Stellungnahme: 24-05


zu den „Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht“ vom 16.01.2024

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt die Pläne der Bundesregierung, das Kindschaftsrecht zu modernisieren und an die heutigen Lebensrealitäten von Familien anzupassen. Für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu den vom Bundesministerium der Justiz am 16. Januar 2024 veröffentlichten Eckpunkten bedankt sich der djb ausdrücklich.

I. Grundsätzliche Würdigung der Eckpunkte

Die Reformpläne sind eine Reaktion auf die veränderten Lebenswirklichkeiten insbesondere von Trennungs- und Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien sowie nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Der djb teilt das Ziel, Familien bei einer am Kindeswohl orientierten partnerschaftlichen Betreuung von minderjährigen Kindern stärker zu unterstützen.

Dabei fehlt im Reformvorhaben nach wie vor der Blick auf Familien, die keine Trennung hinter sich haben: Anders als in den Eckpunkten angedeutet, ist Deutschland aktuell immer noch weit entfernt von einer paritätischen elterlichen Kinderbetreuung. Frauen leisten mehr als doppelt so viel direkte Sorgearbeit (Kinderbetreuung und Pflege von Erwachsenen), der Gender-Care-Gap liegt bei über 100 Prozent.[1] Der Anteil von Vätern, die Elternzeit nehmen, ist verschwindend gering: Nur drei Prozent der erwerbstätigen Väter, deren jüngstes Kind unter drei Jahren ist, nehmen Elternzeit. (Demgegenüber lag die Elternzeitquote bei Müttern im Jahr 2022 bei 45,2 Prozent). Geht es um Kinder unter sechs Jahren, nahmen 2022 ein Viertel der erwerbstätigen Mütter Elternzeit, Väter nur noch zu einem Anteil von 1,9 Prozent.[2] Auch ein Blick auf die Teilzeitquoten von erwerbstätigen Müttern und Vätern legt den Befund der ungleichen Verteilung von Kinderbetreuung nahe: Im Jahr 2020 arbeiteten zwei Drittel (65,5 Prozent) aller erwerbstätigen Mütter in Teilzeit. Bei Vätern in derselben Situation waren es nur 7,1 Prozent.[3]

Angesichts dieser Befunde ist es wichtig, dem Betreuungsmodell „Wechselmodell“ in der Beratung durch die Jugendämter keinesfalls den Vorrang einzuräumen, wenn vor der Trennung eine paritätische Betreuung durch die Eltern nicht bereits gefördert und vor allem nicht gelebt wird. Kinder und Jugendliche profitieren gerade in Trennungssituationen von Kontinuität. Wenn sie über mehrere Jahre hauptsächlich durch die Mutter betreut worden sind, kann die plötzliche Änderung der Betreuungsgewohnheiten ein zusätzlicher Stressfaktor sein. Eine aktuelle Datenerhebung kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass es Kindern im symmetrischen Wechselmodell nur dann gut geht, wenn die Eltern einvernehmliche Lösungen finden.[4] Das dürfte bei den Eltern, die die Regelung des Umgangs vor Gericht ausfechten, eher selten der Fall sein.[5]

Neben dem Kindeswohl darf der Blick auf die Mütter in den hier angesprochenen Konstellationen nicht fehlen: Solange vor der Trennung eine annähernd gleiche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit nicht stattgefunden hat, befindet sich die Frau häufig in einer ökonomisch instabileren Situation als der Mann. Diese Tatsache muss bei den vorgeschlagenen Neugestaltungen deutlicher berücksichtigt werden.

II. Stellungnahme im Einzelnen

Im Einzelnen nimmt der djb zu den Reformplänen wie folgt Stellung:

1. Gestaltung des elterlichen Sorgerechts („Elternschaftsvereinbarung“)

Eltern sollen nach den Vorschlägen des Justizministeriums über Vereinbarungen einvernehmliche Regelungen zum Sorgerecht treffen können. So soll unter Einbeziehung des Jugendamts die Einrichtung der Alleinsorge eines Elternteils bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge möglich sein, die Übertragung des Sorgerechts von einem Elternteil auf den anderen Elternteil oder die Einrichtung gemeinsamer elterlicher Sorge bei bisherigem alleinigem Sorgerecht.

Bisher ist gesetzlich geregelt, dass verheiratete Eltern grundsätzlich gemeinsam sorgeberechtigt sind. Eine nicht verheiratete Mutter und der rechtliche Vater eines Kindes können eine gemeinsame Sorgeerklärung abgeben, § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB. Wird keine solche Sorgeerklärung abgegeben, so kann die gemeinsame elterliche Sorge dadurch erreicht werden, dass die Eltern einander heiraten, § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB. Besteht kein Einvernehmen der unverheirateten Eltern bezüglich der Einrichtung der gemeinsamen Sorge, so entscheidet das Gericht, § 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB. Nur unverheiratete Eltern haben also die Möglichkeit, eine einvernehmliche Regelung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu treffen. Ist diese Erklärung einmal abgegeben, ist selbst eine einvernehmliche außergerichtliche Änderung nicht mehr möglich. Jede weitere Änderung muss zwingend im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens erfolgen, was mit Kosten verbunden ist, insbesondere dann, wenn das Gericht einen Verfahrensbeistand einsetzt.

Vor diesem Hintergrund ist die Gestaltungsmöglichkeit in Bezug auf die elterliche Sorge begrüßenswert. Die Eltern werden in ihrer Autonomie gestärkt und Gerichtsverfahren werden in einvernehmlichen Fällen vermieden. Aus frauenpolitischer Sicht ist insbesondere begrüßenswert, dass Elternvereinbarungen zum Sorgerecht vor allem bei Änderungen der gemeinsamen elterlichen Sorge hin zu Alleinsorge einfacher und niedrigschwelliger erfolgen können. Gerade bei längeren beruflichen Abwesenheiten oder auch gesundheitlichen Einschränkungen des anderen Elternteils werden Familien nicht mit gerichtlichen Verfahren belastet.

Im Eckpunktepapier dargestellt sind einvernehmliche Änderungen des gesamten Sorgerechts. Zu begrüßen wäre es, wenn die Möglichkeit geschaffen werden würde, Vereinbarungen auch über Teilbereiche der elterlichen Sorge zu treffen. So könnten die Eltern flexibel einvernehmlich zugewiesene Verantwortungsbereiche sorgerechtlich gestalten. Regelt ein Elternteil einvernehmlich mit dem anderen Elternteil die schulischen Belange des Kindes oder sämtliche behördliche Angelegenheiten, so könnte die Sorgerechtsvereinbarung Klarheit in der Praxis schaffen und Streitigkeiten mit Dritten (Schulen, Behörden, Banken) vermieden werden.

Aus dem Eckpunktepapier ergibt sich nicht, wie die Beteiligung des Jugendamts ausgestaltet sein soll. Möglich wäre etwa eine Beratungsmöglichkeit, wie es in § 18 Abs. 2 SGB VIII für die Abgabe einer Sorgeerklärung vorgesehen ist. Die Beteiligung des Jugendamtes könnte auch als Pflicht ausgestaltet werden, das heißt die beteiligten Eltern müssten die Beratung in Anspruch nehmen. Allein wegen der notwendigen Beurkundung wäre eine solche Pflichtberatung nach Auffassung des djb sinnvoll. Gerade mit Blick auf die Vertretungsbefugnisse im Rahmen der elterlichen Sorge und den Richtervorbehalt bzw. die Beurkundungspflichten nach § 1626a BGB, nach denen für außerhalb einer Ehe geborene Kinder ein Eintrag in das Sorgeregister (§ 58a Abs. 1 SGB VIII) erfolgt, braucht es hier eine Klärung im Gesetzgebungsgang.

Wir weisen im Übrigen darauf hin, dass die Jugendämter von den Kommunen getragen werden und für die vorgesehenen Aufgaben Personal bereithalten müssen. Die Überlegung, die Stellung des Jugendamtes als Mittler zwischen den Elternteilen zu stärken, darf nur zum Tragen kommen, wenn die notwendige personelle Ausstattung der Jugendämter in den Kommunen sichergestellt ist.[6] Das Bundesministerium der Justiz wird deshalb aufgefordert, auf die bessere Finanzierung der Jugendämter hinzuwirken. Bislang beschränkt sich der Beitrag des Bundes an den Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe auf solche nach § 83 Abs. 1 SGB VIII.

2. Sorgerechtsvereinbarungen mit Dritten

Das Eckpunktepapier sieht die Möglichkeit vor, dass die Sorgeberechtigten bis zu zwei weiteren Personen sorgerechtliche Befugnisse einräumen können. Bisher ist gesetzlich in § 1687b BGB vorgesehen, dass ein Ehegatte eines alleinsorgeberechtigten Elternteils, der nicht Elternteil des Kindes ist, im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil die Befugnis zur Mitentscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes hat. Solche sorgerechtlichen Befugnisse sollen nun über eine schriftliche Vereinbarung der beiden Sorgeberechtigen mit einer dritten (und ggf. vierten) Person vertraglich vereinbart werden können.

Die Eckpunkte sehen des Weiteren vor, dass Vereinbarungen von Eltern zur Regelung sorgerechtlicher Befugnisse Dritter jederzeit durch schriftliche Erklärung aufgelöst werden können. Bei zwei sorgeberechtigten Elternteilen ist vorgesehen, dass diese über die Auflösung der Vereinbarung gemeinsam entscheiden sollen. Das würde bedeuten, dass die sorgerechtlichen Befugnisse eines Dritten auch gegen den ausdrücklichen Willen eines sorgeberechtigten Elternteils aufrecht erhalten bleiben können. Das kann im Ergebnis so nicht richtig sein. Sind sich die sorgeberechtigten Eltern über die Auflösung einer Vereinbarung nicht einig, so muss nach Auffassung des djb ausreichend sein, dass eine sorgeberechtigte Person allein der dritten Person die sorgerechtlichen Befugnisse wieder entzieht.

3. Vollstreckbare Vereinbarungen über das Umgangsrecht zwischen den Eltern

Nach einer Beratung durch das Jugendamt sollen Eltern zukünftig einvernehmlich geschlossene Vereinbarungen zum Umgang durch Beurkundung der sofortigen Vollstreckung unterwerfen können. Hierdurch soll die Autonomie der Eltern gestärkt werden.

Richtig ist, dass im Streit der Eltern untereinander der bislang zwingende Weg zum Familiengericht durchaus eskalierend wirken kann und die Fachberatung durch die Jugendämter nur selten vorgeschaltet wird, obwohl hier leichter einvernehmliche Regelungen auf den Weg gebracht werden könnten. Solange allerdings die personellen Ressourcen bei den Jugendämtern nicht ganz erheblich aufgestockt werden (dazu bereits oben unter 1.), werden die streitigen Gerichtsverfahren kaum zurückgehen; denn nur bei einem Familiengericht können die Eltern binnen eines Monats auf einen Termin hoffen.

Gegen den Vorschlag bestehen jedoch auch erhebliche Bedenken; wir fordern deshalb, ihn nicht weiter zu verfolgen.

Voranzustellen ist, dass Eltern bereits jetzt – ob mit oder ohne Beteiligung des Jugendamts oder von Beratungsstellen – das Umgangsrecht einvernehmlich regeln können und auch sollen. In der Gestaltung sind die Eltern frei. Sie können die Umgangsregelung – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung des Kindeswohls – regeln, wie es zu ihrem Lebensentwurf passt.

Neu eingeführt werden soll die Möglichkeit, die Vereinbarung nach einer Beratung beim Jugendamt der sofortigen Vollstreckung zu unterwerfen. Damit wird jedoch nicht die Autonomie der Eltern gestärkt, sondern das Druckmittel des umgangsberechtigten Elternteils.

Der eingangs erwähnte Befund der ungleichen Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit führt in aller Regel zu finanziell unterschiedlichen Absicherungsmöglichkeiten der Elternteile. Damit geht häufig eine ökonomische Abhängigkeit des betreuenden Elternteils von dem umgangsberechtigten Elternteil einher, jedenfalls soweit dieser Kindesunterhalt, Trennungsunterhalt oder nachehelichen Unterhalt zu zahlen hat. Hier entsteht ein Machtgefälle zwischen dem umgangsberechtigten Elternteil und dem betreuenden Elternteil. Die Belastung von hauptsächlich oder alleinerziehenden Elternteilen ist gerade kurz nach der Trennung oft enorm; es sind die Umstrukturierung des Alltags, finanzielle Existenz- und Zukunftsängste zu bewältigen. Daher ist es aus Sicht des djb zwingend notwendig, die beratenden Fachkräfte im Jugendamt hinsichtlich der strukturellen geschlechtsbezogenen Machtgefälle zu sensibilisieren und zu gewährleisten, dass (haupt-)betreuende Elternteile nicht in (sofort vollstreckbare) Umgangsvereinbarungen gedrängt werden, die das Machtgefälle noch verstärken. Derartige Fortbildungen müssten gesetzlich geregelt werden; § 72 Abs. 3 SGB VIII sollte entsprechend ergänzt werden. Der djb gibt außerdem zu bedenken, dass Jugendämter schon jetzt am Rande ihrer Beratungskapazitäten stehen. Daher stellt sich die Frage, wie sie Eltern ohne Ausbau ihrer personellen Kapazitäten mit einer weiteren, so komplexen Aufgabe umfassend zu Seite stehen sollen (dazu auch oben unter 1.).

Hinzu kommt: Selbst für Anwält*innen und Richter*innen ist es mitunter schwierig, eine Umgangsvereinbarung in allen Feinheiten in eine vollstreckungsfähige Form zu gießen. Die Mitarbeitenden bei den Jugendämtern sollen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz als Sozialpädagog*innen, sozialpädagogische Assistent*innen oder Berater*innen mit anderer fachlicher Ausbildung mit den Eltern auf einvernehmliche Umgangsvereinbarungen hinarbeiten. Dies können sie aufgrund ihrer Profession leisten. Nicht zu ihren bisherigen Fachaufgaben gehört es, Vereinbarungen mit vollstreckungsfähigem Inhalt fertigen zu können. Es ist zu befürchten, dass Vereinbarungen nicht selten deshalb doch noch vor Gericht verhandelt werden müssen, weil sie gerade nicht vollstreckungsfähig sind. Die Beratungen zum Umgangsrecht in die Hände der Jugendämter zu legen, mag die Gerichte vorläufig entlasten, wird sie aber spätestens dann beschäftigen, wenn vollstreckbare Vereinbarungen voreilig getroffen worden sind, die abgeändert oder überhaupt erst wirksam gestaltet werden müssen.

Offen ist zudem, ob und unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen abgeändert werden können sollen. Wenn Vereinbarungen nach einer Beratung vom Jugendamt ebenso wie gerichtliche Vergleiche vollstreckbar sein sollen, müsste geklärt werden, ob die Abänderung nur unter den Voraussetzungen des § 1696 BGB erfolgen oder die Abänderung der Vereinbarung jederzeit möglich sein soll. Wenn eine Vollstreckungsunterwerfung bei einer außergerichtlichen Umgangsvereinbarung nach einer Beratung durch das Jugendamt gesetzlich normiert werden sollte, so ist aus Sicht des djb zwingend, die jederzeitige Abänderbarkeit aufzunehmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Vereinbarungen, die übereilt oder unter erheblichem Druck geschlossen wurden, keinen Bestand haben, wenn die Einvernehmlichkeit nicht fortbesteht.

4. Vereinbarung über das Umgangsrecht mit Dritten

Die Möglichkeit der Sorgeberechtigten, zukünftig auch mit Dritten Vereinbarungen über den Umgang mit ihren Kindern schließen zu können, ist zu begrüßen. Hier können sorgeberechtigte Eltern auch engen Bezugspersonen oder solchen, die es für das Kind werden sollen, Umgangsrechte einräumen. Die Eckpunkte sehen vor, dass Umgangsvereinbarungen mit Dritten auch vor der Zeugung des Kindes geschlossen werden können. Diese Möglichkeit eröffnet einen Weg für Familien, in denen zum Beispiel die soziale Mehrelternschaft gelebt werden soll, den sozialen Elternteil oder die gewünschten Bezugspersonen bereits vor der Zeugung des Kindes einzubeziehen und so von Anfang an für eine Verbindung sorgen zu können. Sie soll nicht vollstreckbar sein, was schon aus oben (unter 3.) dargestellten Gründen zu begrüßen ist. Die sorgeberechtigten Eltern und auch die dritte Person sollen die Vereinbarung jederzeit auflösen können. Nach der Auflösung der Vereinbarung sollen die Dritten das gesetzliche Umgangsrecht ausüben können.

Weiterhin wird vorgeschlagen, künftig im Rahmen einer Entscheidung über das Umgangsrecht gemäß § 1685 BGB oder § 1886a BGB eine vorherige Umgangsvereinbarung stärker als bisher zu berücksichtigen. Demnach soll eine gesetzliche Vermutung greifen, dass ein in der Vergangenheit auf Grund einer Vereinbarung ausgeübter Umgang dem Wohl des Kindes auch weiterhin dient. Dagegen wendet sich der djb. Unabhängig davon, ob der biologische Vater eine (intime) Beziehung zur Mutter hatte oder das Kind im Wege einer privaten Samenspende gezeugt wurde, sprechen nach Auffassung des djb viele Gründe dafür, es bei den ohnehin schon weitreichenden Rechten im Sinne des § 1686a BGB zu belassen. Gerade bei Streit zwischen dem nur leiblichen Vater und den rechtlichen Eltern spricht nichts dafür, pauschal eine Kindeswohldienlichkeit des Umgangs gesetzlich zu vermuten. Das Gesetz geht aktuell zutreffend davon aus, dass es an einer Tatsachengrundlage für eine derart weitreichende Vermutung fehlt. Gleichzeitig eröffnet das geltende Recht dem biologischen Vater (und anderen Bezugspersonen) den Nachweis einer Kindeswohldienlichkeit. Die vorgeschlagene Vermutungsregel würde die bislang normierte Feststellungslast bei vorangegangenem Umgang zulasten der sorgeberechtigten Eltern verschieben, obwohl die Entscheidung über den Umgang einen wesentlichen Teil der Elternverantwortung ausmacht, vgl. § 1632 Abs. 2 BGB. Die vorgeschlagene Neuregelung würde damit die Auflösung von Umgangsvereinbarungen im Rahmen gesetzlicher Umgangsrechte erschweren. Rechtsstreitigkeiten könnten dadurch forciert werden.

5. Erklärung über den Verzicht auf gesetzlichen Umgang

Die Möglichkeit, auf ein Umgangsrecht zu verzichten, ist grundsätzlich zu begrüßen. Ob es tatsächlich sinnvoll ist, das Recht des Kindes auf Umgang, welches nach Angaben in den Eckpunkten zur Stärkung der Rechte der Kinder beitragen soll, über das Recht des leiblichen Vaters auf Umgangsverzicht zu stellen, ist jedoch fraglich. Zum einen kann der Umgang, der vom leiblichen Vater nicht gewünscht ist, kaum kindeswohldienlich – geschweige denn durchsetzbar – sein. Zum anderen dürfte die Regelung auch dem Bedürfnis privater Samenspender nicht gerecht werden, dass ihr Umgangsverzicht sie im Ergebnis nicht vor (womöglich nicht gewünschten) Kontaktaufnahmen des Kindes schützt.

6. Gemeinsames Sorgerecht von nicht mit der Mutter verheiratetem Vater

Bei den Vorschlägen zum Sorgerecht eines mit der Mutter nicht verheirateten Vaters treten die Interessen der Mutter offensichtlich zu stark in den Hintergrund. Eine einseitige, beurkundete Erklärung des Vaters soll bei gemeinsamem Wohnsitz ausreichen, um das gemeinsame Sorgerecht einzurichten, wenn die Mutter dem nicht widerspricht.

Diesen Vorstoß lehnt der djb entschieden ab, denn er stellt weder für die Mutter noch für den Vater eine Erleichterung in praktischer Hinsicht dar: Sorgeerklärungen werden überwiegend beim Jugendamt abgegeben. In der Praxis wird die Abgabe der Sorgeerklärung bei Einvernehmlichkeit direkt bei der Anerkennung der Vaterschaft miterledigt. Der Gang zum Jugendamt bleibt der Mutter aufgrund der Vaterschaftsanerkennung, der sie ebenfalls zustimmen muss, nicht erspart. Wenn die Mutter eine Sorgeerklärung bei der Gelegenheit bewusst nicht abgibt, darf die einseitige Erklärung des Vaters nicht dazu führen, dass die gemeinsame elterliche Sorge dennoch eingerichtet wird. Hier steht ein Übergehen der Belange der Mutter zu befürchten, dem mit der Möglichkeit des Widerspruchs nicht genüge getan ist.

7. Partnerschaftliche Betreuung nach Trennung

Der djb sieht mit großer Sorge, dass unter Missachtung der aktuellen Erkenntnisse zur Kindeswohldienlichkeit[7] das Wechselmodell als Leitmodell für die Kinderbetreuung etabliert werden soll.[8] Für Kinder im Kleinkindalter sprechen aktuelle Daten gegen eine paritätische Betreuung unter Abwesenheit des hauptbetreuenden Elternteils, wenn die Betreuung des Kindes vor der Trennung nicht paritätisch erfolgt ist.[9] Die vorgesehene Leitempfehlung geht also zu Lasten von Kindern und trägt einseitig den Interessen von Vätern Rechnung, die sich vor einer Trennung wenig in der Kinderbetreuung engagiert haben. Gleichzeitig werden die berechtigten Interessen von Müttern und Kindern an einer Fortführung ihrer bisherigen Lebensgestaltung als weniger wichtig eingestuft.

Bedenklich erscheint es zudem, wenn Jugendämter vor allem zum Wechselmodell beraten sollen, ohne dass die wirtschaftlichen Konsequenzen vollständig mitbedacht werden. Wenn schon – wie nun vorgesehen[10] – Umgangskosten des Vaters im Umgangsverfahren berücksichtigt werden sollen, so wäre es doch an der Zeit, den Blick vollständig auf die finanziellen Folgen einer Aufenthalts- und Umgangslösung zu lenken. Vor allem wegen der zuletzt mit den Eckpunkten der Unterhaltsrechtsreform geplanten Beteiligung von Müttern an den Unterhaltskosten von Vätern bei ausgedehnter Mitbetreuung ist dies dringend notwendig. Sonst schaffen Eltern Umgangs- oder Aufenthaltssituationen, die finanziell von den oft in Teilzeit beschäftigten Müttern nicht gestemmt werden können.

Der Gesetzgeber muss mit Blick auf diese Bedenken sowie mit Blick auf das Kindeswohl klarstellen, dass die Betreuung im Wechselmodell nur dann angeraten (Jugendämter) bzw. angeordnet (Familiengerichte) werden soll, wenn eine (annähernd) paritätische Aufteilung von Betreuung und Erwerbsarbeit bereits während des Zusammenlebens praktiziert wurde.

Der djb begrüßt im Übrigen, dass das Wechselmodell – und auch die Kompetenzen der Familiengerichte zur Anordnung eines Wechselmodells im Streitfall – gesetzlich geregelt werden soll. Es begegnet jedoch Bedenken, dass dies auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) als Umgangsregelung erfolgen soll. Der BGH hatte in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung argumentiert und den Beteiligten ein Instrument an die Hand gegeben, um überhaupt eine gerichtlich verbindliche Lösung ihres Konflikts zu erreichen. In der Fachwelt besteht ungeachtet dieser Lösung erheblicher Streit darüber, ob die Anordnung der paritätischen Betreuung das Umgangsrecht (früher: Besuchsrecht) betrifft oder nicht eher das Sorgerecht. Auf dem Deutschen Juristentag 2018 plädierte eine deutliche Mehrheit dafür, die paritätische Betreuung als sorgerechtlichen Streitgegenstand einzuordnen. Dies entspricht auch nach Auffassung des djb der Bedeutung der Sache für Kinder und Eltern. Für die Praxis wäre die Regelung etwa als „sorgerechtliche Aufenthaltslösung“ im Rahmen des Aufenthaltsbestimmungsrechts unproblematisch, denn die Anordnungsbefugnis wäre ausdrücklich geregelt.

Damit würden auch die bestehenden Probleme im Rahmen einer Umgangslösung bereinigt, die der BGH nicht befürwortet, sondern lediglich hinnimmt. Probleme bereitet nämlich nach wie vor, dass eine im Umgangsverfahren getroffene Eilentscheidung unanfechtbar ist. Bislang unterbleiben geplante Umzüge und Arbeitsplatzwechsel teilweise über Monate und Jahre, weil eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren vor dem Familiengericht noch aussteht. Das ist für die Elternteile unerträglich, die kein Wechselmodell wollen. Und das sind – weil sie bislang während des Zusammenlebens überwiegend die Hauptverantwortung für die Kinder getragen haben – überwiegend Mütter. Spiegelbildlich erleben Väter, die ein Wechselmodell anstreben, dass eine ablehnende Entscheidung im Eilverfahren über Monate und Jahre verhindert, dass eine ggf. von ihnen und den Kindern favorisierte Aufenthaltslösung nicht umgesetzt wird. Es liegt also im Interesse aller Beteiligten, wenn Entscheidungen im Eilverfahren anfechtbar wären.

Eine Regelung im Rahmen des Sorgerechts würde außerdem bewirken, dass die Eltern – wie in § 1671 BGB aktuell zurecht vorgesehen – autonom über die Aufenthaltssituation entscheiden dürfen. Die Ausgestaltung als Umgangsregelung hätte zur Folge, dass das Familiengericht eine weitreichende Aufenthaltsregelung auch von Amts wegen anordnen darf, denn Umgangsverfahren sind Amtsverfahren (§ 24 FamFG).[11] Schreibt der Gesetzgeber das Wechselmodell als Umgangsregelung fest, wäre die Anordnung über die Köpfe der Eltern hinweg denkbar. Das scheint mit der Intention des Ministeriums unvereinbar, mehr Elternautonomie zu schaffen.

8. Schutz vor häuslicher Gewalt bei Sorge und Umgang

Die Vorschläge des Justizministeriums für einen besseren Schutz vor Partnergewalt in Familien auch nach einer Trennung begrüßt der djb ausdrücklich. Ein eigenständiger Schutzanspruch des gewaltbetroffenen Elternteils – in der Regel die Frau –, der nicht mehr über den Schutz des Kindeswohls abgleitet werden muss, ist für einen effektiven Gewaltschutz zwingend. Die bisherige (Nicht-)Umsetzung der seit mittlerweile sechs Jahren in Deutschland geltenden Istanbulkonvention (IK) hat gezeigt, dass die explizite Regelung eines solchen Schutzanspruchs zur Umsetzung des Art. 31 IK notwendig ist.

Ein effektiver Schutz von gewaltbetroffenen Frauen betrifft allerdings nicht nur die Regelung des Sorge-, sondern auch des Umgangsrechts. Frauen sind gerade dann massiver psychischer und/oder physischer Nachtrennungsgewalt ausgesetzt, wenn sie sich und ihr Kind weiterhin dem gewaltausübenden Elternteil aussetzen müssen.

Ein Gewalttäter wird – jedenfalls ohne bewusste Abstandnahme von seinem Gewaltverhalten – seinen Kontroll- und Beherrschungswillen nach einer Trennung beibehalten.[12] Umgangskontakte geben ihm Möglichkeiten, die einzelnen Familienmitglieder, auch vermittelt über ein Kind, weiterhin zu kontrollieren und Gewalt auf sie auszuüben. Daher braucht es auch bei der reformierten Umgangsregelung die Klarstellung, dass in Fällen von Partnergewalt nicht von der Kindeswohldienlichkeit des Umgangs mit dem gewaltausübenden Elternteil ausgegangen werden kann.

9. Stärkung der Kinderrechte

Soweit das Ministerium die Rechte von Kindern stärken möchte, begrüßt der djb das ausdrücklich. Es sollte insbesondere klargestellt werden, dass eine Bewertung des Kindeswohls auf die tatsächliche innere Verfasstheit von Kindern abstellen muss. Denn aktuelle Tendenzen dahin, ablehnende Haltungen von Kindern als Ergebnis einer Manipulation durch einen Elternteil zu betrachten, sind nach Auffassung des djb dringend zu begrenzen. Kinder müssen erleben können, dass ihre Meinung ernst genommen wird.

Hingegen darf für wissenschaftlich nicht haltbare Mythen wie etwa der sog. „Eltern-Kind-Entfremdung“ („Parental Alienation Syndrome“)[13] weder in der Fachberatung noch vor Gericht Raum sein. Gerade deshalb ist eine bessere Qualifizierung und Sensibilisierung der beteiligten Fachkräfte und Familienrichter*innen dringend erforderlich.

 

Ursula Matthiessen-Kreuder

Präsidentin

 

Prof. Dr. Anna Lena Göttsche

Vorsitzende der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht

 

 


[1] BMFSFJ (2022), Kinder, Haushalt, Pflege – Wer kümmert sich?, S. 14.

[2] Statistisches Bundesamt (Destatis), Personen in Elternzeit, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/elternzeit.html (Zugriff: 15.02.2024).

[3] Statistisches Bundesamt (Destatis), 66 % der erwerbstätigen Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 7 % der Väter, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N012_12.html (Zugriff: 15.02.2024).

[4] Steinbach/Augustijn/Helms/Schneider, Erste Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ (FAMOD): Zur Bedeutung des Wechselmodells für das kindliche Wohlbefinden nach elterlicher Trennung oder Scheidung, FamRZ 10/2021, S. 729ff.

[5] Vgl. zum Ganzen Göttsche, Paritätische Kinderbetreuung in Deutschland heute?, djbZ 2/2022, S. 58ff.

[6] Bereits jetzt können Beratungstermine z.T. nur mit mehrwöchiger Wartezeit angeboten werden. Vgl. zur Überlastungsproblematik bereits Poulsen, Stress und Belastung bei Fachkräften der Jugendhilfe, Wiesbaden 2012; aktuelle Medienberichte etwa hier: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-01/jugendaemter-belastungsgrenze-personalmangel-studie-report-mainz; https://perspektive-online.net/2023/02/interview-die-jugendhilfe-befindet-sich-am-kollaps/ (Zugriff: 15.02.2024).

[7] Steinbach/Augustijn/Helms/Schneider, Erste Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ (FAMOD): Zur Bedeutung des Wechselmodells für das kindliche Wohlbefinden nach elterlicher Trennung oder Scheidung, FamRZ 10/2021, S. 729ff.

[8] Vgl. hierzu bereits den Offenen Brief zum Erhalt der Vielfalt von Umgangsmodellen: https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st21-21_Offener_Brief_Vielfalt_Umgangsmodelle.pdf (Zugriff 15.02.2024).

[9] Zur Anordnung häufiger Übernachtungen oder gar einer paritätischen Betreuung für unter drei Jahre alte Kinder kritisch Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, F Rn. 562: Bis heute beweist keine Untersuchung, dass bei Kindern unter vier Jahren häufige Übernachtungen mit einer besseren Entwicklung einhergehen. Drei von vier Studien weisen auf ein erhöhtes Risiko einer unsicheren Bindungsqualität hin, wenn Kinder häufig Übernachtungsaufenthalte haben, wobei dieses durchaus durch das Konfliktniveau der Eltern bedingt sein kann.

[10] BMJ, Ein faires Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien: Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Modernisierung des Unterhaltsrechts vom 24.08.2023, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/Eckpunkte_Unterhaltsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Zugriff: 15.02.2024).

[11] Lies-Benachib, NZFam 2018, 581ff; BGH NZFam 2017, 988 mAnm Zempel; ebenso Anm. dazu Köhler ZKJ 2018, 9 (11); OLG Frankfurt a. M. FamRZ 2015, 1991, Rn. 15 m. w. N. = BeckRS 2015, 19096; OLG Frankfurt a. M., 27.6.2011 – 4 WF 144/11 = BeckRS 2014, 6420, Rn. 9; OLG Schleswig NJW 2018, 559 bespr. v. Dürbeck ZKJ 2018, 28; Bahrenfuss/Rüntz § 25 Rn.2; Prütting/Helms/Ahn-Roth Vorbemerkung zu §§ 23, 24 Rn. 3; Osthold FamRZ 2017, 1643 (1644).

[12] Vgl. ausführlich Heinke, (Kein) Umgang bei häuslicher Gewalt, djbZ 3/2022, S. 127f.

[13] Vgl. hierzu mit ausführlichen Nachweisen die Fachinformation des VAMV, abrufbar unter: https://vamv-bw.de/wp-content/uploads/2021/09/PAS-Onepager-10092021.pdf (Zugriff 15.02.2024).