Themenpapier: 23-19


5 Irrtümer über das Ehegattensplitting

Themenpapier vom

I. Zur Regelung und den Wirkungen des Ehegattensplittings

Das Ehegattensplitting ist eine steuerliche Vergünstigung für verheiratete Paare. Das Einkommen der Eheleute wird gemeinsam veranlagt mit zwei wesentlichen Auswirkungen:

  • Der Grundfreibetrag und andere steuerliche Abzugsbeträge werden verdoppelt.
  • Die Progressionswirkung des Steuertarifsystems wird deutlich gemindert.

Beim Splitting wird das Einkommen beider Partner*innen fiktiv zusammengerechnet, rechnerisch halbiert und dann der Grundtarif auf jeweils die Hälfte des Einkommens berechnet. Tatsächlich steht das Einkommen in der Regel der Person zu, die es erzielt, und nicht etwa beiden Eheleuten gleichermaßen.

Der finanzielle Vorteil fällt umso höher aus, je ungleicher die Eheleute zum Einkommen des Haushaltes beitragen und je höher das Bruttohaushaltseinkommen ist. Bereits bei einem geringen zweiten Einkommen sinkt der Splittingvorteil im Vergleich zur Einverdienstehe erheblich.

II. Zu den fünf häufigsten Irrtümern über das Ehegattensplitting

Irrtum Nr. 1: Das Ehegattensplitting schützt generell die Ehe als Lebensgemeinschaft zur Gründung einer Familie.

Richtig ist: Die Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Staates (Art. 6 Abs. 1 GG).

Allerdings profitieren vom „Splitting-Vorteil“ keineswegs alle Eheleute. Er wirkt sich nur auf solche Ehen aus, in denen die steuerpflichtigen Eheleute unterschiedlich hohe Jahreseinkommen haben. Das Ehegattensplitting „belohnt“ also den Verzicht eines Ehepartners bzw. einer Ehepartnerin auf Erwerbstätigkeit. Es „verteuert“ den (Wieder-)Einstieg nach einer Erziehungs- oder Pflegezeit. Zudem begünstigt es die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung. Sobald die Erwerbstätigkeit über die Geringfügigkeitsgrenze hinausgeht, sinkt der steuerliche Vorteil aus dem Ehegattensplitting. Zudem müssen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.

Das 1958 eingeführte Ehegattensplitting basierte auf der Idee, dass die Ehefrau traditionell nicht erwerbstätig war und der Mann ein Leben lang sein Einkommen mit ihr teilte. Dieses (Leit-)Bild der lebenslang gültigen Versorgerehe hat der Gesetzgeber in anderen Rechtsbe-reichen längst aufgegeben. Seit der Unterhaltsreform im Jahr 2008 ist jede Ex-Ehefrau und jeder Ex-Ehemann prinzipiell gehalten, für das eigene Einkommen Sorge zu tragen, und zwar auch neben der Erziehung und Betreuung von Kindern. Außerdem erhalten Kinder aus neuen (ehelichen und nichtehelichen) Verbindungen vorrangig vor der ehemaligen Partnerin oder dem ehemaligen Partner Unterhalt, wenn das Geld nicht für alle reicht. Das steuerrechtliche Bild der Versorgerehe, deren Wirkungen auch über den Bestand der Ehe hinaus reichen, findet damit im übrigen Recht und in der Lebenswirklichkeit keine Grundlage mehr. Das Festhalten am Ehegattensplitting verstärkt vielmehr die finanziellen Risiken von Frauen im Falle einer Trennung.

Das Ehegattensplitting privilegiert außerdem oftmals die Differenz zwischen den Einkommen von Frauen und Männern und damit auch den gesamtwirtschaftlichen „Gender Pay Gap“.

Irrtum Nr. 2: Das Ehegattensplitting kommt vor allem Familien mit Kindern zugute.

Richtig ist, dass heute Ehen mit Kindern in der Summe vom Ehegattensplitting stärker profi-tieren als Ehen ohne Kinder. Als Familienförderung lässt es sich allerdings nicht rechtfertigen.

So profitieren nichteheliche Familien mit Kindern nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn die Eltern – wie zum Beispiel bei Bedarfsgemeinschaften im SGB II – in anderen Bereichen des Rechts gegenseitige Einstandspflichten haben. Alleinerziehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften werden mit dem Splitting nicht erreicht, obwohl die Familie ebenso wie die Ehe unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Dabei ergeben sich finanzielle Aufwendungen, für die es einer Entlastung bedarf, typischerweise durch Kinder und nicht (mehr) durch eine Heirat.

Im Lebenslauf eines Kindes enden die finanziellen Vorteile des Ehegattensplittings, wenn die Eltern sich trennen oder sich scheiden lassen. Hiervon sind heute mehr als ein Drittel, in Großstädten sogar die Hälfte aller Ehen betroffen. Auch Ehen mit Kindern werden mehr und mehr geschieden. Aus Sicht der Kinder zeigt sich dann: Nicht nur die Ausgaben steigen, da anstelle eines Haushalts nun zwei Haushalte unterhalten werden müssen. Auch das verfügbare Einkommen wird geringer, weil die steuerlichen Vorteile des „Splitting“ entfallen, da sie nicht an das Kind, sondern an die Ehe der Eltern gebunden sind. Aus Sicht der Kinder ist das Ehegattensplitting deshalb eine unbeständige, nicht verlässliche Förderungsform.

Irrtum Nr. 3: Das Ehegattensplitting entspricht der steuerlichen Leistungsfähigkeit und ist sozial ausgewogen.

Richtig ist, dass das Ehegattensplitting berücksichtigt, dass Ehepartner*innen füreinander Verantwortung tragen. Richtig ist aber auch, dass sie gegenseitig füreinander verantwortlich sind. Ihre Leistungsfähigkeit ist daher anders als bei der Verantwortung für Kinder nicht einseitig durch Unterhaltspflichten gemindert. Ebenso wie bei Kindern erscheint die Berücksichtigung des Existenzminimums – bei Ehepaaren durch die Einräumung eines zweiten Grundfreibetrages – angemessen. Darüber hinaus das Einkommen fiktiv zu halbieren und dadurch die Progression des Steuertarifs erheblich zu mindern, stellt schlicht einen Steuervorteil dar. Dieser wirkt vor allem zu Gunsten hoher Einkommensgruppen mit deutlichen eheinternen Einkommensunterschieden. Blickt man einmal nur auf Einverdienstehen, lässt sich konstatieren: Je höher das Haushaltseinkommen ist, desto höher ist auch der Steuervorteil.

Bei sehr hohen Einkommen kann sich der Splittingvorteil insgesamt auf mehr als 18.000 Euro jährlich belaufen. Die Paare, die wenig oder keine Steuern zahlen, profitieren demgegenüber kaum oder gar nicht. Die im Jahr 2013 durchgeführte Evaluation ehe- und familienpolitischer Maßnahmen und Leistungen zeigte, dass im Jahr 2010 mehr als 41 Prozent des Splittingvolumens auf das Viertel (Quartil) mit dem höchsten verfügbaren Einkommen entfielen. Lediglich 5 Prozent entfielen auf das unterste Viertel.

Das Ehegattensplitting verstärkt also die bestehende soziale Ungleichheit zu Gunsten von besserverdienenden Haushalten. Es bindet mit einem Volumen von über 20 Mrd. Euro erhebliche Steuermindereinnahmen, die vor allem Ehepaaren mit hohen Einkommen im Westen Deutschlands zugutekommen. Es ist sozial unausgewogen. Eine Reform könnte Steuereinnahmen freisetzen für familien- und gleichstellungspolitische Anliegen, die mit Sozial- und Familienleistungen verfolgt werden und nicht gekürzt werden sollten.

Irrtum Nr. 4: Die gemeinsame Ehebesteuerung und das Ehegattensplitting sind verfassungsrechtlich geboten und somit alternativlos.

Richtig ist: Bei der Besteuerung des Einkommens sind sowohl die steuerliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen, der Schutz der Ehe sowie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu beachten. Allerdings hat der Gesetzgeber Spielraum bei der Neuordnung der Ehe- und Familienbesteuerung. Jedem Menschen steht ein Grundfreibetrag (derzeit in Höhe von jährlich 10.908 Euro) als steuerfreies Existenzminimum zu. Nach ganz überwiegender Auffassung müssen Eheleute ohne Rücksicht auf die Einkommensverteilung in der Ehe zwei Grundfreibeträge geltend machen können. Der weitere Effekt des Ehegattensplittings jedoch, der „Progressionsvorteil“, ist verfassungsrechtlich nicht gefordert. Der Gesetzgeber ist frei, diesen finanziellen Effekt entfallen zu lassen und das Geld gezielt für die Förderung von Kindern zu verwenden.

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) fordert seit langer Zeit eine individuelle Besteuerung von Eheleuten bei Übertragbarkeit der existenzsichernden Grundfreibeträge.

Irrtum Nr. 5: Eine Reform des Ehegattensplittings ist nur für die in der Zukunft geschlossenen Ehen möglich, ein solcher Schritt erfordert zwingend lange Übergangsfristen.

Richtig ist, dass steuerrechtliche Reformen, die mit finanziellen Belastungen einhergehen, dem aus Rechtsstaatsprinzip und Grundrechten abgeleiteten Vertrauensschutz Rechnung tragen müssen. Eine Beibehaltung des Splittingvorteils in der derzeit maximal möglichen Höhe ist damit aber nicht zu begründen. Zum einen führen selbst langjährige steuerliche Entlastungen nicht zu einem besonderen Vertrauenstatbestand. Die allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, wird verfassungsrechtlich nicht geschützt. Zum anderen hängt die Höhe des Splittingvorteils von Faktoren ab, die jährlich wechseln können und damit kein Vertrauen begründen: der Höhe des gemeinsam zu versteuernden Einkommens, der Höhe des individuellen Einkommens und der Ausgestaltung des Steuertarifs. Ein Vertrauensschutz wäre aufgrund von Art. 6 GG allenfalls dann anzunehmen, wenn die vor vielen Jahren getroffene Entscheidungen – über Erwerbstätigkeit und familiäre Arbeitsteilung – zu familiären Lebensmodellen geführt haben, an denen sich nichts mehr ändern lässt. Danach erscheint es nicht angezeigt und auch verfassungsrechtlich nicht geboten die Neuregelung zur Ehebesteuerung pauschal auf zukünftig neu geschlossene Ehen zu beschränken. Vielmehr muss das zu schützende Vertrauen – unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der Reform - genauer definiert werden. Danach erscheinen Vertrauensschutzregelungen gleichheitsrechtlich allenfalls für bestimmte Fallgruppen zulässig. 

Zudem bleiben mit der Beibehaltung des Ehegattensplittings für bereits geschlossene Ehen die Nachteile der Regelung auf lange Sicht bestehen. Hier kommt die in Art. 3 Abs. 2 GG verankerte Verpflichtung des Staates, Benachteiligungen zu vermeiden und auf die Beseitigung von geschlechtsbezogenen Nachteilen hinzuwirken in Spiel. Die Reformen der vergangenen Jahre zugunsten einer eigenständigen Existenzsicherung haben nämlich bei Brüchen im Lebensverlauf, z.B. einer Scheidung, Existenzrisiken zulasten von Frauen verschärft. So sind durch die Änderungen im Unterhaltsrecht z.B. nacheheliche Unterhaltsansprüche entfallen. Frauen müssen nach einer Scheidung in der Regel eigenständig für ihre Existenzsicherung sorgen, was nach langjähriger Erwerbslosigkeit schwierig ist. Die Entwicklungen in unterschiedlichen Rechtsbereichen müssen demzufolge angepasst werden. Bei der Besteuerung der Ehe sind die derzeitigen Art. 3 Abs. 2 GG widersprechenden Erwerbshürden zu beseitigen. Dafür ist letztlich der Übergang zu einer Individualbesteuerung notwendig. Unverhältnismäßige Mehrbelastungen könnten durch ausgewogene zielgenaue Übergangsregelungen aufgefangen werden.

III. Zu den Alternativen zum Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting ist weder verfassungsrechtlich noch rechtspolitisch alternativlos. Reformoptionen werden seit Jahrzehnten diskutiert und sind verfassungsrechtlich und ökonomisch umfassend aufgearbeitet. Auch internationale Empfehlungen an Deutschland benennen immer wieder die Notwendigkeit einer geschlechtergerechten Steuerreform.

Die Empfehlungen des Deutschen Juristinnenbundes für eine geschlechtergerechte Reform:

  • Individualbesteuerung,
  • Übertragbare Grundfreibeträge für Partner*innen und
  • Streichung der Steuerklasse V.