Die aktuelle Rechtslage im Sexualstrafrecht ist defizitär und wird den internationalen Vorgaben, insbesondere der Istanbul-Konvention (IK)[1], nicht gerecht. Anhand von Fallgruppen werden im Folgenden die Widersprüche und Schutzlücken der geltenden Rechtslage dargestellt. Der djb spricht sich statt punktueller Reformen für eine Neuregelung in Form eines „Nur Ja heißt Ja“-Modells aus. Begleitend zu dieser sog. Einverständnislösung, die den Anforderungen von Art. 36 IK gerecht würde, sollte auch die Einführung einer Strafbarkeit des leichtfertigen sexuellen Übergriffs erwogen werden, um weitere Schutzlücken zu schließen. Diese Reform des materiellen Strafrechts sollte von weiteren Maßnahmen begleitet werden. Hierzu zählt insbesondere die Bekämpfung der gesellschaftlich weiterhin präsenten stereotypen Vorstellungen über Sexualität und sog. Vergewaltigungsmythen, die insbesondere zum Nachteil von Frauen wirken, durch die Weiterbildung von Rechtsanwender*innen sowie eine gesamtgesellschaftliche Bewusstseinsbildung. Mit diesen Forderungen und Vorschlägen will der djb einen Beitrag für eine geschlechtergerechte Rechtsanwendung und einen angemessenen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung leisten.
I. § 177 Abs. 1 und 2 StGB – derzeitige Rechtslage
Die jetzige Rechtslage besteht seit dem 50. StrÄndG von 2016.[2]
Nach § 177 Abs. 1 StGB stellt eine sexuelle Handlung dann einen strafbaren sexuellen Übergriff dar, wenn die Tatperson diese gegen den erkennbaren entgegenstehenden Willen einer Person an ihr vornimmt, von ihr vornehmen lässt oder sie dazu bestimmt, eine sexuelle Handlung an sich selbst, der Tatperson oder einer dritten Person vorzunehmen. Ein erkennbarer Gegenwille liegt vor, wenn das Opfer diesen so zum Ausdruck bringt, dass eine objektive dritte Person diesen entgegenstehenden Willen tatsächlich erkennen würde – etwa durch verbale Signale wie „Nein“ oder nonverbal durch Weinen oder Wegdrücken der Tatperson.[3]
§ 177 Abs. 2 StGB enumeriert darüber hinaus einige Situationen, in denen das Strafrecht anerkennt, dass es für das Opfer nicht möglich oder nicht zumutbar ist, den entgegenstehenden Willen zu bilden oder deutlich zu machen, dass es mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist, und die Tatperson dies ausnutzt: beispielsweise, wenn das Opfer infolge einer Einschränkung permanent oder vorübergehend willensbildungs- oder willensäußerungsunfähig ist (§ 177 Abs. 2 Nr. 1), die Tatperson ein Überraschungsmoment ausnutzt (§ 177 Abs. 2 Nr. 3) oder dem Opfer die Willensäußerung aufgrund einer Bedrohungslage unzumutbar ist (§ 177 Abs. 2 Nr. 4, Nr. 5). Die sogenannte „Nur Ja heißt Ja“-Lösung hat der Gesetzgeber in § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB für Fälle eingeführt, in denen eine Person nur teilweise einem Willensbildungs- oder Willensäußerungsdefizit unterliegt, etwa wenn sie stark alkoholisiert ist. In diesen Fällen setzt die Straflosigkeit einer sexuellen Handlung voraus, dass sich die Person der Zustimmung der anderen Person versichert.
II. Defizite des materiellen Strafrechts und seiner praktischen Anwendung
Art. 36 Abs. 1 IK verpflichtet die Vertragsstaaten, sicherzustellen, dass jede „nicht einverständliche“,[4] also ohne Einverständnis vorgenommene sexuelle Handlung strafbar ist. Bei der Frage der Einverständlichkeit soll nach Art. 36 Abs. 2 IK im Lichte der jeweiligen Umstände der Situation evaluiert werden, ob die betroffene Person freiwillig, d.h. als Ergebnis ihres freien Willens, ihr Einverständnis gegeben hat.
Die Expert*innenkommission zur Umsetzung der Istanbul-Konvention (GREVIO) hat in ihrem Bericht zur Umsetzung in Deutschland klargestellt, dass die derzeitige Rechtslage insbesondere mit Blick auf passives Verhalten von betroffenen Personen sowie die Frage, ob ein Einverständnis freiwillig gegeben wurde, nicht den Anforderungen der Konvention entspricht.[5] Diese Einschätzung entspricht auch den Wertungen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil M.C. gegen Bulgarien[6] 2003 aus Art. 3 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeleitet hat: Staaten sind menschenrechtlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sämtliche „nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt und effektiv verfolgt werden“.[7]
1. Umsetzungsdefizite von § 177 Abs. 1 und 2 StGB angesichts der Istanbul-Konvention
Auch nach der Ansicht des djb entspricht die gegenwärtige Ausgestaltung des § 177 StGB nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen. So erfassen die Tatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 StGB einige Fallkonstellationen nicht, die von der Pönalisierungspflicht nach Art. 36 IK umfasst sind. Diese Defizite werden im Folgenden anhand von Fallgruppen dargestellt.
Die sich aus der gegenwärtigen Gesetzeslage und der damit einhergehenden Rechtsanwendung und Strafverfolgung ergebenden Probleme und Strafbarkeitslücken ließen sich nach Ansicht des djb zu großen Teilen durch die Einführung einer Einverständnislösung nach dem „Nur Ja heißt Ja“-Modell auflösen. In konsequenter Umsetzung der Vorgaben der IK setzt sich der djb dafür ein, dass jede sexuelle Handlung, die ohne das Einverständnis der anderen Person vorgenommen wird, strafbar ist. Nur dieser rechtliche Rahmen wird dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person gerecht.
a) „Schockstarre“
Besonders hoch ist die sog. Schwundquote[8] zwischen Strafanzeigen und Verurteilungen in Fällen der sog. Schockstarre. Nicht selten fallen Betroffene angesichts eines sexuellen Übergriffs in den Zustand der tonischen Immobilität – auch „Schockstarre“ genannt –, sodass sie weder zu einer verbalen noch körperlichen Gegenwehr in der Lage sind.[9] Eine solche Schockstarre ist eine typische psychisch-neurobiologische Reaktion auf eine konkrete Bedrohung. Es handelt sich um einen Vorgang, der von der betroffenen Person nicht beeinflusst werden kann.[10] Der Umgang mit diesem in den Neurowissenschaften bekannten Phänomen ist in der Rechtsanwendung defizitär. Der Zustand der Schockstarre kann zwar unter § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB subsumiert werden; so war es auch durch den Gesetzgeber vorgesehen.[11] Denn die „Schockstarre“ kann als Zustand angesehen werden, in dem das Opfer aufgrund seines körperlichen Zustands zur Bildung oder Äußerung des entgegenstehenden Willens nicht in der Lage ist, sodass es auf seine tatsächliche Zustimmung und nicht auf die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens ankommt. In der Praxis wird auf solche Fallkonstellationen aber regelmäßig § 177 Abs. 1 StGB angewendet, was häufig zur Folge hat, dass kein erkennbarer entgegenstehender Wille des Opfers festgestellt und die Strafbarkeit verneint wird. Dabei wird argumentiert, das Opfer habe die Handlungen „geschehen lassen“ und sich damit angesichts der zuvor geäußerten Ablehnung im Ergebnis ambivalent verhalten, sodass ein entgegenstehender Wille jedenfalls nicht eindeutig erkennbar gewesen sei.[12] Das verwundert insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Häufigkeit der „Schockstarre“ bei sexuellen Übergriffen in verschiedenen Studien gut belegt ist: Je nach Untersuchung berichten zwischen 42 und 70 % der Betroffenen eines sexuellen Übergriffs von dem Zustand der tonischen Immobilität.[13] Die Rechtspraxis steht aufgrund der aktuellen Rechtslage – auch wegen der noch immer vorherrschenden Geschlechterstereotype und Vergewaltigungsmythen – vor dem regelmäßig herausfordernden Problem, zwischen Schockstarre und bloßer Passivität differenzieren zu müssen. Jedenfalls mit Blick auf den Vorsatz der Tatperson lassen sich in der Regel keine äußeren Anzeichen finden, die sie wahrgenommen haben kann, um zu unterscheiden, ob die andere Person „lediglich“ passiv oder in eine sog. Schockstarre verfallen ist. Zumindest kann die Tatperson immer die Schutzbehauptung aufstellen, von Passivität ausgegangen zu sein bzw. eine etwaige Schockstarre jedenfalls nicht ausgenutzt zu haben.
In Bezug auf § 177 Abs. 2 StGB stellt das Merkmal des Ausnutzens besondere Hürden für den Vorsatz auf. So wird bei Vorliegen einer sog. Schockstarre – wenn ausnahmsweise wie vom Gesetzgeber vorgesehen § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB angewendet wird – oft davon ausgegangen, dass die Tatperson die „Schockstarre“ jedenfalls nicht ausgenutzt habe. Denn für ein „Ausnutzen“ sei erforderlich, dass die durch die Schockstarre hervorgerufene Unfähigkeit zur Willensbildung oder -äußerung für die Tat bewusst einkalkuliert worden sei.[14] Damit liegen die Hürden für den Vorsatz angesichts der gravierenden Rechtsgutsverletzung und der Tatsache, dass die Tatperson die Unfähigkeit erkannt hat, unverhältnismäßig hoch.
Im Zusammenspiel mit den im Sexualstrafrecht ohnehin defizitären Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden (häufig herrscht Personalmangel und/oder es bestehen mangels entsprechender Fortbildungsverpflichtungen keine tiefergehenden Kenntnisse im Sexualstrafrecht) und der oft schwierigen Beweislage kann dies dazu führen, dass die durch die „Schockstarre“ verursachte Passivität der betroffenen Person zu ihrem Nachteil und zum Vorteil der Tatperson wirkt.[15] Rechtspolitisch sendet dieses Ergebnis das Signal, Betroffene seien dafür verantwortlich, sich nicht verbal oder konkludent ablehnend geäußert zu haben – ganz entgegen der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur „Schockstarre“. Ein derart mangelhafter Opferschutz und eine derart eklatante Lücke zwischen empirischen Erkenntnissen und Rechtsanwendung sind nicht hinnehmbar.
Unter einer „Nur Ja heißt Ja“-Regelung bestünde dieses Problem auf rechtlicher Seite nicht. Bei einer den Anforderungen des Art. 36 Abs. 2 IK genügenden Gesamtbetrachtung wäre in den einschlägigen Fällen stets anzunehmen, dass eine „passive“ Person nicht einverstanden ist.[16] Ergänzend wären Begleitmaßnahmen wie Aufklärungskampagnen, gesellschaftliche Bewusstseinsbildung und Fortbildungen für Rechtsanwender*innen notwendig, um die Entstehung anderer dem Opferschutz entgegenstehender Praktiken infolge bestehender Mythen und Stereotype zu verhindern.
b) Schweigen/Passivität des Opfers
Obwohl sie einen entgegenstehenden Willen haben, drücken einige Opfer sexueller Übergriffe in der Tatsituation diesen Willen nicht so aus, dass er – nach den Erfordernissen des § 177 Abs. 1 StGB – „erkennbar“ wird, sondern sie bleiben passiv. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Eine Rolle spielen beispielsweise Überforderung im Tatmoment, die körperliche Unterlegenheit gegenüber der Tatperson, vorherige Gewalterfahrungen und Drohungen oder die Angst vor den Konsequenzen einer Ablehnung in einem bestehenden (auf körperlichen, beruflichen, finanziellen oder anderen Gründen beruhenden) Machtungleichgewicht zwischen den Beteiligten. Auch die gesellschaftliche Sozialisierung kann maßgeblich dazu beitragen, dass manche Personen sich nicht trauen, einen Sexualkontakt abzulehnen, den sie nicht wollen – etwa, wenn Mädchen und Frauen durch Erziehung, Medien und Gesellschaft die Rolle einer passiven und gleichzeitig sexuell verfügbaren Person vermittelt wird.[17]
Hält die Tatperson zum Zeitpunkt der Vornahme der sexuellen Handlung es jedenfalls für möglich, dass diese Handlung dem Willen der anderen Person widerspricht, und nimmt sie dies billigend in Kauf, verletzt sie vorsätzlich das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Dieses Verhalten ist nach der aktuellen Rechtslage aber nicht immer strafbar. Denn die aktuelle Rechtslage vermittelt dem Tatopfer die Obliegenheit, den eigenen, dem sexuellen Kontakt entgegenstehenden Willen nach außen „erkennbar“ zu machen.[18] Es ist jedoch nicht erklärlich, warum Passivität – also gerade die Entscheidung, kein Einverständnis zu zeigen, oder die Unfähigkeit, den Gegenwillen erkennbar zu äußern – wie einverständliches Verhalten behandelt werden sollte. Eine „Nur Ja heißt Ja“-Regelung, die auf das Einverständnis der betroffenen Person abstellt, erfasst hingegen solche Fälle.
c) „Meinungsänderung“ bzw. „ambivalentes Verhalten“
Die Rechtspraxis schließt die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens i.S.v. § 177 Abs. 1 StGB auch dann aus, wenn sie das Verhalten des Opfers als ambivalent ansieht. Ein solches vermeintlich ambivalentes Verhalten wird in der Rechtspraxis insbesondere angenommen, wenn die betroffene Person einerseits selbst aktiv an einem sexuellen Geschehen mitwirkt, andererseits zuvor oder währenddessen einen Gegenwillen äußert. Der entgegenstehende Wille sei hier für den objektiven Beobachter nicht eindeutig erkennbar.[19]
Es sind jedoch zahlreiche Gründe denkbar, warum ein Opfer sich entscheidet, seinen Gegenwillen nicht weiter auszudrücken. Häufige Gründe sind Resignation bzw. Angst oder Sorge des Opfers, dass weitere Abwehr das Geschehen eskalieren könnte.
Solches als ambivalent markiertes Opferverhalten stellt – auch bei anderen Delikten – eine Herausforderung für die Subsumtion unter die objektiven Tatbestandsmerkmale dar. Eine Reform hin zu einer Einverständnislösung könnte das Problem für das Sexualstrafrecht lösen, wenn gleichzeitig eindeutige und praxistaugliche Kriterien für eine wirksame Zustimmung festgelegt würden.[20]
d) Schwierigkeiten bei der Bestimmung der „Erkennbarkeit“ des Gegenwillens
Ein grundlegendes Problem besteht bereits mit Blick auf die Voraussetzung des „erkennbaren Gegenwillens“. Durch das Erfordernis der Erkennbarkeit findet ein Rückgriff auf die Rechtsfigur des objektiven Beobachters statt. Diese ist bereits für sich genommen kritikwürdig, da sie ein Einfallstor für rechtsfremde Wertungen darstellt – im Fall des § 177 StGB beispielsweise für sog. Vergewaltigungsmythen und opferbeschuldigende Stereotype.[21]
Zudem ist unklar, wie der Maßstab des objektiven Beobachters bei der Beurteilung der Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens konkret zu bestimmen ist. Beispielsweise fragt sich, welcher Beobachtungsmaßstab anzulegen ist: Betrachtet der objektive Beobachter nur die konkrete Tatsituation oder beispielsweise auch das Tatvorgeschehen?[22] Diese Frage dürfte insbesondere bei sexuellen Übergriffen innerhalb von Beziehungen – der häufigsten Konstellation sexueller Übergriffe – zentral für die Einschätzung des objektiven Beobachters sein.[23]
e) Sonderwissen
Zu Unrecht wird die Frage nach „Sonderwissen“ in der Rechtswissenschaft häufig als rein akademisches Problem abgetan.[24] Hierbei geht es darum, ob der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB auch erfüllt ist, wenn der Gegenwille der betroffenen Person zwar nicht in einer Weise erkennbar wird, die der objektive Beobachter als Außenstehender erkannt hätte, der Tatperson aber aufgrund von Sonderwissen sehr wohl bekannt ist, dass die andere Person nicht mit der Handlung einverstanden ist.
Es handelt sich um ein auch in der Praxis relevantes Problem, dessen geringe Sichtbarkeit im Strafverfolgungsprozess mit der defizitären Ausformulierung des § 177 Abs. 1 StGB zusammenhängen dürfte. Weiß die Tatperson beispielsweise aufgrund von Erzählungen durch die andere Person definitiv, wie diese sich in Situationen sexueller Grenzüberschreitungen verhält – etwa weil sie bereits sexualisierte Gewalt in anderen Kontexten erleben musste, dabei in eine „Schockstarre“ verfallen ist und ihrem Partner davon erzählt hat –, liegen sämtliche subjektiven Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 StGB vor: die Tatperson weiß um den Gegenwillen und nimmt dennoch eine sexuelle Handlung vor. Im objektiven Tatbestand stellt sich dagegen die Frage, ob der Gegenwille auch für einen objektiven Beobachter erkennbar geworden ist. Das verobjektivierte Merkmal „erkennbar“, das maßgeblich der Reduktion von Beweisschwierigkeiten dienen sollte,[25] verhindert so die Strafbarkeit einer vorsätzlichen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.
f) Offene Fragen bei aktivem Opferverhalten
Mit Blick auf die Tatvarianten 2-5 ist § 177 Abs. 1 StGB widersprüchlich. Angesichts der Tathandlungen „zur Vornahme bestimmen“ und „Vornehmenlassen“ ist unklar, ob diese bei zugleich erkennbar entgegenstehendem Willen der betroffenen Person einen eigenen Anwendungsbereich haben. So müsste das Opfer nach diesen Varianten selbst aktiv eine Handlung vornehmen – das setzt nach überwiegender Ansicht einen entsprechenden Handlungswillen voraus – und doch gleichzeitig einen entgegenstehenden Willen erkennbar äußern. Ob das logisch möglich ist, ist umstritten. Dabei ist bislang ungeklärt, ob die Beeinflussung des Opfers, sodass es bei gleichzeitigem eigenen Gegenwillen die sexuelle Handlung vornimmt, unterhalb der Nötigungsschwelle strafrechtlich erfasst wird.[26] So wird in der Praxis regelmäßig argumentiert, die eigene Körperbewegung im Rahmen von Stellungswechseln sei bereits ein aktives eigenes Verhalten, das aus der zuvor geäußerten Ablehnung ein ambivalentes Verhalten mache.[27]
Einige Fallkonstellationen aktiven Opferverhaltens dürften sich außerdem in einem Grenzbereich der Strafwürdigkeit bewegen, beispielsweise sexuelle Verhältnisse innerhalb von Machthierarchien unter Erwachsenen. Es ist notwendig, zu diskutieren, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen solche Fälle strafwürdig sind. Gesellschaftliche Verhältnisse mit autonomieeinschränkender Wirkung sind allgegenwärtig, beispielsweise in Arbeits- und Ausbildungskontexten. Angesichts des Freiwilligkeitsbegriffs in Art. 36 IK bedarf es eines gesellschaftlichen und rechtlichen Aushandlungsprozesses darüber, wann Freiwilligkeit vorliegt. Da sexualisierte Gewalt in Beziehungs- und Machtstrukturen eingebettet ist, wäre zu erwägen, ob auch vorsätzliche Druckausübung unterhalb der Nötigungsschwelle des § 240 StGB strafwürdig ist.
g) Stealthing
Bei dem Phänomen des Stealthing entfernen Tatpersonen unbemerkt von den Betroffenen während der sexuellen Handlung das zuvor getragene Kondom oder täuschen von vornherein darüber, dass sie ein Kondom tragen. Häufig bemerkt die andere Person dies erst im Anschluss an die sexuelle Handlung, sodass sie im Zeitpunkt der Handlung ihren Gegenwillen nicht äußern konnte.
Nach der bisherigen Rechtsprechung[28] ist § 177 Abs. 1 StGB jedenfalls erfüllt, wenn die Kondomnutzung zuvor zur expliziten Bedingung für das Einverständnis in die sexuelle Handlung gemacht wurde. Der Geschlechtsverkehr ohne Kondom stellt eine andere sexuelle Handlung als der Geschlechtsverkehr mit Kondom dar. Die Tatperson täuscht in diesem Fall über eine für die betroffene Person wichtige Handlungsmodalität. War die Nutzung eines Kondoms explizite Bedingung der sexuellen Handlung, bedeutet dies nach der bisherigen Rechtsprechung im Umkehrschluss, dass auch im Zeitpunkt der Entfernung des Kondoms der Gegenwille für die Tatperson (noch) erkennbar war.
Stealthing verletzt das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung jedoch ebenso, wenn die Kondomnutzung nicht explizit zur Bedingung für die sexuelle Handlung gemacht wurde. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Tatperson vor der sexuellen Handlung proaktiv ein Kondom verwendet, sodass für die andere Person die Notwendigkeit eines Gesprächs über die Verwendung eines Kondoms gar nicht erst entsteht. Die bisherige Rechtslage führt zu der paradoxen Konsequenz, dass die Strafbarkeit stärker eingeschränkt wird, je selbstverständlicher die Verwendung von Kondomen bei Sexualkontakten ist. Stealthing wird bislang nämlich nur dann von § 177 Abs. 1 StGB erfasst, wenn die betroffene Person vorher eindeutig klar gemacht hat, ohne das Kondom die sexuelle Handlung nicht zu wollen, obwohl die Tathandlung und die Schwere der Rechtsgutsverletzung sich nicht von den anderen genannten Situationen unterscheiden. Sobald ein Kondom in eine konsensuale sexuelle Handlung eingebunden wird, sollte davon ausgegangen werden, dass es ein integraler Bestandteil der gegebenen Zustimmung ist.[29]
Dass § 177 Abs. 1 StGB in seiner gegenwärtigen Fassung keine angemessene Handhabe solcher Situationen ermöglicht, ist angesichts der Verpflichtungen aus Art. 36 Abs. 1 IK defizitär. Ab dem Zeitpunkt der Entfernung des Kondoms wird in allen Fällen des Stealthing eine neue sexuelle Handlung vorgenommen, mit welcher die betroffene Person sich nicht einverstanden erklärt hat.
h) Unklarheiten in Fällen von absoluter und relativer Einschränkung der Willensbildungs- oder -äußerungsfähigkeit
§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB schützt Personen, die in ihrer Willensbildungs- und -äußerungsfähigkeit gänzlich eingeschränkt sind, während § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB Personen schützt, deren Willensbildungs- und -äußerungsfähigkeit (lediglich) erheblich eingeschränkt ist. Die Grenzziehung zwischen einer erheblichen und einer vollständigen Einschränkung ist häufig uneindeutig und schwierig, hat aber erhebliche Auswirkungen, insbesondere auf die Möglichkeiten der Betroffenen zum Ausleben konsensualer Sexualität.
In § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB findet sich bereits nach der aktuellen Rechtslage ein „Nur Ja heißt Ja“-Modell: Sexualkontakte mit Menschen mit eingeschränkter Willensbildungs- und -äußerungsfähigkeit sind danach nur straffrei, wenn sich die andere Person zuvor der Zustimmung dieser Person versichert hat. Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass insbesondere Menschen mit permanenter Einschränkung schutzwürdig sind, aber ebenso ein Bedürfnis nach Sexualkontakten haben können. Aus dieser an sich zustimmungswürdigen Einstellung folgt jedoch im Ergebnis eine Ungleichbehandlung von Menschen mit und ohne Einschränkung.[30]
Problematisch ist auch die nur teilweise Anwendbarkeit des Qualifikationstatbestandes in § 177 Abs. 4 für Fälle des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB. § 177 Abs. 4 StGB erhöht den Mindeststrafrahmen auf eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr in Fällen, in denen die Unfähigkeit zur Willensbildung oder -äußerung auf einer Krankheit oder Behinderung beruht. Der Gesetzgeber wollte diese Opfer besonders schützen. Darin liegt bereits eine Ungleichbehandlung. Besonders auffällig ist jedoch, welche Personen zwar von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, aber nicht von Abs. 4 erfasst werden: diejenigen, deren Willensbildungs- oder -äußerungsfähigkeit auf Intoxikation beruht, etwa durch Rauschmittel wie Alkohol und andere Drogen. Diese Ungleichbehandlung ist ausweislich der Gesetzesbegründung gewollt,[31] es fragt sich aber, warum das Ausnutzen einer solchen Lage weniger gravierend sein soll. Sollte dem der Gedanke zugrunde liegen, dass die betroffene Person sich selbst in diesen Zustand gebracht hat, wäre die Regelung in Gesetzesform gegossenes victim blaming. Zudem erfasst die Regelung auch Fälle, in denen die Intoxikation gerade nicht durch das Opfer selbst, sondern durch die Tatperson oder andere Personen herbeigeführt wurde, beispielsweise durch die Verabreichung von „K.O.-Tropfen“. Vor diesem Hintergrund ist § 177 Abs. 4 StGB in seiner jetzigen Ausformung rechtspolitisch verfehlt.
Die Hinwendung zu einem „Nur Ja heißt Ja“-Modell für alle Personen würde diese Ungleichbehandlung jedenfalls im materiellen Recht beenden.
2. Vergewaltigungsmythen und Stereotype über Sexualität
Die materiell-rechtlichen Mängel des § 177 StGB führen insbesondere dann zu einer problematischen Rechtsanwendung, wenn sie mit geschlechterbezogenen Stereotypen aufgeladen werden. Wirkmächtig ist insofern beispielsweise das stereotype Bild des aktiven männlichen Sexualpartners und der passiven weiblichen Sexualpartnerin. Dieses Klischee kann dazu führen, dass passives, teilweise sogar ablehnendes Verhalten von Frauen als Zustimmung oder zumindest nicht als ernstzunehmende Willensäußerung, sondern als Ausdruck eines „Sich-Zierens“ bewertet wird. In der Folge wird die Aufgabe des Gegenwillens als Offenbarung eines bereits zuvor bestehenden „wahren“ Willens gesehen und nicht als Indiz für eine Resignation ohne tatsächliche und zwangsfreie Willensänderung.
Im Umgang von Rechtsanwender*innen mit solchen Konstellationen zeigt sich teilweise, dass bedenkliche gesellschaftliche Vorstellungen zu Sexualität weiterhin sehr präsent sind.[32] So heißt es beispielsweise in einem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Berlin, „dass es – selbst bei anfänglicher Äußerung einer Ablehnung – sozial nicht unüblich ist, zu versuchen, den Vorbehalt einer Person gegenüber einverständlichen sexuellen Kontakten durch werbendes Verhalten zu überwinden.“[33] Nicht nur bezeugt dieses Beispiel, dass die Forderung nach Fortbildungen und Sensibilisierungsmaßnahmen sämtlicher mit Betroffenen sexualisierter Gewalt befasster Personen im Strafverfolgungssystem weiterhin aktuell ist. Eine „Nur Ja heißt Ja“-Lösung würde auch den Einflussbereich für derlei gesellschaftliche Überzeugungen bezüglich sexueller Aushandlungsprozesse erheblich verringern.
Auch mit Blick auf Sexualdelikte in aktuellen oder ehemaligen Beziehungen – die den Großteil aller Sexualdelikte ausmachen – wirken häufig stereotype Vorstellungen bei Rechtsanwender*innen.[34] Beispielsweise verneinen Gerichte die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens in vielen Fällen mit der Begründung, das Tatopfer sei im Verlauf der Beziehung bereits zu der fraglichen sexuellen Handlung bereit gewesen, sodass sein Verhalten mindestens ambivalent und der entgegenstehende Wille für die Tatperson nicht zu erkennen gewesen sei.[35]
Solche internalisierten Fehlvorstellungen bei Rechtsanwender*innen führen dazu, dass Frauen eine über die Anforderungen des materiellen Rechts hinausgehende faktische Obliegenheit auferlegt wird, ihren Gegenwillen in ständiger Aktualisierung immer wieder erkennbar zu machen. Denn andernfalls wird ihr Verhalten als Aufgabe des Gegenwillens gewertet oder es wird angenommen, dass dies jedenfalls aus Sicht der Tatperson so hätte gedeutet werden können.
3. Gesellschaftliche Wirkung der gegenwärtigen Rechtslage
Auch die gegenwärtige Regelung orientiert sich an der Maxime, dass Sexualkontakte nur straflos sind, wenn sie einvernehmlich sind. Die Verantwortung wird aber in Richtung der potentiellen Opfer verschoben, indem ein erkennbarer entgegenstehender Wille vorausgesetzt wird. Sofern die Opfer ihren entgegenstehenden Willen nicht kommunizieren, wird von einem Einverständnis ausgegangen. Um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen, müssen die betroffenen Personen aber nicht nur ihren entgegenstehenden Willen ausdrücken, sondern dies auch auf eine objektiv erkennbare Art und Weise tun. In dieser Verantwortungsverschiebung zulasten potentieller Opfer liegt – gerade in Anbetracht des gesellschaftlichen Umgangs mit Sexualdelikten und der Wechselwirkung von strafrechtlichen und gesellschaftlichen Vorstellungen – ein bedeutsamer Unterschied zu einer „Nur Ja heißt Ja“-Lösung. Denn der gegenwärtigen Regelung liegt eine Vorstellung zugrunde, die sich auch im rechtlichen Umgang mit Sexualdelikten immer wieder zeigt, nämlich dass es maßgeblich von dem Verhalten des Opfers abhängt, ob es sich bei einem Übergriff um strafwürdiges Unrecht handelt oder nicht. Damit wird vorausgesetzt, dass sexuelle Handlungen grundsätzlich willkommen seien und eine Ablehnung als Ausnahme explizit gemacht werden müsse.[36] Das bietet ein Einfallstor für Stereotype über „angemessenes“ Verhalten, vor allem von Frauen. So werden dem Übergriff vorgelagerte Verhaltensweisen wie etwa das Flirten, das Tragen bestimmter Kleidung oder der Alkoholkonsum als Indikatoren für ein Einverständnis gedeutet.[37] Auf der anderen Seite entsteht ein erheblicher Rechtfertigungsdruck für Opfer, zu erklären, warum sie in der konkreten Situation nicht mit dem Sexualkontakt einverstanden gewesen sind. Denn diese Verhaltensweisen werden in der gesellschaftlichen Debatte über Sexualdelikte ohnehin oft herangezogen, um dem Opfer eine Mitschuld an der Tat zu geben. Eine Regelung, die an die Zustimmung der Person anknüpft, würde diese Dynamiken vermeiden. Grundsätzlich wäre die Tatperson rechtfertigungsbedürftig, warum sie von einer Zustimmung ausging. Die rechtliche Verankerung des Zustimmungserfordernisses würde außerdem die Direktive stärken, dass sexuelle Handlungen nur vorgenommen werden dürfen, wenn alle beteiligten Personen mit ihnen einverstanden sind.
In diese Richtung stößt auch die Forderung nach Maßnahmen zur gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsförderung, dass alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen im Grunde (strafrechtliches) Unrecht darstellen, die Art. 35 EU-Gewaltschutzrichtlinie[38] formuliert. Auch für die (potentiell) Betroffenen, die durch gesellschaftliche Sozialisation zu bestimmten Vorstellungen über Geschlechterrollen, Stereotype und „richtiges“ Sexualverhalten gekommen sein können, und denen es daher schwerer fallen könnte, Ablehnung zu äußern, ist diese Klarstellung von enormer Wirkkraft.
III. Lösungsoptionen
Angesichts dieser defizitären Lage, die sich aus dem materiellen Recht und seiner Anwendung ergibt, formuliert der djb folgende Vorschläge und Forderungen.
1. „Nur Ja heißt Ja“
Nicht nur vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus der IK, sondern gerade auch um durch ein Schließen von Schutzlücken dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung den gebührenden Schutz zu gewähren, spricht sich der djb dafür aus, § 177 StGB in Richtung einer Einverständnislösung im Sinne eines „Nur Ja heißt Ja“-Modells zu reformieren.
Ein solches Regelungsmodell kennt der deutsche Gesetzgeber bereits, wie in § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu sehen ist. Für ein „Nur Ja heißt Ja“-Modell als Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs wurden bisher allerdings kaum konkrete Regelungsvorschläge gemacht.[39]
Insbesondere wäre im Rahmen einer „Nur Ja heißt Ja“-Reform zu prüfen, inwiefern das sehr schwierig zu bestimmende Element der Freiwilligkeit zum Regelungsgegenstand gemacht werden soll.[40] Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine erteilte Zustimmung, beispielsweise wenn die Zustimmung mithilfe einer Täuschung erlangt wurde. Auswirkungen hätte der Wechsel zu einem „Nur Ja heißt Ja“-Modell insbesondere für Fälle des sogenannten ambivalenten Verhaltens und für Situationen, in denen sich die betroffene Person passiv verhält. Die Neuregelung würde klarstellen, dass Passivität – in Übereinstimmung mit den Anforderungen der IK – gerade kein Einverständnis bedeutet. Der betroffenen Person würde so die derzeit bestehende Äußerungsobliegenheit genommen und die Verantwortung würde sich auf die Tatperson verschieben. Die zu erörternden Probleme lägen damit rechtlich insbesondere im subjektiven Tatbestand.[41] Obwohl die Reform selbst zunächst wenig an den dem Sexualstrafrecht immanenten Beweisschwierigkeiten ändern würde, wäre bereits die geänderte rechtliche Wertung für die betroffene Person im Vergleich zur aktuellen Rechtslage eine Entlastung.
Bei den Überlegungen zur Freiwilligkeit wäre zu beachten, dass die Anforderungen nicht zu streng sein sollten. Gewisse Zwänge und Abhängigkeiten sind gesellschaftlich allgegenwärtig und alltäglich. So besteht in zahlreichen Arbeitsverhältnissen eine gewisse Abhängigkeit, ohne dass jeder sexuelle Kontakt zwischen einer weisungsgebundenen und einer weisungsbefugten Person strafwürdig wäre. Vielmehr ist zu differenzieren, wann das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung derart eingeschränkt ist, dass das Ausnutzen der Abhängigkeitsbeziehung für eine sexuelle Handlung strafwürdig ist. Vergleichsweise klar ist das in sog. totalen Institutionen wie Haftanstalten, Psychiatrien oder Kasernen. Einige dieser Fälle erkennt das gegenwärtige Strafrecht bereits an (siehe §§ 174a-174c StGB). Darüber hinaus ist zu eruieren, wann eine Entscheidung nicht mehr als freiwillig im strafrechtlichen Sinne gelten kann. Dabei muss auch bedacht werden, dass das generelle Verneinen von Freiwilligkeit in bestimmten Abhängigkeitsbeziehungen ein pauschales Absprechen sexueller Autonomie mit sich bringen kann. Wichtig wäre insofern das Festhalten am Ausnutzungserfordernis.
Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Tatbestandes sollte in jedem Fall ein performatives „Nur Ja heißt Ja“-Modell verfolgt werden. Das bedeutet, dass die Zustimmung (so wie gegenwärtig die Ablehnung) explizit oder konkludent kommuniziert werden muss und es für den objektiven Tatbestand insofern nicht ausschließlich auf den inneren Zustand der Person ankommt. Das überzeugt angesichts der deutschen Irrtumsdogmatik insbesondere vor dem Hintergrund von Art. 36 Abs. 2 IK: „Das Einverständnis muss (...) erteilt werden.“
Mit Blick auf die Strafverfolgungspraxis wären mit einem Zustimmungserfordernis weder eine gravierende Ausweitung der Strafbarkeit sexueller Übergriffe noch erhöhte Beweisschwierigkeiten verbunden. Beweisschwierigkeiten bestehen bei Sexualdelikten häufig, da Staatsanwaltschaften und Gerichte oft lediglich Opfer als Zeug*innen heranziehen (können). Teilweise wird hieran kritisiert, dass dabei andere, möglicherweise zur Verfügung stehende Beweismittel wie die Vernehmung von Freund*innen oder Nachbar*innen oder die Inaugenscheinnahme von Chatprotokollen außen vor gelassen werden.[42] Diese Schwierigkeiten werden durch ein Zustimmungserfordernis nicht beseitigt, sie werden jedoch auch nicht verschärft. Es ist aber zu erwarten, dass es sich einfacher nachvollziehen lässt, ob eine Person einer Handlung zugestimmt hat, als nachzuvollziehen, ob sie einen entgegenstehenden Willen erkennbar gemacht hat – insbesondere, da dies einen Rückgriff auf die kritikwürdige Rechtsfigur des objektiven Beobachters erforderlich macht. Dabei steht die Praxis bereits jetzt vor der Frage, wie Fälle zu behandeln sind, in denen der entgegenstehende Wille zwar nicht objektiv erkennbar vermittelt wurde, zugleich aber die Tatperson von diesem wusste.
In einer Gesellschaft, die die sexuelle Selbstbestimmung achtet,[43] sollte es keine unverhältnismäßige Obliegenheit darstellen, sich der Zustimmung einer Person zu versichern, bevor es zu einer sexuellen Handlung kommt.[44] Eine „Nur Ja heißt Ja“-Regelung würde die beiderseitige Kommunikation in den Vordergrund rücken und so gerade nicht zu einer unfairen Verteilung der Kommunikationslast führen. Eine Person, die eine sexuelle Handlung initiiert, muss die Einverständlichkeit dieser Handlung durch Rückversicherung sicherstellen. Derzeit gehen Unsicherheiten zu Lasten der betroffenen Person, indem auf ihre Eigenverantwortlichkeit und Pflicht zur eindeutigen Kommunikation verwiesen wird.[45] Indes ist nicht einzusehen, warum die initiierende Person ihrem Wunsch nach einer sexuellen Handlung einfach nachgehen dürfen und es Aufgabe der betroffenen Person sein sollte, diese Situation in die eine oder andere Richtung aufzulösen – insbesondere, da eine solche Situation durchaus als überfordernd wahrgenommen werden kann und von zahlreichen Faktoren wie gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, Unsicherheiten und hierarchischen Verhältnissen geprägt ist. Es ist an der Zeit, auch wenn keine der Einschränkungen vorliegt, die das Strafrecht derzeit in § 177 Abs. 2 StGB aufzählt, diese einseitige Lastenverteilung zu beenden – und damit auch das Bild der, sofern unwidersprochen, stets erwünschten sexuellen Handlung.
2. Fahrlässiger sexueller Übergriff
Ergänzend zu einer „Nur Ja heißt Ja“-Regelung wäre die Kriminalisierung des fahrlässigen sexuellen Übergriffs zu erwägen. Ausgangspunkt für diese Überlegung ist die Feststellung, dass § 16 StGB die Strafbarkeit für jegliche vorsatzbezogene Irrtümer ausschließt. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, wie fernliegend die Irrtümer im konkreten Fall sein mögen.[46] Das dadurch entstehende Problem wird dadurch verstärkt, dass die konkreten Anforderungen an den Vorsatz bei § 177 Abs. 1 StGB weitgehend ungeklärt sind. Eine Schwierigkeit stellt insbesondere dar, dass sich der Vorsatz nicht nur auf den bestehenden Gegenwillen des Gegenübers, sondern auch auf dessen Äußerung in objektiv erkennbarer Weise erstrecken muss. Das bedeutet, dass die Tatperson nicht nur für möglich halten und mindestens billigend in Kauf nehmen muss, dass die sexuelle Handlung dem Willen der anderen Person widerspricht, sondern auch, dass die betroffene Person ihren Gegenwillen in einer Form geäußert hat, die auch ein objektiver Beobachter erkannt hätte.[47]
Diese umständlichen Anforderungen lassen der Justiz viel Raum für die Einschätzung, die Tatperson sei von einem Einverständnis ausgegangen oder aber habe jedenfalls keine hinreichend deutliche Äußerung des Gegenwillens vernommen. Zur Wirksamkeit solcher Behauptungen tragen auch weiterhin verbreitete Vergewaltigungsmythen bei.[48]
Besonders eklatant ist diese Situation, wenn sich die beschuldigte Person dahingehend einlässt, dass sie die Ablehnung zwar vernommen, aber als bloßes Sich-Zieren und als Aufforderung, „verführt“ zu werden, verstanden habe.[49]
Auch in Fällen, in denen sich die Tatperson nach einer geäußerten Ablehnung zunächst distanziert und den Willen der betroffenen Person (vermeintlich) respektiert hat, sich dann aber erneut sexuell annähert und die betroffene Person nicht noch einmal widerspricht, wird in der Rechtsprechung mit Blick auf den subjektiven Tatbestand oft – auch in teils absurden Konstellationen – argumentiert, die Tatperson habe von einer Meinungsänderung ausgehen können.[50] De lege lata trägt das Tatopfer die Last des fehlerhaften Weltbilds der Tatperson – und zwar auch, wenn dieses Weltbild in grotesker Weise von der Lebensrealität abweicht.[51]
Auch vor diesem Hintergrund wurde die Kriminalisierung des fahrlässigen sexuellen Übergriffs für das deutsche Strafrecht bereits zuvor gefordert.[52] Sie existiert bereits in einigen anderen Rechtsordnungen, etwa in Schweden, dem Vereinigten Königreich, Kroatien, den Niederlanden und Norwegen.
Ein großer Anwendungsbereich für einen Tatbestand des fahrlässigen sexuellen Übergriffs wären sogenannte ambivalente Handlungen. Damit könnten beispielsweise Sachverhalte erfasst werden, in denen das Opfer seine ablehnende Haltung im Verlauf der Interaktion aus Sicht der Tatperson ändert und dem Sexualkontakt (vermeintlich) zustimmt, obwohl die Tatperson hätte erkennen können, dass tatsächlich keine Meinungsänderung vorliegt.
Über den Tatbestand des fahrlässigen sexuellen Übergriffs könnten zudem Fälle erfasst werden, in denen sich eine Tatperson gegen den Vorwurf der vorsätzlichen Tatbegehung damit verteidigt, dass der entgegenstehende Wille des Opfers für sie nicht erkennbar gewesen sei. In einigen Fällen dürfte es sich dabei um Schutzbehauptungen handeln,[53] die das Tatgericht auch nach der bestehenden Rechtslage als solche würdigen könnte. Im Rahmen der Fahrlässigkeit würde sich jedoch nicht mehr die Frage stellen, ob eine Tatperson den erkennbar geäußerten entgegenstehenden Willen des Opfers (bzw. im Fall einer „Nur Ja heißt Ja“-Lösung dessen fehlende Zustimmung) nicht erkannt hat, sondern ob sie dies hätte erkennen müssen.
Für eine Strafbarkeit des fahrlässigen sexuellen Übergriffs spricht insbesondere die Wertigkeit der sexuellen Selbstbestimmung als verletztes Rechtsgut. Deutlich wird dies insbesondere auch bei einem Vergleich mit den von den vorhandenen Fahrlässigkeitsdelikten geschützten Rechtsgütern.[54] So kriminalisiert § 229 StGB die fahrlässige Körperverletzung unabhängig von der Schwere der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Die fahrlässige Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ist auch hinreichend sozialschädlich, wie es das Bundesverfassungsgericht als Anforderung für die Kriminalisierung von Verhalten formuliert hat. Bisher haben sich keine akzeptablen Lösungen gefunden, um das Unrecht des fahrlässigen sexuellen Übergriffs strafrechtlich abzubilden.[55] Es ist dringend erforderlich, betroffene Personen in Fällen, in denen sie der Obliegenheit des aktuellen § 177 Abs. 1 StGB nachkommen und ihr Gegenwille aus grob unvernünftigen Irrtümern übergangen wird, zu schützen.
Die größte Herausforderung bei der Formulierung bzw. Auslegung eines Tatbestandes des fahrlässigen sexuellen Übergriffs wäre allerdings die Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sexuelle Übergriffe überwiegend in intimen sozialen Beziehungen stattfinden, stellt sich die Frage, welcher Sorgfaltsmaßstab für Personen in sexuellen Kontexten gelten soll. Konkret: Welches Verhalten ist erforderlich, um sich zu versichern, dass ein Sexualkontakt auch von der anderen beteiligten Person tatsächlich gewollt ist? Auch ist zu fragen, inwiefern sich Sorgfaltsmaßstäbe in etablierten Intimbeziehungen verändern können und wie beispielsweise mit Blick auf den Sorgfaltsmaßstab abgebildet werden kann, dass sich Sexualpartner*innen besser oder schlechter gegenseitig kennen und einschätzen können.[56]
Insofern besteht das Risiko, dass bei der Formulierung des Sorgfaltsmaßstabes und der Überprüfung seiner Einhaltung geschlechtsbezogene Stereotype und Mythen über Sexualität wirksam werden könnten.[57] So kann beispielsweise ein „Sich-Zieren“ des Opfers als bloßes „Spiel“ statt als fehlende Zustimmung gedeutet werden. Dieses Risiko könnte zumindest verringert werden, indem solche Tatkonstellationen und Stereotype als Negativbeispiele in die Gesetzesbegründung aufgenommen würden.[58] An dieser Stelle erinnert der djb auch an die Forderung von GREVIO, Deutschland müsse bei der Ausbildung von Personen in Strafverfolgung und Justiz einen Fokus auf die Entlarvung von Geschlechterstereotypen und Vergewaltigungsmythen legen.[59] Ergänzend sollte dringend über die Einrichtung von Spezialabteilungen zum Sexualstrafrecht insbesondere bei Gerichten nachgedacht werden. Bei der Diskussion der Sorgfaltspflichten sollte zudem besonderes Augenmerk auf die interdisziplinäre Forschung zu sexueller Kommunikation gelegt werden.
Insgesamt wird deutlich, wie wichtig Fortbildungen sind, die für entsprechende Stereotype sensibilisieren, um zu verhindern, dass ein bestimmtes Verhalten voreilig durch Angehörige des Strafverfolgungssystems gedeutet und zugunsten der Tatperson ausgelegt wird. Nichtsdestotrotz bleibt hier ein Spannungsfeld bestehen, weil die Definition von Sorgfaltsmaßstäben den Rückgriff auf vorgelagerte gesellschaftliche Erwartungshaltungen verlangt, von denen einige das strafwürdige Unrecht erst hervorbringen oder begünstigen. Dies ließe sich teilweise dadurch auflösen, dass die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit auf Fälle der Leichtfertigkeit beschränkt wird.[60] Das Merkmal der Leichtfertigkeit findet sich bereits in § 261 Abs. 6 und § 306c StGB (Geldwäsche; fahrlässige Brandstiftung mit Todesfolge) und beschreibt eine besonders schwere Form der Fahrlässigkeit, bei der die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet wird, was sich unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte aufdrängen müssen. Die Strafbarkeit des leichtfertigen sexuellen Übergriffs bzw. dessen nationalstrafrechtliche Entsprechung ist auch in den oben genannten Staaten, die eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bereits eingeführt haben, die häufigste Form der Tatbestandsgestaltung.
IV. Fazit und Empfehlungen
Es bleibt festzuhalten, dass die aktuelle Rechtslage im Sexualstrafrecht defizitär ist. Sie wird internationalen Vorgaben nicht gerecht und weist zahlreiche Widersprüche und Schutzlücken auf. Insbesondere das Erfordernis des „erkennbaren Gegenwillens“ in § 177 Abs. 1 StGB führt zu Schutzlücken mit Blick auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung des Opfers. Dazu trägt auch eine problematische Rechtsanwendung bei, die teilweise von stereotypen Vorstellungen über Sexualität und sog. Vergewaltigungsmythen geprägt ist, die insbesondere zum Nachteil von den betroffenen Frauen wirken.
Vor diesem Hintergrund ist eine Reform des geltenden Sexualstrafrechts erforderlich. Dabei wäre statt einer punktuellen Änderung der (zahlreichen) problematischen Aspekte ein Wechsel von der geltenden „Nein heißt Nein“- hin zu einer „Nur Ja heißt Ja“-Lösung sinnvoll. Diese sog. Zustimmungslösung könnte viele, wenn auch nicht alle der bestehenden Probleme lösen und würde zudem den Vorgaben der IK entsprechen. Vor allem passives und ambivalentes Opferverhalten, das von dem bisherigen § 177 Abs. 1 StGB nicht erfasst ist, würde dadurch in den Anwendungsbereich des Tatbestands einbezogen. Allerdings könnten auch dann weiterhin Stereotype und Mythen wirken und die Rechtsanwendung negativ beeinflussen. Daher ist – auch auf Basis der geltenden Rechtslage – nicht nur eine Sensibilisierung und Fortbildung der Rechtsanwender*innen dringend erforderlich, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Bewusstseinsbildung. Für die Normierung eines „Nur Ja heißt Ja“-Modells können verschiedene Optionen erwogen werden, wobei der Blick auf ausländische Rechtsordnungen, in denen solche Regelungen bereits existieren, helfen kann.
Begleitend zu einer „Nur Ja heißt Ja“-Regelung ist auch die Einführung einer Strafbarkeit des leichtfertigen sexuellen Übergriffs angebracht. Auch hier kann sich an Regelungen aus anderen Ländern orientiert werden. Die Strafbarkeit des jedenfalls leichtfertigen sexuellen Übergriffs würde ergänzend weitere Schutzlücken schließen. Dazu gehört insbesondere „ambivalentes Opferverhalten“, das sich durch „Einwirkungen“ der Tatperson vermeintlich verändert. Auch hierin liegt eine strafwürdige sexuelle Grenzüberschreitung.
Unabhängig von der Reform des materiellen Rechts steht jedoch fest, dass die Rechtsanwendung für einen geschlechtergerechten Umgang mit dem Sexualstrafrecht eine essenzielle Bedeutung hat. Um dies sicherzustellen, sind – den Anforderungen der Istanbul-Konvention entsprechend – Schulungen und andere Sensibilisierungsmaßnahmen für Rechtsanwender*innen erforderlich, beispielsweise zu Themen wie sexuelle Kommunikation, Retraumatisierung und Betroffenenverhalten. In diesem Zusammenhang ist auch eine Spezialisierung des Justizsystems erwägenswert, etwa durch die flächendeckende Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder besonderen Strafkammern. Auch gesamtgesellschaftliche Aufklärungsarbeit zu Themen wie Konsens und Rücksichtnahme bei Sexualkontakten ist notwendig, beispielsweise im Rahmen des Sexualunterrichts in Schulen. Dadurch würde auch ein Beitrag zur Prävention von Sexualdelikten geleistet werden. Dies ist künftig auch für die EU-Mitgliedstaaten verpflichtend, denn Art. 35 der EU-Gewaltschutzrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, regelmäßig geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wie z.B. (altersgerechte) Sensibilisierungskampagnen und -programme, Verbreitung von Material und Informationen, um Änderungen von Verhaltensmustern zu fördern, die auf einem historisch bedingten ungleichen Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern begründet sind oder auf stereotypen Rollenbildern von Frauen und Männern beruhen, insbesondere im Zusammenhang mit sexuellen Beziehungen, dem Geschlecht und dem Konzept des Einverständnisses. Letzteres spielt eine zentrale Rolle bei sexuellen Beziehungen und muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, des gegenseitigen Respekts und des Rechts auf sexuelle Unversehrtheit erteilt werden.
[1] Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011.
[2] Obwohl aufgrund der anstehenden Ratifizierung der IK durch Deutschland das Justizministerium bereits im Vorjahr eine Expert*innenkommission zur Evaluierung des Sexualstrafrechts eingesetzt hatte, wurde deren abschließender Bericht nicht abgewartet. Stattdessen wurde im Zuge der medialen, zu großen Teilen rassistisch aufgeladenen Berichterstattung über die Vorfälle in der sog. Kölner Silvesternacht 2016 die rechtspolitische Dynamik für die Reform des § 177 StGB in Form des von Zivilverbänden schon lange geforderten „Nein heißt Nein“-Grundsatzes genutzt. Hierzu statt vieler: Çelebi/Schuchmann/Steinl, Feministische Strafrechtskritik – Geschlechterdimensionen im materiellen Strafrecht, in: Helena Schüttler u.a. (Hrsg.), Gender and Crime: Sexuelle Selbstbestimmung und geschlechtsspezifische Gewalt (2024), S. 20 ff.
[3] Der Gesetzgeber sprach insofern auch von einer Obliegenheit des Opfers, die diesem aber zuzumuten sei, vgl. BT-Drs. 18/9097, S. 22 f.
[4] Der Gedanke, dass jede nicht-konsensuale sexuelle Handlung verwerflich ist, liegt auch der EU-Richtlinie (2024/1385) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 14. Mai 2024 zugrunde, die auf ein entsprechendes gesellschaftliches Verständnis hinwirken will (Art. 35). Ausführlicher werden diese europa- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen hier erklärt: djb, Policy Paper: Sexualisierte Gewalt – Schutzlücken und Reformbedarfe, 18.11.2024, abrufbar unter: www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-39.
[5] GREVIO Bericht zu Deutschland, 07. Oktober 2022, Nr. 252.
[6] EGMR, M.C. gegen Bulgarien, Urteil, 04.12.2003, 39272/98, §§ 162 ff.
[7] EGMR, I.G. gegen Moldawien, Urteil, 15.05.2012, 53519/07, §§ 42, 45; EGMR, D.J. gegen Kroatien, Urteil, 24.07.2012, 42418/10, § 86; EGMR, N.A. gegen Moldawien, Urteil, 24.09.2013, 13242/06, §§ 62 ff.; Rabe/Normann, Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen, 2. Aufl. (2014), S. 17.
[8] Begriff geprägt von Krahé, Soziale Reaktionen auf primäre Viktimisierung: Zum Einfluss stereotyper Urteilsmuster (2012), S. 159; Temkin/Krahé, Sexual Assault and the Justice Gap: A Question of Attitude (2008), S. 9.
[9]Möller/Söndergaard/Helström, Tonic immobility during sexual assault – a common reaction predicting post-traumatic stress disorder and severe depression, in: Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica, Vol. 96, Issue 8, 2017, S. 935; für weitere Nachweise siehe Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 7 ff.
[10]Marx/Forsyth/Gallup/Fusé/Lexington, Tonic immobility as an evolved predator defense: Implications for sexual assault survivors, in: Clinical Psychology: Science and Practice, Vol. 15(1) 2008, S. 80; De la Torre Laso, The Reality of Tonic Immobility in Victims of Sexual Violence: “I was Paralyzed, I Couldn’t Move”, Trauma, Violence & Abuse, Vol. 25, Issue 2, 2024, S. 1630 ff.
[11] BT-Drs. 18/9097, S. 27 f.
[12] Vgl. Zitate eines Urteils sowie Einstellungsbescheids in: Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 14 ff.
[13]Möller/Söndergaard/Helström, Tonic immobility during sexual assault – a common reaction predicting post-traumatic stress disorder and severe depression, in: Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica, Vol. 96, Issue 8, 2017, S. 935 ff.; Fusé/Forsyth/Marc/Gallup/Weaver, Factor structure of the Tonic Immobility Scale in female sexual assault survivors: An explanatory and Confirmatory Factor Analyses, in: Journal of Anxiety Disorders, Vol. 21, Issue 3, 2007, S. 278 f.
[14]Eisele, in: Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2019), § 177 Rn. 30.
[15] Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 16.
[16] Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 21 f.
[17] Dagegen auch die EU-Richtlinie (2024/1385) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 14. Mai 2024, siehe insb. Art. 36 Abs. 8.
[18] BT-Drs. 18/9097, S. 23.
[19] So wird auch der Zustand der sog. Schockstarre laut Berichten von Praktiker*innen häufig als ambivalentes Verhalten missverstanden, etwa weil sich die betroffene Person bei Stellungswechseln nicht erneut ablehnend äußert. So schreibt beispielsweise die Staatsanwaltschaft Berlin in einem Einstellungsbescheid, der der Kommission vorliegt, in einem solchen Fall: „Sie haben zwar zunächst die Handlungen verbal abgelehnt, jedoch im weiteren Verlauf ohne aktive Gegenwehr oder verbale Äußerungen am Geschlechtsverkehr, einschließlich mehrerer Positionswechsel, mitgewirkt. Es liegt demnach schon nach Ihrer Schilderung ein Geschehen vor, bei dem die Grenze zwischen offener Ablehnung und späterem, stummen Vorbehalt zunehmend verwischte.“
[20] Dazu siehe unter III. 1.
[21] Dazu siehe unter II. 2.
[22] Diese Frage wird in der Rechtsprechung regelmäßig lediglich im subjektiven Tatbestand angesprochen; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch (2020), § 177 Rn. 27: „Wie weit insbesondere in Fällen längerer Beziehungen zwischen ‘Täter’ und ‘Opfer’ der Kreis der für den Beobachter mit zu berücksichtigenden Vorinformationen zu ziehen ist, hat der Gesetzgeber nicht geklärt.“; ähnlich Wolters, in: Satzger/Schluckebier/Werner (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2024), § 177 Rn. 11; für die konkrete Tatsituation wohl Wolters, Das gesetzliche Merkmal „gegen den erkennbaren Willen“ in der Neufassung des § 177 Abs. 1 StGB, in: Bublitz, et al. (Hrsg.), Recht – Philosophie – Literatur: FS Merkel (2020), S. 955 f.; so kann auch BT-Drs. 18/9097, S. 23, gelesen werden: „zum Tatzeitpunkt eindeutig“; für eine Betrachtung des gesamten Geschehens: Renzikowski, in: MüKo-StGB (2021), § 177 Rn. 48.
[23] So heißt es beispielsweise in einem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Berlin, der der Kommission vorliegt, es sei zu berücksichtigen, „dass es nicht ungewöhnlich war, dass nach Streitigkeiten in Ihrer Beziehung sexuelle Handlungen folgten.“ Darüber hinaus wurde schlicht nicht berücksichtigt, dass der Täter Wissen um die Tatsache, dass das Opfer bereits vorher in einer vergleichbaren Situation in eine Schockstarre verfallen war, hatte.
[24]Renzikowski, in: Schäfer (Hrsg.), MüKo-StGB (2021), § 177 Rn. 48; ähnlich Hörnle, in: LK-StGB (2024), § 177 Rn. 44.
[25] So auch Fischer, in: Schwarz/Dreher/Tröndle (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2023), § 177 Rn. 12: sachwidrige Vermengung mit Beweisfragen.
[26] Einer Antwort auf diese Frage ging auch der BGH im sog. Bamberger Chefarzt-Fall aus dem Weg: BGH, Beschluss, 21.11.2018, 1 StR 290/18, juris.
[27] So schreibt die Staatsanwaltschaft Berlin in einem Einstellungsbescheid, der der Kommission vorliegt: „Bereits bei Zugrundelegung Ihrer Angaben kann jedoch nicht sicher festgestellt werden, dass der Beschuldigte einen entgegenstehenden Willen erkennen konnte. Sie haben zwar zunächst die Handlungen verbal abgelehnt, jedoch im weiteren Verlauf ohne aktive Gegenwehr oder verbale Äußerungen am Geschlechtsverkehr, einschließlich mehrerer Positionswechsel, mitgewirkt.“
[28] BGH NJW 2023, S. 701; BayObLG NStZ-RR 2022, S. 43 f.; KG Berlin JR 2021, S. 189 f.; OLG Schleswig NStZ 2021, S. 619 f.; AG Freiburg BeckRS 2020, 41446 Rn. 90.
[29]Linoh/Wettmann, Sexuelle Interaktionen als objektuale Vertrauensbeziehung. Eine juristisch-soziologische Untersuchung des Phänomens Stealthing, in: ZIS 15/7-8 (2020), S. 383 ff.
[30]Hörnle, in: LK-StGB (2024), § 177 Rn. 68; Eisele, in: Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2019), § 177 Rn. 63; Bezjak, Der Straftatbestand des § 177 StGB (Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) im Fokus des Gesetzgebers, KJ 2016, S. 565; Vavra, Die Strafbarkeit nicht-einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen, S. 453 f.
[31] BT-Drs. 18/9097, S. 26.
[32] Zahlreiche Urteile listet Stumpp, Geschlechterrollenstereotype und Vergewaltigungsmythen, BRZ 2/2024 (im Erscheinen) auf; der deutsche Frauenrat zeigte sich in Abschließende Bemerkungen zum kombinierten siebten und achten periodischen Staatenbericht Deutschlands, CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Rn. 25 f., besorgt über „geschlechtsspezifische[n] Stereotype und Mythen rund um das Thema Vergewaltigung innerhalb der Gesellschaft und bei Angehörigen der Rechtsberufe“; Stelzner/Minuth, Genderstereotype in Sexualstrafverfahren, Forum Recht, 03/18, S. 89.
[33] Einstellungsbescheid liegt der Kommission vor.
[34] So spricht BGH, Urt. v. 05.01.2023 – 5 StR 386/22 Rn. 25, juris, vom „Normalfall“ eines Übergriffs ohne vorherigen Kontakt zwischen Täter und Opfer; BGH, NStZ-RR 2020, S. 355 spricht von der Möglichkeit eines „in der Beziehung wurzelnden Mitverursachungsbeitrages“; BGH, Beschl. v. 26. 01. 2022 – 1 StR 440/21 Rn. 6, juris; LG Essen, Urt. v. 07.02.2020 – 52 KLs-12 Js 3763/18-12/19 Rn. 478, juris.
[35] BGH 1 StR 50/21 Rn. 10; BGH 1 StR 290/18 Rn. 22.
[36]Herning/Illgner, „Ja heißt Ja“ – Konsensorientierter Ansatz im deutschen Sexualstrafrecht, ZRP 2016, S. 79.
[37] Betroffene würden, wenn auch unbeabsichtigt, das ihnen geschehende Unrecht provozieren, vgl. Kratzer in: Temme/Künzel, Hat Strafrecht ein Geschlecht? (2010), S. 128; Stelzner/Minuth, Genderstereotype in Sexualstrafverfahren, Forum Recht, 03/18, S. 89 ff.; Schmitt/Pilone, Genderstereotype und Vergewaltigungsmythen in Sexualstrafverfahren, Working Paper 24 (2020), Humboldt Law Clinic, S. 10 f.
[38] EU-Richtlinie (2024/1385) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 14. Mai 2024.
[39] Hierauf stellte der Vorschlag ab, den der djb bereits im Jahr 2014 formuliert hatte. Nach dem damaligen § 174 Abs. 1 n.F. StGB sollte sich wegen sexueller Misshandlung strafbar machen, „wer ohne Einverständnis einer anderen Person (a) sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von der Person vornehmen lässt oder (b) diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt“. Hier wird auf das Einverständnis der anderen Person abgestellt, an dessen Fehlen die Strafbarkeit geknüpft ist. In § 175 StGB n.F. war zudem die Regelung von Wirksamkeitserfordernissen für das Einverständnis vorgesehen. Danach sollte beispielsweise ein Einverständnis unwirksam sein, das nicht auf freier Willensbildung beruht (Abs. 1), das von einer Person unter 14 Jahren erteilt wurde (Abs. 2) oder das in bestimmten Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen erteilt wurde (Abs. 3-5). Auch der Vorschlag von Scheidegger für das schweizerische StGB stellte teilweise auf das Einverständnis ab. Scheidegger schlug vor, einen Grundtatbestand einzuführen, der das schlichte Handeln ohne Einverständnis des Opfers bestraft. Das fehlende (tatbestandsausschließende) Einverständnis sollte an die Wirksamkeitsbedingungen einer (rechtfertigenden) Einwilligung geknüpft werden.
[40] In Section 75 und 76 des Sexual Offences Act (UK) finden sich beispielsweise prozessuale Beweisregelungen, bei denen es sich um Indizien („evidential presumption”, Section 75) und unwiderlegliche Vermutungen („conclusive presumption“, Section 76) handelt. Die Indizien i.S.d. Section 75 sind teilweise mit dem aktuellen § 177 Abs. 2 StGB vergleichbar, etwa im Fall von Gewaltanwendung bei der Tatbegehung.
[41] Diese Vermutung stützen auch die Erfahrungen aus Schweden nach Einführung der „Nur Ja heißt Ja“-Lösung. Insbesondere scheint dort der konkret anzulegende Sorgfaltsmaßstab noch immer recht unklar zu sein, was dazu führt, dass ein Großteil der Fragen des objektiven Tatbestands auf subjektiver Ebene gelöst wird.
[42] Siehe dazu Alizad, Die Bedeutung der Staats- und Amtsanwaltschaft bei der Bekämpfung von Partnerschaftsgewalt gegen Frauen, in: Schüttler et al. (Hrsg.), Gender & Crime – Strukturelle Ursachen und Verhältnisse geschlechtsspezifischer Gewalt (im Erscheinen).
[43] Das Verständnis des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung, das der djb seinen Forderungen zugrunde legt, wird näher erläutert in: djb, Policy Paper: Sexualisierte Gewalt – Schutzlücken und Reformbedarfe, 18.11.2024, Kap. B. I., abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-39.
[44] Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Sicherstellung der Einvernehmlichkeit ein „erfülltes Liebesleben erschweren“ würde, Menschen überfordern würde oder sich diese „im Zweifel gegen Sexualität“ entscheiden würden (so Wiedmer, Die Strafbarkeit sexueller Übergriffe, S. 434 f.). Sollte es tatsächlich zu einer Verringerung zweifelhafter Sexualkontakte kommen, wäre dies eine Einschränkung lediglich der positiven Sexualfreiheit der initiierenden Person, welche mit dem Schutz der negativen Selbstbestimmung der betroffenen Person zu rechtfertigen ist.
[45] So bspw. Wiedmer, Die Strafbarkeit sexueller Übergriffe, S. 432; Hörnle, ZStW 127(2015), S. 858.
[46] So wurde ein solcher Irrtum vom BGH 1981 angenommen, als ein Fahrgast eine völlig fremde Taxifahrerin mit einer Scheinwaffe bedrohte, Gewalt ausübte und sie zum Entkleiden und Erdulden sexueller Handlungen nötigte (BGH NStZ 1982, S. 26). Nahe legte der BGH einen ähnlichen Irrtum, als in einem anderen Fall jemand die Vergewaltigung einer Frau durch zwei Personen zu verhindern versuchte und letzten Endes selbst die Frau vergewaltigte (BGH NStZ 1999, S. 453).
[47]Eisele, in: Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2019), § 177 Rn. 21; Renzikowski, in: MüKo-StGB (2021), § 177 Rn. 62; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2020), § 177 Rn. 29. Vor diesem Hintergrund wurde auch bereits diskutiert, ob § 177 Abs. 1 StGB mit dem Merkmal der „Erkennbarkeit“ in seiner aktuellen Form bereits ein Fahrlässigkeitserfordernis enthält – was die herrschende Ansicht ablehnt, vgl. Renzikowski, Nein! – Das neue Sexualstrafrecht, NJW/49 (2016), S. 3554; Eisele, in: Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2019), § 177 Rn. 11; Hoven/Weigend, „Nein heißt Nein“ – und viele Fragen offen, JZ/4 (2017), S. 187; Schumann, in: NK-StGB (2023), § 177 Rn. 8; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2020), § 177 Rn. 27; Fischer, in: Schwarz/Dreher/Tröndle (Hrsg.), Strafgesetzbuch (2023), § 177 Rn. 11, 17; Fahrlässigkeit wird auch in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt, vgl. Deutscher Bundestag, BT-Drs. 18/9097; a.A.: Wollmann/Schaar, Alles nur eine Frage der Kampagne?, Neue Kriminalpolitik 28/3 (2016), S. 280.
[48] Vgl. Stelzner & Minuth, Genderstereotype in Sexualstrafverfahren. Eine Untersuchung durch Prozessbeobachtungen. Forum Recht, Vol. 18, Nr. 3, S. 89 ff.; Schmitt/Pilone, Genderstereotype und Vergewaltigungsmythen im Sexualstrafverfahren – Fortbildungen als Gegenmittel (2020), S. 32 ff.
[49] Eine solche Fehlvorstellung dürfte bei streng dogmatischer Betrachtung eigentlich nichts an dem Vorsatz bzgl. der Tatbestandsmerkmale ändern, siehe bspw. in Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 23, 26.
[50] Bspw. in BGH 2 StR 403/22: „Aber auch die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten ist lückenhaft. Seine Überzeugung, dem Angeklagten sei der entgegenstehende Wille der Nebenklägerin bei der Vornahme des vaginalen Geschlechtsverkehrs bekannt gewesen, hat das Landgericht im Wesentlichen ebenso auf die verbale Zurückweisung durch die Nebenklägerin sowie darauf gestützt, dass diese versucht habe, ihre Unterhose wieder hochzuziehen und den Angeklagten wegzudrücken. Das Landgericht hat bei der Beweiswürdigung nicht näher in den Blick genommen, dass die Nebenklägerin nach den übrigen Feststellungen die von dem Angeklagten – nahezu täglich – erwünschten sexuellen Handlungen oftmals zunächst verweigerte, dann aber – nicht selten nach einer verbalen oder gar körperlichen Auseinandersetzung und anschließender Aussöhnung – doch noch vornahm. Der Angeklagte – so das Landgericht – habe aufgrund dieses Verhaltens der Nebenklägerin bei der Vornahme sexueller Handlungen ‚nicht immer‘ davon ausgehen müssen, dass diese deren eigentlichen Willen zuwiderliefen.“
[51]Hörnle, ZStW 112 (2000), S. 364.
[52]Kräuter-Stockton, § 177 StGB – Kritik und Verbesserungsvorschläge im Vergleich mit den Regelungen in Norwegen, Schweden und England/Wales, djbZ 2/2013, S. 93; auch Hörnle erwog in ZStW 112 (2000), S. 376 f. die Pönalisierung bei Leichtfertigkeit.
[53] Ähnlich Humboldt Law Clinic, Schockstarre bei Angriffen sexualisierter Gewalt: Argumentationslinien für die Nebenklage, S. 26 ff.
[54]Wiedmer, Die Strafbarkeit sexueller Übergriffe, S. 448; Vavra, Die Strafbarkeit nicht-einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen, S. 259; Hörnle, Der Irrtum über das Einverständnis des Opfers bei einer sexuellen Nötigung, ZStW 112 (2000), S. 366.
[55] Insbesondere ist der Vorschlag von Renzikowski, in: MüKo-StGB (2021), § 177 Rn. 63, solche Fälle, in denen der Täter der Meinung ist, im Rahmen einer Beziehung und vorherrschender Überzeugung, es handele sich bei der Ablehnung um ein Sich-Zieren, durch Fortfahren mit der bereits erkennbar abgelehnten Handlung die andere Person überzeugen zu können, über den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung zu erfassen.
[56] Denkbar wären geringere Sorgfaltsanforderungen zwischen bereits bekannten Intimkontakten, vgl. Hörnle, Der Irrtum über das Einverständnis des Opfers bei einer sexuellen Nötigung, ZStW 112 (2000), S. 374.
[57] Kritisch insb. Kratzer-Ceylan, Finalität, Widerstand, „Bescholtenheit“, S. 381: „Die Orientierung an der Einsichtsfähigkeit eines durchschnittlichen Mannes löst jedoch keine Probleme.“; Hörnle,ZStW 112 (2000), S. 371 f.
[58] Selbst wenn aufgrund gesellschaftlich anerzogener Vorstellungen über Geschlechterrollen und Verhaltensweisen, insbesondere im Rahmen des Sexualverhaltens, in Einzelfällen ein „Sich-Zieren“ in der Tat den Wunsch nach einem erobert werden wollen birgt, kann dies nicht als Argument gegen die Einführung eines Fahrlässigkeitstatbestands gewertet werden. Denn soweit ein ausdrückliches „Nein“ ein „Ja“ darstellt, tragen sich derartig verhaltende Personen die Verantwortung, das erkennbar zu machen. Die Fehlinterpretation eines tatsächlichen Einverständnisses stellt nur eine temporäre Einschränkung der positiven sexuellen Selbstbestimmung dar, die selbst ausgeräumt werden kann. Anders hingegen, wenn man die Interpretation eines „Nein“ als „Ja“ betrachtet, die nicht nur auf einem Stereotyp und einem Mythos eines insbesondere weiblichen Sexualverhaltens fußt, sondern das erhebliche Risiko der Verletzung der negativen sexuellen Selbstbestimmung birgt.
[59] GREVIO Bericht, Nr. 103; diesen Bedarf veranschaulichen auch die von Wiedmerzitierten Meinungen aus der Staatsanwaltschaft, vgl. Wiedmer, Die Strafbarkeit sexueller Übergriffe, S. 455 f.
[60] Ähnlich bei Hörnle, Der Irrtum über das Einverständnis des Opfers bei einer sexuellen Nötigung, ZStW 112 (2000), S. 378; Vavra, Die Strafbarkeit nicht-einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen, S. 261 ff.