Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) ist ein Zusammenschluss von Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen mit dem Ziel, die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern. Als unabhängige, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation setzen wir uns auf nationaler und europäischer Ebene für rechtspolitische Reformen ein, die die Stellung von Frauen und benachteiligten Gruppen stärken. Schon heute stellen wir unsere zentralen Wahlforderungen zur nächsten Wahlperiode des dann 21. Deutschen Bundestages vor. Wir werden die Wahlforderungen laufend aktualisieren.
1. Gewaltschutz
a) Gewaltschutz im Asyl- und Aufenthaltsrecht
Der djb setzt sich für ein aufenthaltsrechtliches Regelungskonzept ein, das Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte, die von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffen sind, umfassend schützt. Nach Wegfall der Vorbehalte Deutschlands zu Art. 59 Abs. 2 und 3 Istanbul-Konvention bedarf es einer Reform des Aufenthaltsgesetzes, um den völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht zu werden.
In einem Policy Paper[1] fordert der djb die Reform des § 31 AufenthG, um Betroffenen von häuslicher Gewalt, deren Aufenthaltstitel vom Aufenthaltsstatus der gewaltausübenden Ehe- oder Lebenspartner abhängt, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewährleisten. So bedarf es insbesondere der Herabsetzung der Ehebestandszeit, einer Reform der Härtefallklausel in § 31 Abs. 2 S. 1 und 2 AufenthG sowie der Streichung der Ausschlussklausel in § 31 Abs. 1 S. 2 AufenthG. Im Einklang mit Artikel 59 Abs. 3 Istanbul-Konvention muss der Gesetzgeber darüber hinaus humanitäre Aufenthaltstitel schaffen, die gewaltbetroffene Personen unabhängig von ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation erfassen. Daher macht der djb in einem aktuellen Policy Paper[2] konkrete Regelungsvorschläge für die Einführung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis für gewaltbetroffene Personen, wenn der Aufenthalt aufgrund der persönlichen Lage erforderlich ist (Art. 59 Abs. 3 lit. a Istanbul-Konvention) sowie die Schaffung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis für gewaltbetroffene Personen, wenn der Aufenthalt aufgrund der Mitwirkung im Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen die Täter*innen erforderlich ist (Art. 59 Abs. 3 lit. b Istanbul-Konvention).
b) Schutz vor digitaler Gewalt
Im digitalen Raum sind Frauen besonders häufig von sexueller Belästigung, Bedrohungen und bildbasierter Gewalt, wie z.B. Deep Fakes, betroffen. Frauen, die sich im Netz öffentlich äußern, riskieren sexistische Anfeindungen, aufgedrängte sexualisierte Inhalte bis hin zu Morddrohungen. Diese Form der Gewalt führt dazu, dass sich viele Frauen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen, was nicht nur ihre Rechte verletzt, sondern auch der Demokratie schadet. Der djb fordert eine stärkere Gesetzgebung gegen digitale Gewalt und die zügige Umsetzung der vom Bundesjustizministerium vorgelegten Eckpunkte. Der djb hat unter anderem anlässlich der Evaluierung der DSGVO eine Stellungnahme[3] veröffentlicht. Außerdem weist der djb schon lange auf die eklatanten strafrechtlichen Lücken und die fehlende Systematik bei der strafrechtlichen Erfassung von digitaler geschlechtsspezifischer Gewalt hin, etwa im Bereich der sexualisierten bildbasierten Gewalt[4]. Mit der EU-Gewaltschutzrichtlinie wird Deutschland zu umfassenden Reformen bei der strafrechtlichen Erfassung von digitaler Gewalt verpflichtet, etwa betreffend die nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material oder Cyberstalking. Der djb fordert die zeitnahe Umsetzung der Vorgaben in der Richtlinie, soweit sie vom deutschen Strafrecht noch nicht erfasst werden.
c) Effektiver Rechtsschutz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Der djb begrüßt, dass das 2019 von der Internationalen Arbeitskonferenz (englischsprachige und geläufige Abkürzung ILO) verabschiedete Übereinkommen gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt (ILO-Übereinkommen Nr. 190) endlich auch von Deutschland ratifiziert wurde. Das Übereinkommen ist ein Meilenstein, da es erstmals internationale Mindeststandards zur Verhinderung und Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt festlegt. Allerdings kritisiert der djb die gravierenden Lücken bei der Umsetzung. Denn es ist mitnichten so, dass der bestehende Rechtsschutz im nationalen Recht bereits ausreicht. Bisher können sich Betroffene kaum zur Wehr setzen, zu groß sind die strukturellen Barrieren für Beschäftigte. Sowohl die Durchsetzung individueller Schutzansprüche als auch die arbeitgeberseitigen Schutzpflichten müssen weiter ausgebaut werden. Daher hätte insbesondere die präventive Schutzdimension des ILO-Übereinkommens aufgegriffen werden müssen. Das Übereinkommen legt ein besonderes Gewicht auf Prävention und verlangt umfassende und konkrete Schutzmaßnahmen wie die Einführung eines spezifischen Risikomanagements. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten, in Beratung mit den repräsentativen Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenverbänden einen inklusiven, integrierten und geschlechterorientierten Ansatz zu ergreifen. Wie dies gelingen kann, zeigt der djb in einem Policy Paper[5] auf.
d) Berücksichtigung von Partner- und Trennungsgewalt in familiengerichtlichen Verfahren
Partner- und Trennungsgewalt muss zum effektiven Schutz Gewaltbetroffener stärker im familiengerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Der Reformentwurf des FamFG, zu dem der djb Stellung genommen hat[6], sieht wichtige Änderungen in diese Richtung vor, setzt aber die überfälligen Forderungen aus der Istanbul-Konvention nicht konsequent um. Zwingend notwendig ist außerdem die Umsetzung der Istanbul-Konvention im materiellen Familienrecht, hierzu liegen bislang nur Eckpunkte vor, die dieses Ziel nicht ausreichend berücksichtigen, wie der djb in seiner Stellungnahme zu den Eckpunkten für eine Reform des Kindschaftsrechts[7] aufzeigt.
e) Verpflichtende Fortbildungen für Rechtsanwender*innen im Bereich geschlechtsspezifische Gewalt
Für die effektive Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt ist neben einer entsprechenden materiellen Rechtslage auch eine geschlechter- und traumasensible Strafverfolgung erforderlich. Daher ist eine Sensibilisierung der Rechtsanwender*innen erforderlich, die durch verpflichtende Fortbildungen von Polizeibeamt*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen erreicht werden können. Diese sollten die verschiedenen Formen, Ursachen, Auswirkungen und Folgen geschlechtsspezifischer, darunter auch sexualisierter und digitaler Gewalt, beinhalten.[8] Die angebotenen Fortbildungen sollten zudem eine Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen und Sexual- sowie Vergewaltigungsmythen beinhalten. Damit kann Deutschland seiner Verpflichtung aus Art. 15 Istanbul-Konvention und Art. 36 EU-Gewaltschutzrichtlinie gerecht werden.
f) Gewaltprävention
Neben einer Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt mittels des Strafrechts muss das oberste Ziel sein, diese Gewalt zu verhindern. Dies kann nur durch umfassende, vielseitige Präventionsmaßnahmen gewährleistet werden.
(1) Individueller Rechtsanspruch auf Schutz, Unterstützung und Beratung sowie bedarfsgerechter Ausbau des Hilfesystems
Der djb setzt sich intensiv für die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes ein, das einen individuellen Rechtsanspruch auf Schutz, Unterstützung und Beratung für Betroffene von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt verankern soll. Jede vierte Frau in Deutschland erlebt Partnerschaftsgewalt. Die Zahl der betroffenen Personen ist noch höher, wenn man die Dunkelziffer einbezieht. Deutschland benötigt dringend zusätzliche Frauenhausplätze und spezialisierte Beratungsstellen, insbesondere im ländlichen Raum. Darüber hinaus müssen diskriminierende Zugangshürden abgebaut werden. Der Zugang muss unabhängig von Faktoren wie der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, dem Aufenthaltsstatus, Alter, Wohnort, der Anzahl der Kinder oder einer Kostenübernahmeerklärung gewährleistet werden. Auch für Menschen mit Beeinträchtigung sowie Betroffene von Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit muss uneingeschränkter Zugang zu Schutz- und Beratungsstellen bestehen. Der djb ist Teil von 35 erstunterzeichnenden Organisationen und Personen der bundesweiten Kampagne „Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben“[9] der ZIF- Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser. Als Mitglied des Bündnis Istanbul-Konvention hat der djb zudem eine Pressemitteilung[10] mitveröffentlicht, in welcher auf die Dringlichkeit des umfassenden Ausbaus des Hilfesystem und die Gewährleistung eines kosten-, diskriminierungs- und barrierefreien Zugangs zu Beratungsstellen und Schutzunterkünften hingewiesen wird, um den Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention Rechnung zu tragen.
(2) Täterarbeit
Effektive und langfristige Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt gelingt nicht ohne intensive Täterarbeit. Art. 37 EU-Gewaltschutzrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, gezielte Interventionsprogramme einzurichten, um das Risiko von Gewalt gegen Frauen oder häuslicher Gewalt oder von Wiederholungsdelikten zu verhindern und zu minimieren. Auch Art. 16 Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland dazu, Täter*innen zu unterstützen, gewaltfreies Verhalten zu erlernen, sodass Gewaltkreisläufe langfristig durchbrochen werden können. Daher fordert der djb die gesetzliche Verankerung von Täterarbeit als Präventionsmaßnahme.[11] Die Täterarbeit zur Verantwortungsübernahme muss nach den Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. erfolgen, wobei es bundesweit ausreichender ambulanter und stationärer Therapieeinrichtungen sowie Beratungsstellen bedarf.
(3) Interdisziplinäres Risiko- und Fallmanagement
Den Forderungen des GREVIO Evaluierungsberichts zu Deutschland entsprechend setzt sich der djb auch in einer aktuellen Stellungnahme[12] für die Einführung eines standardisierten interdisziplinären Fallmanagements und einer umfassenden Risikoanalyse bei Fällen von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt ein, um Hochrisikofälle rechtzeitig zu erkennen. Der Erlass von polizeilichen Maßnahmen – z.B. Platzverweise oder Ingewahrsamnahme – sowie der Erlass von Schutzanordnungen gegen Täter*innen variiert bundesweit sehr stark, was auf unterschiedliche Risikobewertungen und ein divergierendes Schutzniveau hinweist. Daher müssen die bei der Polizei, Justiz, Beratungsstellen und Frauenhäusern bekannte Informationen zur individuellen Bedrohungslage zusammengeführt werden. Zwar wenden einige Bundesländer ein solches Fallmanagement bereits an, allerdings muss dies bundesweit einheitlich eingeführt werden. Nur so kann Deutschland seinen europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen aus Art. 51, Art. 53. Istanbul-Konvention und Art. 16, Art. 19 EU-Gewaltschutzrichtlinie gerecht werden.
(4) Verbesserung der Datenlage im Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt
Der djb setzt sich dafür ein, empirisch gesichert Erkenntnisse über die unterschiedlichen Formen, die Ursachen, Auswirkungen und Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt zu sammeln, welche auch für die Fortentwicklung der Risikoanalysen zu Präventionszwecken eingesetzt werden können.[13] Die Tatursachenforschung ist auch in Art. 11 Abs. 1 lit. b Istanbul-Konvention vorgesehen.
(5) Gesellschaftliche Bewusstseinsbildung und Aufklärung
Auch auf gesellschaftlicher Ebene müssen patriarchalische Denkmuster und Frauenverachtung bekämpft werden. Sowohl die Istanbul-Konvention (Art. 13, 14 Istanbul-Konvention) als auch die EU-Gewaltschutzrichtlinie (Art. 34, 35 EU-Gewaltschutzrichtlinie) verpflichten die Staaten zur regelmäßigen Durchführung von Kampagnen oder Programmen zur Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen und auf allen Ebenen des Bildungssystems, um in der breiten Öffentlichkeit schon frühzeitig das Bewusstsein und das Verständnis für die unterschiedlichen Erscheinungsformen, die Ursachen, die Folgen sowie die Notwendigkeit der Verhütung von geschlechtsbezogener Gewalt zu verbessern. Die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Aufhebung von schädlichen stereotypen Geschlechterrollen, geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen in jeglichen Gesellschaftsschichten, gewaltfreie Konfliktlösung und gegenseitiger Respekt sowie Bewusstseinsbildung im Hinblick auf gängige Sexual- und Vergewaltigungsmythen müssen gesellschaftlich thematisiert werden. Ebenso ist basierend auf den Grundsätzen der Gleichstellung, der Nichtdiskriminierung sowie des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung das gesellschaftliche Bewusstsein für die zentrale Rolle des Einverständnisses bei sexuellen Beziehungen zu verbessern.
2. Reproduktive Selbstbestimmung und Familiengründung
a) Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Der Schwangerschaftsabbruch muss außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden, um das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personen zu stärken. Die aktuelle Rechtslage schafft erhebliche Barrieren und stigmatisiert sowohl schwangere Personen als auch das medizinische und beratende Personal. Entsprechend den Ergebnissen des Abschlussberichts der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung muss der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei stellen. Der djb fordert, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nutzt und den Schwangerschaftsabbruch auch über die zwölfte Schwangerschaftswoche hinaus außerhalb des Strafrechts regelt, um Betroffene nicht unnötig zu belasten.
Konkret schlägt der djb eine Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) vor, nach der ein Schwangerschaftsabbruch bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus zulässig ist. Der djb fordert die Bundesregierung auf, das historische Zeitfenster für diese notwendige Neuregelung zu nutzen und hat dazu erst kürzlich eine ausführliche Stellungnahme[14] zum Abschlussbericht der Kommission veröffentlicht.
b) Mutterschutzrecht stärken
Schutzregelungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen nicht von der Form der Erwerbstätigkeit abhängig sein. Hier bestehen Schutzlücken für Selbstständige, aber nicht zu vergessen auch für befristet Beschäftigte und arbeitnehmerähnlich Beschäftigte.
Der djb fordert insbesondere, dass für Selbstständige ein passgenauer, wirksamer Mutterschutz rechtlich geregelt und mit Umsetzungsmaßnahmen flankiert werden muss. Die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2010/41/EU verpflichten zum Abbau von Diskriminierungen und zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit für Selbstständige – Unternehmer*innen, Gründer*innen, freiberuflich Tätige, Soloselbstständige – auch und gerade im Falle von Schwangerschaft und Mutterschaft. Der berufliche Weg in die Selbstständigkeit muss vereinbar sein mit einem Lebensplan, der es einschließt, schwanger zu werden und Mutter zu sein. Wirksam geregelter Mutterschutz ist eine Voraussetzung dafür, dass die Kompetenzen und Potenziale von Frauen stärker als bisher die Entwicklungen in der Gesamtwirtschaft prägen. Ausführungen dazu finden sich im djb-Policy Paper „Mutterschutz für schwangere Selbstständige“.[15]
Ferner muss der Mutterschutz von Frauen nach einer Fehlgeburt verbessert werden: Über die bestehenden Regelungen hinausgehend müssen auch für Fehlgeburten in früheren Phasen der Schwangerschaft angemessen gestaffelte Rechtsansprüche geschaffen werden.
c) Gleichstellung für Zwei-Mütter-Familien im Abstammungsrecht
Der djb setzt sich dafür ein, dass Zwei-Mütter-Familien im Abstammungsrecht gleichgestellt werden. Das bislang notwendige Adoptionsverfahren für die zweite Mutter ist diskriminierend und gefährdet das Kindeswohl durch die lange Verfahrensdauer. Die Reform des Abstammungsrechts muss sicherstellen, dass die Elternschaft für beide Mütter sofort und gleichberechtigt anerkannt wird.
Der djb hat zu den vom BMJ veröffentlichten Eckpunkten einer Reform im Abstammungsrecht eine ausführliche Stellungnahme[16] veröffentlicht.
3. Ökonomische Gleichberechtigung und soziale Teilhabe
a) Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen: Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie und Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle
Frauen in Deutschland erhalten nach wie vor im Durchschnitt deutlich weniger Entgelt als Männer – trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Um diese Entgeltlücke zu schließen, muss die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bis spätestens 7. Juni 2026 vollständig und ohne Ausnahmen in deutsches Recht umgesetzt werden. Bis dahin ist keine Zeit zu verlieren – weder für den Gesetzgeber noch für Arbeitgebende oder die Tarifparteien. Unternehmen und der Öffentliche Dienst sind nach der EU-Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtet, geschlechtsspezifische Entgeltgefälle in den Entgeltstrukturen zu erkennen und zu beseitigen, um gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit sicherzustellen. Das aktuell in Deutschland geltende Entgelttransparenzgesetz entspricht diesen Vorgaben nicht. Es muss entscheidend nachgebessert werden. Der djb fordert die konsequente Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie und hat dazu eine Stellungnahme[17] veröffentlicht.
Darüber hinaus muss die Arbeitszeit 4.0 so gestaltet und verteilt werden, dass sie den Bedarfen weiblicher Beschäftigter gerecht wird und benachteiligende Teilzeitstrukturen endlich überwunden werden. Dazu müssen flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt werden, wie sie der djb schon in seiner Konzeption für ein Wahlarbeitszeitgesetz[18] einfordert. Umfassende, auch gesetzgeberische Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen nach dem Modell der regulierten Selbstregulierung werden in der djb-Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft[19] aufgezeigt.
b) Nachhaltigkeitsregulierung im Gesellschaftsrecht um Geschlechtergerechtigkeit erweitern
Der djb fordert, dass gesetzgeberische Maßnahmen im Gesellschaftsrecht im Zuge der Nachhaltigkeitsregulierung auch Geschlechtergerechtigkeit einbeziehen müssen. Bisher ist die Debatte auf den Klimawandel beschränkt. Diese Verengung widerspricht dem international verankerten sozial-ökologischen Nachhaltigkeitskonzept sowie den nachhaltigkeitsfördernden Rechtsakten des Europarechts. Soziale Aspekte, die für eine umfassende Nachhaltigkeitstransformation nötig sind, insbesondere die Geschlechtergerechtigkeit als explizites Ziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, werden ignoriert. Der djb hat dies bereits mehrfach in seinen Stellungnahmen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz[20], zur Nachhaltigkeitsberichterstattung[21] sowie in diversen Pressemitteilungen[22] betont und konkrete Vorschläge gemacht, wie Geschlechtergerechtigkeit in Gesetzgebung und Praxis integriert werden kann.
c) Stärkung eines geschlechtergerechten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes
Die geplante Einschränkung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes gefährdet den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards in globalen Lieferketten. Zudem steht sie nicht in Einklang mit dem Verschlechterungsverbot des Art. 1 Abs. 2 CSDDD. Der djb warnt daher davor, dass die Bundesregierung mit Verweis auf die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitspflicht von Unternehmen (CSDDD) die nationalen Vorschriften weiter verwässert. Unternehmen müssen weiterhin menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten erfüllen. Im Umsetzungsprozess muss zudem endlich die Perspektive auf Geschlechtergerechtigkeit in der Lieferkette ausdrücklich in das Sorgfaltspflichtensystem integriert werden. Dazu hat der djb eine fundierte Stellungnahme[23] herausgegeben.
d) Förderung paritätischer Sorgemodelle im Existenzsicherungsrecht
Der djb setzt sich seit Jahren für die Abbildung paritätischer(er) Sorgemodelle im Existenzsicherungsrecht ein. Die gemeinsame Erziehung der Kinder bei Trennung bzw. Scheidung durch beide Elternteile darf kein Modell nur für gutverdienende Eltern sein. Die aktuelle Rechtslage, in der das Bürgergeld für Kinder in getrenntlebenden Familien nach den Aufenthaltstagen aufgeteilt wird, belastet insbesondere die Situation alleinerziehender Mütter und kann den höheren Bedarf von Kindern in Trennungsfamilien nicht umfänglich sichern. Mit einem pauschalen Mehrbedarf für Umgänge etc. könnte der Gesetzgeber insbesondere für alleinerziehende Frauen zugleich den programmatischen Gleichstellungsauftrag verwirklichen, der dem SGB II in § 1 Abs. 2 vorangestellt ist. Nur so kann er auch der besonderen Förderpflicht zum Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG genügen.
e) Kindermindestsicherung
Der djb regt an, weiter an die ursprünglichen Ziele der Kindergrundsicherung anzuknüpfen und zeitnah Maßnahmen zu einer verbesserten Kindermindestsicherung zu ergreifen, wie sie der djb in seiner Stellungnahme vom 10.4.2024[24] unterbreitet hat.
4. Rechtsstaatlichkeit sichern und antifeministischen Rechtsruck entgegentreten
a) Schutz der Verfassung vor Rechtspopulismus
Rechtspopulistische und demokratiefeindliche Parteien bedrohen zunehmend die Unabhängigkeit der Justiz und die demokratischen Institutionen. Der Frauenanteil ist in vielen Parlamenten rückläufig. Der djb fordert verstärkte verfassungsrechtliche Sicherungen, um die Funktionsfähigkeit unserer demokratischen Organe zu gewährleisten, die in den vergangenen Jahrzehnten Wesentliches zur Gleichstellung der Geschlechter diskutiert, beschlossen und umgesetzt haben. Weiter ist es notwendig, die gesamte Justiz auf Bundes- und Landesebene besser vor politischen Blockaden und Angriffen zu schützen.
b) Schutz vor missbräuchlichen Klagen (SLAPPs)
Sogenannte SLAPPs (Strategic Lawsuit against Public Participation) sind missbräuchliche Klagen, die darauf abzielen, kritische Stimmen in der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen. Besonders Frauenrechtsaktivist*innen und Betroffene sexualisierter Gewalt sind hiervon betroffen. Der djb fordert eine schnelle und vollständige Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, um den demokratischen Diskurs zu schützen. Zu diesem Thema hat der djb eine Pressemitteilung[25] veröffentlicht.
c) Reform der juristischen Ausbildung
Eine Reform der juristischen Ausbildung ist unerlässlich, um gleichstellungspolitische Aspekte zu integrieren und die bestehende Geschlechterungleichheit in Ausbildung und Beruf zu bekämpfen. Der djb fordert, die Reformbedarfe der juristischen Ausbildung auch auf Bundesebene anzuerkennen, insbesondere um den juristischen Nachwuchs zu sichern und die Geschlechterparität im Berufsfeld zu fördern. Dazu hat der djb unter anderem einen Offenen Brief[26] mitunterzeichnet.
5. Geschlechtergerechte Digital- und Datenpolitik
Ob eine geschlechtergerechte Gesellschaft in Zeiten globaler Digitalisierung erreicht werden kann oder ob sich digitale Gewalt und digitale Diskriminierungsphänomene in Form des Digital Gender Gap und des Gender Data Gap weiter verschärfen, hängt entscheidend von einer guten Digital Governance ab. Die aktuelle Digital- und Datenpolitik weist gleichstellungspolitisch Leerstellen auf und es droht die Gefahr, dass Folgeschäden schnell geschaffener technikzentrierter Digitalisierung im Nachhinein kompensiert werden müssen. Aufgrund von Datenlücken und Defiziten im Bildungsbereich sind von diesen Folgeschäden vor allem Frauen und andere diskriminierungsgefährdete Gruppen betroffen. U.a. durch konsequente Anwendung der Grundsätze Open by Design und Open by Default sind diese Datenlücken zu schließen und es ist eine entsprechende Datenqualität sicherzustellen. Durch ein Umdenken im Bildungsbereich sind digitalisierungsbezogene Kompetenzen zu vermitteln, die weit über die reinen Bedienkompetenzen herausgehen.
6. Europarecht
a) Umsetzung des Gender Equality Acquis
Wie sich aus den Forderungen an die Europäische Kommission 2024–2029[27] ergibt, müssen alle in der letzten Legislaturperiode verabschiedeten Richtlinien des Gender Equality Acquis konsequent, d.h. vollständig, korrekt und innerhalb der vorgegebenen Frist von Deutschland umgesetzt werden. Hierzu zählen insbesondere die Gewaltschutzrichtlinie, die Entgelttransparenzrichtlinie, die Führungspositionenrichtlinie und die Vereinbarkeitsrichtlinie. Zudem haben die Mindestlohnrichtlinie und die geplante Verschärfung der Richtlinie gegen den Menschenhandel das Potenzial, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.
[1] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st23-20
[2] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-20
[3] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-03
[4] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st23-17
[5] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-32
[6] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-31
[7] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-05
[8] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-14 sowie https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28.
[9] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st24-22
[10] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm24-61
[11] Vgl. www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm24-42
[12] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st24-29
[13] Vgl. www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28
[14] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-30
[15] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-01
[16] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-07
[17] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-09
[18] Vgl. https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/160227_WAZG_Konzeption.pdf
[19] Vgl. https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/Konzeption_Gleichstellungsgesetz_Langfassung_2021.pdf
[20] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-09
[21] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-15
[22] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm24-54
[23] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-09
[24] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-13
[25] Vgl. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm24-24
[26] Vgl.: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-23
[27] Vgl. https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-24