Stellungnahme: 24-33


zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (Stand: 23. September 2024; im Folgenden: RefE). Mit diesem beabsichtigt der Gesetzgeber Änderungen insbesondere des Einkommenssteuergesetzes (EStG) und des Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetzes (AltZertG).

I. Grundsätzliches

Der RefE stellt bereits in seinem ersten Satz unter „Problem und Ziel“ die Herausforderung für die Zukunft der Alterssicherung dar: „Die Lebensstandardsicherung im Alter erfordert für viele Menschen neben der gesetzlichen Rente eine ergänzende, freiwillige Altersvorsorge.“ (S 1) Dem tritt der djb im Ergebnis aus gleichstellungspolitischen Gründen entgegen. Wie bereits in vorangehenden Stellungnahmen betont, muss Alterssicherung zuvörderst eine öffentliche Aufgabe bleiben und die gesetzliche Rentenversicherung als Pflichtversicherung gestärkt werden. Probleme dort sind dort zu lösen. Sie können nicht durch freiwillige Absicherungen außerhalb der Pflichtversicherung kompensiert werden. Dies höhlt aus Sicht des djb das Modell der gesetzlichen Rente insbesondere zu Lasten von Frauen aus. Gesetzgeberisches Handeln, das auf eine weitere Vertiefung der Unterscheidung der Alterssicherung in öffentlich und privat gerichtet ist, lehnt der djb ab. Denn diese Unterscheidung begünstigt die Verschärfung struktureller Ungleichheiten, gegen die Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) streitet. Mit der Verlagerung der Alterssicherung auf betriebliche und private Vorsorgearten besteht das Risiko, dass Frauen schlechter gestellt werden. Denn diese Vorsorgeformen wirken vor allem zugunsten von hohen Einkommensgruppen und berücksichtigen Sorgearbeit und dadurch bedingte Verluste von Einkommen aus Erwerbsarbeit weniger. Zudem fehlen insbesondere in der Säule der privaten Altersvorsorge flächendeckende solidarische Elemente. Hinzu kommen die Risiken der Kapitalmarktentwicklung bei der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge.[1]  Diese sind auch nach dem RefE privat zu schultern.

II. Im Einzelnen

1.

Der djb sieht durchaus die finanziellen Chancen für Anlegende, die mit der vom RefE beabsichtigten Förderung von kapitalgedeckten Anlagen einhergehen können. Aus Sicht des djb sollten aber nur solche Anlagen steuerlich gefördert werden, die garantiert auch das gesetzgeberische Ziel einer Lebensstandardsicherung im Alter erreichen und effektiv die gesetzliche Rente ergänzen. Diese Ausrichtung aller Reformen ist im Interesse von Frauen dringend geboten. Steuermittel dürfen gerade nicht zum „Spielen am Aktienmarkt“ aufs Spiel gesetzt werden. Dem kommt der RefE nur teilweise in Gestalt von Garantieprodukten nach. Diese haben aber nach der Prognose des RefE nur geringe Renditen und geringe Renten zur Folge. Demgegenüber betont der RefE, dass die Ermöglichung einer kapitalmarktbasierten Anlage mit höheren Renditen ein zentrales Element der Reform sei (RefE, S. 41, 87 f). Belohnt wird die Entscheidung zugunsten risikobehafteter Produkte. Hier geht es um prognostisch renditestarke Anlagen – insbesondere den Altersvorsorgedepotvertrag, jedoch ohne eine Mindestkapitalsicherung, das heißt ohne eine Altersvorsorge wenigstens in Höhe der eingezahlten Beiträge und steuerlichen Förderungen (Art. 6 Nr. 1b zu § 1Abs. 1b Nr. 2 b aa Nr. 4 AltZertG-E; RefE, S. 20). Gleichzeitig soll die geförderte private Altersvorsorge attraktiver werden, sich ihr Verbreitungsgrad erhöhen und der Wettbewerb zwischen den Produkten florieren (S.1, 40 f.). Aus Sicht des djb ist es aber nicht Aufgabe von Steuerzahlerinnen und -zahlern, den Markt für private Anlageprodukte „um jeden Preis“ zu fördern, wenn am Ende sogar ein Totalverlust der aufgewendeten Mittel möglich ist und dann umso mehr die gesetzliche Rentenversicherung greifen oder sogar das Fürsorgesystem (Sozialhilfe) auffangen muss.

Gerade diejenigen Personen, deren Lebensstandard aufgrund niedrigeren Einkommens nur in Höhe einer niedrigen gesetzliche Rente abgesichert sein wird und die mit einem geringen Beitrag freiwillig privat vorsorgen wollen, müssten ein entsprechend hohes Risiko eingehen, um die gesetzliche Rente zu verbessern. Der djb bezweifelt, dass die Abhängigkeit der Lebensstandardsicherung von der Risikobereitschaft der Altersvorsorgenden ein probates Mittel ist, um vor allem finanziell schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen, unter denen sich überproportional Frauen befinden und solche ohne entsprechende finanzielle Bildung, im Alter besser abzusichern.

2.

Zudem fehlen bei der nun beabsichtigten Reform inhaltliche Vorgaben und solidarische Elemente, wie sie etwa in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert sind. Der RefE sieht zwar Zulagen vor: zu einem privat zu schulternden Mindesteigenbeitrag (120 Euro/Jahr) für Personen mit geringem Einkommen (bis 26.500 Euro von gesetzlich definierten maßgebenden Einnahmen) pro Jahr (175 Euro); für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger (200 Euro jährlich für 3 Jahre) sowie Kinderzulagen (0,25 Euro pro 1 Euro Eigensparleistung, höchstens 300 Euro pro Kind/Jahr). Die bislang parallel zur Altersvorsorge mögliche Absicherung von Hinterbliebenen, verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit schließt der RefE für das Garantieprodukt aber gerade aus (Art. 6 Nr. 1 zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 RefE, S. 17, 64, 85 f.); für die übrigen renditestärkeren Altersvorsorgeverträge dürfte eine solche Absicherung gar nicht in Betracht kommen. Eine Absicherung überlebender Eheleute, von Waisen oder Dritten ist nur dann möglich, wenn im weniger renditestarken „Garantie“-Altersvorsorgevertrag eine zehnjährige Rentengarantiezeit bei ansonsten lebenslanger Leibrente vereinbart ist und der Altersvorsorgende die erste Auszahlung der lebenslangen Leibrente erlebt.

Am Ende entscheidet also das Anlageprodukt über die Höhe der Altersvorsorge und die Rendite aus diesen privat erbrachten und steuerlich geförderten Mitteln. Weitere Vorgaben für das Anlageprodukt bestimmt das insoweit ergänzte AltZertG. Von den dort in § 2a und § 6 Satz 1 vorgesehenen weiteren Möglichkeiten einer „näheren Bestimmung“ der zulässigen Kosten der Altersvorsorgeverträge, der vertraglichen Ausgestaltung und Zertifizierung per Rechtsverordnung durch dort genannte Bundesministerien hat der RefE keinen Gebrauch gemacht (RefE S. 24 f). Dies ist aus Sicht des djb aber erforderlich, damit die Ausgestaltung der Altersvorsorge und insbesondere die Absicherung von Personen mit geringem Einkommen nicht aus der öffentlichen Hand gleitet, gleichzeitig aber von ihr finanziell gefördert wird. Auch in der Säule der privaten Altersvorsorge bleibt die Lebensstandardsicherung bzw. Absicherung im Alter eine öffentliche Aufgabe. Sie liegt in öffentlicher Verantwortung und bedarf öffentlicher Gestaltung.

3.

Der RefE sichert diese geschlechtersensible Aufgabe und Verantwortungsträgerschaft auch institutionell nicht hinreichend ab. Er sieht ein digitales Vergleichsportal vor, über das sich Altersvorsorgende über zertifizierte Produkte kostenlos, unabhängig und transparent informieren können. Träger dieses Portals ist grundsätzlich die BaFin (Behörde). Sowohl das BMF (Ministerium) als auch die Behörde können aber die Aufgaben und Befugnisse des Trägers der Vergleichsplattform auf eine juristische Person des Privatrechts übertragen (Art. 7 § 18 Abs 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 RegE, S. 33, 35). Ob und inwieweit öffentlicher Einfluss auf die juristische Person genommen wird, steht im Ermessen des Ministeriums. Es kann sich die Genehmigung der Satzung dieser juristischen Person oder von Satzungsänderungen vorbehalten, wozu es einer Rechtsverordnung bedarf. Aus Sicht des djb sollte von der Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben auf eine Privatperson kein Gebrauch gemacht werden. Ein Vergleichsportal, das Entscheidungsgrundlage zur Zukunft der Alterssicherung ist und damit einer gesellschaftspolitischen Aufgabe dient, muss in öffentlicher Verantwortung verbleiben. Es muss zudem bestimmten Qualitätsanforderungen genügen, die insbesondere auch intersektionale Betroffenheit berücksichtigen und gerecht ausgleichen.

4.

Die steuerliche Förderung gilt zudem nur für Neuverträge, die ab 1. Januar 2026 abgeschlossen werden (Art. 2 Nr. 5 zu § 52 Abs. 50a EStG-E; RefE S. 7). Gegen die Übertragung auch auf Bestandsverträge wendet der RefE den Schutz von Vertrauen auf die bis zum 1. Januar 2026 geltenden Regelungen zur steuerlichen Förderung ein (RefE S. 62). Dies erschließt sich nicht. Für Neuverträge gilt ein steuerrechtlicher Sonderausgabenabzug in Höhe von anfänglich 3000 Euro, ab dem Jahr 2030 in Höhe von bis zu 3500 Euro zuzüglich weiterer Zulagen für Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung (Art. 2 Nr. 4 zu § 10a Abs. 1 Satz 1 EStG-E, RefE, S. 6). Bislang können diese Personen Altersvorsorgebeiträge (§ 82) zuzüglich Zulagen jährlich nur bis zu 2 100 Euro als Sonderausgaben abziehen (§ 10a EStG).  Damit werden Bestandsverträge ab dem Jahr 2026 trotz identischer Zielsetzung, für das Alter vorzusorgen, benachteiligt. Zugleich geht die steuerliche Entlastung, die vor allem höheren Einkommensgruppen und damit Männern nützt, ebenso wie bei der Riester-Rente weit über die Zulagen für Menschen mit geringen Einkommen hinaus. Der erhöhte Sonderausgabenabzug ermöglicht dabei nicht nur höhere Einzahlungen. Als Abzug von der Bemessungsgrundlage steigt die Entlastung mit dem zu versteuernden Einkommen insgesamt.

III. Gleichstellungspolitische Gesetzesfolgenabwägung

Nach Maßgabe der vorangestellten Erwägungen teilt der djb die Einschätzung im RefE (Begründung, A VI Nr. 6, S. 56) nicht, dass unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenssituation von Frauen und Männern keine Auswirkungen erkennbar seien, die gleichstellungspolitischen Zielen gemäß § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien zuwiderliefen. Ziel des RefE ist die Lebensstandardsicherung breiter Bevölkerungskreise mit Hilfe der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge. Das setzt voraus, dass insbesondere die spezifische Lebenssituation von Frauen in den Blick genommen wird. In diese Richtung weisen aber allein die höheren Zulagen bei Personen mit geringem Einkommen (bis 26.500 Euro) und die Zulagen bei Kindern für die kindergeldberechtigte Person. Auf die Anlageprodukte selbst, insbesondere auf die konkreten Kosten, hält sich der RefE mit Vorgaben zurück.

Zudem soll eine bessere Information über Vorsorgeprodukte mit Hilfe der digitalen Vergleichsplattform dazu führen, dass Frauen und Menschen mit geringem Finanzwissen mehr Vergleichsangebote erhalten als bisher und im Vergleich zu Männern und Personen mit höherer finanzieller Bildung. Ein „Mehr“ an Angeboten sichert aber noch nicht ab, ein auf die Lebenssituation von Frauen passendes Altersvorsorgeprodukt zu erhalten.

Schließlich regelt der RefE nur bzgl. des Garantieprodukts eine „unabhängig vom Geschlecht berechnete Altersversorgung“ (Art. 6 Nr. 1 zu § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AltZertG-E). Für die übrigen renditestärkeren und risikobehafteten Produkte fehlt eine derartige ausdrückliche Regelung. Es steht zu befürchten, dass damit das Garantieprodukt, dass zu einer tatsächlichen garantierten Auszahlung und damit Absicherung im Alter führt, aber weniger renditestark ist und nur geringe Renten hervorbringt, gegenüber den übrigen Altersvorsorgeverträgen auch aus diesem Grund unattraktiv ist oder nur attraktiv für Frauen wird. Mit anderen Worten: Frauen werden bei diesem Produkt zwar auf der Kostenseite fair gegenüber Männern behandelt; dies führt im Ergebnis aber auch nur zu einer geringeren Rente. Damit vertieft sich strukturelle Diskriminierung, anstatt sie zu beheben.

 

 

Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin

Prof. Dr. Susanne Dern
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] Vgl. die Stellungnahme des djb vom 22. September 2022 Nr. 22-18 im Rahmen der arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung des 73. Deutschen Juristentages 2022, Bonn, mit weiteren Nachweisen: www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-18.