Beitrag: 20-23


Auf dem Weg zu Parität in deutschen Parlamenten: Besprechung und Einordnung der Entscheidung des ThürVerfGH

Beitrag vom

Weitere Schritte auf dem Weg zur Parität 

Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Thüringen hat durch die bemerkenswerten Sondervoten die verfassungsrechtliche Debatte um die Parität neu belebt und kann den Weg für weitere Schritte zur Parität ebnen.

Im Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof Thüringen (ThürVerfGH) in einem Normenkontrollverfahren die im Landeswahlgesetz in § 29 Abs. 5 Thüringer Landeswahlgesetz (ThürLWG) eingeführte Paritätsbestimmung für nichtig erklärt (Urteil v. 15. Juli 2020, ThürVerfGH 2/20). Aus dieser Entscheidung folgt nicht, dass der Weg zur Parität grundsätzlich durch die Verfassung versperrt wird. Vielmehr lässt das in Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und Art. 3 Abs. 2 GG sowie in einigen weiteren Landesverfassungen verankerte Fördergebot Parität durchaus zu, wenn der Vorschrift nur hinreichend Gewicht beigemessen und eine historisch-kritische, ebenso wie zeitgerechte Interpretation vorgenommen wird. Dies bestätigen auch die beiden Sondervoten dreier Richter*innen.

1. Umstrittene Regelung

Die thüringische Paritätsregel war politisch äußerst umstritten und seine Anwendung durch einen politischen Skandal belastet. Nach der Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD und dessen unmittelbaren Rücktritt, haben sich SPD, Linke und Grüne mit der CDU auf einen sogenannten „Stabilitätsmechanismus“ geeinigt und wegen der auf April 2021 vorgezogenen Landtagswahl wie folgt verständigt: „Das Thüringer Paritätsgesetz wird mit Blick auf bevorstehende Neuwahlen und deren verfassungsrechtliche Unangreifbarkeit angepasst, dass dessen Regeln erst mit der Wahl der neunten Wahlperiode des Thüringer Landtags Anwendung finden.“ Noch hat die Landesregierung keine entsprechende Gesetzesänderung eingebracht. Neben der AfD hat sich auch die FDP gegen die Paritätsregelung positioniert, indem sie ein „Achtes Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes – Aufhebung der paritätischen Quotierung“ in den Landtag eingebracht hat (Drucksache 7/162 vom 22.01.2020). Das von der AfD in dem von ihr angestrengten Normenkontrollverfahren angegriffene „Siebte Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes“ vom 30. Juli 2019 (GVBl. 2019, S. 322) hatte in § 29 einen neuen Abs. 5 in das Landeswahlgesetz eingefügt, der eine paritätische Listenaufstellung fordert: „Die Landesliste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden kann.“ Es folgen noch Regelungen für Kandidat*innen, die ihre Geschlechtszuordnung mit divers bezeichnen.

2. Schwächen der Urteilsbegründung

Die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, der das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und die Chancengleichheit durch die Paritätsregelung als verletzt ansah, gibt Anlass zur Kritik. Insbesondere wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass Frauen bei der Erlangung von politischen Mandaten strukturellen Nachteilen ausgesetzt sind, die Grund genug zur Durchsetzung eines materiellen Gleichheitsverständnisses sind, also eines solchen, dass auch auf die Wirkungen des Gleichheitsgebots in der sozialen Wirklichkeit abstellt. Einem solchen materiellen Gleichheitsverständnis will das in Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und Art. 3 Abs. 2 GG verankerte Fördergebot im Einklang mit den Vorgaben der Frauenrechtskonvention gerade zum Durchbruch verhelfen, wenn es als Anknüpfungspunkt für gezielte Fördermaßnahmen auf die tatsächlichen Begebenheiten in der Lebenswirklichkeit abstellt.

Die Begründungen zur Verletzung der vorgenannten Wahlrechtsgrundsätze sind teilweise schwach. Etwa wenn es heißt, das Paritätsgesetz schränke „die Freiheit der Wählerinnen und Wähler ein, auf die Verteilung der Geschlechter im Parlament durch die Wahl einer Liste Einfluss zu nehmen, auf der jeweils nur oder überwiegend Männer oder Frauen aufgeführt sind“ (S. 28). Angesichts der Listenaufstellung durch die Parteien ist die beschriebene Möglichkeit der Wähler*innen zur Einflussnahme in der Wahlpraxis seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland vernachlässigbar gering. Das Paritätsgesetz greift nicht in den Wahlakt selbst ein, sondern setzt bei der Aufstellung von Kandidat*innen durch die Parteien an. Auf diese haben die Wähler*innen ohnehin keinen Einfluss.

Auch der Gleichheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 GG widersprechen Paritätsregelungen nicht. Zunächst bietet die in Art. 38 Abs. 1 GG verankerte Wahlrechtsgleichheit schon aus historischer Perspektive bereits auf der Ebene des wahlrechtlichen Gleichheitsbegriffs einen wesentlichen Anknüpfungspunkt für Parität. Sie gründet in der Vorstellung, dass nur durch Gleichheit die Vielfalt an Einstellungen und Interessen des nicht homogenen Volkes im Parlament angemessen repräsentiert werden kann und setzt damit voraus, dass diese auch tatsächlich gleichberechtigt am Gehalt der Wahlrechtsgleichheit teilhaben können. In Abweichung von dem durch den ThürVerfGH angenommen formalen Gleichheitsverständnis ist im Sinne eines materiellen Gleichheitsverständnis zu berücksichtigen, dass eine formal gleiche Behandlung tatsächlich keine Chancengleichheit gewährleisten kann, weil die Ausgangssituationen von Frauen und Männern verschieden sind.

Selbst unter Zugrundelegung eines formalen Gleichheitsverständnisses, das Gleichheit ohne Rücksicht auf die soziale Wirklichkeit begreift, erlaubt die Verfassung Parität. Denn die Wahlrechtsgleichheit ist auch dann im Zusammenspiel mit dem Gebot zur Förderung der Gleichberechtigung aus Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und Art. 3 Abs. 2 GG zu betrachten. Zwar mag eine Paritätsregelung in einzelnen Fallkonstellationen einen Eingriff in Art. 38 Abs. 1 GG begründen. Dieser wäre aber jedenfalls gerechtfertigt. Dem Gebot zur Förderung der Gleichberechtigung aus Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und Art. 3 Abs. 2 GG geht es über eine bloß formale Gleichheit hinaus, darum, die Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auch tatsächlich in der Lebenswirklichkeit anzugleichen. Das Gebot erlaubt und fordert Maßnahmen zur Herstellung von Chancengleichheit, sofern diese auf strukturellen Nachteilen beruhen. Solche strukturellen Nachteile bestehen für Frauen hinsichtlich der Erlangung politischer Mandate.

Eine erhebliche Schwachstelle des Urteils besteht darin, dass der Verfassungsgerichtshof sich nur unzureichend mit der Frage auseinandersetzt, ob diese beschriebenen Eingriffe durch das Gleichstellungsgebot aus Art. 2 Abs. 2 ThürVerf gerechtfertigt sind. Der Verfassungsgerichtshof erkennt zwar an: „Bei dem von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ThürVerf intendierten Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen handelt es sich um ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut, das als Rechtfertigungsgrund für Beeinträchtigungen auch der Freiheit und Gleichheit der Wahl grundsätzlich in Frage kommt“ (S. 40). Bei der Beantwortung der Frage, ob die Regelung im konkreten Fall des Paritätsgesetzes eine solche Beeinträchtigung rechtfertige, beschränkt sich der Verfassungsgerichtshof aber auf eine Untersuchung des historischen Ursprungs der Regelung von Anfang der 1990er Jahre (S. 41-44). Im Ergebnis dieser Untersuchung meint er feststellen zu können, dass die Regelung damals keine Paritätsregelungen umfassen sollte. Dabei verkennt der Verfassungsgerichtshof, dass die Verfassung nicht allein aus der Perspektive des historischen Verfassungsgebers, sondern zeitgerecht zu interpretieren ist.

Zuletzt verwirft der ThürVerfGH die von der anhörungsberechtigten Landesregierung geäußerte Meinung, Volksherrschaft in Verbindung mit der Idee der repräsentativen Demokratie ziele auf tatsächliche Widerspiegelung der in der Wählerschaft vorhandenen politischen Meinungen (S. 20). Diese Äußerung der Landesregierung erweckt tatsächlich den Eindruck, Frauen und Männer repräsentierten jeweils gewisse „politische Meinungen“, eine Ansicht, die der ThürVerfGH unter Verweis auf die Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber dem ganzen Volk zurückweist (S. 34). Mit dieser Argumentation wird der Kern der Sache verfehlt. Die gleichmäßige Repräsentation von Frauen und Männern in Parlamenten soll nämlich nicht allein und ausschließlich konkrete politische Meinungen fördern oder eine Spiegelbildlichkeit der Bevölkerung herstellen, sondern zunächst und zuallererst einmal wesentliche Voraussetzungen schaffen durch die Beseitigung struktureller Nachteile, wie es Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 ThürVerf gebieten. Zielsetzung der Paritätsregelungen ist Chancengleichheit und nicht Ergebnisgleichheit. Erst dieses Verständnis verschafft nicht nur Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 ThürVerf hinreichend Geltung, sondern berücksichtigt, dass Parlamente kein abstraktes Spiegelbild aller Gruppen der Gesellschaft sein müssen, obgleich vielfältig besetzte Parlamente durchaus wünschenswert wären.

Der Einwand der Demokratiegefährdung durch das Paritätsgesetz ignoriert, dass auch die derzeitige Unterrepräsentation von Frauen in den Parlamenten ein demokratisches Problem darstellt, das es dringend zu lösen gilt. Diesem Problem wollte das Paritätsgesetz gerade abhelfen. Das Urteil gibt zum wiederholten Male Anlass, sich in der Bundesrepublik mit dem Verhältnis von Demokratie und Geschlecht auseinanderzusetzen und über verfassungsrechtliche Maßstäbe für eine „gerechte Staatlichkeit“ (Cara Röhner) zu diskutieren. Einen solchen Maßstab bietet ein relationaler Begriff von Demokratie, der die Exklusionsmechanismen anerkennt und die Gleichberechtigung der Geschlechter als Verfassungsauftrag einbezieht. Im Ergebnis und tatsächlich wird Demokratie erst dann ihrem Anspruch gerecht, wenn weder geschriebene noch ungeschriebene Regeln diskriminieren und die gleichberechtigte Präsenz zuvor Ausgeschlossener in allen staatlichen Institutionen erreicht ist.

3. Bestärkung durch Sondervoten

Eine Stütze finden die Paritätsregelungen und die bereits zuvor vom djb geäußerte Auffassung zu ihrer Verfassungsmäßigkeit in dem Sondervotum der Richterin Licht und des Richters Petermann. Dieses Sondervotum weist nach, dass Parität unter den bestehenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen durchaus möglich ist und bestätigt damit die Auffassung des djb, die zuvor bereits in der Literatur Bestätigung erfahren hatte. Das Sondervotum holt zudem die vom Verfassungsgerichtshof versäumte Untersuchung der Tatsachengrundlage nach und legt als Voraussetzung für das Gleichstellungsgebot des Art. 2 Abs. 2 ThürVerf die strukturelle Benachteiligung von Frauen dar. Es erkennt den geringen Anteil weiblicher Mitglieder der im Landtag vertretenen Parteien in Thüringen als einen Beleg struktureller Benachteiligung. Als Ursache hierfür erkennt es „männlich vorgeprägte Organisationsstrukturen“ (S. 54).

Licht und Petermann wenden sich in ihrem Sondervotum auch gegen die Auslegung der Geschichte der Norm, wie sie die Mehrheit der Richter*innen vornehmen. Sie stellen klar, es sei bei der Verfassungsdiskussion „um Quoten im Erwerbsleben“ gegangen, die tatsächlich Anfang der 1990er Jahre noch kontrovers diskutiert wurden und wo inzwischen eine erhebliche Weiterentwicklung der Dogmatik zu verzeichnen ist. Die Mehrheit berücksichtige außerdem nicht, „dass zum Zeitpunkt der Entstehung der Verfassung die Grundgesetzänderung und die mit ihr verbundene Debatte noch nicht abgeschlossen war“ (S. 57).

Auch nach Ansicht des djb gewichtet die historische Auslegung, wie sie der ThürVerfGH vornimmt, den Verlauf der Diskussion vom Anfang der 1990er Jahre falsch. So werten die Richter*innen die Ablehnung der relativ umständlichen Formulierung, es sei „darauf hinzuwirken, dass Frauen und Männer in kollegialen öffentlich-rechtlichen Beschluss- und Beratungsorganen zu gleichen Anteilen vertreten“ seien, als Beweis, dass eine Paritätsregelung ausdrücklich nicht gewollt gewesen sei. Mit der, durchaus naheliegenden, Auslegung der im Verfassungstext niedergelegten „Vertretung zu gleichen Anteilen“ die Paritätsregelung zu stützen, setzt sich das Gericht nicht auseinander. Zudem teilt der THürVerfGH keine hinreichenden Indizien mit, die für einen Willen stehen, entgegen dem weit gefassten Wortlaut des Art 2 Abs. 2 ThürVerf („Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern.“) bestimmte Interpretationen konkret ausschließen zu wollen. Die entstehungsgeschichtliche Argumentation des ThürVerf überzeugt nicht. Ergänzend ist anzumerken, dass eine historisch-kritische Auslegung langen Ausschluss von Frauen vom Wahlrecht und die hieraus abgeleitete ursprüngliche Zielsetzung der Wahlrechtgleichheit in die Überlegungen einbeziehen muss.

Auch das Sondervotum der Richterin Heßelmann konzentriert sich auf die Begründung, warum Art. 2 Abs. 2 ThürVerf einen Rechtfertigungsgrund für die beschriebenen Eingriffe darstellt. Unter Anwendung der juristischen Auslegungsregeln analysiert sie Wortlaut, Sinn und systematische Stellung der Regelung. Dabei wertet sie die Auswirkung der angegriffenen Paritätsregelung als einen schwachen Eingriff gegen die von der Mehrheit beschriebenen Wahlrechtsgrundsätze: „Das Paritätsgesetz bewirkt nämlich im Ergebnis weder eine starre Quote, noch räumt es Ergebnisgleichheit ein“ (S. 49). Die Forderung nach Chancengleichheit statt Ergebnisgleichheit findet damit im Sondervotum ihre Stütze.

Ergänzend führen die Richter*innen Licht und Petermann im zweiten Sondervotum aus, dass ihre Richterkolleg*innen versäumt haben, „die Eingriffsintensität der im geltenden Wahlrecht des Landes existierenden verfassungsrechtlich gerechtfertigten Einschränkungen in ein Verhältnis zu den mit dem ParitG verbundenen Einschränkungen zu setzen“ (S. 60). Als bereits geltende Einschränkungen führen sie unter anderem die Sperrklausel, die Überhangmandate und die Festlegung eines Mindestwahlalters an (S. 61). Dies ist ein wesentlicher Aspekt, spielt doch die Abwägung der kollidierenden Verfassungspositionen für die verfassungsrechtliche Einordnung eine wesentliche Rolle. Insbesondere sind etwaige Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze dann gerechtfertigt, wenn eine solche Abwägung ergibt, dass das Fördergebot aus Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und Art. 3 Abs. 2 GG überwiegt.

Warum der Gerichtshof bei der Prüfung dieses grundrechtsgleichen Rechts eine Verhältnismäßigkeitsprüfung umgeht, ist nicht nachvollziehbar. Nach der üblichen Methodik ist eine klassische Grundrechtsprüfung des Art. 2 Abs. 2 der ThürVerf zu erwarten. So würde nach der Bejahung des legitimen Zwecks (die gleichmäßige Verteilung der Parlamentssitze zwischen Frauen und Männern dient offensichtlich deren Gleichstellung) und der zuvor bejahten Eingriffe, die Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit erfolgen, bzw. müsste eine umfangreiche Abwägung der Interessen (Verhältnismäßigkeitsprüfung) stattfinden. Stattdessen begnügt sich der Verfassungsgerichtshof mit einer Wortlautauslegung von Art. 2 Abs. 2 ThürVerf, um dann über ausführliche Erörterungen der Entstehungsgeschichte der Norm zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die von ihm dergestalt festgestellten Eingriffe in Wahlrechtsgrundsätze ein Paritätsgebot nicht zu rechtfertigen vermögen.

4. Schritte zur Parität

Demgegenüber zeigen die beiden Sondervoten in überzeugender Weise, dass der verfassungsrechtliche Diskurs noch lange nicht zu Ende ist, ja, sie befeuern ihn gar. Sie widerlegen die Ausführungen der Mehrheitsentscheidung, deren Betrachtungen zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen, zur Auslegung des Art. 2 Abs. 2 ThürVerf und zur Eingriffsintensität nicht überzeugen. Die beiden Sondervoten können damit den Weg für Paritätsregelungen ebnen. Sie vermessen und erweitern den verfassungsrechtlichen Begründungs- und Entscheidungsrahmen und zeigen mit guten Gründen auf, dass die Entscheidung eines Verfassungsgerichts – sei es eines anderen Landes- oder des Bundesverfassungsgerichts – auch anders und damit für Parität ausfallen kann, die Sondervoten die bereits vor der Entscheidung geführte verfassungsrechtliche Diskussion zur Verfassungsmäßigkeit der Parität nachhaltig beeinflussen, auch in Hinblick auf zukünftige Initiativen sowie weitere verfassungsgerichtliche Entscheidungen. Dies gilt insbesondere für die anstehende Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zum dortigen Paritätsgesetz. Die bereits durch den djb vorgebrachten und auch in der Literatur sowie in den Sondervoten vorgebrachten Argumente können nicht unberücksichtigt bleiben.

Die Debatte geht weiter. Wie das Echo in Bund und Ländern belegt, besteht weiter Handlungsbedarf für mehr Teilhabe und Repräsentation von Frauen in den Parlamenten. Wie kann der Staat dem Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG nachkommen? Wie können Parteien ihre Kandidat*innen aufstellen? Was hindert Frauen daran, sich auf kommunaler, Landes- und Bundesebene zur Wahl zu stellen? Und welche Rahmenbedingungen müssen verändert werden?

Der zuletzt dramatisch rückschrittliche Frauenanteil in den Parlamenten zeugt davon, dass vermeintlich neutrale Regelungen für die Wahlen zu den Parlamenten oder die Besetzung von Staatsämtern im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen Männer faktisch bevorteilen. Wenn Parteien nicht freiwillig dafür sorgen, Frauen als Kandidatinnen zu gewinnen, dürfen sie aufgrund des verfassungsrechtlichen Fördergebots auf dem gesetzlichen Weg in die Pflicht genommen werden. Paritätsregelungen wie in Thüringen oder Brandenburg, zielen darauf ab, Ungerechtigkeiten des aktuellen Wahlsystems zu korrigieren und der Vorstellung von der Gleichheit der Wahl tatsächlich Geltung zu verschaffen. Es braucht nach aller historischen Erfahrung offensichtlich Gesetze, um Diskriminierung zu beseitigen und die Gesellschaft fortzuentwickeln. Das Ziel ist es, diskriminierende Strukturen zu überwinden und so Chancengleichheit zu gewährleisten. Das logische und erwünschte Ergebnis wäre dann in der Tat: Für die Hälfte der Bevölkerung, die Hälfte der Macht!

 

Prof. Dr. Maria Wersig       
Präsidentin

Dr. Sina Fontana  
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht,
Öffentliches Recht, Gleichstellung