Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer möglichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs und begrüßt dieses Vorhaben explizit.
A. Erfordernis einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Der Schwangerschaftsabbruch ist im deutschen Recht u. a. in den §§ 218 ff. StGB und dem SchKG geregelt. Hiernach stellt das deutsche Recht den Schwangerschaftsabbruch in § 218 StGB grundsätzlich unter Strafe. Ausnahmen sind in den §§ 218a ff. StGB geregelt. Eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs mit Mitteln des Strafrechts stößt jedoch aus heutiger Perspektive auf erhebliche Bedenken.
Seit der Neufassung der §§ 218 ff. StGB vor knapp 30 Jahren sind signifikante Änderungen auf der Ebene des internationalen Rechts eingetreten. Insbesondere sind die sog. reproduktiven Rechte seit der Kairo-Konferenz 1994 menschenrechtlich etabliert.[1] Dazu zählt das Recht zur freien Entscheidung, ob und mit welchen Mitteln jemand Kinder bekommen möchte. Ebenso abgesichert wird das Recht auf lebenslangen Zugang zu Informationen, Ressourcen, Dienstleistungen und Unterstützung, die notwendig sind, um diese Entscheidung frei von Diskriminierung, Zwang, Ausbeutung und Gewalt treffen zu können. Heute sind reproduktive Rechte anerkannter Bestandteil des Menschenrechtsschutzes.[2]
Es hat sich zudem gezeigt, dass die seit knapp 30 Jahren geltende deutsche Regelung den Zugang zu straffreien Abbrüchen in der Praxis nur unzureichend absichert. Die Versorgungslage in Deutschland ist defizitär.[3] Die Zahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hat sich zwischen 2003 und 2021 fast halbiert.[4] Gerade in ländlichen Regionen gibt es vielerorts gar keine Einrichtungen mehr, sodass ungewollt schwangere Personen lange Anreisewege auf sich nehmen müssen.[5]
Vor diesem Hintergrund setzt sich der Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb) für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein, die sich am reproduktiven Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität schwangerer Personen orientiert. Weiterhin spricht sich der djb für eine Verbesserung der Versorgungslage ungewollt schwangerer Personen aus. Zudem muss sichergestellt werden, dass jede Person, die eine Schwangerschaft austragen möchte, die individuell notwendige Unterstützung erhält. Insofern möchte der djb den Schwangerschaftsabbruch nicht nur unter dem Paradigma der reproduktiven Freiheit oder der reproduktiven Rechte, sondern unter dem noch weiteren Paradigma der reproduktivenGerechtigkeit[6] verstanden wissen. Der Begriff entstammt dem wissenschaftlichen und aktivistischen Diskurs Schwarzer Feministinnen (mit originärem Bezug zu den USA) und transportiert den auch intersektionalen Anspruch der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit.
B. Defizite des derzeitigen strafrechtlichen Regelungsmodells
Die Notwendigkeit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches wird mit Blick auf die Defizite des derzeitigen Beratungsmodells deutlich. Für eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches sprechen vor allem das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person, das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts, die Stigmatisierungseffekte strafrechtlicher Regelungen und letztendlich, dass keine Gefahr vermehrter Spätabbrüche durch eine Entkriminalisierung besteht.
1. Keine hinreichende Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts
Das derzeitige Regelungsmodell des Schwangerschaftsabbruchs trägt der Bedeutsamkeit des Selbstbestimmungsrechts der schwangeren Person nicht hinreichend Rechnung. Dabei ist die Entscheidung über den Abbruch einer Schwangerschaft als Teil des (reproduktiven) Selbstbestimmungsrechts der ungewollt schwangeren Person (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), deren Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 GG) und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 GG) verfassungsrechtlich geschützt.[7] Sowohl erzwungene Schwangerschaftsabbrüche als auch erzwungene Schwangerschaften berühren den absoluten Kernbereich des Rechts auf reproduktive Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und stellen eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) dar.[8] Eine Schwangerschaft führt zu erheblichen körperlichen und psychischen Veränderungen, die das Leben einer schwangeren Person stark beeinflussen können.[9] In keinem anderen Kontext werden einer Person solche körperlichen Veränderungen gegen oder ohne ihren Willen durch den Staats aufgebürdet.[10]
Durch die derzeitige Regelung wird der schwangeren Person eine Pflicht zur Austragung des Fötus auferlegt und damit faktisch dem Fötus gegenüber der schwangeren Person ein „Leistungsrecht“ zugesprochen.[11] Woraus sich ausnahmsweise eine solche Pflicht der schwangeren Person gegenüber dem Fötus ergeben soll, bleibt hingegen unklar.[12] Eine Pflicht (auch nur temporäre) körperliche Eingriffe hinzunehmen, besteht auch bei vergleichbaren Sachverhalten nicht. Nicht einmal eine zwangsweise Blutentnahme der Eltern ist zulässig, selbst wenn sie zur Rettung des eigenen Kindes notwendig wäre.[13]
Das strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs berührt auch die Gewissensfreiheit der schwangeren Person (Art. 4 Abs. 1 GG).[14] Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sowie die Verweigerung oder Verzögerung eines sicheren Schwangerschaftsabbruchs stellt nach dem UN-Frauenrechtsausschuss eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt dar, weil von einer solchen Regelung ganz überwiegend Frauen betroffen sind, und tangiert damit auch die Gleichheitsrechte aus Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG.[15]
2. Strafrecht als „ultima ratio“
Nach dem Bundesverfassungsgericht steht dem Staat das Strafrecht als „ultima ratio“ für die Zwecke des Rechtsgüterschutzes zur Verfügung, wenn das zu verhindernde Verhalten „über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“.[16] Mit der Bewehrung eines Verbots mit Strafe werden gleichzeitig die dagegen handelnden Personen mit einem sozialethischen Unwerturteil belegt.[17] Ein solches staatliches Unwerturteil ist aber bereits im Grundsatz ungeeignet, einen höchstpersönlichen Konflikt wie die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft zu lösen. Allein der Erhalt (vermeintlicher) moralischer Wertvorstellungen darf nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht das unmittelbare Ziel strafgesetzgeberischer Tätigkeit sein.[18] Die Bewertung des Abbruchs als strafrechtliches Unrecht steht zudem im Widerspruch zu einem menschenrechtsbasierten Zugang zum Schwangerschaftsabbruch.
Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs entspricht auch den Verpflichtungen Deutschlands als Vertragsstaat diverser Menschenrechtsverträge: Nach den Stellungnahmen internationaler Menschenrechtsausschüsse verletzen Staaten ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Frauen durch eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.[19] Auch die Weltgesundheitsorganisation spricht sich für eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus.[20]
3. Stigmatisierung statt effektiver Lebensschutz
Die grundsätzliche Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in § 218 StGB stigmatisiert ungewollt schwangere Personen und ihre Ärzt*innen und tabuisiert die medizinische Dienstleistung des Schwangerschaftsabbruchs. Strafrechtliche Verbote führen nicht zu einer Verringerung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern verschlechtern nur die medizinische Versorgungslage.[21] Solange die Rechtsordnung an einer grundsätzlichen Kriminalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs festhält und damit die Bewertung als Unrecht betont, wird die Tabuisierung des Abbruchs in der Gesellschaft und in der Medizin aufrechterhalten, die zu einem erschwerten Zugang zu Beratung und medizinischer Versorgung für ungewollt schwangere Personen führt. Zum einen verringert die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die damit verbundene Stigmatisierung der durchführenden Ärzt*innen deren Bereitschaft zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen und trägt damit zur defizitären Versorgungslage bei.[22] Zum anderen werden die psychischen Belastungen, unter denen ungewollt schwangere Personen stehen, durch die Sorge vor einer Stigmatisierung verstärkt. Die mit der Kriminalisierung einhergehende Tabuisierung kann das Bedürfnis nach Geheimhaltung des Abbruchs hervorrufen und die Hemmschwelle erhöhen, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Damit wird nicht nur das zur Legitimierung des § 218 StGB angeführte Regelungsziel verfehlt, sondern auch eine zusätzliche Gefahr für das Leben und die Gesundheit der schwangeren Person geschaffen.
Ein effektiver Schutz des ungeborenen Lebens wird durch die Kriminalisierung ungewollt schwangerer Personen und ihrer Ärzt*innen daher nicht erreicht. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des ungeborenen Lebens kann unter Wahrung der Autonomie der schwangeren Person wirksamer in einem anderen gesetzlichen Konzept verwirklicht werden. Effektiver wäre es, ungewollten Schwangerschaften durch einen kostenlosen und barrierefreien Zugang zu (Not-)Verhütungsmittel, Investitionen in und Stärkung von Familienplanungsdiensten, sowie durch Aufklärungsarbeit, insbesondere durch Sexualaufklärung in Schulen, entgegenzuwirken. Gleichzeitig sollte Personen mit Kinderwunsch die Entscheidung zum Austragen einer Schwangerschaft erleichtert werden, etwa durch eine verbesserte finanzielle Unterstützung für Familien unabhängig von ihrem sozialen Status.[23]
Die derzeitige gesetzliche Regelung erschwert durch die damit verbundene Stigmatisierung den Zugang zu Beratung und Aufklärung massiv. Das ursprünglich verfolgte Ziel, ungeborenes Leben auch durch Beratung- und Unterstützungsangebote zu schützen, wird durch eine Pönalisierung des Schwangerschaftsabbruchs konterkariert. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, für schwangere Personen ein ausreichendes, flächendeckendes ärztliches Angebot zu gewährleisten.[24]
Zu berücksichtigen ist auch, dass die Pönalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht alle ungewollt schwangeren Personen in gleichem Ausmaß trifft. Wie der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung in Bezug auf die USA ausführte, haben Zugangshindernisse für Schwangerschaftsabbrüche besonders schwerwiegende Auswirkungen auf Frauen, die rassistisch diskriminierten Gruppen oder ethnischen Minderheiten angehören, ebenso wie auf indigene Frauen und solche mit geringen Einkommen.[25]
4. Keine Gefahr vermehrter „Spätabbrüche“
Eine Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafrechts bringt kein Risiko vermehrter „Spätabbrüche“. So finden beispielsweise in den Niederlanden[26] und in Kanada[27] ebenso wie in Deutschland[28] die meisten Abbrüche bereits vor Abschluss der achten Schwangerschaftswoche statt, obgleich die niederländischen und kanadischen Regelungen auch deutlich spätere Abbrüche ohne Indikation zulassen. „Spätabbrüche“ spielen in der Praxis nur dann eine Rolle, wenn die Schwangerschaft an sich gewollt ist, aber entweder die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet ist oder pränataldiagnostische Untersuchungen auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Fötus deuten. In beiden Fällen sind Schwangerschaftsabbrüche nach der geltenden deutschen Regelung im Rahmen der medizinischen Indikation ohne Frist möglich (§ 218a Abs. 2 StGB).
Zu berücksichtigen ist auch, dass Schwangerschaftsabbrüche in einem späten Stadium der Schwangerschaft mit einer eingeleiteten Geburt einhergehen, die eine erhebliche physische und psychische Belastung für die schwangere Person darstellen kann und von ihr nur in Ausnahmefällen erwünscht ist. Dass schwangere Personen sich „grundlos“ – d.h. außerhalb der derzeit geltenden Indikationslösung – für einen sog. Spätabbruch entscheiden würden, ist weder empirisch belegt noch naheliegend.
C. Vorschlag eines neuen Regelungsmodells
Nach alledem setzt sich der djb für eine Regelung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches sowie korrespondierende Änderungen zur Verbesserung der Versorgungslage ungewollt schwangerer Personen ein. Im Einzelnen:
- Fristenregelung außerhalb des Strafrechts
Die §§ 218 ff. sind aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
Strafwürdiges Unrecht besteht nur dann, wenn der Abbruch gegen oder ohne den Willen der schwangeren Person vorgenommen wird. Diese Begehungsweise ist derzeit als besonders schwerer Fall des Schwangerschaftsabbruchs ausgestaltet. Wenn § 218 StGB gestrichen wird, braucht es eine Neuregelung als eigenständiges Delikt. Der djb schlägt die Einführung eines neuen Straftatbestandes vor, der sich gegen die körperliche Unversehrtheit und reproduktive Selbstbestimmung der Schwangeren richtet, z.B. als § 226b StGB. Der vorsätzliche Abbruch einer Schwangerschaft gegen oder ohne den Willen der schwangeren Person sollte als Verbrechen, die entsprechende Fahrlässigkeitstat als Vergehen ausgestaltet werden. Mit der Ausgestaltung als Verbrechen wäre auch der Versuch ohne explizite Regelung strafbar. Die Aufnahme eines minder schweren Falles würde gewährleisten, dass in einzelnen Ausnahmekonstellationen unangemessen hohe Strafen vermieden werden können. Eine derartige Regelung stellt sicher, dass Schwangerschaftsabbrüche nur dann straffrei sind, wenn sie im Einklang mit dem Willen der schwangeren Person vorgenommen werden.
Selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche sind außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Angezeigt erscheint eine Fristenregelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Danach sollten Schwangerschaftsabbrüche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ohne Indikation zulässig sein. Die derzeit in § 218a Abs. 1 StGB bestehende Frist, die Abbrüche bis zum Ablauf der 12. Woche seit Empfängnis (d.h. dem Ablauf der 14. Schwangerschaftswoche nach letzter Periode) zulässt, sollte deutlich ausgedehnt werden. Der aus der kurzen Frist resultierende Zeitdruck beeinträchtigt das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung ungewollt schwangerer Personen in einem nicht zu rechtfertigenden Maße, zumal eine Schwangerschaft häufig nicht unmittelbar bemerkt wird.
Der Schutz des ungeborenen Lebens aus Art. 2 Abs. 2 GG wird durch eine Fristverlängerung und Herauslösung aus dem Strafrecht nicht in Frage gestellt; die vorgeschlagene Neuregelung ist vielmehr Ausdruck eines in Stufen wachsenden Lebensschutzkonzepts.[29] Damit ist gemeint, dass die Rechtsposition des Fötus und damit sein rechtlicher Schutz kontinuierlich mit seiner Entwicklung zunimmt.[30] Diese Rechtsposition erstarkt erst mit der Geburt, da der Fötus erst ab diesem Zeitpunkt vollumfänglich Rechtsträger des Lebensrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG wird.[31] Bis zu der Geburt kann der Schutz des ungeborenen Lebens jedoch mit gegenläufigen Interessen und Rechtspositionen der schwangeren Person abgewogen werden.[32] Je näher das ungeborene Leben dabei an die zeitliche Zäsur der Geburt rückt, desto intensiver ist es zu schützen.[33]
Eine grundsätzliche Unzulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist erst ab dem Zeitpunkt angemessen, in dem der Fötus eigenständig lebensfähig ist. Erst mit der Überlebensfähigkeit rückt die Rechtsposition des Fötus so nahe an die des geborenen Kindes, dass es eines weitergehenden Schutzes in Form der Unzulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bedarf.
Wann diese Grenze zu ziehen ist, muss anhand des anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse beurteilt werden. Der frühestmögliche Zeitpunkt der Überlebensfähigkeit ist derzeit die 22. Schwangerschaftswoche.[34] In Deutschland sollen Frühgeborene nach der derzeit gültigen Leitlinie im Regelfall ab der 25. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von mindestens 400 Gramm unabhängig vom Wunsch der Eltern lebenserhaltend statt nur palliativ therapiert werden.[35] Der Zeitrahmen der 22. bis 25. Schwangerschaftswoche bietet sich daher auch für eine Fristenregelung an, sodass Abbrüche bis zum Ablauf einer entsprechenden Frist zulässig wären. Den Gesetzgeber trifft in Bezug auf die kontinuierliche Anpassung an den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine Überwachungspflicht.
Nach Ablauf der entsprechenden Frist sollten Schwangerschaftsabbrüche nur bei medizinischer Indikation zulässig sein. Die in § 218a Abs. 2 StGB bestehende Regelung kann in das SchKG überführt werden. Aufgrund der Ausdehnung der Frist ist die praktisch ohnehin bedeutungslose[36] kriminologische Indikation in § 218a Abs. 3 StGB überflüssig.
Ein nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch nach Ablauf der Frist wäre unzulässig. Aus den oben genannten Gründen bestünde jedoch keine Strafbarkeit. Vielmehr sollte eine Regelung in das SchKG aufgenommen werden, wonach Ärzt*innen, die gegen die Fristenregelung verstoßen, nach dem ärztlichen Berufsrecht zu sanktionieren sind. Um dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person Rechnung zu tragen, muss sie in allen Fällen straf- und sanktionsfrei bleiben.
Strafrechtlich wäre für alle Beteiligten erst der Zeitpunkt relevant, in welchem mit dem tatsächlichen Vorhandensein menschlichen Lebens die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte zur Anwendung kommen. Dies ist nach ganz herrschender Auffassung in der Rechtsprechung und weiten Teilen des Schrifttums der Beginn des Geburtsvorgangs.[37] Bei einem vaginalen Geburtsvorgang ist dies frühestens mit dem Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen anzunehmen.[38] Im Falle operativer Entbindungen wird dieser Zeitpunkt überwiegend in der „Eröffnung des Uterus zum Zweck der Beendigung der Schwangerschaft durch Entnahme des Kindes aus dem Mutterleib“[39] gesehen, soweit dies vor Einsetzen der Eröffnungswehen geschieht. Eine Streichung der §§ 218 ff. StGB kann und soll an diesen Grundsätzen nichts ändern.
- Recht auf Beratung statt Beratungspflicht
Im SchKG ist ein ausdrückliches Recht auf kostenfreie Beratung für Schwangere zu normieren. Gleichzeitig muss die Pflicht zur Beratung vor der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs entfallen.[40] Das steht im Einklang mit der Empfehlung des UN-Frauenrechtsausschusses gegenüber Deutschland[41] und wird vom djb bereits gefordert.[42] Unabhängig von einer Pflichtberatung muss sowohl die Finanzierung der Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen gesichert und ausgebaut werden als auch sichergestellt werden, dass Beratungen barrierefrei und für alle zugänglich sind.
- Schwangerschaftsabbruch als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
Künftig sollten die Kosten für alle Schwangerschaftsabbrüche von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden. Auch diese Forderung wird vom djb[43] und dem UN-Frauenrechtsausschuss[44] bereits erhoben. Bisher besteht ein Anspruch auf Kostenübernahme durch die GKV gem. § 24b Abs. 1 SGB V nur bei einem nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch, d.h. nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation. Das betrifft nur ca. vier Prozent der in Deutschland vorgenommenen Abbrüche.[45] Abbrüche nach der Beratungslösung sind vom Leistungskatalog der GKV gem. § 24b Abs. 4 SGB V ausdrücklich ausgeschlossen. Nur bei Bedürftigkeit der ungewollt schwangeren Person werden die Kosten gem. §§ 19 ff. SchKG übernommen.
Im Zuge der vorgeschlagenen Neuregelung entfällt die Differenzierung zwischen rechtswidrigen und nicht rechtswidrigen Abbruchtatbeständen, die folglich auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aufzugeben ist. Der Schwangerschaftsabbruch muss zu den regulären Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Der Koalitionsvertrag konstatiert in diesem Sinne: „Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören [sic] zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.“[46]
- Durchsetzung des Sicherstellungsauftrags der Länder und Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in die Bedarfsplanung
Nach § 13 Abs. 2 SchKG müssen die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen. Dabei handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Pflicht: Nach dem BVerfG gehört es nämlich zu der bundesrechtlich begründeten Staatsaufgabe,
„für ein ausreichendes Angebot an Abbrucheinrichtungen auch in der Fläche des Landes im Sinne einer Auswahlmöglichkeit zwischen stationären und ambulanten Einrichtungen zu sorgen. Eine so verstandene Sicherstellung verlangt ein umfassendes Konzept jeweils für das ganze Land. Gefordert sein können flächenbezogene Erhebungen des voraussichtlichen Bedarfs und der bereits vorhandenen Einrichtungen sowie – ähnlich wie bei der Krankenhausplanung – eine landesweite infrastrukturelle Planung, in welche die Einrichtungen privater, frei gemeinnütziger, kommunaler oder staatlicher Träger aufzunehmen und aufeinander abzustimmen sind. Sollen Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch privaten oder kommunalen Krankenhausträgern zur Pflicht gemacht werden, so bedarf es hierzu gesetzlicher Regelungen, durch die in einer rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Bestimmtheit Maßstäbe und Befugnisse für die erforderlichen behördlichen Anordnungen festgelegt werden.“[47]
Eine Bedarfsplanung und statistische Erfassung der ambulanten und stationären Bedarfslage werden durch die Länder nicht durchgeführt. Weder die Bedarfsplanung der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen noch die Landeskrankenhauspläne enthalten Berücksichtigungen der Leistungen beim Schwangerschaftsabbruch. Einzig Hamburg verweist in seiner Bedarfsplanung auf Kollektivverträge mit ermächtigten Institutionen nach § 13 SchKG. Die Ausklammerung von Schwangerschaftsabbrüchen aus der Bedarfsplanung führt zu unerfassten und daher strukturell unsichtbaren Versorgungslücken, die sich sowohl aus der stigmatisierenden Wirkung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs als auch aus dem Verweigerungsrecht gem. § 12 SchKG (s. dazu unter V.) ergeben.
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Sicherstellungsauftrag der Länder effektiv umzusetzen, damit jede ungewollt schwangere Person tatsächlich Zugang zum Schwangerschaftsabbruch als regulärem Teil der Gesundheitsversorgung hat und keine Versorgungslücken bestehen. Im Falle von dauerhaften, nicht anders behebbaren Versorgungslücken müssen die Länder durch eigene Einrichtungen ein flächendeckendes Angebot für Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen.[48]
- Kein korporatives Verweigerungsrecht für Krankenhäuser
Bei Schwangerschaftsabbrüchen kann sich ein potenzieller Gewissenskonflikt sowie ggf. auch ein spezifisch berufsethischer Konflikt für diensthabende Ärzt*innen ergeben. Nach § 12 SchKG ist niemand verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, außer wenn die Mitwirkung notwendig ist, um von der schwangeren Person eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.
Grundsätzlich ist das persönliche Verweigerungsrecht der Ärzt*innen abseits der Notfallversorgung als Ausdruck der Gewissensfreiheit zu achten. Das Verweigerungsrecht steht jedoch im Konflikt mit der Versorgungssicherheit und dem Sicherstellungsauftrag der Länder. Rechtlich sollte daher klargestellt werden, dass es Krankenhäusern, die Teil der GKV-Versorgung sind, gestattet ist, die Bereitschaft zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zur Einstellungsvoraussetzung zu machen.[49]
Darüber hinaus ist ein korporatives Verweigerungsrecht abzulehnen.[50] Dies gilt insbesondere für Körperschaften des öffentlichen Rechts und Strukturen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nicht Träger der Gewissensfreiheit.[51] Dies sollte gesetzlich klargestellt werden. Durch Gesetz dürfen aber auch private Krankenhäuser zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen verpflichtet werden, wie das Bundesverfassungsgericht 1993 festgestellt hat.[52] Private Unternehmen, die Plan- oder Vertragskrankenhäuser im System der GKV sind oder einen entsprechenden Antrag auf Aufnahme in den Landeskrankenhausplan stellen bzw. den Abschluss eines Versorgungsvertrags in Bezug auf gynäkologische und chirurgische Leistungen begehren, sollten per Gesetz zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen verpflichtet werden. Sind sie hierzu nicht bereit, so sollten sie auf die Versorgung außerhalb der GKV sowie außerhalb der öffentlichen Gesundheitsfürsorge abseits des SGB V verwiesen werden.
- Schwangerschaftsabbruch als Bestandteil der medizinischen Aus- und Weiterbildung
Wie der djb bereits fordert,[53] sollte der Leistungsbereich des Schwangerschaftsabbruchs zum verpflichtenden Programm der medizinischen Ausbildung im Studium sowie der Weiterbildung für die gynäkologische Facharztausbildung werden.[54] Abseits des Medizinischen sollte gewährleistet sein, dass das rechtliche, rechtspolitische sowie medizinethische Spannungsfeld rund um den Schwangerschaftsabbruch vermittelt wird, damit Ärzt*innen eine Gewissensentscheidung bilden und fortentwickeln können.
D. Einordnung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Die aktuelle strafrechtliche Regelung basiert im Wesentlichen auf den Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil Schwangerschaftsabbruch II aus dem Jahr 1993,[55] in welchem es seine Wertungen aus dem Urteil Schwangerschaftsabbruch I von 1975[56] bestätigte und weiter ausführte. Zentral ist die Feststellung des Gerichts, dass den Staat eine Schutzpflicht für das sich entwickelnde Leben als eigenständiges Rechtsgut treffe, die ihn verpflichte, dieses Rechtsgut auch mit den Mitteln des Strafrechts gegen die schwangere Person zu schützen. Von einer strafrechtlichen Missbilligung könne der Gesetzgeber nur absehen, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft unzumutbar sei. Mit dieser Strafverpflichtung setzte das BVerfG dem parlamentarischen Gesetzgeber einen – wie oben bereits aufgezeigt – auch im internationalen Vergleich extrem engen verfassungsrechtlichen Rahmen: So billigte es nicht eine strafrechtliche Regelung zum Schutz eines Rechtsguts, sondern zwang sie dem Gesetzgeber anstelle eines anderen Schutzmodells auf. Dennoch akzeptierte das Gericht letztlich die Möglichkeit des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs nach Pflichtberatung – jedoch nur unter Fortbestand des strafrechtlichen Unwerturteils. Diese regelmäßig als „Kompromiss des BVerfG“ bezeichnete Entscheidung stellt tatsächlich eine Extremposition dar. Diese ist bis heute die Grundlage der anschließend eingeführten Regelung des § 218a StGB, die insbesondere für den Schwangerschaftsabbruch nach Pflichtberatung innerhalb der Frist zwar die Tatbestandsmäßigkeit, nicht aber die Rechtswidrigkeit ausschließen soll (Abs. 1).
Eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des StGB entspricht zwar nicht den Vorgaben dieser beiden Entscheidungen, ist aber aufgrund der bereits dargelegten Gründe, insbesondere zum Schutz der Rechte der schwangeren Person, der angesprochenen Konsequenzen der aktuellen Rechtslage für die tatsächliche Versorgungslage und den neuen Entwicklungen im internationalen Recht, geboten. Eine solche Neuregelung lässt sich auch in verfassungsrechtlich anschlussfähiger Weise begründen.
So sind beide Entscheidungen im Schrifttum sowohl im Hinblick auf ihre dogmatische Widersprüchlichkeit (tatbestandslos, aber rechtswidrig), als auch auf die darin vorgenommene Abwägung der verschiedenen verfassungsrechtlichen Positionen – oder gerade auch das Unterlassen einer echten Abwägung – stark kritisiert worden.[57] Denn die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Pflicht zur Austragung[58] misst dem (reproduktiven) Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person keinen echten Stellenwert im Rahmen der Abwägung bei.[59]
Trotz der früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch sollte eine neue Bewertung dieser Thematik durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber im politischen Prozess erfolgen.[60] Statt sich starr an den vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 1993 getroffenen Wertungen zu orientieren, an die das Bundesverfassungsgericht selbst nicht gebunden ist,[61] bedarf der Schwangerschaftsabbruch einer grundsätzlichen Neubewertung im Lichte der Rechtspositionen der ungewollt schwangeren Person und des ungeborenen Lebens.
Der aktuelle strafrechtliche Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs ist mit einem menschenrechtsbasierten Zugang zu reproduktiven Rechten nur schwer in Einklang zu bringen. Inzwischen ist es viel deutlicher in das Bewusstsein der Gesellschaft gelangt, dass es sich bei der Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft und deren Fortführung um eine höchstpersönliche Entscheidung der schwangeren Person handelt. Bereits mit der Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Kategorien neben männlich und weiblich („Dritte Option“) hat das Bundesverfassungsgericht eindrucksvoll gezeigt, inwieweit es bereit ist, sich mit gesellschaftlichen Debatten und Wandlungen auch hinsichtlich deren verfassungsrechtlicher Relevanz auseinanderzusetzen.[62] Dies ist auch bei der Thematik des Schwangerschaftsabbruchs angezeigt.
Für eine Neubewertung lassen sich weitere Anknüpfungspunkte in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung finden: So rückte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Suizidhilfe gerade den Stellenwert der autonomen Lebensführung in den Mittelpunkt.[63]
Deswegen liegt es nahe, auch den Rechten der schwangeren Person bei einer erneuten Befassung mit der Thematik ein höheres Gewicht in der Abwägung beizumessen. Mit einem neuen legislativen Modell würde der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht zum einen die Möglichkeit geben, die neuen Tendenzen der Rechtsprechung aufzugreifen und zu vertiefen, andererseits hätte er die Möglichkeit, die Weichen für diese Abwägung zu stellen.
Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ist nach alledem auch unter Berücksichtigung der neueren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angezeigt. Die strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gegen oder ohne den Willen der schwangeren Person ist dagegen weiterhin verfassungsrechtlich geboten.
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Céline Cathérine Feldmann
Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch
[1] Vgl. zur Definition International Conference on Population and Development, Programme of Action, UN Doc. A/CONF.171/13, 13.9.1994, para. 7.3.
[2] Wapler, in: Baer/Sacksofsky (Hrsg.), Autonomie im Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, 2018, S. 185 (186 f.). Vgl. auch Europäisches Parlament, Resolution on the Situation of Sexual and Reproductive Health and Rights in the EU, in the Frame of Women’s Health (2020/2215(INI)), 24.6.2021, 2022/C 81/04.
[3] Vgl. Tennhardt/Kothé, djbZ 1/2017, 12 ff.
[4] Janson, Statista, 13.5.2022, https://de.statista.com/infografik/27437/anzahl-der-praxen-und-krankenhaeuser-in-deutschland-die-schwangerschaftsabbrueche-vornehmen/.
[5] Vgl. auch CORRECTIV, https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2022/03/03/keine-abtreibungen-in-vielen-oeffentlichen-kliniken/.
[6] Ross/Solinger, in: Reproductive Justice – An Introduction, 2017, S. 65.
[7] BVerfGE 88, 203 (254); Kunig/Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 63, 107; Wapler, in: Dreier (Hrsg.), GG I, 4. Aufl. (i. E.), Art. 1 Rn. 130; Klein, Reproduktive Freiheiten, i.E.
[8] Wapler, in: Dreier (Hrsg.), GG I, 4. Aufl. (i. E.), Art. 1 Rn. 122, 131 sowie Rn. 130 m.w.N. in Fn. 521; Klein, Reproduktive Freiheiten, i.E.
[9] Sacksofsky, KJ 2003, 274 (286).
[10] Sacksofsky, KJ 2003, 274 (286).
[11] Sacksofsky, KJ 2003, 274 (286).
[12] Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 218 Rn. 17-19. Chiofalo/Wagner, cognitio 2022, S. 16. Vgl. auch Sacksofsky, KJ 2003, 274 (285 f.). Siehe auch die Abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck und des Richters Dr. Simon zum Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 (73 ff.).
[13] Vgl. Erb in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 34 Rn. 272 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 34 Rn. 41e. a.A, Renzikowski, Notstand und Notwehr, Berlin 1994, S. 269; Rengier AT, 14. Aufl., München 2022, § 19 Rn. 61, die nach § 34 StGB eine niedrigschwellige Körperverletzung zur Rettung bei nahestehenden Personen als gerechtfertigt ansehen.
[14] Kunig/Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 107. Grundlegend Frommel, Feministische Studien extra 1991, 59 (59 ff., 62 f.); siehe auch Hochreuter, KJ 1994, 67 (69).
[15] Committee on the Elimination of Discrimination against Women, General Recommendation No. 35 on Gender-based Violence against Women, Updating General Recommendation No. 19, 26.7.2017, UN Doc. CEDAW/C/GC/35, para. 18. Dafür bereits etwa Frommel, Feministische Studien extra 1991, 59 (62 f.); Oberlies, KJ 1992, 199 (209, 211); Hochreuter, KJ 1994, 67 (69). Das Bundesverfassungsgericht verwendet internationale Garantien, soweit ratifiziert, als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten: grundlegend BVerfGE 111, 307 (317 ff.), aus jüngerer Zeit BVerfGE 142, 313 (345 Rn. 88); 158, 1 (31 Rn. 57); siehe auch Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 7. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 343. So wurden zuletzt beispielsweise im sog. Triage-Beschluss die EMRK und die Behindertenrechtskonvention bei der verfassungsrechtlichen Maßstabsbildung miteinbezogen (siehe BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20, Rn. 100 ff.).
[16] BVerfGE 120, 224 (239 f.).
[17] BVerfG NJW 2022, 1160 (1166).
[18] BVerfGE 153, 182 (271 Rn. 234).
[19] Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 22 (2016) on the Right to Sexual and Reproductive Health (Article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 2.5.2016, UN Doc. E/C.12/GC/22, paras 34, 40, 49a; Committee on the Elimination of Discrimination against Women, General Recommendation No. 33 (2015) on Women’s Access to Justice, 3.8.2015, UN Doc. CEDAW/C/GC/33, para. 51(I); Committee on the Rights of the Child, General Comment No. 20 on the Implementation of the Rights of the Child during Adolescence, 6.12.2016, UN Doc. CRC/C/GC/20, para. 60; Committee on the Elimination of Discrimination against Women, General Recommendation No. 35 on Gender-based Violence against Women, Updating General Recommendation No. 19, 26.7.2017, UN Doc. CEDAW/C/GC/35, para. 29(c)(i); Human Rights Committee, General Comment No. 36 (2018) on Article 6 of the International Covenant on Civil and Political Rights, on the Right to Life, 30.10.2018, UN Doc. CCPR/C/GC/36, para. 8. Vgl. im Überblick Weltgesundheitsorganisation, Abortion Care Guideline: Web Annex A. Key International Human Rights Standards on Abortion, 2022, https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/349317/9789240039506-eng.pdf.
[20] Weltgesundheitsorganisation, Abortion Care Guideline, 2022, https://www.who.int/publications/i/item/9789240039483, sec. 2.2.1.
[21] Vgl. Weltgesundheitsorganisation, Abortion Care Guideline, 2022, https://www.who.int/publications/i/item/9789240039483, sec. 2.2.1.
[22] Vgl. Weltgesundheitsorganisation, Abortion Care Guideline, 2022, https://www.who.int/publications/i/item/9789240039483, sec. 2.2.1.
[23] Hingegen sind bevölkerungspolitische Maßnahmen abzulehnen, vgl. Sacksofsky, in: Lembke (Hrsg.), Regulierungen des Intimen, 2017, S. 97 (106 ff.).
[24] Vgl. zu dieser Staatsaufgabe auch BVerfGE 88, 203 (328 ff.).
[25] Committee on the Elimination of Racial Discrimination, Concluding Observations on the Combined Tenth to Twelfth Reports of the United States of America, 30.8.2022, UN Doc. CERD/C/USA/CO/10-12, para. 35 f.
[26] Inspectie Gezondheitszorg en Jeugd, Rapportage Wet Afbreking Zwangerschap (Wafz), 2020, https://www.igj.nl/over-ons/igj-in-cijfers/cijfers-zwangerschapsafbreking.
[27] Canadian Institute for Health Information, Induced Abortions Reported in Canada in 2020, 2022, https://www.cihi.ca/sites/default/files/document/induced-abortions-reported-in-canada-2020-en.xlsx.
[28] Destatis, Gesundheit: Schwangerschaftsabbrüche 2021, Fachserie 12 Reihe 3, 7.4.2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Publikationen/Downloads-Schwangerschaftsabbrueche/schwangerschaftsabbrueche-2120300217004.pdf?__blob=publicationFile, S. 12.
[29] Zum Konzept des gestuften Schutzes pränatalen Lebens vgl. Sacksofsky, KJ 2003, 274 (285 f.); Dreier, ZRP 2002, 377; Dreier, JZ 2007, 261 (267 ff.); Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, 2002, S. 10 ff.; Lübbe, KritV 76 (1993), 313 (315 f.); Hilgendorf, NJW 1996, 758 (761); Hörnle, ARSP 2003, 318 (337); Neidert, DÄBl. 2000, A 3483 (A 3485 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 2, Rn. 61, 66 ff. Vgl. auch bereits Abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck und des Richters Dr. Simon zum Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74, BVerfGE 39, 1 (80 f.); Abweichende Meinung der Richter Vizepräsident Mahrenholz und Sommer zum Urteil des Zweiten Senats vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92, BVerfGE 88, 203 (342).
[30] Dreier, JZ 2007, 261 (267 ff.).
[31] Dreier, ZRP 2002, 377 (379).
[32] In ähnliche Richtung Dreier, ZRP 2002, 377 (383).
[33] Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 2, Rn. 70. In ähnliche Richtung Hörnle, ARSP 2003, 318 (337).
[34] AWMF, Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024/019, 24.6.2020, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024-019l_S2k_Fr%C3%BChgeburt_Grenze_Lebensf%C3%A4higkeit_2021-01.pdf, S. 8 f.
[35] AWMF, Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024/019, 24.6.2020, https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024-019l_S2k_Fr%C3%BChgeburt_Grenze_Lebensf%C3%A4higkeit_2021-01.pdf, S. 8 f.
[36] Destatis, Gesundheit: Schwangerschaftsabbrüche 2021, Fachserie 12 Reihe 3, 7.4.2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Publikationen/Downloads-Schwangerschaftsabbrueche/schwangerschaftsabbrueche-2120300217004.pdf?__blob=publicationFile, S. 10: ca. 0,05 % aller Abbrüche.
[37] BGHSt 31, 348; 32, 194; BGH NJW 2021, 645 (646) m.w.N.; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den § 211 ff. Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, Vorbemerkung (§ 211 – § 222) Rn. 3; Schneider, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, 4. Aufl. 2021, Vorbemerkung zu § 211 Rn. 6; Rosenau, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar zum StGB, Band 7/1, 12. Aufl. 2019, Vor §§ 211 ff. Rn. 6. Stattdessen auf den Zeitpunkt der Vollendung der Geburt abstellend Herzberg/Herzberg, JZ 2001, 1112 ff.; Hoven, medstra 2020, 65 (66); Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), StGB, 5. Aufl. 2017, § 218 Rn. 29 ff.
[38] BGHSt 31, 348 (355); 32, 194; BGH NJW 2021, 645 (647); Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, Vorbemerkung (§ 211 – § 222) Rn. 3; Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 212 Rn. 8; auf den Beginn der Presswehen abstellend aber Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 9 f.
[39] BGH NJW 2021, 645 (648); so auch Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, Vorbemerkung (§ 211 – § 222) Rn. 3; für einen Beginn bereits im Zeitpunkt der Öffnung der Bauchdecke s. aber Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 212 Rn. 10; Schneider, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, 4. Aufl. 2021, Vorbemerkung zu § 211 Rn. 12.
[40] Zur möglichen Ausgestaltung einer auf Freiwilligkeit beruhenden Schwangerschaftskonfliktberatung vgl. Clasen/Völckel, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 2022, 230.
[41] Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Concluding Observations on the Combined Seventh and Eighth Periodic Reports of Germany, 9.3.2017, UN Doc. CEDAW/C/DEU/CO/7-8, para. 38(b). Vgl. auch Committee on the Elimination of Discrimination against Women, List of Issues and Questions Prior to the Submission of the Ninth Periodic Report of Germany, 11.3.2020, UN Doc. CEDAW/C/DEU/QPR/9, para. 16.
[42] djb, Stellungnahme 21-20, 20.9.2021, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st21-20.
[43] djb, Stellungnahme 21-20, 20.9.2021, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st21-20.
[44] Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Concluding Observations on the Combined Seventh and Eighth Periodic Reports of Germany, 9.3.2017, UN Doc. CEDAW/C/DEU/CO/7-8, para. 38(b). Vgl. auch Committee on the Elimination of Discrimination against Women, List of Issues and Questions Prior to the Submission of the Ninth Periodic Report of Germany, 11.3.2020, UN Doc. CEDAW/C/DEU/QPR/9, para. 16.
[45] Destatis, Gesundheit: Schwangerschaftsabbrüche 2021, Fachserie 12 Reihe 3, 7.4.2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Publikationen/Downloads-Schwangerschaftsabbrueche/schwangerschaftsabbrueche-2120300217004.pdf?__blob=publicationFile, S. 10: 4,17 % aller Abbrüche.
[46] Koalitionsvertrag 2021-2025, https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, S. 92.
[47] BVerfGE 88, 203 (329).
[48] So auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Sachstand: Zum Weigerungsrecht von Krankenhäusern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, WD 9 - 3000 - 087/19, 2020, S. 9.
[49] So die Rechtsauffassung des BVerwG vom 13.12.1991 – 7 C 26/90 = NJW 1992, 773.
[50] Vgl. Erster Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG), BT-Drucks. 7/1981 (neu), 24. April 1974, S. 19. Ob ein solches korporatives Weigerungsrecht besteht, ist umstritten; zum Streitstand im Überblick siehe Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Sachstand: Zum Weigerungsrecht von Krankenhäusern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, WD 9 - 3000 - 087/19, 2020, S. 7 f.
[51] Mangold, Stellungnahme Landtag Schleswig-Holstein, Petitionsausschuss. Petition L2119-19/1057: Gesundheitswesen; Aufrechterhaltung der medizinischen Grundversorgung für Schwangerschaftsabbrüche, 23.10.2020, https://www.landtag.ltsh.de/export/sites/ltsh/infothek/wahl19/aussch/petition/niederschrift/2020/19-067_10-20Anlage2.pdf; Chiofalo, Schriftliche Stellungnahme von Valentina Chiofalo für Doctors for Choice Germany e. V. zur Anhörung zum Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch, 16.5.2022, https://www.bundestag.de/resource/blob/895692/5ce7365334433e90219ba22df698612f/Stellungnahme-Chiofalo_Dfc-data.pdf, S. 7 f.
[52] BVerfGE 88, 203 (329).
[53] djb, Stellungnahme 19-03, 31.1.2019, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st19-03.
[54] So auch Koalitionsvertrag 2021-2025, https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, S. 92.
[55] Vgl. die Anordnung gem. § 35 BVerfGG in BVerfGE 88, 203 (209 ff.).
[56] BVerfGE 39, 1.
[57] Vgl. nur Sacksofsky, in: Lembke (Hrsg.), Regulierungen des Intimen, 2017, S. 97 (104 ff); zur Widersprüchlichkeit ausführlich Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 218a Rn. 60 ff.; aktuell etwa Gärditz, FAZ, 7.7.2022,
https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2022-07-07/e5ebe5cf340e57fc8ceb631c9007aa24/?GEPC=s3.
[58] BVerfGE 88, 203 (253 ff.). Kritik daran wurde auch geäußert in Abweichende Meinung der Richter Vizepräsident Mahrenholz und Sommer zum Urteil des Zweiten Senats vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92, BVerfGE 88, 203 (340 ff.).
[59] Vgl. OLG Hamm, NJW 2020, 1373 (1375 Rn. 21); umfassend Klein, Reproduktive Freiheiten, i.E.
[60] Gärditz, FAZ, 7.7.2022, https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2022-07-07/e5ebe5cf340e57fc8ceb631c9007aa24/?GEPC=s3; vgl. zu den bisherigen politischen Lösungen auch Schürmann, VerfBlog, 18.11.2020, https://verfassungsblog.de/kompromiss-auf-zeit.
[61] Vgl. BVerfGE 4, 31 (38 f.); 20, 56 (86 f.); 77, 84 (104); 78, 320 (328); 82, 198 (205); 85, 117 (121).
[62] BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16.
[63] BVerfGE 153, 182.