Stellungnahme: 23-11


zum Gesetzesentwurf der Fraktion DIE LINKE Hessisches Gesetz zum Schutz vor Störung Schwangerer bei Schwangerschaftsberatung und -abbruch (Drucks. 20/10658)

Stellungnahme vom

1. Einleitung

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit der Stellungnahme zu dem o.g. Gesetzesentwurf.

Der djb begrüßt es, dass sich eine Fraktion des sensiblen Themas des Umgangs mit sog. „Gehsteigbelästigungen“ oder „Mahnwachen“ unter anderem vor Schwangerschaftskonflikt-beratungsstellen angenommen hat. Gerade in hessischen Kommunen existiert seit 2018 nach unserem Kenntnisstand eine kontroverse Diskussion über den ordnungsrechtlichen Umgang mit Versammlungen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen.

Unlängst hat das VG Karlsruhe (2. Kammer) mit Urteil vom 12.5.2021 (Az: 2 K 5046/19) in einer Fortsetzungsfeststellungsklage den Erlass zur örtlichen und zeitlichen Verlegung einer Versammlung in unmittelbarer Nähe von „pro familia“ eine Auflage gemäß § 15 VersammlG als rechtmäßig bewertet. In einer Eilentscheidung aus dem Jahr 2019 war dasselbe Gericht von der Rechtmäßigkeit einer entsprechenden Auflage ausgegangen. Bereits 2011 hatte das VG Freiburg (Az: 4 K 314/11), bestätigt durch den VGH BaWü (Az: 1 S 915/11, 1 S 36/12) und das BVerwG (Az: 6 B 3/13), entschieden, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Personen und das Konzept vertraulicher Beratung durch unerwünschte Ansprache vor einer Beratungsstelle unangemessen beeinträchtigt werden.

In dem Beschluss des VG Regensburg (Beschl. v. 14.10.2020 – Rn 4 E 20.2426) würde zwar von einer prinzipiellen Rechtmäßigkeit eines Einschreitens eingegangen, dies aber im Ergebnis verneint. Zum selben Ergebnis kommen die Entscheidungen des VGH Kassel (Beschl. v. 18.3.2022 – 2 B 375/22) sowie das Urteil des VGH Mannheim vom 25.8.2022 (1 S 3575/21).

Hinreichender Schutz der Persönlichkeitsrechte betroffener schwangerer Personen und die ungestörte Tätigkeit staatlich anerkannter Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ist mithin nicht gewährleistet. Ungeachtet der begrüßenswerten Bestrebungen für eine versammlungsrechtliche Regelung, kann der Schutz der Persönlichkeitsrechte schwangerer Personen nur durch eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung angemessen und rechtssicher garantiert werden.

2. Formelle Verfassungsmäßigkeit

Es kann dahinstehen, ob das Land eine derartige punktuelle Regelung als Ergänzung des Bundesversammlungsgesetzes erlassen darf. Denn den vorrangigen Regelungsstandort für das Bestreben eines angemessenen Schutzes der Persönlichkeitsrechte der schwangeren Personen ist das Schwangerschaftskonfliktgesetz, für das der Bund die Gesetzgebungskompetenz innehat. Die Regelungsmaterie steht in einem engen sachlichen und funktionalen Zusammen-hang mit dem strafrechtlichen Schutzkonzept. Sie ist grundlegend und unerlässlich für das Funktionieren des Schutzkonzepts. Damit besteht eine Annexkompetenz des Bundes zu der Kompetenz zur Regelung des Strafrechts aus gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 GG.

3. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Der djb begrüßt es, dass dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der schwangeren Personen aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hier ein stärkeres Gewicht als den sog. Gehsteig-belästigungen oder Mahnwachen eingeräumt wurde. Dies wird auch der Tatsache gerecht, dass der Staat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz den Schutzauftrag hat, die Beratungen in Schwangerschaftskonfliktfällen frei von psychischem Druck zu gewährleisten. Dem djb erscheint es sehr wichtig, dass schwangeren Personen in diesen Fällen ein ungehinderter Zugang zu Beratungseinrichtungen ihrer Wahl garantiert wird.

a) Abwägung kollidierender Verfassungsgüter

Dies ist auch verfassungsrechtlich geboten. Aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) der schwangeren Personen folgt eine Schutzpflicht des Staates, gegen „Gehsteigbelästigungen“ oder „Mahnwachen“ vorzugehen. Jenseits des Verfassungsrechts ergibt sich eine solche Schutzpflicht auch aus der für Deutschland verbindlichen Frauenrechtskonvention. Um diesen Schutzanspruch nicht leerlaufen zu lassen, hat der Staat einen ungehinderten Zugang zu Beratungsstellungen und ärztlichen Praxen zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere auch die Pflicht, Behinderungen durch Dritte zu unterbinden.

Zwar können sich auch die Abtreibungsgegner*innen auf Grundrechte berufen – je nach Fallgestaltung die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG). Allerdings ergibt eine Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Personen in der Regel überwiegt.

Die Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist gewichtig. Schwangeren Personen wird das Recht verwehrt, für sich zu sein und Gegenstände der höchstpersönlichen Lebensführung nicht zu offenbaren. Sie können sich zudem der Beeinflussung durch die Abtreibungsgegner*innen nicht entziehen, da sie gesetzlich verpflichtet sind, die Beratungsstelle vor einem möglichen Abbruch aufzusuchen (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Auf der anderen Seite wiegen die denkbaren Eingriffe in die Rechte der Abtreibungsgegner*innen weniger schwer. Denn durch die Verlegung oder die Verschiebung der Veranstaltungen wird die Ausübung der Grundrechte zwar beeinträchtigt, nicht aber unmöglich gemacht. Zuzugeben ist zwar, dass grundsätzlich auch die Orts- und Zeitwahl geschützt ist. Jedoch ist das Argument insofern angreifbar, als auf das Ziel abgestellt wird, einen bestimmten Effekt bei den schwangeren Personen hervorrufen zu wollen. Art. 5 Abs. 1 GG schützt gerade keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine Meinung aufgedrängt werden soll. Gleiches gilt letztendlich für Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 1, 2 GG.

b) Konkrete Formulierung

Sofern an einer die bundeseinheitliche Regelung ergänzenden versammlungsrechtlichen Regelung festgehalten wird, muss diesen verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getra-gen werden.

Hinsichtlich der konkreten Formulierung Die Festlegung einer feststehenden „Schutzzone“ (§ 1 GE) ohne weitere Maßgaben für deren Festlegung für die ermächtigte Behörde (§ 2 GE) ist begegnet in dieser Hinsicht Bedenken, da den kollidierenden Rechtsgütern möglicherweise nicht angemessen Rechnung getragen wird.

Der djb regt daher an, räumlich auf die Sicht- und Rufweite zu einer anerkannten Beratungsstelle oder einer Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, abzustellen.

Auch erscheint es aus verfassungsrechtlichen Gründen sachdienlich, die konkret zu unterbindenden Verhaltensweisen im Gesetz näher konkretisiert werden, etwa in Gestalt von gezieltem Ansprechen oder sonstiger Ausübung von Zwang oder Druck als Beeinflussung Zugangsverhinderung.

4. Fazit

Der djb begrüßt die Auseinandersetzung mit der Thematik im Sinne der Rechte der schwan-geren Personen, spricht sich aber vorrangig für eine bundeseinheitliche Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz aus.

 

Ursula Matthiessen-Kreuder
Vorsitzende des Landesverbands Hessen

Prof. Dr. Sina Fontana
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung