Stellungnahme: 20-13


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen

Stellungnahme vom

A. Allgemeines

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme und begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung nunmehr der im Koalitionsvertrag vom 18.2.2018 erfolgten Ankündigung zum Schutz von Kindern vor geschlechtsangleichenden medizinischen Eingriffen und damit den seit Jahren existierenden Forderungen von Interessenverbänden und internationalen Menschenrechtsinstitutionen nachkommen will. Der Entwurf stellt sich der Herausforderung, staatliche Schutzpflichten hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit nicht einwilligungsfähiger Kinder zu verwirklichen und zugleich die körperliche Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen. In dieser Hinsicht ist auch zu begrüßen, dass keine Unterscheidung zwischen intergeschlechtlichen und transgeschlechtlichen Kindern getroffen wird. Es gibt jedoch sowohl grundsätzliche Bedenken zu den Ausgangserwägungen anzumelden als auch zu den Lösungsvorschlägen im Einzelnen. Denn der Entwurf setzt sich mit bereits veröffentlichten (Regelungs?)Vorschlägen aus der Wissenschaft, beispielsweise denjenigen von Tönsmeyer[1], nicht auseinander.

B. Im Einzelnen

1. Gesetzesüberschrift und § 1631c Abs. 2 und Abs. 3 BGB-E: Doppelte Beschränkung gegenüber dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag

Ausgehend vom Koalitionsvertrag soll die gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass nur „geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr“ zulässig sein sollen.

Der Entwurf schränkt dies zum einen auf „operative“ (= chirurgische) und zum anderen auf „geschlechtsverändernde“ Eingriffe ein. Die Begründung dafür erfolgt erst auf S. 10/11 und vermag möglicherweise noch im Ansatz, aber nicht mehr bei näherer Betrachtung zu überzeugen.

a. Zur Beschränkung auf operative Eingriffe

Bereits jetzt ist die Einwilligung zu irreversiblen medizinischen Eingriffen an nicht einwilligungsfähigen Kindern gemäß §§ 1626, 1629 BGB nicht vom Vertretungsrecht der Sorgeberechtigten umfasst.[2] Dies umfasst kosmetische Operationen, aber auch sonstige irreversible Eingriffe. Der Entwurf geht hingegen davon aus, dass „Behandlungen, die ohne Operation hormonell auf die geschlechtliche Entwicklung einwirken,“ „den Spielraum für eine spätere selbstbestimmte Entwicklung des Kindes“ erhalten. Dabei wird zugleich unterstellt, dass diese hormonellen Behandlungen den Zweck haben, die geschlechtliche biologische „Entwicklung zu verzögern und dem Kind die Zeit zu geben, die nötige Reife für die Ausprägung seiner geschlechtlichen Identität zu erreichen“ (alle Zitate S. 11). Diese Zweckbestimmung zielt auf Hormongaben an transgeschlechtliche Kinder, um den Eintritt der Pubertät zu verzögern. Hormongaben an intergeschlechtlich geborene Kinder können aber auch irreversible Folgen und/oder belastende Nebenwirkungen in Bezug auf die geschlechtliche Entwicklung entfalten. Deshalb sollten alle medizinischen Eingriffe insoweit gleichgestellt sein.

b.  Zu den Begriffen „angeborenes biologisches Geschlecht“ und „Geschlechtsveränderungen“

Ob die Formulierung „angeborenes biologisches Geschlecht“ zutreffend gewählt ist, wird zu überdenken sein. Denn aufgrund gesicherter Erkenntnisse ist Geschlecht ein komplexes Zusammenspiel von körperlichen Merkmalen, gesellschaftlichen (auch medizinisch-naturwissenschaftlichen) Zuschreibungen und der Identität eines Menschen.[3] Die Gesetzesbegründung (S. 23) versteht unter dem Begriff  „angeborenes biologisches Geschlecht „die medizinische Einordnung des Körpergeschlechts als männlich, weiblich oder intergeschlechtlich“. Dann aber scheint der Diskurs über die Einführung einer dritten personenstandsrechtlichen Geschlechtsoption zur Bestimmung der körperlichen Geschlechtszugehörigkeit herangezogen zu werden (vgl. S. 13: „Personenkreis von Kindern des dritten Geschlechts“). Die Kategorie „divers“ im Personenstandsrecht beschreibt jedoch keine klar abgrenzbaren physischen Merkmale, sondern stellt eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche physische und psychische Konstitutionen dar und enthält zudem keine Aussage über die biologische Konstitution des Kindes, da auch intergeschlechtlich geborene Kinder gemäß § 22 Abs. 3 PStG als „männlich“ oder „weiblich“ registriert werden können.[4]

Nach dem Entwurf sollen zudem nur geschlechtsverändernde Eingriffe verboten werden, wobei dieser Begriff einerseits weiter als „geschlechtsangleichend“ verstanden werden soll. Denn es wird ausgeführt, dass das Verbot nicht auf „geschlechtsangleichende Operationen beschränkt werden (soll)“. Vielmehr soll es im Sinne einer allgemein kinderschutzrechtlichen Regelung auf alle „geschlechtsverändernden „Operationen und damit auf jede Änderung von jedem Geschlecht hin zu einem jeweils anderen erstreckt werden (S. 11). Andererseits legt der folgende Satz nahe, dass der Begriff „geschlechtsverändernd“ enger verstanden wird als „geschlechtsangleichend“. Denn Eingriffe ohne Änderung des jeweiligen Geschlechts, etwa an einem nur fehlgebildeten Genital, sollen nicht erfasst sein (S.11): „korrigierende Eingriffe“ an „fehlgebildeten“ Genitalien, die sich innerhalb des „angeborenen Geschlechts“ bewegen und dem Kind „das angeborene Geschlecht und damit eine selbstbestimmte geschlechtliche Entwicklung erhalten“ (S. 24). Diese weitreichende Ausnahme steht dem erklärten Gesetzeszweck, den Schutz geschlechtlicher und körperlicher Selbstbestimmung von Kindern sicherzustellen, entgegen und lädt zu Umgehungen des Verbots ein, indem „angeborenes biologisches Geschlecht“ und Indikation für einen beabsichtigten Eingriff möglicherweise aufeinander abgestimmt werden.

Denn die Definitionshoheit bleibt den Naturwissenschaften und der Medizin überlassen, die aber selbst, wie die Diskussion insbesondere der letzten zwei Jahrzehnte zeigt, Wandlungen unterliegt.[5] Der aus der Annahme eines angeborenen biologischen Geschlechts abgeleitete Terminus der „geschlechtsverändernden Operationen“ wirft mithin praktische Fragen auf, wenn nicht zugleich gesetzlich bestimmt wird, wer wann und auf welcher Grundlage das „biologisch angeborene Geschlecht“ feststellen soll und wo es dokumentiert ist; das Geburtenregister kann es nicht sein, da dort nur das von Geburtseinrichtungen und/oder den Sorgeberechtigten mitgeteilte und nicht das biologische Geschlecht registriert wird.[6] Aus dem besonderen Schutzbedarf nicht einwilligungsfähiger Kinder folgt jedoch der Bedarf an einer klaren und unmissverständlichen Regelung.

2. Zur Gesetzessystematik und zum fortbestehenden Verbot der Sterilisation nach (nunmehr) § 1631c Abs. 1 BGB-E

Die systematische Verortung des Verbots von Eingriffen im Genitalbereich im Sorgerecht und im Zusammenhang mit dem Verbot der Sterilisation Minderjähriger folgt Empfehlungen aus der Diskussion der Thematik der letzten Jahre[7] und ist sachgerecht. Zuzustimmen ist auch der Begründung (S. 21), dass § 1631c BGB = § 1631c Abs. 1 BGB-E für alle Minderjährigen, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Konstitution gilt, also auch für intergeschlechtlich Geborene (wenngleich die Formulierung in der Begründung etwas merkwürdig klingt, Minderjährige, die evtl. noch im Säuglings- oder Kleinkindalter sind, als Frauen und Männer zu bezeichnen.)

Ob hingegen eine Abgrenzung zwischen intendierter Sterilisation und Sterilisation als bloßer Nebenfolge in Bezug auf operative Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern, wie sie in der Begründung vorgenommen wird, geeignet oder auch nur möglich ist zur Verwirklichung des Schutzzwecks des Gesetzes, unterliegt starken Zweifeln. Die Abgrenzung ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen. Erst die Begründung erhellt, was der Gesetzgeber beabsichtigt. Dies ist kein geeignetes Instrument, um den Schutz von Kindern vor Unfruchtbarmachung sicherzustellen. Die Annahme der Begründung, Gonadektomien an intergeschlechtlichen Kindern nur dann Abs. 1 zu unterstellen, wenn sie „gerade die Unfruchtbarmachung des Kindes herbeiführen“ sollen, und für alle anderen Fälle Abs. 2 als lex specialis anzunehmen, scheint nicht praktikabel.

Das absolute Sterilisationsverbot an Minderjährigen, wie es durch die Einführung des § 1631c BGB mit dem Betreuungsgesetz von 1990 unmissverständlich geregelt wurde, darf nicht dadurch aufgeweicht werden, dass „operative Eingriffe, die primär der Zuweisung eines Geschlechts dienen und nur als Nebenfolge zugleich zur Unfruchtbarkeit führen“, aus dem Verbot herausgenommen werden, insbesondere zu einem Zeitpunkt, in dem über die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit der Gonaden auch medizinisch noch keine zuverlässige Aussage getroffen werden kann.

3.  Zum Verbot geschlechtsverändernder Eingriffe nach § 1631c Abs. 2 S. 1 BGB-E

Die Entwurfsbegründung stellt zu Recht als Zweck des § 1631c Abs. 2 S. 1 BGB-E Abs. 1 den „umfassenden Schutz des Kindes auf geschlechtliche Selbstbestimmung“ heraus (S. 22). Die weiteren Ausführungen der Begründung, insbesondere zur Abgrenzung zwischen geschlechtsverändernden und nicht geschlechtsverändernden Eingriffen (S. 23-26), zeigen jedoch deutlich nicht nur praktische Schwierigkeiten auf. Vielmehr scheint diese Unterscheidung insgesamt ungeeignet, das vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelte Recht auf geschlechtliche Identität zu wahren.[8] Dieses umfasst nicht nur die Selbstbestimmung im Hinblick auf die/eine Geschlechtszugehörigkeit, sondern alle Bereiche im Zusammenhang mit Geschlecht und Sexualität. Um in dieser Hinsicht die Entwicklung des Kindes zukunftsoffen zu halten (BVerfG: „das Finden und Erkennen“), dürfen „Eingriffe innerhalb des jeweiligen Geschlechts, etwa an einem nur fehlgebildeten Genital“ (Entwurf S. 24) nicht von vornherein aus dem Verbotsbereich ausgenommen werden.

Die beispielhaften Ausführungen im Entwurf zur Abgrenzung von geschlechtsverändernden und nicht geschlechtsverändernden Eingriffen etwa beim Hodenhochstand zeigen exemplarisch die Abgrenzungsproblematik. Während das als „männlich“ eingeordnete (vom wem wo dokumentiert?) Kind durch eine Korrektur eines Hodenhochstands nicht weiter vermännlicht werden könne, da es bereits „männlich“ sei, führe der gleiche Eingriff bei einem als intergeschlechtlich eingeordneten Kind zu einer „Vermännlichung“, denn durch eine Verlagerung der Hoden vom Bauchraum in den Hodensack erscheinen die Hoden „prominenter“, das Kind damit „männlicher“. Eine Genehmigung durch das Familiengericht wäre aber nur im letzteren Falle erforderlich. Ähnliches gilt für AGS, wenn das Verbot, eine Vulva- und/oder Vaginalplastik anzulegen und/oder die Klitoris chirurgisch zu reduzieren, für Kinder, die als weiblich festgestellt wurden (wiederum die Fragen: wann, durch wen, wo dokumentiert?), nicht gelten soll. Operative Eingriffe dieser Art bergen ein hohes Risiko der Beeinträchtigung des Sexualempfindens im Erwachsenenalter, greifen also auch dann in das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung ein, wenn sie keine Geschlechtsveränderung im Sinne des Referentenentwurfs bezwecken.

Die Frage, ob eine operative Maßnahme ein Kind „vermännlicht“, „verweiblicht“ oder „verintergeschlechtlicht“, kann zudem nur stereotypisierend beantwortet werden (als Beispiel für eine Vermännlichung wird etwa die Ermöglichung von Urinieren im Stehen genannt) und ist für ein rechtssicheres Verbot nicht tauglich. Auch perpetuiert der Begriff „fehlgebildetes Genital“ ein pathologisches Verständnis von Varianten der Geschlechtsentwicklung (siehe z.B. auf S. 25: „vermännlichte Klitoris“).

Minderjährige sind jedoch vor allen Eingriffen zu schützen, die in ihre genitale und geschlechtliche Entwicklung eingreifen, auch wenn sie keine Änderung der (wann, wie und durch wen auch immer festgestellten) Geschlechtszugehörigkeit bedeuten. Der Schutzzweck erfordert eine generelle Regelung in Bezug auf alle irreversiblen medizinischen Eingriffe an den körperlichen Geschlechtsmerkmalen Minderjähriger, unabhängig vom festgestellten oder vermuteten Geschlecht, bevor die Minderjährigen sich selbst zu ihrem Geschlecht äußern können.

4.   Zur Ausnahmeregelung des § 1631c Abs. 2 S. 2 BGB-E

Gemäß § 1631c Abs. 2 S. 2 BGB-E gilt das Verbot nach Satz 1 nicht, wenn der Eingriff zur Abwendung einer (nicht akuten) Lebensgefahr oder einer erheblichen Gesundheitsgefahr erforderlich ist. In diesem Fall können die Eltern einwilligen, wobei die Einwilligung allerdings der Genehmigung des Familiengerichts bedarf.

Erst in der Begründung wird deutlich, dass mit dieser Formulierung sowohl auf eine Lebensgefahr oder Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung durch körperliche Beeinträchtigungen als auch durch psychische Gefahren verwiesen wird. So wird statuiert, dass auch eine „seelische Belastung des betroffenen Kindes mit konkret diagnostiziertem Krankheitswert“ zu einer Ausnahme vom Operationsverbot führen kann.

Auch psychische Belastungen der betreffenden Kinder mit einzubeziehen, ist angesichts der erheblichen Bedeutung, die Geschlecht in unserer Gesellschaft innehat und für die Identitätsentwicklung im jugendlichen Alter eine erhebliche Rolle spielt, ebenso wie die Erläuterung, dass diese Belastung nicht „beim Kind an sich unterstellt oder mit dem eigenen Leidensdruck der Eltern verwechselt werden“ darf (S. 27 unten), zwar plausibel, aber nicht bedenkenfrei.

Denn diese Gefahr besteht ebenso bei „nicht geschlechtsverändernden“ Eingriffen, die dem Verbot des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB-E entzogen sind und damit auch nicht der familiengerichtlichen Überprüfung unterliegen. Es steht zu besorgen, dass bei einer Unfähigkeit der Eltern, ihr Kind mit geschlechtlichen Besonderheiten anzunehmen, nicht die Eltern behandelt und befähigt werden, ihr Kind als ein besonderes Kind anzunehmen, sondern eine Zurückweisung durch die Eltern als Gefahr für die psychosoziale Entwicklung des Kindes verstanden wird. Wenn dies dann als psychische Belastung des Kindes interpretiert und als Indikation für einen Eingriff am Kind genommen wird, besteht doch wieder eine Gefahr der Verwechslung zwischen Belastung des Kindes und Leidensdruck der Eltern, den es laut der Entwurfsbegründung zu vermeiden gilt. Diese Gefahr besteht auch und gerade in den Beispielsfällen, für die der Entwurf in seiner Begründung keine Geschlechtsveränderung annimmt.

5.   Zur Einwilligung des Kindes nach § 1631c Abs. 3 BGB-E

Das Abstellen auf die Vollendung des 14. Lebensjahres ist im Hinblick auf das Normengefüge im Sorgerecht folgerichtig, sollte aber nicht mit einem starren „Denkverbot“ belegt werden. Aus kindesschutzrechtlicher Perspektive kann – unabhängig von einer bestimmten Altersgrenze – stattdessen mit guten Gründen auch auf die Einsichtsfähigkeit des individuellen Kindes abgestellt werden. Denn die unter 14-Jährigen können die erforderliche Reife besitzen, selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden.[9]

Aufgrund der konkreten Verweisung auf Abs. 2 S. 1 soll nach der Begründung eine familiengerichtliche Genehmigung nicht erforderlich sein, wenn es um geschlechtsverändernde kosmetische Eingriffe geht (S. 29). Ob das in der Vorschrift hinreichend zum Ausdruck kommt und sachgerecht ist, ist zweifelhaft und wird zu überprüfen sein.

Unabhängig von vorstehenden Erwägungen ist schließlich unklar, unter welchen Voraussetzungen das Familiengericht die Genehmigung zu erteilen hat. Denn die Genehmigung darf, wie bereits erwähnt, u.a. nur erteilt werden, wenn der Eingriff dem Wohl des Kindes nicht widerspricht (Nr. 3). Nach § 1631c Abs. 3 S. 4 BGB-E widerspricht der Eingriff in der Regel dem Wohl des Kindes, wenn keine Beratung stattgefunden hat.

Welche Anforderungen an die Beratung des Kindes zu stellen sind, bleibt offen. Nach der Begründung ist nicht an die ärztliche Aufklärungspflicht gemäß § 630e BGB anzuknüpfen, die aber ohnehin im Fall der Operation zu erfolgen hat, sondern gemeint ist „eine ergebnisoffene spezifische Beratung … wie sie auch in der S2K-Leitlinie (zu) Varianten der Geschlechtsentwicklung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V., Der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie … vorgesehen ist“ (S. 33). Die „Frage etwaiger Anpassung von Beratungsregeln an die spezifischen Bedarfe von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung soll (jedoch) außerhalb des Gesetzesentwurfs geklärt werden.“

Das ist nicht bedenkenfrei. Denn die Einwilligung des Kindes in einen operativen Eingriff ist an die Genehmigung des Familiengerichts geknüpft. Wenn für das betroffene Kind aber nicht vorhersehbar ist, welche Anforderungen von Seiten des Gerichts an die Genehmigung gestellt werden (können), wird es keine Stärkung der Autonomie des Kindes geben.

Außerdem sei darauf hingewiesen, dass es nach dem Aufbau von Abs. 3 S. 3 zur Kindeswohlprüfung nicht mehr kommt, wenn die Eltern ihre nach Nr. 2 erforderliche Einwilligung versagen. Den Eltern wird also ein absolutes Vetorecht eingeräumt selbst in den Fällen, in denen ein einwilligungsfähiges Kind seine Einwilligung erteilt und eine Kindeswohlprüfung ein positives Ergebnis hätte. Das Kind auf den Weg des § 1666 BGB zu verweisen (= Ersetzung der Einwilligung) ist problematisch und nur bedingt zielführend, da ein weiteres Verfahren einzuleiten wäre.

Außerdem ist, um einen wirksamen Kinderschutz sicherzustellen, dringend über eine Anzeige/Mitteilungspflicht an das Familiengericht nachzudenken. Andernfalls droht die Verpflichtung ins Leere zu laufen. Regelmäßig eine „Anregung der Eltern, des Kindes oder des Behandelnden“ (Entwurf, S. 31) anzunehmen, scheint nicht sehr lebensnah, wenn die Eltern zugleich für das Kind auftreten und handeln (insbesondere wenn das Kind noch nicht einmal sprechen kann), und zwischen Behandelnden und Eltern kein Widerspruch hinsichtlich der beabsichtigten Maßnahme besteht. Möglicherweise kann eine generelle Mitteilungspflicht seitens der Kliniken konstituiert werden, in denen Behandlungen an Geschlechtsmerkmalen Minderjähriger durchgeführt werden.

Der Hinweis auf § 26 FamFG und die damit einhergehende Amtsermittlung genügt für sich betrachtet in diesem Zusammenhang nicht. Denn die Aufklärung des Sachverhalts steht jeweils im Ermessen des Gerichts.  Eine Konkretisierung erscheint daher geboten und unter Berücksichtigung beispielsweise der Regelung des § 45b Abs. 3 S. 1 PStG, der weit weniger einschneidend ist, zwingend.

6.  Zur Aufbewahrungspflicht von Patientenakten nach § 1631c Abs. 4 BGB-E

Der djb begrüßt die Verlängerung der Aufbewahrungspflicht ausdrücklich. Unverständlich ist jedoch, warum die Verlängerung auf Eingriffe beschränkt ist, die nach der Neuregelung vorgenommen werden. Das Verschweigen der genauen Diagnose und Behandlung ist nach wie vor integraler Bestandteil geschlechtsanpassender oder ?zuweisender Maßnahmen. Auch vor der Neuregelung behandelten Personen sollte die Möglichkeit zukommen, ihre Patient*innengeschichte nachzuvollziehen und gegebenenfalls als Erwachsene für unrechtmäßige Eingriffe, die an ihnen als Kindern vorgenommen wurden, Entschädigung zu verlangen. Gemäß § 199 Abs. 2 BGB verjähren Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit beruhen, erst nach 30 Jahren. Die Aufbewahrungspflicht sollte sich entsprechend für alle Eingriffe verlängern, mindestens aber sich auf Patientenakten erstrecken, die bei Inkrafttreten des Gesetzes aufgrund der 10jährigen Aufbewahrungspflicht noch vorhanden sein müssen.

Hierfür ist eine Übergangsregelung notwendig.

7.  Zu Artikel 2 Nr. 2: § 163 FamFG-E: Verfahrensrechtliche Folgeregelung

Soweit § 163 FamFG ein Abs. 3 angefügt werden soll, wird auch diese Regelung zu überdenken sein. Denn die Anfügung verhält sich ausschließlich zu § 1631c Abs. 2 S. 2 BGB-E und verlangt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine förmliche Beweisaufnahme (§ 30 FamFG).

Gegen eine solche ist grundsätzlich nichts einzuwenden, die Norm lässt aber für die Betroffenen und auch für das Gericht entscheidende Fragen offen. Dies gilt zunächst für die Qualifikation des Sachverständigen. Die Begründung beschränkt sich auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts. Eine Konkretisierung vergleichbar etwa der Regelung des § 167 FamFG scheint nicht nur sinnvoll, sondern aus Gründen der Rechtssicherheit sogar geboten.

Da sich die Regelung in § 163 Abs. 3 FamFG-E zudem nicht auf die Einwilligung des Kindes in einen operativen Eingriff und damit auf § 1631c Abs. 3 bezieht, wird zu prüfen sein, ob mit der vorgeschriebenen förmlichen Beweisaufnahme bei einer Einwilligung der Eltern in geschlechtsverändernde Eingriffe nicht eine Verkürzung der Rechte aus Art. 6 Abs. 2 GG verbunden ist. Auch zu dieser Problematik verhält sich der Entwurf nicht. Soweit der Entwurf an mehreren Stellen Parallelen zu § 45b PStG herstellt, sind die Normen weder im Anwendungsbereich noch in ihren Auswirkungen vergleichbar. So geht es einerseits um einen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister, der auch wieder geändert werden kann, während es andererseits um irreversible Eingriffe geht.

C. Fazit

Das Regelungsvorhaben ist insgesamt zu begrüßen, es besteht jedoch Präzisierungsbedarf. Die Begrifflichkeiten in § 1631c BGB-E sollten überprüft und gegebenenfalls geändert (vgl. oben B Ziffer 1 lit. b) sowie der medizinische Anwendungsbereich erweitert werden.

Einer Konkretisierung bedürfen die Aufklärungs- und Beratungspflichten; die verfahrensrechtliche Folgeänderung wird ebenfalls zu präzisieren sein.

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und
 Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften

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Anmerkungen

[1] Vgl. Tönsmeyer, Die Grenzen der elterlichen Sorge bei intersexuell geborenen Kindern de lege lata und de lege ferenda, 2012, insbes. S. 262 ff.

[2] Vgl. Tönsmeyer (Fn. 1), S. 240 ff., 262 ff.

[3] Vgl. nur Deutscher Ethikrat, Stellungnahme Intersexualität, BT-Drs. 17/9088, S. 10 ff.

[4]  In Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16.

[5] Vgl. zur Medizingschichte insgesamt Klöppel, XX0XY ungelöst: Hermaphroditismus, Sex und Gender in der deutschen Medizin, 2010, passim; zu den jüngeren Entwicklungen Referentenentwurf sowie S2k-Leitlinie 174/001: Varianten der Geschlechtsentwicklung sowie Leitlinenreport zur S2k-Leitlinie 174/001 (beides Stand 07/2016).

[6] Das ergibt sich daraus, dass es sich bei § 22 Abs. 3 PStG nunmehr um eine Kannbestimmung handelt.

[7] BMFSFJ-Gutachten: „Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“, 2017, S. 76; Tönsmeyer (wie Fn. 1), S. 264.

[8] BVerfG, 1 BvR 3295/07, Beschluss vom 11.1.2011, Rn. 56: „Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt mit der engeren persönlichen Lebenssphäre auch den intimen Sexualbereich des Menschen, der die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst“.

[9]  Nach den allgemeinen Vorgaben ist erforderlich, dass Minderjährige „Bedeutung, Wesen und Tragweite“ eines Eingriffs verstehen. Insoweit wäre. eine Prüfung der Einsichtsfähigkeit des Kindes und der Standhaftigkeit seines Entschlusses im Einzelfall vorzunehmen. Vgl. für Trans*-Kinder Scherpe, J./Dunne, P. The Legal Status of Transsexual and Transgender Persons – Comparative Analysis and Recommendations, in: Scherpe, J. (Hrsg.), The Legal Status of Transsexual and Transgender Persons, Cambridge, 2015, S. 615–663.