Stellungnahme: 24-07


zum Eckpunkte-Papier des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts vom 16.01.2024

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Eckpunkte-Papier des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts vom 16. Januar 2024. Der Verein begrüßt das Vorhaben, die lange angekündigte Reform des Abstammungsrechts nun endlich umzusetzen. Die Eckpunkte zur Reform des Abstammungsrechts setzen langjährige Forderungen des djb, insbesondere die Öffnung der zweiten Elternstelle für Frauen kraft Ehe und Anerkennung, um. Die Ermöglichung der Absicherung durch zwei Elternteile qua Geburt ist nicht nur aus gleichheitsrechtlicher Perspektive, sondern vor allem zur Wahrung des Kindeswohls dringend geboten. Das bislang bestehende Adoptionserfordernis ist diskriminierend für die Eltern und birgt aufgrund der langen Dauer Gefahren für das Kindeswohl. Eine Regelung der Materie noch in dieser Legislaturperiode ist aus Sicht des djb daher unabdingbar.[1] Es verbleiben jedoch offene Fragen und Leerstellen, die die aktuelle Bundesregierung rasch angehen muss, um die im Koalitionsvertrag angekündigte große Reform des Familienrechts im Sinne der Betroffenen auch tatsächlich umzusetzen.

Der djb hat zusammen mit der Initiative Nodoption, der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) und dem Lesben- und Schwulenverband e.V. (LSVD) bereits im Mai 2023 Leitplanken zur Reform des Abstammungsrechts[2] vorgelegt. Die Leitplanken berücksichtigen die vielfältigen Familienkonstellationen und enthalten konkrete Vorschläge, die schnell und ohne großen Aufwand umsetzbar sind. Das Leitplankenbündnis hat sich in einer gemeinsamen Stellungnahme[3] zu dem nun vorgelegten Eckpunkte-Papier geäußert. Hierauf wird ausdrücklich Bezug genommen.

Darüber hinaus möchte der djb auf zwei Aspekte hinweisen, die bei einer Reform des Abstammungsrechts dringend zu berücksichtigen sind.

1. Zur Bedeutung der genetischen Abstammung

Das Eckpunkte-Papier deutet an mehreren Stellen darauf hin, dass für die Frage der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung der genetischen Abstammung zukünftig größeres Gewicht als bisher zukommen soll. Hiergegen wendet sich der djb aus mehreren Gründen:

In den Eckpunkten wird vorgeschlagen, dass die Anfechtung der zweiten rechtlichen Elternposition durch den „leiblichen Vater“ nicht mehr zwingend ausgeschlossen ist, obwohl zwischen Kind und zweitem Elternteil eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Stattdessen solle das Familiengericht „im Einzelfall prüfen“, welche Interessen im konkreten Fall bestehen und welche Position überwiegt. Das erscheint im Hinblick auf den grundrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz problematisch. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten die parlamentarische Gesetzgebung, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der gerichtlichen Einzelfallentscheidung zu überantworten (stRspr. BVerfG). Dazu gehört die Bedeutung der genetischen Abstammung für die Frage der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung.

Für die erstmalige Zuordnung eines Kindes zu seinen rechtlichen Eltern kommt es nach geltender Rechtslage nicht maßgeblich auf die genetische Verbindung an. Die gebärende Frau wird Mutter, auch wenn das Kind im Wege einer Eizellspende entstanden ist (vgl. § 1591 Satz 1 BGB). Der Ehemann oder der anerkennende Mann wird Vater, auch wenn das Kind mittels Samenspende eines Dritten gezeugt wurde. Nur bei der sekundären Korrektur kommt der leiblichen Abstammung insofern Bedeutung zu, als dass die Vaterschaftsanfechtung allein auf das Argument der fehlenden genetischen Verbindung zwischen rechtlichem Vater und Kind gestützt werden kann. Auch ist eine Neuzuordnung im Wege der Vaterschaftsfeststellung nur zu dem Mann möglich, bei dem nachgewiesen werden kann, dass er der Mutter während der Empfängnis „beigewohnt“ hat. In der Praxis wird – infolge der vom BGH vorgegebenen Gleichbehandlung von Vaterschaft nach Intimkontakten und Vaterschaft nach privater Samenspende – dieser Nachweis faktisch über ein DNA-Gutachten geführt. Die leibliche Verbindung ist jedoch kein Trumpf-Argument, sondern wird – etwa im geltenden § 1600 Abs. 2 BGB – durch eine bestehende sozial-familiäre Beziehung überlagert. Das entspricht dem Kindeswohl und dem rechtlichen Schutz bestehender sozial-familiärer Fürsorgebeziehungen.

Abgesehen davon, dass ein Kind stets von mindestens zwei Personen genetisch abstammt und schon deshalb nicht allein die genetische Verbindung zu einem Mann maßgeblich sein kann, ist mit der genetischen Verbindung nicht zwingend eine für das Kind wichtige Versorgungsverbindung verbunden. Die Aufgabe für das Abstammungsrecht ist es, gelebte Familienverhältnisse rechtlich abzubilden und abzusichern, nicht die bestehende Ungleichbehandlung von Ei- und Samenzelle noch zu verstärken.

Eine stärkere Gewichtung der männlichen genetischen Abstammung lehnt der djb auch deshalb ab, weil hiermit durch die Hintertür Zwei-Mütter-Familien doch wieder abgewertet und mit der fortwährenden Sorge um einen in die Familie drängenden Samenspender belastet werden. Gerade die auf Fürsorge-Intention und gelebter Verantwortungsübernahme basierende Familie eines Kindes darf aber nicht durch einseitig biologistische und vergeschlechtlichte Anfechtungstatbestände in Frage gestellt werden. Aus Sicht des djb bringt die vorgeschlagene Zuspitzung auf die genetische Abstammung von einem Mann keine Vorteile. Vielmehr sollte es einem Kind ermöglicht werden, einen intendierten Elternteil gerichtlich als Elternteil feststellen zu lassen, der sich nachträglich aus der Verantwortung ziehen will. Hier kann die Verpflichtung, dem Kind gegenüber als rechtlicher Elternteil Verantwortung zu übernehmen, nicht auf die Genetik, sondern an die einstige Zustimmung zur Kinderwunschbehandlung oder zur Zeugung mittels privater Samenspende eines Dritten geknüpft werden.

Für den Gesetzgebungsprozess regt der djb dringend an, zu klären, welches Gewicht sozialen und biologischen Kriterien für die elterliche Verantwortung zukommen soll und dies dann einheitlich für Menschen aller Geschlechter umzusetzen. Es ist mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar, wenn ein Mann qua Samenzelle im Zweifel volle Elternrechte an einem Kind begründen können soll, eine Frau auf Grund ihrer Eizelle dem Kind gegenüber jedoch absolut und unveränderbar im Zweifel als Fremde gilt.

2. Warum die Reform bereits bestehende Familien umfassend berücksichtigen muss

Das Eckpunktepapier sieht unter IV. 8 vor, dass für Kinder die Anerkennung der Mutterschaft durch die Ehefrau der Geburtsmutter ermöglicht werden soll (sofern eine Adoption noch nicht erfolgt ist), die nach Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und vor Inkrafttreten der Reform des Abstammungsrechts in Ehen von zwei Frauen hineingeboren wurden. Eine automatische Zuordnung ist in diesen Fällen nicht vorgesehen.

Das Eckpunktepapier sieht damit in unzureichender Weise vor, dass nur ein Teil der von der Reform Betroffenen – nämlich verheiratete Frauen – die Möglichkeit erhält, nach Inkrafttreten der neuen Regelungen die laufenden Adoptionsverfahren nicht zu Ende führen zu müssen. Jedoch muss die Ehefrau der Geburtsmutter zur Erlangung der Elternschaft diese anerkennen. Der djb ist gegen eine Anerkennungspflicht. Es sollte vorgesehen werden, dass bei bereits laufenden Verfahren zur Erlangung der Elternschaft eine formlose Anzeige an das Standesamt ausreicht.

Der djb kritisiert darüber hinaus, dass unverheiratete Frauenpaare für ihre Kinder nach den Reformplänen weiterhin Adoptionsverfahren zur Besetzung der zweiten Elternstelle durchlaufen müssten, wenn die Kinder vor dem Inkrafttreten der Reform geboren worden sind. Auch für trans* Personen und für Personen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ oder ohne Geschlechtseintrag ist bislang keine Rückwirkung vorgesehen. Der djb fordert, im weiteren Verfahren diese Elterngruppen in die Rückwirkung einzubeziehen.

In diesem Zusammenhang weist der djb daraufhin, dass die geltende diskriminierende Rechtslage dazu führt, dass insbesondere nichtehelichen Zwei-Mütter-Familien familienbezogene Leistungen verwehrt bleiben. Eine nichteheliche Partnerin der Geburtsmutter kann ab der Geburt des Kindes keinen Anspruch auf Elterngeld oder Elternzeit sowie auf Kindergeld geltend machen. Insbesondere letzteres lehnen die Familienkassen bis zum Abschluss des Adoptionsverfahrens unter Verweis auf das fehlende Kindschaftsverhältnis regelmäßig ab. Von der Bezugsberechtigung des Kindergeldes hängen weitere Leistungen ab, beispielsweise der Familienzuschlag für Beamt*innen. Diese Leistungen werden unverheirateten lesbischen Paaren – anders als unverheirateten heterosexuellen Paaren mit der Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung – bis zum Abschluss des Adoptionsprozesses nach bisher geltendem Recht regelmäßig verwehrt. Entsprechende Nachteile gibt es auch im Aufenthaltsrecht, das für die von einem Kind abgeleitete Aufenthaltserlaubnis wegen Personensorge (etwa § 25a Abs. 2 AufenthG, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) auf die Elternposition abstellt. 

Eine Gesetzesreform muss mögliche Entschädigungen für Familien vorsehen, denen aufgrund der diskriminierenden Ausgestaltung des geltenden Rechts gesetzliche Zuschüsse verweigert wurden. Sämtlichen Familien, die ihre Kinder im Wege einer Stiefkindadoption annehmen mussten, sind zudem die Kosten des Adoptionsverfahrens zu erstatten.

In diesem Zusammenhang weist der djb darauf hin, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu stützen. Die Reform sieht die Beseitigung einer diskriminierenden Gestaltung des Abstammungsrechts für lesbische Paare vor, die darauf zurückzuführen ist, dass sie die zweite Elternposition bisher nur durch Adoption ausfüllen konnten. Vor diesem Hintergrund muss sich die Rückwirkung mindestens auf den Zeitpunkt der Möglichkeit der Stiefkindadoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare beziehen.

 

Ursula Matthiessen-Kreuder

Präsidentin

 

Prof. Dr. Anna Lena Göttsche

Vorsitzende der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht

 

 


[1] Vgl. bereits die djb-Stellungnahme vom 28.10.2020, abrufbar unter https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st20-27_AbstammungsR.pdf (Zugriff 15.02.2024).

[2] Vgl. Leitplanken zur Reform des Abstammungsrecht, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-12 (Zugriff 15.02.2024)

[3] Vgl. die gemeinsame Stellungnahme vom 16.02.2024, abrufbar unter https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st24-06 (Zugriff 16.02.2024)