Stellungnahme: 22-08


zur möglichen Ausgestaltung der neuen Rechtsverordnungen über Beurteilungen und Erprobungen in der nordrhein-westfälischen Justiz (Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts bei dienstlichen Beurteilungen)

Stellungnahme vom

Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb) bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Ausgestaltung der Rechtsverordnungen über Beurteilungen und Erprobungen in der nordrhein-westfälischen Justiz.

Der djb begrüßt, dass im Land Nordrhein-Westfalen nach Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts bei dienstlichen Beurteilungen in der Justiz die Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen der Richter*innen und Staatsanwält*innen und für Erprobungen überarbeitet und auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden sollen.

Nach Überzeugung des djb sind Transparenz und klare rechtliche Vorgaben für dienstliche Beurteilungen essenziell für eine diskriminierungsfreie Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG und damit für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) bei Einstellungen und Beförderungen in der Justiz.

Nach Art. 33 Abs. 2 GG sind Auswahlentscheidungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Dienstliche Beurteilungen sind bei Auswahlentscheidungen zentral für die Verwirklichung des grundrechtsgleichen Rechts auf ein angemessenes berufliches Fortkommen, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 –, BVerfGE 141, 56-81, Rn. 31). Darüber hinaus kommt Erprobungen für Beförderungen in der Justiz erhebliche Bedeutung zu.

Untersuchungen zeigen in vermeintlich geschlechterneutral angelegten Beförderungssystemen eine Ungleichbehandlung von Frauen, die trotz gleich guter Einstiegsleistungen bei Beurteilungen vielfach schwächer als ihre männlichen Konkurrenten abschneiden. Dahinter können auch Vorurteile, Rollenklischees und Geschlechterstereotypen stehen (vgl. dazu etwa das Evaluationsgutachten über die Wirksamkeit des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst sowie über den Erfüllungsaufwand, BT-Drs. 19/24615, S. 236 ff.).

Ziel der Regelungen zu den Anforderungen an das Beurteilungs- und Erprobungssystem muss daher eine Überwindung diskriminierender Mechanismen bei der Erstellung dienstlicher Beurteilungen sowie bei Zugang und Durchführung von Erprobungen sein.

Anforderungen an die Beurteilungsverordnung

Nach Auffassung des djb sollten jedenfalls folgende Aspekte bei Erstellung der nach § 14 Abs. 5 des Landesrichter- und Staatsanwältegesetzes (LRiStaG) zu erlassenden Beurteilungsverordnung umgesetzt werden:

Häufigkeit der Regelbeurteilung von Proberichter*innen

Häufigkeit und Zeitpunkte der Regelbeurteilungen von Proberichter*innen sollten den Vorgaben in § 14 Abs. 1 Satz 2 LRiStG entsprechend reduziert werden. Die derzeit in Ziff. III. 1a) der BeurteilungsAV in der Fassung vom 4. Juli 2016 zwingend vorgesehenen Beurteilungen nach sechs, achtzehn und sechsunddreißig Monaten seit der Einstellung in den Justizdienst und danach alle zwei Jahre können zu Ungleichbehandlungen aufgrund familienbedingter Abwesenheit während der Probezeit führen.

Verfahren zur Erstellung der Beurteilung

Um die bestmögliche Vergleichbarkeit von Beurteilungen zu gewährleisten und gleichzeitig sicherzustellen, dass persönliche Vorurteile sich weder positiv noch negativ auf eine Beurteilung auswirken, sollten sich Personen, die Beurteilungsbeiträge erstellen, auf die Beschreibung der beobachteten Tatsachen beschränken; die Vergabe konkreter Ausprägungsgrade/Noten bleibt der für die Beurteilung zuständigen Person vorbehalten.

Eröffnung der Beurteilung

Die Verordnung sollte hinsichtlich des Beurteilungsgesprächs das Recht der Richter*innen und Staatsanwält*innen vorsehen, die Teilnahme der Gleichstellungsbeauftragten an dem Beurteilungsgespräch zu beantragen. Dies sehen bisher weder § 14 Abs. 3 und 4 LRiStG noch Ziff. VI der BeurteilungsAV vor. Dies kann insbesondere der Aufdeckung verdeckter Diskriminierung dienen.

Rechtsgrundlage und Evaluation

Der djb sieht unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und angesichts der zentralen Bedeutung dienstlicher Beurteilungen für den beruflichen Erfolg kritisch, dass bei der Überarbeitung des LRiStG keine Vorgaben zum Inhalt der Beurteilung in das Gesetz aufgenommen wurden. Nach dem auch für die Ausgestaltung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG geltenden Parlamentsvorbehalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322, 1989/12 – BVerfGE 139, 19 Rn. 52 ff.) müssen die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen vom Gesetzgeber selbst bestimmt werden.

Bei Beachtung der Pflichten aus Art. 3 Abs. 2 GG ist nach Überzeugung des djb bereits durch die gesetzliche Ermächtigungsnorm zu gewährleisten, dass Aspekte der Gleichstellung bei der Erstellung der Beurteilungskriterien berücksichtigt werden. Die im Gesetz bisher nicht enthaltene Verpflichtung zu einer regelmäßigen Evaluierung des Beurteilungswesens sollte wenigstens in der Rechtsverordnung festgeschrieben werden. Dabei ist zwingend eine Überarbeitung der Rechtsverordnung (bzw. des Gesetzes) vorzusehen, wenn sich – etwa anhand von Beurteilungsstatistiken – herausstellen sollte, dass das Beurteilungswesen in seiner aktuell geregelten Form zu Diskriminierungen bei der Erstellung von Beurteilungen führt.

Soweit eine weitere Änderung des LRiStG nicht vorgesehen ist, sollten diese Aspekte jedenfalls bei der Erstellung der Rechtsverordnung nach § 14 Abs. 5 LRiStG berücksichtigt werden.

Veröffentlichung von Beurteilungsstatistiken

Die Rechtsverordnung sollte ferner vorsehen, dass Ergebnisse von Beurteilungsrunden (bei Stichtagsbeurteilung) oder aus Beurteilungszeiträumen geschlechtsbezogen und nach Regelbeurteilung sowie Anlassbeurteilung differenziert zu veröffentlichen sind. Hierbei ist nach Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung zu unterscheiden.

Die Erfahrung zeigt, dass Beurteilte regelmäßig ihre Ergebnisse und Erfahrungen nicht teilen. Systemische, diskriminierende Benachteiligungen können deshalb von Beurteilten nicht aufgedeckt werden. Dem kann durch eine hinreichend differenzierte Beurteilungsstatistik deutlich entgegengewirkt werden.

Anforderungen an die Erprobungsverordnung

Folgende Aspekte sollten nach Überzeugung des djb bei Erstellung der nach § 14 Abs. 6 LRiStaG zu erlassenden Erprobungsverordnung umgesetzt werden:

Streichung der Lebensaltersregelung für die Erprobung

Die bisher in Ziff. I.3. der ErprobungsAV in der Fassung vom 9. Juli 2014 vorgesehene Lebensaltersspanne für eine Erprobung sollte ersatzlos gestrichen werden, da sie geeignet ist, Richter*innen oder Staatsanwält*innen zu benachteiligen, deren Erwerbsbiographie familienbedingte Abwesenheitszeiten enthält. Zudem wird sie den veränderten Justizerwerbsbiographien – späterer Einstieg nach Tätigkeiten beispielsweise als Rechtsanwält*in – nicht mehr gerecht.

Ausschreibung von Erprobungsmöglichkeiten

Unter dem Gesichtspunkt der Transparenz sollten Erprobungsmöglichkeiten immer in geeigneter Weise ausgeschrieben werden. Die bisher in Ziff. II. ErprobungsAV vorgesehenen Ausnahmen sollten gestrichen werden.

Auswahl der zu erprobenden Richter*innen und Staatsanwält*innen

Ziff. III.1. ErprobungsAV sieht derzeit hinsichtlich der Auswahl der zu erprobenden Richter:innen und Staatsanwält:innen eine Auswahl nach der Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bei Beachtung von Dienst- und Lebensalter vor. Eine Berücksichtigung des Dienst- oder Lebensalters birgt jedoch aufgrund familienbedingter Abwesenheitszeiten stets die Gefahr einer Frauen diskriminierenden Auswahl und sollte daher gestrichen werden. Bei der Auswahl ist eine Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten vorzusehen.

Erprobungen in Teilzeit

Die Möglichkeit, die Erprobung in Teilzeit durchzuführen, sollte notwendig beibehalten werden.

 

Henriette Lyndian 
Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen

 

PD Dr. Sina Fontana

Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht,
Öffentliches Recht, Gleichstellung