Themenpapier: 20-05


Monitoring, Forschung und Datenerhebung zu geschlechtsspezifischer Gewalt

Themenpapier vom

Kontext: Bereits 2011 hat die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) unterzeichnet, jedoch erst nach ausführlichen Diskussionen 2017 auch ratifiziert. Damit gilt die Istanbul-Konvention seit dem 1. Februar 2018 im Range eines Bundesgesetzes (BGBl II 2017, S. 1026), welches Landesrecht vorgeht, und zugleich weiterhin als Internationales Recht, welches eine völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts erfordern kann. Trotz vieler guter Regelungen und Praktiken gegen geschlechtsspezifische Gewalt besteht in Deutschland noch erheblicher Handlungsbedarf zur Umsetzung der Vorgaben aus der Istanbul-Konvention.

Aus Anlass des Inkrafttretens der Istanbul-Konvention auch als innerdeutsches Recht am 1. Februar 2018 erläutert der Deutsche Juristinnenbund dringlichen Umsetzungsbedarf in sieben weiteren Themenpapieren (die erste Serie zum 25. November findet sich hier: https://www.djb.de/themen/thema/ik/). Umsetzungsdefizite bestehen weiterhin bezüglich der staatlichen Verpflichtung zu Monitoring, Forschung und Datenerhebung zu geschlechtsspezifischer Gewalt, womit sich das insgesamt achte Themenpapier befasst.

Was die Istanbul-Konvention verlangt: Nach Artikel 10 der Konvention errichtet die Bundesrepublik eine oder mehrere offizielle Stellen, welche für die Koordinierung, Umsetzung, Beobachtung und Bewertung der Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von jeglicher Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zuständig sind. Artikel 11(a) verpflichtet die Bundesrepublik, in regelmäßigen Abständen einschlägige genau aufgeschlüsselte statistische Daten über Fälle von allen in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu sammeln. Ferner ist nach Artikel 11(b) die Forschung zu allen erfassten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, ihren Ursachen und Auswirkungen, ihrem Vorkommen sowie der Aburteilungsquote und der Wirksamkeit der nach der Konvention ergriffenen Maßnahmen zu fördern.

Aktuelle Situation und Rechtslage: Das internationale Überwachungsgremium für die Istanbul-Konvention, GREVIO, versteht die Verpflichtung aus Artikel 10 dahingehend, dass der Staat die Funktion von (politischer) Koordinierung einerseits sowie Monitoring und Evaluierung andererseits trennen und letztere auf eine unabhängige Institution übertragen soll.[1] Eine solche Monitoring-Stelle sollte eigeninitiativ forschen und Daten erheben können, um allein am Maßstab der Konvention die Umsetzung beobachten und bewerten zu können. Sinnvoll ist es, die Monitoring-Struktur unter Beteiligung der Zivilgesellschaft zu entwickeln, um deren Expertise einzubinden und deren gute Kooperation sicherzustellen.

Ein sinnvolles Monitoring ist ohne Forschung und Datenerhebung nicht möglich. Forschung zu geschlechtsspezifischer Gewalt findet in Deutschland bisher aber vorwiegend statt, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen oder Wissenschaftler*innen[2] sich in diesem Feld engagieren. Die Bundesregierung hat 2004 zwei große Studien zu Gewalt gegen Frauen und Gewaltwiderfahrnissen von Männern veröffentlicht.[3] Und der Gender Daten Report von 2005 enthielt ein sehr instruktives Kapitel zu Gewalt und Geschlecht.[4] Ebenfalls in diese Zeit fällt die ausführliche Begleitforschung zum Gewaltschutzgesetz und sonstigen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt.[5] Seitdem hat das diesbezügliche Engagement staatlicher Stellen, insbesondere auf Bundesebene, nachgelassen. Der aktuelle Gender Daten Report enthält keine Ausführungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Und in der Auseinandersetzung um die Änderung des Sexualstrafrechts mussten notwendige Datenerhebungen durch zivilgesellschaftliche Organisationen und einzelne Wissenschaftler*innen durchgeführt werden,[6] wobei die Datenlage in Bezug auf sexualisierte Gewalt weiterhin ausgesprochen verbesserungsbedürftig ist. Wenn staatlich nicht beauftragte wissenschaftliche Forschung zu geschlechtsspezifischer Gewalt stattfindet, ist die notwendige Kooperation staatlicher Stellen, die über wesentliche Daten verfügen, nicht immer gesichert.

Die Verfügbarkeit statistischer Daten ist sehr uneinheitlich und nur partiell gesichert. In Bezug auf polizeiliche Schutzmaßnahmen gegen häusliche Gewalt erheben die Innenministerien der Länder die entsprechenden Daten, eine bundesweite Zusammenführung erfolgt nicht. Die Polizeiliche Kriminalstatistik nimmt eine geschlechtsspezifische Aufschlüsselung bei Tatverdächtigen nur pauschal und bei den Opfern nur in Bezug auf ausgewählte Delikte vor, ferner werden für ausgewählte Delikte die Täter-Opfer-Beziehungen erfasst, wobei die Weite der gewählten Kategorien kaum überzeugt.[7] 2015 hat die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenminister*innen der Länder eine Bestandsaufnahme zu Existenz, Ausstattung und Finanzierung von Frauenschutzhäusern erstellt, deren Angaben aber lückenhaft sind.[8] Die Frauenhauskoordinierung erhebt Daten zur Inanspruchnahme von Unterstützungssystemen, kann aber nur ca. zwei Drittel der Frauenschutzhäuser erfassen.[9] Erheblichen Forschungs- und Datenerhebungsbedarf gibt es insbesondere zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Gewalt gegen lesbische Frauen und Intersex*-Kinder sowie ungewollten Sterilisationen werden von staatlichen oder beauftragten Stellen derzeit nicht erhoben.

Handlungsbedarf: Die unabhängige Überwachung der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist nur auf Grundlage entsprechender Datenerhebung, Datenverarbeitung und Forschung möglich. Die Bundesrepublik ist verpflichtet, diese Daten zu erheben oder jedenfalls die Ressourcen für deren Erhebung bereit zu stellen, die Daten allgemein zugänglich zu machen und entsprechende Forschung zu Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt durch vorbehaltlose Kooperation staatlicher Stellen und die Bereitstellung entsprechender Mittel zu garantieren und zu fördern.

Forderung: Es ist eine unabhängige Monitoring-Stelle einzurichten, welche die Umsetzung der Istanbul-Konvention bundesweit überwacht. Genau aufgeschlüsselte statistische Daten über alle vom Anwendungsbereich der Konvention erfassten Fälle von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt sind von der Bundesrepublik zu erheben und allgemein zugänglich zu veröffentlichen. Forschung hierzu ist durch die vorbehaltlose Kooperation staatlicher Stellen sowie entsprechende Mittel zu garantieren und zu fördern. Forschung und Datenerhebung sollten integrale Bestandteile eines unabhängigen Monitorings sein.

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin                           

Prof. Dr. Ulrike Lembke
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht

Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

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[1]Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence, Baseline Evaluation Report Albania, GREVIO/Inf(2017)13, Rn. 34 und 36; Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence, Baseline Evaluation Report Monaco, GREVIO/Inf(2017)3, Rn. 27.

[2] Grundlegend GiG-net (Hg.), Gewalt im Geschlechterverhältnis, 2008.

[3]BMFSFJ (Hg.), Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004; BMFSFJ (Hg.), Gewalt gegen Männer. Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland, 2004; beide abrufbar unter www.bmfsfj.de.

[4]BMFSFJ (Hg.), Datenreport zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Bundesrepublik Deutschland 2005, Kapitel X; derzeit auf der Website des BMFSFJ nicht abrufbar.

[5]BMFSFJ (Hg.), Gemeinsam gegen häusliche Gewalt. Kooperation, Intervention, Begleitforschung, 2004.

[6] Insbesondere bff, „Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar“. Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener, 2014.

[7] Bspw. Polizeiliche Kriminalstatistik 2018, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/pks-2018.pdf?__blob=publicationFile&v=4.  

[8]GFMK (Hg.), Bestandsaufnahme Frauenhäuser und Opferunterstützungseinrichtungen, 2015, https://www.gleichstellungsministerkonferenz.de/documents/Anlage_TOP_7-1.pdf.

[9] Siehe http://www.frauenhauskoordinierung.de/fhk-materialien-service/bewohnerinnenstatistik.html.