Stellungnahme: 22-03


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit, eine Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB) vom 25. Januar 2022 zu verfassen. Der djb begrüßt die ersatzlose Streichung der Vorschrift § 219a StGB, mahnt jedoch weiteren Verbesserungsbedarf an, insbesondere was die Informations- und Versorgungslage angeht.

I.      Streichung des § 219a StGB

Die Streichung der Norm wird nachdrücklich begrüßt. Sie trägt einer langjährigen Forderung des djb Rechnung.

Tathandlung der Vorschrift § 219a StGB ist das öffentliche Anbieten, Ankündigen, Anpreisen oder das Bekanntgeben von Inhalten, die über eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs informieren. Sie kann sich auf Mittel, Gegenstände oder Verfahren zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen beziehen. Die handelnde Person macht sich dann strafbar, wenn sie die Tat des eigenen Vermögensvorteils wegen oder grob anstößig begeht.

Die Vorgängervorschriften des § 219a StGB (§ 219 und § 220 RStGB) entstammen dem Jahr 1933[1] und damit aus einer Zeit, zu der jede Form von Schwangerschaftsabbrüchen unter Strafe stand. Schon bei der Zusammenführung beider Vorschriften im Jahr 1974 unter der neuen amtlichen Überschrift „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ hätte es nahe gelegen, die Informationen in Bezug auf die zeitgleich legalisierten Formen von Abbrüchen von dem strafbewehrten Verbot auszunehmen. Die neugefasste Vorschrift sollte verhindern, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt“[2] oder kommerzialisiert werden. Neben der einschränkenden Begehungsweise „grob anstößig“ wurde deshalb auch die Begehungsweise „des eigenen Vermögensvorteils wegen“ eingefügt. Durch die so begründete Ambivalenz von legalisierten Formen des Abbruchs und fortdauernder, umfassender Kriminalisierung öffentlicher Informationen über diese legalen Formen des Abbruchs, wurde eine widersprüchliche Rechtslage geschaffen: Die strafbare sachliche Information über erlaubte Handlungen. Die Verknüpfung mit (auch mittelbaren) finanziellen Interessen ist aber für eine der Berufsfreiheit unterfallende Gesundheitsleistung kein geeignetes Kriterium für die Feststellung sozialschädlichen Verhaltens, mithin strafwürdigen Unrechts. Gleiches gilt für die Tabuisierung[3] erlaubter Handlungen.

Kriminalpolitische Bedeutung erlangte § 219a StGB erst durch vermehrte Strafanzeigen von radikalen Abtreibungsgegner*innen seit 2015,[4] wodurch auch die Zahl der Ermittlungsverfahren erheblich zunahm. Im Jahr 2017 kam es zu einer medienwirksamen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB.[5]

Mit der anschließenden Reform aus dem Jahr 2019 und der Einführung des § 219a Abs. 4 StGB wurde schließlich eine einzige sachliche Information vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen: Ärzt*innen, Krankenhäuser und Einrichtungen können seither darüber informieren, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Über die Mittel, Gegenstände und Verfahren dürfen sie allerdings weiterhin nicht informieren. Weitere Verurteilungen von Ärzt*innen auf Grundlage der neuen Fassung folgten.[6]

Nur klarstellend ist anzumerken, dass § 219a StGB selbst zu keinem Zeitpunkt Teil der Überprüfungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch war und Bezugnahmen auf diese Entscheidungen[7] im Rahmen des § 219a StGB fehlgehen. Insbesondere war die Regelung kein Bestandteil des 1993 durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Schutzkonzepts, welches zudem vor dem Hintergrund aktueller menschenrechtlicher Entwicklungen einer kritischen Reflektion bedarf.[8]

Der djb begrüßt die ersatzlose Streichung des § 219a StGB. Ärzt*innen ist es nach aktueller Rechtslage weiterhin nicht möglich, öffentlich über ihre angebotenen Methoden, Gegenstände und Verfahren sachlich zu informieren, obwohl diese Informationen für ungewollt schwangere Personen nicht weniger bedeutsam sind. Durch die Streichung der Vorschrift wird dieser verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen aus Art. 12 GG[9] beendet und das reproduktive Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Personen nach Art. 2 Abs. 1 und 2, 1 Abs. 1 GG gestärkt.[10]

Selbst wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit anders beurteilt werden sollte, so ist die Abschaffung des § 219a StGB aus rechtspolitischen Gründen zu begrüßen. In den zuletzt diskutierten Fällen der sachlichen Information über erlaubte Abbrüche führt letztlich allein der Umstand eines eigenen Vermögensvorteils zur Strafbarkeit der informierenden Ärzt*innen. Dass Ärzt*innen für ihre Tätigkeit ein angemessenes Honorar fordern, macht sachliche Informationen über die angebotenen Leistungen aber keineswegs sozialschädlich. Durch ihre Tätigkeit tragen sie vielmehr dazu bei, dass der Staat seinem gesetzlichen Versorgungsauftrag nachkommt (§ 13 SchKG). Das Fordern eines angemessenen Honorars ist schließlich auch nach der Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzt*innen vorgesehen (§ 12 Abs. 1 MBO-Ä); insbesondere dürfen die Honorare nicht unlauter unterschritten werden. Das Erlassen eines Honorars ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen (§ 12 Abs. 3 MBO-Ä). In der Berufsordnung ist im Übrigen auch für alle anderen Gesundheitsleistungen bereits Sorge dafür getragen, dass eine dem Selbstverständnis von Ärzt*innen zuwiderlaufende Kommerzialisierung unterbunden (§ 27 Abs. 1 MBO-Ä) und dies mit dem Bedürfnis sachlicher Informationen in einen sachgerechten Ausgleich gebracht (§ 27 Abs. 2 MBO-Ä) wird.

Die verfassungsrechtlich wohl unbedenklicheren Fallkonstellationen des § 219a Abs. 1 StGB, insbesondere das grob anstößige Werben durch Dritte (für Ärzt*innen ist dies bereits standesrechtlich untersagt und mit berufsrechtlichen Maßnahmen bedroht[11]) oder das Anbieten solcher Abbrüche, die nicht nach § 218a Abs. 1 StGB vom Tatbestand des § 218 StGB ausgenommen oder nach § 218a Abs. 2 und 3 StGB gerechtfertigt sind, sind rechtstatsächlich weitestgehend bedeutungslos.[12] Eine ersatzlose Streichung würde in begrüßenswerter Weise dazu führen, dass die strafrechtliche Sonderrolle für Schwangerschaftsabbrüche entfiele und für strafbare Schwangerschaftsabbrüche die gleichen Regeln gelten wie für andere Straftaten: Das strafrechtlich relevante Vorfeld beginnt für Vergehen erst bei einer ausdrücklichen Aufforderung zu ihrer Begehung nach § 111 StGB.

II.     Weitergehende Forderungen

a) Informationslage und Schutz der Beratungsstellen und Einrichtungen

Die im Entwurf anvisierte Streichung von § 219a StGB wird jedoch nicht automatisch zu einer zufriedenstellenden Informationslage für ungewollt schwangere Personen führen. Hier braucht es eine aktive Verbesserung der Informationslage durch weitere Maßnahmen.

Die rechtliche Möglichkeit, öffentlich zu informieren, ist insbesondere dann nicht ausreichend, wenn jede öffentliche Äußerung das Risiko birgt, zum Ziel massiver Anfeindungen durch Abtreibungsgegner*innen zu werden, beispielweise mittels Gehsteigbelästigungen. Ziel muss es sein, Anfeindungen zu unterbinden und Einrichtungen sowie Beratungsstellen besser zu schützen.

b) Verbesserung der Versorgungslage

Außerdem muss zur Sicherstellung und Förderung der reproduktiven Selbstbestimmung schwangerer Personen die Versorgungslage selbst weiter verbessert werden. Dafür sollten die Ankündigungen im Koalitionsvertrag, etwa die Möglichkeit einer Online-Schwangerschaftskonfliktberatung und die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen,[13] schnellstmöglich umgesetzt werden. Die Bundesländer müssen ferner dazu angehalten werden, ihrem Versorgungsauftrag nach § 13 SchKG nachzukommen.

c) Rehabilitierung

Der djb regt an, zu prüfen, ob die bereits auf Grundlage von § 219a StGB verurteilten Ärzt*innen gesetzlich rehabilitiert werden sollten. Die Verurteilungen verletzen die Ärzt*innen in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Verfahren und Verurteilungen waren für die Betroffenen mit teils erheblichen Diffamierungen verbunden. Durch die Urteile wurde die in § 219a StGB angelegte Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fortgeschrieben. Die Verurteilungen stehen zudem im Gegensatz zu den Grundrechten reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit. Der Staat ist zur Gewährung dieser Grundrechte verpflichtet.

d) Keine vorweggenommene Entscheidung über das Festhalten am Beratungsmodell

Angesichts der Bezugnahmen des Gesetzesentwurfs auf das Konzept des Beratungsmodells merkt der djb an, dass die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit in Zukunft an einem Beratungsmodell festzuhalten ist, durch den Entwurf weder beantwortet noch beeinflusst wird. Dies bleibt der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Kommission[14] und dem Gesetzgeber überlassen. Im Rahmen dieser Debatte wird allerdings die Ansicht der CEDAW-Kommission zu berücksichtigen sein, die Deutschland zuletzt empfohlen hat, schwangeren Personen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ohne die verpflichtende Beratung und die dreitägige Wartezeit zu ermöglichen.[15]

III.    Fazit

Die Abschaffung des § 219a StGB beseitigt die Verletzung der Berufsfreiheit der informierenden Ärzt*innen. Sie ist zudem ein erster wichtiger Schritt, um die reproduktive Selbstbestimmung von ungewollt schwangeren Personen zu verbessern und die fortdauernde Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beenden. Für eine vollständige Gewährleistung reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit sind aber weitere Maßnahmen erforderlich. Insbesondere muss der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessert werden, und entsprechende Barrieren müssen sowohl durch eine verbesserte Informations- als auch durch eine bessere Versorgungslage abgebaut werden. Der Gesetzesentwurf ist daher nur ein erster Schritt und kann unter keinen Umständen die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ersetzen.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                       Dr. Leonie Steinl, LL.M.

Präsidentin                                         Vorsitzende Kommission Strafrecht

 


[1] §§ 219, 220 RStGB; vgl. Reichsgesetzblatt vom 29. Mai 1933, Teil I, S. 295 (296).

[2] BT-Drs. 7/1981 (neu), S. 17.

[3] In der Gesetzesbegründung vom 12.02.2019 steht immerhin noch, dass § 219a StGB verhindern solle, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit verharmlost dargestellt [...]“ würden, BT-Drs. 19/7693, S. 7.

[4] Im Jahr 2015 stieg die Anzahl der in der PKS erfassten Ermittlungsverfahren von „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft § 219a StGB“ (Schlüssel 040040) auf 27 Fälle (im Jahr 2014 waren es noch zwei und im Jahr 2013 elf Fälle). Ein Höchststand wurde 2016 mit 35 Fällen erreicht. Mit anhaltender rechtspolitischer Diskussion sanken die Ermittlungsverfahren im Jahr 2019 und 2020 wieder auf jeweils einen Fall.

[5] Amtsgericht Gießen, Urteil vom 24.11.2017 – 507 Ds 501 Js 15031/15 (juris) = NStZ 2018, 416; nach erfolgloser Berufung wurde die Revision aufgrund der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Gesetzesänderung zunächst an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der daraufhin abgeänderte Rechtsfolgenausspruch des LG Gießen wurde bestätigt durch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.12.2020 – 1 Ss 96/20; seit Februar 2021 unter 2 BvR 390/21 anhängig beim BVerfG.

[6] AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14.06.2019 – 253 Ds 143/18, bestätigt durch KG, Beschluss vom 19.11.2019 – 3-80/19, 3-81/19; AG Coesfeld, 3a Ds-30 Js 580/20-249/20, bestätigt durch OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.2021 – 4 RVs 102/21.

[7] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1/74 (juris) = NJW 1975, 573; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 = NJW 1993, 1751.

[8] Dazu sogleich unten.

[9] Djb, Stellungnahme 18-09 zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags am 27. Juni 2018 zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Strafgesetzbuches – Einschränkung bzw. Aufhebung von § 219a StGB, S. 6 ff.

[10] Bereits in der Stellungnahme vom 31.01.2019 stellte der djb fest: „Ungewollt schwangeren Frauen wird weiterhin das aus Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht vorenthalten, über medizinische Eingriffe grundsätzlich selbst frei und informiert zu entscheiden, was die entsprechende ärztliche Aufklärung unter anderem über Behandlungsoptionen, Rahmenbedingungen und Kosten voraussetzt.“ Djb, Stellungnahme 19-03 zum Referentenentwurf des BMJV „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ vom 28. Januar 2019 und zum Eckpapier zur „Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen“ vom 12. Dezember 2018.

[11] § 27 MBO-Ä enthält Angaben über erlaubte Information und berufswidrige Werbung. Untersagt ist danach insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Verletzungen dieser Berufspflichten können berufsrechtliche Maßnahmen nach den landesgesetzlichen Heilberufsgesetzen nach sich führen, darunter die Verhängung einer Geldbuße.

[12] Hierfür spricht auch die Tatsache, dass es in den Jahren 2015, 2016 und 2017 trotz der gestiegenen Zahl an Ermittlungsverfahren (Vgl. Fn. 2) zu jeweils nur einer Verurteilung gem. §§ 219a, 219b StGB gekommen ist, s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Rechtspflege Strafverfolgung, aus den Jahren 2015, 2016, 2017.

[13] Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) S. 116.

[14] Ebd.

[15] CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Concluding observations on the combined seventh and eight periodic reports of Germany, 9March 2017: „38. In line with its general recommendation No. 24 (1999) on women and health, the Committee recommends that the State party: […] (b) Ensure access to safe abortion without subjecting women to mandatory counselling and a three-day waiting period, which the World Health Organization has declared to be medically unnecessary, and ensure that such procedures are reimbursed through health insurance;”.