Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat am 10. Juli 2024 den Entwurf für ein zweites Jahressteuergesetz 2024 (JStG 2024 II) vorgelegt. Der Entwurf sieht u.a. Anhebungen beim Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag und Kindergeld, Verschiebungen der Eckwerte des Einkommensteuertarifs sowie die Anhebung der Freigrenzen beim Solidaritätszuschlag vor. Weiterhin sollen die Steuerklassen III/V bis Ende 2029 in das Faktorverfahren überführt werden. Schließlich enthält der Entwurf Regelungen zur Gemeinnützigkeit bei tagespolitischen Aktivitäten.
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt die Gelegenheit zur Stellungnahme. Allerdings ist die Frist von nicht einmal einer Woche, noch dazu während der Zeit der Schulferien, für ehrenamtlich arbeitende Vereine kaum zu realisieren. Mit diesem Vorgehen schränkt das BMF die demokratische Teilhabe insbesondere auch von Frauen ein, die bei Themen wie der Steuerpolitik ohnehin unterrepräsentiert sind. Die Stellungnahme konzentriert sich auf gleichstellungsrechtlich wesentliche Vorhaben und Lücken des Entwurfs.
1. Überführung der Steuerklassen III/V in das Faktorverfahren
Der Entwurf regelt die im Koalitionsvertrag vereinbarte Überführung der Steuerklassenkombination III/V in das Faktorverfahren (IV mit Faktor). Das bereits 2010 als Option zu den Steuerklassen IV/IV und III/V eingeführte Faktorverfahren berücksichtigt die steuermindernde Wirkung des Ehegattensplittings bereits bei der monatlichen Berechnung der Lohnsteuer. Gleichzeitig vermeidet das Verfahren die unverhältnismäßig hohe Lohnsteuerbelastung in Steuerklasse V. Der Anteil von Frauen in Steuerklasse V liegt bei ca. 90 Prozent. Die damit einhergehende mittelbare Benachteiligung von Frauen geht auf die Neuordnung der Steuerklassen im Jahr 1975 zurück. Bereits damals fielen die Änderungen zum Nachteil von Frauen aus und führen seit knapp 50 Jahren zu andauernden Protesten.[1] Auch die Kritik an der Einführung des Faktorverfahrens im Jahr 2010 als reine Option zu den Steuerklassen III/V blieb lange ohne Resonanz.[2]
Nach der jetzt geplanten Änderung werden Eheleute weiterhin automatisch der Steuerklasse IV zugeordnet und können auf Antrag das Faktorverfahren wählen (§ 38b Abs. 1 EStG). Neu ist, dass die Steuerklassenkombination III/V entfällt. Zudem soll der Faktor, der – vereinfacht formuliert – die Lohndifferenzen zwischen den Eheleuten abbildet, künftig automatisiert über die für das vorangegangene Jahr übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen ermittelt werden. Die Zuständigkeit für die Berechnung des Faktors soll beim Bundeszentralamt für Steuern liegen. Dieses soll Arbeitgebenden künftig den Faktor als elektronisches Lohnsteuerabzugsmerkmal zur Verfügung stellen. Bislang mussten Eheleute das Faktorverfahren alle zwei Jahre unter Angabe ihrer voraussichtlichen Arbeitslöhne neu beantragen (§ 39f EStG).
Der djb fordert seit Jahrzehnten die Streichung der Steuerklassenkombination III/V und begrüßt deshalb ausdrücklich die Reformbemühungen. Von der Änderung profitieren vor allem Frauen, die derzeit in Lohnsteuerklasse V einen Teil der Steuern ihrer Männer mittragen. Die bisherige Regelung führt bei den ohnehin schon geringeren Bruttolöhnen zu unverhältnismäßig niedrigen Nettolöhnen und auf dieser Basis errechneten Lohnersatzleistungen wie z.B. das Krankengeld, Arbeitslosengeld und das Elterngeld. Die Steuerklassenkombination III/V verstärkt damit die Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern.
Aus Sicht des djb ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum die Änderung erst Ende 2029 in Kraft treten soll. In der am 5. Juli 2025 veröffentlichen Wachstumsinitiative der Bundesregierung heißt es konträr dazu, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern prüfen wird, wie die Umsetzung der Reform möglichst zeitnah und deutlich schneller als bis zum bisher avisierten Jahr 2030 erfolgen kann.
Unter dem Vorwand des technischen Aufwands wird – wie bei der bis heute nicht umgesetzten geschlechtergerechten Gestaltung von Steuerformularen – gleichstellungsrelevanten Reformen scheinbar keine Priorität eingeräumt. Dies ist verfassungsrechtlich problematisch, weil es sich bei den Nachteilen der Steuerklasse V um massive finanzielle Nachteile zu Lasten von Frauen handelt, die gegen das Verbot mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verstoßen.
Der djb bittet hier um sachlich nachvollziehbare Erläuterungen, warum für die Umsetzung fünf Jahre notwendig sind bzw. wie die Änderungen schneller umgesetzt werden können. Der djb erwartet, dass alle Anstrengungen unternommen werden, die Umsetzung zeitnah umzusetzen, um die mittelbare Diskriminierung schnellstmöglich zu beenden.
Darüber hinaus weicht die Berechnung des Faktors von der bisherigen Berechnung des Faktors ab. Der djb bittet daher auch darum zu erläutern, warum weitere Freibeträge einfließen sollen und welche konkreten finanziellen Verteilungswirkungen damit einhergehen.
Die Reform des Lohnsteuerverfahrens kann zudem nur ein erster Schritt sein. Das Faktorverfahren beseitigt nicht die negativen Effekte des Ehegattensplittings. Es regelt lediglich die monatliche Aufteilung der Lohnsteuer zwischen Eheleuten, die über die Arbeitgeber*innen an das Finanzamt abgeführt wird. Am Ehegattensplitting selbst ändert sich nichts. Vielmehr bleibt es bei den negativen Erwerbsanreizen und damit einhergehenden Nachteilen für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Die Nachteile werden durch die Steuerfreiheit sog. Minijobs verstärkt.
Zudem fordert der djb, eine Änderung der Berechnung von Lohnersatzleistungen auf den Weg zu bringen. Die Berechnung über die Lohnsteuerklassen verzerrt die Leistungen. Besonders deutlich ist dies beim Arbeitslosengeld, da sich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung anhand des Bruttoeinkommens, die Leistung aber vermittelt über die Lohnsteuerklassen anhand des Nettolohns berechnet. Damit fallen die Leistungen trotz gleicher Beitragszahlungen unterschiedlich hoch aus. Die Unterschiede können sich auf mehrere hundert Euro monatlich belaufen. Die jetzt auf den Weg gebrachte Reform der Lohnsteuerklassen vermeidet zwar die Nachteile der Steuerklasse V. Es bleibt aber u.a. bei den Vorteilen der Ehepartner, die bislang Steuerklasse III zugeordnet sind. Der Anteil von Männern liegt derzeit bei knapp 80 Prozent. Der djb setzt sich hier generell für die Berechnung anhand der Steuerklasse IV und eine Erhöhung der Leistungen für alle anspruchsberechtigten Personen ein. Damit werden – auch nach der Streichung von III/V – bestehende Benachteiligungen von Frauen, Alleinerziehenden und anderen nicht verheirateten Eltern beseitigt.[3]
2. Anhebung des Kinderfreibetrags und des Kindergelds
Der Entwurf sieht unter Bezug auf den anstehendenden 15. Existenzminimumbericht ab 2026 die Anhebung des Kinderfreibetrags um 156 Euro vor, der das sächliche Existenzminimum steuerfrei stellen muss. Damit steigt der für ein Kind insgesamt zu berücksichtigende Kinderfreibetrag von 6.672 Euro jährlich auf 6.828 Euro. Zusammen mit dem Freibetrag für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung eines Kindes (BEA) steigen die Kinderfreibeträge damit auf insgesamt 9.756 Euro pro Kind.
Zudem ist geplant, das Kindergeld mit Wirkung zum 1.1.2025 um weitere fünf Euro auf 255 Euro pro Kind im Monat anzuheben. Weiterhin soll in § 6 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes gesetzlich verankert werden, dass bei der Anhebung der Freibeträge für Kinder das Kindergeld entsprechend erhöht wird. Bislang ist die parallele Anhebung des Kinderfreibetrags für das sächliche Existenzminimum und des Kindergelds lediglich in einer Entschließung des Bundestags formuliert (BT-Drs. 13/1558, S. 13).
Der djb begrüßt die Anhebung des Kindergelds, gerade auch mit Blick auf die steigenden Lebenshaltungskosten. Im Vergleich zum Jahr 2022, dem Beginn der derzeitigen Koalition, öffnet sich jedoch die Schere des absoluten Entlastungsbetrags zwischen Familien, die nur Kindergeld beziehen und Familien, die darüber hinaus die Kinderfreibeträge nutzen können: Mit der Anhebung des Kinderfreibetrags im Jahr 2026 vergrößert sich die Differenz um weitere 141 Euro und damit um 9,9 Prozent jährlich.
Selbst wenn das Kindergeld im Jahr 2026 im Vergleich zum Jahr 2022 relativ um 2,3 Prozent stärker angehoben wurde als der Kinderfreibetrag im gleichen Zeitraum, ist eine weitere Zunahme der Entlastungsdifferenz in absoluten Beträgen nicht hinnehmbar. Statt einer Vergrößerung der Entlastung muss die Schere geschlossen werden: Durch eine Anhebung oder die – seit Jahrzehnten vom djb geforderte – Abschmelzung des Freibetrags für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung eines Kindes.
Die Neuregelung in § 6 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes läuft Gefahr diese Schere zu perpetuieren oder sogar auszuweiten. Der Begründung zufolge (S. 57) scheint die Regelung nämlich lediglich die prozentuale Entwicklung von Freibeträgen und Kindergeld berücksichtigen zu wollen und nicht die Entlastung in absoluten Beträgen.
Der djb fordert gesetzlich klarzustellen, dass darauf hinzuwirken ist, die Entlastungsschere zwischen Eltern, die nur Kindergeld beziehen, und Eltern, die darüber hinaus durch die steuerlichen Kinderfreibeträge entlastet werden, auch in absoluten Zahlen zu schließen. Zudem ist der BEA abzuschmelzen.
3. Veränderung der Eckwerte des Einkommensteuertarifs
Der Entwurf sieht zur Berücksichtigung des Existenzminimums sowie zum Ausgleich der Inflation vor, den Grundfreibetrag anzuheben und, wie in den vorangegangenen Jahren, den Tarifverlauf der Einkommensteuer in den Jahren 2025 und 2026 einer „Rechtsverschiebung“ zu unterziehen. Der sogenannte Reichensteuersatz von 45 Prozent wird auch dieses Mal nicht verschoben. Dies bedeutet aber nicht, dass sehr hohe Einkommen keine Entlastung erfahren. Vielmehr nimmt die steuerliche Entlastung hier nicht noch weiter zu. Die Verschiebungen des Tarifs führen insgesamt zu Steuermindereinnahmen von über 9 Mrd. Euro. Durch die Anhebung der Freigrenzen beim Solidaritätszuschlag fehlen weitere 1,1 Milliarden.
Ein regelmäßiger Inflationsausgleich ist ein ökonomisch richtiges Grundprinzip. Ein Großteil dieser Entlastungen fließt allerdings besserverdienenden Menschen zu. Menschen mit geringen Einkommen, zu denen einkommens- und sorgebedingt auch Frauen häufiger zählen, erfahren durch diese Maßnahme weniger oder gar keine Entlastung. Sie werden stärker durch indirekte Verbrauchs- und Umsatzsteuern belastet. Gleichzeitig ist damit keine zielgerichtete Entlastung geringer Einkommensgruppen gewährleistet.
Mit Blick auf die angespannte Haushaltslage, krisenbedingte Belastungen und weiter steigende Lebenshaltungskosten fordert der djb, sehr viel stärker zielgerichtete Entlastungen für Menschen mit geringen Einkommen in den Blick zu nehmen. Dazu gehört auch die Steuergutschrift für Alleinerziehende.[4]
4. Änderungen der Abgabenordnung in Bezug auf Gemeinnützigkeit
Der djb begrüßt, dass der Entwurf erste Änderungen zu tagespolitischen Aktivitäten von gemeinnützigen steuerbegünstigten Körperschaften einführt.
Es fehlt jedoch nach wie vor eine Regelung zu reinen Frauen- oder Männerverbänden. Im gegenwärtigen Umgang der Finanzämter mit reinen Frauen- (oder Männerverbänden) wird der Gehalt von Art. 3 Abs. 2 GG (Gleichberechtigung von Frauen und Männern) verkannt. Art. 3 Abs. 2 GG erlaubt nämlich bei Formen struktureller Diskriminierung kompensierende Maßnahmen. Es ist daher klarzustellen, dass etwa reine Frauenverbände aus Gründen struktureller Diskriminierung zulässig sind. Bundeskanzler Scholz hatte bereits 2017 als damaliger Finanzminister eine entsprechende Regelung vorgeschlagen, die jedoch bislang nicht eingeführt wurde.[5]
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Prof. Dr. Susanne Dern
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich
[1] Vgl. Spangenberg, Ulrike, Gisela Färber und Corinna Späth, 2020. Mittelbare Diskriminierung im Lohnsteuerverfahren. Auswirkungen der Lohnsteuerklassen auf Nettoeinkommen und Lohnersatzleistungen, Working Paper Forschungsförderung, 190. Band, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, www.boeckler.de/de/faust-detail.htm, S. 26
[2] vgl. Stellungnahme des djb zum Entwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009)
(BT-Drs. 16/10189), www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st08-15_Jahressteuer.pdf
[3] vgl. Fn. 1.
[4] Offener Brief VAMF, djb u.a. v. 15.5.2024, Versprechen halten: Steuergutschrift für Alleinerziehende umsetzen!, https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st24-17_Offener_Brief_Steuergutschrift_Alleinerziehende.pdf
[5] vgl. Spangenberg, Ulrike: Gemeinwohl, Steuervorteile und Geschlechterdiskriminierung: „Scholz will reinen Männervereinen die Gemeinnützigkeit streichen“, VerfBlog, 2019/11/27, verfassungsblog.de/gemeinwohl-steuervorteile-und-geschlechter-diskriminierung/, DOI: 10.17176/20191128-180924-0.