Stellungnahme: 22-22


zur Digitalstrategie der Bundesregierung vom 30.8.2022

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) nimmt hiermit Stellung zur aktuellen Digitalstrategie der Bundesregierung[1] vom 30. August 2022. Die Digitalstrategie enthält gleichstellungspolitisch wenig Konkretes und kommt kaum über gut gemeinte Absichtserklärungen hinaus.

I. Ansatz und Ziele einer Digitalstrategie für die Bundesrepublik Deutschland

Es ist richtig, dass die Bundesregierung die Digitalisierung als entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands erachtet und dies als soziale Marktwirtschaft mit dem Anspruch auf Teilhabegerechtigkeit verbindet.[2] In ihrer Analyse der Ausgangslange kommt sie zum Ergebnis, dass Deutschland einen „digitalen Aufbruch“ brauche.[3] Diese Analyse ist schief, denn Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland haben einen digitalen Aufbruch bereits hinter sich. Versäumt wurde es, diesen Aufbruch mit staatlichen digitalen Infrastrukturmaßnahmen zu gestalten. Deutschland braucht eine staatliche Digitalstrategie. Unverzichtbar darin sind konkrete staatliche Reaktionen auf Missstände in den faktisch schon bestehenden digitalen Verhältnissen. In Deutschlands digitalisierter Gesellschaft ist bereits mit Tatsachen umzugehen, die die in der Strategie benannten, begrüßenswerte Ziele einer „vernetzten und digital souveränen Gesellschaf“[4] mit „Chancengerechtigkeit und gleichberechtigter Teilhabe[5] konkret gefährden. Die Strategie liest sich aber so, als ob in Deutschland ein Digitalisierungsprozess erst bevorstehe und in Zukunft noch frei gestaltbar sei. Dies verkennt die Realität.

1. Geschlechtergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit

Im Zielbild wird formuliert: „Geschlechtergerechtigkeit ist bei allen Angeboten realisiert[6]. Hier wird ein strahlendes Bild gezeichnet, welches sprachlich verschleiert, dass digitale Projekte regelmäßig geschlechterungerecht sind. Ebenso positiv klingt auch die nachstehende Formulierung aus dem Zielbild: „Wir begegnen einerseits der Verbreitung illegaler und strafbarer Inhalte im Netz konsequent und nutzen z.B. das Potenzial von Künstlicher Intelligenz im Kampf gegen Desinformationskampagnen. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass die Meinungsfreiheit auch online Bestand hat.“[7] Die strafrechtliche Praxis bei Hate Speech entspricht aber gerade nicht den Besonderheiten des Netzes[8], sondern bagatellisiert die schwerwiegenden Auswirkungen digitaler Gewalt und übersieht die demokratiegefährdende Verschränkung mit antifeministischen Radikalisierungstendenzen im virtuellen Raum.[9] Das hier neu entstandene für Frauen und vulnerable Personen medial potenziell bedrohliche Umfeld erfordert jetzt konkrete staatliche Gegenmaßnahmen. Und auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) muss jetzt großen Fehlentwicklungen entgegengesteuert werden. Algorithmen werden mit Daten angelernt, die den Ansprüchen an Geschlechtergerechtigkeit nicht genügen.[10] Hier fehlt dem Papier die Perspektive, zum einen diese Bias-belasteten und bereits verarbeiteten Daten wieder einzufangen und zum anderen eine Strategie zu entwickeln, ob und wie von Beginn an „bereinigte“ Daten für KI verwendet werden können. Insgesamt setzt die Digitalstrategie in hohem Maß auf KI-Kompetenzen der Zivilgesellschaft, ohne zu berücksichtigen, dass solche Technik nur diskriminierungsfrei und teilhabegerecht ist, wenn der Aspekt „Geschlecht“ ausreichend gesehen wird.

Die Digitalstrategie will die Rahmenbedingungen verbessern und dazu beizutragen, dass „der digitale Wandel im Sinne einer nachhaltigen, vielfältigen, inklusiven und demokratischen Gesellschaft geschlechtergerecht und diskriminierungsfrei gestaltet werden kann und insbesondere Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft die Chancen der Digitalisierung und die Gestaltungsmöglichkeiten des digitalen Wandels im Sinne der Menschen nutzen können[11]. Dieser menschenzentrierte Ansatz ist zu begrüßen genauso wie das politische Versprechen, sich „mit Machtstrukturen im digitalen Wandel zu beschäftigen und feministische Datenpolitik zu berücksichtigen[12]. Die Strategie verpflichtet auch auf eine „ganzheitliche Betrachtungsweise von digitalen Technologien, um [...] soziale und Rebound-Effekte zu verhindern[13].

Das alles zusammen ist eine Verpflichtung auf einen innovativen „soziotechnischen Ansatz“, wie ihn der Dritte Gleichstellungsbericht (3.GlB)[14] detailliert ausgeführt hat. Daher wäre es nach Ansicht des djb zwingend gewesen, dass die Strategie sich konkret auf die im 3.GlB für eine digitalisierte Gesellschaft bereits hervorragend analysierten Problemfelder bezieht und die dort erarbeiteten konkreten politischen Handlungsempfehlungen aufgreift. Aus Sicht des djb wird dieser Ansatz in den weiteren Ausführungen der Digitalstrategie aber nicht umgesetzt und bleibt politisches Lippenbekenntnis.

2. Fehlender sozio-technischer Ansatz

Priorisiert werden sollen Infrastrukturthemenbereiche, von denen sich die Bundesregierung ressortübergreifend eine „Hebelwirkung[15] verspricht. Der djb stellt fest, dass hier verkannt wird, dass es gerade bei der Schaffung von staatlicher digitaler Infrastruktur entscheidend auf den soziotechnischen Ansatz ankommt. „Moderne, leistungsfähige und nachhaltige Netze[16] stehen in Abhängigkeit von den durch die internationalen Techkonzerne dominierten Netzwerktechnologien, die faktisch durch einen Digital Gender Gap[17] geprägt sind. Eine „Verfügbarmachung von Daten und Datenwerkzeugen[18] mit „technischen Normen und Standards[19] ist nicht wünschenswert ohne bewusste Bekämpfung des allgegenwärtigen Gender Data Gap[20]. Beide Bias-Phänomene benennt und adressiert die Digitalstrategie in keiner Weise. Unangenehm fällt auf, dass auch die Einführung „sicherer nutzerfreundlicher digitaler Identitäten und Register[21], der letzte priorisierte Bereich für Hebelwirkungsprojekte, schon sprachlich die spezifischen Bedürfnisse von Nutzerinnen (und damit allen vulnerablen Personen) übergeht. Der 3.GlB hatte die Politik hier aufgefordert, eine „Kommission zum Thema Anonymität versus Identifikation im digitalen Raum“ einzusetzen.[22] Auch dazu findet sich nichts.

II. Gleichstellungspolitische Leerstellen in den wichtigsten Handlungsfeldern

Die Digitalstrategie benennt drei Handlungsfelder, die ihre thematischen Schwerpunkte in den Bereichen „Vernetzte und digitale Souveränität der Gesellschaft“, „Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung“ sowie „Lernender, digitaler Staat“ setzen. Die für den djb wichtigsten gleichstellungspolitischen Leerstellen in den benannten Handlungsfeldern:

1. Handlungsfeld "Vernetzte und digital souveräne Gesellschaft"

Die Bundesregierung will sich im Bereich der digitalen Infrastrukturen bis 2025 ausschließlich an Technikprojekten messen lassen. Ein solches Vorgehen verkennt, dass eine machtkritische Herangehensweise bei der Schaffung digitaler Infrastruktur und bei Datenverfügbarkeiten unverzichtbar ist und nicht auf später verschoben werden kann. Teilhabe an der digitalen Infrastruktur erfolgt genauso vergeschlechtlicht, wie es Teilhabe an der Gesellschaft im Allgemeinen ist.[23] Teilhabemöglichkeiten für Frauen und diskriminierungsgefährdete Personen sind deutlich schlechter durch ihren niedrigen persönlichen Digitalisierungsgrad.[24] Mit diesem Digital Gender Gap bestehen strukturelle soziale Barrieren, die es aktiv zu schließen gilt. Dies ist nicht nur ein technisches Umsetzungsproblem, sondern erfordert politischen Gestaltungswillen.

Im Bereich „Bildung in allen Lebensphasen“ findet sich mit der Zusage der Vermittlung „digitalisierungsbezogener Kompetenzen[25] ein Stichwort aus dem 3.GlB. Dass der dort unter diesem Begriff eingeforderte innovative Bildungsansatz politisch verstanden wurde, ist allerdings zu bezweifeln. In diesem Zusammenhang irritiert die punktuelle Wortwahl in der Strategie, da der Begriff eben mehr bedeutet als eine reine Vermittlung technischer Kompetenz. Voraussetzung für Teilhabe aller in einer digitalisierten Gesellschaft ist ein Kompetenzerwerb hin zu einem bewussten und selbstbestimmten Umgang mit Digitalisierung und der Fähigkeit, sich in digitalen Räumen sowohl verständigen als auch abgrenzen zu können.[26] In der Digitalstrategie geht es aber lediglich um technische Bedienkompetenzen und MINT-Förderung mit ein paar Extras für Frauen und Mädchen. Die Strategie enthält hier den äußerst fragwürdigen Ansatz eines „fix the women“ anstatt „fix the company“. Aufgeführte Initiativen wie der Girls‘ Day sind dabei nichts Neues. Wie mit einem MINT-Aktionsplan 2.0[27], der nicht nach Geschlecht differenziert, gezielt Mädchen und Frauen angesprochen werden sollen, bleibt offen. Frauen und Mädchen werden so in der Digitalstrategie nur als digitalisierungsferne Gruppierung gedacht, jedoch nicht als unverzichtbar Beteiligte am digitalen Gestaltungsprozess selbst. Das ist ein rein technikzentrierter und frauenfeindlicher Ansatz. Wechselwirkungen zwischen sozialen und technischen Systemen werden nicht aufgegriffen.

Nicht mitgedacht wird die Wechselwirkung zwischen sozialen und technischen Systemen auch im Bereich „Gesundheit und Pflege“. Hier fällt die Digitalstrategie noch zurück hinter das im Koalitionsvertrag zumindest im gesundheitspolitischen Bereich gegebene Versprechen, den Gender Data Gap zu beseitigen.

Eine konkrete und begrüßenswerte Maßnahme ist es, dass im Bereich „digitale Zivilgesellschaft“ sich zumindest das bereits im Koalitionsvertrag zugesagte „Gesetz gegen digitale Gewalt[28] findet mit dem Umsetzungsziel bis 2025. Es sollen Beratungsangebote und Auskunftsrechte für Betroffene, rechtliche Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung und für private Verfahren und eine Möglichkeit zur richterlichen Anordnung von Accountsperren kommen. Der djb wird den konkreten Gesetzgebungsprozess hier kritisch begleiten. Dabei erkennt die Digitalstrategie nur das Phänomen Hate Speech. Überhaupt nicht adressiert ist die Problematik der digitalisierten geschlechtsspezifischen Gewalt, deren Wirkmächtigkeit und Dynamik im sozialen Nahraum massiv zunimmt und politisch nicht wahrgenommen wird. Der bff hat dazu 2021 eine umfassende Analyse vorgelegt[29] und auch im 3. GlB ist die Problematik bereits angesprochen[30]. Die schnelle technologische Entwicklung liefert fortlaufend neue geeignete digitale Tatmittel zu Begehung geschlechtsspezifischer Gewalt. Die missbräuchliche Anwendung dieser Technik muss Eingang in politische Strategien zur Cybersicherheit finden.[31] Sie muss mitgedacht werden bei der Entwicklung von Technologie und relevantes Ziel sein bei Umsetzung und Regulierung digitaler Technik. Diese digitale Gewalt im sozialen Nahbereich verschränkt sich mit antifeministischen Radikalisierungstendenzen in den Medien zu einem für Frauen und vulnerable Personen potenziell bedrohlichen Umfeld. Teilhabe und Gleichstellung in der digitalisierten Gesellschaft werden so massiv verhindert. Dies ist eine Leerstelle in der gesamten bisherigen Digitalpolitik. Technikpolitische Interventionen wie eine scharfe Regulierung von Spy-Apps wären leicht, sie müssen aber auch erkannt werden.

Von „Schutz und Kompetenz im Digitalen Raum“ spricht die Strategie dann zwar im Zusammenhang mit „Verbraucherschutz“.[32] Auch hier bleibt aber der Genderaspekt schon sprachlich unerkannt. Im Bereich „Kultur und Medien“ will sich die Strategie bis 2025 daran messen lassen, dass Nachrichtenkompetenz in der Gesellschaft besteht und Qualitätsjournalismus erhalten werden kann. Konkrete Projekte zu Bekämpfung antifeministischer Radikalisierungstendenzen fehlen aber.

Schließlich werden Frauen – und damit die weibliche Hälfte der Gesellschaft – unter dem Punkt „Teilhabe, Gleichstellung und digitale Barrierefreiheit“ wie so oft nur als eine vulnerable Gruppe neben vielen anderen aufgezählt[33]. Empörend ist, dass sich anschließend kein einziges konkretes Frauen- oder Mädchenförderprojekt finden lässt. Während für Kinder und Jugendliche immerhin noch das Ziel der „Schaffung eines sicheren digitalen Umfelds und geschützter digitaler Räume[34] angestrebt wird, sind Frauen unter diesem Punkt bei den Zielen und den Messpunkten gar nicht mehr wiederzufinden. Frauenförderung derart hinter Familienförderung verschwinden zu lassen, ist aus Sicht des djb inakzeptabel.

2. Handlungsfeld „Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung“

Im Bereich der „Datenökonomie“ wird intensiv auf europäische Gesetzgebungsvorhaben eingegangen. Insbesondere wird in der Strategie herausgestellt, dass eine „sichere und agile Datenwirtschaft eine effektive Nutzung des Potenzials von Daten ermöglicht, um das Leben für alle Menschen besser zu machen[35]. Der EU Data Act wird dabei uneingeschränkt begrüßt. Der djb befürwortet in einer Stellungnahme[36] zum Entwurf des EU-Data Act zwar, dass viele Ansprüche, die der Data Act regeln will, erstmals eine umfassende Transparenz über alle Datenverarbeitungen in einer digitalisierten Wirtschaft schaffen und Abhängigkeiten gegenüber Dateninhaber*innen abbauen können. Gleichzeitig weist der djb aber auch darauf hin, dass jede Datenerhebung Risiken bezüglich der Qualität der erhobenen Daten birgt. Je nach Verwendungszweck verwirklichen sich mitunter erhebliche Risiken gerade in Richtung Diskriminierung. Auch hier ist es bedauerlich, dass vor dem Hintergrund der auch von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen[37] breit geübten Kritik, die Digitalstrategie keine Aussagen zur geschlechtergerechten Nutzung von Daten und zum Gender Data Gap trifft.

Der Bereich „Wissenschaft und Forschung“ benennt kein einziges Frauenförderprojekt und auch im Bereich der „Standortentwicklung“ ist bei der KMU-Förderung und bei Start-Ups keine Frauenförderung erkennbar. Die Strategie versteht sich lediglich als Garant einer Ordnungspolitik für digitale Märkte. Die Chance für einen „soziotechnischen Innovationsstandort Deutschland[38], wie ihn der 3.GlB als unverzichtbar für eine geschlechtergerechte Digitalisierung herausgearbeitet und empfohlen hat, wird vertan. Hierfür wären wirtschaftliche, soziale und ökologische Werte gemeinsam zu denken, zu verknüpfen und dabei gleiche Verwirklichungschancen unabhängig von Geschlecht umzusetzen mit entsprechenden Projekten in Wissenschaft und Forschung.

Der Unterpunkt „Qualifizierung und Fachkräftesicherung“ benennt die Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt und will die Erwerbsbeteiligung der Frauen in von Männern dominierten Berufen erleichtern. Leider sollen Frauen aber auch hier wieder nur in die bisher männergeprägten Fachberufe hineingepresst werden. Es ist nicht erkennbar, dass andere Berufsbilder in die Findung von Technologien integriert werden sollen. Das Prinzip „fix the women“ statt „fix the company“ setzt sich leider auch in diesem Bereich fort. Ausweislich der Zielerreichung will sich die Bundesregierung an dem gesteigerten Frauenanteil in Informatik und der digitalen Wirtschaft bis 2025 messen lassen. Der djb weist ausdrücklich darauf hin, dass die reine Erhöhung des Frauenanteils in männerdominierten Berufen das Problem nicht lösen können wird.[39] Frauen lediglich in Anpassung an ausbaufähige MINT-Strukturen abzubilden und nicht als Inputgeberinnen mit eigenem Know-How aus ihren Berufen und ihrer sozialen Erfahrung heraus zu sehen, übersieht entscheidende Innovationspotenziale und vergibt die Chance, den digitalen Wandel für eine geschlechtergerechtere diskriminierungsfreie Gesellschaft zu nutzen.

Im Bereich „Neue Arbeitswelt“ fehlt aus Sicht des djb komplett die Hochrisiko-Analyse zu Einsätzen von KI im Personalbereich, die Benachteiligungen und Ausschlüsse von Frauen und vulnerablen Personen verursachen kann. Selbst bei niedrigeren Kritikalitätsstufen empfiehlt die Datenethikkommission spezifische Regulierungen.[40] Zudem ist beim Unterpunkt „Schutz von Klima, Umwelt und Ressourcen“ zu kritisieren, dass der Begriff Nachhaltigkeit weder mit sozialen Fragen noch mit der Geschlechterfrage zusammengedacht wird.

3. Handlungsfeld „Lernender digitaler Staat“

Dem gesamten Handlungsfeld ist leider keinerlei Bezug zum 3.GlB zu entnehmen. Weder finden sich Hinweise auf Frauenförderung noch konkrete Frauenförderprojekte oder Aspekte zur Gendergerechtigkeit oder zum Gender Budgeting. Dies ist allem voran gerade deswegen äußerst bedauerlich, da der Staat mit Leuchtturmprojekten eine vorbildhafte Vorreiterrolle einnehmen sollte. Fokussiert wird sich bei den benannten Vorhaben auch hier wieder auf einen nur technikzentrierten Ansatz.

Zumindest lässt sich feststellen, dass im Bereich „Open-Data und Datenkompetenz in der öffentlichen Verwaltung“ von „qualitativ hochwertigen Daten“[41] gesprochen wird. Aus Sicht des djb ist die Benennung von qualitativ hochwertigen Daten grundsätzlich positiv zu bewerten, da dies auf eine Verwendung von „bereinigten“ Daten hindeutet. Am Ende fehlt aber auch an dieser Stelle das Problembewusstsein für das Vorliegen des Gender Data Gap.

III. Fazit und Forderungen

Statt „menschenzentriert“ sind die in den Handlungsfeldern der Digitalstrategie der Bundesregierung aufgeführten Themen in ihrer Gesamtheit „technikzentriert“. Darin liegt die größte Schwäche der Strategie. Insgesamt zieht sich ein entscheidendes Missverständnis durch die gesamte Strategie, nämlich davon auszugehen, erst einmal technische Strukturen zu schaffen und hinterher deren Auswirkungen zu reparieren. Der djb gibt zu bedenken, dass die Gesellschaft so in Zukunft damit ausgelastet sein wird, digitale Folgeschäden zu kompensieren, die mit der Strategie jetzt gefördert werden. Strukturen werden digital umgebaut, woran viele Unternehmen kurzfristig monetär partizipieren werden, doch anschließend muss auf Kosten der Gemeinschaft wahrscheinlich ein Neubau oder sogar Rückbau erfolgen. Das wäre nicht das erste Mal in der Technikgeschichte. Konkrete Antidiskriminierungsprojekte und genderkompetente Digitalprojekte sind unverzichtbare Bestandteile einer Technologiepolitik für alle, die die Diskriminierung von Frauen und marginalisierten Personen nicht als Kollateralschaden in Kauf nimmt. Eine geschlechtergerechte digitalisierte Gesellschaft braucht echte soziotechnische Innovationen. Dazu gehört immer die Frage, ob überhaupt und in welchen Grenzen digitale Technik eine innovative Lösung darstellen kann.

Geschlechtergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit sind als Ziele in der Strategie klar formuliert. Die Umsetzung dieser Ziele wird aber mit rein technikzentrierten Projekten in den skizzierten Handlungsfeldern nicht gelingen. In der Strategie wird Digitalisierung als Querschnittsmaterie unter dem übergeordneten Leitmotiv der technologischen und digitalen Souveränität Deutschlands verstanden. Das schließt aus, dass ein eigenständiges Digitalministerium eingerichtet wird. Das Bundesverkehrsministerium soll koordinieren, aber die Einzelressorts sollen die Verantwortung für ihre jeweiligen Digitalprojekte tragen. Bei einer solchen Verantwortungszersplitterung befürchtet der djb, dass bei Digitalprojekten eine spezifische soziotechnische Kompetenz, die Nutzung bereits vorhandener Genderkompetenz und eine umfassende Technikfolgenabschätzung zur Abwendung digitalisierter geschlechtsspezifischer Gewalt nicht sichergestellt werden kann. Entsprechendes Know-How muss offensichtlich erst neu aufgebaut werden. Der djb empfiehlt, dafür zumindest in der neuen Bundesstiftung Gleichstellung ein Digitalressort einzurichten und auszustatten, welches in Digitalprojekte verpflichtend einzubinden wäre. Auch im gerade neu konstituierten Dateninstitut für Deutschland müssten entsprechende Kompetenzen aufgebaut werden.

Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des 3.GlB an eine geschlechtergerechte Digitalisierung hatte der djb bereits als eine Kernforderung seiner frauenpolitischen Forderungen zur Bundestagswahl 2021[42] formuliert.

 

Prof. Dr. Maria Wersig

Präsidentin 

 

Anke Stelkens 

Vorsitzende der Nichtständigen Kommission Digitales 

 

 


[1] Digitalstrategie der BReg. „Gemeinsam digital Werte schöpfen“, abrufbar unter: https://digitalstrategie-deutschland.de/static/1a7bee26afd1570d3f0e5950b215abac/220830_Digitalstrategie_fin-barrierefrei.pdf.

[2] Fn.1, S. 3.

[3] Siehe Fn.2.

[4] Fn.1, S.5.

[5] Siehe Fn.4.

[6] Fn.1, S.6.

[7] Fn.1, S.7.

[8] Siehe dazu Haisch „Vorhaben zur Bekämpfung digitaler Gewalt im Koalitionsvertrag: Keep running, Bundesregierung“ in: DJBZ 22 S.73ff.; Ballon „Schutz vor digitaler Gewalt – Bestandsaufnahme und Ausblick“ in: STREIT 2021, S. 147; Völzmann „Freiheit und Grenzen digitaler Kommunikation - Digitale Gewalt als Herausforderung der bisherigen Meinungsfreiheitsdogmatik“ in: MMR 2021, S.619 ff.; Markard/Bredler „Jeder schweigt für sich allein: Silencing effect und die gleichheitsrechtliche Leerstelle in der Beleidigungsdogmatik“ auf: VerfBlog 20.04.2021, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/alleine-schweigen/ (28.09.2022); Stelkens „Digitale Gewalt und Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ in: STREIT 4/2016, 147.

[9] djb-Stellungnahme: 21-18 v. 9.9.21 „Das Netz als antifeministische Radikalisierungsmaschine – Policy Paper zur Bedeutung von Frauenhass als Element extremistischer Strömungen und der radikalisierenden Wirkung des Internets“ abrufbar unter https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st21-18_Antifeminismus_im_Netz.pdf; Ebner „Radikalisierungsmaschinen“, Berlin, 2019.

[10] Fröhlich/ Spiecker gen. Döhmann, „Können Algorithmen diskriminieren?“ auf: VerfBlog 26.12.2018, https://verfassungsblog.de/koennen-algorithmen-diskriminieren/; Fröhlich „Männer fahren LKW, Frauen erziehen Kinder“ auf VerfB 6.11.20 https://verfassungsblog.de/diskriminierende-facebook-algorithmen/ und viele weitere Nachweise auf der Website der AW AlgorithmWatch gGmbH https://algorithmwatch.org; siehe dazu auch djb Stellungnahme 21-14 vom 30.6.21 „zum Entwurf einer EU-Verordnung „zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union“ vom 21. April 2021“ auf https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st21-14_Harmonisierung_EUVO_KI.pdf.

[11] Fn.1, S.4/5.

[12] Fn.1, S.25.

[13] Fn.1, S.7.

[14] BMFSFJ (Hrsg.) Dritter Gleichstellungsbericht „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“, BT-Drs. 19/30750 vom 10.06.2021, Berlin 2021 auf https://www.bmfsfj.de/resource/blob/184436/a8af6c4a20b849626c1f735c49928bf0/20210727-dritter-gleichstellungsbericht-data.pdf; speziell zum soziotechnischen Ansatz siehe S.87 ff., auf der Website www.gleichstellungsbericht.de finden sich alle aktuellen Informationen zu Stand und Hintergründen der Gleichstellungsberichte. Weitere Informationen und Veröffentlichungen zum Thema Digitalisierung und Gleichstellung finden sich zudem auf der Seite der Geschäftsstelle für den Dritten Gleichstellungsbericht www.dritter-Gleichstellungsbericht.de; siehe dazu auch Stelkens „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten - eine Herausforderung für die nächste Bundesregierung“ in: Recht und Politik 3/2021, S.384 ff.; Stelkens „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten - eine rechtspolitische Einschätzung zum Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung“ in: DJBZ 4/2021, S.147 ff.

[15] Fn. 1, S.11.

[16] Siehe Fn. 15.

[17] Siehe dazu Initiative D21 e. V./Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. (2020): „Digital Gender Gap: Lagebild zu Geschlechter(un)gleichheiten in einer digitalisierten Welt“, Januar 2020, auf https://initiatived21.de/publikationen/digital-gender-gap/; ergänzend zur Analyse der Initiative D21 hat der 3.GlB weitere Kriterien zur Bestimmung des Digital Gender Gap eingefordert wie u.a. die Berücksichtigung von Zeit- und Raumsouveränitäten, Fn. 14, S.91.

[18] Siehe Fn. 15.

[19] Siehe Fn. 15.

[20] Zum Gender Data Gap siehe Criado-Perez „Unsichtbare Frauen“ München 2020; spezifisch zu Gesundheitsdaten vgl. Jeffrey Dastin, „Amazon scraps secret AI recruiting tool that showed bias against women“, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-amazon-com-jobs-automation-insight-idUSKCN1MK08G; siehe auch Fn. 10.

[21] Siehe Fn. 15.

[22] Fn. 14, S.208.

[23] Fn. 14, S.92 und Fn. 17.

[24] Fn. 23.

[25] Fn.1, S.13. hier wird der Begriff im Zusammenhang mit dem MINT-Aktionsplan einmal erwähnt, daneben werden in der Strategie im Bildungszusammenhang Begriffe wie „digitale Kompetenz“, „Digitalkompetenz“ und „Datenkompetenz“ ohne Spezifizierung benutzt.

[26] Fn. 14, S.153 ff.

[27] MINT-Aktionsplan des BMin für Bildung u. Forschung, https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/digitalisierung-und-mint-bildung/mint-bildung/mint-aktionsplan_node.html, dort geförderte Aktionen wie „Initiative Haus der kleinen Forscher“ oder „Schülerwettbewerbe“ lassen bereits eine gendergerechte Sprache im Titel vermissen.

[28] Fn. 1, S.23/24.

[29] bff/Prasad (Hg.) „Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung“ Bielefeld 2021.

[30] Fn. 14, S.202 ff.

[31] Tanczer „Das Internet der Dinge - die Auswirkungen smarter Geräte auf häusliche Gewalt“ in: bff/Prasad (Hg.) S.205 ff., Stelkens „Mit dem Smart-Meter-Gateway öffnet das BSI Tür und Tor für häusliche Gewalt“ in: STREIT 2021, S. 31 ff.; Stelkens „Smarte Gewalt - Digitalisierung häuslicher Gewalt im Internet of Things“ in: STREIT 2019, S.3 ff.; Schmidt „Netzpolitik“, Opladen, Berlin, Toronto 2021.

[32] Fn. 1, S.24.

[33] Fn. 1, S.27 „Frauen“ stehen hier als eine extra aufgeführte „Gruppe“ zwischen der Gruppe „Kinder und Jugendliche“ und der Gruppe „ältere Menschen“, so als ob es keine Mädchen und keine Seniorinnen gäbe. Eine solche Diktion ist entlarvend.

[34] Siehe Fn. 33.

[35] FN 1, S.29.

[36] djb Stellungnahme 22-07 vom 10.05.22 „zum Vorschlag für eine VO des EP und des Rates über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung (Datengesetz) vom 23.02.2022“ auf https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st22-07_EU-DataAct.pdf; siehe dazu auch djb Pressmitteilung 22-07 vom 5.3.22 „Juristinnenbund aus Anlass des Open Data Day: Digitalisierung braucht Genderkompetenz!“ auf https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/pm22_07_OpenDataDay.pdf.

[37] Siehe zusammenfassend dazu Dachwitz „Neues Datengesetz der EU erntet massive Kritik aus der Zivilgesellschaft“ https://netzpolitik.org/2022/data-act-verordnung-neues-datengesetz-der-eu-erntet-massive-kritik-aus-der-zivilgesellschaft/ mit weiteren Nachweisen wie z.B. zur Position des Think Tank Open Future https://openfuture.eu/blog/a-first-look-at-the-data-act/ oder auf die Wikimedia Foundation https://www.wikimedia.de/pressemitteilungen/data-act-der-eu-wikimedia-fordert-vereinfachte-nutzung-von-datenbanken/ zu Datenteilungsmodellen mit Gemeinwohlbezug vgl. auch das Projekt „Ethik der Algorithmen“ der Bertelsmann-Stiftung https://www.reframetech.de/.

[38] Fn. 14, S.120.

[39] Speziell zu dieser Frage siehe Stelkens „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten - Zusammenfassende Analyse des Gutachtens zum 3.Gleichstellungsbericht der Bundesregierung“ in: STREIT 2021, S. 85 ff. (95).

[40] Gutachten der Datenethikkommission https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/it-digitalpolitik/gutachten-datenethikkommission.pdf?__blob=publicationFile&v=6 S. 173 ff.

[41] Fn. 1, S.45.

[42] djb Stellungnahme 21-15 vom 5.7.21 „Frauenpolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2021“ auf https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st21-15_Wahlforderungen_final.pdf