Policy Paper: 20-28


Strafrechtlicher Umgang mit (tödlicher) Partnerschaftsgewalt

Policy Paper vom

Frauen sind wesentlich öfter als Männer von Gewalttaten durch ihre (Ex-)Partner betroffen. 2.753 Frauen wurden im Jahr 2018 in Deutschland Opfer eines (vollendeten) sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung durch ihren (Ex-)Partner.[1] 324 Frauen fielen versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten ihres (Ex-)Partners zum Opfer; 118 Frauen starben.[2] Mehr als einmal pro Stunde wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner körperlich angegriffen und jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet.

1. Partnerschaftsgewalt und Strafrecht

Das Strafrecht erfasst Partnerschaftsgewalt insbesondere als vollendeten oder versuchten Mord oder Totschlag, Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, sexuellen Übergriff, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Stalking, Nötigung oder Bedrohung. Nach ständiger Rechtsprechung bilden allgemein die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters die Grundlagen der Strafzumessung.[3] Hiervon ausgehend ist eine nachdrückliche Bestrafung von Partnerschaftsgewalt notwendig, die unmissverständlich verdeutlicht, dass Staat und Gesellschaft nicht gewillt sind, diese Form der Gewalt als besonders drastischen Ausdruck struktureller Machtverhältnisse zum Nachteil von Frauen zu akzeptieren oder zu bagatellisieren.

a) Körperverletzungsdelikte

Die „einfache“ Körperverletzung (§ 223 StGB) bedarf für ihre Verfolgung eines Strafantrages oder der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft (§ 230 StGB). In der Praxis kommt es vor, dass das besondere öffentliche Interesse in Fällen von Partnerschaftsgewalt verneint und das Verfahren eingestellt wird. Zum Teil erfolgt auch eine Verweisung auf den Privatklageweg. Diese Praxis ist als problematisch zu bewerten. Werden innerhalb der Partnerschaft solche Körperverletzungsdelikte begangen, so sollte das „besondere öffentliche Interesse“ im Regelfall bejaht werden.[4] Dies entspricht den Vorgaben des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention – IK), die in Artikel 55 Abs. 1 vorsieht, dass Ermittlungen wegen oder die Strafverfolgung der in den Artikeln 35 bis 39 umschriebenen Straftaten (darunter auch körperliche Gewalt) nicht vollständig von einer Meldung oder Anzeige des Opfers abhängig gemacht werden dürfen. Daraus folgt zudem auch der Ausschluss der Verweisung des einen Strafantrag stellenden Opfers auf den Privatklageweg, die im Übrigen auch der Rechtsprechung des EGMR widersprechen würde.[5]

b) Sexualdelikte

In Fällen sexualisierter Partnerschaftsgewalt dürfen frühere oder bestehende Sexualbeziehungen zwischen Täter und Opfer – entgegen verbreiteter Praxis – nicht strafmildernd wirken.[6] Bereits nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann diesem Umstand bei Taten mit Bestrafungscharakter kein maßgebendes strafmilderndes Gewicht innewohnen.[7] Das gilt umso mehr, wenn die Sexualdelikte – wie nicht selten – mit besonderen Erniedrigungen des Opfers verbunden sind.[8]

Aber auch darüber hinaus darf das Bestehen einer intimen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht als Strafmilderungsgrund in Betracht gezogen werden.[9] Vielmehr löst dieser Umstand oftmals strafschärfende Komponenten aus: Sexuelle Übergriffe durch (Ex-)Partner haben oft schwerwiegende körperliche und psychische Folgen für das Opfer, die strafschärfend zu berücksichtigen sind. Auch ein mit ihnen etwa einhergehender Vertrauensbruch legt eine Strafschärfung nahe. Soweit sich eine Frau bereits vom Partner getrennt hat, hat sie ein „Nein“ zur Beziehung und damit auch zur gemeinsamen Sexualität verdeutlicht. Dass der Täter sich somit in besonderer Weise über ihren selbstbestimmten Willen hinwegsetzt, sollte ebenfalls strafschärfend berücksichtigt werden.

Die mit Rücksicht auf das Bestehen einer sexuellen (Vor-)Beziehung in der Strafrechtspraxis gelegentlich vorgenommene Einstufung von (ex-)partnerschaftlichen Sexualdelikten als „minder schwere Fälle“ (vgl. § 177 Abs. 9 StGB) steht auch nicht im Einklang mit der Erkenntnis, dass sich die überwiegende Zahl der Sexualdelikte im sozialen Nahraum des Opfers abspielt.[10] Die Annahme eines minder schweren Falles ist daher systematisch verfehlt – soll doch dieser solche Konstellationen erfassen, in denen das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle des sexuellen Übergriffs derart abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint.[11]

Nicht zuletzt widerspricht die strafmildernde Berücksichtigung früherer oder bestehender Sexualbeziehungen zwischen Täter und Opfer den Wertungen der Istanbul-Konvention: Artikel 46 lit. a IK verpflichtet die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass der Umstand, dass sich Gewalt gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin (bzw. einen früheren oder derzeitigen Ehemann oder Partner) richtet, strafschärfend berücksichtigt werden kann. Diese Strafschärfung wird im erläuternden Bericht zur Konvention mit dem Vertrauensbruch sowie dem besonderen psychischen Schaden begründet, der entstehen kann, wenn eine schwere Straftat im Rahmen einer intimen Beziehung begangen wird.

c) Tötungsdelikte

Besonders gefährdet sind Frauen in Phasen der von ihnen in die Wege geleiteten Trennung. Dabei kommt tödliche Trennungsgewalt auch in Beziehungen vor, die zuvor nicht gewaltbelastet waren. In vielen Fällen haben die Taten jedoch einen Vorlauf, der durch das Ausleben von Besitzansprüchen des Mannes gekennzeichnet ist, die sich in übersteigerter Eifersucht, dem Bestreben um möglichst weitgehende Kontrolle der Frau und ihre Isolierung von Freund*innen und Familie zeigen.[12] Das tatbestimmende Motiv ist in diesen Fällen oft patriarchalisches Herrschafts- und Besitzdenken gegenüber einer Frau, die dabei ist, sich diesem zu entziehen.

Für vollendete Tötungsdelikte, die als Mord zu qualifizieren sind, ist nach geltendem Recht bei voll schuldfähigen Tätern zwingend lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen (§ 211 StGB), während das Gesetz für Totschlag einen Regelstrafrahmen von fünf bis 15 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht (§ 212 StGB). Mord unterscheidet sich von Totschlag dadurch, dass die vorsätzliche Tötung eines Menschen zusätzliche „Mordmerkmale“ erfüllen muss, die die Tat als sozial-ethisch besonders verwerflich oder als besonders gefährlich kennzeichnen.

In der gerichtlichen Praxis stellt sich bei tödlicher Partnerschaftsgewalt in der Regel die Frage, ob das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ verwirklicht ist. Beweggründe gelten als „niedrig“, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag verachtenswert sind. Bei Tötungen von (Ex-)Partnerinnen werden niedrige Beweggründe u.a. in folgenden Fällen bejaht: wenn der Täter vermeintliche Besitzrechte an der Frau nicht aufgeben will, sie keinem anderen Mann gönnt, die Frau aus Wut oder Kränkung über ihre (mutmaßliche) Untreue bestrafen will oder sie daran hindern will, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen, und ihr letztendlich ohne eine Beziehung mit ihm das Lebensrecht abspricht. Der Rechtsprechung zufolge liegen keine „niedrigen Beweggründe“ vor, wenn Gefühle der Verzweiflung und Enttäuschung, der inneren Ausweglosigkeit und des erlittenen vermeintlichen Unrechts bestimmend für die Tötung der (Ex-)Partnerin sind oder die ihr zugrundeliegenden Motive nicht festgestellt werden können.[13] Zu beachten ist jedoch, dass auch Tötungsdelikte an (Ex-)Partnerinnen, die aus Gefühlen der Enttäuschung und Verzweiflung begangen werden, dem bewussten oder unbewussten Ziel dienen können, die Handlungshoheit über das dem Mann entgleitende Geschehen und damit auch die ihm aus seiner Sicht zustehende Macht über die (Ex-)Partnerin (wieder-) zu erlangen.

Die in bisheriger höchstrichterlichen Rechtsprechung mehrfach erfolgte Infragestellung des Vorliegens niedriger Beweggründe, wenn „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“,[14] darf nach der Istanbul-Konvention nicht mehr erfolgen. Die Initiierung der Trennung durch das Opfer und der Verlust des Objekts der Beherrschungswünsche des Täters dürfen nicht als der Tat zugrundeliegende nachvollziehbare Gründe bewertet werden und damit zur Verneinung niedriger Beweggründe führen; sie sind vielmehr opferbeschuldigend und Ausdruck patriarchaler Besitzkonstruktionen. Abzulehnen ist auch Rechtsprechung, wonach „der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, [...] als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden“ darf.[15]

Das Mordmerkmal der „Heimtücke“ kann vorliegen, wenn es sich bei Tötungen von (Ex-)Partnerinnen um von den Tätern geplante Attacken handelt, die sich zwar vor dem Hintergrund einer konfliktreichen Beziehung oder einer Auseinandersetzung ereignen, in der die Partnerin aber dennoch aktuell keinen erheblichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben erwartet. Es kommt vor, dass der Mann der Frau, die sich von ihm getrennt hat, nachstellt und ihr schließlich an ihrer Wohnung, ihrem Arbeitsplatz oder der Kindertagesstätte auflauert, um sie zu töten, oder sie unter einem Vorwand, etwa mit der Bitte um eine letzte Aussprache, in eine ungeschützte Situation lockt. Dann kann als Mordmerkmal „Heimtücke“ gegeben sein, die eine bewusste Ausnutzung der zum Zeitpunkt des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs bestehenden Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers voraussetzt.[16]

Der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zum Zeitpunkt der Trennungstötung dürfen dabei vorangegangene Misshandlungen und Bedrohungen, aufgrund derer das Opfer mit einem weiteren Angriff hätte rechnen können, nicht entgegenstehen. Es bedarf immer einer Feststellung der Arg- und Wehrlosigkeit auf Grundlage des konkreten Tatablaufs; sie darf nicht pauschal unter Verweis auf die bisherige Beziehung abgelehnt werden. So ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung „auch bei Opfern, die auf Grund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, ein […] Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht [zu ziehen], wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht“.[17] Auch die Interpretation des Opferverhaltens bedarf hierbei einer Einzelfallbetrachtung. So darf beispielsweise aufgrund der Annahme einer latenten Dauergefahr nicht ausgeblendet werden, dass das Opfer sich einzelnen Situationen letztlich doch ausgesetzt hat, weil es jedenfalls noch soweit Vertrauen in den (Ex-)Partner hatte, nicht um sein Leben fürchten zu müssen, welches dann vom Täter ausgenutzt wurde.[18]

d) Forderungen des Deutschen Juristinnenbundes e.V.

Vor diesem Hintergrund erscheinen folgende Maßnahmen zur Verbesserung des strafrechtlichen Umgangs mit Trennungsgewalt geboten:

  • Zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendungspraxis sind verpflichtende Teilnahmen an Fortbildungen für Staatsanwält*innen und Richter*innen zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt notwendig.[19] Eine solche Verpflichtung könnte unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit im Richtergesetz des Bundes verankert werden.[20] Gegenstand dieser Fortbildungsmaßnahmen sollen Ursachen und Auswirkungen von geschlechtsspezifischer Gewalt und die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen und Sexualitätsmythen sein.[21] Auch die Istanbul-Konvention sieht in Artikel 15 Abs. 1 vor, dass für Angehörige der Berufsgruppen, die mit Opfern oder Tätern von geschlechtsbezogener Gewalt zu tun haben, ein Angebot an geeigneten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verhütung und Aufdeckung solcher Gewalt, zur Gleichstellung von Frauen und Männern, zu den Bedürfnissen und Rechten der Opfer sowie zur Verhinderung der sekundären Viktimisierung bei der Befragung und im Umgang mit den Opfern im Ermittlungs- und Gerichtsverfahren bereitgestellt wird. Zugleich weisen die Regelungen der Konvention und der erläuternde Bericht an verschiedenen Stellen auf die Notwendigkeit der Förderung einer Sensibilisierung und Aufklärung zu „Geschlechter-Stereotypen und Mythen zur männlichen bzw. weiblichen Sexualität“ hin.[22] Vergleichbare Vorgaben enthält auch die für alle Mitgliedstaaten verpflichtende Opferschutzrichtlinie in Artikel 25 Abs. 1.[23]
  • Bei der Rechtsanwendung darf das Bestehen einer intimen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht strafmildernd berücksichtigt werden. Im Gegenteil, die Istanbul-Konvention sieht in Artikel 46 lit. a und h vor, dass Übergriffe von (Ex-)Partnern strafschärfend berücksichtigt werden können.[24]
  • Aus menschen- und frauenrechtlicher Sicht ist es das Recht jedes Menschen, frei darüber zu entscheiden, mit wem sie*er eine Partnerschaft eingeht oder aufrechterhält. Mit der Verletzung oder Tötung der trennungswilligen Partnerin setzt sich der Täter über diese grundlegende gesellschaftliche Wertentscheidung hinweg.[25] Dies sollte bei der Strafzumessung des Täters als bestimmender, in den Urteilsgründen zu erörternder Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO) berücksichtigt werden und bei Tötungsdelikten grundsätzlich zur Einordnung in die Fallgruppe der „niedrigen Beweggründe“ führen. Gravierend anormale psychische Zustände des Täters finden im Rahmen der Prüfung seiner Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) Beachtung.
  • Das Merkmal der „geschlechtsspezifischen Beweggründe“ sollte in die Strafzumessungserwägungen des § 46 Abs. 2 StGB aufgenommen werden, um die Staatsanwaltschaften und Gerichte für den Umgang mit eben solchen Delikten im Rahmen der Strafzumessung zu sensibilisieren. Geschlechtsspezifische Beweggründe liegen u.a. dann vor, wenn die Tat sich gegen eine Frau richtet, weil sie eine Frau ist oder von Vorstellungen von geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt ist. Das Merkmal lehnt sich an den Begriff der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und seine Definition in Artikel 3 lit. a und d IK an, soweit diese auf den individuellen Schuldvorwurf übertragbar sind.
  • Das Recht auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung muss auf alle Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention ausgeweitet werden.[26]
  • Bei allen geschlechtsspezifischen Körperverletzungsdelikten muss ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung angenommen werden, sofern dem nicht gerade Opferinteressen entgegenstehen.
  • Verweisungen auf den Privatklageweg sollten in solchen Fällen ausgeschlossen sein. Der djb fordert deshalb eine klarstellende Änderung der Nr. 86 RiStBV, dass in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen regelmäßig besteht.[27]

2. Prävention

So wichtig eine angemessene strafrechtliche Reaktion auch ist: Im Vordergrund der Bekämpfung von Partnerschafts- und Trennungsgewalt muss deren Prävention stehen. Partnerschafts- und Trennungsgewalt sind oft nicht unvorhersehbar und deshalb auch nicht „unvermeidlich“. Nicht selten sind Täter und Opfer der Polizei schon von „Kriseneinsätzen“ bekannt, es wurden in der Vergangenheit bereits Platzverweise erteilt und es bestehen Gewaltschutzanordnungen; manche Frauen haben Zuflucht bei Verwandten, Freund*innen oder in Frauenhäusern gesucht. Das bedeutet einerseits, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen, die die Sicherheit der Opfer oft erfolgreich gewährleisten, im konkreten Fall rückblickend nicht ausgereicht haben, um die Frau vor weiterer schwerwiegender Gewalt zu schützen. Es bedeutet andererseits aber auch, dass Risikofälle den Behörden und Gerichten häufig längst bekannt sind und sich die Gewalt nicht (mehr) in der „Abgeschlossenheit“ einer Paarbeziehung ereignet. Im Vorfeld solcher schweren Gewalttaten gibt es häufig Warnsignale für eine Eskalation. Vielfach fehlt es den Frauen dann an Unterstützung, wenn sie sich gegen die Beziehung entschieden haben. Zahlreiche Fälle von Partnerschafts- und insbesondere Trennungsgewalt ließen sich daher bei zutreffender Beurteilung der bestehenden Gefahr und Effektivierung des Opferschutzes verhindern.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention von Partnerschafts- und Trennungsgewalt geboten:

  • Zur Verbesserung der statistischen Datengrundlage muss in allen Bereichen von physischen und psychischen Gewalttaten (Stalking, Hasskriminalität etc.) die Erhebung von geschlechtsbezogener Täter-Opferbeziehung vorgeschrieben werden, wie in Artikel 11 Abs. 1 lit. a IK vorgesehen. Häusliche Gewalt erschöpft sich nicht in Körperverletzungen, sondern umfasst auch beispielsweise Demütigungen und verschiedene Formen psychischen Drucks (z.B. Stalking und Nötigung).[28]
  • Eine intensive Tatursachenforschung ist für den Gewinn empirisch gesicherter Erkenntnisse zentral und auch in Artikel 11 Abs. 1 lit. b IK vorgesehen. Sie ermöglicht die Erforschung geschlechtsspezifischer Aspekte jeglicher Konstellationen von Partnerschafts- und Trennungsgewalt sowie im weiteren Schritt das Aufbrechen gängiger Stereotypen und Mythen um geschlechtsbezogene und häusliche Gewalt. Außerdem können solche empirischen Erkenntnisse durch eine intensive Tatursachenforschung die Grundlage für Risikoeinschätzungen zu Präventionszwecken bilden.
  • Auf der Grundlage intensiver Tatursachenforschung müssen bereits vorhandene Instrumente[29] zur Risikoeinschätzung weiterentwickelt und den mit Gefährdungsfällen befassten Personen und Institutionen an die Hand gegeben werden, damit diese nicht mehr allein auf ihr „Bauchgefühl“ angewiesen sind. Häufig weiß die betroffene Frau am besten, wie gefährlich ihr (Ex-)Partner ist. Ihre Einschätzung sollte daher erfragt und ernstgenommen werden. Statistiken – ebenfalls auf Grundlage intensiver Tatursachenforschung – bieten hier eine vielversprechende Methode zur Risikoeinschätzung.
  • Die bei Beratungsstellen, Frauenhäusern, Polizei, Justiz u.a. bekannten Informationen zur individuellen Bedrohungslage müssen zusammengeführt werden. Notwendig ist die flächendeckende Etablierung eines interdisziplinären Fallmanagements.[30]
  • Die Polizei hat häufig als erste Institution mit den Beteiligten häuslicher Gewalt Kontakt. Deshalb sind Programme zum polizeilichen Umgang mit häuslicher Gewalt entwickelt worden, die mancherorts bereits seit geraumer Zeit umgesetzt werden. Notwendig ist die verpflichtende, qualifizierte fortlaufende Aus- und Fortbildung aller Polizeikräfte, die in ihrem Dienst mit häuslicher Gewalt konfrontiert werden.[31] Sie müssen im Stande sein, Risiken einzuschätzen und erste Schritte zur Stabilisierung der Situation des Opfers in die Wege zu leiten. Polizeiliche Gefährderansprachen sind ein bereits häufig genutztes und erfolgversprechendes Instrument der Gefahrenabwehr, wenn sie auf die jeweilige Situation und den Adressaten abgestimmt sind. Wichtig ist daneben aber auch, den Blick nicht nur auf die punktuelle Gewaltsituation zu richten, sondern auch eine nachfolgende Betreuung und Unterstützung der Betroffenen zu gewährleisten. Dabei sollten das Netzwerk und der Austausch zwischen den Polizeikräften, anderen Behörden, wie z.B. den Jugendämtern, und entsprechenden Beratungsstellen ausgebaut und verbessert werden. Eine solche Zusammenarbeit ist essenzieller Bestandteil eines umfassenden Hilfsangebotes und effektiver Prävention. Die hierfür notwendigen fachlichen Kompetenzen müssen – soweit dies nicht bereits geschieht – in polizeilicher Fortbildung vermittelt werden.
  • Rechtliche Möglichkeiten, einen gewalttätigen Mann dauerhaft von der bedrohten (Ex-) Partnerin fernzuhalten, stehen nur eingeschränkt zur Verfügung. Polizeiliche Platzverweise und Rückkehrverbote sowie Näherungs- und Kontaktverbote nach dem Gewaltschutzgesetz reichen allein oft nicht aus, hochbrisante Gefährdungslagen zu entschärfen, weil die Männer sich über polizeiliche und gerichtliche Anordnungen hinwegsetzen. Insbesondere fehlt es auch an einer Abstimmung mit dem Familienrecht, wonach trotz dem Vorliegen einer Gewaltschutzanordnung der Umgang mit dem Kind ermöglicht werden muss.  Als Straf- wie auch mögliche Präventionsmaßnahme gegen Täter, bei denen der Verdacht auf Gewaltbereitschaft besteht und die bereits gegen eine Gewaltschutzanordnung verstoßen haben, sollte deshalb die elektronische Fußfessel ermöglicht werden. Sie sollte die Behörden alarmieren, sobald der vom Gericht angeordnete Mindestabstand zum (potenziellen) Opfer unterschritten wird.
  • Es bedarf des weiteren Ausbaus von Frauenhäusern und Beratungsstellen und deren gesicherte, dauerhafte Finanzierung, wobei besonderes Augenmerk auf die Barrierefreiheit (im weiteren Sinne) der Unterstützungsangebote zu richten ist.[32] Momentan gibt es in Deutschland etwa 350 Frauenhäuser, deren Kapazitäten jedoch oft zu gering sind. Zudem gibt es vor allem im ländlichen Raum „weiße Flecken“. Wünschenswert wäre die bundesgesetzliche Regelung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Hilfe bei Gewalt für alle Frauen, deren Verankerung beispielsweise in § 23 Abs. 1 SGB XII unter Ausschluss von Abs. 3 möglich wäre.[33] An dieser Stelle bedarf es einer steten Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Die (finanzielle) Unterstützung und Absicherung von Frauenhäusern und der kontinuierliche Ausbau der Beratungsangebote darf nicht an intransparenten Zuständigkeitsstrukturen und einer unklaren Aufgabenverteilung scheitern.[34]
  • Auch die (potenziellen) Täter müssen in den Blick genommen werden. Zum Schutz gegen Gewalt in Beziehungen sind Maßnahmen notwendig, die auf eine Einstellungs- und Verhaltensänderung seitens der Täter abzielen.[35] Es müssen daher in ausreichender Anzahl Maßnahmen der Täterarbeit (Verantwortungsübernahme) nach den Standards der BAG „Täterarbeit häusliche Gewalt“ und Beratungsstellen für zur Verhaltensänderung bereite (potentielle) Täter sowie ambulante und stationäre Therapieeinrichtungen geschaffen werden.
  • Auf gesellschaftlicher Ebene geht es um die Bekämpfung von patriarchalischen Denkmustern und Frauenverachtung. Auch hier verpflichtet die Istanbul-Konvention die Staaten zur regelmäßigen Durchführung von Kampagnen oder Programmen zur Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen, um in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein und das Verständnis für die unterschiedlichen Erscheinungsformen von geschlechtsbezogener Gewalt zu verbessern.[36] Die Konvention sieht auch vor, dass Themen wie Gleichstellung von Frauen und Männern, Aufhebung von Rollenzuweisungen, geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen in jeglichen Gesellschaftsschichten und Bewusstseinsbildung im Hinblick auf gängige Sexual- und Vergewaltigungsmythen in die offiziellen Lehrpläne auf allen Ebenen des Bildungssystems aufzunehmen sind.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                              Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Präsidentin                                                Vorsitzende der Kommission Strafrecht

 


[1] Bundeskriminalamt (Hrsg.): Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2018,
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Partnerschaftsgewalt/Partnerschaftsgewalt_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Zugriff am 29.10.2020).

[2] Ibid.

[3] Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 577.

[4] Vgl. Nr. 233, 234 Abs. 1, 235 Abs. 3 der Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren.

[5] EGMR, Urt. v. 9.7.2019 – Nr. 41.261/17, Volodina / Russland, para. 82; v. 12.6.2008 – Nr. 71127/01, Bevacqua und S. / Bulgarien, para. 83. Vgl. auch Council of Europe Committee of Ministers, Recommendation Rec(2002)5 of the Committee of Ministers to member states on the protection of women against violence, 30. April 2002, abrufbar unter: https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000016805e2612 (Zugriff am 29.10.2020).

[6] So z.B. bei BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – 4 StR 262/07; 21.01.2003 – 4 StR 414/02, NStZ-RR 2003, 168 und v. 10.09.2009 – 4 StR 366/09, NStZ-RR 2010, 9.

[7] Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 7. 2007 - 3 StR 242/07; NStZ-RR 2007, 300.

[8] Vgl. BGH, Urt. v. 20.4.2016 – 5 StR 37/16, NStZ-RR 2016, 203.

[9] Vgl. dazu bereits djb, Stellungnahme zur effektiven Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland, 2018, S. 15., erhältlich im Internet: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K6/st18-02/ (Zugriff am 01.06.2020),               https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st19-30 (Zugriff am 29.10.2020).

[10] Vgl. Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 177 Rn. 195.

[11] Ziegler, in: BeckOK StGB, 46. Ed., Stand 01.05.2020, § 177 Rn. 141.

[12] Vgl. auch Landespräventionsrat Niedersachsen (Hrsg.): Fallmanagement zur Deeskalation bei häuslicher Gewalt und Stalking, Hannover 2011.

[13] Mit Beispielen aus der BGH-Rechtsprechung Schneider, NStZ 2015, 64, 65 mwN.

[14] BGH, Urt. v. 29.10.2008 - 2 StR 349/08, BGHSt 53, 31; v. 25.07. 2006 - 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340; Beschl. v. 15.05.2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34; wörtlich auch Mitsch in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 211, Rn. 42; aus der neueren untergerichtlichen Rechtsprechung s. LG Koblenz, 25.04.2013 - BeckRS 2013, 200221. Vgl. dazu bereits https://www.djb.de/themen/thema/ik/st19-24/ (Zugriff am 29.10.2020).

[15] BGH, Beschl. v. 7.5.2019 − 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518.

[16] Schneider in: Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 211, Rn. 172.

[17] Vgl. BGH, Urt. v. 30.08.2012 - 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337.

[18] Dieses Vertrauen wird zum Teil darauf gestützt, dass die vorangegangenen gewalttätigen Angriffe oder Auseinandersetzungen das Niveau einer (gefährlichen oder schweren) Körperverletzung noch nicht überschritten hatten.

[19] Vgl. dazu bereits djb, Policy Paper: Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt, 22. November 2018, S. 12 ff., abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st18-18/ (Zugriff am 01.06.2020).

[20] v. Mangoldt/Klein/Starck/Classen, 7. Aufl. 2018, Art. 97, Rn. 29 a; vgl. dazu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, abrufbar unter:           https://www.bundestag.de/resource/blob/567690/3574d419e1a95477f9eb95323aed2492/WD-7-173-18-pdf-data.pdf (Zugriff am 01.06.2020).

[21] Art. 15 IK Erläuternder Bericht Nr. 98 ff.

[22] Art. 13, 14 und 36 IK und Erläuternder Bericht Nr. 43 f., 83, 85, 91, 96, 107 ff., 115, 192.

[23] „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Amtsträger, die voraussichtlich mit Opfern in Kontakt kommen, wie Polizeibedienstete und Gerichtsbedienstete, eine [...] angemessene allgemeine wie auch spezielle Schulung erhalten, um bei ihnen das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Opfer zu erhöhen und sie in die Lage zu versetzen, einen unvoreingenommenen, respektvollen und professionellen Umgang mit den Opfern zu pflegen“, Art. 25 Abs. 1 Richtlinie 2012/29/EU vom 25. Oktober 2012.

[24] So auch in § 33 Abs. 2 Nr. 2 Österreichisches StGB.

[25] Vgl. Drees, NStZ 2020, 216, 217.

[26] Vgl. dazu bereit djb, Policy Paper: Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt, 22. November 2018, S. 18 ff., abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st18-18/ (Zugriff am 01.06.2020).

[27] Vgl. dazu bereits djb, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen“, 25.05.2020, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st20-19/ (Zugriff am 01.06.2020).

[28] Zum defizitären Engagement staatlicher Stellen Stellungnahme zur effektiven Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland, 2018, S. 27., erhältlich im Internet: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K6/st18-02/ (Zugriff: 01.06.2020).

[29] Z.B. DyRiAS (Dynamische Risikoanalyse System), SARA (Spousal Assault Risk Assessment), ODARA (Ontario Domestic Assault Risk Assessments) etc.

[30] Vgl. hierzu Landespräventionsrat Niedersachsen a.a.O.: Artikel 10 Abs. 1 IK.

[31] djb, Stellungnahme zur effektiven Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland, 2018, S. 15., erhältlich im Internet: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K6/st18-02/ (Zugriff: 01.06.2020).

[32] Art. 23 IK und Erläuternder Bericht Nr. 133 ff.

[33] djb, 2. Themenpapier: Istanbul-Konvention: Umsetzungsdefizite bei Frauenschutzhäusern und Schutzunterkünften, 26. November 2019, S. 4, abrufbar unter: https://www.djb.de/themen/thema/ik/st19-25/ (Zugriff am 01.06.2020).

[34] Zu Einzelheiten der Finanzierung s. Sachstand „Frauenhäuser in Deutschland“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 27. Mai 2019, WD 9 – 3000 – 030/19, S. 6 ff., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/648894/7fe59f890d4a9e8ba3667fb202a15477/WD-9-030-19-pdf-data.pdf (Zugriff am 01.06.2020).

[35] Art. 12 IK und Erläuternder Bericht Nr. 85.

[36] Art. 13 IK.