Stellungnahme: 24-14


zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen, übersandt am 5. April 2024

Stellungnahme vom

I. Einleitung

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf „Gesetz zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen“. In Anbetracht der äußerst kurzen Stellungnahmefrist kann der djb nicht im Detail auf die im Einzelnen geplanten Änderungen eingehen. Der djb nutzt dennoch die Gelegenheit zur Stellungnahme, um sich ausdrücklich für eine Regelung der Aufhebbarkeit statt der Unwirksamkeit von sog. Kinderehen auszusprechen, weil dies für die betroffenen Frauen der rechtssicherere Weg ist. Die im Referentenwurf vorgesehen Beibehaltung der Unwirksamkeitslösung reagiert nicht angemessen auf die Lebenssituation der Beteiligten. Das Argument, dass die beibehaltene Behandlung als „Nichtehe“ die – auch nach Meinung des djb völlig richtige – Ächtung von Kinderehen besser umsetzen kann, überzeugt nicht. Denn eine Unwirksamkeit der Kinderehe schützt die betroffenen Minderjährigen gerade nicht besser als eine Aufhebbarkeit, und im Falle einer jahrelang bestehenden Kinderehe wandelt sich der vermeintliche Schutz für die betroffenen Individuen in sein Gegenteil. Auch wenn der Entwurf die Unterhaltsansprüche absichert, findet nach der jetzigen Planung nämlich keine Partizipation an aufgebautem Vermögen statt, sind Erbrechte und Rentenansprüche gerade nicht gesichert.

Über die Beibehaltung des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1, 2 EGBGB ist sichergestellt, dass nur im Ausland geschlossene Ehen einer Unwirksamkeit unterliegen, wenn sich die Eheleute vor Erreichen der Volljährigkeit nach Deutschland begeben haben. Der Gesetzentwurf betrifft außerdem nur Paare, bei denen der*die minderjährige Ehepartner*in nach dem 22. Juli 1999 geboren ist. Damit stehen im Ausland geschlossene Ehen älterer Personen nicht unter dem Damoklesschwert einer Unwirksamkeit und der Regierungsentwurf stellt – wie auch die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts – auf die Fälle ab, in denen verheiratete Jugendliche in das Bundesgebiet einreisen und hierbleiben.

II. Im Einzelnen

Der djb merkt – zum Teil in Fortsetzung der bereits im Gesetzgebungsverfahren 2017 abgegebenen ausführlichen Stellungnahme[1] und der Stellungnahme zum Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht[2] – Folgendes zu der nun gewählten Minimallösung an:

Im Grundsatz ist es zu begrüßen, dass der Schutz der Minderjährigen – insbesondere betroffen sind Mädchen – vor Nachteilen einer Unwirksamkeit der Ehe besser bewältigt werden soll. Insbesondere ist die bislang fehlende materielle Absicherung bei Unwirksamkeit der Ehe unerträglich.

Nun soll die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geschaffene Übergangslösung zum Teil übernommen werden, zum Teil sollen die darin geregelten Unterhaltsansprüche im Hinblick auf Trennungs-Unterhaltsansprüche äußerst komplex erweitert werden. Das ist gut für die minderjährig verheirateten Frauen – allerdings wird oft auf einen konkreten Trennungszeitpunkt abgestellt, den man selten wird ermitteln können. An dieser Stelle ist der Gesetzentwurf eindeutig zu optimistisch, wenn davon ausgegangen wird, dass der Trennungszeitpunkt feststellbar ist. Die einzigen Verfahren, in denen bislang ernstlich ein konkreter Trennungszeitpunkt streitig sein kann, sind güterrechtliche Verfahren. Hier kommt es auch auf das Vermögen (genau) zum Trennungszeitpunkt an, § 1375 Abs. 2 S. 2 BGB. In allen anderen Verfahren werden konkrete Trennungszeitpunkte nicht virulent, weil der konkrete Zeitpunkt nach weiterem Zeitablauf gleichgültig wird (so etwa beim Trennungsjahr nach § 1565 Abs. 2 BGB). Wird nun – wie in § 1305 Abs. 1 Ziff. 2., 3. RefE BGB vorgesehen – für Unterhaltsansprüche auf den konkreten Trennungszeitpunkt abgestellt, werden sich die in der Praxis zu § 1375 BGB bekannt gewordenen Probleme wiederholen.

Die Differenzierung dort wird schwer zu handhaben sein, muss doch das Familiengericht als Vorfrage für die Anwendung von §§ 1361, 1586 BGB oder aber §§ 1569ff. BGB aufklären, wann die Eheleute mehr als drei Jahre getrennt lebten. Dieser Anknüpfungspunkt wird der Praxis Schwierigkeiten bereiten, gerade dann, wenn es um die Begrenzung von Unterhalt nach § 1578b BGB geht, der für die zuerst im Entwurf genannte Phase nicht gelten würde. Nicht ganz zu Unrecht wird dem im Güterrecht geltenden § 1375 Abs. 2 BGB attestiert, dass die Vorschrift als „gänzlich missglückt angesehen werden muss“, unter anderem, weil sich ein genauer Trennungszeitpunkt im Streit selten feststellen lässt (Kogel, in: Kogel, Zugewinnausgleich, 7. Auflage 2022, Rn. 472). Der djb regt daher an, entweder einen anderen Anknüpfungspunkt zu wählen, der gerichtsfest dokumentiert werden kann, oder aber die Differenzierung aufzugeben.

Anders als in der Übergangsregelung, die das BVerfG geschaffen hatte, soll nicht mehr auf § 1318 BGB verwiesen werden. Dies ist kritikwürdig, weil der Wegfall auf diesen Verweis eine bedeutend schlechtere Absicherung von minderjährigen Ehepartner*innen nach sich ziehen wird. Die in der Begründung dargelegte Intention (Schutz von Minderjährigen vor Unterhaltsansprüchen von bei Eheschließung volljährigen Ehepartner*innen) deutet zwar auf ein weiteres Problem hin, dass der Entwurf richtigerweise zu Gunsten von schutzbedürftigen Minderjährigen löst. Allerdings hatte das BVerfG durch den Verweis auf § 1318 BGB bereits geregelt, dass auch nach unwirksamen Ehen Minderjähriger ein Versorgungsausgleich und ein güterrechtlicher Ausgleich stattfinden kann. § 1318 Abs. 1 BGB verweist nämlich auch auf diese beiden Regelungsgegenstände[3] und ermöglicht auf diese Art und Weise eine Teilhabe an Vermögen bzw. Altersvorsorge.

Das geht nun verloren, weil eine ausschließlich auf Unterhaltsansprüche zugeschnittene Norm geschaffen werden soll. Der djb lehnt diese Beschränkung des Schutzes ab und regt dringend an, in Anlehnung an das Eheaufhebungsrecht die Partizipation am Vermögensaufbau zu regeln. Die Entwurfsbegründung stellt hier auf die güterrechtlichen Regelungen ab, die – je nach Eheschließungszeitpunkt – durchaus auch dem Heimatrecht der Eheschließenden entnommen werden können. Hier werden offenbar nur zusammenlebende Paare erfasst, die letztlich ein Interesse daran haben können, ihre Ehe auch in Deutschland fortzusetzen. Der djb kann jedoch nicht erkennen, wie sich ein in jeder Hinsicht adäquater güterrechtlicher Ausgleich realisieren lassen soll, wenn in Deutschland lebende Paare sich trennen und sodann – infolge der Unwirksamkeit ihrer Ehe – nicht geschieden werden müssen.

Der Versorgungsausgleich wird in der Begründung nicht erwähnt, lediglich ein Altersvorsorgeunterhalt wird vorgesehen – in Anlehnung an die für Eheleute geltenden Vorschriften, die auf die vom Versorgungsausgleich erfassten Zeiträume abgestimmt sind. Nach Auffassung des djb muss selbstverständlich eine Teilhabe an etwaigen Rentenanrechten von berufstätigen Ehegatt*innen über das Konzept eines Versorgungsausgleichs auch für Personen gelten, die mit 14-16 Jahren im Ausland eine Ehe geschlossen haben.

Außerdem müssen die erbschaftsrechtlichen Folgen eindeutiger geregelt und damit sichergestellt werden, dass im Erbfall eine Gleichstellung zur erbrechtlichen Position von Ehegatt*innen erfolgt. Die spätere Erklärung gegenüber dem Standesamt nach Erreichen der Volljährigkeit kann zwar auch in Fällen vorverstorbener Ehegatt*innen eine im Nachhinein wirksame Ehe herbeiführen („Heilung“, § 1305 Abs. 2 RefE BGB). Verstirbt der*die volljährige Ehepartner*in allerdings, bevor der*die minderjährige Ehepartner*in volljährig wird, besteht (zunächst) kein Erbrecht und steht die minderjährige Person rechtlos gegenüber den (anderen) Erb*innen da. Eine spätere Veränderung von Erbquoten hilft nur auf dem Papier, wenn die Erbmasse von den anderen Erb*innen verbraucht wurde.

Der Gesetzgeber will die absolute Nichtigkeit mit Blick auf den hoch gehaltenen Minderjährigenschutz beibehalten. Das ist auf einigen weiteren Ebenen nach wie vor kontraproduktiv:

a)         Sind Kinder aus der unwirksamen Ehe hervorgegangen, können diese durch die neu geschaffene Heilungsmöglichkeit (nachträglich) zu ehelichen Kindern werden, § 1305 Abs. 2, 3 RefE BGB. In der Zeit bis zur Volljährigkeit von minderjährigen Partner*innen ist das aber gerade nicht möglich; hier müssen Vaterschaftsanerkennungsurkunden gem. § 1594 BGB errichtet werden. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass das ohne weiteres möglich sei. Der djb gibt zu bedenken, dass Erklärungen im Anerkennungsverfahren für beschränkt Geschäftsfähige gerade nicht ohne weiteres, sondern nur mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter*innen möglich sind (§ 1596 BGB). Bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, für die ein Vormund eingesetzt werden muss, sind diese gesetzlichen Vertreter*innen gelegentlich nur schwer verfügbar.

b)         Die Möglichkeit, eine „Heilung“ des Mangels der Ehemündigkeit zu bewirken und so – ex tunc – als verheiratet zu gelten, ist im Grundsatz zu begrüßen. In § 1305 Abs. 2 RefE BGB und § 15a RefE Personenstandsgesetz sollen nun Vorschriften eingefügt werden, die eine Heilung des Mangels der fehlenden Ehemündigkeit durch Erklärung der volljährig gewordenen Person vorsehen. Das darin zutage tretende Konzept hilft aber nur dann, wenn die Eheleute an der Ehe festhalten wollen und beide zum Standesamt gehen, denn die Erklärung muss in Anwesenheit beider Personen abgegeben werden und die Niederschrift ist von beiden Partner*innen zu unterschreiben. Also können sie die Folgen einer Ehe nur herstellen, solange sie einander gewogen sind.

Diese Lösung versagt im Falle einer Trennung. Dazu ein Beispiel: Wenn eine 15jährige (unwirksam) geheiratet hat, als Minderjährige nach Deutschland eingereist ist und sich 20 Jahre später der hauptverdienende Ehepartner von ihr trennt, dann wird er nicht bei dieser Erklärung mitwirken. Denn das hätte aktuell zur Folge, dass er dann versorgungsausgleichspflichtig wird und Vermögensmassen teilen muss. Es ist daher notwendig, dass der*die geschützte, einst minderjährige Ehepartner*in durch einseitige Erklärung aus der hinkenden, im Ausland gültigen Ehe eine auch im Inland gültige Ehe machen kann. Hier wäre eine der Bestätigung nach § 1315 Abs. 1 Nr. 1a BGB nachgebildete Regelung sinnvoller, die ausschließlich auf ein Tätigwerden durch die schützenswerte minderjährige Person abstellt. Es sollte ausreichen, wenn nur die einst minderjährige Person die Bestätigung gegenüber dem Standesamt erklärt.

III. Fazit

Die berechtigten generalpräventiven Argumente sollten nach Auffassung des djb nicht den Blick darauf verstellen, dass die betroffenen Individuen eine im Ausland gültige Ehe geschlossen haben und nun – auch gegen ihren Willen – erleben, dass ihre Ehe (nur in Deutschland!) als Nichtehe behandelt wird. Das geschaffene komplexe Geflecht von Regelungen werden jedenfalls die Personen nicht durchdringen können, die nie in Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen wurden und die deswegen keinerlei Kontakte mit kundigen Jugendamtsmitarbeitenden hatten. Besonders betroffen sind hier Mädchen, denen nach Auffassung des djb eher geholfen wäre, wenn man eine Aufhebbarkeit der Ehe regeln würde. Außerdem ist durchaus zu befürchten, dass als Jugendliche nach Deutschland eingereiste Frauen noch in höherem Alter erleben werden, dass sie – ggf. nach längerer Partnerschaft – als unverheiratet gelten. Die fehlenden vermögensrechtlichen Regelungen werden gerade solche Frauen besonders treffen, da sie ggf. unerkannt über längere Zeiträume nicht wirksam verheiratet waren und sich auf ein gemeinsames Wirtschaften eingestellt haben.

All das zeigt, dass die Behandlung von im Ausland wirksam geschlossenen Ehen von 14-16-Jährigen als Nichtehe mehr Probleme schafft als löst. Individuelle Prüfungen oder Abwägungen sollen nach wie vor nicht möglich sein; eine aktive Prüfung, ob die Kinderehe (immer noch) dem ordre public widerspricht, können bei der gewählten Fassung bereits nicht stattfinden. Wie in den vorangegangenen Stellungnahmen festgehalten, wäre das jedoch der bessere Weg, um den beabsichtigten Schutz herzustellen. Eine Regelung der Aufhebbarkeit ist deshalb nach Ansicht des djb insgesamt sinnvoller.

 

Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin

 

Prof. Dr. Anna Lena Göttsche
Vorsitzende der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht

 

 


[1]https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st17-08_Kinderehe.pdf, zuletzt abgerufen am 19.04.2024

[2]https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st20-04_BVerfG-Kinderehe.pdf, zuletzt abgerufen am 19.04.2024

[3] vgl. nur M. Otto, in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, GesamtHrsg: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Hrsg: Wellenhofer, Stand 1.10.2022, Rn. 9 zu § 1318 BGB