Stellungnahme: 23-18


zum Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ (im Folgenden: GE).

Der djb begrüßt das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, das Staatsangehörigkeitsrecht zu modernisieren. Die nun im GE vorgesehene Aufhebung des Verbotes der Mehrstaatigkeit sowie die Absenkung der erforderlichen Voraufenthaltszeiten sind richtige und wichtige Schritte, um Ausländer*innen den Zugang zu mehr gesellschaftlicher und zur demokratischen Teilhabe zu eröffnen. Durch die Verschärfung bei der Lebensunterhaltssicherung werden diese positiven Reformvorschläge jedoch völlig konterkariert. Diese Verschärfung wird vor allem Frauen den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Sie hält das traditionelle Familienbild einer in Vollzeit arbeitenden Person und einer sich um den Nachwuchs kümmernden Person aufrecht, fördert damit Abhängigkeitsverhältnisse und steht letztlich im Widerspruch und Spannungsverhältnis zu der in § 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E geplanten Änderung.

Der djb nimmt im Einzelnen wie folgt Stellung:

Artikel 1 – Änderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Zu Art. 1 Nr. 6 – (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG-E)

Der djb spricht sich dafür aus, von der beabsichtigten Streichung der Wörter „oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat“ Abstand zu nehmen. Sollte der Gesetzgeber eine Konkretisierung des geltenden Wortlautes „oder der Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat“ für erforderlich halten, ist § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG um Regelbeispiele zu ergänzen, bei denen von Gesetzes wegen davon ausgegangen wird, dass die Inanspruchnahme nicht zu vertreten ist. Dabei sind – neben den in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a) - c) vorgesehenen Personengruppen – pflegende Angehörige, Menschen mit Behinderungen und Alleinerziehende zu ergänzen.

Werden die vorstehenden Forderungen nicht aufgegriffen, ist jedenfalls folgende Übergangsregelung für bereits gestellte Einbürgerungsanträge zu ergänzen:

„Für Einbürgerungsanträge, die bis zum (einfügen: Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des StAG nach Art. 6 Abs. 1 GE) gestellt worden sind, ist § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG in der bis zum (einfügen: Tag vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des StAG) geltenden Fassung anzuwenden.“

Der djb weist daraufhin, dass die vorgelegte Gesetzesbegründung nicht darlegt, weshalb es erforderlich ist, das geltende Recht zu verschärfen. Auch vermisst der djb in der vorgelegten Gesetzesbegründung Ausführungen dazu, weshalb die in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a) – c) StAG‑E benannten Personengruppen gegenüber anderen Personengruppen privilegiert werden sollen. Dabei wirft gerade die Auswahl der Personengruppen aus Sicht des djb eine Reihe (gleichheitsrechtlicher) Fragen auf.

Der djb macht zunächst darauf aufmerksam, dass § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. c) StAG-E stereotype Rollenbilder fördert und verfestigt, da sie das traditionelle Familienbild einer in Vollzeit arbeitenden Person und einer sich um den Nachwuchs kümmernden Person aufrechterhält[1]. Hierdurch können Abhängigkeitsverhältnisse von Frauen verstärkt werden. Zudem steht die Regelung im Widerspruch und in einem Spannungsverhältnis zu der geplanten Änderung, die der Gleichberechtigung von Männern und Frauen mehr Gewicht beimessen will (§ 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E).

Die vorgesehene Auswahl der künftig privilegierten Personengruppen schließt insbesondere Frauen in prekären Lebenssituationen, wie

  • pflegende Angehörige
  • Rentnerinnen, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII) erhalten,
  • alleinerziehende Mütter und
  • Frauen mit Behinderung

dauerhaft von der Einbürgerung und somit von der Chance auf demokratische Teilhabe aus. Vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG wirft dies verfassungsrechtliche Bedenken auf. Die geplante Verschärfung bei der Lebensunterhaltssicherung knüpft zwar nicht unmittelbar an die Diskriminierungsmerkmale der Behinderung, des Geschlechts oder des Alters an. Jedoch liegt die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung, insbesondere von einbürgerungswilligen Frauen, nahe. In der Lebensrealität sind immer noch überwiegend Frauen alleinerziehend[2] oder pflegen Angehörige[3] und können daher regelmäßig nicht in Vollzeit arbeiten, sodass sie auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind. Auch werden regelmäßig und überwiegend Rentnerinnen[4] ihre Rente aufstocken müssen und somit künftig von einer Einbürgerung ausgeschlossen sein. Dabei handelt es sich gerade bei den vorstehend benannten Personengruppen um solche, deren unbezahlte Arbeit für die Gesellschaft von essenzieller Bedeutung ist: Pflegende Angehörige, die im Hinblick auf den demografischen Wandel die wichtige Aufgabe der häuslichen Pflege von schwerstkranken Menschen übernehmen; Frauen, die im Niedriglohnsektor gearbeitet haben, und von ihrer Rente nicht leben können; alleinerziehende Frauen, die Kinder großziehen. Die geplante Verschärfung berücksichtigt ihre Lebensumstände nicht.

Die vorgesehene Verschärfung verkennt zudem, die Belange von Menschen (auch Frauen) mit Behinderung, die öfter Leistungen nach SGB II und XII[5] beziehen und nach der geplanten Reform von der Einbürgerung ausgeschlossen werden. Der djb weist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, nach der niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, eine Schlechterstellung von Menschen mit Behinderungen nur zulässig ist, wenn dafür zwingende Gründe vorliegen und aus dem Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgt, dass der Staat eine besondere Verantwortung für behinderte Menschen trägt.

Ferner erleichtert die geplante Änderung, anders als öffentlich suggeriert wird, auch nicht die Einbürgerung für die sogenannte Gastarbeitergeneration[6]. Vielmehr bleibt für sie die bisherige Regelung bestehen, die auf individuelle Verantwortlichkeit bei der Bezugnahme von Sozialleistungen abstellt. Für sie gilt weiterhin: Haben sie die Bezugnahme von Sozialleistungen nicht zu vertreten, können sie, wenn sie die weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, eingebürgert werden.

Schließlich weist der djb daraufhin, dass das Argument, die Betroffenen könnten sich über § 8 Abs. 1 StAG und unter Anwendung der Härtefallregelung des § 8 Abs. 2 StAG einbürgern lassen, in aller Regel nicht greifen wird. Die Härtefallregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll ausschließlich besondere Ausnahmefälle abdecken, wofür hohe Hürden anzunehmen sind. Nach der Rechtsprechung liegt ein öffentliches Interesse nach § 8 Abs. 2 Alt. 1 StAG nur dann vor, wenn „nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbewerbers abhebendes spezifisches staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Einbürgerungsbewerber trotz mangelnder Unbescholtenheit einzubürgern; erforderlich ist ein Erwünschtsein der Einbürgerung des Einbürgerungsbewerbers aufgrund allgemeiner politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Gesichtspunkte“. Zudem ist in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt, dass ein besonderer Härtefall im Sinne des § 8 Abs. 2 Alt. 2 StAG durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein muss und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen wird und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden kann.

Zu Art. 1 Nr. 6 – (§ 10 Abs. 1 S. 3 StAG-E)

Der djb teilt die Einschätzung des Gesetzesentwurfs, dass antisemitische, rassistische, menschenfeindliche oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sind und gegen dessen freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Systematisch ist die gesetzliche Klarstellung an dieser Stelle allerdings wenig nachvollziehbar. Ebenso bleibt unklar, was Sinn und Zweck der Regelung an dieser Stelle sind und welche Folgen sich daraus für die Anwendung in der Praxis ergeben. Die Regelung kann ggf. in § 11 StAG getroffen werden.

Zu Art. 1 Nr. 6 (§ 10 Abs. 3 Nr. 3 StAG-E)

Der djb weist darauf hin, dass für die Aufnahme eines Studiums in Deutschland teilweise deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 (dies entspricht gemäß § 2 Abs. 11a AufenthG guten deutschen Sprachkenntnissen) verlangt werden. Es sollte daher erwogen werden, dieses Sprachniveau auch für die beschleunigte Einbürgerung ausreichen zu lassen.

Zu Art. 1 Nr. 7 StAG (§ 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E)

Der djb begrüßt es grundsätzlich ausdrücklich, wenn der Gleichberechtigung von Mann und Frau einfachgesetzlich Bedeutung zugemessen wird, wie beispielsweise im Rahmen des AGG. Der konkrete Regelungsvorschlag wirft jedoch aus Sicht des djb Fragen auf. Im Koalitionsvertrag ist angekündigt worden, dass die Einbürgerungsvoraussetzung der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ durch klare Kriterien ersetzt werden soll. Die Umsetzung dieses Anliegens dürfte durch § 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E allerdings nicht gelingen, da der Regelungsvorschlag weiterhin unbestimmt ist und Mitarbeitenden in den Staatsangehörigkeitsbehörden gerade keine klaren Regeln an die Hand gibt, sondern ihnen Wertungsspielraum überlässt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die „im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau“, auf die § 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E Bezug nimmt, die staatliche Gewalt bindet und gerade keine Verhaltensvorgaben für einzelne Bürger*innen macht.

Unabhängig davon, fordert der djb Anpassungen in der Gesetzesbegründung. Danach soll der Ausschlusstatbestand des § 11 S. 1 Nr. 3 lit. b) StAG-E u.a. dann erfüllt sein, wenn eine Frau mit einem Mann verheiratet ist, der in Mehrehe lebt. Die in der Gesetzesbegründung anklingende Behauptung, dass sich „Frauen freiwillig in dieses (Anm.: Mehrehe) geschlechterdiskriminierende Konstrukt begeben“, verkennt, dass häufig wirtschaftliche, finanzielle oder andere Abhängigkeitsverhältnisse und kulturelle Erwartungen dazu führen, dass Frauen mit einem Mann verheiratet sind, der mehrere Ehefrauen hat. Versperrt man diesen Frauen zukünftig den Weg in die deutsche Staatsangehörigkeit, können bereits bestehende Abhängigkeitsverhältnisse weiter verfestigt werden. Nicht nachvollziehbar ist zudem die in der Gesetzesbegründung formulierte Annahme, dass „nur durch das einvernehmliche Handeln sämtlicher Beteiligter von Mehrehen diese Organisation familiärer Verhältnisse verwirklicht werden kann“. Denn mindestens die „erste Ehefrau“ hat in der Regel keinen Einfluss darauf, ob ihr Mann erneut heiraten wird. Diese Entscheidung ist allein dem Mann überlassen und sollte nicht der „ersten Ehefrau“ vorgeworfen werden. Auch den weiteren Ehefrauen kann – aufgrund vielfach bestehender struktureller Diskriminierung im Familienrecht ihrer Herkunftsländer (s. o.) – nicht regelhaft unterstellt werden, freiwillig eine Mehrehe eingegangen zu sein.

Weitere Anpassungserfordernisse

Zusätzlich zu den im Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen regt der djb folgende weitere Anpassungen im Staatsangehörigkeitsgesetz an:

Änderung von § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StAG

Die Regelung in § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StAG sollte hinsichtlich der zugelassenen Aufenthaltstitel an die Regelung in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG (Aufenthaltstitel, die Voraussetzung für eine Einbürgerung auf Antrag sind) angepasst werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Kinder von Inhaber*innen der in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG genannten Aufenthaltstitel vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland ausgeschlossen sind, obwohl ihre Eltern aufgrund ihres eigenen Aufenthaltstitels eingebürgert werden könnten. Spezifisch Frauen sind von der bisherigen Regelung in ihrem Elternrecht betroffen, da sie häufiger familienbedingte Erwerbstätigkeitsunterbrechungen aufweisen und dadurch auf größere Hürden beim Erfüllen der Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung und dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse als Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis stoßen.

Änderung von § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG

In § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG sollte § 18d AufenthG aus dem Katalog der nicht ausreichenden Aufenthaltstitel gestrichen werden. Es besteht ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung von Forscher*innen, die seit acht Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

 

Prof. Dr. Maria Wersig

Präsidentin 

 

Prof. Dr. Sina Fontana 

Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung

 

 


[1] vgl. Johannes Thierer: Deutschlands goldener Pass? Verfassungsblog vom 27. Mai 2023

[2] vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/318160/umfrage/alleinerziehende-in-deutschland-nach-geschlecht/, zuletzt aufgerufen am 13.06.23

[3] vgl. https://de.statista.com/infografik/21576/anteil-der-informell-pflegeleistenden-in-deutschland-nach-alter-und-geschlecht/, zuletzt aufgerufen am 13.06.23

[4] vgl. https://de.statista.com/infografik/21576/anteil-der-informell-pflegeleistenden-in-deutschland-nach-alter-und-geschlecht/, zuletzt aufgerufen am 13.06.23

[5] vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Sozialhilfe/Glossar/einliederungshilfe-behinderte-amenschen.html, zuletzt aufgerufen am 13.06.23

[6] vgl. Pressemitteilung vom Bundesinnenministerium vom 19.05.2023: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/05/staatsangehoerigkeitsrecht.html, zuletzt aufgerufen am 13.06.23