Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Dieses Factsheet entstand im Kontext eines gemeinsamen Workshops, den die Bundesverbände von AWO, pro familia und Deutscher Juristinnenbund e.V. am 12. Juni 2023 durchführten.
Völkerrechtliche Perspektiven
Valentina Chiofalo
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin, Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht des djb
Ausgangspunkt vieler Überlegungen zu einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland sind die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1975 und 1993, welche die vom parlamentarischen Gesetzgeber verabschiedete Neuregelungen wieder „einkassierten“. Während die Urteile damals (fast) keine völkerrechtlichen Überlegungen enthielten, ist die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch heutzutage viel stärker im Kontext sogenannter reproduktiver Rechte verortet und eine Reform muss das Völkerrecht miteinbeziehen. Reproduktive Rechte sind keine ausdrücklich geregelten Menschenrechte, der Begriff beschreibt vielmehr eine Vielzahl von bestehenden, menschenrechtlichen Verpflichtungen, die reproduktionsspezifisch interpretiert werden. Sie beinhalten die Anerkennung des Grundrechts aller Paare und Individuen, frei und eigenverantwortlich über die Anzahl, den Abstand und den Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder zu entscheiden und über die diesbezüglichen Informationen und Mittel zu verfügen sowie das Recht, ein Höchstmaß an sexueller und reproduktiver Gesundheit zu erreichen. Darüber hinaus umfassen sie das Recht von Paaren und Einzelpersonen, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt Entscheidungen in Bezug auf ihre Fortpflanzung zu treffen. Verortet werden reproduktive Rechte in der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) von 1979, den UN-Menschenrechtspakten von 1966 (UN-Sozialpakt und UN-Zivilpakt) sowie der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) von 2006. Aus dem Völkerrecht lassen sich mithin verschiedene Argumente zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ableiten, so z.B. aus den menschenrechtlichen Diskriminierungsverboten und aus Art. 12 des UN-Sozialpaktes (Recht auf Gesundheit): Laut UN-Frauenrechtsausschuss bewirkt der Akt der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs die Diskriminierung von Frauen und stellt eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt dar. Zudem werden durch Kriminalisierung unsichere Schwangerschaftsabbrüche gefördert, die das Recht auf Gesundheit beeinträchtigen.
Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt zudem das Recht auf Leben und Privatsphäre. Gemäß dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aus gesundheitlichen Gründen oder aus Gründen des Wohlbefindens nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar. Vielmehr muss Schwangeren grundsätzlich die Möglichkeit offenstehen, bei Gesundheitsgefährdung einen Abbruch durchführen zu lassen; die Vertragsstaaten der EMRK müssen die Durchführung solcher Abbrüche ermöglichen.
Wie aber wirkt sich das Völkerrecht auf die Gesetzgebung und -auslegung in Deutschland aus?
Völkerrechtliche Verträge stehen gemäß dem Grundgesetz (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG) auf der gleichen Stufe wie formelle Bundesgesetze. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts ist zunächst nur das Verfassungsrecht. Menschenrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik können bei der Bildung des Prüfungsmaßstabs aber herangezogen werden – sie haben laut BVerfG „erhebliches Gewicht“.
Im Rahmen der Frage, ob der Status Quo zur Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland internationalen menschenrechtlichen Anforderungen genügt, muss zunächst die vorgelagerte Frage beantwortet werden, was die menschenrechtlichen Gewährleistungen konkret beinhalten. Geht es um einen prinzipiell sanktionsfreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen (den wir in Deutschland haben) oder darüber hinaus um selbstbestimmte Abbrüche ohne Rückgriff auf das Strafrecht (also unabhängig von einer Strafandrohung)?
Der UN-Sozialrechtsausschuss ordnet Schwangerschaftsabbrüche als elementaren Bestandteil sexueller und reproduktiver Rechte ein; das Ziel muss dabei der Abbau von Zugangshürden sein: „There exists a wide range of laws, policies and practices that undermine autonomy and right to equality and non-discrimination in the full enjoyment of the right to sexual and reproductive health, for example criminalization of abortion or restrictive abortion laws. States parties should also ensure that all individuals and groups have equal access to the full range of sexual and reproductive health information, goods and services, including by removing all barriers that particular groups may face.“
Das Völkerrecht gibt uns also viele Argumente, um eine progressive Reform zu stärken, auch wenn zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht eine komplexe Dynamik besteht. Es lohnt sich jedoch, immer wieder zu betonen, dass vor allem Wartezeiten und Pflichtberatungen völkerrechtswidrige Maßnahmen darstellen.
Verfassungsrechtliche Perspektiven
Prof. Dr. Friederike Wapler
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht
Die verfassungsrechtliche Perspektive auf die Neuregelung der §§ 218 ff. StGB bewegt sich vor allem im Spannungsfeld zwischen einer embryozentrierten Perspektive (wie u.a. die des Bundesverfassungsgerichts in den Entscheidungen von 1975 und 1993) und einer freiheitsrechtsbasierten Perspektive. Zwei Fragen stehen sich gewissermaßen gegenüber: „Können die Grundrechte der Schwangeren das Lebensrecht des Embryos einschränken?“ und „Lässt sich ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs mit dem Schutz des Embryos rechtfertigen?“.
Auf Seiten der Schwangeren geht es um die Grundrechte der Freiheit der Fortpflanzung, der allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Leben und körperliche Unversehrtheit, der Gleichheit sowie der Menschenwürde.
Hinsichtlich des Embryos stellt sich die Frage, ab wann er in den Schutzbereich der Menschenwürde und/oder anderer Grundrechte fällt, ob für ihn ein absoluter oder ein abgestufter (also abwägbarer) Schutz besteht und ob es zu seinem Schutz eine staatliche Pflicht zur Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs geben muss. Die Rechtsprechung des BVerfG ist zu allen diesen Fragen unklar. Sie bezieht den Embryo zwar in den Menschenwürdeschutz ein, trifft aber keine klare Aussage dazu, welche Folgen dies für eine mögliche Grundrechtsträgerschaft des Embryos hat und worin eine Verletzung seiner Würde liegen könnte. Im Ergebnis ist nach den beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch eine Abwägung der staatlichen Pflicht zum Schutz des Lebens mit den Grundrechten der Schwangeren möglich und notwendig. In der rechtswissenschaftlichen Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Menschenwürde des Embryos. Die verbreitete Annahme eines abgestuften Lebensschutzes erkennt zum einen an, dass eine existentielle Abhängigkeit des Embryos von der Schwangeren bzw. eine relationale Verflochtenheit der beiden besteht, zum anderen werden die lebensverändernden körperlichen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Schwangerschaft anerkannt und das Recht zur eigenverantwortlichen Entscheidung in höchstpersönlichen Angelegenheiten geachtet.
Kriminalisierungspflicht oder Regelungsoption außerhalb des Strafrechts?
Gemäß der Rechtsprechung des BVerfG muss die Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht missbilligen, der Gesetzgeber sei aber nicht gehindert, „die grundgesetzlich gebotene rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen als mit dem Mittel der Strafandrohung“, so das erste Urteil (BVerfGE 39, 1 (46)). Gemäß dem zweiten Urteil (BVerfGE 88, 203 (258)) sei „das Strafrecht regelmäßig der Ort, das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die darin enthaltene grundsätzliche Rechtspflicht der Frau zum Austragen des Kindes gesetzlich zu verankern. Sofern allerdings wegen verfassungsrechtlich ausreichender Schutzmaßnahmen anderer Art von einer Strafdrohung für nicht gerechtfertigte Schwangerschaftsabbrüche in begrenztem Umfang abgewichen werden darf, kann es auch genügen, das Verbot für diese Fallgruppe auf andere Weise in der Rechtsordnung […] klar zum Ausdruck zu bringen.“
Fazit:
- Eine verfassungsrechtlich gebotene „Kriminalisierungspflicht“ wird im Schrifttum kritisiert.
- Auch das Bundesverfassungsgericht betont den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (Strafrecht als ultima ratio).
- Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch müssen in ein umfassendes Schutzkonzept eingebettet sein.
- Wird der verfassungsrechtliche Schutz durch andere Maßnahmen als strafrechtliche gleich gut (oder besser) erreicht, sind strafrechtliche Regelungen nicht erforderlich.
Strafrechtliche Perspektiven
Céline Cathérine Feldmann
Rechtsreferendarin in Berlin, Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch sowie Co-Vorsitzende der Kommission Strafrecht des djb
Aktuell ist der Schwangerschaftsabbruch in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch (StGB) und im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) geregelt. Nach § 218 Abs. 1 StGB ist der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar. Ausnahmsweise besteht Straffreiheit in vier Fällen: Bei der Beratungslösung nach §§ 218, 218 a I StGB, bei Indikation nach §§ 218, 218a II StGB (nach der 14. Schwangerschaftswoche) oder nach §§ 218, 218a III StGB (innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen) sowie bei Vorliegen eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes nach § 218 a IV StGB.
Bei der Beratung handelt es sich um eine verpflichtende Beratung, welche “dem Schutz des ungeborenen Lebens dient” (§§ 218 a I Nr. 1, 219 StGB, §§ 5 ff. SchKG). Eine Wartezeit von drei Tagen nach der Beratung bis zum Eingriff ist einzuhalten und der Eingriff muss von eine*r Ärzt*in durchgeführt werden (§ 218a I Nr. 1 und 2 StGB).
Hürden bestehen aktuell vor allem aufgrund der defizitären Versorgungslage. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen wird auch durch sogenannte Gehsteig-Belästigungen vor Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, erschwert, welche derzeit nicht hinreichend sanktioniert werden können. Zudem gibt es eine mangelhafte Aufklärung sowie mangelhafte Unterstützung vor, während und nach der Schwangerschaft.
Diese Rechtslage besteht unverändert vor allem auf Grund der Entscheidungen des BVerfG von 1975 und 1993. Dort statuierte das BVerfG eine Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben, zu einer daraus möglicherweise hervorgehenden „Kriminalisierungspflicht“ siehe oben (unter „Verfassungsrechtliche Perspektiven“).“
Zur strafverfassungsrechtlichen Kritik dieser Entscheidungen ein kurzer Exkurs: Wann kriminalisieren wir Handlungen? Die deutsche Rechtstradition orientiert sich am Rechtsgüterschutz. Eine Handlung ist demnach strafwürdig, wenn sie ein bedeutsames Rechtsgut verletzt. Hinzu kommt, dass sich ein Straftatbestand immer auch an dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen muss. Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip müssen Strafen einen legitimen Zweck verfolgen sowie geeignet, erforderlich und angemessen sein. Das Strafrecht gilt außerdem als ultima ratio des Staates, es darf nur als letztes Mittel („schärfstes Schwert“) zum Einsatz kommen. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass mit einer Strafe auch immer ein sozialethisches Unwerturteil ausgesprochen wird und damit eine intendierte Stigmatisierung stattfindet.
Auch wenn der legitime Zweck – der Schutz des ungeborenen Lebens – sowie die Geeignetheit grundsätzlich zu bejahen sind, stellen sich Fragen hinsichtlich des konkreten Schutzguts – dem ungeborenen Leben. Ein abgestuftes Lebensschutzkonzept ist hier deutlich geeigneter. Ebenso führt die Argumentation mit der Menschenwürde in eine Sackgasse. Denn der Menschenwürde des Fötus, so betont es auch das Bundesverfassungsgericht, steht die Menschenwürde der schwangeren Person gegenüber.
Das gewichtigste Argument gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, dass sie tatsächlich nicht oder nur marginal zum Schutz des ungeborenen Lebens beiträgt. Die Kriminalisierung verhindert Schwangerschaftsabbrüchen nicht oder nur bedingt: kriminalisierte Schwangerschaftsabbrüche werden weiterhin durchgeführt, lediglich unter unsicheren Bedingungen. Außerdem gibt es keine Hinweise auf vermehrte Spätabbrüche nach Entkriminalisierung.[1] Gleichzeitig führt die derzeitige Regelung zu einer erheblichen Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Daher stellt sich die Frage, ob die Regelung im Strafrecht als ultima ratio hier zum Einsatz kommen darf.
Wie der Blick in andere Länder zeigt, gibt es mildere Mittel, die das ungeborene Leben besser schützen. So ist etwa die Vorsorge, die Fürsorge und die Nachsorge für die schwangere Person essentiell. Im Zentrum muss hierbei die Unterstützung der schwangeren Person in ihrer Entscheidung für oder gegen ein Kind stehen. Dies steht auch im Einklang mit Reproduktiver Gerechtigkeit, die das Recht beinhaltet, sich selbstbestimmt für Kinder entscheiden zu können und die dafür nötige Unterstützung zu bekommen sowie das Recht, Kinder in selbst gewählten Umständen großzuziehen.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, der Angemessenheit, stellt sich die Frage, ob dem Selbstbestimmungsrecht[2] der Schwangeren genügend Rechnung getragen wird.
Die heute bestehende strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist außerdem dogmatisch unsauber. Nach ihr sind tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungslösung nichtsdestotrotz rechtswidrig. Zudem sind bestimmte Personengruppen, wie Frauen, People of Colour, Personen in prekären Situationen, trans*Personen und intersex Personen, besonders von der Kriminalisierung betroffen. Die bestehende Regelung zeichnet außerdem ein problematisches Bild von schwangeren Personen, die vermeintlich ihre Entscheidungen nicht selbstbestimmt treffen können.
Alternativen zur bestehenden Regelung wären eine komplette Legalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs (wie es die WHO empfiehlt und es z.B. auch die geltende Rechtslage in Kanada ist) oder eine spätere Fristenregelung (circa bis zur 22. bis 25. Schwangerschaftswoche) innerhalb des Strafgesetztes (wie beispielsweise in den Niederlanden) oder außerhalb des Strafgesetzes (wie beispielsweise im Vorschlag des djb). Aufgabe des Strafrechts wäre es dann weiterhin, nicht-selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche (gegen oder ohne den Willen der Schwangeren) zu sanktionieren.[3]
Sozialrechtliche Perspektiven
Prof. Dr. Susanne Dern
Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda
In Bezug auf eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs kann oder sollte das Sozialrecht vier Fragen regeln: Beratungsinfrastruktur, Kostenübernahme, Versorgungssicherheit sowie ein ärztliches Weigerungsrecht.
1. Beratungsinfrastruktur
Aktuell gibt es die Pflichtberatung nach § 219 StGB und § 5 SchKG (Strafandrohung). Diese steht in Widerspruch zum Modell freiwillig in Anspruch genommener sozialer Dienstleistungen und auch in der Kritik durch den CEDAW-Ausschuss. Gleichzeitig sichert die Regelung aber auch die Finanzierung des Beratungsangebots im SchKG. Nach einer Neuregelung muss die Beratungsinfrastruktur und der Zugang zu Information gesetzlich abgesichert werden z.B. durch einen individuellen Rechtsanspruch und Sicherstellungspflichten.[4] Der Beratungsanspruch sollte also ausdrücklich als Rechtsanspruch verankert werden. Die Beratung muss wohnortnah und niedrigschwellig, auch für vulnerable Gruppen und spezielle Zielgruppen in diverser Trägerschaft sichergestellt werden. Qualitätskriterien müssten ggfs. im Gesetz verankert werden (zugunsten einer selbstbestimmten Entscheidung) und so in den Sicherstellungsauftrag integriert werden (bisher in den §§ 3, 8 SchKG). Ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch sollte ebenfalls klarstellend aufgeführt werden, z.B.: „Es besteht ein Recht auf Zugang zu frei gewähltem Schwangerschaftsabbruch“.
Die Beratung zum Schwangerschaftsabbruch sollte als eine Facette eines breiteren Beratungsauftrags zu Schwangerschaft, Verhütung, Sexualität usw. angesehen werden. Das SchKG könnte zu einem Gesetz zu reproduktiven Rechten fortentwickelt werden.
2. Kostenübernahme
Es empfiehlt sich eine Verortung im SGB V, um den Schwangerschaftsabbruch vollumfänglich in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufzunehmen. Für die Aufnahme spricht das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Mit einer Entkriminalisierung fällt das zentrale Argument gegen die Aufnahme in den Leistungskatalog weg. Mit einer Verortung im SGB V könnte bürokratischer Aufwand reduziert werden (durch Wegfall der Doppelzuständigkeit Bund/Land, der Bedürftigkeitsprüfung und einer einfacheren Abrechnung). Für eine Verortung im SGB V spricht außerdem, dass ähnliche (sachfremde) Leistungen bereits im Katalog vorhanden sind.[5] Im Kern würde es sich um eine medizinische und pflegerische Annexleistung handeln. Die Aufnahme ins SGB V würde auch der Gewährleistung fachlicher Standards dienen. Letztlich ist dies aber eine Finanzierungsfrage.
3. Versorgungssicherheit
Welche Steuerungsmöglichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es, um Versorgungssicherheit herzustellen? Zunächst erfolgt die weitüberwiegende Zahl der Abbrüche ambulant.[6] Bei stationären Eingriffen sind die Länder zuständig für die Krankenhausplanung.[7] Für ambulante Eingriffe gilt der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 75 SGB V). Gemäß § 72 Abs. 2 SGB V müssen bedarfsgerechte Mittel und Personal für alle vertragsärztlichen Leistungen gewährleistet sein, gesteuert wird dies über die Zulassung von Ärzt*innen und medizinischer Versorgungszentren durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Es werden Bedarfspläne mit Feststellungen zu Über- und Unterversorgungen erstellt, die Gynäkologie gilt dabei als allgemeine fachärztliche Versorgung mit guter Erreichbarkeit.
Welche Förderinstrumente zur Bedarfsdeckung gibt es im ambulanten Bereich? Grundsätzlich gibt es die Instrumentarien des § 105 SGB V zur Unterhaltung eines Strukturfonds zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung (Zuschüsse, Investitionen, Stipendien…) sowie die Weiterbildungsförderung nach § 75a Abs. 4 SGB V. Kurzfristig können Lücken geschlossen werden über eigene Einrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kommunen, bei temporären Lücken über Ermächtigungen von Ärzt*innen und Einrichtungen bei akuter/drohender Unterversorgung sowie über Sonderzulassungen bei lokalen und qualifikationsbezogenen dauerhaften Bedarfen (=ausnahmsweise Zulassung einer* zusätzlichen Vertragsärzt*in in einen Planungsbereich trotz Zulassungsbeschränkungen).
Auch die Aufnahme des Schwangerschaftsabbruchs in die ärztliche Aus- und Weiterbildung wird sich positiv auf die Versorgungssicherheit auswirken. Die MusterWBO und FEWP der Bundesärztekammer und der Satzungen und Richtlinien der Landesärztekammern müssten dafür ergänzt werden. In der Ausbildung sollte neben praktischen Kompetenzen der Behandlung und Methoden auch ein Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit dem rechtlichen, rechtspolitischen und medizinethischen Spannungsfeld liegen, in dem sich der Schwangerschaftsabbruch befindet; dies ist für eine fundierte Gewissensentscheidung erforderlich. Denkbar wäre ein Regelangebot in der Ausbildung, bei dem eine individuelle Befreiung möglich ist (z.B. aus Gewissensgründen).
4. Weigerungsrecht
Bisher ist das Weigerungsrecht an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken in § 12 SchKG und § 14 Musterberufsordnung etc. geregelt. Eine Weigerung ist bisher ohne Begründung möglich. Ein individuelles höchstpersönliches Weigerungsrecht sollte beibehalten werden. Der zentrale Maßstab der Gewissensfreiheit sollte in der neuen Regelung explizit zum Ausdruck kommen. Es sollte allerdings klargestellt werden, dass grundsätzlich kein korporatives Weigerungsrecht von Krankenhausträgern in Frage kommt. Bei einer Bindung als Plankrankenhaus muss die Leistung angeboten werden, auch bei Krankenhäusern in religiöser Trägerschaft. Damit müsste auch klargestellt werden, dass Abbruchbereitschaft als Einstellungsvoraussetzung für medizinisches Personal zulässig ist.
[1] In Kanada etwa finden die meisten Schwangerschaftsabbrüche vor Abschluss der 8. SSW statt. Vgl. Canadian Institute for Health Information, Induced Abortions Reported in Canada in 2021, 2023, https://www.cihi.ca/en/induced-abortions-in-canada.
[2] Ergibt sich aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG (Selbstbestimmung über den Körper), Art. 2 I GG (reproduktive Selbstbestimmung) sowie dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG.
[3] Vgl. auch hierzu den Vorschlag des djb: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26
[4] Mögliche Anknüpfungspunkte hierfür wären SGB VIII oder SchKG.
[5] z.B. Verhütung, §§ 24a SGB V.
[6] 97 Prozent in Praxen, Zentren oder Krankenhäusern, vgl. destatis 2022.
[7] Ein Plankrankenhaus deckt dann das entsprechende Leistungsspektrum aus dem Bescheid ab.