Sehr geehrter Herr Minister Buschmann, sehr geehrte Bundesregierung,
wir bitten Sie dringend, Ihre Blockade-Haltung zu Art. 5 (Vergewaltigungsstraftatbestand) des Richtlinienentwurf (RL-E) für einen umfassenden und zugleich effektiven und durchsetzbaren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in allen EU-Mitgliedstaaten aufzugeben. Mit dieser Blockade-Haltung steht der Schutz von Millionen von Frauen vor Gewalt in der EU auf dem Spiel.
Wenn der Vergewaltigungsstraftatbestand (Art. 5 RL-E) nicht in die Richtlinie aufgenommen wird, droht das gesamte Vorhaben in den aktuellen Verhandlungen zu scheitern. Sollte das Vorhaben tatsächlich scheitern, besteht die realistische Gefahr, dass dieser historische Schritt hin zu effektivem Schutz für Frauen in der EU in den nächsten Jahren noch viel weiter in die Ferne rückt, da mit der anstehenden Europawahl ein signifikanter Rechtsruck befürchtet wird. Umfragen in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten, kombiniert mit Modellierungen zum Abschneiden der nationalen Parteien bei vergangenen Europaparlamentswahlen, zeigen, dass radikal rechte Parteien in neun Ländern, darunter Österreich, Frankreich und Polen, voraussichtlich an erster Stelle landen werden. Viele dieser Parteien verfolgen explizit anti-feministische Politik.
Hierum geht es:
Rund um den Frauentag im März 2022 präsentierte die EU-Kommission einen Entwurf für eine EU-Richtlinie, um in allen EU-Staaten Frauen besser vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Das ist historisch, noch nie zuvor gab es einen solchen Gesetzesentwurf zum besseren Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt. Die Situation verlangt es, denn sie ist tragisch: Jeden Tag werden zwischen 6 und 7 Frauen in Europa von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das sind 2.300 tote Frauen jedes Jahr - und das ist nur die offizielle Schätzung der UN. Jedes Jahr werden ca. 1,5 Millionen Frauen laut einer Schätzung auf Basis von EU-Daten vergewaltigt. Im Schnitt hat in der EU schon jede zweite Frau sexuelle Belästigung und jede dritte Frau sexualisierte oder körperliche Gewalt erfahren.
Der Kommissions-Entwurf vom März 2022 ist somit fast revolutionär: mit ihm soll beispielsweise der Vergewaltigungsstraftatbestand EU-weit im Sinne von Einvernehmlichkeit/Konsens harmonisiert werden, das bedeutet, dass Vergewaltigungen dann strafrechtlich zu verfolgen sind, wenn der Sexualakt nicht einvernehmlich ist. Doch der Richtlinien-Entwurf reguliert noch viel mehr. Der Richtlinienvorschlag würde folgende Maßnahmen umfassen: Er würde EU-weit mindestens sieben Formen von Gewalt gegen Frauen strafrechtlich harmonisieren, einschließlich fünf Formen von Online-Gewalt gegen Frauen, nämlich: nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material; Cyber-Mobbing; Cyber-Stalking; ungefragter Erhalt von sexuell explizitem Material und Cyber-Anstiftung zum Hass; weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsheirat.
Des Weiteren würde EU-weit der Opferschutz aller Betroffenen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verbessert, wobei Mindestregeln für Meldungen und den Zugang zur Justiz, Früheingriffe, Schutz und Unterstützung für Opfer festgelegt werden. Auch würden endlich Mindeststandards für die Datensammlung festgelegt und koordinierende Mechanismen sichergestellt werden.
Doch Hauptstreitpunkt in den Verhandlungen zwischen Europäischen Parlament und dem Rat ist die Harmonisierung des Vergewaltigungsstraftatbestands. Endlich soll EU-weit auf den Willen der Personen entscheidend abgestellt werden. Das ist so wichtig, denn 11 EU-Mitgliedsstaaten verwenden immer noch Definitionen von Vergewaltigung, die Gewaltanwendung oder Drohung als entscheidendes Unrechtsmerkmal markieren: Bulgarien, Tschechien, Estland, Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei, d.h., dass ein einfaches “Nein” des Opfers in diesen Fällen nicht ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Diese Gesetzgebung bietet dadurch nicht ausreichenden Schutz für Opfer, da sie typische Fälle von Vergewaltigungen, insbesondere in Nähebeziehungen wie Partnerschaften, nicht erfasst.
Doch Sie blockieren. Sie äußern Zweifel, ob die EU hier eine Rechtsgrundlage habe und berufen sich dabei auf ein juristisches Gutachten des Rates. Doch selbst dieses verwehrt nicht die Möglichkeit, den Vergewaltigungsstraftatbestand im Rahmen der Richtlinie zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen auf Grundlage der EU-Kompetenzgrundlage zu erlassen, wie die Juristinnen des Deutschen Juristinnenbundes aufzeigen. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und zahlreiche Frauen- und Menschenrechtsorganisationen und wir sind sich einig: effektiver Gewaltschutz darf nicht davon abhängen, in welchem Mitgliedsstaat eine Frau lebt.
Was nun noch gefährlicher ist: Aufgrund von Deutschlands und Frankreichs Blockadehaltung ist nun die komplette EU-Richtlinie in Gefahr, mit all den vielzähligen Neuerungen wie der Harmonisierung der Cyberdelikte. Frauenrechte werden hier mit mehr als nur Füßen getreten.
Sich gegen Rechtsextremismus und den Rechtsruck zu stellen, muss auch bedeuten, Frauenrechte zu verteidigen und für sie einzustehen. Denn diese sind mit die ersten Opfer rechter Politik.
Deutschland muss die Blockade-Haltung aufgeben und sich klar positionieren, denn auch auf internationaler Ebene verspielt Deutschland sonst jede Glaubwürdigkeit und verliert an Verhandlungsmacht: Wenn ein Zugeständnis auf EU-Ebene Frauenrechte adäquat zu schützen ausbleibt, kann Deutschland sich nicht international als Vorreiter und Verfechter für diese Rechte positionieren. Eine Zustimmung zu einer umfassenden EU-Richtlinie hätte somit eine bedeutende Signalwirkung auch an andere Länder.
Sehr geehrter Herr Buschmann, sehr geehrte Bundesregierung: Bitte beenden Sie sofort Ihre Blockade-Haltung und stehen Sie nicht dem Schutz von Millionen von Frauen vor Gewalt in der EU im Wege.
Initiatorin und Erstunterzeichnerinnen:
Kristina Lunz, Centre for Feminist Foreign Policy
Düzen Tekkal, HÁWAR.help
Luisa Neubauer
Mitzeichnende Organisationen:
Centre for Feminist Foreign Policy
Deutscher Frauenrat e.V.
Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb)
European's Women Lobby
FRAUEN100
HÁWAR.help e.V.
Stiftung Alltagsheld:innen
Women's International League for Peace and Freedom Deutschland