Der Landesverband Sachsen des Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der Sächsischen Juristenausbildungs- und -prüfungsverordnung, Stand September 2022.
Der djb heißt den grundsätzlichen Reformwillen im Bereich der juristischen Ausbildung gut. Die juristische Ausbildung wird durch die Vorschläge zum Referendariat in Teilzeit inklusiver und zumindest im Ansatz auch für bisher marginalisierte Lebensrealitäten Raum schaffen. Allerdings wird die Verordnungsänderung in ihrer geplanten Form die außercurricularen, strukturell ungerecht verteilten Hürden auf dem Weg zur*zum Volljuristin*en nicht in nennenswerter Weise abbauen. Der djb hält deswegen weitere Regelungen für notwendig. Insbesondere mahnt er im Folgenden an, auch die am 1.1.2023 in Kraft tretenden § 5a Abs. 2 S. 3 letzter Halbsatz und Abs. 3 S. 1 des Deutschen Richtergesetzes zu berücksichtigen und über § 5b Abs. 6 DRiG in Teilen noch hinauszugehen.
Über die geplanten Neuregelungen hinaus empfiehlt der djb zwei weitere Reformmaßnahmen, um die juristische Ausbildung gegen Diskriminierung und strukturelle Ausgrenzung abzusichern. Zum einen sollte das Ziel einer diskriminierungsfreien Prüfungspraxis in § 4 Abs. 1 und Absatz 2 SächsJAPO, jedenfalls aber in § 27 und § 51 SächsJAPO verankert werden. Zu einer solchen Prüfungspraxis gehören mit Blick auf die mündlichen Examensprüfungen etwa die geschlechtergerechte Besetzung der Prüfungskommissionen, vgl. § 7 Abs. 3 S. 4 JAVO Schleswig-Holstein, verpflichtende Schulungen für Prüfer*innen und die Implementierung eines Beschwerde- und Kontrollsystems (s. jüngst die Forderungen des djb-Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, S. 26 ff.; zum Vorschlag der Errichtung einer „Awareness-Stelle“ siehe auch die Prioritätenliste des Personalrates 2021/2022 der Referendar*innen in Hamburg).
Zum anderen empfiehlt der djb, einen Personalrat und eine Gleichstellungsbeauftragte für Referendar*innen in einem neuen Paragrafen einzuführen und diesen mit § 31 JAO Berlin vergleichbaren Rechten auszustatten. Der Personalrat kann Anregungen und Probleme bündeln, weiterleiten und die Bedürfnisse der Referendar*innen sichtbar machen. In Berlin und Brandenburg etwa sorgt er spürbar für eine Entlastung der Referendar*innen und Ausbilder*innen. Die Gleichstellungsbeauftragte kann als eine unabhängige Beratungsstelle fungieren, gerade für die in der Reform adressierten sorgetragenden Referendar*innen. Ein neuer Paragraf könnte somit sicherstellen, dass die Ziele der geplanten Verordnungsreform auch erreicht werden.
Zu den Änderungsvorschlägen im Einzelnen:
Neufassung des § 14 Abs. 1 SächsJAPO
Der djb mahnt an, im Zuge der sächsischen Ausbildungsreform auch die Ansätze der neuen § 5a Abs. 2 S. 1 und S. 3 DRiG in die Verordnung aufzunehmen.
In der derzeitigen Fassung des § 14 SächsJAPO kommen die besondere rechtspolitische Stellung und die damit verbundene Verantwortung, die Jurist*innen in einer rechtsstaatlichen Demokratie zukommt, nicht hinreichend zum Ausdruck. Der Schutz von Minderheiten und die Beseitigung von Diskriminierung sind aber wichtige Aufgaben des Rechts als System der Freiheitssicherung. Historisch und gegenwärtig bekommen Angriffe auf die Grundlagen des Rechtsstaats besonders diejenigen zu spüren, die in der Gesellschaft ohnehin marginalisiert sind. So gehen Attacken insbesondere aus dem rechten politischen Spektrum häufig mit offenem Rassismus und Frauenhass einher. Jurist*innen müssen deswegen für Rechtsfragen von Diskriminierung, Ungleichheiten und Machtmissbrauch sensibilisiert sein. Der djb schlägt aus diesem Grund eine Neufassung des § 14 Abs. 1 vor, in dem unter anderem das neue Bundesrecht umgesetzt wird.
In § 14 Abs. 1 S. 1 sind nach dem Wort „Grundlagen“ ein Semikolon und die Wörter „die Vermittlung der Pflichtfächer erfolgt auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur“ einzufügen.
Jurastudierende müssen auch die Kompetenz erwerben, Recht jenseits autokratischer Herrschaftsformen kritisch zu reflektieren. Diese umfasst insbesondere ein kritisches Bewusstsein um Diskriminierung und Exklusion im und durch Recht. § 14 Abs. 1 S. 2 kann daher wie folgt neu gefasst werden:
„Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die ethischen Grundlagen des Rechts und fördern die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts und seines Missbrauchspotenzials, insbesondere indem sie Sensibilität schaffen für menschenverachtende Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sowie deren Mechanismen und Ausdrucksformen.“
Der djb regt weiterhin im Zuge der anstehenden Änderungen an, die Studierenden mittels eines abzuändernden S. 3 in Gender- und Diversitykompetenzen zu schulen. Sexistische und rassistische Ideologien zielen auf die Herabwürdigung von Personen aufgrund ihrer (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einem Geschlecht oder einer race. In der Vermittlung von Gender- und Diversitykompetenzen wird die Wahrnehmung von (unbewussten) Werthaltungen und Handlungsmustern in gesellschaftlichen Hierarchieverhältnissen reflektiert. Diese sollten daher in der juristischen Ausbildung gestärkt werden. Zu diesem Ziel kann § 14 Abs. 1 S. 3 wie folgt neu gefasst werden:
„Die Ausbildung berücksichtigt die rechtsprechende, verwaltende, rechtsberatende und rechtsgestaltende Praxis einschließlich der hierfür erforderlichen Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit sowie Gender- und Diversitykompetenz.“
Ableistung des Referendariats in Teilzeit
Der djb begrüßt, dass bei der Gestaltung des Rechtsrahmens für das Referendariat die Belange von Referendar*innen mit Sorgeverantwortung Berücksichtigung finden sollen. Nicht zuletzt die Pandemie hat deren Belastung potenziert und deutlich gemacht, dass eine solche Anpassung dringend Not tut (vgl. Stellungnahmen des djb zum DRiG und zuletzt in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hamburg). Es ist daher zu begrüßen, dass durch eine Änderung der Sächsischen JAPO die Option geschaffen werden soll, das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren.
Der Staat wird damit seinem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG gerecht und verwirklicht das Fördergebot aus Art. 3 Abs. 2 GG. Nur durch inklusive Maßnahmen wie der Teilzeitausbildung kann sichergestellt werden, dass entsprechend der Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG tatsächlich ein gleicher Zugang aller zu staatlichen Ämtern erfolgt.
Der Verordnungsentwurf in seiner jetzigen Form wird jedoch zu keiner nennenswerten Entlastung derjenigen führen, die sich für ein Referendariat in Teilzeit entscheiden sollten. Der djb regt deswegen ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Ausbildung in Teilzeit an: Referendar*innen, die ihrer Ausbildung oftmals aufgrund sozialer und finanzieller Benachteiligung nicht ihre gesamte Zeit widmen können, sollten nicht zusätzlich mit Misstrauen sanktioniert werden. Im Gegenteil sollten der Verordnungsgeber und die Ausbilder*innen ihnen auf Augenhöhe begegnen und mit dem Respekt, den sie als vielfach geforderte und häufig extrem leistungsstarke junge Bürger*innen verdienen. Da der Teilzeitanspruch weiterhin an eine begrenzte Anzahl von Tatbestandsmerkmalen gebunden ist, deren Ausgestaltung in der Verordnungsbegründung festzuschreiben ist, ist das Missbrauchspotenzial eines Teilzeitreferendariats auf Augenhöhe und mit Augenmaß als minimal zu bewerten. Diese Grundhaltung des Vertrauens und des Respekts sollte sich auch in den Regelungen zur Teilzeit niederschlagen.
Zu § 36a Abs. 1
Der Teilzeitanspruch sollte großzügig gehandhabt werden. Nur so kann Sachsen der gesamten Vielfalt der Lebensrealitäten Rechnung tragen, aus denen heraus heute Menschen den Vorbereitungsdienst ableisten. Die Verordnungsbegründung sollte daher vorsehen, dass § 36a Abs. 1 Nr. 3 weit auszulegen ist, sodass in jedem Fall Konstellationen der eingeschränkten Teilhabe aufgrund einer Erkrankung oder Schwerbehinderung erfasst sind. Weiterhin regt der djb an, auch sorgetragende Beziehungen einzuschließen, die über das strikt an Biologie und Ehe orientierte gesetzliche Bild aus Nr. 1 hinausgehen.
Die aus § 35 Abs. 2 S. 1 SächsJAPO i.V.m. § 10 Abs. 1 Sächsisches Besoldungsgesetz folgende Reduktion der sich ohnehin schon am Existenzminimum bewegenden Ausbildungsbezüge sieht der djb äußerst kritisch. Es wird dringend geraten, eine Ausnahme von der Verweisung auf das Sächsisches Besoldungsgesetz in § 35 Abs. 2 S. 3 oder in § 36a Abs. 1 S. 2 SächsJAPO vorzusehen.
In anderen Bundesländern wird zudem die Unterhaltsbeihilfe gerade nicht gekürzt, wenn sich die Ausbildung in Härtefällen (die in § 5b Abs. 6 S. 2 DRiG n.F. der Sorgeverantwortung gleichgestellt werden) verzögert. Vgl. die geplante Ausbildungsreform in Hamburg (s. Nummer 9 lit. d), Art. 3 Abs. 4 S. 2 BaySiGjurVD und § 5 Abs. 2 Nr. 2 NRW-VO über die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsbeihilfe an Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare.
Gegen eine Reduktion spricht, dass die Unterhaltsbeihilfe nicht im Gegenzug zur verrichteten Arbeit geleistet wird, sondern zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Diese verringern sich bei einem Referendariat in Teilzeit aber gerade nicht, sondern können sich bei Sorgeverantwortung sogar erhöhen. Den Referendar*innen ist es nicht zuzumuten, einen etwaigen Familienzuschlag zum Ausgleich für die persönlichen Unterhaltseinbußen einsetzen zu müssen. Zum anderen könnten Referendar*innen so gezwungen sein, sich allein aus finanziellen Gründen gegen die Teilzeit zu entscheiden.
Zu § 36a Abs. 2
Der djb sieht die hohen bürokratischen Hürden des neuen § 36a Abs. 2 kritisch. Da die Zusage eines Platzes und der Ausbildungsort regelmäßig erst vier Wochen vor Beginn des Vorbereitungsdienstes erfolgen, ist die Frist in S. 3 auf zwei Wochen zu verkürzen.
Zu § 36a Abs. 3
Um Referendar*innen mit Sorgeverantwortung mehr Flexibilität und zugleich Rechtssicherheit zu garantieren, braucht es großzügigere Modelle, die auf ihre Bedürfnisse individuell Rücksicht nehmen. Die in S. 2 vorgesehene pauschale – und zugleich nicht nennenswerte – Reduktion der Arbeitszeit um ein Fünftel ist nicht geeignet, der Mehrbelastung aller Sorgeverantwortlichen gerecht zu werden. Um eine spürbare Entlastung zu schaffen, ist die Arbeitszeit um mindestens ein Drittel zu verringern. Die vorgesehene Reduktion geht nicht über die derzeit in Einzelfällen praktizierte Entlastung von Referendar*innen mit Kindern hinaus, die von wenigen Ausbilder*innen individuell angeboten wird. Angesichts der aktuell eher freihändigen Gestaltung des Ausbildungsrahmens im Referendariat, der in der Praxis maßgeblich von individuellen Absprachen mit bzw. einseitigen Vorgaben durch die jeweiligen Ausbilder*innen bestimmt wird, muss es dringend rechtssichere Vorgaben für das Ableisten in Teilzeit geben.
Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass die Ausbildungszeiten, besonders die Veranstaltungen in den Arbeitsgemeinschaften und Klausurenkursen, mit Betreuungszeiten kompatibel sind. S. 2 ist entsprechend anzupassen.
Ausbilder*innen sollten zudem in einem neu einzufügenden S. 3 ausdrücklich verpflichtet werden, individuell auf die besonderen Bedürfnisse von Referendar*innen mit Sorgeverpflichtungen einzugehen. Dabei muss gewährleistet sein, dass Referendar*innen mit Sorgeverantwortung neben den Pflichtveranstaltungen ausreichend Zeit zum Lernen haben, indem beispielsweise die Einzelausbilder*innen angehalten werden, den Umfang von Aktenbearbeitung angemessen zu halten oder zu ermöglichen, Probeklausuren flexibler zu schreiben. Der Rahmen der Stationsausbildung wird regelmäßig zulasten der persönlichen Vorbereitungszeit überzogen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Missstand im Teilzeitmodell ohne ausdrückliche Regelungen zuspitzt und so faktisch leerläuft.
Faktisch hängt es auch von dem*der konkreten Ausbilder*in ab, ob die in der Ausbildungsverordnung vorgegebene regelmäßige Präsenzzeit eingehalten wird. Der djb regt insoweit dringend an, in der Personalverwaltungspraxis bei der Zuweisung von Referendar*innen, bei denen die Voraussetzungen aus § 36a Abs. 1 vorliegen, auf besondere Bedarfe einzugehen und idealerweise Ausbilder*innen zu vermitteln, die selbst in Teilzeit tätig sind. Dies muss auch als Anspruch in der Ausbildungsverordnung verankert werden.
Zu § 36a Abs. 4
Kritisch zu beurteilen ist zudem die pauschale Verlängerung des Referendariats um ein Viertel. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb gerade die geringfügige Arbeitszeitreduzierung von einem Fünftel in den Stationen eine Verlängerung der Ausbildungszeit insgesamt zur Folge haben muss und wieso die Reduzierung nicht einmal der Verlängerung anteilig entspricht.
Eine solche Verlängerung ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten. Denn das an Voraussetzungen – die Sorgeverantwortung – geknüpfte Teilzeitreferendariat dient gerade dazu, die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Chancengleichheit herzustellen, indem bestehende Nachteile ausgeglichen werden. Dass in der Einzelausbildung weniger Leistungen erbracht werden als durch andere Referendar*innen, fällt bei einer Arbeitsreduzierung um bloß ein Drittel nur unerheblich ins Gewicht.
Der djb fordert daher, eine Verlängerung des Referendariats allenfalls optional einzuführen. Auf Antrag der Referendar*innen ist die Ausbildungszeit um bis zu ein halbes Jahr zu verlängern. Das Missbrauchspotenzial einer solchen Regelung ist äußerst gering. Tatsächlich entspricht es viel mehr der Erfahrung, dass Referendar*innen wie auch Studierende unter hohem Druck stehen, das Referendariat möglichst schnell zu absolvieren. Eine Missbrauchsgefahr wird in Bezug auf das erste Examen, dessen Zeitpunkt viel flexibler gewählt werden kann, schließlich auch – zurecht – nicht gesehen.
Susanne Köhler
Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen
Helene Evers
Vorsitzende des Arbeitsstabes Ausbildung und Beruf