Stellungnahme: 22-01


zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung

Stellungnahme vom

1. Hintergrund

Zum 1. Oktober 2022 wird die bisher gesetzlich definierte Grenze von 450 Euro für die geringfügige Beschäftigung gem. § 8 SGB IV (sog. Minijobs) dynamisiert. Die Geringfügigkeitsgrenze wird sich zukünftig aus einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zu Mindestlohnbedingungen ergeben. Mit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde wird die Grenze ab dem 1. Oktober 2022 bei 520 Euro liegen.

Darüber hinaus wird die Höchstgrenze für die Beschäftigung im Übergangsbereich von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben. Der Arbeitgeberbeitrag wird oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze zunächst auf die für einen Minijob zu leistenden Pauschalbeiträge in Höhe von 28 Prozent angeglichen und gleitend bis zum Erreichen der 1.600 Euro auf den regulären Sozialversicherungsbeitrag von etwa 20 Prozent abgeschmolzen.

2. Die Ausweitung der Minijobs verfestigt Geschlechterungleichheit

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) lehnt die Ausweitung und zukünftige Dynamisierung der geringfügigen Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1a SGB IV-GE ab. Minijobs verfestigen die Geschlechterungleichheit und leisten keinen Beitrag für eine eigenständige Existenzsicherung und soziale Absicherung von Frauen. Mit der Ausweitung der Minijobs lässt sich weder die im Koalitionsvertrag angestrebte Gleichstellung von Frauen und Männern noch die Stärkung der umlagefinanzierten Rente erreichen. Vielmehr widerspricht die Ausweitung der Minijobs Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, die den Staat verpflichtet, die tatsächlich Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Die Abschaffung der Minijobs wird nicht nur von zahlreichen Frauen- und Familienverbänden, sondern auch im Zweiten und im Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gefordert.

Der djb fordert darüber hinaus eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung der Neuregelungen nach § 2 GGO. Die pauschale Behauptung im Referentenentwurf (S. 21), die Förderung des Übergangs in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verbessere die Altersvorsorge von Frauen, genügt diesen Anforderungen nicht. Die Tatsache, dass geringfügig entlohnte Beschäftigung überwiegend von Frauen ausgeübt ist, verpflichtet hier zu einer umfassenden Prüfung der gesamten Neuregelung.

Minijobs sind für viele Frauen eine Teilzeit- und Zuverdienerinnenfalle. Sie führen gerade nicht zu einem Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Stattdessen ist ein sogenannter „Klebeeffekt“ zu beobachten, also die Tatsache, dass Beschäftigte in Minijobverhältnissen und damit in der Regel auch im Niedriglohnsektor verbleiben. Für 5 Mio. der 7 Mio. Minijober*innen ist die geringfügige Beschäftigung der Haupterwerb. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus, dass in Kleinbetrieben etwa 500.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch Minijobs ersetzt wurden und dies zu Ausfällen in Milliardenhöhe bei Sozialversicherungsbeiträgen und Steuereinnahmen führt.[1] Von dieser Verdrängung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sind vor allem Frauen in ihren beruflichen Chancen negativ betroffen.

In der Praxis zeigt sich zudem, dass Minijober*innen häufig arbeitsrechtliche Ansprüche wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub oder tarifliche oder betriebliche Sozialleistungen vorenthalten werden und ihnen die Weiterbildung versagt wird. Das trägt zu mangelnder sozialer Absicherung als auch einer fachlichen Dequalifizierung bei.[2] Dies wirkt sich im Zusammenspiel mit dem Ehegattensplitting negativ auf den Gender-Pay-Gap und damit die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern aus.

Die Corona-Pandemie hat außerdem die fehlende soziale Absicherung durch Minijobs deutlich vor Augen geführt: Fast 900.000 Minijober*innen haben ihren Job verloren, ohne Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Die fehlende Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung benachteiligt überproportional Frauen.

Die Befreiungsmöglichkeit für die gesetzliche Rentenversicherung, wird aktuell von 80 Prozent der Minijober*innen genutzt.[3] Die Neuregelung weitet diese Befreiungsmöglichkeit nun auf 520 Euro bzw. die Höhe der Geringfügigkeitsgrenze aus. Die zu begrüßende Erhöhung des Mindestlohns im Hinblick auf die existenzsichernde Beschäftigung von Frauen ist damit ist damit gleichzeitig ein Rückschritt im Hinblick auf eine längerfristige Absicherung. Nicht zuletzt fehlen der umlagefinanzierten Rentenversicherung damit die für die Stärkung notwendigen Beiträge.

Die vorgesehenen Neuregelungen für den Übergangsbereich von 520,01 Euro bis 1.600 Euro sind grundsätzlich zu begrüßen. Für die Arbeitnehmerbeiträge sieht der Referentenentwurf eine neue Formel vor, die einen Belastungssprung beim Übergang von der geringfügigen in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermeidet und damit Fehlanreize abbaut, die Arbeitszeit vor Erreichen der Geringfügigkeitsgrenze zu reduzieren. Der Referentenentwurf sieht zudem für die Arbeitgeber*innen im Übergangsbereich höhere Sozialversicherungsbei-träge als nach der alten Rechtslage vor: Der Arbeitgeberbeitrag soll im Übergangsbereich von 28 Prozent auf 20 abschmelzen. Damit werden die Einnahmen der Sozialversicherungen gestärkt.

Diese Verbesserungen sind jedoch nicht ausreichend, weil durch die geringfügige Beschäftigung weiterhin die falschen Anreize für Arbeitgeber*innen gesetzt werden, Arbeitsplätze in mehrere Minijobs zu zerschlagen und keine Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen.

Die Ausweitung und Dynamisierung der geringfügigen Beschäftigung sind aus diesen Gründen gleichstellungspolitisch verfehlt und verfestigen geschlechtsdiskriminierende Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und in der sozialen Sicherung. Die Erhöhung des Mindestlohns sollte vielmehr als Schritt zur Abschaffung geringfügiger Beschäftigung genutzt werden.

Der djb fordert eine Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung und eine umfassende Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro. Parallel dazu ist die Einführung einer Steuererstattung in Höhe der Sozialversicherungsbeträge zu prüfen, die Beschäftigte mit geringen Einkommen entlastet.

Mit einer solchen Regelung würden existenznotwendige Aufwendungen berücksichtigt. Während Beschäftigte mit hohen Einkommen Rentenversicherungsbeiträge als Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit steuerlich absetzen können und so weniger Steuern zahlen, kommen derartige Steuerabzüge bei Menschen, die keine oder kaum Steuern zahlen, nicht an.[4] In Österreich gibt es bereits derartige Steuererstattungen für Sozialversicherungsbeiträge und Wegekosten.

 

 

Prof. Dr. Maria Wersig            

Präsidentin                                                

 

Prof. Dr. Cara Röhner

Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 

 


[1] Matthias Collischon, Kamila Cygan-Rehm, Regina Riphahn, Minijobs in Kleinbetrieben: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird verdrängt, IAB-Forum, Oktober 2021; Zusammenfassung in „Destruktive Minijobs“, Böckler Impuls, 18/2021.

[2] Olaf Deinert, Elena Maksimek, Amélie Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, Bund-Verlag 2020, S. 135 m.w.N.

[3] 3. Quartalsbericht 2021 der Minijobzentrale.

[4] Ulrike Spangenberg, Steuerrechtliche Optionen für eine geschlechtergerechte Alterssicherung, DRV 2/2020.