Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) weist anlässlich des Equal Pay Day 2024 auf den dringenden Umsetzungsbedarf der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie vom Juni 2023 hin.[1] Deutschland muss sie bis spätestens Juni 2026 in nationales Recht umsetzen. Bis dahin ist keine Zeit zu verlieren – weder für den Gesetzgeber noch für Arbeitgeber*innen und Tarifparteien. Die Richtlinie fordert alle Akteur*innen zu einem grundsätzlichen Umdenken heraus. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit gilt bereits seit 1949 – er prägt aber nicht die Praxis der Erwerbsarbeit.[2] Die Entgelttransparenzrichtlinie macht nun präzise und verbindliche Vorgaben zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes sowohl im öffentlichen als auch privaten Sektor. Dabei baut die Richtlinie zurecht nicht länger ausschließlich auf den individuellen Klageweg, der den betroffenen Beschäftigten die Bürde der Geltendmachung auferlegt. Sie geht davon aus, dass proaktive Instrumente wie Berichtspflichten für Arbeitgeber*innen und betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit geeignet sind, geschlechtsspezifische Verzerrungen in den Entgeltstrukturen systematisch zu beseitigen.
Das aktuell in Deutschland geltende Entgelttransparenzgesetz entspricht diesen Vorgaben nicht. Es muss entscheidend nachgebessert werden.
1. Was der Gesetzgeber tun muss
Bisher werden nur Arbeitgeber*innen mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten durch das Entgelttransparenzgesetz aufgefordert, mit Hilfe betrieblicher Prüfverfahren regelmäßig ihre Entgeltregelungen auf Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots zu überprüfen. Sie müssen außerdem über ihre Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur Herstellung von Entgeltgleichheit berichten. Nichtstun bleibt allerdings ohne jede Sanktion.
Nach der Entgelttransparenzrichtlinie muss der Gesetzgeber nun das deutsche Gesetz erweitern:
- Arbeitgeber*innen ab 100 Arbeitnehmer*innen sind zu verpflichten, bestimmte entgeltbezogene Indikatoren zu ermitteln, über diese regelmäßig zu berichten und sie zu veröffentlichen. Die Richtlinie stellt dabei ausdrücklich auf den umfassenden Entgeltbegriff ab, wie er vom Europäischen Gerichtshof entwickelt wurde.
- Die Leitungsebene der Arbeitgeber*innen ist zu verpflichten, die zu berichtenden Angaben nach Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen zu bestätigen.
- Die Arbeitgeber*innen sind zu verpflichten, Abhilfe zu schaffen, wenn sich aus den Berichten ungerechtfertigte Entgeltunterschiede ergeben. Dazu müssen die Arbeitgeber*innen in enger Zusammenarbeit mit Betriebsrat und weiteren Akteur*innen analysieren, welche Teile der Arbeitnehmer*innen von der Ungleichheit betroffen sind, und wie die Gründe beseitigt werden können.
- Mit der gemeinsamen Entgeltbewertung ist ein zusätzliches Instrument einzuführen. Wenn der Bericht ergibt, dass ein ungerechtfertigter Entgeltunterschied von mehr als fünf Prozent in einer Gruppe von Arbeitnehmer*innen besteht und die/der Arbeitgeber*in ihn nicht innerhalb von sechs Monaten korrigiert, so muss dieser verpflichtet werden, eine gemeinsame Entgeltbewertung durchzuführen. Dies verlangt verstärkte Bemühungen zur Beseitigung ungerechtfertigter Entgeltunterschiede.
- Alle beteiligten Akteur*innen sind in die Lage zu versetzen, die Anforderungen des komplexen Prozesses der gemeinsamen Entgeltbewertung erfüllen zu können. Schon im Umsetzungsprozess sollten die beteiligten Institutionen wie die Gleichbehandlungs- und die Monitoringstelle auf eine Sensibilisierung der Akteure hinwirken. Dazu sind vom Gesetzgeber Schulungs-, Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen.
Der Gesetzgeber muss weiter die Weichen für eine effektive Rechtsdurchsetzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes stellen, in dem er
- eine Monitoringstelle einrichtet, die die Abgabe der Berichte überwacht, diese Informationen sammelt, analysiert und zum Teil auf angemessene Weise veröffentlicht;
- die Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes weiter ausbaut und Kollektivakteur*innen wie Gewerkschaften oder Frauenverbände ermächtigt, die Durchsetzung vor Gericht einzufordern oder unterstützend tätig zu werden;
- die Ansprüche auf Erfüllungs-, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche so normiert, dass Zugangshürden abgebaut werden;
- „wirksame, verhältnismäßige“ und „tatsächlich abschreckende Sanktionen“, wozu zwingend auch Geldbußen gehören müssen, festlegt und sie anzuwenden bereit ist;
- mittels geeigneter vergaberechtlicher Maßnahmen sicherstellt, dass Wirtschaftsteilnehmer*innen bei Ausführung öffentlicher Aufträge oder Konzessionen ihre Pflichten betreffend den Grundsatz des gleichen Entgelts einhalten und über diskriminierungsfreie Verfahren zur Entgeltfestlegung verfügen.
Auch die Rechtsdurchsetzung des individuellen Auskunftsanspruchs muss effektiver werden. Nach dem Entgelttransparenzgesetz besteht der Anspruch nur für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Die Häufigkeit des Auskunftsverlangens ist beschränkt und es muss eine Vergleichstätigkeit genannt werden. Die Entgelttransparenzrichtlinie verlangt:
- Alle Arbeitnehmer*innen unabhängig von der Beschäftigtenzahl und der Häufigkeit haben einen Auskunftsanspruch, der alle Entgeltbestandteile umfasst.
- Beschäftigte können ihren Auskunftsanspruch nach der Richtlinie auch über die nach nationalen Gepflogenheiten üblicherweise zuständigen Arbeitnehmervertreter stellen und müssen so keine Nachteile fürchten.
2. Was Arbeitgeber*innen tun müssen
Arbeitgeber*innen sollten nicht auf die Umsetzung der Richtlinie warten. Sie sind bereits jetzt verpflichtet, den Grundsatz der Entgeltgleichheit einzuhalten. Die Richtlinie soll nur verbindliche Einzelheiten regeln und stellt klar, dass ein Rückzug hinter bestehende Tarifverträge nicht zulässig ist. Arbeitgeber*innen können beispielsweise bereits auf Grundlage der vom djb erstellten Konzeption für Gleichstellung im Unternehmen[3] Maßnahmen zur Sicherung der (Entgelt-)Gleichheit zwischen den Geschlechtern ergreifen.
Mit der Umsetzung der Richtlinie wird sich aber der Durchsetzungsdruck erhöhen und es kommen auf die Unternehmen neue Informations- und Berichtspflichten zu. Auf diese müssen sie sich in Kooperation mit der betrieblichen Interessenvertretung vorbereiten. Sie sollten bereits jetzt ihre Entgeltstrukturen überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Korrekturen müssen gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien vorgenommen werden. Ratsam ist es, geeignete und diskriminierungsfreie digitale Tools einzusetzen, um die Entgeltstrukturen im Unternehmen zu erfassen und zu analysieren. Es bietet sich an, bereits jetzt Strukturen und Abläufe zu schaffen, die eine Analyse und entsprechende Veröffentlichung ermöglichen. Zudem können Arbeitgeber*innen Wege schaffen, über die sie ihren Transparenzpflichten gegenüber den Arbeitnehmer*innen in geeigneter Weise nachkommen können.
3. Was die Tarifvertragsparteien tun müssen
Das Gebot der Entgeltgleichheit gilt auch für Tarifverträge. Das Entgelttransparenzgesetz enthält aktuell eine missverständliche Sonderregelung für tarifliche Regelungen, obwohl allein der Mechanismus der tarifautonomen Aushandlung nicht automatisch Diskriminierung verhindert. Die Entgelttransparenzrichtlinie erlaubt keine Ausnahme für tarifliche Entgeltstrukturen. Die Tarifvertragsparteien müssen ihre Entgeltstrukturen deshalb dahingehend überprüfen, ob sie tatsächlich diskriminierungsfrei sind und gegebenenfalls korrigieren. Dies gilt insbesondere für die Einordnung von „gleichwertiger Arbeit“. Dazu sind sie schon jetzt für ihre eigene Vorbereitung angehalten, Kenntnisse in diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung zu entwickeln. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Prof. Dr. Isabell Hensel
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht
[1] RICHTLINIE (EU) 2023/970 vom 10. Mai 2023 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen.
[2] Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern, BT-Drs. 20/8100.
[3] DJB, Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft, 2021, https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/Konzeption_Gleichstellungsgesetz_Langfassung_2021.pdf.