Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) nimmt hiermit Stellung zum Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung vom 25.11.2021[1] und den Abänderungen durch das EP vom 02.02.2023[2]. Aktuell laufen die Trilogverhandlungen. Es wird erwartet, dass die Regelung zeitnah[3] verabschiedet wird. Sie soll bereits für die Wahlen des EU-Parlaments Anfang Juni 2024[4] greifen.
In Europa und auch in Deutschland mehren sich Einzelpersonen und Personengruppen, die den Feminismus zum Feindbild erklären. Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen tragen mit gezielter werblicher (Online)-Ansprache dazu bei. Der djb sieht dringenden Handlungsbedarf für ein Verbot der Beobachtung des Nutzer*innenverhaltens und darauf aufsetzender politischer werblicher (Online)-Ansprache.
Im Einzelnen nimmt der djb wie folgt Stellung:
1. Überblick zum Vorschlag der VO der EU-KOM
Laut Erwägungsgründen des Vorschlages der VO der EU-KOM gerät unsere Demokratie durch gezielte Desinformation bei gleichzeitig zunehmender Diversifizierung der Akteur*innen, die rasche Entwicklung neuer Technologien und verstärkte Verbreitung manipulativer Eingriffe zunehmend in Gefahr. Dieser Gefahr soll Einhalt geboten werden. Infolge von Targeting- und Verstärkungstechniken wird digital maßgeschneiderte politische Werbung für Einzelpersonen oder Personengruppen auf Basis undurchsichtiger Datensammlungen platziert. Dem will der Vorschlag der VO u.a. folgendes entgegensetzen: Herausgeber*innen politischer (Online)-Werbung sollen durch die VO verpflichtet werden, politische Werbung als solche zu kennzeichnen. Sponsor*innen solcher Werbung müssen zudem eindeutig identifizierbar sein. Ferner sollen Herausgeber*innen politischer Werbung umfassenden Informations- und Transparenzpflichten unterliegen. Es besteht bisher aber keine explizite Regelung zum „Targeting auf der Basis abgeleiteter Daten“ in dem Vorschlag zur VO.
Der djb unterstützt mit dieser Stellungnahme explizit die Abänderungen des EP am vorliegenden VO-Entwurf der EU-KOM. In den Erwägungsgründen 47a, 47d[5] heißt es sinngemäß, dass die nach der DSGVO bestehenden Möglichkeiten, Werbung rechtmäßig auf Einzelpersonen zuzuschneiden und an diese zu richten, einem systematischen Missbrauch ausgesetzt sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einholung der freien Einwilligung durch Einzelpersonen nach vorheriger Aufklärung. Dieses Problem kann nach Ansicht des EP nur durch eine Änderung der DSGVO und nicht im Rahmen dieser Verordnung gelöst werden. Dazu fordert das EP die Regelungen der DSGVO um weitere Einschränkungen zu ergänzen, die in Form strikter Einschränkungen der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Targeting und zur Anzeige von politischer Online-Werbung auf der Grundlage von Artikel 16 AEUV erlassen werden sollten.
2. Risiken für die Gleichstellung der Geschlechter/Förderung von Frauen durch gezielte politische (Online)-Werbung
Der djb unterstützt die Bewertung der EU-KOM zu den massiven Risiken, die von politischer (Online)-Werbung ausgehen können. Insbesondere die machtvollen Aktivitäten der großen Social Media-Anbieter*innen und Betreiber*innen von Online-Plattformen als Herausgeber*innen politischer (Online)-Werbung, wie Facebook, Instagram, YouTube etc., können eine offene Ausübung der Meinungsfreiheit politischer Akteur*innen untergraben. Anhand zahlreicher Studien wird darüber hinaus sehr deutlich, dass sich gezielte (Online)-Ansprache negativ auf die grundrechtlich garantierte Gleichstellung der Geschlechter und Förderung von Frauen auswirkt. Dabei zeigen sich verschiedene Problemkreise des Ausspielens politischer (Online)-Werbung in folgenden Beispielen:
- Überproportionale (Online)-Werbung für Akteur*innen mit antifeministischen Positionen
Im Rahmen einer Studie der Süddeutschen Zeitung und dem US-amerikanischen Recherchekollektiv „The Markup“ wurde das Ausspielen politischer Werbung an Facebook- Nutzer*innen zur Bundestagswahl 2021 näher untersucht. Festgestellt wurde, dass der Instagram-Algorithmus dafür sorgte, dass AfD-Werbung vier Mal sichtbarer war als von anderen Parteien, unabhängig von den Interessen der Adressat*innen. Botschaften mit extremistischen, meist rechtsextremistischen Inhalten führen zu einer vergleichsweise hohen Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken und zur Gewinnmaximierung bei den Herausgeber*innen.[6] Die AfD vertritt diskriminierende und antifeministische Positionen, indem sie sich zur „traditionellen“, heteronormativen Familie als Leitbild bekennt und u.a. die Rückgängigmachung gleichstellungspolitischer Errungenschaften fordert.[7] - Verstärkung von (Online)-Werbung mit antifeministischen Inhalten
Der Skandal beim Abtreibungsreferendum in Irland im Frühjahr 2018 zeigt, wie antifeministische Inhalte von Facebook verstärkt wurden. Irische Abtreibungsgegner*innen erhielten plötzlich Unterstützung von religiösen Fundamentalist*innen aus den USA. Facebook hatte unter anderen einen Link „undecided.ie“ für die Ansprache potenziell unentschlossener Wähler*innen geschaltet. Diese Art der Werbung war besonders perfide. Zum einen versprach die Seite unparteiische Fakten, obwohl sie in Wahrheit irreführende Informationen der Abtreibungsgegner*innen lieferte. Zum anderen speicherten die Macher*innen der Seite Daten der Nutzer*innen, die auf die Werbeanzeige geklickt hatten, als bisher „unentschieden“. In der Folge wurden diese Nutzer*innen dann online und offline gezielt mit Werbebotschaften angesprochen. Bis zuletzt waren wohl bei dem Referendum noch 17 Prozent der Wähler*innen unentschieden. Ein Erfolg der Werbeaktivitäten hätte wahlentscheidend werden können, wären sie nicht vorher aufgeflogen. Die Akteur*innen aus den USA konnten wegen unzureichender rechtlicher Regulierungen die Verschleierung ihrer Identitäten und Geldgeber*innen nutzen.[8] - Gezielte Verdrängung von Nutzerinnen (auch als Akteur*innen) aus Wahlprozessen
In der Trump-Kampagne wurde auf die Demobilisierung von Wähler*innengruppen, die wie Frauen oder Schwarze zu Hillary Clinton tendierten, gesetzt. Diese Gruppen wurden gezielt mit aus dem Kontext gerissenen Negativinformationen über die Konkurrentin bespielt. Nicht, um sie von einer Wahl Donald Trumps zu überzeugen, sondern um sie davon abzuhalten, überhaupt zur Wahl zu gehen und Clinton ihre Stimme zu geben. Eine öffentliche Debatte darüber wurde dadurch erschwert, dass die irreführenden Anzeigen nur der ausgewählten Zielgruppe angezeigt wurden.[9]
3. Risiken für die Gleichstellung der Geschlechter/Förderung von Frauen infolge der Verarbeitung von Informationen zu Nutzer*innen und deren Nutzungsverhalten durch Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen in Form eines „Targeting auf der Basis abgeleiteter Daten“
Die gezielte Verdrängung von Nutzer*innen als Akteur*innen und Wähler*innen auf der einen Seite und die gezielte werbliche (Online)-Ansprache von Adressat*innen auf der anderen Seite verstärken Risiken der politischen (Online)-Werbung. Erst aufgrund undurchsichtigen exzessiven Sammelns, Zusammenführens und Auswertens von Informationen zu Nutzer*innen aus allen Lebensbereichen durch Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen sind Herausgeber*innen politischer (Online)-Werbung in der Lage, Zielgruppen nach den erkannten Eigenschaften, Interessen oder Vorlieben der betreffenden Nutzer*innen passgenau auszuwählen („Targeting auf der Basis abgeleiteter Daten“[10]).
Eine solche Verarbeitung von Informationen zu Nutzer*innen und deren Nutzungsverhalten ist extrem problematisch und kann, wie der dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2021[11] aufzeigt, Folgen für die Geschlechtergerechtigkeit haben. Je mehr Daten vorhanden sind und je mehr eine Gesellschaft und ihre Teile vermessen sind, desto eher lassen sich staatliche und private Instrumente dazu einsetzen, informationelle Machtungleichgewichte zu verfestigen und diese für eigene Zwecke einzusetzen. Mit diesem Einsatz geht die Gefahr der Reproduktion geschlechtsbezogener Diskriminierung einher, so die Sachverständigen. Schon der subjektive Eindruck einer digitalen Überwachung kann dazu führen, dass Nutzer*innen ihr Verhalten unbewusst anpassen, sich nicht mehr ausreichend digital informieren und an demokratischen Prozessen nicht mehr teilhaben. Ferner kann es dazu führen, dass der Zugang und die Nutzung zu privaten und öffentlichen Angeboten prohibitiv ausgestaltet sind, weil bestimmte Nutzer*innen und ihre Anliegen nicht erwünscht sind. Personalisierung kann also genutzt werden, um Ausgrenzung und Diskriminierung voranzutreiben.
Das Problem der Verhaltensprofilbildung führt darüber hinaus zur Bildung sogenannter Filterblasen in den sozialen Medien, die von Akteur*innen durch Empfehlungsalgorithmen und weitere selektive Maßnahmen teilweise gezielt gefördert werden. Dabei werden ausgewählte Nutzer*innnen mit den „immer gleichen“ Informationen konfrontiert. Andere Meinungen werden ausgeblendet mit der Folge einer stärkeren politischen und ideologischen Polarisierung. Die Verschiedenheit von Lebensentwürfen wird ausgeblendet und in der Folge nicht mehr toleriert. Dadurch können sich abgeschlossene gesellschaftliche Gruppen herausbilden, die Menschen, die sich von ihnen unterscheiden – beispielsweise hinsichtlich ihres Geschlechts, ihrer Sprache, ihres Glaubens oder ihrer politischen Anschauungen – mit Intoleranz und Feindseligkeit gegenüberstehen. In der Folge entsteht eine Fehlsteuerung der öffentlichen Meinungsbildung. Extremismusforscher*innen wie Julia Ebner[12] zeigen eindrücklich auf, dass antifeministische Äußerungen als profilbildende Daten genutzt und damit unmittelbar die Entstehung von frauenfeindlichen, extremistischen Echokammern gefördert werden. Es wird dazu auch auf die Stellungnahme des djb „Das Netz als antifeministischer Radikalisierungsmaschine – Policy Paper zur Bedeutung von Frauenhass als Element extremistischer Strömungen und der radikalisierenden Wirkung des Internets“[13] hingewiesen.
Es besteht bisher keine explizite Regelung zum „Targeting auf der Basis abgeleiteter Daten“ im Vorschlag zur VO. Der djb unterstützt insoweit ausdrücklich die Abänderungen des EP. In den Erwägungsgründen 47a, 47d[14] heißt es sinngemäß, dass die nach der DSGVO bestehenden Möglichkeiten, Werbung rechtmäßig auf Einzelpersonen zuzuschneiden und an diese zu richten, einem systematischen Missbrauch ausgesetzt sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einholung der freien Einwilligung durch Einzelpersonen nach vorheriger Aufklärung. Dieses Problem kann nach Ansicht des EP nur durch eine Änderung der DSGVO und nicht im Rahmen dieser Verordnung gelöst werden. Dazu fordert das EP die Regelungen der DSGVO um weitere Einschränkungen zu ergänzen, die in Form strikter Einschränkungen der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Targeting und zur Anzeige von politischer Online-Werbung auf der Grundlage von Artikel 16 AEUV erlassen werden sollten. Das EP schränkt den Vorschlag der EU-KOM damit zu Recht so ein, dass nur allgemeine Informationen, namentlich Geschlecht, Alter, der ungefähre Aufenthaltsort sowie die Sprache der Nutzer*innen verwendet werden dürfen, wenn die Nutzer*innen der Verwendung dieser Daten ausdrücklich zugestimmt haben. Dabei geht es nur um Merkmale der Nutzer*innen, die sie selbst den Sozial Media Diensten und Betreiber*innen von Online-Plattformen zur Verfügung gestellt haben (explizite Profile).
4. Forderungen des djb
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Risiken fordert der djb,
- ein ausdrückliches Verbot des exzessiven Sammelns, Zusammenführens und Auswertens von Informationen zu Nutzer*innen und zum Nutzer*innenverhalten durch Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen durch
eine Änderung der DSGVO und des Art. 26 DSA (wonach derzeit ein Profiling i.S.d. Art. 4 Nr. 4 DSGVO unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist).
Das exzessive Sammeln, Zusammenführen und Auswerten von Informationen zu Nutzer*innen und zum Nutzer*innenverhalten durch Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen ist nur unter dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO möglich, der eine Einwilligung i.S.d. Art. 4 Nr. 11 DSGVO voraussetzt. Ob das Tatbestandsmerkmal „in informierter Weise abgegebene Willensbekundung" infolge der sehr komplexen und intransparenten Datenverarbeitung durch die Verantwortliche überhaupt erfüllt werden kann, erscheint dabei schon fragwürdig.[15] - ein ausdrückliches Verbot einer auf das exzessive Sammeln, Zusammenführen und Auswerten von Informationen zu Nutzer*innen und zum Nutzer*innenverhalten durch Social Media-Anbieter*innen sowie Betreiber*innen von Online-Plattformen aufsetzenden (politischen) werblichen Ansprache
durch Aufnahme einer entsprechenden Regelung in der VO.
Tatsache ist, dass ein Profiling mangels einer „in informierter Weise“ abgegebenen Willensbekundung i.d.R. rechtswidrig erfolgt (s.o.) und insofern auch die weitere Verarbeitung zum Zwecke der (politischen) werbliche Ansprache rechtswidrig ist. Eine Regelung ist zur Klarstellung und aufgrund der tatsächlich weitverbreiteten ungeprüften Einwilligungsrealitäten aber dringend erforderlich.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Anke Stelkens
Vorsitzende der nichtständigen Kommission Digitales
[1]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/HIS/?uri=EP:P9_TA(2023)0027 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[2]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/HIS/?uri=EP:P9_TA(2023)0027 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[3] Vl. KM BTag vom 10.05.2023, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-947694 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[4]https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/05/22/council-confirms-6-to-9-june-2024-as-dates-for-next-european-parliament-elections/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[5] s.o. Fn. 2
[6] SZ Artikel vom 22.09.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/bundestagswahl-facebook-afd-1.5418506 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[7]https://www.afd.de/grundsatzprogramm/ (6. Familien und Kinder, zuletzt abgerufen am 04.08.2023); sowie u.a. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw38-de-gleichstellung-791798 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[8]https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/290522/microtargeting-und-manipulation-von-cambridge-analytica-zur-europawahl/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2023); https://netzpolitik.org/2018/irland-mit-dark-ads-gegen-abtreibung/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[9]https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/290522/microtargeting-und-manipulation-von-cambridge-analytica-zur-europawahl/ (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[10] I.d.R. Kombination aus aktiv bereitgestellten Daten einer Person und beobachteten Daten (https://edpb.europa.eu/our-work-tools/our-documents/guidelines/guidelines-82020-targeting-social-media-users_de, zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[11]https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de/, S. 214 ff. (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[12] Autorin des 2019 veröffentlichten Buches „Radikalisierungsmaschinen“ mit dem Untertitel „Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren“
[13] djb, Das Netz als antifeministischer Radikalisierungsmaschine – Policy Paper zur Bedeutung von Frauenhass als Element extremistischer Strömungen und der radikalisierenden Wirkung des Internets, vom 09.09.2021, S. 4/11, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st21-18 (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)
[14] s.o. Fn. 2
[15] So auch DSK mit Stellungnahme vom 21.06.2023, http://www.uldsh.de/politisches-targeting-dsk (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)