Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit, gemäß § 27a BVerfGG eine Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde
I. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2020 - 1 Ss 96/20 -,
b) das Urteil des Landgerichts Gießen vom 12. Dezember 2019 - 4 Ns - 406 Js 15031/14-
II. mittelbar gegen § 219a StGB in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 2. März 2019 (BGBl. I S. 350)zu verfassen.
Der djb unterstützt die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin. Der Straftatbestand des § 219a StGB ist, soweit sich die Vorschrift auf sachliche Informationen über gerechtfertigte und tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 bis 3 StGB bezieht, verfassungswidrig. Die auf dieser Vorschrift beruhenden strafgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und in ihrer Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
A. Verletzung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG
I. Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit
Die Regelung des § 219a StGB greift in die Berufsfreiheit von Ärzt*innen insoweit ein, als sie ihnen unter Strafandrohung untersagt, im Rahmen ihrer ärztlichen Berufsausübung – einer auf Dauer angelegten und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dienenden Tätigkeit (vgl.BVerfGE 153, 182 <300 Rn. 310>) – über die von ihnen angebotenen medizinische Dienstleistungen zu informieren. Zu den durch Art.12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Handlungen gehört die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsträger*innen, was die Vermittlung der erforderlichen Informationen für die Inanspruchnahme ihrer Dienste einschließt (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>; 94, 372 <389>; 105, 252 <266>; 106, 181 <192>; 112, 255 <262>).
§ 219a StGB verbietet es Ärzt*innen, über das „Wie“ der von ihnen angebotenen Dienstleistungen zu informieren. Anders als die amtliche Überschrift („Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“) es nahelegt, erfasst der Straftatbestand nicht nur Werbung im Sinne einer anpreisenden Reklame. Die Vorschrift stellt auch und gerade sachliche, aufklärende Informationen unter Strafe, soweit diese sich nicht lediglich auf die Tatsache beschränken, dass straffreie Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden (§ 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB), sondern Mittel, Gegenstände oder Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch umfassen (§ 219a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Zu berücksichtigen ist dabei, dass § 219a StGB nicht zwischen straffreien und strafbaren Formen des Schwangerschaftsabbruchs unterscheidet. So ist auch die Information über die nach dem Regelungskonzept der §§ 218a ff. StGB straffreien Schwangerschaftsabbrüche – das heißt solche aus medizinischer und kriminologischer Indikation nach § 218a Abs. 2 und 3 StGB sowie nach der Beratungslösung des § 218a Abs. 1 StGB i. V. m. § 219 StGB – strafbar. Die Beschwerdeführerin wurde dementsprechend gemäß § 219a Abs. 1 StGB verurteilt, weil sie in sachlicher Form über Behandlungsmethoden und den Ablauf der Behandlung informierte (vgl. Bl. 440 d.A.).
§ 219a StGB greift nicht nur durch das darin enthaltene Verhaltensverbot in die Berufsfreiheit ein. Ein eigenständiger Eingriff liegt in der Strafbewehrung des Verbots (vgl. BVerfGE 90, 145 <183 ff.>; 92, 191 <196>; 92, 277 <326>). In dem darin verankerten staatlichen sozialethischen Unwerturteil liegt grundsätzlich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Appel, Verfassung und Strafe, 1998, S. 492 f., 496, 575; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, 2014, S. 622 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 96 ff.). Greift aber die Verhaltensnorm nicht nur in Art. 2 Abs. 1 GG, sondern ihrerseits bereits in ein spezielles Grundrecht ein, so kann gleiches auch für das staatliche Unwerturteil angenommen werden.
II. Keine Rechtfertigung
Die Eingriffe in die ärztliche Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG sind nicht gerechtfertigt.
In das durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (stRspr, vgl. BVerfGE 141, 82 <98 Rn. 47> mwN). Dabei ist aufgrund der mehrschichtigen Eingriffsdimension einer Strafnorm zu berücksichtigen, dass sich nicht nur die Frage nach einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Verbotsnorm selbst stellt, sondern das Versehen mit Strafe, mithin mit einem staatlichen Unwerturteil, einer eigenständigen Rechtfertigung bedarf. Denn eine Strafvorschrift spricht als schärfste dem Staat zur Verfügung stehende Sanktion ein sozialethisches Unwerturteil über ein bestimmtes Handeln der Bürger*innen aus (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>; 110, 226 <254 ff.>). Das staatliche Unwerturteil wirkt sich somit über das bloße Verbotensein eines Verhaltens hinaus auf die Geneigtheit aus, von verfassungsrechtlich verbürgten Freiheiten Gebrauch zu machen. Daher kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesteigerte Bedeutung zu.
1. Fehlen eines legitimen Zwecks
a) Maßstab
Das strafbewehrte Verbot der Information über ärztliche Dienstleistungen betrifft zwar allein die Berufsausübungsfreiheit. Um den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen zu können, genügt es im Grundsatz, wenn die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele auf vernünftigen Erwägungen beruhen (stRspr, vgl. BVerfGE 141, 82 <100 Rn. 52 > mwN).
Zu berücksichtigen ist aber, dass die vorgebrachten Zwecke nicht nur in Bezug auf allgemeine Verhaltensvorschriften zu betrachten sind, sondern aufgrund des staatlichen Unwerturteils auch Mindestanforderungen in Bezug auf die Verhinderung strafwürdigen, mithin sozialschädlichen Verhaltens aufweisen müssen. Denn Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen (BVerfGE 27, 18 <29>). So heißt es in BVerfGE 120, 224 <239 f.>:
„Das Strafrecht wird als ‚ultima ratio‘ des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist. Wegen des in der Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils kommt dem Übermaßverbot als Maßstab für die Überprüfung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu.“
Dem ultima-ratio-Prinzip ist im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs somit dahingehend Rechnung zu tragen, dass der Zweck der Sanktionsnorm in der Verhinderung eines in besonderer Weise sozialschädlichen und für das Zusammenleben der Menschen unerträglichen Verhaltens liegt.
b) Keine Legitimität der verfolgten Zwecke
Diesem Maßstab werden die von § 219a StGB verfolgten Zwecke nicht gerecht.
Bereits im Jahr 1925 gab es die Bestrebungen, ein „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. So heißt es in einem Entwurf zu einem allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1925 zu § 229:
„Die Strafdrohung gegen die Abtreibung selbst und die Verschaffung von Mitteln dazu reichen nach den bisherigen Erfahrungen zu einer wirksamen Bekämpfung des Umwerbens der Abtreibung nicht aus. In vielen Fällen, in denen von der Schwangeren eine Abtreibung vorgenommen oder ein Abtreibungsversuch gemacht worden ist, läßt sich feststellen, daß der Gedanke dazu erst von außen an die Schwangere herangebracht worden ist. Meist handelt es sich um Anzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften, in denen mehr oder minder Abtreibungsmittel angekündigt werden oder sich andere zur Vornahme von Abtreibungen erbieten.“[1]
Ziel war es also bereits in der Weimarer Republik, den Informationsfluss an schwangere Personen im frühestmöglichen Stadium zu unterbinden, da man davon ausging, so den Abbruch verhindern zu können.
Mit der Zusammenführung von §§ 219 und 220 StGB a. F. durch das 5. StrRG im Jahr 1974 trat die Schwierigkeit auf, eine Begründung für die Strafbarkeit auch solcher Informationen aufzustellen, die sich auf (mit demselben Gesetz) erstmals legalisierte Formen des Abbruchs bezogen. Laut Gesetzesbegründung sollte der neu formulierte § 219a StGB zwei Zielen dienen: Er sollte verhindern, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert“ werden (BT-Drucks 7/1981 (neu), S. 17; vgl. auch Eschelbach, in: BeckOK StGB, 52. Ed. 1.2.2022, § 219a Rn. 3). In eine ähnliche Richtung zielt die Gesetzesbegründung zur Reform von § 219a StGB im Jahr 2019, wonach verhindert werde solle, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit verharmlost dargestellt“ würden (BT-Drucks 19/7693, S. 7; vgl. auch Gropp/Wörner, in: Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl. 2021, § 219a Rn. 2). Zweck der Vorschrift ist damit eine Art gesellschaftlicher „Klimaschutz“ (Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2).
Eine weitere Schutzrichtung wird der Vorschrift von Teilen der Literatur zugestanden: den sehr weit vorgelagerten Schutz des sogenannten ungeborenen Lebens (vgl. Eschelbach, in: BeckOK StGB, 52. Ed. 1.2.2022, § 219a Rn. 1; Gropp/Wörner, in: Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl. 2021, § 219a Rn. 2). Auch die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 219a StGB aus dem Jahr 2019 geht davon aus, dass es § 219a StGB brauche, um das Rechtsgut des ungeborenen Lebens zu schützen (vgl. BTDrucks 19/7693, S. 1, 7; anders nunmehr: Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), (…), vom 9.März 2022, S. 1).
Keiner dieser Schutzzwecke vermag jedoch ein strafrechtliches Verbot von sachlichen Informationen über erlaubte Handlungen zu rechtfertigen.
Im Einzelnen:
aa) Verhinderung der Kommerzialisierung
Die Verhinderung einer Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist kein legitimer Zweck, um sachliche und für die Aufklärung über eine Gesundheitsleistung erforderliche Informationen unter Androhung von Strafe zu verbieten.
Zwar mag abstrakt die Verhinderung unangemessener Kommerzialisierung durchaus im Einklang mit dem legitimen Ziel stehen, ein Verhalten von Ärzt*innen zu unterbinden, das im Widerspruch zum standesrechtlichen Selbstverständnis einerseits und zum Patient*innenschutz andererseits steht. Eine solche abstrakte Betrachtung des legitimen Zwecks genügt den besonderen Anforderungen an das Übermaßverbot, die für Strafnormen anzulegen sind, aber nicht. Stattdessen muss das konkrete unter Strafandrohung verbotene Verhalten in den Blick genommen werden. Dabei wird deutlich, dass erstens für den Beruf der Ärzt*innen eine Differenzierung zwischen sachlicher Information und unangemessener Kommerzialisierung erforderlich ist, vor der auch das Strafrecht sich nicht verschließen darf, und dass zweitens § 219a StGB über das Ziel der Verhinderung einer unangemessenen Kommerzialisierung weit hinausgeht.
Ein staatliches Interesse, eine unangemessene Kommerzialisierung von Gesundheitsleistungen zu verhindern, muss sich auch an dem staatlich vorgesehenen Kosten- und Honorarsystem messen lassen, dem die Ärzt*innen unterliegen. Würde man allein auf einen (mittelbaren) finanziellen Vorteil abstellen, so wie dies § 219a StGB tut, würde angesichts der grundsätzlichen Pflicht, ein angemessenes Honorar zu verlangen,[2] jede Information auch eine (unangemessene) Kommerzialisierung der zugrundeliegenden Gesundheitsleistung bedeuten. Ein staatliches Interesse an der Verhinderung von sachlichen, der Aufklärung über Gesundheitsleistungen dienenden Informationen kann jedoch schon auf der Ebene eines reinen Verhaltensverbots nicht überzeugen; ein sozialschädliches Verhalten hierin zu erblicken, das ein staatliches Unwerturteil erlaubt, steht in einem eklatanten Widerspruch zum bestehenden Gesundheitssystem. Die Abgrenzung zwischen unangemessener Kommerzialisierung und angemessener, sachlicher Information ist daher schon auf der Stufe des legitimen Zwecks richtungsweisend. Nur in der Verhinderung Ersterer kann überhaupt ein legitimer Zweck für ein sozialethisches Unwerturteil liegen.
Die Abgrenzung zwischen unangemessener Kommerzialisierung und sachlicher, angemessener Information wird nicht nur durch die Musterberufsordnung näher konkretisiert, sondern war bereits Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Danach genügen die berufsrechtlichen Vorgaben zur Verhinderung einer Kommerzialisierung verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, soweit sie interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen, ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 191/05 <Rn. 14>). Dem entspricht auch die Regelung des § 27 MBO-Ä[3], dessen Abs. 2 klarstellt, dass Ärzt*innen sachliche berufsbezogene Informationen gestattet sind. Untersagt ist lediglich berufswidrige Werbung nach Abs. 3, nämlich insbesondere anpreisende oder vergleichende Werbung. Auch verfassungsgerichtlich geklärt ist in diesem Zusammenhang die Frage, welche Gemeinwohlbelange überhaupt geeignet sind, der Werbefreiheit von Ärzt*innen Grenzen zu setzen:
„Das Werbeverbot für Ärzte soll dem Schutz der Bevölkerung dienen; es soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht (vgl. BVerfGE 71, 162 [174]).“ (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 191/05 <Rn. 14 >)
Über diese Zielsetzung geht § 219a StGB weit hinaus. Sachliche Informationen, die keinen anpreisenden oder vergleichenden Charakter haben, sondern lediglich über die bestehenden Möglichkeiten einer zugelassenen Behandlung aufklären, können mit dem Ziel der Verhinderung einer Kommerzialisierung nicht erfasst und schon gar nicht mit einem staatlichen Unwerturteil versehen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat die zwingende Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzt*innen (Arztvorbehalt), die Wirksamkeit des ärztlichen Vertrages über den Schwangerschaftsabbruch sowie die Regelungen zur Finanzierung (durch die ungewollt schwangere Person als Vertragspartner*in, bei Bedürftigkeit aus staatlichen Mitteln) als zentrale Bestandteile des sogenannten Beratungsmodells statuiert (BVerfGE 88, 203 <270>). Die Verhinderung einer Kommerzialisierung kann sich daher nicht auf diese fraglos erlaubte und rechtlich garantierte Bezahlung richten, sondern muss eine unangemessene Kommerzialisierung meinen, die sich nicht in der – für Ärzt*innen verpflichtenden – Kostenerhebung erschöpft und im vorliegenden Fall nicht in Rede steht (Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2 f.). Zutreffend merkt die Verfassungsbeschwerde in diesem Zusammenhang an, dass eine solche verpflichtende Bezahlung der Ärzt*innen auch keine Einschränkung ihrer Sachlichkeit oder Neutralität zur Folge haben kann (Verfassungsbeschwerde S. 45, Bl. 401 d.A.).
bb) Verhinderung einer Normalisierung/Verharmlosung in der Öffentlichkeit („Klimaschutz“)
Soweit § 219a StGB bezweckt, eine „Normalisierung“ oder Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verhindern, stellt dies kein legitimes Ziel zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit dar.
Der Erhalt eines tatsächlich bestehenden oder mutmaßlichen Konsenses über Werte- oder Moralvorstellungen kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht unmittelbares Ziel strafgesetzgeberischer Tätigkeit sein (vgl. BVerfGE 153, 182 <271 Rn. 234>; 120, 224 <264>). Genau darauf läuft aber das strafbewehrte Informationsverbot über Schwangerschaftsabbrüche hinaus. Die bezweckte Verhinderung der Verharmlosung oder Normalisierung stellt eine Form gesellschaftlichen „Klimaschutzes“ (Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2) dar, die von vornherein nicht legitimer Zweck einer Strafnorm sein kann. Denn dies widerspricht dem ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts.
Wie ausgeführt kann der legitime Zweck einer Strafnorm nur darin liegen, ein in besonderer Weise sozialschädliches und für das Zusammenleben der Menschen unerträgliches Verhalten zu verhindern. Die sachliche Information über rechtlich zulässige Abbrüche kann aber nicht schon deshalb sozialschädlich sein, weil sie möglicherweise geeignet ist, einen gesellschaftlichen Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen. Die Eröffnung eines Diskurses auf Basis von sachlichen Informationen stellt kein für das Zusammenleben der Menschen unerträgliches Verhalten dar, sondern ist vielmehr Grundlage der nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit. Das Verbot des gesellschaftlichen Meinungsaustauschs über Schwangerschaftsabbrüche unter Androhung von Strafe widerspricht dem für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierenden Charakter der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Dass es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen um ein kontrovers diskutiertes, mit grundlegenden ethisch-moralischen Fragestellungen verknüpftes Thema handelt, ändert an diesem Befund nichts, sondern unterstreicht nur die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses zur Auslotung seiner rechtlichen Ausgestaltung.
Der Legitimität des Zwecks, eine Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen durch ein Informationsverbot zu verhindern, steht auch entgegen, dass der Zugang zu Informationen im Kontext reproduktiver Tätigkeit nach internationalem Recht sicherzustellen ist. Deutschland ist als Vertragspartner des Sozialpakts (ICESCR) und der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) grundsätzlich zur Gewährleistung sachlicher und ärztlich gesicherter Informationen verpflichtet, auf die Betroffene im Falle eines Schwangerschaftskonflikts Zugriff hätten. So betont der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf Grundlage des Art. 12 Sozialpakt, dass reproduktive Gesundheit auch den Zugang zu solchen Informationen umfasst, die für die Reproduktion relevant sind. Nur so könne eine freie und verantwortungsvolle Entscheidung im Kontext der Reproduktion sichergestellt werden (dazu Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Allgemeine Bemerkung Nr. 22, E/C.12/GC/22, 2. Mai 2016, § 6; zustimmend auf Grundlage des Art. 12 UN-Frauenrechtskonvention: Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau, Allgemeine Bemerkung Nr. 24, A/54/38/Rev.1, chap. I, 1999, § 31 (b)). In die gleiche Richtung weist der vom UN-Frauenrechtsausschuss übermittelte Fragenkatalog, die sogenannte „List of Issues and Questions prior to Reporting“: Deutschland solle dazu Stellung beziehen, wie die Einschränkung des Rechts von Frauen auf Zugang zu Diensten und Informationen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit durch das Informationsverbot gemäß § 219a StGB gerechtfertigt wird (Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau, Liste der Themen und Fragen vor der Vorlage des neunten periodischen Staatenberichts Deutschlands, CEDAW/C/DEU/QPR/9, 9. März 2020, § 16). Gleichzeitig identifiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Informationsbeschränkungen explizit als Barriere für die Gewährleistung sicherer Schwangerschaftsabbrüche (WHO, Abortion care guideline, 2022, S. 12).
Aus nationaler Perspektive stehen der Legitimität des Zwecks, eine Verharmlosung über Informationsbeschränkungen verhindern zu wollen, explizit die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts im Kontext des Beratungskonzepts entgegen: Es müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen dahingehend ausgestaltet sein, das Verantwortungsbewusstsein der schwangeren Person zu stärken, die die Letztverantwortung im Schwangerschaftskonflikt trägt (vgl. BVerfGE 88, 203 <267 f.>).
Im Übrigen sind Schwangerschaftsabbrüche seit jeher – insbesondere soweit sie nach § 218a StGB straffrei sind – gesellschaftliche Realität. Jährlich werden circa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen ist stetig Gegenstand des politischen Diskurses, so etwa mit Blick auf die zunehmende Verschärfung der entsprechenden Bestimmungen in Polen. Auch das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert, ebenso das Vorgehen radikaler Abtreibungsgegner*innen. Nicht zuletzt sieht auch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung die Einsetzung einer Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung vor, die die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen wird. Diese Entwicklungen illustrieren, dass Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich kein tabuisiertes, gesellschaftliches Randphänomen sind, dessen öffentliche Thematisierung zu verhindern sein könnte.
Die Verhinderung der Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen könnte allenfalls insoweit ein legitimes Ziel darstellen, als sie sich auf grob anstößige Verhaltensweisen oder die Werbung für strafbare Abbrüche im Sinne des § 218 StGB bezieht. Doch § 219a StGB erfasst auch und gerade die sachliche Information über erlaubte Schwangerschaftsabbrüche, wie die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen zeigen. Soweit unterhalb der Schwelle der Sozialschädlichkeit – deren Überschreiten für eine Strafandrohung zwingend erforderlich ist – eine Verharmlosung bestimmter Formen des Schwangerschaftsabbruchs verhindert werden soll, stellt das Strafrecht kein adäquates Mittel dar.
cc) Schutz des „ungeborenen Lebens“
Jedenfalls mittelbar verfolgt der Gesetzgeber mit § 219a StGB das Ziel, das „ungeborene Leben“ zu schützen. Darin liegt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 39, 1 <37>; 88, 203 <251>) grundsätzlich ein legitimer Zweck. Allerdings entbehrt die Annahme des Gesetzgebers, die nach § 219a StGB verbotenen Handlungen stellten eine Gefahr für das „ungeborene Leben“ dar, jeglicher Grundlage, soweit sie sich auf sachliche Informationen über erlaubte Formen des Schwangerschaftsabbruchs bezieht.
Die Gefahreneinschätzung des Gesetzgebers ist verfassungsrechtlich darauf zu prüfen, ob sie auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage beruht (BVerfGE 153, 182 <272 Rn. 237>). Mangels wissenschaftlicher Erkenntnisse dürfte es bereits genügen, wenn die Einschätzung sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert hat (vgl. BVerfGE 153, 182 <272 f. Rn. 238>).
Diesen Anforderungen hält die Gefahreneinschätzung des Gesetzgebers indes nicht stand. Es ist weder vom Gesetzgeber dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass sachliche Informationen über erlaubte Schwangerschaftsabbrüche zu einer Gefährdung des „ungeborenen Lebens“ führen könnten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Tatbestand des § 219a StGB nicht zwischen den verschiedenen Formen des Schwangerschaftsabbruchs nach §§ 218, 218a StGB unterscheidet. Jedenfalls die sachliche Information über straffreie (d. h. tatbestandslose oder gerechtfertigte) Formen des Schwangerschaftsabbruchs stellt keine Gefahr für das „ungeborene Leben“ dar. Denn die geltende Gesetzeslage, nach der bestimmte Formen des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a StGB straffrei sind, enthält bereits eine gesetzgeberische – und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte – Abwägung zwischen dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung der ungewollt schwangeren Person einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für das „ungeborene Leben“ andererseits. Soweit es sich um tatbestandslose bzw. rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a StGB handelt, hat der Gesetzgeber den Schutz des „ungeborenen Lebens“ zurücktreten zu lassen. Wenn aber bereits der Abbruch selbst als tatbestandslos beziehungsweise rechtmäßig und damit nicht als strafbare Gefährdung des „ungeborenen Lebens“ erachtet wird, kann es für die – von einer tatsächlichen Gefährdung noch wesentlich weiter entfernte – öffentliche Information über derartige Abbrüche erst recht nicht auf den Schutz dieses Rechts ankommen. Ein Recht des „ungeborenen Lebens“, das gegen die Berufsfreiheit von Ärzt*innen abgewogen werden könnte, existiert im Rahmen von § 219a StGB nicht (Merkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2).
Es bestehen zudem grundsätzliche Bedenken gegen die Erwägung, bestimmte öffentliche Angaben über Schwangerschaftsabbrüche unter dem Gesichtspunkt des „Lebensschutzes“ unter Strafe zu stellen. Denn auch nach Auffassung des Gesetzgebers gefährdet das von § 219a StGB erfasste Verhalten das „ungeborene Leben“ nicht unmittelbar; zurechenbare Verletzungsfolgen durch die öffentliche Information selbst sind nicht denkbar. Dies führt letztlich zu einer rechtsstaatlich problematischen Vorverlagerung der Strafbarkeit (vgl. grundlegend zu gesellschaftlichen „Klimadelikten“ Jakobs, ZStW 1985, S. 751 <781 ff.>).
2. Fehlende Eignung zur Erreichung der Zwecke
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine gesetzliche Regelung geeignet, wenn die Möglichkeit besteht, dass der angestrebte Zweck erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 156, 63 <116 Rn. 192>). Selbst unter Berücksichtigung des weiten Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers, den das Bundesverfassungsgericht nur in begrenztem Umfang überprüfen kann (stRspr, vgl. ebd.), erweist sich § 219a StGB als völlig ungeeignet, die Kommerzialisierung, Normalisierung oder Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen – sollten sie als legitimes Mittel angesehen werden – zu verhindern und das „ungeborene Leben“ zu schützen. Denn die Erwägungen des Gesetzgebers gehen offensichtlich fehl und können vernünftigerweise keine Grundlage für eine gesetzgeberische Maßnahme – zumal in Form einer Strafnorm – darstellen (vgl. BVerfGE 156, 63 <116 Rn. 192>).
a) Ärztliche Dienstleistungen ohnehin „kommerzialisiert“
Das Informationsverbot für Ärzt*innen kann nicht dazu beitragen, die Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ärzt*innenvorbehalt als zwingenden Bestandteil des sogenannten Beratungsmodells angesehen (BVerfGE 88, 203 <273 ff.>). Schwangerschaftsabbrüche dürfen also nur von Ärzt*innen vorgenommen werden. Diese sind nach § 12 MBO-Ä[4] grundsätzlich dazu verpflichtet, ein Honorar für den Schwangerschaftsabbruch zu erheben. Dass die sachliche Information über die Art und Weise der Dienstleistung vor diesem Hintergrund eine kommerzialisierende Wirkung haben könnte, ist bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Der Gesetzgeber plausibilisiert diesen vermeintlichen Zusammenhang in der diesbezüglichen Gesetzesbegründung nicht (BTDrucks 19/7693). Die offenbar hinter § 219a StGB stehende gesetzgeberische Erwägung, Ärzt*innen würden aus finanziellen Interessen in strafwürdiger Weise für Schwangerschaftsabbrüche werben, entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage. Denn strafbar sind sachliche, aufklärende Informationen. Vor diesem Hintergrund wäre allenfalls ein Verbot grob anstößiger Werbung statt rein sachlicher Information geeignet, die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke zu erreichen. Der Tatbestand des § 219a StGB geht darüber aber weit hinaus, wie die Verurteilung der Beschwerdeführerin illustriert.
bb) Verbotene Informationen ohnehin einsehbar
Nach der geltenden Rechtslage dürfen Ärzt*innen über die Tatsache informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten (§ 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB). Sie dürfen aber nicht angeben, auf welche Art und Weise sie diese medizinische Dienstleistung ausüben, etwa ob sie medikamentöse und/oder operative Abbrüche anbieten. Zugleich sieht § 13 Abs. 3 Satz 2 SchKG[5] aber nunmehr vor, dass diese Informationen in einer Liste von der Bundesärztekammer online zur Verfügung gestellt werden sollen.[6] Auf diese Liste dürfen Ärzt*innen nach § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB auch straffrei hinweisen, etwa durch Setzung eines Links (vgl. BTDrucks 19/7693, S. 11). Wenn aber somit die jeweils angewendete Methode ohnehin – wenngleich auf dem „Umweg“ über die Webseite der Bundesärztekammer – einsehbar ist, kann das an die Ärzt*innen gerichtete Verbot, diese Informationen unmittelbar auf ihren eigenen Webseiten offenzulegen, nicht mehr zur Verhinderung einer Normalisierung oder Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen beitragen.
cc) Aufklärung nicht verharmlosend
Von vornherein ist nicht erkennbar, inwieweit sachliche Informationen über die Durchführung einer erlaubten ärztlichen Dienstleistung dazu beitragen könnten, eine Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Öffentlichkeit zu verhindern. Es erscheint sogar naheliegender, dass sachliche Informationen über die Behandlungsweise Gegenteiliges bewirken könnten. So betrafen die von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Informationen auch mögliche Komplikationen von Schwangerschaftsabbrüchen.
Zudem ist der Verfassungsbeschwerde zuzustimmen, dass die Geeignetheit der Verhinderung der Trivialisierung des „Klimas“ als ein Hilfsmittel zum Schutz des „ungeborenen Lebens“, bereits an der – sogleich dargestellten – Unerreichbarkeit des Schutzes des „ungeborenen Lebens scheitert (Verfassungsbeschwerde, S. 34, Bl. 390 d.A.). Die Erreichung des grundlegend vorgesehenen Schutzauftrags ist mit § 219a StGB schon nicht umsetzbar, sodass auch das dazu dienende Verbot der Aufklärung keinen Bestand haben kann.
b) Schutz des „ungeborenen Lebens“
Das Ziel, „ungeborenes Leben“ zu schützen, kann durch ein an Ärzt*innen gerichtetes Informationsverbot von vornherein nicht erreicht werden. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Entschluss zum Abbruch einer Schwangerschaft durch derartige Informationen hervorgerufen oder zumindest verstärkt werden könnte. Einen derartigen Zusammenhang legt die Gesetzesbegründung nicht dar. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit Informationen über die Art und Weise der Behandlung eine ungewollt schwangere Person zum Abbruch einer Schwangerschaft veranlassen oder ermutigen könnten.
Im Übrigen ist – gerade unter gebärfähigen Personen – ohnehin allgemein bekannt, dass es die Möglichkeit zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gibt. Ungewollt schwangere Personen haben schon immer, und unabhängig von gesetzlichen Regelungen, Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt oder durchführen lassen. Im Internet finden sich ohne Weiteres zahlreiche Informationen zu den Möglichkeiten, Voraussetzungen, Kosten und Modalitäten von Schwangerschaftsabbrüchen. Es ist fernliegend, dass gerade ein Verbot sachlicher Informationen durch die Ärzt*innen selbst – deren Beteiligung an Schwangerschaftsabbrüchen laut Bundesverfassungsgericht zwingend ist (BVerfGE 88, 203 <270 f.>) – zum Schutz des „ungeborenen Lebens“ beitragen könnte. Dass radikale Abtreibungsgegner*innen im Internet nach wie vor Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust gleichsetzen und dafür bislang kaum strafrechtlich belangt werden, während Ärzt*innen eine sachliche Aufklärung unter Strafandrohung verboten ist, sei nur nebenbei erwähnt. Ungewollt schwangere Personen stoßen bei einer Internetrecherche über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen derzeit unweigerlich auch auf solche Webseiten, die gezielte Desinformationen verbreiten. Dies verdeutlicht nochmals, wie wichtig sachliche Informationen durch Expert*innen – und insbesondere durch Ärzt*innen – sind. Auch braucht es einen gesellschaftlichen Diskurs über die Grenzen derartiger „Meinungsäußerungen“ im Internet, für die sachliche, medizinische Informationen über Schwangerschaftsabbrüche unerlässlich sind.
Zudem ist wiederum zu berücksichtigen, dass seit 2019 nur die Information über das „Wie“, nicht aber über das „Ob“ des Schwangerschaftsabbruchs verboten ist. Es ist auch in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich, inwiefern dieses Verbot auch nur im Ansatz dazu geeignet sein könnte, zum Schutz des „ungeborenen Lebens“ beizutragen. So erfassen die verbotenen Informationen etwa auch mögliche Komplikationen der jeweiligen Behandlungsweise, was – anders als die Information über das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen an sich – sogar eine abschreckende Wirkung entfalten könnte. Selbst wenn man einen derartigen Zusammenhang unterstellen würde, wäre ein an Ärzt*innen gerichtetes Verbot völlig wirkungslos, da die Informationen auf der Webseite der Bundesärztekammer einsehbar sind und Ärzt*innen darauf hinweisen dürfen (§ 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB).
Der Straftatbestand des § 219a StGB trägt auch nicht in der Form zum Schutz des „ungeborenen Lebens“ bei, dass er zwingender Bestandteil des Regelungsmodells der §§ 218 ff. StGB wäre. Das Werbe- und Informationsverbot des § 219a StGB besteht in seinem Kerngehalt bereits seit Erlass des Gesetzes zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933[7] (RGBl. I S. 295 <296>). Abgesehen von gesetzestechnischen und geringfügigen inhaltlichen Anpassungen hat das Informationsverbot alle Reformen des Abtreibungsstrafrechts überdauert und ist – soweit ersichtlich – weder in den 1970er noch in den 1990er Jahren ausführlich rechtspolitisch diskutiert worden. Da eine dem § 219a StGB entsprechende Norm in der DDR nicht existierte, rückte der Tatbestand nach der Wiedervereinigung nicht in den Fokus der politischen Debatte. Auch das Bundesverfassungsgericht erwähnte § 219a StGB in seinen beiden maßgeblichen Entscheidungen nicht (BVerfGE 39, 1; 88, 203). Da insbesondere das Urteil vom 28. Mai 1993 (BVerfGE 88, 203) die Eckpunkte der staatlichen Schutzpflicht für das „ungeborene Leben“ im Detail konturiert und die entscheidenden Aspekte des verfassungsrechtlich zulässigen Regelungsmodells benennt, zeigt die fehlende Auseinandersetzung mit dem Informationsverbot, dass dieses gerade kein notwendiger Bestandteil davon ist.
Ein entsprechender Zusammenhang ist auch darüber hinaus nicht ersichtlich. Vielmehr resultieren die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 219a StGB auch daraus, dass der Straftatbestand nicht zwischen erlaubten und strafbaren Abbrüchen unterscheidet, sondern unterschiedslos die Information über alle Formen des Schwangerschaftsabbruchs mit Strafe bedroht. Wenn aber der Gesetzgeber (und das Bundesverfassungsgericht) bestimmte Formen des Schwangerschaftsabbruchs für nicht strafbar erachtet und insoweit den Schutz des „ungeborenen Lebens“ zurücktreten lässt, ist nicht ersichtlich, weshalb ein Verbot der Information darüber wiederum für genau diesen Schutzzweck notwendig oder auch nur förderlich sein sollte.
Im Gegenteil dürfte § 219a StGB dem Sinn und Zweck des Regelungsmodells sogar widersprechen. Denn dieses ist vom Gedanken getragen, dass indikationslose Abbrüche nur in der Frühschwangerschaft straffrei sein sollen. Das aus § 219a StGB resultierende Informationsdefizit kann aber gerade zu einer Verzögerung führen, da ungewollt schwangere Personen zunächst geeignete Ärzt*innen finden müssen, was aufgrund der schlechten Versorgungslage gerade in ländlichen Regionen zunehmend problematisch ist.[8] Es ist insoweit nicht ausgeschlossen, dass durch § 219a StGB die Frist des § 218a Abs. 1 StGB überschritten wird und die ungewollt schwangere Person dann einen unzulässigen Schwangerschaftsabbruch durchführen lässt, der bei Einhaltung der Frist zulässig gewesen wäre.
3. Fehlende Erforderlichkeit
Erforderlich ist eine Regelung, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (stRspr, vgl. BVerfGE 156, 63 <116 Rn. 192>). Zwar steht dem Gesetzgeber dabei grundsätzlich ein weiter, vom Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Doch ist zu berücksichtigen, dass das Strafrecht das „ultima-ratio“ der Gesetzgebung ist, von dem nur behutsam und zurückhaltend Gebrauch zu machen ist (vgl. BVerfGE 39, 1 <47>).
Dem Gesetzgeber stehen hier mildere, gleich geeignete Mittel zur Verfügung. In Betracht kommt neben einem weniger invasiven Ordnungswidrigkeitentatbestand insbesondere eine Regelung im ärztlichen Berufsrecht. Ärzt*innen unterliegen bei der Darstellung ihrer beruflichen Tätigkeit den standesrechtlichen Regelungen, dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Seit der Liberalisierung der Möglichkeiten ärztlicher berufsbezogener Kommunikation im Jahr 2000 sind diese Regelungen von hoher praktischer Bedeutung. Sie gestatten ausdrücklich die sachliche Information und verbieten berufswidrige, vor allem anpreisende, Werbung für ärztliche Leistungen und Tätigkeiten.
Die den landesrechtlichen Regelungen der ärztlichen Berufsordnungen entsprechende Musterberufsordnung gestattet sachliche berufsbezogene Informationen, untersagt aber in § 27 MBO-Ä[9] explizit berufswidrige Werbung, insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Dies gilt auch für die Schwangerschaftsabbrüche umfassende ärztliche Tätigkeit. Das erklärte Ziel der berufsrechtlichen Beschränkung ärztlicher Kommunikation ist nach § 27 Abs. 1 MBO-Ä „die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufes“. Patient*innen sollen darauf vertrauen können, dass sich Ärzt*innen nicht von kommerziellen Interessen leiten lassen.[10] Nach § 3 HWG[11] und § 5 UWG[12] ist irreführende Werbung verboten; § 6 UWG[13] verbietet unlautere vergleichende Werbung. Damit steht die Vermeidung unangemessener Kommerzialisierung bereits im Mittelpunkt der für Ärzt*innen einschlägigen Regelungen.
Das berufsbezogene ärztliche Kommunikationsrecht wird durch die Landesärztekammern durchgesetzt. Die Kammern können Pflichtverletzungen mit Bußgeldern ahnden, deren Höchstsätze zwischen 25.000 und 200.000 Euro liegen. Diese Sanktionen garantieren die Effektivität der berufsrechtlichen Verhinderung unangemessener Kommerzialisierung ärztlicher Tätigkeit. Hinzu kommt, dass Ärzt*innen hiernach auch verpflichtet sind, keine berufswidrige Werbung durch Dritte zu veranlassen oder auch nur zu dulden. Dabei gehen Landesärztekammern und Rechtsprechung davon aus, dass Ärzt*innen grundsätzlich in der Lage und damit auch verpflichtet sind, berufswidrige Werbung durch Dritte zu unterbinden. Dieses Duldungsverbot macht neben den Sanktionen das berufsbezogene ärztliche Kommunikationsrecht zu einem höchst effektiven Instrument der Verhinderung unangemessener Kommerzialisierung. Damit liegt eine mildere, aber gleich wirksame (wenn nicht gar effektivere) Regelung vor.
4. Fehlende Angemessenheit
Eine gesetzliche Regelung ist angemessen, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist. Die Regelung darf mithin nicht zu übermäßigen Belastungen führen (stRspr; vgl. BVerfGE 156, 63 <116 Rn. 192>). Diesen Anforderungen wird § 219a StGB nicht gerecht.
Soweit die Norm die Kommerzialisierung und Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindern will, handelt es sich von vornherein um einen Zweck von nur untergeordneter Bedeutung. Beim Schutz des „ungeborenen Lebens“ handelt es sich zwar an sich um einen Zweck von größerer Wichtigkeit. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass § 219a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt nur einem mittelbaren Bezug zu diesem Schutzzweck hat und eine tatsächliche Gefährdung nach den obigen Ausführungen fernliegend ist beziehungsweise jedenfalls nur geringes Gewicht hätte. Außerdem ist die gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, dass bei straffreien Abbrüchen der Schutz des „ungeborenen Lebens“ gerade zurücktritt.
Dem steht eine besondere Schwere des Eingriffs gegenüber, die sich – neben dem Aspekt der Strafandrohung an sich – aus folgenden Erwägungen ergibt.
a) Fehlende Abstufung der tatbestandsmäßigen Handlungen nach ihrem Unrechtsgehalt
Das Informationsverbot des § 219a StGB greift besonders intensiv in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen nach Art. 12 Abs. 1 GG ein, weil der Straftatbestand weder zwischen den verschiedenen Formen des Schwangerschaftsabbruchs noch zwischen sachlicher Information und anpreisender Werbung unterscheidet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich der Inhalt des sozialethischen Unwerturteils, der jeder Strafnorm innewohnt, aus dem Straftatbestand und der Strafandrohung (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Dabei gebietet das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG eine Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt durch eine Staffelung der Sanktionen nach Strafart und Strafhöhe. Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>).
Diesen Anforderungen genügt § 219a StGB nicht, weil die Strafnorm die Information über erlaubte und strafbare Abbrüche ohne Abstufung mit Strafe bedroht. Die Gefahr der Kommerzialisierung, Normalisierung oder die Gefährdung für das „ungeborene Leben“ – soweit diese überhaupt anzunehmen wäre – hat für Informationen über erlaubte Abbrüche nicht das gleiche Gewicht wie für strafbare Abbrüche. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei erlaubten Abbrüchen um eine nach § 13 Abs. 2 SchKG[14] zwingend vorzuhaltende ärztliche Dienstleistung und im letzteren Fall um eine Straftat handelt. Folglich kann auch der Unrechtsgehalt der entsprechenden Handlungen nicht gleich bewertet werden. Gleiches gilt für die fehlende Unterscheidung zwischen sachlichen Informationen und anpreisender Werbung; beide Handlungsvarianten werden von § 219a StGB ohne Abstufung mit Strafe bedroht.
b) Erhebliche Auswirkungen der Kriminalisierung für Ärzt*innen
Die Intensität des Eingriffs in die Berufsfreiheit wird auch dadurch erhöht, dass die Strafnorm des § 219a StGB erhebliche Auswirkungen auf Ärzt*innen entfaltet, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Seit einigen Jahren wird § 219a StGB von radikalen Abtreibungsgegner*innen dazu instrumentalisiert, systematisch Strafanzeigen gegen Ärzt*innen zu stellen. Dies dient dem Ziel, Ärzt*innen durch die reale Gefahr eines Strafverfahrens für reine Sachinformationen über Schwangerschaftsabbrüche zugleich auch von der Vornahme selbiger abzuschrecken. Die sinkende Zahl der Ärzt*innen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, bestätigt den Erfolg dieses Vorgehens.[15] Dahinter steht das Ziel, auf dem Rücken von Ärzt*innen den Kompromiss der 1990er Jahre zum Schaden ungewollt schwangerer Personen aufzukündigen.[16]
c) Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG
Eine besondere Schwere des Eingriffs ergibt sich auch daraus, dass § 219a StGB den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. In dem Umstand, dass Ärzt*innen über alle von ihnen angebotenen Dienstleistungen außer den Schwangerschaftsabbruch informieren dürfen, liegt eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten.
Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (stRspr, vgl. BVerfGE 139, 285 <309>). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (stRspr, vgl. BVerfGE 138, 136 <180 f. Rdnrn. 121,122>).
Ungeachtet des Umstands, dass schon kein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen den Informationen über verschiedene ärztliche Dienstleistungen ersichtlich ist, ist die Ungleichbehandlung hier an strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu bemessen. Denn die Ungleichbehandlung wirkt sich zugleich nachteilig auf die Ausübung der Freiheitsrechte von Ärzt*innen, nämlich ihrer Berufs- und Meinungsfreiheit aus. Zudem betrifft die Ungleichbehandlung Schwangerschaftsabbrüche und damit letztlich das nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich unzulässige Differenzierungskriterium des Geschlechts (näher dazu sogleich unter d), dd)). Einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung hält die Ungleichbehandlung entsprechend den obigen Erwägungen nicht stand.
Darüber hinaus liegt auch eine Ungleichbehandlung von Personengruppen vor. Denn während es Ärzt*innen unter Strafandrohung verboten ist, über die Modalitäten von Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren, dürfen andere Personen dies unbegrenzt tun, soweit sie nicht eines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise handeln. Dies betrifft insbesondere Beratungsstellen. Auch in dieser Hinsicht ist schon kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung zu erkennen. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass Ärzt*innen – anders als Beratungsstellen – letztlich auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen und dafür ein Honorar erheben. Denn wie bereits ausgeführt ist in der berufsrechtlich verpflichtenden Honorarerhebung keine unangemessene „Kommerzialisierung“ von Schwangerschaftsabbrüchen zu sehen.
d) Eingriff in Grundrechte der ungewollt schwangeren Person
aa) Verfassungsrechtliche Relevanz des Eingriffs in Grundrechte Dritter
Wie in dem Rechtsgutachten im Auftrag des Instituts für Weltanschauung zutreffend dargelegt, sind nach neuster Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 152, 152 <182>) bei einem normativen Dreiecksverhältnis die Grundrechte aller Betroffenen in die verfassungsrechtliche und gerichtliche Kontrolle einzubeziehen (vgl. Rechtsgutachten im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht, S. 24). Ein solches normatives Dreiecksverhältnis ist auch in dem hier in Rede stehenden Fall gegeben. Die Grundrechte der Ärzt*innen können nicht trennscharf von den Grundrechten der ungewollt schwangeren Personen abgegrenzt werden, sodass auch die Grundrechte der ungewollt schwangeren Personen Berücksichtigung finden müssen (ebd. S. 25).
bb) Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG
Die Regelung in § 219a StGB betrifft nicht nur Ärzt*innen, sondern ebenso ihre Patient*innen, die in ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beeinträchtigt werden. Die Informationsfreiheit schützt das Recht jeder Person, sich aus allgemein zugänglichen Quellen wie Webseiten ungehindert zu unterrichten. Das Verbot der Sachinformation über (straffreie) Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen hat zur Folge, dass ungewollt schwangere Personen sich nicht oder nicht rechtzeitig aus frei zugänglichen Quellen über Ärzt*innen, Orte, Methoden und Kosten informieren können. Dadurch wird ihre Wahlfreiheit bezüglich der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes ebenso eingeschränkt wie die Entscheidung über die Modalitäten, etwa ob der Abbruch unter Vollnarkose, örtlicher Betäubung oder medikamentös vorgenommen werden soll. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Konfliktsituation, in der sich die ungewollt schwangere Person befindet, eine Intensivierung des Eingriffs zur Folge hat. Die Frage nach einem möglichen Schwangerschaftsabbruch betrifft eine für sie zentrale Lebensentscheidung, sodass dem Zugang zu sachlichen Informationen eine gesteigerte Bedeutung zukommt (vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte, Gutachten zu Verfassungsmäßigkeit des § 219a StGB, S. 24).[17]
Die nach § 13 Abs. 3 SchKG[18] vorgesehenen optionalen Angaben auf der Liste der Bundesärztekammer (BÄK) sind schon aufgrund des geringen Informationsgehalts nicht geeignet, das durch § 219a StGB erzwungene Informationsdefizit zu beheben. Eine am 3. März 2022 durch die CORRECTIV-Redaktion veröffentlichte Recherche[19] hat aufgezeigt, dass Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft zu einem erheblichen Anteil keine Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungslösung anbieten. Gerade diese Form der Schwangerschaftsabbrüche machen aber rund 96 Prozent der Abbrüche aus.[20] Auch weitere Einschränkungen gehen aus den von der BÄK veröffentlichten Informationen nicht hervor, etwa ob Abbrüche nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. nicht nach der zehnten Schwangerschaftswoche) vorgenommen werden. Das gefährdet das verfassungsrechtliche Recht der ungewollt schwangeren Personen auf einen fristgemäßen Abbruch. Schließlich werden die Informationen durch die BÄK lediglich monatlich aktualisiert (§ 13 Abs. 3 Satz 3 SchKG), sodass die Liste kurzfristige Änderungen in der angebotenen Versorgung nicht erfassen kann. Außerdem führt jede Verzögerung zu einem erhöhten Komplikations- und Gesundheitsrisiko. Das Grundrecht der Informationsfreiheit schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die Entscheidung darüber, aus welcher Quelle Informationszugangssuchende sich informieren möchten (vgl. BVerfGE 90, 27 <38>).
Wie oben dargestellt, ist diese erhebliche Grundrechtseinschränkung auch nicht mit dem Argument zu rechtfertigen, das Verbot der Sachinformation sei zwingend, um das Beratungsmodell zum Erfolg zu führen. Es spricht angesichts der Lebensrealitäten viel dafür, dass umgekehrt gerade die Möglichkeit vorheriger umfassender Information der erforderlichen Ergebnisoffenheit des Beratungsgesprächs dienen kann.
Ebenfalls zutreffend weist das Rechtsgutachten des Instituts für Weltanschauung darauf hin, dass die Verbreitung wahrer Tatsachen, beispielsweise die Tatsache, wer Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, nach der Kommunikationsverfassung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verboten werden darf. Dem kommt im vorliegenden Fall deshalb eine erhebliche Bedeutung zu, da Abtreibungsgegner*innen vermehrt mit der Verbreitung falscher Tatsachen gezielt versuchen, ungewollt schwangere Personen zu verunsichern. Diese sind somit in erheblicher Weise auf zugängliche, zutreffende und sachdienliche Informationen angewiesen (vgl. Rechtsgutachten im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht, S. 42).
cc) Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 2 Abs. 2 GG neben dem konkreten körperlichen Eingriff auch das auf die körperliche Unversehrtheit bezogene Selbstbestimmungsrecht schützt (BVerfGE 146, 294 <310 Rn. 26> mwN) und damit zuvörderst den Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität gewährleistet (BVerfGE 52, 131 <174>). Zur freien Entscheidung über medizinische Eingriffe gehört auch, dass Patient*innen die für ihre Entscheidung bedeutsamen Umstände kennen (BVerfGE 52, 131 <176>)und über Behandlungsoptionen informiert sind. Mit § 219a StGB greift der Gesetzgeber in einem frühen Stadium in diese ärztliche Aufklärung ein. In der heutigen Zeit nehmen Ärzt*innen ihre Aufklärungspflicht unter anderem im Internet wahr, indem sie darstellen, welche Eingriffe und Behandlungen von ihnen durchgeführt werden.
§ 219a StGB steht somit dem Willensbildungsprozess der ungewollt schwangeren Person entgegen. Die Vorschrift erschwert die Informationserlangung erheblich, ohne dass die nach § 13 Abs. 3 SchKG vorgesehenen Listen der BÄK einen hinreichenden Ausgleich schaffen. So ist es der ungewollt schwangeren Person nicht möglich, ausreichende und verlässliche Informationen, die für einen selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper in Bezug auf einen möglichen Schwangerschaftsabbruch unerlässlich sind, im Vorfeld einer Beratung zu erhalten. Auch der Europarat bekräftigte, dass allen Menschen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Freiheit zukommt, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Für eine wirksame Ausübung dieser Rechte muss die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch allein bei der betroffenen Person liegen (vgl. Resolution 1607 (2008), Access to safe and legal abortion in Europe, 6.).
Indem der Staat selbst die Informationslage für schwangere Personen einschränkt, wird er darüber hinaus seinem Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. Durch die zuvor beschriebene Begrenzung der Informationen auf jene der BÄK fördert der Gesetzgeber entsprechend seinem Schutzauftrag nicht die Informationsgewinnung, sondern behindert sie vielmehr (ebenso: Rechtsgutachten im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht, S. 34). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte mit Blick auf die äußerst restriktiven irischen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch darauf hingewiesen, dass ein Informationsverbot wahrscheinlich eher dazu führt, dass ungewollt schwangere Personen sich Informationen aus zweifelhaften Quellen statt von Fachpersonal beschaffen und dadurch in die Gefahr von nicht unerheblichen Gesundheitsrisiken geraten (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 29.10.1992 - Nr. 1434/88 - Open Door and Dublin Well Woman v. Ireland). Ein Eintreten des vom Staat gewünschten oder erhofften Erfolgs niedrigerer Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen sei nicht erkennbar, vielmehr bestünden besondere Nachteile und Gefahren für Frauen mit niedrigem Bildungsstand, die kaum Zugang zu alternativen Informationsquellen hätten (ebd.). Das Vorenthalten von Informationen und die dadurch in Kauf genommene oder gar beabsichtigte Beschränkung der Selbstbestimmung der Patient*innen verfolgen kein erkennbares legitimes Ziel in angemessener Weise und sind mit der Verfassung nicht vereinbar.
dd) Gleichheitsrechte, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG
In der Kriminalisierung sachlicher Informationen über Schwangerschaftsabbrüche liegt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 GG. Schwangerschaftsabbrüche sind eine medizinische Dienstleistung, die nur von Personen in Anspruch genommen wird, die ungewollt schwanger sind. Cis Männer nehmen diese Dienstleistung nicht in Anspruch. Es gibt auch keine vergleichbare reproduktiv-medizinische Dienstleistung, die allein oder überwiegend Männer betrifft. Somit sind ausschließlich Personen, die schwanger werden können, darauf angewiesen, dass es Ärzt*innen gibt, die im Fall einer ungewollten Schwangerschaft über die Möglichkeiten eines Abbruchs informieren. Hingegen behalten Männer in Bezug auf medizinische Dienstleistungen, die sich auf ihre Familienplanung beziehen, volle Informationsfreiheit als Basis selbstbestimmter Entscheidungen und freie Ärzt*innenwahl. Die aus § 219a StGB resultierende Beschränkung der freien Information stellt damit eine Differenzierung aus Gründen des Geschlechts dar. Diese Differenzierung ist nicht damit zu rechtfertigen, dass allein Frauen, trans und inter Personen schwanger werden können. Vielmehr handelt es sich bei einer Ungleichbehandlung aufgrund von einer Schwangerschaft geradezu um das Paradebeispiel einer von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfassten und damit grundsätzlich unzulässigen Differenzierung aufgrund des Geschlechts (vgl. BVerfGK 18, 401 <410>).
Eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts ist nur zulässig, wenn sie zwingend erforderlich ist (vgl. BVerfGE 85, 191 <207>). Dies ist – entsprechend den obigen Erwägungen – nicht der Fall. Soweit überhaupt ein legitimer Zweck der Vorschrift anerkannt wird, ist ein Informationsverbot zur Verhinderung einer Kommerzialisierung beziehungsweise Normalisierung und zum Schutz des ungeborenen Lebens jedenfalls nicht zwingend erforderlich.
Indem ungewollt schwangere Personen im Gesundheitsbereich durch Informationsverbote und die Kriminalisierung ihrer Ärzt*innen erheblich benachteiligt werden, verfehlt der Staat zudem seine in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehene Aufgabe, auch für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern anzugleichen und überkommene Rollenverteilungen sowie faktische Nachteile von Frauen zu beseitigen.
ee) Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG
Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der ungewollt schwangeren Personen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist durch § 219a StGB verletzt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der Freiheitsgarantien sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (so zuletzt BVerfGE 141, 186 <201 f. Rn. 32>). Dabei kommt der Intimsphäre einer Person, aufgrund ihrer Nähe zur Menschenwürde der höchste Schutzgehalt zu (vgl. BVerfGE 109, 279 <313>; BVerfGE 89, 69 <82 f.>). Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die Schwangerschaft einer Person ihrer Intimsphäre zuzuordnen ist (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>). Gleiches muss auch für die Entscheidung über einen straflosen Schwangerschaftsabbruch einer ungewollt schwangeren Person gelten. Soweit nach einer verfassungsrechtlichen Wertung der Abbruch einer Schwangerschaft möglich ist, kann der Entscheidung über diesen Abbruch noch keine soziale Dimension zukommen und sie verbleibt in der Intimsphäre der schwangeren Person. Ein Eingriff in diese Sphäre kann nicht gerechtfertigt werden.
III. Keine prozessuale Korrekturmöglichkeit
Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Überprüfung von Strafnormen bereits zuvor ausgeführt, dass in Fällen, in denen die unter Strafe gestellte Handlung nur von so geringem Unwert sei, dass eine Strafe unangemessen sei, noch immer eine prozessuale Korrektur in Betracht käme, etwa durch die Einstellung des Verfahrens oder das Absehen von Strafe (BVerfGE 50, 205 <213 f.>; 90, 145 <189 ff.>).
Eine solche prozessuale Korrekturmöglichkeit ist aber nicht nur bereits deshalb grundsätzlich abzulehnen, weil sie den unverhältnismäßigen Eingriff durch die strafbewehrte Verhaltensnorm selbst und das Ermittlungsverfahren (zur Entscheidung über die Strafverfolgung s. BVerfGE 92, 277 <326 Rn. 187>) nicht abzuwenden vermag. Sie ist darüber hinaus auch im konkreten Fall keine Option, weil § 219a StGB nur mittelbar angegriffen wird, und von den Möglichkeiten der prozessualen Korrektur im Einzelfall gerade kein Gebrauch gemacht wurde. Darüber hinaus kommt auch eine solche prozessuale Korrektur nicht in Betracht, wenn das vorgeworfene Verhalten gerade der Hauptanwendungsfall der angegriffenen Strafvorschrift ist. In diesem Fall geht es nicht mehr um die Einbeziehung von Verhaltensweisen im Randbereich einer weiten Strafnorm, deren Unrechtsgehalt von den konkreten Umständen im Einzelfall abhängt. Sachliche Informationen zu einer Gesundheitsleistung, für die ein staatlicher Versorgungsauftrag besteht, sind zudem nicht nur „von geringem“, sondern schlicht gar kein Unrecht. Daher ist es auch nicht ausreichend, wenn dem Gericht aufgrund des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die Möglichkeit gegeben wird, auf Verhaltensweisen mit geringem Unrecht mit milden Strafen zu reagieren (vgl. BVerfGE 73, 206 <254>). Denn wenn für einen nicht unerheblichen Teil des Tatbestandes keinerlei strafwürdiges Unrecht benannt werden kann, ist jede darauf gestützte staatliche Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeit unverhältnismäßig.
B. Verletzung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
Neben der Berufsfreiheit ist auch die Meinungsfreiheit der Ärzt*innen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.
Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt Meinungsäußerungen sowie Tatsachen mit meinungsbildemden Gehalt, also soweit sie zur Meinungsbildung beitragen. Soweit § 219a StGB die bloße Information darüber betrifft, auf welche Weise Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen, handelt es sich um eine nicht durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Äußerung wahrer Tatsachen, da es sich um objektiv nachprüfbare, dem Beweis zugängliche Umstände handelt. Allerdings tragen diese Tatsachenbehauptungen zur Meinungsbildung bei und sind mithin durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Denn Schwangerschaftsabbrüche betreffen gesellschaftlich und politisch relevante Fragen, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. So haben sich beispielsweise nach Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beschwerdeführerin mehrere Ärzt*innen mit ihr solidarisiert, indem sie ebenfalls entsprechende Angaben auf ihre Webseiten setzten oder dort beließen – trotz der drohenden Strafverfolgung. Darüber hinaus ist es denkbar, dass die Angabe, Schwangerschaftsabbrüche auf eine bestimmte Art und Weise durchzuführen, eine Positionierung der Ärzt*innen darstellt. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 3 der Musterberufsordnung[21] steht Ärzt*innen die Entscheidung frei, ob (und gegebenenfalls wie) sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Angabe, welche Art von Schwangerschaftsabbrüchen zum Leistungsumfang gehört, ist Ausdruck der individuellen Einstellung der Ärzt*innen zur kontroversen Frage, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche eine reguläre medizinische Dienstleistung darstellen.
Gleiches gilt, sofern man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass der sachlichen Information über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen zumindest auch ein kommerzieller Charakter innewohnt. Dann unterfällt auch diese dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Denn auch eine entsprechende Werbung im engeren Sinne ist vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn die kommerzielle Meinungsäußerung oder reine Wirtschaftswerbung einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat (vgl. BVerfGE 71, 162 <175>; BVerfGE 102, 347 <359>). Diese Voraussetzung ist in aus den eben dargelegten Gründen in allen nach § 219a StGB strafbaren Konstellationen erfüllt.
Der Eingriff in die Meinungsfreiheit der Ärzt*innen durch ein strafbewehrtes Informations- und Werbeverbot ist seinerseits nicht gerechtfertigt. Es ist bereits zweifelhaft, ob § 219a StGB ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG ist (vgl. Hollo, JuWiss v. 10. Februar 2020, abrufbar unter <https://www.juwiss.de/10-2020-2/>). Im Übrigen stellt sich der Eingriff als nicht verhältnismäßig dar. Über die im Rahmen von Art. 12 GG thematisierten Aspekte hinaus ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass mit der Kriminalisierung der sachlichen Information eine „Normalisierung“ des Diskurses über ein gesellschaftlich kontroverses Thema verhindert werden soll. Dies ist mit dem Grundgedanken der Meinungsfreiheit als schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>) unvereinbar.
Die Unangemessenheit des Eingriffs wird auch dadurch verdeutlicht, dass Abtreibungsgegner*innen im Internet ungehindert – regelmäßig unter Relativierung des Holocaust – ihre ablehnende Haltung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen kundtun und Falschinformationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbreiten. Dass es demgegenüber gerade Ärzt*innen unter Strafandrohung verboten ist, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren und damit zu einer Versachlichung des Diskurses beizutragen, stellt einen höchst problematischen Eingriff des Staates in den freien Meinungsaustausch dar.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der Kommission Strafrecht
[1]§ 229 Allgemeines Deutsches Strafgesetzbuch (Entwurf 1925) - Ankündigung von Abtreibungsmitteln
Wer öffentlich zu Zwecken der Abtreibung (§ 228) dazu bestimmte Mittel, Werkzeuge oder Verfahren ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Werkzeuge an einem allgemein zugänglichen Ort aufstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [...]; eine ähnliche Darstellung und Argumentation findet sich bei Zier, Die strafbaren Abtreibungshandlungen nach §§ 219, 220 R. St. G. B., Nürnberg 1935, S. 1, 25 f.
[2] Vgl. § 12 Abs. 1 MBO-Ä - Honorar und Vergütungsabsprachen; insbesondere dürfen die Sätze nach der GOÄ nicht in unlauterer Weise unterschritten werden. Die Möglichkeit, von einem Honorar abzusehen, ist gemäß § 12 Abs. 3 MBO-Ä nur für bestimmte Patient*innengruppen vorgesehen.
[3] § 27 MBO-Ä – Erlaubte Information und berufswidrige Werbung:
(1) Zweck der nachstehenden Vorschriften der Berufsordnung
ist die Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information und die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwi- derlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufs.
(2) Auf dieser Grundlage sind Ärztinnen und Ärzte sachliche berufsbezogene Informationen gestattet.
(3) Berufswidrige Werbung ist Ärztinnen und Ärzten unter- sagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist unzulässig. Werbeverbote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bleiben unberührt.
(4) Ärztinnen und Arzte können
1. nach der Weiterbildungsordnung erworbene Bezeichnungen,
2. nach sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erworbene Qualifikationen,
3. als solche gekennzeichnete Tätigkeitsschwerpunkte und
4. organisatorische Hinweise ankündigen.
Die nach Nummer 1 erworbenen Bezeichnungen dürfen nur in der nach der Weiterbildungsordnung zulässigen Form geführt werden. Ein Hinweis auf die verleihende Ärztekammer ist zulässig.
Andere Qualifikationen und Tätigkeitsschwerpunkte dürfen nur angekündigt werden, wenn diese Angaben nicht mit solchen nach geregeltem Weiterbildungsrecht erworbenen Qualifikationen verwechselt werden können.
(5) Die Angaben nach Absatz 4 Nummer 1 bis 3 sind nur zulässig, wenn die Ärztin oder der Arzt die umfassten Tätigkeiten nicht nur gelegentlich ausübt.
(6) Ärztinnen und Ärzte haben der Ärztekammer auf deren Verlangen die zur Prüfung der Voraussetzungen der Ankündigung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Ärztekammer ist befugt, ergänzende Auskünfte zu verlangen.
[4]§ 12 MBO-Ä - Honorar und Vergütungsabsprachen
(1) 1Die Honorarforderung muss angemessen sein. 2Für die Bemessung ist die Amtliche Gebührenordnung (GOÄ) die Grundlage, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gelten. 3Ärztinnen und Ärzte dürfen die Sätze nach der GOÄ nicht in unlauterer Weise unterschreiten. […]
(3) Ärztinnen und Ärzte können Verwandten, Kolleginnen und Kollegen, deren Angehörigen und mittellosen Patientinnen und Patienten das Honorar ganz oder teilweise erlassen.
[5]§ 13 SchKG - Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen
(3) 1Die Bundesärztekammer führt für den Bund eine Liste der Ärztinnen und Ärzte sowie der Krankenhäuser und Einrichtungen, die ihr mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuches durchführen, und darf die zu diesem Zwecke erhobenen personenbezogenen Daten verarbeiten. 2Die Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs, soweit diese mitgeteilt werden. 3Die Bundesärztekammer aktualisiert die Liste monatlich auf der Grundlage der ihr mitgeteilten Informationen, veröffentlicht sie im Internet und stellt sie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben und den Ländern zur Verfügung.
[6] Abrufbar unter <https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/schwangerschaftsabbruch/>.
[7]§ 219 RStGB 1933
Wer zum Zwecke der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem allgemein zugänglichen Orte ausstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. […]
[8] Vgl. dazu die am 3.3.2022 veröffentlichte Datenbank der CORRECTIV-Redaktion, abrufbar unter: <https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2022/03/03/keine-abtreibungen-in-vielen-oeffentlichen-kliniken/>).
[9]§ 27 MBO-Ä - Erlaubte Information und berufswidrige Werbung
(1) Zweck der nachstehenden Vorschriften der Berufsordnung ist die Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information und die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufs.
(2) Auf dieser Grundlage sind Ärztinnen und Ärzte sachliche berufsbezogene Informationen gestattet.
(3) 1Berufswidrige Werbung ist Ärztinnen und Ärzten untersagt. 2Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. 3Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. 4Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist unzulässig. 5Werbeverbote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bleiben unberührt.
[10] Vgl. zum Ganzen die Empfehlung der Bundesärztekammer vom 17.2.2017 – Deutsches Ärzteblatt 2017, S. 1, abrufbar unter <http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Recht/Arzt-
Werbung-Oeffentlichkeit.pdf>.
[11]§ 3 Heilmittelgewerbegesetz
1Unzulässig ist eine irreführende Werbung. 2Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor,
1. wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten im Sinne des § 3 Nummer 4 des Medizinproduktegesetzes in der bis einschließlich 25. Mai 2021 geltenden Fassung, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben,
2. wenn fälschlich der Eindruck erweckt wird, daß
a) ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann,
b) bei bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten,
c) die Werbung nicht zu Zwecken des Wettbewerbs veranstaltet wird,
3. wenn unwahre oder zur Täuschung geeignete Angaben
a) über die Zusammensetzung oder Beschaffenheit von Arzneimitteln, Medizinprodukten im Sinne des § 3 Nummer 4 des Medizinproduktegesetzes in der bis einschließlich 25. Mai 2021 geltenden Fassung, Gegenständen oder anderen Mitteln oder über die Art und Weise der Verfahren oder Behandlungen oder
b) über die Person, Vorbildung, Befähigung oder Erfolge des Herstellers, Erfinders oder der für sie tätigen oder tätig gewesenen Personen
gemacht werden.
[12] § 5 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - Irreführende geschäftliche Handlungen
(1) 1Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. 2Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält [...]
(2) Eine geschäftliche Handlung ist auch irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft.
[13]§ 6 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - Vergleichende Werbung
(1) Vergleichende Werbung ist jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht.
(2) Unlauter handelt, wer vergleichend wirbt, wenn der Vergleich
1. sich nicht auf Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung bezieht,
2. nicht objektiv auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften oder den Preis dieser Waren oder Dienstleistungen bezogen ist,
[...].
[14]§ 13 SchKG - Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen
(2) Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.
[15] Rückgang um 46 Prozent zwischen 2003 und 2020, vgl. Statistisches Bundesamt, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4545/umfrage/schwangerschaftsabbrueche-in-deutschland/.
[16] Vgl. auch Berghäuser, JZ 2018, S. 497 <501>, die die integrale Rolle der ärztlichen Mitwirkung im seit 1995 normierten Konzept zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen hervorhebt und mit Blick auf die Kriminalisierung auch der ärztlichen Sachinformation darauf hinweist, dass eine abnehmende Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen geeignet ist, dieses gesetzgeberische Konzept zu gefährden.
[17] Abrufbar unter: https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2018/06/GFF_Gutachten_219a_StGB.pdf
[18]§ 13 SchKG - Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen
(3) Die Bundesärztekammer führt für den Bund eine Liste der Ärztinnen und Ärzte sowie der Krankenhäuser und Einrichtungen, die ihr mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuches durchführen, und darf die zu diesem Zwecke erhobenen personenbezogenen Daten verarbeiten. Die Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs, soweit diese mitgeteilt werden. Die Bundesärztekammer aktualisiert die Liste monatlich auf der Grundlage der ihr mitgeteilten Informationen, veröffentlicht sie im Internet und stellt sie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben und den Ländern zur Verfügung.
[19] Abrufbar unter <https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2022/03/03/keine-abtreibungen-in-vielen-oeffentlichen-kliniken/>.
[20] Nach Destatis, abrufbar unter <https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Tabellen/03-schwangerschaftsabbr-rechtliche-begruendung-schwangerschaftsdauer_zvab2012.html%3Bjsessionid=62D236D399E67725469752A3237EA631.live712>, Stand: 24.3.2021.
[21]§ 14 MBO-Ä - Erhaltung des ungeborenen Lebens und Schwangerschaftsabbruch
(1) 1Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten. 2Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen. 3Ärztinnen und Ärzte können nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen.