Stellungnahme: 20-29


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 6. Oktober 2020

Stellungnahme vom

zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 6. Oktober 2020 (StPO-E). Gleichstellungspolitisch relevant sind in dem vorgelegten Entwurf all diejenigen Teile, die sich mit dem Schutz der Opfer im Strafverfahren befassen, insbesondere also die Definition von „Verletzten“ (§ 373b StPO-E) und diejenigen Vorschriften, die mit dem Schutz von Zeug*innen in Zusammenhang stehen.

1. Verletztendefinition

Der djb begrüßt ausdrücklich, dass der vorgelegte Entwurf nunmehr eine Legaldefinition des Begriffs der „Verletzten“ in die StPO aufnimmt, wie es auch die Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU als geboten ansieht. Der djb hatte dies bereits in seiner Stellungnahme „Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt“ (St 18-18) vom 22. November 2018 gefordert.

Obwohl die Richtlinie 2012/29/EU eine Legaldefinition des Begriffes des „Opfers“ enthält, hatte sich das federführende BMJV im Rahmen der Umsetzung dagegen entschieden, die Begrifflichkeit der/des „Verletzten“ bzw. des „Opfers“ im Hinblick auf seine Stellung im Prozess zu definieren.

Inhaltlich fällt auf, dass sich die in § 373b Abs. 1 StPO-E vorgeschlagene Definition nicht an der Definition aus Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe a der Richtlinie orientiert, die ausdrücklich auf körperliche, geistige und seelische Schädigungen sowie einen wirtschaftlichen Verlust als direkte Folge einer Straftat Bezug nimmt. Die vorgeschlagene Formulierung („in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben“) ist im Vergleich weiter, aber auch unbestimmter. Grundsätzlich können aber alle in der Richtlinie aufgeführten Beeinträchtigungen unter die vorgeschlagene Definition gefasst werden; eine solche Auslegung dürfte durch die explizite Inbezugnahme der Richtlinie in der Begründung auch hinreichend gewährleistet sein.

Problematisch ist allerdings die in der Begründung geforderte Auslegung, eine Verletzung durch die Tat könne nur dann angenommen werden, „wenn die übertretene Norm – jedenfalls auch – die Rechte dieser Person schützen will“ (S. 36 des Entwurfs). Unklar ist bereits, ob diese Einschränkung nur den Personenkreis, oder auch die betroffenen Rechtsgüter betreffen soll. Jedenfalls ist eine solche Einschränkung in der Richtlinie nicht vorgesehen. Sie ist daher zu streichen.

In Bezug auf den Hinweis in der Entwurfsbegründung auf Artikel 3 Buchstabe e der Istanbul-Konvention (S. 80) sei nur angemerkt, dass zwar, wie angeführt, die Beschränkung des Verletztenbegriffs auf natürliche Personen eine Entsprechung in der IK findet.  Dies ist angesichts des auf die Themen „Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ beschränkten Regelungsgegenstandes auch nicht überraschend. Im Übrigen verweist die IK in ihrer Opferdefinition aber ausdrücklich auf das in Artikel 3 Buchstabe a und b IK aufgeführte Verhalten und damit auch auf den darin enthaltenen, umfassenden Gewaltbegriff. So fallen gemäß Artikel 3 Buchstabe a IK unter den Begriff „Gewalt gegen Frauen“ „alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung; sei es im öffentlichen oder privaten Leben.“ Da sich dieser umfassende Gewaltbegriff der IK nicht im nationalen Strafrecht widerspiegelt, bleibt zwangsläufig auch der Verletztenbegriff, der sich auf das materielle Strafrecht gerade nicht auswirken soll, hinter der Opferdefinition der IK zurück.

Die Gleichstellungsdefinition von nahen Angehörigen in § 373b Abs. 2 StPO-E entspricht zwar den Vorgaben der RL 2012/29/EU in Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe a Ziffer ii. Sie ist jedoch mit der Formulierung „deren Tod eine direkte Folge der Tat […] gewesen ist“ auf vollendete Tötungsdelikte beschränkt. Dies erscheint in Fällen von versuchten Tötungsdelikten insbesondere im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt und der seelischen Mitbetroffenheit von Kindern aus der Beziehung, die dies miterleben mussten, absolut unangemessen.

Der djb fordert deshalb, § 373 Abs. 2 StPO-E wie folgt zu ergänzen: „oder im Falle der Vollendung gewesen wäre“.

Dogmatisch erscheint es im Übrigen vorzugswürdiger, eine Legaldefinition des Begriffes des „Opfers“ im Ersten Buch bei den Allgemeinen Vorschriften zu verorten, zumal eine Allgemeingültigkeit für die StPO entfaltet werden soll. Die Ansicht, dass im Allgemeinen Teil kein geeigneter Platz zur Verortung vorläge (S. 79), teilt der djb nicht. Zumindest sollte die neue Vorschrift am Beginn des Fünften Buches nicht mit einer Nummerierung aus dem Vierten Buch und einem angehängten „b“ beginnen. Eine so grundlegende Definition wird durch diese untergeordnet erscheinende Kennzeichnung geschwächt.

2. Erweiterung in § 1 Gewaltschutzgesetz

Der djb begrüßt ausdrücklich die Erweiterung in § 1 Gewaltschutzgesetz um das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung. Diese – klarstellende – Novellierung wird den Schutz in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt klar verbessern und damit die Umsetzung der Istanbul-Konvention im deutschen Recht weiter verbessern.

3. Angaben zu Wohn- und Aufenthaltsort

Der djb begrüßt ebenfalls die Verbesserung des Schutzes der Zeug*innen, die zugleich Verletzte und deshalb potentiell in größerer Gefahr sind. Mit den Änderungen bzgl. der Angaben zu Wohn- und Aufenthaltsort (§ 68 StPO-E) und der Einführung des § 168a Abs. 2 bis 4 StPO-E wird hoffentlich auch der opferschützenden Nutzung von Videovernehmungen gedient.

4. Psychosoziale Prozessbegleitung

Der djb bedauert jedoch, dass im Zuge der Fortentwicklung des Strafverfahrensrechts die Gelegenheit verpasst wurde, die Verletzten von Partnerschaftsgewalt mit einem Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren auszustatten und § 406g StPO auf die Fälle des § 397a Absatz 2 StPO auszudehnen, wie der djb es bereits wiederholt gefordert hat (siehe hierzu zum Beispiel djb-Stellungnahme 19-31 vom 3. Dezember 2019).

Ein Rechtsanspruch auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung besteht derzeit nur in bestimmten, eng gefassten und zum Teil im Ermessen des Gerichts stehenden Konstellationen. Der Zugang zur kostenlosen psychosozialen Prozessbegleitung knüpft dabei nicht an den Bedarf an, sondern wird nur für bestimmte Gruppen von Opfern nach § 406g Abs. 3 S. 1 StPO gewährt. Nach der derzeitigen Regelung des § 406g Abs. 3 S. 1 StPO haben Opfer von schweren Sexual- oder Gewaltstraftaten (§ 397a Abs. 1 Nr. 4 und 5 StPO) einen Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung. Das ist zu begrüßen, allerdings begrenzt die Regelung zur Nebenklage nach § 397a Abs. 1 Nr. 4 und 5 StPO die Beiordnungsmöglichkeit. Die einfache sowie die gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB sind nicht vom Katalog des § 397a Abs. 1 StPO umfasst. Damit besteht in Fallkonstellationen, in denen es „ausschließlich“ zu Körperverletzungsdelikten nach §§ 223, 224 StGB kommt, per se keine Möglichkeit einer kostenfreien Begleitung, auch wenn das Opfer sich in einer schutzbedürftigen Lage befindet oder seine Interessen selbst nicht wahrnehmen kann.

Ebenfalls nicht erfasst ist die Nachstellung im Grunddelikt gemäß § 238 Abs. 1 StGB. Im Fall der Nachstellung ist eine Kostenbefreiung nur möglich, sofern die Verbrechenstatbestände nach Absatz 2 oder 3 der Norm verwirklicht sind.

Damit wird eine Vielzahl von Fällen der häuslichen Gewalt sowie die Nachstellung nicht von der Möglichkeit kostenfreier Prozessbegleitung erfasst. Gerade in diesen Fällen werden sich viele Opfer – insbesondere solche, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können – im Strafprozess in einer massiven Stresssituation befinden, sodass es hier zu eklatanten Schutzlücken kommt.

Der djb fordert daher, dass das Recht auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung auf alle Betroffenen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention ausgeweitet wird. Es muss eine umfassende Begleitungsmöglichkeit unabhängig von starren Kategorien von Opfern geschaffen werden.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                              Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Präsidentin                                                Vorsitzende der Kommission Strafrecht