Stellungnahme: 20-25


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsrechts

Stellungnahme vom

I. Vorbemerkungen

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in Aussicht genommenen Änderungen im Versorgungsausgleichsrecht.

Der Entwurf ist im Grundsatz zu begrüßen, weil er die Rechte der Ausgleichsberechtigten – und damit in überwältigender Mehrzahl geschiedener Frauen[1] - im Versorgungsausgleich stärken wird. Gerade die faktische Anhebung der Grenzwerte des § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG und vor allem des § 17 VersAusglG wird zu einer Eindämmung der aus Sicht der Ausgleichsberechtigten potentiell schädlichen externen Teilung der Anrechte beitragen. Der djb hält zwar nach wie vor eine Streichung des § 17 VersAusglG für eine aus Sicht der Ausgleichsberechtigen vorzugswürdigere Lösung, weil so bei den nach wie vor hohen Ausgleichswerten die Gefahr unerträglicher Transferverluste am effektivsten gebannt werden könnte[2]. Allerdings wird die Anhebung der Grenzwerte durch Addition mehrerer Anrechte oder Bausteine die negativen Konsequenzen der Beibehaltung des nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 2020[3] (1 BvL 5/18) verfassungskonformen § 17 VersAusglG mildern.

Die Einführung eines Wahlrechts der ausgleichsberechtigten Person ohne anwaltliche Begleitung im Falle der Minderung der auszugleichenden Werte bei Rentenbezug der Ausgleichspflichtigen sieht der djb dagegen kritischer. Angesichts der Tragweite etwaiger Entscheidungen ist es keinesfalls empfehlenswert, den dem Grunde nach in Folgesachen geltenden Anwaltszwang für derartige Entscheidungen wie bei der Auswahl eines Zielversorgungsträgers entfallen zu lassen.

II. Im Einzelnen

1. Zu Art. 1 Nr. 1 – § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG – E

Die Vorschrift soll durch einen Halbsatz ergänzt werden, nach dem für die Wertermittlung des Grenzwerts für die externe Teilung mehrere Anrechte im Sinne des Betriebsrentengesetzes bei einem Versorgungsträger addiert werden sollen.

a) Diese Ergänzung wird sich auf die Grenzwerte, bis zu denen Betriebsrententräger bereits nach geltendem Recht einseitig die externe Teilung verlangen können, auswirken. Aktuell liegt der Grenzwert für alle betrieblichen Versorgungsträger, die nicht die Privilegierung nach § 17 VersAusglG genießen (dazu sogleich), bei 7.644 EUR (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2020: 3.185 € x 240%). Diese Größenordnung verstand der Gesetzgeber als so relativ geringfügig, dass der Versorgungsträger sich der Last einer internen Teilung durch einseitiges Verlangen entledigen darf.[4] Dabei ist offenbar die Struktur betrieblicher Altersversorgungen nicht vollständig erfasst worden: Denn häufig werden aus einer Hand verschiedene, wirtschaftlich absolut eigenständige Anrechte gewährt, was auf unterschiedliche tarifliche Zusagen zurückgeht. Die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Anrechte bewirkt, dass mit dem Bundesgerichtshof (BGH) in jedem Fall eine isolierte Behandlung und Tenorierung der Anrechte notwendig ist.[5] Werden jedoch mehrere tarifliche Zusagen umgesetzt, ist der Grenzwert nach dem bisherigen Recht im Ergebnis nicht mehr „geringwertig“ im Sinne der Vorschrift, sondern entspricht im schlechtesten Fall einem Vielfachen des Gewollten. So ist etwa bei der VW – AG aktuell oft eine Grundrente mit zwei eigenständigen Beteiligungsrenten zugesagt, sodass der Grenzwert mit dem Faktor 3 multipliziert sein kann; ähnlich sind die Zusagen der Hoechst-Behring-Gruppe und der Daimler AG strukturiert. Letztlich ist die Frage der Steuerung in die interne oder externe Teilung mit einer Aufspaltung in unterschiedliche Zusagen auf diese Art und Weise dem Gesetz entzogen. Es ist daher zu begrüßen, dass der Gesetzgeber die Deutungshoheit über die Frage einer Geringfügigkeit durch die angedachte Gesetzesänderung zurückgewinnt.

Wünschenswert wäre es jedoch aus Sicht des djb, bei allen Anrechten aus einer Hand die Addition der Werte vorzusehen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.

b) Außerdem wird angeregt, eine Addition auch für die im Rahmen des § 18 VersAusglG zu bewertende Geringfügigkeit vorzuschreiben.

Denn eine Vielzahl von Ermessensentscheidungen sind in diesem Zusammenhang zu treffen und werden ggf. in zweiter Instanz überprüft, weil z.B. einzelne Bausteine geringfügig sind und andere nicht oder bei Addition eine Überschreitung der Grenzwerte Begründungsaufwand nach sich zieht .[6]

c) Im Bereich der Unterstützungskassen und Direktversorgungen, in denen § 17 VersAusglG die Grenzwerte noch weiter anhebt (auf aktuell 82.800 € je Anrecht/Baustein), ist die nun vorgeschlagene Addition auch notwendig, um der praktischen Gefahr ganz erheblicher Transferverluste bei der externen Teilung entgegenzuwirken. Das zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 2020 hat die Familiengerichte zwar explizit dazu aufgerufen, die Mitteilungen der Versorgungsträger zu etwaigen Ausgleichswerten daraufhin zu überprüfen, ob sich die in der Entscheidung beschriebenen erheblichen Verluste ereignen, um durch die Anordnung höherer als der vorgeschlagenen Ausgleichswerte eine den Halbteilungsgrundsatz verletzende Durchführung des Versorgungsausgleichs zu verhindern. Allerdings bereitet die Umsetzung der in dieser Hinsicht zu begrüßenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Praxis ganz erhebliche Schwierigkeiten, weil ein komplexes Rechenwerk zusätzlich zu bewältigen ist.[7] Deswegen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, die Gefahr erheblicher Transferverluste, die bei hohen Ausgleichswerten enorm ansteigt, durch eine Festlegung auf einen einzigen, durch Addition verschiedener Bausteine ermittelten Grenzwert zu verringern, zu begrüßen. Dazu kommt, dass damit der Aufwand für die Familiengerichte bei der Berechnung des Versorgungsausgleichs im Zusammenhang mit Anrechten, die nach § 17 VersAusglG privilegiert sind, sinken wird. Denn die Norm wird in einer erheblich geringeren Anzahl von Fällen überhaupt noch zur Anwendung kommen und die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Adäquanzprüfung damit seltener notwendig werden.

Es ist deswegen ebenfalls zu begrüßen, dass der Entwurf – anders als beim bisherigen § 18 VersAusglG – kein Ermessen einräumt.

2. Zu Art. 1 Nr. 2 - § 19 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG – E (iVm Art 2 Nr. 1 - § 114 FamFG-E)

Das Anrecht aus der betrieblichen Altersversorgung soll bei einem Werteverzehr wegen des Rentenbezuges einer ausgleichspflichtigen Person ggf. in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen werden. Das Wahlrecht soll nach der beabsichtigten Änderung des § 114 Abs. 4 Nr. 7 FamFG nicht dem Anwaltszwang unterliegen (Art. 2 Nr. 1 - § 114 FamFG-E).

a) Die Schaffung eines derartigen Wahlrechts verfolgt das Ziel, die Konsequenzen der vom BGH in den in der Begründung zitierten Entscheidungen und damit (im Ergebnis) akzeptierten Berechnung des versicherungsmathematischen Barwerts nach Verrentung abzumildern. Mit dem Entwurf ist jedoch davon auszugehen, dass diese Bewertungsrechtsprechung für die Ausgleichsberechtigten erhebliche Nachteile nach sich zieht; insbesondere ist diese bei langer Laufzeit des Scheidungsverbundverfahrens „mit Händen“ greifbar. Da gleichzeitig der Eintritt in den Ruhestand keineswegs damit einhergeht, dass die ausgleichspflichtige Person befürchten muss, durch den Rentenbezug zu irgendeinem Zeitpunkt eine Schmälerung der Anrechte erleben zu müssen, könnte die vorgeschlagene Lösung vordergründig den Interessen der Ausgleichsberechtigten dienen, denn – unabhängig von der Schmälerung des Kapitalwerts – könnte er ehezeitanteilgerecht den ihm an sich zustehenden Anteil an der nominal ausgezahlten Betriebsrente erhalten, wenn er den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich wählen dürfte.

Der djb hält die Verweisung in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich allerdings für eine Lösung, die nur ein*e gut beratene Ehepartner*in treffen sollte. Wie der Regierungsentwurf zutreffend angibt, sind die Schwächen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs durch die Strukturreform im Jahr 2009 teilweise ausgeglichen worden. So hat insbesondere die Einführung des verlängerten Versorgungsausgleichs nach § 25 VersAusglG hier einige Nachteile abgemildert. Es mag auch so sein, dass die Eheleute in den betroffenen Verfahren überwiegend beide nahe am Rentenalter sind und daher die Verpflichtung zur aktiven Geltendmachung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs sich nicht als kontraproduktiv erweist.

Allerdings muss mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass der schuldrechtliche Versorgungsausgleich bei Rechtsanwält*innen aus zwei Gründen bis heute als Haftungsfalle gilt:[8] Ein Anspruch auf den sog. verlängerten Versorgungsausgleich nach § 21 VersAusglG besteht oft nicht bei Wiederheirat der berechtigten Person. Die Hinterbliebenenversorgung der betrieblichen Altersversorgungen ist bei einer gültigen Wiederverheiratungsklausel[9] nämlich gegenüber erneut verheirateten Ausgleichsberechtigten gerade nicht zu zahlen, die schuldrechtliche Ausgleichsrente nach § 25 VersAusglG ebenfalls nicht. Die ausgleichsberechtigte Ehefrau erhält also bei der vorgeschlagenen Ausübung des Wahlrechtes nur dann ein sicheres, eigenständiges Anrecht, wenn sie nicht wieder heiratet. Stirbt dagegen der ausgleichspflichtige Ehemann und hat sie erneut geheiratet, so verliert sie die ihr zustehende Absicherung vollständig. Das kann – abgesehen von persönlichen, durch das Grundgesetz geschützten Interessen der Ehefrau – auch pekuniär von erheblichem Nachteil sein. Denn die betroffene Ehefrau erhält in diesem Fall nach dem Tod beispielsweise eines zweiten Ehemannes keine Witwenrente und ist andererseits auch erbschaftssteuerrechtlich nach einem Lebensgefährten bedeutend schlechter gestellt als eine Ehefrau nach einem Ehemann.

Dazu kommt, dass der schuldrechtliche Versorgungsausgleich wie üblich kurz vor Renteneintritt aktiv geltend gemacht werden muss und damit, wie die Erfahrung in der Praxis zeigt, nicht selten in Vergessenheit gerät. All das zeigt, dass – wie im Übrigen auch bei den in der Entwurfsbegründung erwähnten Vereinbarungen der Beteiligten zum Versorgungsausgleich – die Wahl des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs gründlich überdacht werden sollte, denn im schlimmsten Fall führt die Wahl faktisch zum Verzicht. Eine derartige Erklärung kann nach den in § 114 Abs. 4 Nr. 7 FamFG bislang aufgeführten Fällen wirksam nur ein Anwalt oder eine Anwältin abgeben.

Sollte die vorgeschlagene Wahllösung also zur Milderung eines Wertverlusts in das Versorgungsausgleichsgesetz aufgenommen werden, ist der Vertretungszwang beizubehalten. Eine ohne Vertretung gewählte Lösung ist mit dem Fürsorgegedanken, an den das Gesetz hier grundsätzlich anknüpft, nicht vereinbar.

b) Der Entwurf schlägt eine Ziff. 5 zu § 19 Abs. 2 VersAusglG vor.

§ 19 VersAusglG eignet sich systematisch jedoch nur bedingt als Regelungsstandort. Ein Werteverzehr wegen des Rentenbezugs der Ausgleichsberechtigten ist nur schwer dem Begriff „nicht ausgleichsreif“ zuzuordnen. Denn alle in der Norm bislang aufgelisteten Fälle betreffen Konstellationen, in denen „ein Hindernis“ dem Ausgleich entgegensteht. Es wird daher angeregt, das Wahlrecht an anderer Stelle zu verorten.

3. Zu Art. 1 Nr. 3 - § 30 Abs. 1 Nr. 1 VersAusglG

Der djb begrüßt die beabsichtigte Klarstellung. Im Ergebnis wird – vor allem in den Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG - die Änderung lediglich den Anteil des Anrechts betreffen, den die beteiligten Eheleute oft nur über ein nachgelagertes zivilrechtliches Verfahren nach Bereicherungsrecht zum Ausgleich bringen können. Ob ausgleichsberechtigte Eheleute diesen Weg beschreiten, ist regelmäßig auch im Hinblick auf Kostenrisiken ungewiss.

4. Zu Art. 2 - Änderung des FamFG

a) Zu Art. 2 Nr. 1 - § 114 Abs. 4 Nr. 7 FamFG

Wie unter II Nr. 2 näher ausgeführt, lehnt der djb diese Änderung ab.

b) Zu Art. 2 Nr. 2 - § 226 Abs. 2 FamFG

Der djb stimmt einer Erweiterung der Fristen, binnen derer die Abänderung des Versorgungsausgleichs vor Rentenbezug verlangt werden kann, ausdrücklich zu. Die Verfahrensdauer eines Abänderungsverfahrens zum Versorgungsausgleich ist – nicht zuletzt wegen der notwendigen Mitwirkung des Antragsgegners und der beteiligten Versorgungsträger – mit sechs Monaten bei weitem zu gering bemessen. Der Werteverzehr nach Rentenbezug führt außerdem bei längerer Verfahrensdauer zu einem weiteren Auskunftsaufwand bei Versorgungsträgern, die sich auf einen Werteverzehr berufen können. Sie müssen eine zweite, auf das tatsächliche Verfahrensende abstellende Auskunft übermitteln, wenn nicht eine*r der ausgleichspflichtigen Ehepartner*innen eine überproportionale Kürzung ihres Anrechts erleben soll. Betroffen sind im Übrigen nicht nur betriebliche oder private Altersversorgungen, sondern möglicherweise auch einige berufsständische Versorgungsträger.[10]

5. Zu Art. 3 – Änderung des SGB VI

Der djb hält es mit dem Regierungsentwurf für angemessen, eine doppelte Wertschöpfung durch Verzinsung des Ausgleichswerts einerseits und Partizipation an der Wertsteigerung in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Ehezeitende andererseits durch eine klare gesetzliche Regelung zu verhindern. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor bei (unrichtigem) Unterbleiben der Verzinsungsanordnung durch das Familiengericht den abgebenden Versorgungsträgern oder der ausgleichspflichtigen Person ein Zuwachs verbleibt, der eigentlich zu teilen wäre. Den „Schaden“ fängt hier aktuell die Deutsche Rentenversicherung auf, denn unterbleibt die Anordnung der Verzinsung, erhält der*die Berechtigte auf Kosten der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung, was vom abgebenden Versorgungsträger zu schultern wäre. Das Gesetz verhindert hier daher nur etwas einseitig einen Profit eine*r ausgleichsberechtigten Ehepartner*in, belässt aber ggf. etwaige Zinsgewinne dem abgebenden Versorgungsträger.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                             
Präsidentin

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und
Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften

 


[1]  Nachweise bei Radenacker/ Kreyenfeld et al: Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs, NZFam 2019, 937ff.

[2]  So auch Schwamb NZFam 2020, 575ff.

[3]  BVerfG, Urteil vom 26.5.2020 – 1 BvL 5/18 (OLG Hamm),NZFam 2020, 564ff.

[4]  BT-Drucks. 16/10144, S. 58.

[5]  BGH, Beschluss vom 01. Februar 2012 – XII ZB 172/11, BGH v. 18.5.2016 XII ZB 649/14.

[6]  Vgl. nur die Nachweise bei Siede, Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Rn. 20 zu § 18 VersAusglG, schon bei verschiedenen Versorgungsträgern wird tw. eine Addition vorgeschlagen, vgl. zum Meinungsstand Schüßler beck-OK, GesamtHrsg: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Hrsg: Maurer, Stand: 01.08.2020 Rn. 80-81.3. zu § 18 VersAusglG.

[7]  Vgl. nur Borth, FamRZ 2020, 1054ff; Schwamb, NZFam 2020, 575 (576); Fritzsche, ZAP 2020, 723 (727).  

[8]  So wörtlich Borth, Versorgungsausgleich, 8. Aufl., S. 430.  

[9]  Ausführlich: Noe/Steffens: Gewährung einer Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung nach § 25 VersAusglG, NZF am 2018, 150ff.

[10] Scholer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, etwa das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen.