zur Überprüfung von möglichen genutzten Analyseverfahren und Tools von INES Analytics und der Universität Kassel, Fachgebiet Hensel entwickeln. Nähere Informationen zu Zert:Equal unter: https://www.perspektiven-schaffen.de/resource/blob/242294/4be667d7558137ed06cec857e81c7c68/zert-equal-infos-und-faq-data.pdf (30.11.2024).
[56] Siehe die im Sande verlaufene Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaftsverbände aus 2001 wie auch die ohne praktische Relevanz verbleibende Empfehlung im Corporate Governance Kodex seit 2009. In der Evaluation des FüPoG verneinte knapp die Hälfte der befragten Unternehmen, dass das Thema in ihrem Unternehmen Relevanz habe; ein Viertel meinte, gleichberechtigte Teilhabe sei schon vorhanden, vgl. Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), 2020, S. 146.
[57] Beschluss (EU) 2020/1512 des Rates vom 13. Oktober 2020 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, ABl. L 344/22.
[58] Im Internet findet sich leicht zugänglich eine Zusammenstellung der Maßnahmen, die in anderen Ländern – fokussiert auf Equal Pay, aber nicht nur Entgeltgleichheit betreffend – verbindlich gemacht worden sind, vgl. equalpayinternationalcoalition.org (12.9.2024).
[59] Zu Großbritannien: Minderjahn, Die Frauenzielgrößen des GgTFMF, 2020, S. 302 ff.
[60] So Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), 2020, S. 72 ff.
[61]Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern, 2019 sowie Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern, 2023.
[62] So auch die Forderung des Gutachtens für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (138).
[63] Siehe dazu z.B. das aktuelle Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung „Mausklick statt Mitbestimmung? – Legal Technology im Arbeitsrecht und die Folgen für die industriellen Beziehungen", abrufbar unter https://www.boeckler.de/de/suchergebnis-forschungsfoerderungsprojekte-detailseite-2732.htm?projekt=2020-289-2 (30.11.2024).
[64] Z.B. für die Einforderung von Barrierefreiheit (https://www.refundrebel.com/ [30.11.2024]) oder Verspätungsschadensersatz (https://www.flightright.de/ [30.11.2024]).
[65]Redaktion FD-ArbR, Klagewelle zum AGG ist ausgeblieben, FD-ArbR 2007, 238995, vertiefend Berghahn/Klapp/Tischbirek, Evaluation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, 2016, S. 161.
[66] Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 11. Juni 2020 (GVBl. für Berlin 2020, S. 532). Siehe auch die Forderung des djb in seiner Stellungnahme zu einem Landesantidiskriminierungsgesetzes des Landes Schleswig-Holstein abrufbar unter www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st24-08 (30.11.2024).
[67] Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie von 2023 (RL 2023/970) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Monitoringstellen („Überwachungsstellen“) benennen, welche die von den Arbeitgeber*innen zu berichtenden Daten sammeln und zum Teil veröffentlichen, siehe Art. 29. Zu den Aufgaben dieser Stelle gehört auch die Analyse der Daten. Darüber hinaus erhalten auch weitere staatliche Stellen (Arbeitsaufsichtsbehörden sowie Gleichbehandlungsstellen, die ebenfalls von den Mitgliedstaaten zu benennen sind) auf Ersuchen bestimmte Informationen, siehe Art. 9 Abs. 9.
[68] Siehe zur gesellschaftsrechtlichen Differenzierung § 267 HGB.
[69] Zurückgehend auf die europarechtliche Corporate Sustainability Reporting Directive („CSRD“) (RL 2022/2464), die Deutschland in nationales Recht umsetzen muss. Siehe die Stellungnahme des djb zum Entwurf des Umsetzungsgesetzes, abrufbar unter https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st24-15_CSRD.pdf (28.11.2024).
[70] Die avisierte Änderung des § 289 f. Abs. 2 Nr. 6 HGB hebt den Aspekt Geschlecht aus dem Kreis der genannten Regelbeispiele heraus („Geschlecht sowie andere Aspekte wie beispielsweise“) und macht ihn zum (einzigen) zwingenden Bestandteil eines unternehmerischen Diversitätskonzepts. Nach Erwägungsgrund 58 der CSRD sollen Unternehmen im Anwendungsbereich „stets über ihr Konzept zur Förderung der Geschlechtervielfalt und dessen Umsetzung Bericht erstatten“.
[71] Siehe ausführlicher Hensel/Tempfli, Prämissen einer Gleichstellungsberichterstattung, djbZ 3/2023, S. 116 ff.
[72] Solche Tools sind bereits entwickelt worden, bspw. FAIR_solution von INES Analytics, mit dem auf der Basis der Daten aus dem Unternehmen mögliche Ungleichbehandlungen der Beschäftigten aufgezeigt und mittels KI alle gesetzlich geforderten Berichte, komplexe Analysen und Handlungsoptionen, graphisch und leicht verständlich aufbereitet werden.
[73] Vgl. Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (150).
[74] Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend lässt ein solches Tool von INES Analytics und der Universität Kassel, FG Hensel entwickeln. Nähere Informationen zu Zert:Equal unter: https://www.perspektiven-schaffen.de/resource/blob/242294/4be667d7558137ed06cec857e81c7c68/zert-equal-infos-und-faq-data.pdf (28.11.2024).
[75] Zu den Grenzen und Bedingungen privatwirtschaftlicher Audits im Bereich von Arbeitsbedingungen in globalen Wertschöpfungsketten Terwindt/Saage-Maass, Zur Haftung von Sozialauditor_innen in der Textilindustrie, 2017, S. 5 ff.
[76] Vgl. Sack/Schroeder, Die Industrie- und Handelskammern im politischen System Deutschlands, in: Schroeder/Weßels (Hrsg.), Handbuch Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland, 2017, S. 85 ff.
[77] § 128 Abs. 1 GWB; vgl. insofern den Beitrag von Henneberger, Gleichstellungspolitische Aspekte und Vergaberecht – kein Widerspruch, djbZ 3/2023, S. 121 (123, 126 ff.).
[78] In der Oberschwelle § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB.
[79]EFRAG, Voluntary ESRS for non-listed small and medium sized enterprises, 2024, abrufbar unter https://www.efrag.org/system/files/sites/webpublishing/Meeting%20Documents/2311131059281397/03-02%20%5BDraft%5D%20VSME%20ESRS%20ED.pdf (28.11.2024).
[80] Nicht als Kontrollfunktion für die jeweiligen einzelnen Berichte gemeint.
[81] So der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S. 116.
[82] Zwar gibt es von Seiten des statistischen Bundesamtes bisher noch keine Statistiken zu der Situation von nichtbinären Personen auf dem Arbeitsmarkt, allerdings finden sich immer mehr und aktuelle Studien, die die Arbeits- und Einkommensverhältnisse erfassen: etwa European Union Agency for Fundamental Rights, A long way to go for LGBTI Equality 2020, abrufbar unter https://fra.europa.eu/en/data-and-maps/2020/lgbti-survey-data-explorer (28.11.2024) sowie Frohn ua., Studie: «Inter* im Office?!« Die Arbeitssituation von inter* Personen in Deutschland unter differenzieller Perspektive zu LSBT*Q+ Personen, 2020, abrufbar unter https://www.diversity-institut.info/downloads/IDA_Studie_Inter_2021_03_02.pdf (28.11.2024). Eine Übersicht über nationale und europäische Studien findet sich in der Studie von Fütty/Höhne/Caselles, Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf, 2020, abrufbar unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/geschlechterdiversitaet_i_beschaeftigung_u_beruf.pdf?__blob=publicationFile&v=7 (28.11.2024).
[83] Stellungnahme der Bundesregierung, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S. 7.
[84] Siehe zur Entwicklung der Gaps im Lebensverlauf Schäper/Schrenker/Wrohlich, Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, DIW Wochenbericht 9/2023, S. 99 ff., abrufbar unter https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.867348.de/23-9-1.pdf (28.11.2024).
[85] Die Begriffe „migrantisch/migrantisiert“ verweisen auf die Selbst- und Fremdzuschreibungen im Feld von (familiären) Migrations- und Fluchterfahrungen. Zur Kritik an dem Ausdruck „mit Migrationshintergrund“ mit Verweis darauf, dass „die in Studien verwendete Kategorie ‚mit Migrationshintergrund‘ nicht ausreichend ist, um die vielschichtigen und ganz unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen zu erfassen, denen Menschen in der Einwanderungsgesellschaft ausgesetzt sind […]“, vgl. Center for Intersectional Justice, Intersektionalität in Deutschland, 2019, S. 26. Fatima El-Tayeb verweist zudem darauf, dass es sich häufig nicht um Migrant*innen handelt, sondern Menschen, die bereits seit mehreren Generationen in Deutschland leben, und nach wir vor als Andere gelesen werden, s. El-Tayeb, European Others. Queering Ethnicity in Postnational Europe, 2011, S. xii, 180 f. Während der Begriff „migrantisch“ für Selbsteinschätzungen gilt, meint der Ausdruck „migrantisiert“ Fremdzuschreibungen. Diese Zuschreibungsprozesse und damit verbundene negative Stereotypisierungen können besser als Rassismus beschrieben und entsprechend adressiert werden.
[86]Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex, in: The University of Chicago Legal Forum, 1989, S. 139 ff.; Baer/Bittner/Göttsche, Expertise. Mehrdimensionale Diskriminierung Begriffe, Theorien und juristische Analyse, 2010.
[87] Vgl. etwa European Network Against Racism, ENAR Shadow Report, 2018, S. 55 ff., abrufbar unter https://ec.europa.eu/migrant-integration/librarydoc/enar-shadow-report-racism-discrimination-in-employment-in-europe-2013-2017?lang=de (28.11.2024).
[88] Mit eindeutiger Aussage „Geschlechtergerechtigkeit/-gleichstellung", nicht nur „Familie" oder „Vielfalt".
[89]Demir u.a., Generationswechsel und Geschlechterpolitik im Betriebsrat, 2021 mwN., abrufbar unter www.boeckler.de/fpdf/HBS-007971/p_study_hbs_458.pdf (28.11.2024).
[90] Siehe dazu die sechs Fallstudien bei Demir ua, Generationswechsel und Geschlechterpolitik im Betriebsrat, 202, S. 21 ff., abrufbar unter www.boeckler.de/fpdf/HBS-007971/p_study_hbs_458.pdf (28.11.2024).
[91]Baumann/Egenberger/Supik, Erhebung von Antidiskriminierungsdaten in repräsentativen Wiederholungsbefragungen, 2018, S. 114.
[92] Vgl. Ahyoud u.a., Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. 2018, S. 43, abrufbar unter: www.vielfaltentscheidet.de/category/publikation (28.11.2024). Praktische Anwendungsbeispiele bei Tobsch/Schmidt, Operationalisierbarkeit der Konzeption “Wege zur Diskriminierungsfreiheit von Unternehmen“ des djb für den Bereich der Personalstrukturierung, 2023, abrufbar unter: https://www.bundesstiftung-gleichstellung.de/static/19b21d8aba9baf1ec1c11c597931bb9c/BSG_Infobroschuere_Recruiting_RZ_Doppelseiten_Final.pdf (28.11.2024).
[93] Das IAB nutzt seit Jahren das Synthetisieren von Beschäftigtendaten, um sie der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, siehe dazu Drechsler/Haensch, 30 Years of Synthetic Data, 2024, S. 221 ff.
[94] Folgende Leitlinien sind angelehnt an die sieben Kernprinzipien für die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten von neue deutsche organisationen (Hrsg.), Fact Sheet gleich ≠ gleich, 2018, abrufbar unter: https://neuedeutsche.org/fileadmin/user_upload/Publikationen/RZ_NDO_Fact_ADGD_1_05.pdf (28.11.2024); Center for Intersectional Justice, Intersektionalität in Deutschland, September 2029, abrufbar unter: www.dezim-institut.de/publikationen/publikation-detail/intersektionalitaet-in-deutschland/ (28.11.2024), S. 28.
[95] Vgl. dazu Baer/Markard in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 2018, Art. 3 GG, Rn. 426 ff.
[96]Center for Intersectional Justice, Intersektionalität in Deutschland, September 2029, abrufbar unter: www.dezim-institut.de/publikationen/publikation-detail/intersektionalitaet-in-deutschland/ (28.11.2024), S. 28.
[97]Center for Intersectional Justice, Intersektionalität in Deutschland, September 2029, abrufbar unter: www.dezim-institut.de/publikationen/publikation-detail/intersektionalitaet-in-deutschland/ (28.11.2024), S. 29.
[98] Vergleichbar dem KM-Pilotprojekt „Zentrumsmodell“, welches die Einführung eines Betreuungsnetzwerkes in Ostwestfalen-Lippe zur Vermittlung von betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Dienstleistungen an Kleinbetriebe beinhaltete, abrufbar unter https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4067 (28.11.2024).
[99] Zum „think manager, think male”-Phänomen siehe Schein, The Relationship Between Sex Role Stereotypes and Requisite Management Characteristics, Journal of Applied Psychology, 1973, 57 (95–100); dies., Think Manager, Think Male, Management Development Review, 1993, 6 (24–28); dies., Women in Management: Reflections and Projections, Women in Management Review, 2007, 2, (6–18); zur „similar-to-me”-Logik: Varma/Stroh, The Impact of Same-Sex LMX Dyads on Performance Evaluations, Human Resource Management, 2001, 40, S. 309–320; Byrne/Griffitt/Stefaniak, Attraction and similarity of personality characteristics, Journal of Personality and Social Psychology, 1967, 5 (1), S. 82–90; zur Perpetuierung gewisser bestehender Homogenitätsmuster: Erfurt-Sandhu, Selektionspfade im Topmanagement. Homogenisierungsprozesse in Organisationen, in: Krell/Sieben (Hrsg.): Betriebliche Personalpolitik, 2014.
[100] Für Minijobs gelten eigentlich arbeitsrechtliche Regelungen; sie rechnen sich für die Unternehmen aber nur, wenn sie nicht beachtet werden, was überwiegend geschieht, siehe Duell, Case Study – gaps in access to social protection for mini-jobs in Germany, 2018, abrufbar unter http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=19166&langId=en (28.11.2024).
[101] Eine Übersicht zu den Studien bei Hensel, Genderaspekte von Plattformarbeit: Stand in Forschung und Literatur, 2020, S. 28 ff., abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227388/8969df822c22fec4d976cf66faecf136/hensel-isabell-genderaspekte-von-plattformarbeit-stand-in-forschung-und-literatur-data.pdf (28.11.2024).
[102] Beispielsweise Befristungen für wirklich nur temporäre Arbeitsanforderungen.
[103] siehe dazu oben unter „B. Struktur und Ausrichtung eines praktikablen Gleichstellungsgesetzes“, dort unter „V. Adressat*innen und Akteur*innen“.
[104] Eine Ausnahme ist für Familienunternehmen zu machen, die von der Familie auch noch geführt werden.
[105] Umfassend dazu Fütty/Höhne/Caselles, Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen, 2020, S. 30 ff., 59 ff., abrufbar unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/geschlechterdiversitaet_i_beschaeftigung_u_beruf.pdf?__blob=publicationFile&v=7 (28.11.2024).
[106] Etwa Krause/Rinne/Zimmermann, Abschlussbericht des Projekts Anonym Bewerben in Baden-Württemberg, Institut zur Zukunft der Arbeit, 2014; Fütty/Höhne/Caselles, Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen, 2020,S. 30 f.
[107] Vgl. etwa Martini, Kontrollsysteme für algorithmusbasierte Entscheidungsprozesse. Gutachten im Auftrag der Verbraucherzentrale des Bundes, Speyer, 2019, abrufbar unter https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2019/07/17/martini_-_adm-kontrollsystem_2.pdf (28.11.2024); von „Anwendungen mit unvertretbarem Schädigungspotenzial“ geht die Datenethikkommission der Bundesregierung aus, so das Gutachten der Datenethikkommission der Bundesregierung, 2019, S. 177.
[108]Tobsch/Schmidt, Operationalisierbarkeit der Konzeption „Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen“ des djb für den Bereich Personalrekrutierung.
[109] Zur Effektivität siehe. Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), S. 95, 110.
[110] Siehe dazu das Handlungsfeld Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz.
[111] Siehe die plakative Gegenüberstellung der AllBright Stiftung, veröffentlicht im Spätsommer 2020: Obwohl Frauen in sowohl Deutschland als auch Schweden mehr als 50% der Hochschulabsolvent*innen ausmachen, sind sie in Vorständen in Schweden zu 25%, in Deutschland nur zu 10,1% vertreten, abrufbar unter https://www.allbright-stiftung.de/fakten (28.11.2024).
[112] So Ebert u.a., Evaluation des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG), S. 83.
[113] Beispielsweise: Statt analoger Maschinenbedienung jetzt Digitaldisplays und Mehrfachsteuerungen via Internet of Things, dagegen im büroverwaltenden weiblich konnotierten Bereich die Erwartungshaltung, dass Digitalkompetenz als selbstverständlich von den Beschäftigten auf eigene Kosten zu erlernen und einzubringen ist, und Nutzung der Digitalisierungstools für Arbeitsverdichtungen und Abwertungen von Tätigkeiten sorgen (z.B. Mitbedienung inklusive Content-Erstellung von und für Social Media Tools des Unternehmens zusätzlich neben büroverwaltender und personalverwaltender Tätigkeit mit Anspruch, dass „effiziente" digitale Prozesse – z.B. bei der Personaleinstellung via algorithmisch unterstützter Systeme – Arbeitszeit einsparen und niedriger bezahlt werden können, nunmehr als Teamassistenz und nicht mehr als Sekretariat, Personalreferat und Pressearbeit).
[114] Siehe z.B. die dem Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen beigetretenen Universitäten (eine Auflistung ist abrufbar unter https://www.komm-mach-mint.de/schuelerinnen/orientierungsstudium (28.11.2024)); ein Extrembeispiel ist der seit Wintersemester 2000/01 nur für Frauen zulässige Studiengang „Internationaler Frauenstudiengang Informatik“ der Hochschule Bremen, abrufbar unter https://www.hs-bremen.de/internet/de/studium/stg/ifi/ (28.11.2024).
[115] Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, in: Dritter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 19/30750, S. 63 (114 f.).
[116] Beispielhaft schon das 2017-2020 durchgeführte Verbundprojekt GEWINN als Abkürzung für Gender-Wissen-Informatik-Netzwerk, abrufbar unter https://www.gender-wissen-informatik.de/projekt (28.11.2024).
[117] Wie etwa Karrierechancen in Teilzeit.
[118] Studien belegen das Gegenteil, siehe etwa McKinsey-Studie: Erfolgsfaktor kulturelle Diversität und faire Teilhabe, 2023; neue Befragung im Rahmen der Charta der Vielfalt e.V., Factbook Diversity, 2022.
[119]Meuser, Geschlecht, Macht, Männlichkeit — Strukturwandel von Erwerbsarbeit und hegemonialer Männlichkeit, in: Erwägen, Wissen, Ethik, 2010, 21 (3), S. 325-335.
[120] RL 2023/970/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen.
[121] Näheres dazu unten.
[122] Dies galt auch bereits bei der Verabschiedung des Entgelttransparenzgesetzes 2016, vgl. Stellungnahme des djb, abrufbar unter https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st17-05 (6.9.2024); die Angemessenheitsvermutung und Einschränkung der Vergleichspersonen in diesem Gesetz ist europarechtswidrig. So lässt sich nach der Rechtsprechung des EuGHs etwa aus einer Einstufung in dieselbe Tätigkeitsgruppe nach dem geltenden Kollektivvertrag alleine noch nicht auf gleiche oder gleichwertige Arbeit schließen (EuGH, 26.6.2001 – C-381/99 (Brunnhofer), Rn. 44).
[123] Das Gesetz zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes für Frauen und Männer (Entgeltgleichheitsgesetz) von 2012 (BT-Drs. 17/9781), das wegen der damaligen politischen Konstellation nicht verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde, sah eine spezielle Regelung für Tarifverträge vor. Das Gesetz verpflichtete in § 12 auch die Tarifvertragsparteien, sich um die Herstellung von Entgeltgleichheit in tariflichen Regelungen aktiv zu kümmern, und begleitete diesen Prozess durch Einwirkungsmöglichkeiten und Kontrollen.
[124] Erwägungsgrund 26.
[125] Nach Art. 10 Abs. 1 ist die gemeinsame Entgeltbewertung von den Arbeitgeber*innen in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitnehmer*innenvertretungen durchzuführen und die Ergebnisse gemäß Art. 10 Abs. 3 der Monitoringstelle sowie auf Ersuchen auch der Gleichbehandlungsstelle zur Verfügung zu stellen. Für die Umsetzung der Maßnahmen ist nach Art. 10 Abs. 4 ebenfalls eine enge Zusammenarbeit von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innenvertretung vorgesehen und die Arbeitsaufsichts- oder die Gleichbehandlungsstelle können zur Mitwirkung aufgefordert werden.
[126] Etwa mit dem Instrumentarium des Entgeltgleichheits-Checks der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, abrufbar unter eg-check.de (11.9.2024).
[127] Vgl. etwa Klammer/Klenner/Lillemeier, „Comparable Worth. Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse der Gender Pay Gaps?“, Study Nr. 014 der Hans-Böckler-Stiftung, 2018, S. 30 f.
[128] Dort in Art. 4 Abs. 2 RL 2023/970/EU.
[129] Mit Arbeitsgestaltung ist der tatsächliche Zuschnitt der Tätigkeiten, die technische, zeitliche und soziale Arbeitsorganisation sowie die Arbeitsumgebung gemeint.
[130] § 4 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).
[131] §§ 3 und 5 ArbSchG.
[132] Zum Beispiel Badura/Schröder/Vetter, Fehlzeitenreport 2007; BAuA (Hrsg.), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2008 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2008, S. 42 ff., abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2008.html (1.9.2024).
[133] Siehe exemplarisch Franzen/Sauer, Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben, 2013, S. 47 f., abrufbar unter www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/expertise_benachteiligung_von_trans_personen.pdf (1.9.2024); Herold u.a., Relationship between working conditions and mental health of migrants and refugees/asylum seekers vs. natives in Europe, Int Arch Occup Environ Health. 2023, S. 931 ff.; Schröttle/Meshkova/Lehmann, Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, 2019, S. 181 ff., abrufbar unter www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/umgang_mit_sexueller_belaestigung_am_arbeitsplatz.html (1.9.2024).
[134] BAuA (Hrsg.),Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2022 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2023, S. 42ff., S. 47, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2022 (1.9.2024).
[135] Vertiefend Gümbel/Nielbock, Die Last der Stereotype, 2012, S. 230, abrufbar unter https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-05168 (1.9.2024).
[136]Gümbel/Rundnagel, Gesundheit hat ein Geschlecht, AiB 2004, S. 539 ff., abrufbar unter http://www.sujet.org/download/aib0904guembel-rundnagel.pdf (1.9.2024); Pieck/Schinkovits/Braun, Von der Handlungshilfe zur Umsetzung – Gender Mainstreaming im Arbeits- und Gesundheitsschutz, in: Braun u.a., Gender in Arbeit und Gesundheit, 2017, S. 106 ff.
[137] § 5 ArbSchG.
[138] BAuA (Hrsg.), Stressreport Deutschland 2012, S. 179, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Stressreport-2019.html (9.9.2024).
[139] Evaluationsbericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes um Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium, BT-Drs. 20/2510, S. 12 ff., abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227242/4f6b20ad21e5cf85a9e29158e2c6c887/evaluationsbericht-mutterschutz-btds-data.pdf.
[140]Rumler, Forschungsprojekt MenoSupport, Ergebnisse der ersten deutschlandweiten Befragung zum Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz, abrufbar unter https://blog.hwr-berlin.de/menosupport/wp-content/uploads_menosupport/2024/05/MenoSupport_Befragungsergebnisse_170424.pdf (9.9.2024).
[141] BAuA (Hrsg.), Stressreport Deutschland 2019, S. 210, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Stressreport-2019 (9.9.2024); ebenfalls schon BAuA (Hrsg.),Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2013, S. 47, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2011 (9.9.2024), wonach die weiblichen Beschäftigten (sowohl Teilzeit- als auch Vollzeit) in 20 der 25 gemessenen Kategorien eine erhöhte Betroffenheit aufweisen, während männliche Beschäftigte in der Kategorie „Hörverschlechterung, Ohrgeräusche“ (sowohl Teilzeit- als auch Vollzeit) eine erhöhte Betroffenheit aufweisen; lediglich die Kategorien Schmerzen in den Hüften; Schmerzen in den Knien; Atemnot und Hautreizungen, Juckreiz haben sich z.T. identisch, z.T. nach Zeiten unterschiedlich auf die Geschlechter aufgeteilt; diese Kennzahlen werden in den nachfolgenden SUGA-Berichten nicht durchgängig nach Geschlechtern getrennt.
[142] BAuA (Hrsg.), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2022 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2023, S. 46f., abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2022 (9.9.2024).
[143] DGB-Index Gute Arbeit 2023, Jahresbericht, S. 54, abrufbar unter https://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++5d56994c-6390-11ee-b880-001a4a160123 (9.9.2024); ferner BAuA, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit - Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2021, S. 47 ff., abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2021 (9.9.2024). Die erhöhte Betroffenheit von weiblichen Beschäftigten ist konstant im Vergleich zu den Vorjahren: DGB-Index 2022, S. 44 ff. und 2021, S. 76 ff., jeweils abrufbar unter https://index-gute-arbeit.dgb.de/.
[144] So der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S. 80, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/117916/7a2f8ecf6cbe805cc80edf7c4309b2bc/zweiter-gleichstellungsbericht-data.pdf (9.9.2024).
[145]Fütty/Höhne/Caselles, Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf, abrufbar unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/forschungsprojekte/DE/Studie_Geschlechterdiversitaet_in_Besch_u_Beruf.html (9.9.2024); mwN. Frohn/Meinhold/Schmidt, Out im Office?!, Sexuelle Identität und Geschlechtsidentität, (Anti-)Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz, 2017, S. 5, abrufbar unter https://www.diversity-institut.info/wp-content/uploads/2022/11/IDA_Out-im-Office_Web_180811.pdf (9.9.2024); Franzen/Sauer, Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben, 2013, S. 37, abrufbar unter www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/expertise_benachteiligung_von_trans_personen.pdf (1.9.2024).
[146]Hensel, Genderaspekte von Plattformarbeit, 2020, S. 34 f. mwN., abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227388/8969df822c22fec4d976cf66faecf136/hensel-isabell-genderaspekte-von-plattformarbeit-stand-in-forschung-und-literatur-data.pdf (3.9.2024).
[147] Laut Mitteilung der Bundesregierung zum Lagebild Häusliche Gewalt vom 07.06.2024 beträgt der Anteil der männlichen Täter 75,6 %, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lagebild-haeusliche-gewalt-2201488 (9.9.2024).
[148]Pillinger, Safe At Home, Safe At Work, 2017.
[149] Siehe am Beispiel der Covid-19-Pandemie von Wulfen, Mehr Homeoffice – ein erstrebenswerten Ziel aus genderpolitischer Sicht?, djbZ 4/2020, S. 163 ff.
[150] Siehe die dazu erhobenen Zahlen der AOK-Fehlzeitenreports, abrufbar unter https://www.aok.de/fk/betriebliche-gesundheit/grundlagen/fehlzeiten/ueberblick-fehlzeiten-report/ (12.9.2024). Der jüngste Fehlzeiten-Report aus 2023 belegt, dass die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit 2012 um 48% gestiegen sind.
[151] Bei den über 34 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (2023) liegt der Frauenanteil bei 46 %, der Männeranteil bei 53 %, so die Zahlen des Statischen Bundesamtes vom 31. Januar 2024. Schempp/Kaun, GKV-Präventionsbericht zum Berichtsjahr 2022, Medizinischer Dienst Bund (Hrsg.), 2023, S. 50, abrufbar unter https://gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__beratung/praevention/praeventionsbericht/2023_GKV_MD_Praventionsbericht_barrierefrei.pdf (9.9.2024).
[152]Meyer/Meinicke/Schenkel, Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2022, in: Badura u.a.,Fehlzeiten-Report 2023, S. 453 ff., abrufbar unter https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/Buchreihen/Fehlzeitenreport/wido_fzr2023_zeitenwende_krankheitsbed_fehlzeiten_2022.pdf (1.10.2024).
[153] BAuA (Hrsg.), Stressreport Deutschland 2019, S. 147, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Stressreport-2019.html (12.9.2024).
[154]Meyer/Meinicke/Schenkel, Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2022, 2023, S. 472 ff., konkret S. 477 (https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/Buchreihen/Fehlzeitenreport/wido_fzr2023_zeitenwende_krankheitsbed_fehlzeiten_2022.pdf).
[155]Fokuhl, Alle gleich? – Ansatzpunkte für einen geschlechtersensiblen Arbeits- und Gesundheitsschutz in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, in: Endl/Glänzer/Mönig-Raane (Hrsg.), Arbeit und Gesundheit. Geschlechtergerecht?!,2008, S. 42 ff.
[156] BAuA (Hrsg.),Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2022 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2023, S. 58, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2022 (12.9.2024).
[157] BAuA (Hrsg.), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2013, S. 118; 138 f., abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2011(9.9.2024).
[158] Siehe zur Diskussion Klammer/Klenner/Lillemeier, Comparable Worth, WSI Study, 2018, abrufbar unter https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=8139 (12.9.2024), die neben ungleichem Entgelt auch berufliche Anforderungen und Belastungen erörtern.
[159] Vertiefend Gümbel/Nielbock, Die Last der Stereotype, 2012, S. 230, abrufbar unter https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-05168 (12.9.2024).
[160] Vgl. Nielbock/Gümbel, Gender Mainstreaming als Strategie, AiB 2006, S. 372 ff., abrufbar unter https://www.sujet.org/download/aib6-06nielbock_guembel.pdf (12.9.2024).
[161]Smith u.a., The development of a conceptual model and self-reported measure of occupational health and safety vulnerability, Accident Analysis and Prevention 2015, S. 234 ff. (235), abrufbar unter https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0001457515002286?via%3Dihub (12.9.2024).
[162]Schablon u.a., Prevalence and Consequences of Aggression and Violence towards Nursing and Care Staff in Germany, Int. J. Environ. Res. Public Health2018, S. 1274 ff., abrufbar unter pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29914142/ (12.9.2024).
[163] § 5 und § 11 Absatz 3 ASiG Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG). Zur betriebsärztlichen Mitwirkung im Arbeitsschutz siehe Nolle u.a., Berücksichtigung psychischer Belastung in der betriebsärztlichen Praxis, Zbl Arbeitsmed 2023, 73, S. 230 ff., abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Aufsaetze/artikel3734.html (12.9.2024).
[164]Kohte, Aufsicht im Arbeitsschutz, WSI-Mitteilungen 2015, abrufbar unter https://www.wsi.de/data/wsimit_2015_03_kothe.pdf (12.9.2024).
[165]Beck u.a., Gefährdungsbeurteilung bei psychischen Belastungen in Deutschland, 2012, S. 115 ff., abrufbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s11553-011-0326-x (12.9.2024); vgl. ferner für die Praxis Portal Gefährdungsbeurteilung, abrufbar unter www.gda-portal.de (18.10.2024) und GDA-ORGAcheck, abrufbar unter https://www.gda-orgacheck.de/daten/gda/index.htm (18.10.2024).
[166] § 15 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz), § 3 PflegeZG (Pflegezeitgesetz) § 2 FPfZG (Familienpflegezeitgesetz), § 8 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz), § 9 TzBfG und § 9a TzBfG (sog. Brückenteilzeit).
[167]Lott, Weniger Arbeit, mehr Freizeit?, WSI-Report Nr. 47, 2019, abrufbar unter www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_47_2019.pdf (12.9.2024).
[168] Gutachten der Sachverständigenkommission zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 17/6240, S. 13 ff; laut einer Befragung von mehr als 1.000 Erwerbstätigen ab 50 Jahren wünschen sich Beschäftigte vor allem eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung, die insbesondere an die individuellen Bedürfnisse angepasst ist, vgl. Techniker Krankenkasse, Pressemitteilung vom. 02.07.2024, abrufbar unter https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/tk-gesundheitsreport-2024-2175260?tkcm=aaus (17.9.2024).
[169]Klenner/Lott, Wie kann flexibles Arbeiten für die Verbesserung der Work-Life Balance genutzt werden?, in Ahlers u.a., Genderaspekte der Digitalisierung der Arbeitswelt, Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 311, 2018, S. 9 ff.
[170] 2023 waren es genau 49,9 % mit steigender Tendenz nach oben, https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Gleichstellungsindikatoren/tab-Teilzeitquote-nach-geschlecht-f25.html (17.9.2024).
[171] Vgl. Backhaus/Vieten, Länge der Arbeitszeit, in: BAuA (Hrsg.), Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021, 2023, S. 28, 41, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2507.html (17.9.2024); ferner wünscht sich jede vierte erwerbstätige Mutter mehr Zeit für den Job, vgl. Statistisches Bundesamt, Wo bleibt die Zeit?, Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2022, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/Ergebnisse/_inhalt.html (17.9.2024).
[172] § 9a TzBfG.
[173] Vgl. hierzu auch Franzen, Die Verlängerung des Arbeitszeitvolumens im Spannungsverhältnis zwischen persönlichen und betrieblichen Arbeitszeitinteressen, SR 2019, 12 (16 f.).
[174] Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Glossar, Part-time Wage Gap, abrufbar unter https://www.diw.de/de/diw_01.c.701691.de/part-time_wage_gap.html (17.9.2024); ab dem Alter von 30 steigen die durchschnittlichen Brutto-Stunden-Löhne von Frauen - anders als die von Männern - kaum mehr an, vgl. Schäper u.a., Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, in: DIW Wochenbericht 9/2023, S. 99, 100 f.
[175] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. N016 vom 24.04.2024, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N016_12_63.html (17.9.2024).
[176] Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Ver-einbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates, ABl. EU L188/79 (Vereinbarkeits-Richtlinie).
[177] Vgl. Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam gestalten, in: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S. 59, 121.
[178] Sog. Gesamtzusage: Bei einer Gesamtzusage handelt es sich um ein Angebot des oder der Arbeitgeber*in an alle Beschäftigten oder eine Gruppe von Beschäftigten in allgemeiner Form zB. durch Aushang, Merkblatt, Rundschreiben oder Einstellung ins Intranet. Durch eine Gesamtzusage kommt eine rechtlich verbindliche Vereinbarung zustande.
[179]Backhaus/Vieten, Länge der Arbeitszeit, in: BAuA, Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021, 2. korr. Aufl. 2023, S. 28 (40 ff.), abrufbar unter www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2507-3 (6.9.2024).
[180] Vgl. Nold, Was zu berücksichtigen gilt – Verkürzung der Wochenarbeitszeit, in: BAuA, baua: Aktuell 1/23, S. 5; Gontek, „Arbeit hat über alle Generationen hinweg an Bedeutung verloren“, abrufbar unter https://www.spiegel.de/karriere/arbeitszeit-das-ehegattensplitting-und-seine-auswirkungen-auf-die-arbeitszeit-a-bffa8c75-b035-4cbe-b143-9aecbbd1b1f9?giftToken=57216b8a-7b8a-47ec-a3b8-6ca968ae0d19 (6.9.2024) (Interview mit Nils Backhaus, Leiter der Gruppe Arbeitszeit und Flexibilisierung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin).
[181] Vgl. Windscheid-Profeta, Leben und Arbeiten in Flexibilität, Report Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 10, 2023, S. 10 ff.; Lott, Wann Eltern Feierabend machen wollen, WSI Policy Brief Nr. 74, 2023.
[182]Samtleben, Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung, DIW Wochenbericht 10/2019, S. 139 ff.
[183] In einem solchen isolierten Antragsrecht auf Neuverteilung der Arbeitszeit liegt das vom deutschen Umsetzungsgesetzgeber bedauerlicherweise nicht ausgeschöpfte Potential des Art. 9 Abs. 1 der europäischen Vereinbarkeitsrichtlinie (EU) 2019/1158.
[184] § 84 Abs. 3 AktG (Aktiengesetz), § 38 Abs. 3 GmbHG (GmbH-Gesetz) und § 40 Abs. 6 SEAG (SE-Ausführungsgesetz).
[185] Vgl. Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam gestalten, in: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S 59 (119).
[186] Näher dazu Backhaus/Tisch/Beermann, Telearbeit, Homeoffice und mobiles Arbeiten: Chancen, Herausforderungen und Gestaltungsaspekte aus Sicht des Arbeitsschutzes, baua: Fokus Mai 2021, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fokus/Telearbeit-Homeoffice.html (9.9.2024); Krummenacher, Vor- und Nachteile von Homeoffice während der Covid-19-Pandemie für Arbeitnehmende und Auswirkungen auf deren psychische Gesundheit, Bachelorarbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für angewandte Psychologie 2021, abrufbar unter doi.org/10.26041/fhnw-3980 (6.9.2024).
[187] Gemeint ist hier das Arbeiten an beliebigen Orten innerhalb Deutschlands. Sollte darüber hinaus auch die Möglichkeit des mobilen Arbeitens im Ausland in Betracht gezogen werden, sind zwingend die hierzu geltenden Regelungen des anwendbaren Arbeits- und Sozialversicherungsrechts zu prüfen und zu beachten und ggf. notwendige Bescheinigungen zu beantragen.
[188] Art. 9 Abs. 3 Satz 3 der Vereinbarkeits-Richtlinie.
[189] Vgl. Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam gestalten, in: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT‑Drs. 18/12840, S. 59 (176 f).
[190]Kümmerling u.a., Keine Zeit mehr für Erwerbsarbeit?, IAQ-Report 2023-10, S. 9, abrufbar unter https://doi.org/10.17185/duepublico/81355 (6.9.2024).
[191]Kümmerlingu.a., Keine Zeit mehr für Erwerbsarbeit?, IAQ-Report 2023-10, S. 13, abrufbar unter https://doi.org/10.17185/duepublico/81355 (6.9.2024); siehe auch Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam gestalten, in: Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 18/12840, S. 59 (120).
[192] Vgl. dazu Kümmerlingu.a., Keine Zeit mehr für Erwerbsarbeit?, IAQ-Report 2023-10,, S. 10 und 12, abrufbar unter https://doi.org/10.17185/duepublico/81355 (6.9.2024).
[193] Vgl. dazu Führen in Teilzeit in den obersten Bundesbehörden, Handlungsempfehlung des Harriet Taylor Mill-Instituts der Hochschule für Wirtschaft und Recht (Hrsg.) 2024, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-und-arbeitswelt/frauen-in-fuehrungspositionen/oeffentlicher-dienst/projekt-fuehren-in-teilzeit#js-jump-link__3 (6.9.2024).
[194] Dazu Cooiman/Krzywdzinski/Christen, „Ich arbeite ganz anders und besser als früher“ – Praxis und Potentiale von Jobsharing in Unternehmen, Diskussionspapier SP III 2019-301 (2019), S. 56 ff., abrufbar unter https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2019/iii19-301.pdf (6.9.2024).