Stellungnahme: 23-13


Alternativbericht zu dem neunten Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) vom 16. Juli 2021 (CEDAW/C/DEU/9)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) vereinigt Frauen aus allen juristischen Berufen mit dem Ziel, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft zu erreichen und zur Verwirklichung der Menschenrechte von Frauen beizutragen.

Frauen, Frieden und Sicherheit (Ziff. 6)

Art. 7 Abs. 4 des Vertrags über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) schreibt eine Risikoüberprüfung hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt vor, die nicht ausreichend umgesetzt wurde. Die Richtlinien für die Genehmigung von Rüstungsexporten sind maßgeblich in den „Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ der Bundesregierung festgelegt. Zwar schreiben diese die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland als maßgebliches Kriterium vor; sie sind aber nicht rechtlich bindend. Darüber hinaus gibt es keinen ausdrücklichen Hinweis auf die geschlechtsspezifische Dimension. Die Exportzahlen der Regierung und die Genehmigungspraxis für Waffenexporte zeigen auf, dass wichtige Grundsätze, wie Kriegswaffen und Kleinwaffen nicht in Drittstaaten (Staaten außerhalb der EU, die zudem keine NATO-Staaten oder NATO-gleichgestellte Länder sind) zu liefern sowie die Beachtung der Menschenrechtssituation im Bestimmungs- und Endverbleibsland, nicht eingehalten werden.[1]

Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage vermochte die frühere Bundesregierung keine Maßnahmen aufzuzählen, die vor der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen eine ausdrückliche Bewertung der Auswirkungen des Missbrauchs von Kleinwaffen und leichten Waffen auf die Situation von Frauen im Bestimmungsland vornehmen.

Der djb fordert:

  • Ein Gesetz zur einheitlichen Regelung der Rüstungsausfuhrkontrolle zu verabschieden, das Export von Kriegs- und Kleinwaffen in Drittstaaten, in denen Menschenrechte verletzt werden, ausdrücklich untersagt;
  • Darin explizit die Ausfuhr von Rüstungsgütern zu verbieten, die dazu verwendet werden, schwerwiegende Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt oder schwerwiegende gewalttätige Handlungen gegen Frauen und Kinder vorzunehmen oder zu erleichtern und eine dahingehende Risikoüberprüfung vorzuschreiben.

 

Digitalisierung (Ziff. 11 (g))

Wir begrüßen die umfassende Analyse und die Forderungen des Dritten Gleichstellungsberichts, halten die dargelegten Maßnahmen aber nicht für ausreichend. So sind die Förderprogramme mit zu geringen Mitteln ausgestattet und die Änderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) nicht ausreichend. Zudem wird dieses Gesetz zum Jahr 2024 auslaufen und durch den europäischen Digital Services Act (DSA) ersetzt, der die Löschfristen lockert. Deutschland muss bei der Verabschiedung des digitalen Gewaltschutzgesetzes die Spielräume des DSA voll ausschöpfen.

Die 2022 vorgelegte Digitalstrategie der Bundesregierung weist aus gleichstellungspolitischer Sicht Leerstellen auf.[2] Bei Digitalprojekten ist eine spezifische soziotechnische Kompetenz, die Nutzung bereits vorhandener Genderkompetenz und eine umfassende Technikfolgenabschätzung zur Abwendung von Diskriminierungen und digitalisierter geschlechtsspezifischer Gewalt sicherzustellen. Eine paritätische Besetzung von Behörden, Ämtern und Gremien sowie die Schaffung von Organisationseinheiten, die die Handlungsempfehlungen des Dritten Gleichstellungsberichts berücksichtigen, sind unerlässlich. Für die Umsetzung der Digitalstrategie der Bundesregierung sind ausreichende Mittel erforderlich. Es empfiehlt sich, ein Digitalressort einzurichten und auszustatten, welches in Digitalprojekte verpflichtend einzubinden wäre. Auch im neu konstituierten Dateninstitut für Deutschland und im Digitalrat der Bundesregierung müssen diese Inhalte Gewicht erhalten. Die Digitalstrategie sollte sich mit dem Mangel an Daten über Frauen („Gender Data Gap“) befassen, der zu Systemen und Produkten führt, die ausschließlich auf einen männlichen Standard ausgerichtet sind.

Der djb fordert einen nach Risiken abgestuften Ordnungsrahmen für Algorithmen und autonome Systeme, der wertebasiert und der Diskriminierungsfreiheit verpflichtet ist.

Es bedarf eines digitalen Gewaltschutzgesetzes, das die Löschung und/oder (zeitweilige) Sperrung von Accounts ohne Klarnamenpflicht binnen weniger Stunden mit Hilfe von einstweiligen Verfügungsverfahren vor spezialisierten Gerichten ermöglicht.[3]

Weiter müssen Regelungen geschaffen werden, die auch den digitalisierungsbezogenen Interessen von Frauen bei der Erwerbsarbeit Rechnung tragen. Die Auswirkungen digitaler Entwicklungen auf die Gleichstellung der Geschlechter müssen geprüft werden.

Der djb fordert:

  • Die geschlechtergerechte Gestaltung der Digitalisierung institutionell abzusichern;
  • Diskriminierende Algorithmen und den Gender-Data-Gap zu überwinden;
  • Digitale Gewalt wirksam zu bekämpfen;
  • Nachteile digitaler Entwicklungen auf die Gleichstellung der Geschlechter zu vermeiden.

 

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen (Ziff. 11 (b), 11 (f))

Vor allem in der Rechtsanwendung und der Rechtsdurchsetzung bestehen nach wie vor Defizite.

Eine uneinheitliche Rechtsanwendung herrscht in Fällen sexualisierter und tödlicher Partnerschaftsgewalt. Bei sexualisierter Partnerschaftsgewalt werden frühere oder bestehende Sexualbeziehungen zwischen Täter*innen und Opfer oder eine vom Opfer initiierte Trennung vor der Straftat von den Gerichten oft fälschlicherweise strafmildernd berücksichtigt und nicht als strafschärfender Faktor angesehen. 2022 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der die allgemeine Strafzumessungsnorm um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive als mögliche strafschärfende Beweggründe ergänzt.[4]

In der Rechtsdurchsetzung mangelt es den Betroffenen von partnerschaftlicher Gewalt an Zugang und Unterstützungsmöglichkeiten im Strafverfahren. Obwohl Opfer im Strafprozess einer massiven Stresssituation und dem Risiko der (Re-)Traumatisierung ausgesetzt sind, fehlt es an einem allgemeinen Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung, der derzeit nur in eng gefassten und zum Teil im Ermessen des Gerichts stehenden Konstellationen besteht. Die Prozesskostenhilfe für die Vertretung privater Nebenkläger sollte sichergestellt werden. Sowohl die kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung als auch die vom Staat übernommene Nebenklagevertretung werden derzeit nur bestimmten Opfergruppen gewährt,[5] die eine Vielzahl von Fällen partnerschaftlicher Gewalt nicht erfassen. Eine Ausweitung der erfassten Opfergruppen ist zur Vermeidung von Schutzlücken dringend geboten.

Die in Ziff. 11 (f) aufgeführten Maßnahmen reichen nicht aus, um die Verpflichtungen aus der UN-Konvention umzusetzen. Die frühere Bundesregierung hat nicht angezeigt, dass sie plane, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die Fortbildungen von Richter*innen und Staatsanwält*innen müssten verpflichtend sein. Eine solche Verpflichtung könnte unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit im Richtergesetz des Bundes verankert werden. Werden Richter*innen und Staatsanwält*innen nicht hinreichend für die psychischen Auswirkungen solcher Gewalttaten und die Risiken sekundärer Viktimisierung sensibilisiert, besteht die Gefahr, dass sich diese psychischen Belastungen während des Strafprozesses noch verschlimmern. Das gleiche Risiko gilt für Polizeibeamt*innen. Da Beamt*innen regelmäßig erste Ansprechpartner*innen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sind, müssen sie in der Lage sein, Risiken einzuschätzen und Schritte zur Stabilisierung der Situation des Opfers einzuleiten. Die Schulungsmaßnahmen müssen ausgebaut werden. Sie sollten Ursachen und Auswirkungen von geschlechtsspezifischer Gewalt, die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen und Sexualitätsmythen thematisieren. CEDAW verpflichtet Deutschland, entsprechende Aufklärungs- und Schulungsmaßnahmen anzubieten. Für eine bessere Erkennung von Warnsignalen und damit der Prävention von häuslicher Gewalt bedarf es eines Ausbaus von vorhandenen Instrumenten der Risikoeinschätzung. Ferner müssen die u.a. bei Beratungsstellen, Frauenschutzhäusern, Polizei und Justiz bekannten Informationen zur individuellen Bedrohungslage zusammengeführt werden. Notwendig ist die flächendeckende Etablierung eines interinstitutionellen Fallmanagements.

Ferner fehlen empirische Erkenntnisse und statistische Erhebungen über Gewalt gegen Frauen in Deutschland über die Polizeiliche Kriminalstatistik hinaus. Die letzte repräsentative Studie, die Gewalt gegen Frauen untersucht, stammt aus dem Jahr 2004. Eine bessere Erforschung geschlechtsspezifischer Gewalt ist notwendig, um gängige Stereotypen und Mythen aufzubrechen. Empirische Erkenntnisse können so die Grundlage für Risikoeinschätzungen zu Präventionszwecken bilden und langfristig dem Monitoring der Effektivität gesetzlicher Regelungen dienen. 

Der djb fordert:

  • Zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendungspraxis verpflichtende Teilnahmen an Fortbildungen für Staatsanwält*innen und Richter*innen sowie Polizeikräfte zum Thema geschlechtsspezifischer Gewalt einzuführen;
  • Unzumutbar aufgedrängte Sexualität in einem eigenen Straftatbestand oder als Ordnungswidrigkeit zu erfassen;
  • Einen systematischen und lückenfreien (strafrechtlichen) Schutz von Erwachsenen vor dem unbefugten Herstellen und jedwedem Nutzen von Bildaufnahmen, die eine andere Person sexualbezogen wiedergeben, einzurichten;
  • Die bereits vorhandenen Instrumente zur Risikoeinschätzung weiterzuentwickeln und auszubauen, um sie den mit Gefährdungsfällen befassten Personen und Institutionen an die Hand zu geben;
  • Den Ausbau und die Finanzierung empirischer Forschung, um eine intensive Tatursachenforschung als Grundlage für Risikoeinschätzungen zu Präventionszwecken zu ermöglichen.

 

Geflüchtete Frauen (Ziff. 11 (d), 16 (b), 21 (a), 21 (b))

Alle Formen geschlechtsspezifischer Verfolgung müssen im Asylverfahren festgestellt werden und sind ein Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus. Trotz vorhandenem Schulungsangebot zum Erkennen und dem Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und dementsprechend geschulten Entscheider*innen, die offizielle Anhörungen von Asylsuchenden durchführen sollen, fehlt es weiterhin an verbindlichen Leitlinien zur Ermittlung des Vorliegens von geschlechtsspezifischer Verfolgung, die ein Erkennen und eine Anerkennung solcher sicherstellen. Auch das Rechtsinstitut der „sicheren Herkunftsstaaten“, welches den Frauen die Beweislast für fehlende Schutzmöglichkeiten auferlegt, verhindert die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Gewalt.

Darüber hinaus stellen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit während des Asylverfahrens (Residenzpflicht)[6] ein Hindernis für den Zugang zu effektivem Schutz vor Gewalt dar. Weibliche Asylsuchende, die Opfer von Gewalt durch Familienangehörige, Sozial- oder Sicherheitspersonal oder anderen Asylsuchenden sind, dürfen die zugewiesenen Unterkünfte nicht ohne besondere Genehmigung verlassen. Das Gesetz sieht zwar Ausnahmen von der Residenzpflicht vor, doch gehört geschlechtsspezifische Gewalt nicht dazu. Die oft kurzfristige Notwendigkeit, Schutz in einem Frauenhaus zu suchen, ermöglicht kein Genehmigungsverfahren. Ohne eine Erlaubnis gilt die Suche nach Zuflucht jedoch als Ordnungswidrigkeit und führt dazu, dass die Frauenhäuser die Aufnahme ablehnen, weil die Finanzierung nicht gesichert ist.

Frauen ohne Aufenthaltspapiere haben zudem keinerlei Zugang zum Gewaltschutz, ohne dadurch ihre Abschiebung zu riskieren. In den meisten Fällen sind die Frauenhäuser verpflichtet, die aufgenommenen Frauen den Kostenträgern namentlich zu nennen und diese sind verpflichtet, die Daten an die Ausländerbehörden weiterzugeben.[7]

Zudem fehlt es weiterhin an obligatorischen Gewaltschutzmaßnahmen in allen Bundesländern. Auch der neu eingeführte § 44 Abs. 2a AsylG verpflichtet lediglich zur Sicherstellung „geeigneter Maßnahmen“ zur Gewährleistung eines umfassenden Schutzes von Frauen während der Unterbringung, ohne diese jedoch zu spezifizieren oder verbindliche Mindeststandards festzulegen.

Schließlich gewährleisten die vorhandenen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) keinen hinreichenden Schutz für gewaltbetroffene Frauen. Auch wenn das Vorliegen von Gewalt in der Ehe theoretisch einen eigenständigen Aufenthaltstitel begründet,[8] wird ein solcher in der Praxis häufig verweigert.

Der djb fordert:

  • Die Einführung von Leitlinien zur Ermittlung geschlechtsspezifischer Verfolgung und Schutzbedarfs aufgrund geschlechtsspezifischer Gefährdungen;
  • Eine Änderung der bestehenden Gesetze, um zu gewährleisten, dass weibliche Asylsuchende und andere Migrantinnen uneingeschränkten Zugang zu Frauenhäusern und allen anderen Formen der Unterstützung bei häuslicher und sexueller Gewalt haben und dass sie in voller Autonomie über den sichersten Ort ihres Aufenthalts entscheiden können;
  • Umfassende verbindliche Vorgaben für Minimalstandards für Schutzkonzepte für die Unterbringung asylsuchender Frauen;
  • Verbindliche Leitlinien und Beweiserleichterungen zur effektiven Umsetzung des in § 31 Abs. 2 AufenthG angelegten Schutzstandards;
  • Die Abschaffung der Verpflichtung zur Datenweitergabe von Sozialbehörden in Gewaltschutzfällen.

 

Politische Teilhabe/Parität (Ziff. 13)

Zwar stieg der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Bundestag nach der Bundestagswahl 2021 auf 34,8 Prozent. Seit rund 25 Jahren stagniert der Frauenanteil jedoch bei etwa einem Drittel. In den Länderparlamenten liegt der Durchschnitt bei 33,1 Prozent. In den Kommunalvertretungen liegt der Frauenanteil bei 30,3 Prozent, bei den Bürgermeisterinnen bei 13,5 Prozent.[9]

Rechtliche Maßnahmen, die auf die Verringerung der Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Ämtern hinwirken, hat die frühere Bundesregierung im Berichtszeitraum nicht ergriffen. Auch die derzeitige Wahlrechtsreform enthält keine Maßnahmen zur Gewährleistung der politischen Teilhabe von Frauen.

Schließlich ist anzumerken, dass zwar verschiedene nicht-gesetzliche Maßnahmen, darunter Empowerment-Workshops oder Mentoring-Programme angesetzt wurden, diese jedoch insgesamt nicht ausreichend sind. Zudem sind die Sensibilisierungs- und Führungsprogramme nicht hinreichend darauf ausgerichtet, in der allgemeinen Öffentlichkeit für Verständnis dafür zu sorgen, dass eine gleichberechtigte Repräsentation von Frauen Voraussetzung für die effektive Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen ist.

Der djb fordert:

  • Das Ergreifen von gesetzlichen Maßnahmen, die auf allen Ebenen politischer Repräsentation auch faktisch die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen sicherstellen, einschließlich der Erarbeitung verfassungskonformer Paritätsgesetze;
  • Die Einführung von speziellen Maßnahmen für die Stärkung von Repräsentation von Frauen bei Bundestagswahlen und politischen Ämtern auf Bundesebene;
  • Auf allen Ebenen politischer Repräsentation angelegte Sensibilisierungs- und Führungsprogramme, die das allgemeine Verständnis dafür steigern, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Ämtern und im politischen Leben zwecks Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen behoben werden muss.

Zugang zum Arbeitsmarkt (Ziff. 15 (a) bis (i))

Die ehemalige Bundesregierung gibt verschiedene Maßnahmen an, die den Gender Pay Gap reduzieren sollen. Dennoch sind auch weiterhin in den meist mit prekären Arbeitsbedingungen verbundenen Gesundheits- und Pflegeberufen 75 Prozent Frauen tätig (Stand: Jahresende 2022[10]). Das Entgelttransparenzgesetz wurde bereits 2019 evaluiert, wobei deutliche Kritik geäußert[11] und in Anbetracht der geringen Geltendmachung des individuellen Auskunftsanspruchs Möglichkeiten vorgeschlagen wurden, um Bekanntheit und Rechtsanwendung des Gesetzes zu verbessern. Die kommende EU-Richtlinie zu Entgeltgleichheit und Lohntransparenz sollte daher von der neuen Bundesregierung – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – zum Anlass genommen werden, zügig eine umfassende Neuregelung auf den Weg zu bringen. Erforderlich ist dabei insbesondere ein weites Verständnis der Vergleichspersonen im Rahmen des Auskunftsanspruchs, die Einführung eines Verbandsklagerechts sowie eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen, betriebliche Entgeltsysteme zu überprüfen. Die Rechtsentwicklung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs in diesem Bereich sollte gesetzlich verankert werden.

Die Bundesregierung hat keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen, um der bestehenden Segregation von Mann und Frau im öffentlichen und privaten Sektor sowie dem Digital Gap entgegenzuwirken. Die Ausbildungsmöglichkeiten, die die ehemalige Bundesregierung anführt, vermögen in dieser Hinsicht keine Änderung herbeizuführen: Weder die eingeführte berufsbegleitende Berufsberatung noch die Sozialpartnerrichtlinie zielen darauf ab, gezielt Anreize zu schaffen, um Frauen für Berufe zu gewinnen, die nicht in die Kategorie der für Frauen traditionellen Berufe fallen.

Hinsichtlich des Zugangs zu wirksamen Rechtsbehelfen für Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Ziff. 15 (d)) enthält das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwar eine allgemeine Präventionspflicht im Sinne einer betrieblichen Organisationspflicht zur Verhinderung von Belästigung,[12] diese lässt den Arbeitgebenden jedoch einen großen Ermessensspielraum bei der Umsetzung. De jure verpflichtet das AGG die Arbeitgebenden zur Einführung betriebsinterner Beschwerdestellen,[13] darüber haben jedoch mehr als 40 Prozent der Beschäftigten keine Kenntnis.[14] Konkret werden die vorgesehenen Entschädigungs- und Schadensersatzrechte (§ 15 AGG) nur von unter einem Prozent aller belästigten Personen geltend gemacht.[15] Der Verweis der ehemaligen Bundesregierung auf das AGG verkennt daher die strukturellen Umsetzungsdefizite in der Praxis. Die beschlossene Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 190 gewinnt hier an besonderer Bedeutung, da es kollektivarbeitsrechtliche Lösungen, insbesondere Präventionsmaßnahmen, vorsieht.

Das Programm „Stark im Beruf“ (Ziff. 15 (e)), das Ende 2022 ausgelaufen ist, hat Erfolge erzielt, die anzuerkennen sind. Diese sind jedoch lediglich als Anfang zu sehen, weitere Maßnahmen und Programme sind erforderlich. Trotz des starken Arbeitswunsches von geflüchteten Frauen (78,8 Prozent würden gerne arbeiten) ist ihre Arbeitsmarktintegration im Vergleich zu männlichen Geflüchteten weit weniger erfolgreich (2021: 28 Prozent gegenüber 60 Prozent bei Männern).[16] Darüber hinaus sind Frauen mit Migrationshintergrund bei der Arbeitssuche erheblichen Diskriminierungen ausgesetzt.[17] Generell ist der Anteil der Beschäftigten mit sehr geringer Wochenarbeitszeit bei Frauen mit Migrationshintergrund deutlich höher als bei Frauen ohne Migrationshintergrund.

In Bezug auf Frauen mit Behinderungen (Ziff. 15 (f)) werden intersektionelle Diskriminierungsrisiken derzeit nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Frauen sind hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt noch stärker von Diskriminierung und Stereotypisierung betroffen als Frauen ohne Behinderung.[18]

Im Bereich des Angebots von Kinderbetreuung (Ziff. 15 (h)) muss die Umsetzung des Rechtsanspruches sichergestellt und durch qualitätssichernde Maßnahmen flankiert werden.[19] Die Verweigerung der ehemaligen Bundesregierung, das ILO-Abkommen Nr. 156 zu ratifizieren, ist kritikwürdig; sie steht im Gegensatz zur großen Mehrheit der EU-Staaten. Die neue Bundesregierung wird aufgefordert, die Regelung, dass familiäre Verpflichtungen als solche keinen Kündigungsgrund darstellen dürfen (Art. 8 ILO-Abkommen Nr. 156), in das deutsche Arbeitsrecht zu übernehmen.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzverweist bei der Definition der geschützten Rechtspositionen gerade nicht auf die wesentlichen Instrumente des frauenspezifischen Schutzes, wie beispielsweise die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), und lässt damit gravierende Lücken im Schutz von Frauenrechten in globalen Lieferketten.[20]

Der djb fordert:

  • Das Ergreifen konkreter Maßnahmen, um die ausgeprägte Geschlechtssegregation des Arbeitsmarktes in Deutschland zu beseitigen;
  • Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, das sowohl große als auch kleine und mittelständische Unternehmen verpflichtet, Diskriminierungsstrukturen zu identifizieren, deren Gründe zu analysieren und schließlich Veränderungspotenzial zu ermitteln und auszuschöpfen;
  • Eine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung betrieblicher Prüfverfahren hinsichtlich der betrieblichen Entgeltpraxis und der im Betrieb geltenden Entgeltregelungen;
  • Das Ergreifen konkreter Maßnahmen, um die Diskriminierung und Stereotypisierung von Frauen mit Behinderungen und Frauen mit Migrationshintergrund im Arbeitsmarkt zu beenden;
  • Die Erarbeitung von Strategien für eine erfolgreichere Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Frauen, unter anderem durch die Teilnahme an Sprachkursen; auch unter Berücksichtigung der Kinderbetreuung;
  • Das Ergreifen von Maßnahmen, um die Diskriminierung von Frauen – und insbesondere von intersektionaler Diskriminierung betroffener Frauen – im Erwerbsleben zu bekämpfen;
  • Das Einführen von Überprüfungsmechanismen durch öffentliche Kontroll- und Umsetzungsmaßnahmen (bspw. Verbandsklagerecht) sowie die Initiierung positiver wie negativer Sanktionen bei Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen;
  • Eine zügige und umfassende Umsetzung der kommenden EU-Richtlinie zu Entgeltgleichheit und Lohntransparenz.

 

Steuerrecht und -politik (Ziff. 15 (g))

Die im Koalitionsvertrag angekündigte Streichung der Lohnsteuerklasse V wurde bislang nicht umgesetzt. Das Ehegattensplitting bleibt – trotz nationaler und internationaler Empfehlungen für eine Individualbesteuerung – erhalten.[21]

Zudem fehlt es an Überlegungen für eine gleichstellungsorientierte Berechnung von Lohnersatzleistungen, wie dem Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Durch die Orientierung an den Lohnsteuerklassen kommt es hier zu ungerechtfertigten Verzerrungen, die auch durch die Streichung der Steuerklassen III und V nicht beseitigt werden.[22]

Die durch die Erhöhung des Mindestlohns gestiegene Grenze für geringfügige Beschäftigung hat die Probleme eher noch verschärft. Ehegattensplitting und Minijobs zählen gerade nach der Elternzeit zu den zentralen Ursachen der ungerechten Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit und der daraus resultierenden Nachteile für die finanzielle Existenzsicherung von Frauen. Solange die Bundesregierung an der geringfügigen Beschäftigung festhält, muss zumindest gewährleistet werden, dass Leistungen zur sozialen Sicherung auch bei prekären und atypischen Beschäftigungsformen greifen.

Die zunehmende Besteuerung von Konsum sowie die sinkende Besteuerung von Kapitaleinkommen und hohen Einkommen führen zu einer Verlagerung der Steuerlast von Männern auf Frauen.[23] Die Einführung einer Vermögenssteuer, die Anhebung der Steuersätze für hohe Einkommensgruppen und die angemessene Besteuerung von Kapitaleinkünften können dazu beitragen, die Kosten der aktuellen Krisen abzufedern. Gleichzeitig würde die Progression des Steuersystems gestärkt und sozialer und geschlechtsbezogener Ungleichheit entgegengewirkt werden. Das Steuervolumen des Freibetrags für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung, der vor allem Einverdienstfamilien mit hohem Einkommen nützt, sollte in die Finanzierung der Kindergrundsicherung fließen, um eine gerechte bedarfsorientierte Unterstützung von Familien zu fördern.

Der djb fordert:

  • Die durch das Steuer- und Sozialversicherungssystem bedingten Erwerbshürden abzuschaffen;
  • Sicherzustellen, dass die geschlechtsbezogenen Auswirkungen des Steuer- und Sozialversicherungssystems geprüft und Benachteiligungen beseitigt werden.

 

Schwangerschaftsabbruch (Ziff. 16 (b))

Der djb begrüßt, dass die aktuelle Bundesregierung eine Kommission einsetzt, um eine neue Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs (StGB) zu prüfen. Es ist entscheidend, dass eine neue Regelung, die das reproduktive Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität schwangerer Personen respektiert, umgehend umgesetzt wird.[24]

Hinsichtlich des Zugangs und der Verfügbarkeit von Angeboten für einen Schwangerschaftsabbruch verweist die frühere Bundesregierung auf die Zuständigkeit der Länder, gemäß § 13 Abs. 2 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (SchKG) ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Diesem Auftrag werden die Länder aber gerade nicht gerecht. Der djb weist auf die stetig sinkende Zahl von Ärzt*innen und Kliniken hin, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.[25] Es ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Sicherstellungsauftrag der Länder effektiv umzusetzen, damit jede ungewollt schwangere Person tatsächlich Zugang zum Schwangerschaftsabbruch als regulärem Teil der Gesundheitsversorgung hat.[26] Darüber hinaus sollte der Leistungsbereich des Schwangerschaftsabbruchs zum verpflichtenden Programm der medizinischen Ausbildung im Studium sowie der Weiterbildung für die gynäkologische Facharztausbildung werden.

Der djb fordert:

  • Die Abschaffung der §§ 218-219b StGB;
  • Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des StGB, die insbesondere keine Pflichtberatung vorsieht;
  • Die Verbesserung der Versorgungslage;
  • Die Sicherstellung der Kostenübernahme aller Schwangerschaftsabbrüche von der gesetzlichen Krankenversicherung;
  • Die Gewährleistung des Schwangerschaftsabbruchs als Pflichtteil der medizinischen Aus- und Weiterbildung.

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin

Prof. Dr. Anna Katharina Mangold
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht

 


[1] Siehe dazu ausführlich: Greenpeace, Entwurf für ein Rüstungsexportkontrollgesetz, 01.04.2021, abrufbar unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/greenpeace-entwurf-ruestungsexportkontrollgesetz.

[2] Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme 22-22, 30.08.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st22-22.

[3] Siehe Gesellschaft für Freiheitsrechte, Eckpunkte zum Digitalen Gewaltschutzgesetz, 22.12.2022, abrufbar unter: https://freiheitsrechte.org/uploads/documents/Demokratie/Marie-Munk-Initiative/Eckpunkte-Marie-Munk-Initiative.pdf.

[4] § 46 StGB.

[5] § 397a Abs. 1 StPO, § 406g Abs. 3 S. 1 StPO.

[6] §§ 56, 60 AsylG; §§ 12a, 61 AufenthG.

[7] § 87 Abs. 2 AufenthG.

[8] § 31 Abs. 2 AufenthG.

[9] Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Partizipation, Stand: 23.02.2023, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gleichstellungsatlas?view.

[10] Destatis, Gesundheitspersonal, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitspersonal/_inhalt.html.

[11] Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme 19-18, 07.08.2019, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st19-18.

[12] § 12 AGG.

[13] § 13 AGG.

[14] Siehe Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Studie, Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, 2019, S. 11, abrufbar unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/umgang_mit_sexueller_belaestigung_am_arbeitsplatz_kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=8.

[15] Ebd., S. 12.

[16] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Geflüchtete Frauen müssen viele Hindernisse überwinden, August 2021, abrufbar unter: https://doku.iab.de/kurzber/2021/kb2021-08.pdf.

[17] Susanne Worbs, Tatjana Baraulina, Geflüchtete Frauen in Deutschland: Sprache, Bildung und Arbeitsmarkt, 2017, abrufbar unter: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse7_gefluchetete-frauen.html.

[18] Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland, 2013, abrufbar unter: www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/lebenssituation-und-belastungen-von-frauen-mit-beeintraechtigungen-und-behinderungen-in-deutschland-80576.

[19] Deutscher Juristinnenbund, Pressemitteilung 21-19, 05.07.2021, Nr. 11, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm21-19.

[20] Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme 23-09, 21.03.2023, Nr. 9, abrufbar unter: www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st23-09_Lieferketten.pdf.

[21] Zum Beispiel: Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Concluding Observations on the combined seventh and eighth periodic report of Germany, CEDAW/C/DEU/CO/7-8, 09.03.2017; Europäisches Parlament, Resolution on gender equality and taxation policies in the EU, 15.01.2019, 2018/2095 (INI); Bundesregierung, 30.08.2019, BT-Drs. 19/12857.

[22] Ulrike Spangenberg, Gisela Färber, Corinna Späth, Mittelbare Diskriminierung im Lohnsteuerverfahren, Juli 2019, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-007819/p_fofoe_WP_190_2020.pdf.

[23] Asa Gunnarsson, Margit Schratzenstaller, Ulrike Spangenberg, Gender equality and taxation in the European Union, 2017, S. 20 f., abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2017/583138/IPOL_STU(2017)583138_EN.pdf.

[24] Siehe Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper 22-26, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26.

[25] Siehe Matthias Janson, Immer weniger Ärzt:innen führen Abtreibungen durch, 13.05.2022, abrufbar unter: https://de.statista.com/infografik/27437/anzahl-der-praxen-und-krankenhaeuser-in-deutschland-die-schwanger-schaftsabbrueche-vornehmen/.

[26] Siehe Deutscher Juristinnenbund, Policy Paper 22-26, 08.12.2022, abrufbar unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-26, S. 7, 8.