Stellungnahme: 20-19


zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen“

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt das Anliegen des Gesetzentwurfs, unbefugte Bildaufnahmen der Genitalien, des Gesäß- und weiblichen Brustbereiches unter Strafe zu stellen.

Der djb befürwortet den Gesetzentwurf der Bundesregierung, regt jedoch dringlich einige Änderungen an, die unter II. und III. näher ausgeführt werden. Insbesondere sind folgende Änderungen vorzunehmen:


 ? Im Zuge der Änderungen ist klarzustellen, dass § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n. F. neben dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient (vgl. II.)

 ? Inter* Personen mit weiblicher Brust sind in den Schutzbereich der Norm aufzunehmen (vgl. III.1)

 ? Im Zuge der Änderungen ist klarzustellen, dass die abgebildete Person in den Fällen des auf § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. nicht identifizierbar sein muss (vgl. III.2)

 ? Das Tatbestandsmerkmal „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“ ist zu streichen. Stattdessen sollte die Formulierung „soweit diese nach dem erkennbaren Willen der anderen Person gegen Anblick geschützt sein sollen“ aufgenommen werden (vgl. III.3);§

 ? 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. ist nicht in den Katalog der Privatklagedelikte des § 374 StPO aufzunehmen (vgl. III.5);§

 ? 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. ist in den Katalog der Nebenklageberechtigung in § 395 Abs. 1 StPO aufzunehmen (vgl. III.6).

I. Notwendigkeit eines Straftatbestandes

Der djb begrüßt, dass der Gesetzesentwurf anerkennt, dass mit Blick auf das unbefugte Fotografieren intimer Bereiche des Körpers strafrechtliche Schutzlücken bestehen.

Bislang war im Fall des unbefugten Fotografierens unter den Rock (sogenanntes „Upskirting“) unter bestimmten Voraussetzungen § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit) einschlägig. Dieser erfasst das Tatunrecht aber nur unzureichend. Das unbefugte Fotografieren intimer Bereiche des Körpers greift primär in die sexuelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person ein;[1] die Allgemeinheit, die eine solche Form des Übergriffes im öffentlichen Raum nicht duldet, ist davon nur sekundär betroffen.

Beim Phänomen des unbefugten Herstellens oder Übertragens von Bildaufnahmen der Genitalien, des Gesäß- und weiblichen Brustbereiches handelt es sich um eine Erscheinungsform geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen: Darunter fallen, der in Deutschland seit dem 1. Februar 2018 geltenden Istanbul-Konvention (IK) zufolge,[2] alle Handlungen geschlechtsspezifischer Natur, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben.[3] Geschlechtsspezifischer Natur sind sie dann, wenn sie sich gegen eine Frau richten, weil sie eine Frau ist oder Frauen unverhältnismäßig stark betreffen.[4] Die unbefugte Herstellung oder Übertragung solcher Bildaufnahmen fällt unter die Konvention, insbesondere weil sie Frauen unverhältnismäßig häufig betrifft. Zugleich ist dieses Phänomen im Kontext der sexualisierten Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum zu sehen.[5] Darüber hinaus ist die sich oftmals anschließende Verbreitung der Bilder über digitale Medien und Netzwerke im Internet und Darknet typisch für gegen Frauen und vulnerable Gruppen gerichtete Formen von digitaler Gewalt.[6]

Die strafrechtliche Ahndung des unbefugten Fotografierens des Intim-, Gesäß- und weiblichen Brustbereiches entspricht dabei den Vorgaben der Istanbul-Konvention. Artikel 40 IK – der die Überschrift „Sexuelle Belästigung“ trägt – sieht vor, dass „jede Form von ungewolltem sexuell bestimmtem verbalem, nonverbalem oder körperlichem Verhalten“ strafrechtlich oder in einer sonstigen Form zu sanktionieren ist. Nach den Erklärungen im Erläuternden Bericht zur Istanbul-Konvention umfasst nonverbales Verhalten „jeden Ausdruck und jede Kommunikation seitens des Straftäters bzw. der Straftäterin, die weder Worte noch Laute einschließt“[7]. Die Konvention sieht zwar Sanktionsmöglichkeiten außerhalb des Strafrechtes vor. Eine strafrechtliche Sanktionierung ist in Fällen des unbefugten Fotografierens des Intimbereiches oder anderer üblicherweise nicht zur Schau gestellter Körperregionen indes angemessen. Sowohl das verwirklichte Handlungs- als auch das Erfolgsunrecht (Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die damit einhergehenden Folgen) sind durch einen derartigen Übergriff als hoch anzusehen; ein späteres Verbreiten führt zu einer weiteren Vertiefung des Unrechtsgehaltes. Das strafwürdige Unrecht ist vergleichbar einerseits mit dem der unbefugten Bildaufnahmen in räumlichen Schutzbereichen und andererseits mit dem der sexuellen Belästigung nach § 184i StGB verwirklichten Unrecht, etwa beim ungewollten Herandrängen durch eine andere Person – beides kann beim Opfer zu Gefühlen von Hilf- und Machtlosigkeit, Scham- und Schuldgefühlen[8] oder Verhaltensbeschränkungen führen. Eine Regelung als Ordnungswidrigkeitentatbestand und die damit verbundene Einstufung als eine Zuwiderhandlung mit erheblich vermindertem Unrechtsgehalt[9] entspräche daher nicht dem durch die Handlung verwirklichten Tatunrecht. Eine strafrechtliche Regelung des Phänomens wird nachdrücklich begrüßt.

II. Verankerung in § 201a StGB

Die Verankerung der neuen Regelung im § 201a StGB wird als praktikable Lösung angesehen. Allerdings ist zu beachten, dass die in Rede stehenden Handlungen auch einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers bedeuten. Im Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 8. November 2019 wurde insoweit zutreffend ausgeführt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Phänomen um einen Angriff gegen die sexuelle Selbstbestimmung handelt, da der Täter das Opfer (ohne/gegen dessen Willen) zum Objekt sexuellen Begehrens macht.[10] Insofern ist eine Verankerung im 13. Abschnitt des StGB (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung), wie sie auch der Gesetzentwurf des Bundesrats zum Gegenstand hat, durchaus naheliegend. Eine Verankerung in § 201a StGB erweist sich jedoch insofern als praktikabel, als dass die Norm dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dient. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient auch dem Schutz der Intimsphäre, u.a. im Bereich der Sexualität. Dieses Rechtsgut weist eine besondere Nähe zum Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung auf. Auch in der verfassungsrechtlichen Dogmatik wird das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstanden.

Der djb fordert daher im Zuge der Änderungen klarzustellen, dass § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. neben dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient.

III. Konkrete Ausgestaltung des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F.

Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:

1. Erfassung der Genitalien, des Gesäß- und Brustbereiches

Der djb begrüßt, dass das unbefugte Fotografieren nicht nur der Genitalien, sondern auch des Gesäß- und Brustbereiches oder der diese Körperteile bedeckenden Unterbekleidung durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung strafrechtlich sanktioniert werden soll.

Der Gesetzentwurf des Bundesrats hingegen erscheint mit Blick auf den im Grundgesetz verankerten Bestimmtheitsgrundsatz bedenklich. Er will den „Intimbereich“ unter Schutz stellen, enthält aber weder in § 184k n. F. eine genaue Definition, welche Bereiche des Körpers hierunter fallen, noch führt er Begriffsbestimmungen in § 11 StGB ein. Der Vorschlag der Bundesregierung ist konkreter und bestimmt genug im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG. Zudem greift er zurück auf bereits bestehende Legalvorschriften, wenn er Begriffe wie „Genitalien“ und „Gesäß“ dem § 184b Abs. 1 Nummer 1 Buchstabe c StGB entlehnt.

Der djb begrüßt, dass das Merkmal der weiblichen Brust ausweislich der Entwurfsbegründung auch trans* Personen erfassen soll. Gleichwohl enthält die Formulierung mehrere Risiken. Zum einen besteht die Gefahr, dass bei Zugrundelegen einer binären Geschlechterordnung – die Gesetzesbegründung spricht nur von „Transgender“ – inter* Personen gänzlich aus dem Schutzbereich der Norm ausgeschlossen werden.[11] Zum anderen könnte die völlige Loslösung des Begriffs „weiblich“ als Attribut einer Brust vom Geschlecht seiner*ihrer Träger*in zu bedenklichem Verteidigungsvorbringen führen. Die Frage, ob eine Brust – gerade im Hinblick auf nicht binäre Personen – objektiv als weiblich angesehen werden kann oder nicht, als Gegenstand der Beweisaufnahme zuzulassen, birgt die Gefahr diskriminierender und entwürdigender Beweisanträge.

Der djb fordert, dass Personen mit weiblicher Brust unabhängig von ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in den Schutzbereich der Norm aufgenommen werden.

2. Identifizierbarkeit der abgebildeten Personen

§ 201a StGB a.F. erfordert bisher, dass die abgebildeten Personen identifizierbar sind.[12] Für die neue Tatvariante in § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB kann dieses Erfordernis nicht gelten, da sie ansonsten das Phänomen nur völlig unzulänglich erfassen würde. In den allermeisten Fällen wird eine Bildaufnahme nur der genannten Bereiche hergestellt, ohne dass das Opfer als solches identifiziert werden kann. Der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Opfers steht nicht mit der Identifizierbarkeit in Zusammenhang, sondern besteht in dem durch die Herstellung bzw. Übertragung der Bildaufnahme vom Täter zum Ausdruck gebrachten Hinwegsetzen über den erkennbaren Willen des Opfers, bestimmte besonders sensible Körperbereiche, dem Anblick Außenstehender zu entziehen, und der damit einhergehenden vom Täter intendierten Degradierung des Opfers zum (Sexual-)Objekt.

Auch der Wortlaut der Norm gebietet eine solche Auslegung, da im Gegensatz zu § 201a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB a.F. nicht Bildaufnahmen „einer anderen Person“, sondern solche „von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterbekleidung einer anderen Person“.

Dies betrifft insbesondere praxisrelevante[13] Begehungsweisen, die derzeit nicht unter § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen fehlender Identifizierbarkeit fallen, wie etwa das heimliche Abfilmen des Intimbereiches Betroffener auf Toiletten.[14]

Um sicherzustellen, dass die Praxis die bisherigen Maßstäbe zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „einer anderen Person“ nicht auf § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. überträgt, ist ausdrücklich klarzustellen, dass die abgebildete Person in den Fällen des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. nicht identifizierbar sein muss.

Der djb fordert, im Zuge der Änderungen klarzustellen, dass die abgebildete Person in den Fällen des auf § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. nicht identifizierbar sein muss.

3. Tatbestandsmerkmal „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“

Für problematisch wird befunden, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Strafbarkeit derzeit an das Tatbestandsmerkmal „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“ knüpft. Auch wenn – wie der Regierungsentwurf zutreffend ausführt – es für die Verwirklichung des strafwürdigen Unrechts auch darauf ankommt, ob der Täter sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt, seine besonders schützenswerten Körperregionen dem Anblick Außenstehender zu entziehen[15], steht mit der oben genannten Formulierung zu befürchten, dass der Schutzbereich zu sehr beschränkt wird und Teile des strafwürdigen Unrechts nicht vom Tatbestand erfasst werden.

Hintergrund ist zum einen, dass das Tatbestandsmerkmal die Frage aufwirft, wann ein körperlicher Bereich gegen Anblick geschützt ist und wie umfassend dieser Schutz sein muss. Diskussionen darüber, ob ein „sehr“ kurzer Rock, eine „sehr“ knappes Oberteil oder eine zu durchsichtig erscheinende Bekleidung zureichend vor dem Anblick anderer schützen, sind damit unfraglich zu erwarten. Es steht zu befürchten, dass so opferbeschuldigende und von Sexualitätsmythen geprägte Argumente („Wenn sie sich so anzieht, will sie das doch bzw. ist sie selbst schuld“) und stereotype Narrative von „anständiger“ und dadurch zugleich vor dem Anblick schützender Bekleidung auf der Tagesordnung stehen und die Auslegung und damit letztlich Strafbarkeit beeinflussen. Dies stünde nicht im Einklang mit den Vorgaben der Istanbul-Konvention, die in Art. 49 Abs. 2 IK erfordert, dass Strafverfolgungsmaßnahmen wegen geschlechtsspezifischer Gewalt, zu denen das in Rede stehende Verhalten unfraglich zählt, von einem „geschlechtsbewusste[n] Verständnis von Gewalt“ getragen sein müssen. In diesem Zusammenhang weist der djb auch mit Nachdruck auf die aus der Istanbul-Konvention folgende Verpflichtung zur Bereitstellung geeigneter Fortbildungsangebote für alle Personengruppen, die beruflich mit den Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt zu tun haben, hin.[16]

Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich der Täter beim unbefugten Fotografieren absichtlich gerade auch Bewegungen des Opfers zunutze machen, bei denen ein Kleidungsstück verrutscht oder ein Körperbereich aufgrund eines bestimmten Winkels kurzzeitig nicht mehr gegen den Anblick geschützt ist – etwa wenn sich das Opfer bückt oder eine bestimmte Sitzhaltung einnimmt. Ebenso werden zum Teil absichtlich äußere Gegebenheiten genutzt, die zu einem Verrutschen der Kleidung führen, wie etwa, wenn das mit Rock oder Kleid bekleidete Opfer über bzw. an einem Belüftungsschacht vorbeiläuft. Strafwürdiges Unrecht des Verhaltens des Täters ist – wie der Regierungsentwurf zutreffen ausführt – das Hinwegsetzen über den erkennbaren Willen des Opfers, seine besonders schützenswerten Körperregionen dem Anblick Außenstehender zu entziehen. Dieser Wille besteht jedoch auch dann weiter und ist als solcher erkennbar, wenn die Kleidung des Opfers kurzzeitig verrutscht und in diesem Moment nicht mehr gegen Anblick schützt.

Ebenso besteht der erkennbare Wille weiter, auch wenn sich das Opfer in einem vor Einblick geschützten Raum teilweise entkleidet, wie beispielsweise in einer Toilette. Auch auf diese Weise entstandene Aufnahmen der genannten Körperregionen sollten unter den Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. fallen, wenn sie aufgrund der mangelnden Identifizierbarkeit nicht die Voraussetzungen des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen. Denn nicht nur Bekleidung soll vor Anblick schützen, auch die (teilweise) Entkleidung in einem geschützten Raum im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB bringt eindeutig den erkennbaren Willen zum Ausdruck, diese Körperregionen vor Anblick zu schützen.

Der djb fordert, das Tatbestandsmerkmal „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“ zu streichen und schlägt stattdessen folgende Formulierung vor:

von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterbekleidung einer anderen Person unbefugt eine Bildaufnahme herstellt, soweit diese nach dem erkennbaren Willen der anderen Person gegen Anblick geschützt sein sollen, oder diese überträgt

Im Zuge der Änderungen sollte auch klargestellt werden, dass nicht nur Bekleidung gegen Anblick schützen soll, sondern auch geschützte Räume im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Soweit die derzeitige Formulierung in § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB beibehalten wird, weist der djb darauf hin, dass die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“ nicht mit einer Bewertung der Bekleidung als „angemessen“ bzw. „anständig“ einhergehen darf. Auch kurze Röcke oder Kleider, knappe Hosen oder Oberteile bringen erkennbar den Willen des Opfers zum Ausdruck, seine besonders schützenswerten Körperregionen dem Anblick Außenstehender zu entziehen.

4. Strafantragserfordernis

§ 205 Abs. 1 S. 2 StGB sieht vor, dass Taten nach § 201a StGB nur auf Antrag und im Fall eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung von Amts wegen verfolgt werden. Nach den Vorgaben des Gesetzesentwurfes soll dies auch für § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. gelten. Die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt ist – in Abgrenzung zum absoluten Antragsdelikt – zu begrüßen.[17]

Aufgrund der oftmals heimlichen Natur des Deliktes und der Art der Aufnahmen wird aufgefundenes Bildmaterial, etwa im Rahmen eines Zufallsfundes, oder sichergestelltes Material über die frisch ertappte Tat hinaus, regelmäßig identifizierbaren Opfern nicht mehr zuzuordnen sein. Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung sollte insbesondere in folgenden Fällen angenommen werden: Auffinden einer Vielzahl von Bildern; Verbreiten von Bildern auf Plattformen, Messenger-Diensten u.ä.; gewerbsmäßige Handlungen bzw. solche mit Gewinnerzielungsabsichten; minderjährige Opfer; wenn der Täter aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen gehandelt hat. Eine entsprechende Änderung der RiStBV wird angeregt.

Zwar werden, wie oben festgestellt, durch das oftmals heimliche Aufnehmen primär individuelle Rechtsgüter (Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und allgemeines Persönlichkeitsrecht) verletzt. Allerdings bleibt die Allgemeinheit sekundär betroffen. So muss das Anfertigen derartiger Aufnahmen im größeren Kontext der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen verstanden werden. Es ist daher auch im Interesse der Allgemeinheit, den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und die unbeschränkte Bewegungsfreiheit von Frauen im öffentlichen Raum unabhängig von der Art der Bekleidung ohne Repressalien und Selbstbeschränkungen zu ermöglichen. Deswegen ist sachgerecht, Taten auch ohne Strafantrag verfolgen zu können, wenn die Opfer sich nicht identifizieren lassen.

5. Ausgestaltung als Privatklagedelikt

Der djb hält indes die Aufnahme des § 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. in den Katalog der Privatklagedelikte für nicht angebracht. Hintergrund ist, dass ein Beschreiten des Privatklagewegs mit teils als erheblich empfundenen Belastungen sowie großem finanziellen Risiko für das Opfer verbunden ist. Ist der Täter unbekannt, ist ein erfolgreiches Beschreiten des Privatklagewegs zudem so gut wie ausgeschlossen. Eine Ausgestaltung als Privatklagedelikt wird des Weiteren – gerade in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt – den Rechten und Interessen der Opfer nicht gerecht; so hat auch der EGMR in Fällen von häuslicher Gewalt betont, dass die Verweisung auf den Privatklageweg unangemessen ist und nicht den Vorgaben der Konvention entspricht, da so dem Opfer „eine exzessive Bürde“ auferlegt wird.[18] Eine Verweisung auf den Privatklageweg würde daher dem Gedanken des Opferschutzes widersprechen. Die Bundesregierung hat aus diesem Grund in der letzten Legislatur die Vorschrift des § 238 StGB (Nachstellung) aus Opferschutzgesichtspunkten aus dem Katalog der Privatklagedelikte herausgenommen.[19] Gleiches sollte für die neue Regelungsvorschrift gelten; der Änderungsbefehl in Artikel 2 sollte entsprechend angepasst werden.

Zu beachten ist des Weiteren, dass in jedem Fall die Vorschrift der Nr. 86 RiStBV jetzt bereits die Bejahung des öffentlichen Interesses in den Fällen des § 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. nahelegt. Denn Nr. 86 RiStBV regelt, dass das öffentliche Interesse regelmäßig dann vorliegt, wenn der Täter aus sonstigen menschenverachtenden Beweggründen handelt. Unter diese fallen auch frauenverachtende Beweggründe[20] – ebenso wie behindertenfeindliche, trans*feindliche oder homophobe Beweggründe.[21] Die Verwirklichung des § 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. wird regelmäßig von frauenverachtenden Beweggründen getragen sein. Der djb fordert darüber hinaus eine klarstellende Änderung der Nr. 86 RiStBV, dass in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt ein öffentliches Interesse regelmäßig anzunehmen ist.

Der djb fordert, § 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. nicht in den Katalog der Privatklagedelikte des § 374 StPO aufzunehmen.

6. Nebenklageberechtigung

Der djb regt nachdrücklich an, § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n. F. in den Katalog des § 395 Abs. 1 StPO aufzunehmen. Dies entspricht dem Gesetzentwurf des Bundesrates. Die Nebenklage ist gerade bei Erscheinungsformen von geschlechtsspezifischer Gewalt ein sehr wichtiges Instrument zum Schutz des Opfers und zu Vermeidung einer Sekundärviktimisierung im Strafprozess;[22] zumal vorliegend eine geschlechtergerechte Handhabung und Auslegung des Tatbestands angesichts der oben unter II.3 ausgeführten Problematik besondere Bedeutung erlangt.

Mindestens aber sollte 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n. F. in § 395 Abs. 3 StPO aufgenommen werden. Dies ist vor allem sachgerecht, weil der Unrechtsgehalt der Tat schwerer wiegt als bei den Beleidigungsdelikten gem. §§ 185 ff StGB. Hier wäre zudem zu erwägen, ob der gesamte Straftatbestand des § 201a StGB aufzunehmen wäre.

Der djb fordert, § 201a Abs. 1 Nummer 4 StGB n. F. in den Katalog der Nebenklageberechtigung in § 395 Abs. 1 StPO aufzunehmen.

7. Prüfbitte des Bundesrates: Erfordernis eines Absichtsmerkmals

Der Bundesrat hat gebeten zu prüfen, ob ein Absichtserfordernis einzufügen ist, um der Gefahr zu begegnen, dass nicht hinreichend strafwürdige Verhaltensweisen erfasst werden.

In der Prüfbitte wird darauf Bezug genommen, dass alltägliche Fotografien, wie Aufnahmen von Personen, die leicht bekleidet auf einer Treppe sitzen, Fotos von einem erhöhten Standpunkt nach unten in eine weit ausgeschnittene Bluse, oder auch Fotos, in denen leicht bekleidete Prominente ungeschickt aus einem Auto aussteigen, ohne ein solches Absichtserfordernis vom Tatbestand erfasst sein könnte.

Der djb ist der Auffassung, dass ein solches Merkmal nicht erforderlich ist. Zwar erfordert § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F. lediglich bedingten Vorsatz. Jedoch setzt auch die Vorsatzform des dolus eventualis voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt konkret für möglich hält. Tut er dies, also hält er es bei der Bildaufnahme konkret für möglich, dass er auch Genitalien, Gesäß, weibliche Brust oder die diese Körperteile bedeckende Unterbekleidung einer anderen Person fotografiert, so liegt darin bereits die Verwirklichung des strafwürdigen Unrechts.

    Prof. Dr. Maria Wersig                         Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)   Präsidentin Vorsitzende der Kommission Strafrecht        

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Anmerkungen

[1] Siehe dazu auch djb, Stellungnahme zur Strafbarkeit des „Upskirting“ vom 11. Juli 2019, abrufbar unter https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st19-16/. Gleichzeitig wird im Gesetzesentwurf des Bundesrates „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereiches (sog. Upskirting)“, BR-Drs. 443/19, zu Recht auf die fehlende Möglichkeit der Einziehung bei der Verwirklichung des § 118 OWiG hingewiesen, vgl. Anlage zur Drs., S. 12, § 22 Abs. 1 OWiG.

[2] Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), BGBl. II 2017, S. 1026.

[3] Art. 3 lit. a IK.

[4] Art. 3 lit. d IK.

[5] Vgl. dazu auch Lembke, Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum, 11. Januar 2016, abrufbar unter: https://www.legal-gender-studies.de/sexuelle-uebergriffe-im-oeffentlichen-raum-rechtslage-und-reformbedarf.

[6] Siehe hierzu umfassend djb, Policy Paper, Mit Recht gegen Hate Speech – Bekämpfung digitaler Gewalt gegen Frauen, Stellungnahme vom 4. November 2019, abrufbar unter https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/ASDigi/st19-23/.

[7] Erläuternder Bericht zur Istanbul-Konvention, Art. 40, S. 83.

[8] Gesetzesentwurf des Bundesrates „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereiches (sog. Upskirting)“, Beschluss vom 8. November 2019, BR-Drs. 443/19, Anlage zum Beschluss S. 19.

[9] KK-OWiG/Rogall, 2018, Erster Teil. Allgemeine Vorschriften. Vorbemerkungen, Rn. 1.

[10] Gesetzesentwurf des Bundesrates „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereiches (sog. Upskirting)“, Beschluss vom 8. November 2019, BR-Drs. 443/19, Anlage zum Beschluss S. 2.

[11] Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017, 1 BvR 2019/16.

[12] BGH, Beschl. v. 26. Februar 2015, 4 StR 328/14; Fischer, StGB, 2019, § 201a, Rn. 5.

[13] Vgl. dazu Republikanischer Anwält*innenverein, Rechtliche Einschätzung zu sexualisierten Aufnahmen bei Festivals, 5. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/rechtliche-einschaetzung-zu-sexualisierten-aufnahmen-bei-festivals/c248efb168dadfc2c5fa9ffa37a05f84/

[14] In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass auch die im vorliegenden Gesetzesvorhaben nicht in den Blick genommene und derzeit nicht strafbare Verbreitung heimlich angefertigter – etwa mithilfe sog. spy-cams –Nacktaufnahmen außerhalb von geschützten Räumen im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB durchaus als strafwürdig erachtet wird.

[15] BT-Drucksache 19/17795, S. 12.

[16] Art. 15 Abs. 1 IK. Vgl. djb, Policy Paper: Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt, Stellungnahme vom 22. November 2018, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st18-18/.

[17] Gleiches gilt mit Blick auf den Regelungsvorschlag Gesetzesentwurf des Bundesrates „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereiches (sog. Upskirting)“, Beschluss vom 8. November 2019, BR-Drs. 443/19, Anlage zum Beschluss S. 1.

[18] EGMR Volodina gg. Russland, Urteil vom 9. Juli 2019, Nr. 41.261/17, para. 82; EGMR, Bevacqua und S. gg. Bulgarien, Urteil vom 12. Juni 2008, Nr. 71127/01, para. 83. Vgl. auch COUNCIL OF EUROPE COMMITTEE OF MINISTERS, Recommendation Rec(2002)5 of the Committee of Ministers to member states on the protection of women against violence, 30. April 2002, abrufbar unter: https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000016805e2612.

[19] Artikel 2 des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 1. März 2017, BGBl. I S. 386.

[20] BT-Drs. 19/17741, S. 18. Vgl. dazu auch Steinl, ZfRSoz 38 (2018), 179 ff.

[21] BT-Drs. 19/17741, S. 18.

[22] Vgl. djb, Policy Paper: Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt, Stellungnahme vom 22. November 2018, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st18-18/; Zur Zielsetzung der Nebenklage vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019, § 395 Rn. 5.