Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes besseren Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaften“ (im Folgenden: Referentenentwurf, RefE).
I. Gesamtwürdigung: Der Referentenentwurf ist abzulehnen
Der djb kritisiert den vorgelegten Referentenentwurf aus verfassungsrechtlicher und familienrechtlicher Perspektive und lehnt ihn deshalb ab.
Der Entwurf bringt ein nicht gerechtfertigtes Misstrauen gegenüber allen Familien zum Ausdruck, in denen zwischen der Mutter und dem Anerkennenden ein vom Referentenentwurf sogenanntes „Aufenthaltsrechtsgefälle“ besteht und beide nicht verheiratet sind. Sie werden pauschal der Zustimmungspflicht der Ausländerbehörde zur Vaterschaftsanerkennung unterworfen. Sie sind jedoch keine Familien „zweiter Klasse“ und können sich insbesondere auch auf den Schutz des Art. 6 GG und das Willkürverbot berufen.
Mit dem vorgelegten Vorschlag würden die betroffenen Kinder und ihre Eltern erhebliche Nachteile erleiden – auch wenn tatsächlich kein Missbrauch vorliegt. Schließlich hängen an der rechtlichen Elternschaft sämtliche Ansprüche des Kindes sowie wesentliche Rechte und Pflichten der Eltern (z.B. elterliche Sorge, Unterhalts- und Erbansprüche, sozialrechtliche Ansprüche). Kinder, zu deren Anerkennung die Zustimmung der Ausländerbehörde noch nicht erteilt wurde, sind damit insgesamt schlechter abgesichert als andere Kinder. Würde die Mutter bei der Geburt versterben, wären sie rechtliche Vollwaisen und kämen in die Obhut des Jugendamtes – obwohl sie einen fürsorgebereiten Vater haben, der aber gegenüber dem Kind rechtlich als fremde Person gilt.
Der Referentenentwurf steht auch im Widerspruch zur geplanten Abstammungsrechtsreform und den vom Bundesministerium der Justiz hierzu vorgelegten Eckpunkten vom 16. Januar 2024, weil er dem Ziel eines inklusiveren Familienrechts zuwiderläuft. Er steht auch im Gegensatz zu zuletzt erfolgten Reformen des Rechts der Vaterschaftsanerkennung. Der Referentenentwurf weist selbst darauf hin, dass das im Familienrecht geregelte Instrument der Anerkennung der Vaterschaft (§ 1592 Nr. 2 BGB) vom Gesetzgeber aus familienpolitischen Gründen gezielt voraussetzungsarm ausgestaltet ist. Weiter verweist die Begründung darauf, dass durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 die bis dahin erforderliche Zustimmung des Amtspflegers als Vertretung des Kindes zur Anerkennung einer Vaterschaft (§§ 1706, 1709 BGB a.F.) abgeschafft wurde. Stattdessen muss seitdem grundsätzlich nicht mehr das Kind, sondern die Mutter der Anerkennung zustimmen. Anerkennung und Zustimmung müssen dabei öffentlich beurkundet werden (§ 1597 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Ziel der Neuregelung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz war es, die Bevormundung der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes durch die Amtspflegschaft des Jugendamtes abzuschaffen und die Rechte der Mutter zu stärken.
Wegen der grundsätzlichen Kritik an einer aufenthaltsrechtlich motivierten behördlichen Intervention in das Recht der Vaterschaftsanerkennung verweist der djb auf seine Stellungnahme vom 4. April 2006[1] zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft. Die Bedenken bestehen hinsichtlich der unverhältnismäßigen pauschalen Stigmatisierung ausländischer und binationaler Familien und Ungleichbehandlung nichtehelicher Elternschaft fort. Wie bereits 2006 fehlt es außerdem weiterhin an einer belastbaren Datengrundlage zu Fällen missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung, die den nun vorgesehenen Eingriff in das familienrechtliche Gefüge rechtfertigen könnte.
II. Milderes Mittel: Vollzug von § 1597a BGB wirksamer gestalten
Die bekannt gewordenen Einzelfälle sogenannter „missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen“ lassen sich mit dem geltenden Recht in den Griff bekommen. Der djb fordert deshalb, zunächst die Möglichkeiten auszuschöpfen, den Vollzug von § 1597a BGB wirksamer zu gestalten.
In der gebotenen Kürze weist der djb darauf hin, dass allein Vollzugsprobleme, wie sie dem § 1597a BGB zugeschrieben werden, kein Grund sind, von einer Regelung Abstand zu nehmen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die im Referentenentwurf beschriebene Schwäche der derzeitigen Regelung auch die beabsichtigte Neuregelung teilt, nämlich die fehlende aufenthaltsrechtliche und familienrechtliche (Vor-)Prüfungskompetenz bei den Standesämtern. Die sorgsame Prüfung, wie beurkundende Stellen in die Lage versetzt werden können, ihre Pflichten aus § 1597a BGB zu erfüllen, sowie ggf. eine Fortentwicklung des Präventivansatzes (vgl. hierzu S. 20 des Referentenentwurfs), wären vor einer Neuregelung vorrangig. Fundamentale Eingriffe in das Familienrecht, wie sie der Referentenentwurf vorsieht, sind daher auch in Anbetracht milderer Mittel nicht gerechtfertigt.
III. Zum Referentenentwurf im Einzelnen
1. Artikel 1 Nr. 5 (§ 85a AufenthG-E)
a. Absatz 1: zu weiter Anwendungsbereich
Der Referentenentwurf beschreibt in § 85a Abs. 1 AufenthG-E den Grundfall sogenannter „Aufenthaltsrechtsgefälle“ zwischen der Mutter eines Kindes und dem anerkennenden Vater. Der djb weist auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den außerordentlich weiten Anwendungsbereich von Absatz 1 hin. Denn zukünftig würden pauschal alle Kinder, die in eine Elternkonstellation mit einem „Aufenthaltsrechtsgefälle“ hineingeboren werden, als potentielle Missbrauchsfälle eingestuft.
Die Regelung dürfte nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden. Dieses hat in dem Beschluss vom 17. Dezember 2013, Az: 1 BvL 6/10 (NJW 2014, 1364 Rn. 109), ausgeführt:
„Verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen ist jedoch, dass die in § 1600 IV BGB unnötig weit gefassten Anfechtungsvoraussetzungen nicht verheiratete, ausländische oder binationale Elternpaare, die keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, generell dem Verdacht aussetzen, die Vaterschaftsanerkennung allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen vorgenommen zu haben und deren Familienleben damit ohne Weiteres mit behördlichen Nachforschungen belasten (vgl. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, 378). Auch wegen Art. 6 I GG wäre insoweit eine präzisere Fassung der Anfechtungsvoraussetzungen verfassungsrechtlich geboten.”
Die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Grenzen überschreitet § 85a Abs. 1 AufenthG-E. Die Kritik des djb am Referentenentwurf setzt deshalb vor allem an der vom Regelungskonzept erfassten Fallkonstellation an, in der tatsächlich kein Missbrauch vorliegt. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzentwurf von jährlich ca. 65.000 Zustimmungsverfahren vor den Ausländerbehörden ausgeht, wovon etwa 50% vorgeburtliche Anerkennungen sind und die Ausländerbehörden in den Jahren 2018 bis 2021 in nur 290 Fällen einen Missbrauch festgestellt haben (vgl. Tagesschau-Bericht vom 30. April 2024), drängt sich – selbst unter der Annahme eines erheblichen Dunkelfelds – der Verdacht auf, dass mit dem Gesetzentwurf in einer weit überwiegenden Anzahl der Fälle Paaren die vorgeburtliche Anerkennung verunmöglicht wird, obwohl tatsächlich kein Missbrauch vorliegt.
Das Hauptproblem des Entwurfes ist, dass auch diese Paare in den Anwendungsbereich des Regelungsentwurfes fallen und die Zustimmung der Ausländerbehörde für sie zur „Wirksamkeitsbedingung für die Anerkennung der Vaterschaft“ wird.
b. Absatz 1 Satz 3: Nachweis nicht missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen erst nachgeburtlich überhaupt möglich
Das „Aufenthaltsrechtsgefälle“ soll nach Vorstellung des Referentenentwurfs zukünftig das Erfordernis der Zustimmung der Ausländerbehörde zur Anerkennung der Vaterschaft auslösen. Nach Absatz 1 Satz 3 soll die Zustimmung (nur dann) nicht erforderlich sein, wenn der Anerkennende der leibliche Vater des Kindes ist. Faktisch läuft dieser Vorschlag darauf hinaus, dass zukünftig keine vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennungen mehr möglich wären für alle nichtehelichen Kinder, die in ein „Aufenthaltsrechtsgefälle“ hineingeboren werden. Abgesehen davon, dass der Nachweis der genetischen Abstammung vom anerkennenden Vater in allen anderen Fällen keine Voraussetzung für die wirksame Anerkennung ist, lässt er sich erst nachgeburtlich erbringen. Mangels der Möglichkeit pränataler Vaterschaftstests, die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Gendiagnostikgesetz in Deutschland gesetzlich verboten sind, würde die Ausnahme von der Zustimmungsbedürftigkeit der Vaterschaftsanerkennung nach § 85a Abs. 1 Satz 3 AufenthG-E also grundsätzlich nicht vorgeburtlich greifen.
Die Ausländerbehörde wird in dieser Konstellation regelmäßig nicht nach § 85a Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 und 4 AufenthG-E vermuten können, dass die Vaterschaftsanerkennung nicht missbräuchlich ist, da auch die weiteren genannten Regelungen erst nach Geburt des Kindes greifen. Auch ist in der oben beschriebenen Lebenssituation nicht davon auszugehen, dass das Paar zum Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung seit mindestens sechs Monaten unter einer gemeinsamen Wohnanschrift gemeldet ist oder der Anerkennende Beiträge zum Lebensunterhalt von Mutter und Kind geleistet hat oder leisten können wird, sodass die Ausländerbehörde auch nicht auf die Vermutungstatbestände der § 85a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG-E zurückgreifen kann. Folglich müsste die Ausländerbehörde auf anderem Wege feststellen, dass die Anerkennung nicht missbräuchlich ist. Die Familie würde auf ein mit Unwägbarkeiten verbundenes weiteres behördliches Verfahren verwiesen, um rechtlich überhaupt als Familie anerkannt zu werden.
Für die Fallgruppe der vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung bei nichtehelicher Elternschaft genügen die Regelungen der Absätze 2 bis 5 nicht.
c. Absatz 2: Kosten des Abstammungsnachweises
Nach § 85a Abs. 2 AufenthG-E soll das Zustimmungserfordernis entfallen, wenn die Vaterschaft durch eine genetische Abstammungsuntersuchung nach § 17 Gendiagnostikgesetz nachgewiesen wird. Wie oben ausgeführt sind pränatale Vaterschaftstests gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Gendiagnostikgesetz gesetzlich verboten. Aber auch die nachgeburtliche Abstammungsuntersuchung kann für Menschen in prekären Lebensverhältnissen und/oder mit geringen Deutschkenntnissen wegen der damit verbundenen Kosten von bis zu 400 EUR und des Aufwands eine nicht zu überwindende Hürde darstellen.
d. Absatz 3: verfehlte Legaldefinition
Die in § 85a Abs. 3 Satz 2 AufenthG-E vorgesehene und dem bisherigen § 1595 Abs. 1 BGB entnommene Legaldefinition der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung verfehlt den Gesetzeszweck, Vaterschaftsanerkennungen zu unterbinden, die allein auf aufenthaltsrechtliche und zugleich sozialrechtliche Vorteile („Einwanderung in die Sozialsysteme“) für das Kind oder Elternteil abzielen. Sie ist zu weit geraten, um in der Praxis in Fällen nicht-ehelicher Elternschaft handhabbar zu sein. Zum einen dürfte die Zielrichtung der aufenthaltsrechtlichen Absicherung regelmäßig jedenfalls ein Mit-Motiv der Anerkennung der Vaterschaft eines nicht-ehelichen, im Ausland lebenden Kindes vor einer deutschen Stelle sein. Zum anderen findet sich das Motiv des sozialrechtlichen Vorteils in der Legaldefinition nicht. Der Regelungsentwurf gibt auch keinen Raum für eine abweichende Entscheidung, etwa in Fällen, in denen der Lebensunterhalt von Mutter und/oder Kind etwa durch eigene Erwerbsarbeit oder eigenes Vermögen der Mutter gesichert ist und eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ überhaupt nicht droht.
e. Absatz 5: Vermutungstatbestände, in denen die Vaterschaftsanerkennung nicht missbräuchlich ist, sind zu eng gefasst
§ 85a Abs. 5 Satz 2 AufenthG-E regelt Vermutungstatbestände, in denen die Anerkennung der Vaterschaft nicht missbräuchlich ist. Das Verhältnis dieser Regelung zu den Vermutungstatbeständen nach Absatz 4 ist nicht geregelt. Der Referentenentwurf übersieht, dass die Kriterien in Teilen erst nachgeburtlich festgestellt werden können; für Kinder, die in ein „Aufenthaltsrechtsgefälle“ hineingeboren werden, wird dadurch faktisch die Möglichkeit genommen, im Zeitpunkt der Geburt einen rechtlichen Vater zu bekommen.
Im Einzelnen:
Nr. 1 prämiert, wenn die Mutter und der Anerkennende bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Zustimmung seit mindestens sechs Monaten unter einer gemeinsamen Wohnanschrift gemeldet sind. Personen, die verpflichtet sind, in Aufnahmeeinrichtungen zu wohnen, sind von der Vermutungsregelung in Gänze ausgeschlossen. Die Konstellation, in der Mutter und/oder nichteheliches Kind im Ausland leben und nach Deutschland geholt werden sollen, ist nicht erfasst. In Großstädten sind außerdem Termine bei Bürgerämtern oftmals nur mit wochenlangem Vorlauf zu bekommen, wodurch der Nachweis der Meldung erschwert wird.
Nr. 2 prämiert, wenn der Anerkennende zum Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung seit mindestens sechs Monaten Unterhalt leistet und in Zukunft vermutlich leisten wird. Diese Voraussetzung dürfte gerade in der Konstellation, in der der Anerkennende nur geduldet ist oder dessen Aufenthalt nur gestattet ist, kaum zu erfüllen sein. Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus haben häufig wenig finanzielle Mittel zur Verfügung und arbeiten in prekär bezahlten Arbeitsverhältnissen. Die Voraussetzungen, unter denen Menschen mit prekärem Aufenthalt in Deutschland arbeiten dürften (Zustimmungsvoraussetzungen seitens staatlicher Stellen), verschärfen diese Problemlage. Im Übrigen ist unklar und auch in der Begründung nicht ausgeführt, was unter einem „substantiellen“ Beitrag zum Lebensunterhalt der Mutter oder des Kindes zu verstehen ist.
Nr. 3 stellt auf den Umgang des Vaters mit dem Kind ab. Damit kann diese Regelung erst nach Geburt des Kindes greifen; für vorgeburtliche Anerkennungen hat die Vermutungsregelung keinen Anwendungsbereich. Problematisch ist auch die im Wortlaut der Norm angelegte „Prognoseentscheidung“, welche die Ausländerbehörde treffen muss. Der den Ausländerbehörden hier zugestandene weite Einschätzungsspielraum birgt nicht nur Unsicherheiten für die Betroffenen, sondern auch Missbrauchspotential. Es ist zu befürchten, dass das Prognoseerfordernis in der Anwendungspraxis dazu führen wird, dass eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind für Väter, die nicht mit dem Kind zusammenleben, faktisch unberücksichtigt bleibt, weil es keine Kriterien gibt, die zu einem sicheren Beleg führen.
Nr. 4 stellt darauf ab, dass die Mutter und der Anerkennende einander nach der Geburt des Kindes geheiratet haben. Damit kann auch diese Regelung erst nach Geburt des Kindes greifen; für vorgeburtliche Anerkennungen hat die Vermutungsregelung keinen Anwendungsbereich. Eltern, bei denen der anerkennende Vater nicht der leibliche Vater ist, laufen Gefahr, dass die Ausländerbehörde eine missbräuchliche Anerkennung vermutet, obwohl eine solche nicht vorliegt und immer beabsichtigt war, dass der Anerkennende nicht nur der rechtliche, sondern auch der soziale Vater sein soll. Um diese Unsicherheit zu umgehen, bestünde die Möglichkeit, dass derjenige, der Vater für das Kind sein möchte, die Mutter des Kindes heiratet. Eltern, die zwar die Verantwortung für das Kind gemeinsam tragen wollen, die Ehe aber nicht oder noch nicht wollten, könnten sich hier unter Druck sehen, die Ehe voreilig zu schließen. Gerade für Personen mit prekärem Aufenthalt ist die Eheschließung aber gar nicht ohne weiteres möglich, etwa, wenn Papiere fehlen oder eine Ehefähigkeitsbescheinigung aus dem Herkunftsland nicht erbracht werden kann.
2. Hinkende Statusverhältnisse
§ 85a AufenthG-E soll ohne Rücksicht darauf zur Anwendung kommen, ob sich die Abstammung nach deutschem oder ausländischem Abstammungsrecht richtet. Die Zustimmung der Ausländerbehörde soll auch dann erforderlich sein, wenn nach ausländischem Recht die Abstammung des Kindes vom Anerkennenden begründet wird.
Dies widerspricht dem Grundsatz von Art. 19 Abs. 1 EGBGB. Damit will der Gesetzgeber seine Regulierungsbefugnisse auf jede ausländische Rechtsordnung erstrecken, indem nunmehr auch nach ausländischem Recht wirksam abgegebene Vaterschaftsanerkennungen unter den Zustimmungsvorbehalt der Ausländerbehörde gestellt werden. Das führte geradewegs in hinkende Statusverhältnisse, weil das Kind nach dem ausländischen Recht möglicherweise ohne weiteres einen statusrechtlichen Vater erhält, diese Vaterschaft dann aber nur in Deutschland nicht anerkannt wird. Die Aushebelung der Kollisionsregelung des Art. 19 Abs. 1 EGBGB ist in Fällen, in denen tatsächlich keine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung vorliegt, die Ausländerbehörde aber gleichwohl die Zustimmung versagt, offensichtlich nicht gerechtfertigt.
3. Nr. 6 (§ 85b Abs. 2 AufenthG-E)
In § 85b Abs. 2 AufenthG-E soll eine strenge Entscheidungsfrist von vier Monaten vorgesehen werden, nach deren Ablauf die Zustimmung zur Anerkennung einer Vaterschaft fingiert würde. Warum hier kein Gleichlauf mit § 75 VwGO (drei Monate) vorgesehen wird, ist nicht erkennbar.
Aus systematischen Gründen ist zweifelhaft, ob die Entscheidungsfrist auch für die nach Absatz 3 im Fall der Beurkundung im Ausland zuständigen Auslandsvertretungen gilt.
Angesichts der bereits bestehenden Überlastung der Ausländerbehörden, der schlechten personellen Ausstattung, der hinkenden Digitalisierung sowie der Probleme, neues Personal zu gewinnen, ist die Überfrachtung der Ausländerbehörden mit zusätzlich ca. 65.000 Verfahren in Vaterschaftsanerkennungssachen besonders problematisch (und für die Kommunen mit hohen Kosten verbunden). Es ist daher zu befürchten, dass in der Praxis Absatz 2 Satz 2, der die Hemmung der Frist bei ungenügender Mitwirkung der Antragstellenden regelt, in Einzelfällen ungerechtfertigt angewandt wird und gerichtliche Verfahren provoziert werden. Insbesondere ist eine Hemmung wegen fehlender Tatsachen und Nachweise zu den Voraussetzungen von § 85a Absatz 4 AufenthG-E nicht gerechtfertigt; es handelt sich um belastende Tatsachen, für die die Antragstellenden nicht darlegungs- und beweispflichtig sind.
Ebenfalls ist zu befürchten, dass die Ausländerbehörden wegen der ihnen vorgegebenen Entscheidungsfrist ihre Kapazitäten zu Lasten anderer Verfahrensprüfungen, wie der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln, auf die „Missbrauchsprüfungen“ verlegen.
IV. Artikel 5 (Änderung der Personenstandsverordnung)
Nach Ziffer 4 (§ 34a PStV-E) soll zukünftig das Standesamt bei der Beurkundung der Geburt eines Kindes folgendes prüfen:
- ob ein Aufenthaltsrechtsgefälle der Beteiligten vorliegt, wobei hier allein auf der Grundlage ihrer Identitätsnachweise und ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland geprüft wird,
- wenn ja, ob die Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde vorliegt, die die Beteiligten vorlegen müssen oder
- ob ein geeigneter Nachweis vorliegt, dass der Anerkennende der leibliche Vater des Kindes ist.
Aus Sicht des djb ist es fraglich, ob Standesämter die entsprechende Kompetenz für derartige Prüfungen haben, da sie registerführende Behörden sind, die keine materielle Sachprüfung vornehmen. Sie haben keine Expertise im – komplexen und häufigen Änderungen unterliegenden – Aufenthaltsrecht und können folglich nicht beurteilen, ob ein „Aufenthaltsrechtsgefälle“ vorliegt. Das gilt insbesondere dann, wenn die Antragstellenden beide nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Dies wird erwartbar dazu führen, dass sie grundsätzlich von der Eintragung der Vaterschaftsanerkennung absehen und die Ausländerbehörden einschalten, sobald ein*e Ausländer*in und ein*e deutsche*r Staatsagenhörige*r vorsprechen, die nicht verheiratet sind.
Das Standesamt prüft bislang auch nicht, ob eine genetische Verbindung zwischen Vater und Kind vorliegt. Es hat dazu keine Kompetenz. Die Prüfung der genetischen Abstammungsverhältnisse ist bislang dem Familiengericht vorbehalten im Rahmen eines gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens. Dieses kann aber, wie oben ausgeführt, erst eingeleitet werden, wenn das Kind geboren ist.
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Prof. Dr. Anna Lena Göttsche
Vorsitzende der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht
Dr. Stefanie Killinger, LL.M. (Lond.)
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung
[1]https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st06-17, zuletzt aufgerufen am 21.05.2024