Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Zehn Tage Elternschutz zusätzlich einführen“.
1. Forderung
Die Fraktion DIE LINKE fordert im Rahmen des unter II gestellten Antrages auf, unverzüglich einen Gesetzesentwurf vorzulegen, um die „EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (2019/1158)“ umzusetzen, das bestehende Mutterschutzgesetz zu einem Elternschutzgesetz weiterzuentwickeln und darin einen Rechtsanspruch auf Elternschutz festzuschreiben, der eine bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung von zehn Arbeitstagen für den zweiten Elternteil oder für eine von der leiblichen Mutter benannte soziale Bezugsperson unmittelbar nach der Geburt des Kindes vorsieht. Dabei werden folgende Regelungen gefordert
1. Eine Entgeltfortzahlung von 100 Prozent, die sicherstellt, dass die Lohnfortzahlung für fünf Tage durch Arbeitgeber*innen und die weiteren fünf Tage durch Entgeltfortzahlung durch den Bundeshaushalt erfolgen und 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Absatz 3 SGB V nicht überschreitet.
2. Ein Rückkehrrecht auf den früheren Arbeitsplatz.
3. Die Festschreibung eines Diskriminierungs- und Kündigungsverbot im Zusammenhang mit dem Elternschutz.
2. Stellungnahme
a) 10-tägiger bezahlter Freistellungsanspruch („Rechtsanspruch auf Elternschutz“) für den zweiten Elternteil oder eine von der leiblichen Mutter benannte Bezugsperson unmittelbar nach der Geburt des Kindes.
Art 4 der EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (2019/1158), die bis zum August 2022 umgesetzt werden muss, sieht einen 10-tägigen Freistellungsanspruch für den zweiten Elternteil vor. Dieser gewährt Vätern bzw. dem zweiten Elternteil unabhängig vom Familienstand einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlte Freistellung anlässlich der Geburt – mindestens in Höhe des Krankengeldes.
Die Regelung eines im Mutterschutzgesetz verankerten Freistellungsanspruchs wird daher vom djb unterstützt und begrüßt. Wichtig ist, dass es sich um einen eigenständigen Rechtsanspruch handeln sollte, der nicht in den Regelungen des Elterngelds aufgehen und als fiktiver Elterngeldverbrauch bewertet werden sollte. Die Freistellung aus Anlass der Geburt – zusätzlich zu Elternzeit und Elterngeld bedeutet nicht nur eine Entlastung für die gebärende Mutter, sondern fördert die Eltern-Kind-Beziehung des anderen Elternteils von Anfang an. Letztere haben dann aufgrund der Lohnersatzleistung den finanziellen Spielraum, sich bereits in der frühen familiären Phase nach der Geburt um das Kind zu kümmern. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der 10-tägige Elternschutz oftmals den Grundstein dafür legen wird, dass der zweite Elternteil im Anschluss Elternzeit, ggf. auch Teilzeit in Elternzeit beansprucht. Dadurch wird ein wichtiger Anreiz gesetzt, Fürsorgearbeit und Erwerbsarbeit innerhalb der Familie partnerschaftlich aufzuteilen.
b) Rückkehrrecht nach der Elternzeit
Das unionsrechtlich zu gewährleistende Recht auf Rückkehr auf den vorherigen oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu den Bedingungen aus der Zeit vor Beginn des Mutterschutzes sowie auf alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die im Laufe der Schutzfristen entstanden sind, bedarf einer Regelung im MuSchG bzw. im BEEG. Das Rückkehrrecht nach der Elternzeit wird bislang lediglich über das Direktions- und Weisungsrecht nach § 106 GewO erfasst. Hier sollte zur Stärkung der Rechte von Elternzeit-Rückkehrenden eine klare gesetzliche Regelung existieren. Dies könnte auch dazu beitragen, dass Elternzeitrückkehrer seltener ihren Arbeitsplatz verlieren bzw. degradiert werden, wie dies oftmals in der Praxis der Fall ist. Der djb hält die eindeutige gesetzliche Regelung des Rückkehrrechts nach der Elternzeit für einen längst überfälligen Schritt, der Familien dabei unterstützen wird, Beruf und Familie leichter miteinander zu vereinbaren.
c) Diskriminierungs-/Kündigungsverbot im Zusammenhang mit der Elternzeit
Es gibt inzwischen sowohl statistische Erhebungen als auch zahlreiche Beschwerden bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes[1], die belegen, dass Personen, die Fürsorgearbeit leisten, etwa betreuende Eltern oder Personen, die Angehörige pflegen, in der Arbeitswelt erheblich benachteiligt werden. Fälle wie z.B. die Nichtverlängerung befristeter Arbeitsverträge während der Elternzeit, Degradierungen, Kündigungen, und Vorlage von Aufhebungsverträgen nach der Rückkehr aus der Elternzeit belegen dies anschaulich. Auch abwertende Bemerkungen, wenn das Kind oder andere Angehörige erkrankt sind, der Ausschluss von Karriereprogrammen etc. sind Ausdruck solcher Schlechterstellung von Eltern und haben nachteilige Folgen für Erwerbsbiographien bis hin in das Rentenalter – für Mütter, aber auch für Väter, die Sorgeaufgaben übernehmen.
Die Corona-Krise hat diese Benachteiligungen noch verschärft. Aufgrund geschlossener bzw. nicht vollständig geöffneter Betreuungseinrichtungen und negativer wirtschaftlicher Folgen, die in vielen Fällen Umstrukturierungen und betriebsbedingte Kündigungen zur Folge haben, stehen sehr häufig Mütter in Elternzeit im Fokus der (strategischen) Überlegungen.
Der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erfasst fürsorgeleistende Erwerbstätige derzeit allenfalls über das Merkmal Geschlecht. Hier kann die Benachteiligung von Eltern und Pflegenden zwar als mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts einzuordnen sein. Eine solche Benachteiligung setzt jedoch den Nachweis voraus, dass entweder Frauen oder Männer besonders betroffen sind. Der Schutz des AGG greift daher nicht, wenn Mütter und Väter in gleicher Weise als Eltern gegenüber Nichteltern benachteiligt werden. Bei Männern, die im Gegensatz zur Mehrzahl der anderen männlichen Beschäftigten in einem Unternehmen, die Sorge für Kinder oder Angehörige übernehmen wollen, etwa durch die langfristige Inanspruchnahme von Elternzeit und Familienpflegezeit, stellt sich zudem die Frage nach der richtigen Vergleichsgruppe.
Der djb regt daher an, sich vertieft mit Benachteiligungen von Eltern und pflegenden Angehörigen im Erwerbsleben zu befassen und zu prüfen, inwieweit diese Benachteiligungen vom Schutz des AGG umfasst sind und ggf. entsprechende Reformen auf den Weg zu bringen. Der Diskriminierungsschutz sollte dann auch Pflegeeltern einbeziehen.
Die bis 2022 umzusetzenden EU-Vereinbarkeitsrichtlinie, die darauf zielt, die die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu verbessern, bietet den passenden Anlass sich in der kommenden Legislaturperiode mit diesem Vorhaben zu befassen.
Die Aufnahme einer weiteren Kategorie zum Schutz fürsorgender Erwerbstätiger und ein klarer gesetzlicher Auftrag könnten auch dazu beitragen, dass sich Unternehmen familienfreundlich ausgestalten und Vorgesetzte, Betriebsrät*innen, Gleichstellungsbeauftragte etc. bei der Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen unterstützen.
Ein verbesserter gesetzlicher Schutz von Elternschaft und Fürsorgearbeit wird unter dem Stichwort „parenthood“ bereits auf europäischer Ebene von EU-Projekten wie
parents@work diskutiert.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Sandra Runge
Mitglied der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich
[1] Siehe Ausführungen zur derzeit laufenden Studie der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes "Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen"