Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) begrüßt, dass der Referent*innenenentwurf (RefE) bundeseinheitliche Verbotsnormen sowie Sanktionsmechanismen für sog. Gehsteigbelästigungen und weitere flankierende Maßnahmen vorsieht. Denn Gehsteigbelästigungen sind keine Bagatellen, sondern verletzen das reproduktive Selbstbestimmungsrecht schwangerer Personen, insbesondere von Frauen, als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ebenso wie die Persönlichkeitsrechte und die Berufsfreiheit von Beratungspersonal und Personal von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Die im RefE vorgesehenen Maßnahmen sind auch vor dem Hintergrund der bereits defizitären Versorgungslage im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen zu betrachten, die sich durch sog. Gehsteigbelästigungen noch mehr verschlechtert. Gelungen ist der RefE besonders dahingehend, dass er den Umfang des Sicherstellungsauftrags der Länder klarstellt und eine Ausweitung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen vorsieht. Allerdings sind Einzelheiten des RefE, insbesondere die konkrete Ausgestaltung der Tathandlungen der Verbots- sowie Sanktionsnormen, zu kritisieren.
I. Klarstellung des Umfangs des Sicherstellungsauftrags der Länder – Änderung der § 8 Abs. 1 S. 1 und § 13 Abs. 2 SchKG-E
Der djb begrüßt die Klarstellung des Sicherstellungsauftrags der Länder in § 8 Abs. 1 S. 1 SchKG-E für Beratungsstellen sowie in § 13 Abs. 2 SchKG-E für Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Ergänzung „und den ungehinderten Zugang zu diesen“. Auch der djb sieht es als erforderlich an, dass die Länder neben einem ausreichend pluralen Angebot wohnortnaher Beratungsstellen und Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen auch den faktischen Zugang zu diesen sicherstellen müssen. Es liegt in der Verantwortung der Länder, bestehende Barrieren abzubauen und jeder schwangeren Person den ungehinderten Zugang zu Beratungsstellen zu ermöglichen. Dies ergibt sich daraus, dass schwangere Personen ein menschenrechtlich garantiertes Recht auf Beratung haben. Dieses Recht können schwangere Personen allerdings nur dann ausüben, wenn der faktische Zugang zu Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sichergestellt ist. Dies gilt vor allem angesichts der defizitären Versorgungslage, die auch auf die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die damit einhergehende Stigmatisierung zurückzuführen ist.
II. Verbotsnormen – Änderungen der §§ 8 Abs. 2, 3 und 13 Abs. 3, 4 SchKG-E
Der djb begrüßt eine bundeseinheitliche Regelung von sogenannten Schutzzonen in § 8 Abs. 2 SchKG-E für Beratungsstellen und in § 13 Abs. 3 SchKG-E für Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nachdrücklich. Auch befürwortet er das in § 8 Abs. 3 und § 13 Abs. 4 SchKG-E geregelte Verbot, Personal von Beratungsstellen und Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen bei der Durchführung ihrer Arbeit bewusst zu behindern.
Bislang mangelt es an geeigneten präventiven Mitteln, um Gehsteigbelästigungen begegnen zu können. Sie sind aber notwendig, damit der ungehinderte Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen abgesichert ist und die reproduktiven Rechte schwangerer Personen, insbesondere von Frauen, gestärkt werden. Sie sind zudem auch völkerrechtlich geboten. Allerdings besteht im Einzelnen Nachbesserungsbedarf bezüglich der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen.
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Für eine bundeseinheitliche Regelung von Verbotsnormen besteht eine Kompetenzgrundlage. Der djb hat in der Vergangenheit bereits ausgeführt, dass eine Kompetenz des Bundes aus einer Annexkompetenz zu der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 GG ergibt.[1] Im Übrigen teil er die Ausführungen des RefE.
Gehsteigbelästigungen haben für schwangere Personen einen abschreckenden und stigmatisierenden Effekt. Sie sind dazu geeignet, schwangere Personen tatsächlich davon abzuhalten, eine Beratung oder einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch zu nehmen.
Den Staat trifft hier eine Schutzpflicht, den ungehinderten Zugang zu Beratungen und Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen zu gewährleisten, indem er Gehsteigbelästigungen und andere Formen aufgedrängter Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen unterbindet.[2] Ungeachtet dessen, dass der Staat schwangeren Personen eine Beratungspflicht auferlegt,[3] resultiert diese Schutzpflicht verfassungsrechtlich aus dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person.[4]
Eine bundeseinheitliche Regelung ist vor allem deswegen notwendig, um einen einheitlichen Schutz der Persönlichkeitsrechte der schwangeren Personen sicherzustellen. Zwar ist es für Vollzugsbehörden bereits jetzt möglich, Versammlungsverbote für sog. Gehsteigbelästigungen auszusprechen, von dieser Möglichkeit machen sie allerdings aufgrund der Länderzuständigkeit nur vereinzelt und uneinheitlich Gebrauch.[5] Auch die Rechtsprechung ist äußerst uneinheitlich.[6]
Richtigerweise müssen Vollzugsbehörden, um Versammlungsverbote verhängen zu können, die Rechte schwangerer Personen mit den Rechten der Abtreibungsgegner*innen umfassend abwägen. Dies erfordert eine komplexe Prüfung, die die Vollzugsbehörden überfordern kann.[7] Weder können sie auf eine gefestigte Rechtsprechung noch auf eine bundesgesetzliche eindeutige Gesetzesregelung zurückgreifen. Daher ist eine klarstellende, bundeseinheitliche Regelung, die das Spannungsverhältnis der Positionen bereits in einen Ausgleich gebracht hat, für die Vollzugsbehörden zu begrüßen. Dabei bleibt den Landesbehörden immer noch die Möglichkeit, einzelfallgerecht zu handeln. Darüber hinaus ist eine solche Regelung aber auch für schwangere Personen dringend notwendig, die nicht mehr der Rechtsunsicherheit durch eine uneinheitliche Vorgehensweise der Vollzugsbehörden ausgesetzt sind, sondern nunmehr einen bundeseinheitlichen Schutz durch sie erwarten dürfen. Auch ein vorläufiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz konnte dem Phänomen von Gehsteigbelästigungen bislang nicht abhelfen und wird es auch zukünftig nicht können. Es ist schwangeren Personen nicht nur schlichtweg unzumutbar, individuellen Rechtsschutz suchen zu müssen. In vielen Situationen werden sie dies tatsächlich nicht können, etwa dann, wenn sie keine Kenntnis von geplanten Gehsteigbelästigungen haben. Auch ein nachträgliches Ersuchen gerichtlichen Rechtsschutzes macht eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht rückgängig und genügt angesichts des kritischen Faktors der Zeit bei der Beratung und der Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nicht.
Aus diesen Gründen bedarf es insbesondere präventiver Mittel wie den vorgeschlagenen Schutzzonen, um Gehsteigbelästigungen entgegenzutreten.
2. Völkerrechtliche Grundlagen
Die Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen und die schrittweise Gewährleistung reproduktiver Selbstbestimmungsrechte, wozu schlussendlich auch die noch ausstehende Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gehört, ist auch völkerrechtlich geboten und erforderlich. Die Gleichheit aller Menschen ist im UN-Zivilpakt völkerrechtlich gewährleistet. Die UN-Frauenrechtskonvention verpflichtet Deutschland, aktiv gegen Geschlechterstereotype und misogyne Vorstellungen, Praxen und Strukturen vorzugehen. Auch reproduktive Selbstbestimmungsrechte sind völkerrechtlich verankert und gewährleistet, etwa in der UN-Frauenrechtskonvention, der UN-Behindertenkonvention oder dem UN-Zivilpakt. Deutschland hat diese Übereinkommen ratifiziert, sodass sie gemäß Artikel 59 Abs. 2 GG im Rang von Bundesgesetzen gelten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind sie von allen staatlichen Autoritäten bei der Setzung, Auslegung und Anwendung von Recht regelmäßig heranzuziehen.
In Artikel 16 Abs. 1 (e) UN-Frauenrechtskonvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um das gleiche Recht von Männern und Frauen auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über Anzahl und Altersunterschied ihrer Kinder sowie auf Zugang zu den zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Informationen, Bildungseinrichtungen und Mitteln zu gewährleisten. Aus völkerrechtlicher Perspektive ist deshalb der effektive Schutz von schwangeren Personen vor Belästigung und aufgezwungener Meinungsäußerung beim Zugang zu Beratungsstellen und zu Orten, an denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, unabdingbar und dringend erforderlich.
Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats weist in der Resolution 2439 (Access to abortion in Europe: stopping anti-choice harassment) darauf hin, dass Staaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen sollten, um sicherzustellen, dass die Behinderung des Zugangs einer Person zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen, etwa auch durch Online-Aktivitäten strafrechtlich oder anderweitig geahndet wird.[8] Zudem fordert sie ein Verbot für Anti-Choice-Organisationen, sich fälschlicherweise als neutrale oder Pro-Choice-Organisationen auszugeben.
Die im RefE geplante bundeseinheitliche Neuregelung schafft insofern der bisherigen völkerrechtswidrigen Situation grundsätzlich Abhilfe.
3. Tatbestandsvoraussetzungen der Verbotsnorm und Bußgeldvorschrift
Der RefE normiert einen Katalog von Handlungen, die in einem Abstand von 100 m vor Beratungsstellen oder Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen zu unterlassen sind. Mit der Einführung einer Verbotsnorm setzt der RefE grundsätzlich eine Forderung des djb[9] um und ist daher zu begrüßen.
Allerdings regt der djb an, die erhöhten, insbesondere subjektiven Anforderungen, die der RefE uneinheitlich an einzelne Tatbestandsvarianten stellt, zu streichen.
a. absichtliches Hindernisbereiten, § 8 Abs. 2 Nr. 1 und § 13 Abs. 3 Nr. 1 SchKG-E
Zunächst ist das Absichtserfordernis in § 8 Abs. 2 Nr. 1 und § 13 Abs. 3 Nr. 1 SchKG-E zu streichen. Denn eine ebenso erhebliche, zu unterlassende Handlung kann vorliegen, wenn Personen zwar nicht absichtlich handeln, aber in Kauf nehmen, dass schwangeren Personen das Betreten infolge des Hindernisses erschwert ist oder dass sie ihre Meinung der schwangeren Person aufdrängen. Auch in diesem Fall ist ein Verhalten konkret geeignet, die Inanspruchnahme von Beratungen oder eines Schwangerschaftsabbruchs einzuschränken. Dabei ist vor allem nicht ersichtlich, wieso der RefE bezüglich eines Hindernisbereitens eine Absicht fordert und bei den Tathandlungen nach § 8 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 und § 13 Abs. 3 Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 SchKG-E einen einfachen Vorsatz ausreichen lässt.
Die Begründung des RefE verweist insoweit darauf, dass ein absichtliches Handeln erforderlich ist, damit das unbewusste Im-Weg-Stehen oder das Durchführen von Bauarbeiten nicht in den Anwendungsbereich fallen.[10] Dabei verkennt der RefE, dass eine solche subjektive Komponente ungeeignet ist, um entsprechende Fälle auszuklammern. Gerade in Fällen von Baustellen kann es u.a. aus Gründen der Gefahrenabwehr beabsichtigt sein, die Baustelle abzusperren und hierdurch ein Hindernis zu bereiten. Der intendierte Zweck des Absichtserfordernisses könnte daher besser durch eine Zweckbindung des physischen Hindernisses erreicht werden. Zweck des Hindernisses muss aus Sicht der handelnden Person sein, die schwangere Person in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen und hierdurch in ihrem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht zu verletzen. Dies könnte durch den Zusatz im Tatbestand, ähnlich wie bei § 8 Abs. 2 Nr. 3 und § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG-E, „um sie in ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu beeinflussen“ bewirkt werden.
b. wissentliches Aufdrängen gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen, § 8 Abs. 2 Nr. 2 und § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG-E
Auch die subjektive Voraussetzung des „wissentlichen“ Handelns zur Verwirklichung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 und § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG-E ist aus Sicht des djb zu streichen. Der RefE begründet dieses subjektive Erfordernis mit der Verhältnismäßigkeit, denn in Rede stehe die Meinungsfreiheit der „belästigenden“ Personen.[11] Die Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG schützt zwar die Meinungsäußerung, nicht aber, dass sie tatsächlich von anderen wahrgenommen werden kann, insbesondere nicht durch eine bestimmte Personengruppe, um sie unter Druck zu setzen und ihr die Meinung aufzudrängen. Dem Interesse an einer Meinungsäußerung stehen insbesondere die Rechte der schwangeren Person, namentlich ihr reproduktives Selbstbestimmungsrecht gegenüber. Die schwangere Person befindet sich bei der Inanspruchnahme einer Beratung oder eines Schwangerschaftsabbruchs hierbei in einer vulnerablen Situation.[12] Entscheidungen über einen Schwangerschaftsabbruch sind höchstpersönliche Entscheidungen, welche der Intimsphäre angehören und damit grundsätzlich besonders schützenswert sind.[13] Das Aufsuchen von Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, steht in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu dieser Entscheidung.[14] Eine gesteigerte Wissenskomponente verlagert die Verantwortlichkeit für das Abwenden der ungefragten und aufgedrängten Meinungsäußerung hingegen auf die schwangere Person. Wenngleich das Grundrecht der Meinungsfreiheit angemessen zu berücksichtigen ist, wäre dem bereits mit dem einfachen Vorsatz Genüge getan. Dem Schutz der bloßen Meinungsäußerung wird bereits durch das einschränkende Merkmal des „Aufdrängens“ Rechnung getragen. Denn auch auf dieses Merkmal muss sich der Vorsatz beziehen. Zur Abgrenzung zwischen bloßen und aufgedrängten Meinungsäußerungen bedarf es also nicht der subjektiv erhöhten Anforderung einer Wissentlichkeit. Außerdem wird die hier in Rede stehende Meinungsäußerung nicht in Gänze eingeschränkt, sondern lediglich in einem sensiblen, umgrenzten Bereich um Beratungsstellen und Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.
Dies verkennt der RefE bei der Abwägung, wenn dort gefordert wird, dass die Person, die ihre Meinung aufdrängt, wissentlich handelt.
Aus ähnlichen Gründen setzt auch das zusätzliche Erfordernis des „gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen“ der schwangeren Person zu hohe Anforderungen. Ein Aufdrängen findet häufig bereits statt, bevor die schwangere Person ihren entgegenstehenden Willen ausdrücken oder gar bilden kann, etwa dann, wenn sie unvermittelt angesprochen wird. Wiederum konterkariert der RefE den intendierten präventiven Schutz der Rechte der schwangeren Person, wenn er verlangt, dass sie ihren entgegenstehenden Willen auf eine erkennbare Art und Weise vermittelt. Der schwangeren Person wird hiermit eine „Quasi-Verantwortung“ auferlegt, nicht nur ihren entgegenstehenden Willen vor sog. Gehsteigbelästigungen zu vermitteln, sondern dies auch auf eine objektiv erkennbare Art und Weise zu tun. Dabei ist zum einen bereits grundsätzlich davon auszugehen, dass die schwangere Person in räumlicher Nähe zu einer Beratungsstelle oder einer Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, kein Interesse an einer aufgedrängten Meinungsäußerung hat: entweder, weil sie bereits eine Entscheidung getroffen hat, oder weil sie sich bewusst Hilfe durch die Beratungsstelle suchen will. Zum anderen kann sich die schwangere Person, wie der RefE an mehreren Stellen richtigerweise erkennt, vor Aufsuchen einer Beratungsstelle in einer physischen und psychischen Belastungssituation befinden, die eines besonderen Schutzes vor aufdrängenden Meinungsäußerungen bedarf.
c. erhebliches unter Druck setzen, § 8 Abs. 2 Nr. 3 und § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG-E
Der djb spricht sich dafür aus, bei der Tathandlung der § 8 Abs. 2 Nr. 3 und § 13 Abs. 3 Nr. 3 SchKG-E das Tatbestandsmerkmal des „erheblich unter Druck setzen“ zu ändern.
Zum einen ist das Kriterium „erheblich“ kritisch zu sehen und bereits daher zu streichen. Denn dieses birgt die Gefahr einer einengenden Auslegung und wird zudem der vulnerablen Situation der schwangeren Person nicht gerecht. Dabei lässt der RefE vor allem offen, ob er „erheblich“ subjektiv oder objektiv auslegen möchte, d.h. aus der Perspektive der schwangeren Person oder der eines objektiven Dritten.
Zum anderen spricht sich der djb für eine Klarstellung aus, dass es sich bei dieser Tatbestandsvariante um ein Gefährdungsdelikt und nicht um Erfolgsdelikt handelt. Die Tathandlung sollte nicht einen konkreten Erfolg i.S.e. tatsächlichen „unter Druck gesetzt Werdens“ voraussetzen, sondern die Geeignetheit hierzu genügen lassen. Wie bereits Erfahrungen mit dem Straftatbestand der Nachstellung gemäß § 238 StGB zeigen, darf es nicht auf die Resilienz der Betroffenen ankommen.[15] Die Ausgestaltung als konkretes Erfolgsdelikt würde zudem weitere Hürden für Betroffene in der Wahrnehmung ihrer Rechte schaffen, da sie im Zweifelsfall ihre Betroffenheit nachweisen müssten. Daher regt der djb an, den Wortlaut, ähnlich wie bei den Tatbestandsvarianten nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 b) und § 13 Abs. 3 Nr. 5 b) SchKG-E, um ein „geeignet sein“ zu ergänzen.
d. bewusstes Behindern des Personals, § 8 Abs. 3 und § 13 Abs. 4 SchKG-E
Auch das Erfordernis eines „bewussten Behinderns“ von Beratungspersonal oder medizinischem Fachpersonal bei der Durchführung seiner Arbeit ist nicht mit dem Ziel des RefE, der Verbesserung des faktischen Zugangs zu Beratung und Schwangerschaftsabbrüchen, in Einklang zu bringen. Der RefE fordert hier einen direkten Vorsatz.[16] Dabei berücksichtigt er nicht, dass sich die stigmatisierende Wirkung von Gehsteigbelästigungen und anderen Formen aufgedrängter Meinungen bereits objektiv aus der Handlung ergibt. Sie sind nicht nur deswegen schädlich, da sie schwangere Personen davon abhalten können, sich beraten zu lassen oder ihre frei getroffene Entscheidung, einen Abbruch vorzunehmen, zu realisieren, sondern auch, weil sie die Arbeit von Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, behindern. Gehsteigbelästigungen verletzen daher ebenso die Persönlichkeitsrechte und die Berufsfreiheit von Beratungspersonal und Personal Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.[17] Tagtägliche Konfrontationen mit sog. Gehsteigbelästigungen und anderen Formen aufgedrängter Meinungsäußerung können dazu beitragen, dass sich Personen entweder von vorneherein gegen den Beruf entscheiden oder Beratungspersonal und medizinisches Fachpersonal den Beruf nicht mehr ausüben will. Sie besitzen damit ein erhebliches „Störpotential“ und können die defizitäre Versorgungslage weiter verschärfen. Der RefE sieht diesen Aspekt,[18] verkennt ihn allerdings in der Abwägung, indem er erhöhte subjektive Anforderungen voraussetzt.
Durch die Streichung des Absichtserfordernisses besteht zudem nicht wie bei § 8 Abs. 2 Nr. 1 und § 13 Abs. 3 Nr, 1 SchKG-E die Gefahr einer ausufernden Verbotsnorm, die beispielsweise neutrale Handlungen im Zusammenhang mit Baustellen erfasst. Durch den erforderlichen engen Bezug der Handlung zu der Tätigkeit des Beratungspersonals und des medizinischen Personals („bei der Durchführung“, „bei der Vornahme“, „bei der Aufklärung“) wird der Anwendungsbereich der Tatbestandsvariante bereits hinreichend eingeschränkt. Aus Sicht des djb sollte daher ein einfacher Vorsatz genügen.
III. Einführung eines OWi -Tatbestandes, § 35 SchKG-E
Der RefE sieht einen Ordnungswidrigkeiten (OWi) -Tatbestand in § 35 SchKG-E vor, der den bisherigen § 14 SchKG ersetzen soll. Er knüpft hierbei an die Tatbestände des § 8 Abs. 2, Abs. 3 und § 13 Abs. 3, Abs. 4 SchKG-E an und sieht Sanktionen für entsprechende Verstöße vor.
Der djb begrüßt grundsätzlich die Einführung eines OWi-Tatbestandes. Es bedarf geeigneter Sanktionsmittel für Verstöße gegen § 8 Abs. 2, Abs. 2 und § 13 Abs. 3 und Abs. 4 SchKG-E. Ein OWi-Tatbestand ist deswegen für derartige Rechts(guts)verletzungen geeignet, da er eine flexible Reaktion auf entsprechende Verstöße erlaubt. Der vorgesehene Bußgeldrahmen von bis zu 5.000 €[19] ist aus Sicht des djb eine angemessene Reaktionsmöglichkeit.
Da der in § 35 SchKG-E neu angeführte OWi-Tatbestand an die Tatbestände der § 8 Abs. 2, Abs. 3 und § 13 Abs. 3, Abs. 4 SchKG-E anknüpft und selbst hinsichtlich einzelner Tatbestandsvarianten erhöhte subjektive Elemente voraussetzt, gelten die oben zu den Verbotsnormen angeführten Kritikpunkte gleichermaßen.
IV. Ausweitung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen, § 16 SchKG-E
Nach § 16 Abs. 3 SchKG-E wird die statistische Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen um eine jährliche regionale Auswertung der Kreise und kreisfreien Städte unterhalb der Landesebene ergänzt. Die Länder erhalten hierzu ergänzende statistische Informationen über das bestehende und wahrgenommene Angebot zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen. Insbesondere angesichts des Versorgungsungleichgewichts innerhalb Deutschlands befürwortet der djb eine solche Erfassung. So muss in Bayern eine schwangere Person bis zu 100 km reisen, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen zu können. Damit die Länder ihrem Sicherstellungsauftrag nach § 13 Abs. 2 SchkG gerecht werden und den regionalen Unterschieden abhelfen können, bedarf es zunächst einer Erfassung dieses Phänomens. Ziel sollte es sein, für jede schwangere Person Schwangerschaftsabbrüche barrierearm zugänglich zu machen und bestehende Hürden abzubauen. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass bei der Entscheidung über den Erhebungszeitraum die Persönlichkeitsrechte der schwangeren Person berücksichtigt werden, sodass Geheimhaltungsansprüche gewahrt werden können.
V. Weitergehende Forderungen des djb
Der RefE ist ein begrüßenswerter erster Schritt, um der defizitären Versorgungslage von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland zu begegnen, um geschlechtsbezogene Gewalt und Diskriminierung im Einklang mit völkerrechtlichen Pflichten schrittweise abzubauen und um die grundrechtlich und völkerrechtlich geschützten reproduktiven Selbstbestimmungsrechte schwangerer Personen und insbesondere von Frauen zu stärken.
Da Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stehen, kann der Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und der Belästigung und Einschüchterung betroffener Personen jedoch nur punktuell entgegengewirkt werden. Nur durch eine Entkriminalisierung selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche kann eine nachhaltige (gesellschaftliche) Entstigmatisierung erfolgen.[20] Die Regelungen zur Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in §§ 218 ff. Strafgesetzbuch müssen daher dringend gestrichen und selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden. Eine Entkriminalisierung ist auch völkerrechtlich geboten, um die etwa im UN-Zivilpakt gewährleistete Gleichheit aller Menschen umzusetzen.
Zusätzlich zu den im RefE enthaltenen Neuregelungen bedarf es allerdings weiterer flankierender Maßnahmen, um den faktischen Zugang zu Beratung und Schwangerschaftsabbrüchen auch zukünftig zu gewährleisten; etwa der Übernahme selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzlichen Krankenversicherungen oder dem Ausbau und der Finanzierung von Familienplanungsdiensten.[21]
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Céline Feldmann
Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch
[2] Vgl. auch RefE, S. 13.
[3] Kritisch djb, st22-26 vom 08.12.2022.
[4]Fontana, Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen», S. 23, https://www.gwi-boell.de/de/rechtsgutachten-zur-verbesserung-des-zugangs-zur-schwangerschaftskonfliktberatung (letzter Zugriff 11.12.2023).
[5] Vgl. auch Bredler, Schwangerschaftsabbruch und öffentlicher Raum, Kritische Justiz 2022, 34- 45.
[6] Siehe bereits djb, st23-11 vom 02.05.2023.
[7] Vgl. auch Fontana, Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen», S. 36 f, https://www.gwi-boell.de/de/rechtsgutachten-zur-verbesserung-des-zugangs-zur-schwangerschaftskonfliktberatung (letzter Zugriff 11.12.2023).
[8] siehe Parlamentarische Versammlung des Europarats, Resolution 2439 (2022), para. 10.1. Solche Resolutionen sind nach Art. 22 der Satzung des Europarats zwar nicht rechtsverbindlich, aber beinhalten Meinungsäußerungen der Versammlung mit empfehlendem Charakter.
[9] djb, st23-11 vom 02.05.2023.
[10] RefE S. 23, 24.
[11] RefE S. 24.
[12] Vgl. auch RefE, S. 13.
[13]Fontana, Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen», S. 8, https://www.gwi-boell.de/de/rechtsgutachten-zur-verbesserung-des-zugangs-zur-schwangerschaftskonfliktberatung (letzter Zugriff 11.12.2023).
[14] Umfassend zum verfassungsrechtlich Schutz Fontana, Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen», S. 7 ff.
[15] Vgl. umfassend zu § 238 StGB aF djb, st 16-12 vom 06.05.2016.
[16] RefE, S. 26.
[17] Umfassend hierzu Fontana, Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld «Gehsteigbelästigungen», S. 9 ff, https://www.gwi-boell.de/de/rechtsgutachten-zur-verbesserung-des-zugangs-zur-schwangerschaftskonfliktberatung (letzter Zugriff 11.12.2023)..
[18] RefE, S.17.
[19] RefE, S.28.