Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) nutzt gerne die Gelegenheit zur Stellungnahme betreffend die öffentliche Konsultation zur Transformation des Vergaberechts ("Vergabetransformationspaket") des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Der djb unterstützt das Ziel, die öffentlichen Vergabeverfahren zu reformieren und weist darauf hin, dass es nicht nur auf die im Koalitionsvertrag genannten Ziele der "Vereinfachung, Professionalisierung, Digitalisierung und Beschleunigung" ankommen darf. Vielmehr ist bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch in den Blick zu nehmen, dass der Staat bei Marktteilnahme seiner Verantwortung zur Förderung eines gemeinwohlorientierten Wirtschaftens nachkommt. Dass das BMWK die Aspekte "sozial" und "ökologisch" schon explizit und ergänzend zum Koalitionsvertrag als reformbegründend nennt, ist vor diesem Hintergrund zu begrüßen.
Dazu muss aber auch die lang überfällige und verfassungsrechtlich zwingende Förderung einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur gehören.[1] Dies entspricht auch dem im aktuellen Koalitionsvertrag ebenfalls geregelten Ziel, sich für die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern einzusetzen und für Geschlechtergerechtigkeit einzutreten.
Der djb fordert daher, bei der Vergaberechtsreform umfassend den Aspekt Geschlechtergerechtigkeit mitzudenken und die entsprechende Genderkompetenz sicherzustellen. Er regt an, dass ein eigenes Aktionsfeld dafür geschaffen wird.
Dazu möchte der djb aktuell das Folgende ausführen:
Zu Aktionsfeld 2, Ziffern 5., 6, u. 7.: Stärkung der sozial nachhaltigen Beschaffung
Zu diesem Aktionsfeld ist festzustellen, dass Genderaspekte bei politischen und wirtschaftlichen Abwägungsprozessen im Bereich Vergaberecht regelmäßig vernachlässigt werden. Soziale Kriterien wie Frauenförderung, Chancengleichheit oder Entgeltgleichheit bleiben fast ohne Auswirkung auf die konkret gelebte Vergabepraxis.
Aktuell diskutiert im djb die Kommission Gleichstellungs-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, inwieweit Belange von Geschlechtergerechtigkeit auch als Nachhaltigkeitskriterien gedacht werden können und sich in aktuelle Regulierungsvorgaben zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen integrieren lassen.[2]
Bisher könnten sie jedenfalls grundsätzlich als soziale Kriterien der Nachhaltigkeit im Vergabebereich Berücksichtigung finden. Sie sollten bei einer sozial verantwortlichen Beschaffung unbedingt intensiviert und sowohl besser ins Vergaberecht als auch tatsächlich in die einzelnen Vergabeverfahren integriert werden. Das Vergabetransformationspaket des BMWK sollte aus Sicht des djb deshalb gleichstellungspolitische Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zwingend mit einbeziehen.
Dabei bietet sich eine obligatorische Einbeziehung von Gleichstellungkriterien bei der öffentlichen Vergabe von Aufträgen an. Eine explizite Einbeziehung und Definition von Gleichstellungskriterien, die im Vergaberecht verankert werden, könnten gleichstellungsorientierten Unternehmen Vorteile bringen und damit soziale Innovationen stärken.
Das im 4.Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelte Recht der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen enthält bereits für den Oberschwellenbereich u.a. "soziale Kriterien" als Vergabekriterien für eine positive Vergabeentscheidung. Unabhängig vom Nachhaltigkeitsaspekt sind davon umfasst "gleichstellungspolitische Aspekte, soweit die zwingenden Bedingungen der Vergaberichtlinie für deren Einbeziehung eingehalten werden". Als problematisch erweist sich in diesem Bereich, dass das GWB in Umsetzung der EU-Richtlinien für die Berücksichtigung sozialer Kriterien einen Bezug zum Auftragsgegenstand verlangt. Dieser wird bei Chancengleichheit bzw. Frauenförderung regelmäßig nicht bejaht, da sie für die Beschaffung von Produkten oder Dienstleistungen kein Kriterium seien, das mit dem Auftragsgegenstand oder seinen Ausführungsbedingungen zu tun habe. Hier sollten aus Sicht des djb gleichstellungspolitische Aspekte als soziales Nachhaltigkeitskriterium grundsätzlich vom Erfordernis des Auftragsgegenstandsbezugs entkoppelt werden, um dem bisherigen Leerlauf der sozialen Kriterien im Vergaberecht wirksam ein Ende zu setzen.
Im Unterschwellenbereich findet sich föderal bedingt ein Flickenteppich landesgesetzlicher Regulierung durch Vergabegesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Hier findet das Kriterium der Gleichstellung unter Begriffen wie Frauenförderung, Chancengleichheit und Entgeltgleichheit überwiegend in Verwaltungsanweisungen und teilweise in Gleichstellungsgesetzen oder Frauenförderverordnungen umfangreiche Berücksichtigung (z.B. durch die Anforderung von Eigenerklärungen oder einer Regelung für bevorzugte Bietende), vereinzelt sogar mit einem Anwendungsbereich im Ober- und Unterschwellenbereich. Unbekannt ist aber, ob und in welchem Ausmaß diese Regulierungen umgesetzt oder auch überprüft wurden und werden, so dass eine bloße Übernahme der dortigen Formulierungen in die Bundesgesetzgebung zu kurz springt.
Der djb regt an, für den Unterschwellenbereich ein länderübergreifendes Forschungsprojekt aufzusetzen, mit dem evaluiert wird, welche praktische Relevanz das Kriterium Gleichstellung in den Bundesländern entwickeln konnte, wieviel Berücksichtigung es faktisch bei Vergaben im Unterschwellenbereich gefunden hat und inwieweit sich hier Regulierungsbemühungen positiv auf Gleichstellung in den Unternehmen ausgewirkt haben. Hieraus könnten Informationen dazu gewonnen werden, wie Gleichstellungsaspekte auch im Oberschwellenbereich besser berücksichtigt werden könnten.
Der aktuelle Vorschlag für eine EU-RiLi zur "Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen" bietet ebenfalls Anknüpfungspunkte für eine Regulierung, da er sich so verstehen lässt, dass der Verstoß gegen Entgeltgleichheit einen fakultativen Ausschlussgrund bei der Vergabe bedeutet.
Der djb sieht rechtlichen Anpassungsbedarf im Bereich sozial nachhaltige Beschaffung in den folgenden Punkten und fordert:
- gleichstellungspolitische Aspekte in Form von zuvor definierten Gleichstellungskriterien gesetzlich und explizit als soziales Vergabekriterium zu verankern,
- soziale und damit gleichstellungspolitische Aspekte vom bislang gesetzlich erforderlichen Bezug zum Auftragsgegenstand gesetzlich zu entkoppeln,
- über die Regelung eines fakultativen Ausschlussgrundes in Art. 21 Abs. 2 Satz 2 des Richtlinienvorschlags EU-KOM (2021) 93 final hinausgehend und erweiternd einen zwingenden Ausschlussgrund in § 123 Abs. 1 GWB oder zumindest in § 123 Abs. 4 GWB zu verankern für Verstöße gegen die in der EU-RiLi 2021 (93) final geregelten und national umzusetzenden Grundsätze der Pflichten des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (Art. 21 Abs. 1 RiLi),
- soweit Nr. 3 nicht gefolgt wird, einen Verstoß gegen die Pflichten des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (Art. 21 Abs. 1 RiLi) von Bietenden bei öffentlichen Aufträgen unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Wettbewerbsregistergesetzes zu ergänzen, um öffentlichen Auftraggebern Informationen über Ausschlussgründe nach den §§ 123, 124 GWB zur Verfügung zu stellen,
- soweit Nr. 3 nicht gefolgt wird, einen Verstoß gegen die Pflichten des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (Art.21 Abs. 1 RiLi) explizit und deklaratorisch als weiteren fakultativen Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB zu verankern. Dies ist notwendig, um der Bedeutung und dem Ziel der Entgeltgleichheit angemessen Ausdruck zu verleihen, auch wenn bei europarechtskonformer Auslegung gem. Art. 18 Abs. 2 der RL 2014/24/EU die Grundsätze der Entgeltgleichheit von der Vorschrift schon mit umfasst wären. Denn hiervon sind alle für die Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, die durch Rechtsvorschriften der Europäischen Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, aber auch durch für das Unternehmen verbindliche Tarifverträge festgelegt sind, mit umfasst.[3]
- das Leistungsbestimmungsrecht der Bedarfsträger bei der öffentlichen Auftragsvergabe (wie bei den umweltbezogenen Nachhaltigkeitskriterien geplant) einzuschränken, indem der Zuschlag nur an solche Bietenden erfolgen darf, die nachweislich zuvor definierte Gleichstellungskriterien wie z.B. die Pflichten des gleichen Entgelts für Männer und Frauen einhalten,
- im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe das Erfordernis der Beibringung von qualifizierten Eigenerklärungen von allen Bietenden zur Wahrung zuvor definierter Gleichstellungskriterien wie z.B. die Pflichten des gleichen Entgelts für Männer und Frauen zu regeln,
- Zertifizierungsregelungen und damit ein durch eine öffentliche Behörde geprüftes und gültiges Siegel zur Bestätigung zuvor definierter Gleichstellungskriterien in den Unternehmen, die als Bietende auftreten, einzuführen und dies vom Erfordernis der Beziehung zum Auftragsgegenstand (anders als in § 34 VgV geregelt) zu entkoppeln.
Zu Aktionsfeld 3, Ziffer 10.: Digitalisierung des Beschaffungswesens, weitere Schritte
Hierzu stellt der djb fest, dass bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und Organisationsstrukturen insgesamt auf eine geschlechtergerechte Gestaltung und eine Technikfolgenabschätzung mit soziotechnischer Komponente zu achten ist.
Der djb verweist hier auf den 3. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (3. GlB)[4], der im Bereich öffentlich eingesetzter Mittel für Digitalisierungsprojekte inhaltlich u.a. dazu verpflichtet, rechtlich verbindliche Standards für geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie IT-Systeme zu setzen und insgesamt geschlechtergerechte diskriminierungsfreie Technikgestaltung bei Vergabe öffentlicher IT-Projekte zu berücksichtigen.
Zu Aktionsfeld 5: Förderung von Mittelstand, Start-Ups und Innovationen
Der djb regt an, auch bei der innovativen Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung die Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen des 3. GlB zu berücksichtigen.
Die Analysen des 3. GlB zu Struktur und Arbeitsweise der innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien(IKT)-Industrie haben ergeben, dass gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf auch bei den Leistungsbeschreibungen von IT-Projekten besteht.[5] Der 3.GLB empfiehlt, bei der Vergabe von IT-Projekten Gleichstellung bereits in Form des soziotechnischen Ansatzes zum unverzichtbaren Inhalt des Auftragsgegenstandes zu machen. Der Staat könnte so durch die Vergabe öffentlicher Aufträge als Investor und Aktivierer soziotechnischer Innovation eine Vorreiterrolle einnehmen.
Dabei ist die Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe bei IT-Projekten schon einer breiten branchenbezogenen Kritik ausgesetzt (sachfremde Aufteilung in Planungs- und Ausführungsaufträge, fehlende Dialogbereitschaft und mangelhafte Berücksichtigung agiler IT-Prozesse). Diese Kritikpunkte sollten im Reformprozess Berücksichtigung finden. Und sie lassen sich mit der verpflichtenden Einbindung soziotechnischer Aspekte verbinden. So könnte ein entsprechender Reformprozess auch für Gleichstellungsbelange fruchtbar gemacht werden, indem eine auftragsbezogene Berücksichtigung soziotechnischer Aspekte als Gleichstellungsmaßnahme anerkannt wird.
Der djb verweist auch auf die Handlungsempfehlung des 3. GlB, die im Bereich öffentlich eingesetzter Mittel im Bereich KMU und Start-ups staatliche Stellen auffordert, geschlechtergerechte Förderprogramme aufzusetzen.[6]
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin des djb
Prof. Dr. Heide Pfarr
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht
Anke Stelkens
Vorsitzende der NSt Kommission Digitales
[1] Eine Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft hat der djb kürzlich vorgelegt, https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/Konzeption_Gleichstellungsgesetz_Langfassung_djb.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.02.23.
[2] Der djb wird dieser Frage auf seinem aktuellen Bundeskongress im September 2023 nachgehen und diskutieren, wie und wo in der Debatte um eine sozio-ökologische Transformation des Unternehmensrechts Geschlechtergerechtigkeit zu verorten ist. Für den Termin und Details zum Programm siehe www.djb.de/termine/details/45-djb-bundeskongress-in-hamburg, zuletzt aufgerufen am 14.02.23.
[3] Siehe dazu Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 124 Rn. 7.
[4] BMFSFJ (Hrsg.) Dritter Gleichstellungsbericht "Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten", BT-Drs. 19/30750 vom 10.06.2021, Berlin 2021 auf https://www.bmfsfj.de/resource/blob/184436/a8af6c4a20b849626c1f735c49928bf0/20210727-dritter-gleichstellungsbericht-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.02.23, S. 39/40.
[5] Siehe Fn 6, speziell dort Punkt B.I. Digitalbranche.
[6] Siehe Fn 6, S.54.