Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) nimmt im Folgenden Stellung zu dem am 02.07.2024 von der Fraktion CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs (StGB) und des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG).
I. Präventiver Gewaltschutz statt symbolhafte, geschlechterstereotypisierende Strafschärfungen
Insoweit der Gesetzentwurf der CDU/CSU den besorgniserregenden Anstieg von häuslicher Gewalt und Partnerschaftsgewalt konstatiert, welcher aus dem „Lagebild häusliche Gewalt“ für das Jahr 2023 ersichtlich wird, teilt der djb diese Problemanalyse. Der djb weist jedoch auf die wirtschaftliche und digitale Komponente sowie die strukturelle Dimension häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt hin, die im Entwurf fehlen. Auch sieht der djb erheblichen Handlungsbedarf im Bereich eines effektiven Opferschutzes sowie bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt.
Allerdings werden vorgeschlagenen Änderungen dem Anspruch des Gesetzentwurfes, insbesondere vulnerable Personen besser zu schützen und eine „Verbesserung der Geschlechtergleichheit“ (Bl. 15 d.E.) im Strafrecht herbeizuführen, nicht gerecht. Der Anstieg der Kriminalität soll dem Entwurf zufolge primär mit Strafverschärfungen adressiert werden. Jedoch zeigen zum einen kriminologische Erkenntnisse, dass diesen nicht der erwünschte abschreckende bzw. präventive Effekt zukommt.[1] Zum anderen bestehen die Probleme bei der strafrechtlichen Erfassung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt gerade in den im Entwurf vorgesehenen Deliktsbereichen vor allem auf der Ebene der Rechtsanwendung. Außerdem tragen reine Strafschärfungen ohne strukturelle Veränderungen und Ursachenbekämpfung nicht ausreichend zur effektiven Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt bei. Der Schwerpunkt einer wirksamen Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt kann somit nicht in der bloßen Verschärfung von Strafen liegen, wie sie im vorgelegten Gesetzentwurf dominieren. Darüber hinaus suggerieren die vorgesehenen Strafschärfungen primär, geschlechtsspezifische Gewalt sei in der Regel körperliche Gewalt und beruhe auf körperlicher Überlegenheit der Täter und körperlicher Unterlegenheit der Betroffenen. Dabei wird die strukturelle Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt vollkommen ignoriert und es werden problematische Geschlechterstereotype perpetuiert. Nicht zuletzt verkennt der Entwurf das Kernmerkmal von (tödlicher) Partnerschaftsgewalt, nämlich die geschlechtsspezifische Motivation in Form von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit. Stattdessen wird im hiesigen Entwurf diese geschlechtsspezifische Dimension von Partnerschaftstötungen gerade in Frage gestellt, wodurch das Schutzanliegen des Entwurfs hinsichtlich gewaltbetroffener Frauen geradezu konterkariert wird. Insgesamt zeugen die vorgesehenen Strafschärfungen umso mehr von einer Symbolhaftigkeit als von einer effektiven Maßnahme zur Bekämpfung häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt.
Die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung stellt zwar eine Präventivmaßnahme dar und kann dazu dienen, geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt zu verhindern. Aufgrund der erheblichen Grundrechtseingriffe muss diese zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit jedoch grundrechtsschonend angewendet werden und kann nur als Einzelmaßnahme zur Prävention dienen. Um strukturelle Ungleichheiten sowie misogyne Vorstellungen als Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt wirksam zu bekämpfen, müssen stattdessen langfristige Präventionsmaßnahmen – wie etwa die regelmäßige Durchführung von Kampagnen oder Programmen zur Bewusstseinsbildung für geschlechtsspezifischer Gewalt, verpflichtende Täterarbeit – sowie der flächendeckende Ausbau eines diskriminierungs- und kostenfreien Beratungs- und Hilfesystems durch ein Gewalthilfegesetz ins Zentrum gestellt werden.
II. Zu den Vorschriften und Merkmalen im Einzelnen
1. Ergänzung des Merkmals „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ bei §§ 211, 224 StGB
Bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord soll als Qualifikations- bzw. Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eingefügt werden.
Dieses Merkmal lehnt der djb ab: Zum einen ist unklar, wie das Merkmal der „körperlichen Überlegenheit“ verfassungskonform ausgelegt werden kann. Nach der Entwurfsbegründung sei für die körperliche Überlegenheit „eine Gesamtschau“ (Bl. 17 d.E.) erforderlich. Auf die physische Stärke komme es dabei nicht allein an. Ein solches Merkmal kann jedoch dem Bestimmtheitsgebot nicht genügen und droht, in der Praxis zu schwierigen Beweis- und Vernehmungspraktiken zu führen. Zum anderen droht dadurch eine Benachteiligung von (dem äußeren Anschein nach) „wehrhaften“ Frauen bzw. Personen. Weiterhin trägt es stereotype Geschlechterbilder vom „starken“ Mann und der „schwachen“ Frau fort. Geschlechtsspezifische Gewalt gründet primär auf einer strukturellen gesellschaftlichen Unterdrückung, durch welche Frauen in eine untergeordnete Position gedrängt werden.[2] Nicht die (scheinbare) körperliche Überlegenheit des Mannes, sondern die Motivation bzw. Zielrichtung der Gewalthandlung gegen eine Frau, gerade weil sie eine Frau ist oder Frauen unverhältnismäßig stark betrifft, bestimmt die geschlechtsspezifische Dimension der Gewalt.[3] Darüber hinaus bleiben andere, beispielsweise ökonomische oder aufenthaltsrechtliche, Abhängigkeitsverhältnisse[4], vollkommen außer Betracht. Die vorgesehene Ergänzung verkennt somit den Wesenskern von geschlechtsspezifischer Gewalt und perpetuiert Geschlechterstereotypen.
a. Änderungen im Zusammenhang mit § 211 StGB
Der Entwurf sieht die Einführung des Mordmerkmals „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ in § 211 Var. 10 StGB-E laut Entwurfsbegründung deshalb vor, um auch der Problemkonstellation des „Haustyrannenmordes“ sowie Partnerschaftstötungen besser Rechnung zu tragen (Bl. 15 ff. d.E.). Diesen Lösungsvorschlag zu den genannten Problemen lehnt der djb ab. Stattdessen regt der djb eine grundlegende Reform der Tötungsdelikte an, um die Einstufung von „Haustyrannenfällen“ als heimtückischen Mord zu verhindern. Außerdem fordert der djb in Fällen von Partnerschafts-, insbesondere Trennungstötungen als Femizide die geschlechtergerechte Anwendung des Strafrechts.
aa. Änderung zwecks Geschlechtergerechtigkeit bei „Haustyrannenfällen“
Laut Entwurfsbegründung wird mit der vorgesehenen Änderung „auch die Kritik aufgegriffen, dass der gewalttätige Ehemann, der seine Frau jahrelang körperlich misshandelt, lediglich wegen Totschlags verurteilt wird, weil kein Mordmerkmal verwirklicht wurde, während die gepeinigte Ehefrau wegen Mordes verurteilt werden könnte, wenn sie ihn wegen ihrer körperlichen Unterlegenheit im Schlaf und damit heimtückisch tötet“ (Bl. 15 d.E.).
In der Tat sieht der djb grundsätzlich Reformbedarf bei den Tötungsdelikten. Dies zeigt sich gerade im Zusammenhang mit „Haustyrannenfällen“, in welchen das Mordmerkmal der Heimtücke regelmäßig anzunehmen ist und zu einer Einstufung der Tötung als Mord führt.[5] Problematisch ist dabei auch die absolute Strafandrohung des Mordtatbestandes, die in diesen Fällen ein schuldangemessenes Strafmaß verhindert. Die Rechtsprechung ist dieser Problematik begegnet, indem sie die sog. Rechtsfolgenlösung entwickelt hat und § 49 Abs. 1 StGB analog anwendet.[6] Obwohl der Entwurf sich der Problematik der Haustyrannenfälle nach eigener Aussage annehmen will, ist bezeichnend, dass er dies weder durch eine Abschaffung des Heimtückemerkmals noch durch eine Abschaffung der absoluten Strafandrohung erreichen will. Letztere befürwortet er sogar ausdrücklich (Bl. 17 d.E.). Wie der Entwurf der Haustyrannenproblematik dennoch mit der Einfügung des Merkmals „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ Abhilfe verschaffen will, bleibt unverständlich, zumal dieses Merkmal auf die vom Entwurf suggerierten „schwachen“ Haustyrannenmörderinnen in diesen Fällen gar nicht anwendbar wäre. Denn sie sind in diesen Fällen als „körperlich Unterlegene“ gerade diejenigen, die die Tat ausüben und keine Tatopfer, die „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ getötet werden.
bb. Änderung zwecks besserer Erfassung von Femiziden
Des Weiteren wird als Begründung für das vorgesehene Mordmerkmal der „Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ die strafrechtliche Bewertung von Trennungstötungen angeführt, die nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung tendenziell auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung trennungstypischer Tötungsbeweggründe männlicher Täter hinausläuft (Bl. 16 f. d.E.). Der djb teilt die Problemanalyse und hat bereits mehrfach auf eine notwendige geschlechtergerechte Anwendung des Mordparagraphen verwiesen.[7] Die Änderung des § 211 StGB ist jedoch nicht erforderlich, denn Femizide können bereits nach der aktuellen Rechtslage als Mord aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Var. 3 StGB) eingestuft werden.[8] Auch ist ein Mord aus heimtückischer Begehung gem. § 211 Var. 4 StGB denkbar, wenn sich die Betroffene bei einem (auch kurzfristig) geplanten Übergriff in der konkreten Situation keines Angriffs versieht.[9]
So sehr der djb das im Entwurf angeführte Anliegen befürwortet, so problematisch und wenig zielführend ist der hier gewählte Lösungsansatz. Denn die geschlechtsspezifische Dimension, die Femiziden in Form von Trennungstötungen zugrunde liegt, wird von dem Gesetzentwurf nicht nur verkannt, sondern sogar negiert, wenn es heißt: „Dabei geht es eben nicht um Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, sondern um Fälle der Trennungstötung. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Männer Frauen vorsätzlich töten, weil diese eine zumeist längere Zeit bestehende intime Beziehung aufkündigen und sich von ihnen trennen oder dahingehende Anstalten entfalten […]. Die Täter können derartige Aktivitäten ihrer (ehemaligen) Partnerinnen psychisch häufig nicht adäquat verarbeiten. Sie entwickeln darüber – zumeist spontan – Gefühle der Wut und schreiten solchermaßen motiviert zur Tat“ (Bl. 16 d.E.). Doch Trennungstötungen geschehen regelmäßig aufgrund von Vorstellungen geschlechtsspezifischer Ungleichwertigkeit. Femizide sind Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Mit der Begründung bekämpft der Entwurf nicht, sondern bestätigt die Problematik der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese besteht darin, dass Trennungstötungen lange als spontane Verzweiflungstat sowie die Initiierung der Trennung durch das Opfer als „nachvollziehbarer“ Grund für die Tat bewertet und das Vorliegen niedriger Beweggründe verneint wurde.[10] Diese Wertung ist Ausdruck patriarchaler Besitzansprüche und verletzt die Vorgaben der Istanbul-Konvention.[11] Auch der 1. Strafsenat des BGH hat in einem obiter dictum festgestellt, dass es mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts unvereinbar ist, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen. Der Umstand der vom Tatopfer initiierten Trennung darf daher gerade nicht als gegen die Niedrigkeit sprechendes Indiz bewertet werden.[12]
Die Einführung des Merkmals der „Ausnutzung körperlicher Überlegenheit“ adressiert diese Problemstellung jedenfalls nicht. Es bleibt völlig unklar, wie das Merkmal der „körperlichen Überlegenheit“ der uneinheitlichen Rechtsanwendungspraxis Einhalt gebieten soll. Im Gegenteil, die fehlerhafte Rechtsanwendung im Zusammenhang mit Femiziden wird nicht adressiert. Der djb ist der Ansicht, dass es für einen geschlechtergerechten strafrechtlichen Umgang mit Femiziden nicht der Ergänzung eines weiteren Mordmerkmals bedarf. Viel wichtiger ist, dass geschlechtsspezifische Ungleichwertigkeitsvorstellungen durch die Gerichte erkannt und berücksichtigt werden. Daher scheint eine Fortbildungsverpflichtung aller Rechtsanwender*innen zu den Formen, Ursachen, Auswirkungen und Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt notwendig.
b. Änderungen im Zusammenhang mit § 224 StGB
Darüber hinaus lehnt der djb die Einführung des Qualifikationsmerkmals der „Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB-E aus oben genannten Gründen ab. Ferner lehnt der djb auch die Einstufung der gefährlichen Körperverletzung als Verbrechen bei einer Begehung mittels einer Waffe oder eines Messers (§ 224 Abs. 3 Nr. 1 StGB-E) oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 3 Nr. 2 StGB-E) ab. Die gefährliche Körperverletzung erlaubt mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bereits jetzt hohe Freiheitsstrafen und es ist kein Grund für die Erhöhung der Mindeststrafe ersichtlich.
2. Änderungen des § 223 StGB
Der djb lehnt auch die im Entwurf vorgesehene Anhebung des Mindeststrafrahmens auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten in § 223 StGB-E ab. § 223 Abs. 1 StGB erlaubt bereits in seiner jetzigen Ausgestaltung eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Gem. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB sind geschlechtsspezifische Motive bei einer Tat außerdem straferschwerend zu berücksichtigen. In der Anwendungspraxis im Bereich geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt stellt nicht die Strafhöhe, sondern die Einstellung der einfachen Körperverletzung nach § 170 Abs. 2 StPO und der Verweis auf den Privatklageweg das Problem dar. Die einfache Körperverletzung nach § 223 StGB bedarf für ihre Verfolgung eines Strafantrages oder der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft, § 230 StGB. Entgegen der Praxis einiger Staatsanwaltschaften sollte das besondere öffentliche Interesse bei Körperverletzungsdelikten im Fall von häuslicher Gewalt oder Partnerschaft im Regelfall angenommen werden, sofern dies den Opferinteressen nicht entgegensteht.[13] Dies entspricht auch Art. 55 Abs. 1 Istanbul-Konvention. Gleiches gilt für die Annahme des öffentlichen Interesses im Fall eines Privatklagedelikts, §§ 374, 376 StGB.[14] Auch die einen Strafantrag stellenden Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt sollten bei Körperverletzungsdelikten nicht auf den Privatklageweg verwiesen werden.
Der djb regt zudem erneut die Aufnahme geschlechtsspezifischer Motive in die Nrn. 15, 86 und 234 der RiStBV an.[15] Diese Änderung hätte insbesondere eine klarstellende Funktion.
In einem Strafverfahren sollten zudem bei vermeintlich aussageunwilligen Zeug*innen vor einer Einstellung alle Beweismittel ausgeschöpft werden. So fallen etwa die Angaben im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung zur Erwirkung einer einstweiligen Schutzanordnung nach § 1 GewSchG nicht unter das Beweisverwertungsverbot aus § 252 StPO und können, soweit eine solche vorliegt, in dem Verfahren herangezogen werden.[16]
3. Änderungen des § 177 StGB
a. Gemeinschaftliche Begehung als Qualifikationsmerkmal und strafrahmenerhöhender Faktor
Der Entwurf stuft Gruppenvergewaltigungen als Qualifikationstatbestand ein und sieht eine Strafrahmenerhöhung auf eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vor, vgl. § 177 Abs. 8 Nr. 3 StGB-E. Außerdem soll die gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 177 StGB als Qualifikationsmerkmal gelten und künftig eine Mindeststrafe von drei Jahren nach sich ziehen, so § 177 Abs. 7 Nr. 4 StGB-E. Nach der derzeitigen Ausgestaltung des § 177 StGB sind gemeinschaftliche Tathandlungen des § 177 StGB als Regelbeispiel einzustufen, das gem. § 177 Abs. Abs. 6 S. 2 Nr. 2 StGB eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren nach sich ziehen kann.
Strafrechtsdogmatisch hat die Einstufung als Qualifikationsmerkmal zur Folge, dass bei Vorliegen der Merkmale keine Ausnahme von der Regelwirkung angenommen werden kann, wenn, wie bei Regelbeispielen möglich, deren Indizwirkung verneint wird. Gesetzlich ist dennoch die Annahme eines minder schweren Falles möglich, § 177 Abs. 9 StGB. Des Weiteren hätte die Ausgestaltung als Qualifikationsmerkmal zur Folge, dass auch der Versuch der „Qualifikations“-Tat strafbar wäre. Nach der derzeitigen Ausgestaltung als Regelbeispiel ist die Handlung im Versuch nur nach dem vollendeten Grunddelikt des sexuellen Übergriffs strafbar, sofern das Merkmal „gemeinschaftlich“ selbst im Versuchsstadium bleibt. Sofern das Grunddelikt des sexuellen Übergriffs nur im Versuch bleibt, muss das Regelbeispiel „gemeinschaftlich“ verwirklicht sein.
Auch wenn diese vorgenannten Änderungen durch die Einordnung als Qualifikationsmerkmal eintreten würden, sieht der djb hierin keinen zwingenden gesetzlichen Änderungsbedarf, denn auch die derzeitige Ausgestaltung als Regelbeispiel ermöglicht bereits eine unrechtadäquate Erfassung von Gruppenvergewaltigungen. Zwar würde die Einordnung der Vergewaltigung (unabhängig von der gemeinschaftlichen Begehung) als Qualifikationsmerkmal möglicherweise eine problematische Rechtsprechung unterbinden, die Partnerschaftsgewalt entgegen völker- und europarechtlicher Vorgaben strafmildernd beurteilt und damit privilegiert.[17] So wurde in der Rechtsprechung teilweise eine Ausnahme der Regelwirkung bejaht, wenn die Tat zwischen zwei Personen geschieht, die in einer Beziehung waren und es zunächst zu einverständlichen sexuellen Handlungen gekommen war.[18] Derartige strafzumessungsrechtliche Erwägungen ließen sich aber unproblematisch gleichermaßen unter dem „minder schweren Fall“ in § 177 Abs. 9 erfassen. Eine alleinige Einstufung der Vergewaltigung als Qualifikationsmerkmal ohne weitere Sensibilisierung für die Auswirkungen von Partnerschaftsgewalt und Schulung der Rechtsanwender*innen zu völker- und europarechtlichen Vorgaben dürfte somit nicht genügen. Des Weiteren ist es im Falle einer „versuchten gemeinschaftlichen Tatbegehung“ trotz Versuchsstadium möglich, dennoch die Indizwirkung des Regelbeispiels anzunehmen, wenn die Tat sich auf Grund der konkreten Umstände als sonstiger besonders schwerer Fall darstellt. Entscheidend ist vielmehr eine geschlechtergerechte, das Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung respektierende und Partnerschaftsgewalt nicht privilegierende Rechtsanwendung.
Auch bezüglich der vorgesehenen Strafrahmenerhöhungen bei der gemeinschaftlichen Begehung gem. 177 Abs. 7 Nr. 4 StGB-E (nicht unter 3 Jahre) und der Gruppenvergewaltigung in § 177 Abs. 8 Nr. 3 StGB-E (nicht unter 5 Jahre) ist anzuführen, dass im Bereich der sexuellen Übergriffe und Vergewaltigungsdelikte aktuelle Untersuchungen in der Tat zwar zeigen, dass sich die verhängten Strafen ganz überwiegend im untersten Bereich des vorgesehenen Strafrahmens bewegen, wodurch dem Unrechtsgehalt sexualisierter Gewalt (auch gegen schutzlose Personen) nicht angemessen Rechnung getragen wird.[19] Auch hier ist der djb jedoch der Ansicht, dass dieser Problematik in erster Linie mit verstärkter Sensibilisierung für die Ursachen, Formen, Auswirkungen und die strukturelle Dimension sexualisierter Gewalt begegnet werden muss. Diese Sensibilisierung kann am effektivsten durch verpflichtende Fortbildungsveranstaltungen für alle Rechtsanwender*innen erreicht werden. Die Begründung, der bisherige Strafrahmen erfasse das Unrecht nicht ausreichend (Bl. 3 d.E.), trägt nicht: Die Regelung der gemeinschaftlichen Begehung als Regelbeispiel in § 177 Abs. S. 2 6 Nr. 2 StGB sieht bereits einen Mindeststrafrahmen von zwei Jahren vor, sodass die Verhängung hoher Freiheitsstrafen möglich ist. Gleiches gilt für die gemeinschaftliche Begehung einer Vergewaltigung in § 177 Abs. 8 Nr. 3 StGB-E. Denn auch hier ist das Regelbeispiel nach § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB neben § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 StGB anwendbar, der eine Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren vorsieht.
b. Herbeiführung einer ungewollten Schwangerschaft
Der djb begrüßt grundsätzlich die Aufnahme einer durch die Tat herbeigeführten ungewollten Schwangerschaft als Qualifikationstatbestand in § 177 Abs. 7 Nr. 5 StGB-E. Damit wird berücksichtigt, dass in dieser Konstellation nicht allein die sexuelle, sondern auch die reproduktive Selbstbestimmung verletzt wird. Dieser vorgesehene Schutz muss jedoch konsequent zu Ende gedacht werden. Der djb betont erneut, dass die Kriminalisierung des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs, der in § 218a Abs. 3 StGB auch Schwangerschaftsabbrüche in Folge einer Tat nach den §§ 176 bis 178 StGB erfasst, verfassungs-, völker- und europarechtswidrig ist.[20] Strafwürdiges Unrecht in Form eines Verbrechens oder Vergehens liegt nur vor, wenn ein vorsätzlicher bzw. fahrlässiger Abbruch einer Schwangerschaft gegen oder ohne den Willen der schwangeren Person erfolgt.[21]
c. Bedürfnisse von Personen mit Behinderung in Sexualstrafverfahren
Soweit der Entwurf mit den gesetzlichen Änderungen die besondere Betroffenheit von Menschen mit Behinderung berücksichtigen möchte, geht er im Bereich von Sexualstrafverfahren an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei. Wie erst kürzlich vom Verfassungsgerichtshof Berlin entschieden, ist für Menschen mit Behinderung, die von Sexualstraftaten betroffen sind, insbesondere ihr Recht auf eine diskriminierungsfreie Ausgestaltung und Durchführung des Ermittlungsverfahrens und des weiteren Verfahrens zu berücksichtigen.[22] Diese Verpflichtungen ergeben sich aus Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB i. V. m. Art. 13 Abs. 1 UN-Behindertenrechtskonvention und aus Art. 10 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 VvB sowie Art. 11 Satz 1, Satz 2 VvB. Beispiele einer diskriminierenden Ausgestaltung sind gravierende fachliche Mängel bei der aussagepsychologischen Begutachtung ohne behindertenspezifische Fachkenntnisse, ein diskriminierender Umgang mit den Betroffenen, der Mangel an der Ausrichtung des Ermittlungsverfahrens an den behinderungsspezifischen Bedarfen und das mangelnde Bewusstsein und Fachwissen der Ermittlungsbehörden bzgl. der Ausgestaltung der Ermittlungen wegen sexueller Gewalt zum Nachteil von Frauen mit Behinderung.[23]
4. Änderungen im Zusammenhang mit § 238 StGB
Der Entwurf sieht außerdem Änderungen im Bereich der Nachstellung gem. § 238 StGB vor. So soll die vorgesehene Höchststrafe von drei auf fünf Jahre erhöht werden (§ 238 Abs. 1 StGB-E). Des Weiteren sollen zwei Regelbeispiele in § 238 Abs. 2 StGB ergänzt werden.
a. Erhöhung der Höchststrafe auf fünf Jahre
Der djb lehnt die Hochstufung der vorgesehenen Höchststrafe von drei auf fünf Jahre in § 238 Abs. 1 StGB-E ab. Die Probleme bei der Ahndung und Bestrafung der Nachstellung hängen nicht mit dem Strafrahmen, sondern mit Problemen in der generellen Anwendung dieses Straftatbestandes zusammen. Auch hier zeigt sich, dass der vorgelegte Entwurf in keiner Weise evidenzbezogene Änderungsvorschläge unterbreitet. Nicht die Strafschärfung, sondern eine konsequente Verfolgung der Nachstellung wäre im Interesse eines wirksamen Opferschutzes. Darüber hinaus lässt der Entwurf die digitale Dimension häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt vollständig außer Acht. Wenn ein Reformbedarf im Rahmen des § 238 StGB besteht, dann wegen des Cyberstalkings, das nach der EU-Gewaltschutzrichtlinie unter Strafe zu stellen ist.[24] Dieser Form des Stalkings nimmt sich der Entwurf jedoch nicht an.
b. Regelbeispiele § 238 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 und Nr. 9 StGB-E
Auch die Einführung der beiden Regelbeispiele lehnt der djb ab. § 238 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 StGB-E soll als Regelbeispiel strafschärfend berücksichtigen, wenn jemand eine Nachstellung begeht, der innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer Tat nach § 238 Abs. 1 StGB oder nach § 4 Gewaltschutzgesetz bereits rechtskräftig verurteilt worden ist. § 238 Abs. 2 S. 2 Nr. 9 StGB-E soll als Regelbeispiel strafschärfend berücksichtigen, wenn im Fall einer Nachstellung gleichzeitig gegen eine Gewaltschutzanordnung i.S.d. § 4 GewSchG verstoßen wird.
Beide Fälle sind bereits nach der derzeitigen Rechtslage schuld- und unrechtsangemessen erfassbar. Der Gesetzgeber hat für den Fall einer mehr als nur wiederholten Tatbegehung bereits den § 238 Abs. 2 Nr. 3 StGB geschaffen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, auch einen unbenannten besonders schweren Fall der Nachstellung anzunehmen, soweit sich der Schuld- und Unrechtsgehalt von dem Fall der einfachen Nachstellung abhebt. Im Fall des § 238 Abs. 2 S. 2 Nr 9 StGB-E wäre bereits eine Strafbarkeit nach § 4 GewSchG gegeben. Eine tateinheitliche Begehung mit § 238 StGB ist nach der geltenden Rechtslage möglich. Laut Entwurfsbegründung soll § 4 GewSchG im Konkurrenzwege zurücktreten (Bl. 18 d.E.). Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum trotz Bestehen des § 4 GewSchG überhaupt eine Änderung des § 238 StGB erfolgen soll. Soweit der Gesetzentwurf „regelmäßig eine Ahndung mit Freiheitsstrafe“ (Bl. 18 d.E.) bezweckt, ist diese bereits nach § 4 GewSchG in Höhe von bis zu zwei Jahren möglich.
5. Änderungen des § 1 GewSchG
a. Strafrahmenerhöhung des § 4 GewSchG
Der Gesetzentwurf sieht außerdem die Erhöhung der Höchststrafe im § 4 Gewaltschutzgesetz von zwei auf fünf Jahre vor, § 4 GewSchG-E. Auch insoweit bezweifelt der djb den Mehrwert einer reinen Strafrahmenerhöhungen.
b. Elektronische Aufenthaltsüberwachung
Der Gesetzentwurf sieht zur Verhinderung von Straftaten und zur Durchsetzung von Kontakt-, Näherungs- und Betretungsverboten nach dem GewSchG die Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) im Rahmen des GewSchG vor, § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 GewSchG-E. Das Nähere sollen die Länder regeln. In der Gesetzesbegründung wird insoweit auf bestehende polizeirechtliche Regelungen und den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Spanien verwiesen.
In der Tat kann die EAÜ zur Durchsetzung von Kontakt- und Näherungsverboten in Hochrisikofällen eine präventive Wirkung entfalten. Deutschlandweit sind durchschnittlich täglich mehr als siebenhundert Menschen, insbesondere Frauen, von häuslicher Gewalt betroffen. Nahezu jeden zweiten Tag stirbt eine Frau durch Partnerschaftsgewalt.[25] Die Zahl der Gewaltbetroffenen ist in den letzten fünf Jahren gestiegen, wobei zusätzlich von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen ist.[26] Die EAÜ mittels sogenannter Fußfesseln kann derzeit in Deutschland zur Prävention von häuslicher Gewalt und insbesondere auch tödlicher Partnerschaftsgewalt im Bereich des Gefahrenabwehrrechts, in der Regel das Polizei- und Ordnungsrecht, in sechs Bundesländern eingesetzt werden.[27] Von dieser Möglichkeit wird bislang kaum Gebrauch gemacht.[28] Darüber hinaus kann die elektronische Überwachung bei einer wegen einer Straftat verurteilten Person auch als Maßnahme der Führungsaufsicht gem. § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB gerichtlich angeordnet werden.[29] Vor diesem Hintergrund wird nun im Gesetzentwurf bundeseinheitlich der präventive Einsatz der EAÜ im Bereich des Gewaltschutzes gefordert. Das Gewaltschutzgesetz selbst setzt für eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG die „Erforderlichkeit“ der Maßnahme und eine einmalige Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung voraus.
Der djb begrüßt grundsätzlich Überlegungen zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Auch Art. 53 Abs. 3 der Istanbul-Konvention und Art. 19 Abs. 5 S. 1 der EU-Gewaltschutzrichtlinie regeln, dass die Befolgung der Kontakt- und Näherungsverbote und der Schutzanordnungen durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende rechtliche Sanktionen bei Verstößen sichergestellt werden soll.
Der djb fordert aber dazu auf, in der Debatte um eine bundeseinheitliche Verankerung der EAÜ als Präventivmaßnahme zur Verhinderung von Straftaten und zur Überwachung von Gewaltschutzanordnungen die verfassungsrechtlichen und tatsächlichen Begrenzungen zu berücksichtigen und die elektronische „Fußfessel“ nur unter engen Voraussetzungen sowie allenfalls als „flankierende“ Präventionsmaßnahme zu ermöglichen. Denn die Verpflichtung zum Tragen eines EAÜ-Geräts stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, insbesondere in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie in Art. 13 GG,[30] der geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein muss. Die im Entwurf vorgesehene Regelung lässt bislang zentrale Fragen der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs, insbesondere der Verhältnismäßigkeit offen. Um diese verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs zu wahren, müssen gewisse Standards eingehalten werden:
Zum einen muss der Einsatz von EAÜ evidenzbasiert erfolgen und mit Langzeitstudien begleitet werden.[31] Für die Geeignetheit zur Prävention einer Gewalthandlung ist die konkrete technische Ausgestaltung der EAÜ und eine vorhandene Infrastruktur der EAÜ-Überwachungsstellen von entscheidender Bedeutung. Denn nur, wenn bei Auslösen des Alarms auch ein unmittelbarer Einsatz von Polizeibeamt*innen gewährleistet ist, kann die (unmittelbar) bevorstehende Gewalthandlung auch verhindert werden. Jedenfalls müsste die gefährdete Person rechtzeitig alarmiert werden, um selbst Schutz suchen zu können. Soweit als Referenz- und Erfolgsmodell auf Spanien verwiesen wird, wo Kontakt- und Aufenthaltsverbote zum Gewaltschutz bereits seit zwei Jahrzehnten durch den Einsatz von elektronischen „Fußfesseln“ überwacht werden können,[32] ist zu berücksichtigen, dass dieses sich grundlegend von dem im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Modell unterscheidet. In Spanien werden sowohl das Opfer als auch Polizeileitstellen bei einer Annäherung von weniger als 500m benachrichtigt.[33] Dabei tragen nicht nur Anordnungs-Adressaten, sondern in der Regel auch Betroffene ein GPS-Armband bei sich, welches einen Alarm auslöst, sobald der Anordnungs-Adressat nicht mehr den vorgegebenen Abstand einhält.[34] GPS-Geräte in Deutschland wiederum werden bislang nicht bei Betroffenen und Anordnungs-Adressat gleichzeitig eingesetzt. Dies bedeutet, dass für die Anordnungs-Adressaten zwar bestimmte „Sperrzonen“ (z.B. Arbeitsplatz oder Wohnung der Betroffenen) eingerichtet werden können, ein (zufälliges) Aufeinandertreffen außerhalb dieser Gebiete – ohne Auslösen des Alarms – jedoch möglich ist.[35] Für eine grundrechtsschonende Anwendung ist insgesamt eine räumliche Eingrenzung der EAÜ notwendig. Ob diese räumliche Eingrenzung für einen effektiven Opferschutz (und damit die Geeignetheit des Grundrechtseingriffs) allerdings starr oder dynamisch erfolgen sollte, müsste jedoch fortlaufend beobachtet werden. Das spanische Modell könnte hierbei als Vorbild dienen. Insoweit wird der in der Gesetzesbegründung gemachte Vorschlag, zu prüfen, ob eine dahingehende Aufenthaltsüberwachung, die gleichzeitig die Bewegungen von Anordnungs-Adressat und Opfer registriert, notwendig ist (Bl. 19 d.E.), begrüßt.
Ferner muss die Anordnung auch im Einzelfall erforderlich sein. Während § 1 GewSchG das Merkmal der „Erforderlichkeit“ bereits enthält, sieht der vorgesehene Gesetzentwurf für die Anordnung der EAÜ dieses Erfordernis gerade nicht vor. Ein solches Erfordernis sollte gesetzlich auch bei der Anordnung der EAÜ bestehen. Ferner sollten vor der Anordnung einer EAÜ alle rechtlich möglichen polizeilichen Maßnahmen, wie z.B. Gefährderansprachen und Wegweisungen (Wohnungsverweisung sowie Rückkehr- und Betretungsverbot), ausgeschöpft werden, um brisante Gefährdungslagen zu entschärfen. In seinem Evaluierungsbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland kritisiert GREVIO, dass die Häufigkeit des Erlasses von Schutzanordnungen bundesweit stark variiert, was auf unterschiedliche Risikobewertungen und ein divergierendes Schutzniveau hinweist.[36] Die Frauenhaus-Statistik der Frauenhauskoordinierung von 2022 zeigt auch, dass insgesamt nur wenige polizeiliche Maßnahmen zum Schutz gewaltbetroffener Frauen ergriffen werden: Während es in 40% der Fälle zu einem Polizeieinsatz kam, wurden Maßnahmen wie Platzverweise oder Ingewahrsamnahme nur selten verfügt.[37]
Für die Verhältnismäßigkeit der Anordnung darf die Intensität der Freiheitsbeeinträchtigung des von der Anordnung Betroffenen nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter stehen, deren Schutz die EAÜ bezweckt. Sie muss dem Schutz oder der Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter dienen, für deren Gefährdung im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestehen.[38] Eine solche kann etwa in der unmittelbaren Gefährdung von Leib, Leben, der persönlichen Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung begründet sein, die als zu schützende Grundrechte den Eingriffen in die Grundrechte des Anordnungs-Adressaten gegenüberstehen.[39] Soweit die EAÜ erlassen wird, um diese Person, wie vom Gesetzentwurf vorgesehen, „von der Begehung von Straftaten bzw. Verstößen gegen die Nummer 1“ abzuhalten, ist diese Formulierung zu vage. Ein Erlass der EAÜ muss einerseits möglichst grundrechtsschonend und andererseits möglichst effektiv zum Schutz der Betroffenen erfolgen. Nicht jede Gefahr zur Begehung jedweder Straftaten und zum Verstoß gegen Gewaltschutzanordnungen kann aufgrund des gravierenden Eingriffs in die Grundrechte des (potentiellen) Täters genügen. Ferner ist gerade der Einsatz der EAÜ zur (erstmaligen) Durchsetzung von Kontakt- und Näherungsverboten ohne Anknüpfung an eine künftige weitere drohende Rechtsverletzung der Betroffenen aufgrund der hohen Grundrechtsintensität verfassungsrechtlich bedenklich. Der djb fordert, dass eine Anordnung der EAÜ nur bei einem hohen Gewaltrisiko möglich ist. Dabei muss diese erhebliche Gefahr sich auf die Verletzung der kollidierenden Grundrechte der Betroffenen, z.B. das Recht auf Leben, die körperliche Unversehrtheit, ihre persönliche Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung beziehen und nicht auf eine Begehung jedweder Straftat (vgl. Alternative „von der Begehung von Straftaten“). Außerdem muss die Anordnung einer EAÜ zur Durchsetzung der Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (vgl. Alternative „Verstößen gegen die Nummer 1“) ebenso an ein hohes Gewaltrisiko, d.h. an eine weitere drohende Rechtsverletzung der Rechtsgüter Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung der Betroffenen geknüpft sein.
Die Einschätzung eines hohen Gewaltrisikos, die für Erlass der Anordnung erforderlich ist, muss auf Basis eines standardisierten interdisziplinären Fallmanagements und einer umfassenden Risikoanalyse erfolgen, die den Fall als Hochrisikofall einstufen. Hierfür ist eine einheitliche und systematische Risikoanalyse und -bewertung vonnöten, welche die Informationen der beteiligten Akteur*innen und die Einschätzung der Betroffenen miteinbezieht. Die bei der Polizei, Justiz, Beratungsstellen und Frauenhäusern bekannten Informationen zur individuellen Bedrohungslage müssen zusammengeführt und ein interdisziplinäres Fallmanagement etabliert werden.[40] Diese institutionenübergreifende Intervention hat sich bereits als effektiv in der Verhinderung von häuslicher Gewalt erwiesen. Einige Bundesländer haben ein solches Modell bereits eingeführt.[41] Dies muss allerdings bundeseinheitlich hergestellt werden. Diese Gefährdungsanalyse in Form einer individuellen Begutachtung des Schutz- und Unterstützungsbedarfs der Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt und das Ergreifen entsprechender wirksamer Maßnahmen für den sofortigen Schutz sind auch völker- und europarechtlich gem. Art. 51, Art. 53 Abs. Istanbul-Konvention und Art. 16, Art. 19 EU-Gewaltschutzrichtlinie vorgesehen. Dafür sollten alle zuständigen Behörden und einschlägigen Stellen (nicht nur Strafverfolgungs- und Justizbehörden) auf der Grundlage klarer Leitlinien in die Bewertung der Risiken für die Opfer und der geeigneten Unterstützungsmaßnahmen einbezogen werden.[42] Eine Anordnung der EAÜ sollte dabei im Zusammenhang mit der Ermittlung von individuellen Schutzbedarfen stehen und nur, sofern verfügbar, angemessen, relevant, und unter Berücksichtigung der Umstände des Fallesund der Rechtsnatur des Verfahrens in Erwägung gezogen werden.[43] Der EGMR betont ebenfalls unter Bezugnahme auf die Istanbul-Konvention die Pflicht der Behörden, eine umfassende Risikobewertung durchzuführen und bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben angemessene Maßnahmen zu ergreifen.[44]
Auch in Spanien wird mithilfe des Integrated Monitoring System for Cases of Gender Violence (VioGén) eine Bewertung des Gewaltrisikos bzw. des Rückfallrisikos durchgeführt, wobei Faktoren wie die von den Betroffenen bereits erlittene physische und psychische Gewalt sowie familiäre, soziale und wirtschaftliche Umstände berücksichtigt werden.[45] Auch hier kann bei einem bestehenden hohen oder extrem hohen Gewaltrisiko eine EAÜ gerichtlich angeordnet werden, um die Einhaltung von einstweiligen Verfügungen bzw. Kontakt- oder Aufenthaltsverboten zu überwachen.[46]
Bei dieser Risikoeinschätzung ist jedoch entscheidend, dass Hochrisikofälle von den Behörden auch als solche erkannt werden. Bei vielen Partnerschaftstötungen in Spanien wurde das Gewaltrisiko im Vorfeld lediglich als niedrig eingestuft, so dass die EAÜ in diesen Konstellationen nicht angeordnet wurde.[47] Vor diesem Hintergrund sind bestehende Verfahren und Systeme zur Gefährdungsanalyse auszuweiten, die genutzten Instrumente zur Risikoanalyse müssen aber auch auf ihre Effektivität hin überprüft und möglichst weitere, valide Verfahren entwickelt werden.
Des Weiteren ist zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit eine zeitliche Einschränkung des Erlasses einer EAÜ notwendig.[48] Die EAÜ sollte nur so lange angeordnet werden, wie das Risiko nach Bewertung des Fallmanagements als „hoch“ einzustufen ist.
Darüber hinaus müssen für die Verfassungsmäßigkeit der Regelung auch datenschutzrechtliche Regelungen beachtet werden. Bei der vorgesehenen Gesetzesänderung besteht der Grundrechtseingriff nicht nur in der Erhebung und Speicherung, sondern auch in der Verwendung der Daten. Wenn im Gesetzentwurf von der „Datenverwendung“ die Rede ist, muss diese Datenverarbeitung begrenzt sein. Es darf nicht gestattet sein, aufgrund der Bewegungsdaten ein Bewegungsprofil zu erstellen oder die Daten auch im Zusammenhang mit anderen Verfahren zu verwerten. Grundsätzlich gilt, dass im Hinblick auf die Bedeutung des betroffenen Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung „der Umgang mit den Daten in persönlichkeitsrechtsschützender Weise ausgestaltet sein [muss], was insbesondere gesetzliche Vorgaben zu den zulässigen Verwendungszwecken der Daten sowie zur Transparenz und Nachverfolgbarkeit der Datenverarbeitungsvorgänge sowie zur Datensicherheit erfordert.“[49] Der Vorgabe des BVerfG, Anlass, Zweck und Umfang des jeweiligen Eingriffs sowie die entsprechenden Eingriffsschwellen bereichsspezifisch, präzise und normenklar zu regeln,[50] wird diese allgemeine Formulierung im Gesetzentwurf nicht gerecht.
Alles in allem ist zu beachten, dass der Einsatz der EAÜ in erster Linie nur eine situationsbezogene, kurzfristige Form der Prävention bzw. Intervention darstellt, welche weder die Ursachen der Gewalt adressiert noch langfristigen Schutz gewährleistet. Zwar kann der Einsatz von sogenannten Fußfesseln auch dazu beitragen, das Recht gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder auf Sicherheit und Verbleib in ihrer Wohnung zu wahren. Dies setzt jedoch voraus, dass Betroffenen die alleinige Nutzung der Wohnung erlaubt wird, was in Deutschland aktuell nur selten der Fall ist.[51] In diesem Zusammenhang ist der Ausbau und die Sicherung des Gewalthilfesystems durch flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen und Schutzunterkünften unabdingbar. Dies ist auch völker- und europarechtlich geboten. Das von der Bundesregierung angekündigte Gewalthilfegesetz, das Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt einen individuellen Rechtsanspruch auf Schutz, Beratung und Unterstützung gewährt, ist daher in höchstem Maße begrüßenswert und sollte dringend noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Außerdem müssen parallel zu dem Einsatz der EAÜ und dem Ausbau und der Sicherung des Hilfesystems langfristige Maßnahmen der Gewaltprävention ergriffen werden, die ebenfalls die Täter in die Verantwortung nehmen: Im Einklang mit der Istanbul-Konvention setzt dies voraus, dass Täter sich im Rahmen von Täterarbeit mit ihren gewaltvollen Verhaltensweisen verpflichtend auseinandersetzen.
III. Weitergehende Forderungen
Neben den speziellen Forderungen, die den hiesigen Gesetzentwurf betreffen, fordert der djb zur effektiven Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt vor allem:
- Sowohl die Istanbul-Konvention als auch die EU-Gewaltschutzrichtlinie verpflichten Deutschland dazu, flächendeckend und leicht zugängliche Beratungs- und Schutzunterkünfte bereitzustellen.[52] Mit der Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes könnte Deutschland in dieser Hinsicht zentrale europa- und völkerrechtliche Verpflichtungen umsetzen. Es bedarf daher dringend noch in dieser Legislaturperiode der Verabschiedung des von Teilen der Bundesregierung bereits angekündigten Gewalthilfegesetzes.
- Im Einklang mit der Istanbul-Konvention muss Täterarbeit als Präventionsmaßnahme gesetzlich verankert werden. Nur durch die Täterarbeit werden Täter unmittelbar dazu angehalten, sich mit gewaltvollen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, sodass Gewaltkreisläufe langfristig durchbrochen werden können.
- Zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendung sind verpflichtende Fortbildungen für Polizeibeamt*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen zu den Ursachen, Auswirkungen, Formen und Folgen häuslicher und geschlechtsspezifischer, darunter auch sexualisierter Gewalt erforderlich. Auch sollten die angebotenen Fortbildungen die Themen Geschlechterstereotype, Sexual- und Vergewaltigungsmythen enthalten.
- Es müssen empirisch gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen, Auswirkungen und Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt gesammelt werden, welche auch für die Fortentwicklung der Risikoanalyse genutzt werden können.
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Dilken Çelebi, LL.M.
Vorsitzende der Kommission für Strafrecht
[1]Kury, Soziale Probleme, 24 (1), S. 31 ff., abrufbar unter: https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/44117/ssoar-soziprobleme-2013-1-kury-Zur_Nicht-Wirkung_von_Sanktionen_Ergebnisse.pdf;jsessionid=5D1F1A3B86DD92BB18A87777ECDEBA10?sequence=1 (letzter Abruf: 29.07.2024); Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V., Stellungnahme zum Antrag der CDU-Fraktion, Drs. 18/4535, Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW, Drs. 18/4662, Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 18/7146, S. 7, abrufbar unter: https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/7100/umdruck-18-7146.pdf (letzter Abruf: 29.07.2024).
[2] Präambel der Istanbul-Konvention (IK).
[3] Art. 3 lit. d) IK.
[4] Zu den notwendigen Reformen zum Gewaltschutz im Aufenthaltsrecht, siehe djb, Policy Paper: Reform des § 31 AufenthG, 14.07.2023, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st23-20 (letzter Abruf: 29.07.2024); djb, Policy Paper: Gewaltschutz von Frauen im Aufenthaltsgesetz, 04.06.2024, abrufbar unter: https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st24-20_Gewaltschutz_Aufenthaltsrecht.pdf (letzter Abruf: 29.07.2024).
[5]Matt/Renzikowski/Safferling StGB § 211 Rn. 93-94; Schneider, Der Haustyrann und die Reform der Tötungsdelikte, djbZ 2015, S. 23.
[6] Vgl. BGH NJW 1981, 1965, 1968; BGH, NJW 2003, 2464, 2467.
[7]Djb, Policy Paper: Strafrechtlicher Umgang mit (tödlicher) Partnerschaftsgewalt, 4.11.2020, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28 (letzter Abruf: 29.07.2024); s.a. Schuchmann/Steinl, KJ 2021, S. 312; Çelebi/Streuer, djbZ 2022, S. 61 ff.; Çelebi/Schuchmann/Steinl in Schüttler et. al (Hrsg.), Gender&Crime 2024, S. 26 ff.
[8] Ebd.
[9]Djb, Policy Paper: Strafrechtlicher Umgang mit (tödlicher) Partnerschaftsgewalt, 4.11.2020, S. 4 f. abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28 (letzter Abruf: 29.07.2024).
[10] Vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2008 - 2 StR 349/08; siehe aber dagegen BGH, Beschluss v. 06.12.2022 – 5 StR 479/22.
[11]Djb, Policy Paper: Strafrechtlicher Umgang mit (tödlicher) Partnerschaftsgewalt, 4.11.2020, S. 4, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28 (letzter Abruf: 29.07.2024).
[12] BGH, Beschluss v. 06.12.2022 – 5 StR 479/22.
[13] Vgl. Nr. 234 Abs. 1 der RiStBV.
[14] Vgl. Nr. 86 der RiStBV.
[15] Vgl. auch djb, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJV zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, 17.01.2020, S. 5, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st20-01 (letzter Abruf: 29.07.2024).
[16] OLG Hamburg, Beschluss v. 18.03.2018, 1 Ws 114 - 115/17.
[17] Art. 46 lit. a) IK, Art. 11 lit. k) EU-Gewaltschutzrichtlinie.
[18] BGH, Beschluss v. 10.09.2009 - 4 StR 366/09.
[19]Ehlen/Hoven/Weigend, KriPoZ 1/2024, S. 17 ff.
[20]Djb, Policy Paper: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch, 11.10.2023, S. 2 ff., abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-29 (letzter Abruf: 29.07.2024).
[21] Ebd., S. 6; vgl. auch das Ergebnis des Abschlussberichts der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 337, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/238402/c47cae58b5cd2f68ffbd6e4e988f920d/bericht-kommission-zur-reproduktiven-selbstbestimmung-und-fortpflanzungsmedizin-data.pdf (letzter Abruf: 29.07.2024).
[22] VGH Berlin, Beschluss v. 19.06.2024 – 80/22, Rn. 25.
[23] Siehe https://www.weibernetz.de/p/erfolgreiche-verfassungsbeschwerde-einer-frau-mit-behinderungen-vor-dem-landesverfassungsgerichtshof-berlin.html (letzter Abruf: 29.07.2024).
[24] Art. 6 EU-Gewaltschutzrichtlinie; vgl. auch EG 21 ff. EU-Gewaltschutzrichtlinie.
[25] Die Bundesregierung, Lagebild Häusliche Gewalt. „Die Schuld liegt immer beim Täter“, 07.06.2024.
[26]BKA, Lagebild Häusliche Gewalt 2023, S. 9, S. 13.
[27] Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, NRW und Sachsen; § 34c Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3 PolG NRW sieht die EAÜ sogar explizit zur Abwehr einer Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung, die Verhütung einer Straftat nach § 238 StGB und zur Durchsetzung von Wohnungsverweisungen vor.
[28]Lindemann, Stern v. 22.06.2024, abrufbar unter: https://www.stern.de/gesellschaft/fussfessel-fuer-gewaltstraftaeter--koennen-so-frauenleben-gerettet-werden--34815484.html#:~:text=Anw%C3%A4ltin%20f%C3%BCr%20Strafrecht%20%22Eine%20Fu%C3%9Ffessel,Ein%20Mann%20tr%C3%A4gt%20eine%20Fu%C3%9Ffessel.&text=22.06.2024%2C%2016%3A54,Expartner%20eine%20Fu%C3%9Ffessel%20auferlegt%20werden (letzter Abruf: 29.07.2024).
[29] Hier wird die EAÜ bereits seit mehr als 14 Jahren eingesetzt, zur Verfassungsgemäßheit, vgl. Meuer, Verfassungsblog v. 22.02.2021, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/auf-schritt-und-tritt/ (letzter Abruf: 29.07.2024).
[30] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 272, 273. Zum fehlenden Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch die bloße Anordnung einer EAÜ, BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 322.
[31] Eine solche Datengrundlage fehlt derzeit noch: Vgl. dazu etwa Kaiser KJ 2017, 176, 180; zum Problem der verspäteten Reaktion siehe etwa auch BeckOK PolR Bayern/Schröder PAG Art. 34 Rn. 11.1; vgl. zu Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflichten des Gesetzesgebers für die Wirkungen der EAÜ, BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 265.
[32]Wessel/Salpius, RND v. 26.04.2024, abrufbar unter: Elektronische Fußfesseln für Gewalttäter: Unionsfraktion will bundesweite Lösung (letzter Abruf: 29.07.2024); Es handelt sich um einen Fall des sog. Bilateral Monitoring; vgl. zur Funktionsweise Eilzer/Maier, Elektronische Aufenthaltsüberwachung in Europa, S. 463.
[33] Vgl. dazu etwa https://forum-opferhilfe.de/elektronische-aufenthaltsuberwachung-spanien-femizide-fussfessel/ (letzter Abruf: 29.07.2024).
[34]García, La eficacia de la vigilancia electronica en la violencia de género: análisis criminológico, International E-Journal of Criminal Sciences, Nr. 10 (2016), S. 55 ff.
[35] Landtag Brandenburg P-AIK 7/50, Anhörung zum Gesetzesentwurf zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - Drs. 7/7349, 06.09.2023, S. 32.
[36] Bezüglich der Häufigkeit des Erlasses von Schutzanordnungen fehlt es jedoch an einer systematischen Datenerhebung, GREVIO, Evaluierungsbericht Deutschland, 2022, para. 313.
[37] Ein Platzverweis wurde in 8% der Fälle erteilt, eine Ingewahrsamnahme erfolgte in 2% der Fälle, Frauenhauskoordinierung, Bundesweite Frauenhaus-Statistik 2022, S. 31 f.
[38] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 275, 280, 281 zum Erfordernis einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Verletzung, d.h. einer Gefährdung, für die im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Eine bloß abstrakte, auf statistischen Wahrscheinlichkeiten gestützte Gefahr reicht einfachrechtlich nicht aus.
[39] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 275, 277.
[40] GREVIO, Evaluierungsbericht Deutschland, 2022, para. 307-310; Djb, Policy Paper: Strafrechtlicher Umgang mit (tödlicher) Partnerschaftsgewalt, 4.11.2020, S. 7, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-28 (letzter Abruf: 29.07.2024).
[41] Vgl: Sozialministerium Schleswig-Holstein, Schleswig-Holstein führt verbindliches Hochrisikomanagement ein, 22.02.2024, abrufbar unter: https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/VIII/Presse/PI/2024/240222_VIII_hochrisikomanagement.html (letzter Abruf: 29.07.2024); Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz, Rahmenkonzeption Hochrisikomanagement bei Gewalt in engen sozialen Beziehungen und Stalking, abrufbar unter: https://www.gleichstellungsministerkonferenz.de/documents/anlage_top_7-5_2_1510227319.pdf (letzter Abruf: 29.07.2024); siehe zu Beispielen des Hochrisikomanagements in Rheinland-Pfalz, Osnabrück und Nürnberg auch: bff, Gefährdungen von Frauen als Hochrisikofall erkennen und einschätzen. Effektive Maßnahmen zum Schutz entwickeln. Regionale Kooperationen und wirksames Fallmanagement aufbauen, November 2021, S. 17 f.
[42] Art. 7 Abs. 2, 3, 51 Abs. 1 IK, Art. 16 EU-Gewaltschutzrichtlinie, EG 40 EU-Gewaltschutzrichtlinie.
[43] Art. 19 Abs. 5 S. 2 EU-Gewaltschutzrichtlinie, EG 46 EU-Gewaltschutzrichtlinie.
[44] EGMR, Kurt v. Austria – 62903/15, Urteil v. 15.06.2021, paras. 167 ff.; 177 ff.
[45]García, La eficacia de la vigilancia electronica en la violencia de género: análisis criminológico, International E-Journal of Criminal Sciences, Nr. 10 (2016), S. 47 ff; Allerdings werden bei der Risikobewertung nur die bei der Polizei und Justiz vorhanden Informationen berücksichtigt. GREVIO betont die Notwendigkeit der Einbeziehung der Informationen anderer Akteure (z.B. Beratungsstellen), da diese zu einer anderen Gefährdungseinschätzung führen könnten, GREVIO, Baseline Evaluation Report Spain, 25.11.2020, para. 260.
[46] Art. 64 (3) Ley Orgánica; Art. 48 (4) Código Penal.
[47] So waren 34.7% der Täter im Jahr 2016 bei der Polizei registriert, aber nur 11% wurden als Hochrisikofälle eingestuft, GREVIO, Baseline Evaluation Report Spain, 25.11.2020, para. 260.
[48] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 210.
[49] BeckOK PolR Bayern/Schröder PAG Art. 34 Rn. 14; zur Problematik der Vereinbarkeit der Regelung mit Art. 14 GG vgl. etwa BeckOK PolR Bayern/Schröder PAG Art. 34 Rn. 15; denkbar wäre etwa eine § 61 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 SächsPVDG entsprechende Regelung.
[50] BVerfG, Beschl. v. 01.12.2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 Rn. 212.
[51] GREVIO, Evaluierungsbericht Deutschland, 2022, para. 322.
[52]Gumnior, Verfassungsblog v. 09.07.2024, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/flachendeckende-gewaltschutzeinrichtungen-gewalthilfegesetz/ (letzter Abruf: 29.07.2024).