Stellungnahme: 20-26


Für gerechte Rahmenbedingungen des Wechselmodells: Forderungen des djb zur angemessenen Berücksichtigung paritätischer Betreuung im Unterhalts- und Sozialrecht

Stellungnahme vom

Wenn gemeinsame Kinder nach Trennung eines Elternpaares nicht wie früher ganz überwiegend üblich hauptsächlich von einem Elternteil betreut werden (sogenanntes Residenzmodell), sondern beide Eltern sich die Betreuung gleichmäßig teilen (sogenanntes Wechselmodell/paritätische Betreuung), ergeben sich von der Gesetzgebung bislang nur unzulänglich erfasste finanzielle Folgen. Diese wirken sich zum Nachteil unterhaltsbeziehender Kinder und alleinerziehender Eltern aus, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt.

Reformbedarfe im Unterhaltsrecht

Mütter, die statistisch betrachtet vor und nach der Trennung am häufigsten Kinder betreuen und wegen der Kinderbetreuung Nachteile in ihrem beruflichen Fortkommen hinnehmen mussten und müssen, sind von den finanziellen Auswirkungen des Wechselmodells besonders oft negativ betroffen. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen zum Kindesunterhalt bei paritätischer Betreuung betont, dass eine Barunterhaltspflicht beider Elternteile besteht und berechnet werden müsse. Die Entscheidung für eine paritätische Betreuung der Kinder führt daher regelmäßig zur gesteigerten Erwerbsobliegenheit beider Eltern i.S.d. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB. Für Frauen in Teilzeitbeschäftigung wird deswegen der von ihnen zu tragende Anteil am Kindesunterhalt aus fiktiv ermittelten Einkünften einer Vollzeitstelle berechnet, auch wenn sie tatsächlich nur Teilzeit arbeiten. Dieses nur auf dem Papier vorhandene Einkommen und der daraus berechnete Kindesunterhalt fehlt aber tatsächlich in ihrem Budget. Hinzu kommt, dass sich bei unterschiedlich hohen Einkünften der Eltern ein Unterhaltsbetrag für Kinder ergibt, den der besserverdienende Elternteil, in der Regel der Vater, an den Elternteil mit dem geringeren Einkommen, in der Regel die Mutter zahlen müsste. Dieser Anteil wird – auch wegen mangelhafter Beratung bei dieser überaus komplexen Unterhaltsproblematik – zu oft nicht gezahlt bzw. gefordert.

Deswegen setzt sich der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) dafür ein, dass die Gesetzgebung eine Klarstellung zum Kindesunterhalt im Wechselmodell in die Unterhaltsvorschriften aufnimmt. Dabei sollte zugleich das Missverständnis ausgeräumt werden, im Residenzmodell beteiligten sich die betreuenden Elternteile nicht am Barbedarf ihrer Kinder. Der in diesen Fällen vom nicht betreuenden Elternteil zu zahlende Betrag liegt nämlich unter dem, was den Kindern eigentlich zusteht, weil er ausschließlich aus dem Einkommen des nicht betreuenden Elternteils berechnet wird. Für den Fehlbetrag kommen in der Regel die betreuenden Mütter auf.

Die finanziellen Auswirkungen des Wechselmodells auf den nachehelichen Ehegattenunterhalt sind noch gravierender. Infolge der häufigen Teilzeitbeschäftigung von Frauen während intakter Ehe und des – oft dauerhaft – aus solchen Erwerbsphasen resultierenden Einkommensgefälles zwischen Männern und Frauen, bleiben Mütter häufiger als Väter unterhaltsberechtigt. Ihre Unterhaltsansprüche sind im Wechselmodell jedoch schwächer ausgestaltet, denn seit der Unterhaltsreform kann bei Kindern, die älter als drei Jahre sind, in der Regel kein Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB mehr gefordert werden. Der einzig verbleibende Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB unterliegt anders als der Betreuungsunterhalt der Herabsetzung und /oder Befristung nach § 1578b BGB. Hier fordert der djb die Gesetzgebung auf, die Korrekturnorm des § 1578b BGB für Elternteile, die während des Zusammenlebens die Kinder hauptsächlich betreut haben und deswegen auch nach der Trennung Nachteile bei der Möglichkeit der Erzielung eines auskömmlichen Erwerbseinkommen hinnehmen müssen, anzupassen.

Reformbedarfe im Sozialrecht

Soll das Wechselmodell bzw. die paritätische Betreuung nicht nur ein Modell für gut-verdienende Eltern sein, muss die Gesetzgebung auch die sozialrechtlichen Auswirkungen der neuen Betreuungsformen verstärkt in den Blick nehmen.

Wegen der Pauschalierung der Regelleistungen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) werden existenzsichernde Leistungen für das Kind nach Aufenthaltstagen bei den Eltern berechnet; die monatliche Leistung wird also „aufgeteilt“. Dies berücksichtigt jedoch nicht, dass wegen der wechselnden Aufenthalte des Kindes höhere Aufwendungen für „Fixkosten“ bzw. die für Kinder notwendige „Infrastruktur“ in zwei Haushalten entstehen. Durch diese Aufteilung der existenzsichernden Leistungen für das Kind werden Mütter strukturell benachteiligt, weil sich dies auf ihr geringeres Budget stärker auswirkt. Der djb tritt daher seit 2016  dafür ein, das Sozialgeld (§ 19 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 23 Nr. 1 SGB II) für das betreffende Kind nicht aufzuteilen, sondern die höheren Kosten für eine paritätische Betreuung durch beide Eltern zusätzlich über einen Umgangsmehrbedarf beim zweiten Elternteil abzusichern. Auf einen entsprechenden Handlungsbedarf zur Sicherung der existenziellen Bedarfe von Kindern in Trennungs- und Scheidungsfamilien hat auch das Bundessozialgericht bereits im Jahre 2013 hingewiesen.

Entsprechend ist die Gesetzgebung auch beim Kinderzuschlag gefordert, Regelungen zum Wechselmodell zu schaffen. Die bisherige Lösung, dass ein Kinderzuschlag an die Kindergeldberechtigung gekoppelt ist und damit nur von einem Elternteil beansprucht werden kann, ist unbefriedigend. Nimmt man die Zielsetzung des Kinderzuschlages ernst, bei geringverdienenden Familien an der Schwelle zum SGB-II Bezug einen Eintritt ins Grundsicherungssystem zu vermeiden, leuchtet es nicht ein, dass diese Option nur einem der paritätisch betreuenden Elternteile offenstehen soll. Im Unterschied hierzu ist es dem Gesetzgeber im Wohngeldgesetz gelungen, verschiedene Betreuungsmodelle – inkl. des Wechselmodells – abzubilden.

Schließlich sieht der djb auch im Unterhaltsvorschussrecht gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Zwar greifen die aktuellen UVG-Richtlinien Modelle geteilter Sorge auf. Der Unterhaltsvorschuss für das Kind entfällt regelmäßig jedoch schon bei einer Aufteilung der Betreuung des Kindes mit einer Quote von 70 Prozent zu 30 Prozent. Dies benachteiligt insbesondere Mütter, die in der Regel weiterhin den größeren Betreuungsanteil schultern. Sie verfügen zudem oft über geringere Einkünfte als die Väter, sodass sie Unterhaltsausfälle empfindlich treffen. Von dieser Vorenthaltung des Unterhaltsvorschusses sind insbesondere Elternteile mit geringen und mittleren Einkommen, die nicht im SGB II-Bezug stehen, negativ betroffen. Für diese Gruppe sind Unterhaltsvorschussleistungen nicht nur ein durchlaufender „Rechenposten“. Vielmehr müssen die betroffenen Geringverdiener auch in paritätischen Betreuungsmodellen jenseits der 70/30-Quoten die Absicherung erhalten, für die das Unterhaltsvorschussgesetz generell steht: Eine schnelle und unkomplizierte Ersatzleistung, wenn die Unterhaltszahlung des anderen Elternteils ausfällt. Denn die Vermeidung von Versorgungslücken der betroffenen Kinder sollte das oberste Ziel dieser Familienleistung sein und allen getrenntlebenden Familien offenstehen, unabhängig vom jeweiligen Betreuungsmodell.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                             Brigitte Meyer-Wehage
Präsidentin                                                Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und
                                                                    Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften

                                                                    Dr. Ulrike Spangenberg
                                                                    Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich