Stellungnahme: 20-01


zum Referentenentwurf des BMJV: Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem Referentenentwurf, die er trotz der kurzen Frist gerne wahrnimmt. Dabei stützt er sich in seinen Ausführungen maßgeblich auf ein kürzlich veröffentlichtes ausführliches und grundlegendes Policy Paper „Mit Recht gegen Hate Speech – Bekämpfung digitaler Gewalt gegen Frauen“, das dieser Stellungnahme beigefügt wird.

Der djb begrüßt, dass der Gesetzgeber tätig wird, um dem immer größer werdenden Problem von Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz wirkungsvolle Maßnahmen entgegen zu setzen. Insbesondere teilt der djb die Einschätzung, dass beleidigende und bedrohende Äußerungen im Netz nicht nur Betroffene in ihren Persönlichkeitsrechten verletzen; vielmehr kann der Druck dazu führen, dass Menschen sich zurückziehen und nicht mehr am Diskurs teilnehmen. Damit ist der Meinungsaustausch im Internet und letztlich die Meinungsfreiheit gefährdet. Zudem führt ein solches Klima dazu, dass sich die Hemmschwelle für weitere digitale Angriffe, aber auch die Tatausführung immer mehr senkt. Zu Recht wird in dem Referentenentwurf betont, dass durch eine solche Entwicklung Grundpfeiler einer demokratisch pluralistischen Gesellschaft verletzt werden, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.

Leider wird der Gesetzentwurf diesem Anspruch nicht gerecht.

I. Verkennung der Geschlechterdimension

In den Ausführungen zur Gesetzesfolgenabschätzung heißt es im Entwurf: „Sie (Die Regelungen) sind geschlechtsneutral und betreffen Frauen und Männer in gleicher Weise.“ Dieser Ansatz übersieht, dass Hasskriminalität und Rechtsextremismus Frauen in spezifischer Weise betreffen, und dass diesem Umstand Rechnung getragen werden muss, sollen die vorgesehenen Maßnahmen erfolgreich sein.

Der Gesetzentwurf benennt als drei maßgebliche Motivationen für Hasskriminalität, denen Rechnung zu tragen sei, „fremdenfeindliche“, „rassistische“ und „antisemitische“. Unter sonstigen Motivlagen, die das Merkmal „menschenverachtender“ Beweggründe erfassen soll, werden in der Begründung ausdrücklich Tatmotive gegen „sexuelle Orientierung oder Identität“, „Behinderung“, „gesellschaftlichen Status“, „religiöse Einstellung“ oder „ethnische Zugehörigkeit“ aufgeführt. Dass Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus für viele Angreifer eine maßgebliche Motivation darstellen, wird von dem Gesetzentwurf komplett ausgeblendet. Angesichts der Tatsache, dass der Dreiklang „Antisemitismus“, „Rassismus“ und „Frauenfeindlichkeit“ ein wiederkehrendes Motiv ist, das sich in vielen Hassposts wiederfindet, ist dies vollkommen unverständlich.[1] Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erweist sich hier als unzureichende Quelle, da sie die Kategorie der geschlechtsbezogenen Gewalt nicht erfasst. Gerade im Kontext des Rechtsextremismus wird das Narrativ bedient, Feminismus trage dazu bei, eine pluralistische Gesellschaft zu ermöglichen, die aus rassistischen Gründen abgelehnt wird. Der Gesetzentwurf verweist zu Recht u.a. auf die Ermordung zweier Menschen im Rahmen des Attentats auf die Synagoge in Halle, die vor dem Hintergrund und mit der Begleitung digitaler Hasskommentare erfolgt ist. Wie in Halle, so waren auch bei anderen Terroranschlägen die Täter rechtsextreme Männer, in deren kruden Manifesten Frauenfeindlichkeit ein bestimmendes Element ist. [2] Der Täter aus Halle leugnete den Holocaust, gab „den Juden“ die Schuld für alle Probleme und bezeichnete „den Feminismus“ als Grund für niedrige Geburtenraten im Westen, die zu Massenmigration geführt hätten.

Frauen werden nicht die gleichen Rechte wie Männern zugebilligt, sie werden auf eine angeblich „natürliche“ Geschlechterordnung verwiesen und, äußern sie sich öffentlich, politisch oder gar geschlechterpolitisch, mundtot gemacht. Frauen werden, anders als Männer, typischerweise sexistisch angegriffen, pornografisch angepöbelt und riskieren - neben den sonst üblichen Drohungen - explizite und detaillierte Vergewaltigungsankündigungen. Aber auch wenn es „nur“ um Hate Speech, also die Verunglimpfung geht, ist gegenüber Frauen die zutiefst sexistische Komponente unübersehbar. Benannt werden soll in diesem Kontext beispielhaft der Sachverhalt, der dem Beschluss des LG Berlin (Az: 27 AR 17/19) in Sachen „Künast“ zugrunde liegt: Es geht in dem konkreten Fall nicht nur um geschmacklose, beleidigende und aggressive, sondern massiv sexistische Kommentare (darunter die Zuschreibung „Drecksfotze“). Sie betreffen nicht zufällig eine Politikerin. Nach einer aktuellen Umfrage des ARD-Magazins „Report München“ waren 87 Prozent der befragten weiblichen Bundestagsabgeordneten Opfer von Hassrede, einige nahezu täglich; 57 Prozent der Befragten quer durch alle Parteien wurden mit sexistischen Kommentaren konfrontiert.

Der Gesetzentwurf ist deshalb dahingehend zu überarbeiten, dass der Geschlechterdimension von Hasskriminalität und Rechtsextremismus Rechnung getragen wird. Hinweise dazu ergeben sich aus den unter III. erfolgenden Ausführungen zu einzelnen Vorschriften.

Deutschland ist zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt in allen ihren Ausprägungen durch das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) verpflichtet. Die Istanbul-Konvention definiert in Art. 3(a) Gewalt gegen Frauen ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung und als eine Form von Diskriminierung. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist Art. 3(d) IK zufolge Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft. Erfasst sind gemäß Art. 3(a) IK alle Handlungen, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen. Unter den Gewaltbegriff der Istanbul-Konvention fallen auch Hate Speech und andere Formen von digitaler Gewalt gegen Frauen. Um die Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention zu erfüllen, muss Deutschland diesen Rechtsverletzungen mit allen geeigneten Mitteln entgegentreten und den wirksamen Schutz sowie die Unterstützung der betroffenen Frauen gewährleisten.

II. Unzureichender Regelungsgehalt

Der Entwurf leidet zudem an dem grundsätzlichen Mangel, dass er sich auf die Umsetzung der vom Kabinett am 30. Oktober 2019 beschlossenen Eckpunkte beschränkt. Dies greift zu kurz. Angesichts der Dramatik der Entwicklung und der im Gesetzentwurf beschriebenen Gefährdung der pluralistischen Gesellschaft und Demokratie ist es geboten, unverzüglich weitere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere die dringend anstehende Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) einzuleiten.

Zwar sieht der Gesetzentwurf Ergänzungen des NetzDG vor, indem er als eine zentrale Neuerung die Einführung einer Meldepflicht der Anbieter*innen sozialer Netzwerke im Sinne von § 1 Abs. 1 NetzDG enthält. Grundsätzlich sieht der djb in der Einführung einer solchen Meldepflicht eine geeignete Maßnahme, um eine strafrechtliche Verfolgung der Verfasser strafrechtlich relevanter Inhalte zu erreichen. Die konkrete Ausgestaltung der Meldepflicht im Referentenentwurf ist aber unzureichend (s. dazu unter III. 7.).

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Definition der NetzDG-Beschwerde, nach der die Folgen des NetzDG an jegliche Beschwerde über rechtswidrige Inhalte geknüpft wird, unabhängig davon, auf welchem Kommunikationskanal diese die Plattformbetreiber erreicht, ist sinnvoll, vermag aber nicht die großen bestehenden Defizite des geltenden NetzDG zu kompensieren: Notwendig sind Vereinheitlichung und Vereinfachung der Meldeverfahren, Vorgaben für Transparenzberichte, Klarstellung des Zuständigkeitsbereichs der benannten Zustellungsbevollmächtigten usw. Bei dem Gesetzentwurf steht das Auskunftsrecht der Strafverfolgungsbehörden im Fokus, ohne dass an irgendeiner Stelle ein ebenso notwendiges Auskunftsrecht der Betroffenen normiert würde. Betroffene brauchen einen wirksamen und durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung der Identität des Verletzenden, um etwa zivilrechtliche Ansprüche geltend machen zu können.

Auch wenn mit einer Meldepflicht die Anbieter*innen sozialer Netzwerke adressiert sind, so bleibt doch ihre Mitverantwortung für das Entstehen von Hassrede außen vor. Die algorithmischen Systeme der Netzwerke sind darauf angelegt, Nutzer*innen möglichst lange auf den Seiten zu halten, sie bevorzugen Beiträge und Kommentare, die polarisieren, skandalisieren, Angst und Hass fördern. Durch diese Verzerrungen entstehen Echokammern, in denen Hass und Diskriminierungen immer wieder neu bestätigt werden, und die Nährboden für Gewalt sind. Der djb erinnert an die dringende Notwendigkeit, einen staatlichen Ordnungsrahmen für algorithmische Systeme von sozialen Netzwerken zu entwickeln. Er verweist auf die Einschätzung der Datenethikkommission, wonach der Gesetzgeber den Einsatz dieser algorithmischen Systeme einschränkend regulieren sollte. Hierzu kann ein Spektrum von Maßnahmen in Frage kommen, das sich prinzipiell von Steigerung der Transparenz bis hin zu einer Ex-ante-Kontrolle in der Form eines Lizensierungsverfahrens für demokratierelevante algorithmische Systeme erstreckt[3].

III. Zu den Vorschriften im Einzelnen

Im Folgenden wird zu den im Referentenentwurf enthaltenen Vorschriften des StGB und des NetzDG Stellung genommen. Die Reihenfolge entspricht dabei der im Entwurf.

1. Änderungen im Zusammenhang mit § 126 StGB

Der djb fordert die Aufnahme des § 177 Abs. 4 bis 8 StGB in den Katalog des § 126 Abs. 1 StGB.

Gegen Frauen gerichtetes Cyber Harassment beschränkt sich typischerweise nicht auf die Bedrohung bzw. die Ankündigung von Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Vielmehr fokussieren sich entsprechende Ankündigungen in der Regel auf die Ausübung sexualisierter Gewalt. Dies muss sich auch im Katalog des § 126 Abs. 1 StGB widerspiegeln. Die Auswahl der Absätze orientiert sich an § 140 StGB (in dem der Verweis dann wegen des allgemeinen Verweises auf § 126 Abs. 1 StGB gestrichen werden könnte) und ist vom Unrechtsgehalt vergleichbar mit den bereits enthaltenen Straftatbeständen. Mit § 224 StGB und dem darin ausgewiesenen Strafrahmen (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) soll ein „vergleichsweise niedrigschwelliges“ Delikt in den Katalog des § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB aufgenommen werden, während schwerer wiegende Straftaten nach § 177 Abs. 4 bis 8 StGB als Verbrechen mit einer im Mindestmaß (deutlich) erhöhten Strafandrohung keine Katalogtaten im Sinne des § 126 Abs. 1 StGB-E sind. Die rechtliche Ausgestaltung der § 177 Abs. 7 und 8 StGB, die sowohl von den Tatmitteln, der Tatmittelverwendung und der Strafandrohung (Mindestfreiheitsstrafe drei Jahre Freiheitsstrafe bei § 177 Abs. 7 StGB und fünf Jahre bei § 177 Abs. 8 StGB) dem schweren Raub gemäß § 250 Abs. 1 und 2 StGB nachgebildet ist, zeigt, dass der Gesetzgeber diese Straftaten ähnlich „schwer“ gewichtet.

Die Ankündigung von Straftaten nach § 177 Abs. 4 bis 8 StGB ist zudem in besonderem Maße dazu geeignet, die allgemeine Rechtssicherheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer eines friedlichen Zusammenlebens erheblich zu beeinträchtigen. Damit ist das Schutzgut des § 126 Abs. 1 StGB auf diese Fälle übertragbar. Durch die Aufnahme in § 126 Abs. 1 StGB wird ferner gewährleistet, dass sich künftig auch die im Entwurf vorgesehene Meldepflicht auf entsprechende Ankündigungen erstrecken würde (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 a) NetzDG-E) (zur vorgesehenen Einschränkung der Meldepflicht s. aber die Ausführungen unter III. 7). .

2. Änderungen im Zusammenhang mit § 241 StGB

Der djb fordert die Aufnahme von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in § 241 Abs. 1 StGB-E. Die Nichtberücksichtigung übersieht, dass sich ein ganz erheblicher Anteil der Bedrohungen gegen Frauen richtet, die häufig in der Androhung von Vergewaltigungen und anderer sexualisierter Gewalt bestehen. Diese sind nicht zwangsläufig von der derzeitigen Ausgestaltung (Bedrohung mit einem Verbrechen) erfasst, da selbst die Vergewaltigung, die ohne Gewalt oder Drohung erfolgt, nur als besonders schwerer Fall eines Vergehens ausgestaltet ist. Hier besteht dringender Nachholbedarf.

Neben der Bedrohung mit rechtswidrigen Taten gegen die körperliche Unversehrtheit und gegen Sachen von bedeutendem Wert ist deshalb auch die Bedrohung mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Strafe zu stellen. Fraglich ist allein, ob die Strafbarkeit der Bedrohung von Taten im Bagatellbereich angemessen ist. Daran, dass rechtswidrige Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtswidrigen Taten gegen die körperliche Unversehrtheit gleichgestellt werden müssen, besteht im Hinblick auf den Unrechtsgehalt und die praktische Relevanz jedoch kein Zweifel.

Der djb unterstützt die vorgesehene Herausnahme des § 241 Abs. 4 StGB-E aus dem Katalog der Privatklagedelikte (§ 374 Abs. 1 StPO). Auch hier wäre jedoch zu erwägen, die öffentliche Begehung, die sich auf den neuen Absatz 1 bezieht, davon auszunehmen.

3. Änderungen im Zusammenhang mit § 46 StGB

Der djb unterstützt die explizite Aufnahme antisemitischer Motive in die Vorschrift des § 46 StGB. Dabei übersieht er nicht, dass dies nur eine Klarstellungsfunktion erfüllt; menschenverachtende Beweggründe umfassen selbstverständlich auch antisemitische Motive, genauso wie homophobe, transphobe, behindertenfeindliche und andere menschenverachtende Motive.

In die Aufzählung, die neben rassistischen und „fremdenfeindlichen“ Motiven auch antisemitische Motive umfasst, sind dann allerdings auch sexistische Motive aufzunehmen. Nur so wird ein umfassendes Bild von Vorurteilskriminalität abgebildet. Die geschlechtsspezifische Dimension hier zu ignorieren, wäre eine verheerende Botschaft an die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Aufnahme sexistischer Motive könnte zudem zu einer Sensibilisierung der Rechtsanwender*innen hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Dimension von Straftaten beitragen.

Darüber hinaus regt der djb eine Aufnahme sexistischer und antisemitischer Motive in die Nrn. 15, 86 und 234 der RiStBV an.

4. Einführung einer Qualifikation in § 185 StGB

Der djb begrüßt die Einführung eines Qualifikationstatbestandes in § 185 Abs. 2 StGB-E für die öffentliche Begehung (bzw. die Begehung durch Schriften). Dies wird dem erhöhten Unrechtsgehalt öffentlich begangener Beleidigungen gerecht.

Zu erwägen wäre allerdings, den Unrechtsgehalt noch spezifischer zu erfassen, indem beim Taterfolg auf die Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebenssphäre des Opfers abgestellt wird.[4]

5. Änderungen im Zusammenhang mit § 188 StGB

Der djb begrüßt die Einbeziehung der kommunalen Ebene in § 188 StGB. Der fehlende Schutz, der durch die Auslegung der Rechtsprechung mit dem Umstand fehlenden politischen Einflusses begründet wurde, ist angesichts der Debattenverschiebungen, die sich online ergeben, nicht mehr haltbar.

Es ist auch zu begrüßen, dass das absolute Antragserfordernis durch Ergänzung des § 194 StGB aufgegeben werden soll. Allerdings wäre hier die Ausweitung auf alle systematisch Betroffenen von Hate Speech, nämlich Angehörige marginalisierter Gruppen, unabhängig von ihrer Eigenschaft als Person des politischen Lebens zielführender (dazu unter IV.1.).

6. Erweiterung des § 140 StGB auf noch nicht erfolgte Straftaten

Zweck der Erweiterung des § 140 StGB auf noch nicht erfolgte Straftaten ist die Schließung von Strafbarkeitslücken für das Gutheißen künftiger Straftaten, die in ihrer Schilderung zu unkonkret sind, um bestehende Straftatbestände zu erfüllen (etwa § 126 StGB oder § 241 StGB). Im Netz geäußerte Gewaltfantasien, mit denen Betroffene von Hate Speech eingeschüchtert werden sollen, zeichnen sich gerade durch eine gewisse „Schwammigkeit“ („Ich wünsche dir eine Vergewaltigung“, „Du solltest vergast werden“, „Du müsstest mal richtig verprügelt werden“)[5] aus, können aber sowohl für die Betroffenen, als auch für den Rechtsfrieden, ähnlich negative Auswirkungen haben. Die Ausweitung des § 140 StGB auf noch nicht erfolgte Taten könnte ein Mittel sein, diesen Äußerungen zu begegnen.

7. Einführung einer Meldepflicht, § 3a NetzDG-E.

Die Ergänzung des NetzDG um die Meldepflicht in § 3a NetzDG-E ist grundsätzlich zu begrüßen.

a) Die Voraussetzungen der Meldepflicht (Absatz 2)

Die Meldepflicht ist nach dem Entwurf an drei (kumulative) Voraussetzungen gebunden. Alle drei sind in unterschiedlichem Maße problematisch.

Die Voraussetzung in Nr. 1, dass die Anbieter*innen durch eine nach dem NetzDG eingereichte Beschwerde von Nutzer*innen auf nach deren Ansicht strafbare Inhalte aufmerksam gemacht werden, bürdet Hauptverantwortung und Hauptlast der Geltendmachung verletzter Rechte und mittelbar die Initiierung strafrechtlicher Verfolgung den Betroffenen auf. Und dies, ohne dass die unbedingt erforderliche Stärkung ihrer Rechtsposition durch den Gesetzentwurf erfolgen würde (vgl. Ausführungen unter II. sowie das zitierte Policy Paper des djb). Eine Anknüpfung des neuen Meldeverfahrens an das bestehende Beschwerdeverfahren ist nur zu rechtfertigen, wenn dessen Mängel zumindest gleichzeitig beseitigt werden. Die grundsätzlich begrüßenswerte gesetzliche Klarstellung, wann eine „Beschwerde“ vorliegt, reicht dafür nicht. Im Übrigen werden nicht solche Inhalte erfasst, die aufgrund automatischer Abläufe gelöscht werden. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb diese Inhalte, nur weil sie nicht von Nutzer*innen gemeldet, sondern von den Netzwerken selbst entdeckt oder zuvor automatisiert gelöscht wurden, nach dem künftigen § 3a Abs. 2 Nr. 1 NetzDG von vornherein aus der Meldepflicht herausgenommen werden sollen. Sie bedrohen, jedenfalls dort, wo sie von Nutzer*innen wahrgenommen wurden, den demokratischen, offenen und öffentlichen Diskurs in gleicher Weise. Auch für diese Fälle ist eine Meldepflicht zu schaffen.

Die Voraussetzung in Nr. 2, dass die Inhalte durch die Anbieter*innen gelöscht wurden oder der Zugang hierzu gesperrt wurde, ist nicht geeignet, eine Aussage über meldewürdige Inhalte zu treffen. Betroffen ist vielmehr ein hiervon unabhängiges Verfahren. Dieses zur Voraussetzung einer Meldung zu machen, behindert den effektiven Schutz der Betroffenen unangemessen, während ein Mehrwert dieses Filters nicht ersichtlich ist. Der djb fordert daher, die Voraussetzung in Nr. 2 ersatzlos zu streichen.

Der djb kritisiert ferner die Einschränkung in Nr. 3 auf bestimmte Straftaten. Die pauschale Differenzierung der Meldepflicht nach Straftatbeständen in § 3a Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E ist nicht nachvollziehbar. Die Gefahren, die sich aus Cyber Harassment und Hate Speech ergeben, können auch bei anderen Delikten, etwa bei Beleidigungen oder Verleumdungen, eintreten. Die Beschränkung der Bedrohung (§ 241 StGB) auf Tötungsdelikte (§ 212 und § 211 StGB) ist ebenfalls unangemessen.

Die vermeintlich fehlende „Zielrichtung des Angriffs auf den demokratischen, offenen und öffentlichen Diskurs“ (Seite 32 der Entwurfsbegründung), die für die pauschale Ausblendung von Straftatbeständen wie Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs angeführt wird, überzeugt nicht. Der Referentenentwurf betont selbst, dass massenhafte respektlose und herabwürdigende Inhalte die Meinungsfreiheit und die demokratische pluralistische Gesellschaft gefährden (u.a. auf Seite 1). Dies wird besonders deutlich, wenn sich Beleidigungen, wie von § 188 StGB sanktioniert, gegen im politischen Leben agierende Personen richten, gilt aber auch in Bezug auf andere Personen, insbesondere Angehörige marginalisierter Personengruppen. Besonders oft richten sich Anfeindungen gegen Frauen, die so gezielt aus dem öffentlichen Diskurs vertrieben werden sollen. Die pauschale Ausblendung dieser Straftatbestände wird den diskursgefährdenden Wirkungen solcher Äußerungen nicht gerecht.

Eine sinnvolle Einschränkung kann sich allenfalls für absolute Antragsdelikte ergeben, wobei der djb erneut die Wichtigkeit der Gestaltung von Cyber Harassment und Hate Speech im Internet, die sich gegen Angehörige marginalisierter Personengruppen richten, in all seinen Erscheinungsformen zumindest als relatives Antragsdelikt betont.

Selbst für die Fälle der absoluten Antragsdelikte ist aber zumindest eine Beweissicherungspflicht durch die Anbieter*innen dringend geboten. Diese muss sich auf alle zur Strafverfolgung erforderlichen Informationen (Inhalt, IP-Adresse, etc.) erstrecken. Wird später ein Strafantrag gestellt, so sind die Informationen an die zuständige Strafverfolgungsbehörde herauszugeben. Auf Antrag sind diese Informationen auch an die betroffenen Personen herauszugeben, wenn diese ein berechtigtes Interesse daran haben (z.B. für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche).

b) Die Mitteilung an die Nutzer*innen (Absatz 6)

Die in § 3a Abs. 6 NetzDG-E vorgesehene Mitteilung an die Nutzer*innen binnen 14 Tagen wird der Realität in der Strafverfolgung nicht gerecht: Zwar sieht § 3a Abs. 6 Satz 2 NetzDG-E eine Zurückstellung dieser Mitteilung durch Anordnung des BKA binnen derselben 14 Tage in Fällen der Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der persönlichen Freiheit einer Person oder von bedeutenden Vermögenswerten vor. Dies setzt jedoch voraus, dass vom Zeitpunkt der Information des BKA über die Weiterleitung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder bis zur Einschätzung der konkreten Gefährdungslage durch Polizeibehörden vor Ort und Rückmeldung an das BKA einschließlich ggf. notwendiger Ermittlungen keine Zeit verloren geht, was schon in Fällen von Wochenend- und Feiertagen unrealistisch erscheint. Die mit der Information der Nutzer*innen zudem verbundene Gefahr der Beseitigung (weiterer) Beweismittel und die insoweit erforderliche Einleitung zusätzlicher Ermittlungsschritte und Schutzmaßnahmen der betroffenen Opfer vor Ort, die auch zwecks Einhaltung und Umsetzung der Istanbul-Konvention zu berücksichtigen sind, sind bei der Frist von 14 Tagen noch nicht eingerechnet. Hier besteht weiterer Überarbeitungsbedarf. Denkbar erschiene etwa, die Information der Nutzer*innen von der Freigabe durch das BKA abhängig zu machen

IV. Weitergehende Forderungen

1. Regelung zu Hate Speech im digitalen Raum entsprechend § 194 Abs. 1 S. 3 StGB

Der djb fordert, dass Hate Speech insgesamt (und nicht wie im Entwurf vorgesehen nur für den von § 188 StGB geschützten Personenkreis) im digitalen Raum als Beleidigungsdelikt auch ohne Strafantrag der verletzten Person verfolgt werden kann, wenn dies den Interessen der verletzten Person nicht widerspricht. Hate Speech liegt dabei insbesondere dann vor, wenn die Beleidigung aufgrund der tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit einer Person zu einer marginalisierten Gruppe erfolgt und öffentlich verbreitet wird.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Hate Speech und Cyber Harassment, die über die bloße Ehrverletzung einzelner Personen hinausgehen, betreffen nicht nur Personen des politischen Lebens. Das absolute Antragserfordernis nur für diesen verhältnismäßig kleinen Personenkreis zu lockern, greift daher deutlich zu kurz. Denn gerade Angehörige marginalisierter Gruppen gehören aufgrund struktureller Benachteiligungen in der Regel nicht dem von § 188 StGB geschützten Personenkreis an. Angesichts des Ausmaßes der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen durch Hate Speech ist die Beibehaltung der Verantwortung für die Einleitung der Strafverfolgung für die Strafverfolgung zulasten der verletzten Person unangemessen. Vielmehr muss der Staat seine Schutzpflichten erfüllen und die Strafverfolgung auch ohne Antrag übernehmen, solange dies den Interessen der verletzten Person nicht zuwiderläuft. Hier ist die Regelung des § 194 Abs. 1 Satz 3 StPO zu übernehmen, wonach die Tat nicht von Amts wegen verfolgt werden kann, wenn die verletzte Person widerspricht.

2. Schwerpunktstaatsanwaltschaften zum Thema digitale Gewalt

Der djb hält – in dem Bewusstsein, dass dies in die Zuständigkeit der Länder fällt – die flächendeckende Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Straftaten im Zusammenhang mit digitaler Gewalt und ihre angemessene personelle Ausstattung für dringend erforderlich.

Gleichzeitig sind verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei unumgänglich. Dabei ist insbesondere die geschlechtsspezifische Dimension von digitaler Gewalt in den Blick zu nehmen. Die Sensibilisierung der Rechtsanwender*innen für diese Thematik ist unerlässlich, um zu gewährleisten, dass Hasskriminalität im Netz als solche erkannt und entsprechend verfolgt wird.

3. Ergänzung der Polizeilichen Kriminalstatistik Hasskriminalität um „Geschlecht“

Die polizeiliche Definition von sogenannter Hasskriminalität (treffender: Vorurteilskriminalität) ist um das Merkmal „Geschlecht“ zu ergänzen.

Der Polizeilichen Kriminalstatistik Hasskriminalität lässt sich lediglich entnehmen, wie viele Opfer in Bezug auf das jeweilige Delikt Frauen waren, sie lässt aber keine Rückschlüsse auf dahinterstehende frauenfeindliche oder sexistische Motive zu. Angaben zu nichtbinären Personen fehlen gänzlich. Nach dem Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) des BKA ist die Unterkategorie „Hasskriminalität“ u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die jeweilige Tat im Zusammenhang mit der tatsächlichen oder zugeschriebenen Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, dem sozialen Status, der physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität der verletzten Person steht. Die Kategorie des Geschlechts ist dringend zu ergänzen. Innerhalb der Kategorie ist eine weitere Aufschlüsselung nach Geschlechtern erforderlich, um die geschlechtsspezifischen Strukturen von Vorurteilskriminalität sichtbar zu machen. Damit einhergehen muss auch die entsprechende Schulung der Polizei, die in der Lage sein muss, die geschlechtsspezifische Dimension im Einzelfall zu erkennen.

Die Statistiken der PMK Hasskriminalität sind zudem insgesamt, also auch bezüglich aller anderen Vorurteilsmotive, um Aufschlüsselungen nach Geschlecht zu ergänzen; und zwar sowohl bezogen auf die Täter*innen, als auch bezogen auf die Opfer von Vorurteilskriminalität. Dabei ist eine Abkehr von der binären Aufteilung erforderlich, die auch für die PKS insgesamt durchgeführt werden muss.

 

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin

Claudia Zimmermann-Schwartz
Vizepräsidentin und Vorsitzende
des Arbeitsstabs Digitales

Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Inga Schuchmann
Mitglied der Kommission Strafrecht

 

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Anmerkungen

[1]https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung/frauenhass-ist-keine-meinung.

[2]https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/frauenhass-rechtsextremismus-101.html.

[3] Gutachten der Datenethikkommission 2019, S. 208, Handlungsempfehlung 65, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/it-digitalpolitik/gutachten-datenethikkommission.pdf?__blob=publicationFile&v=5

[4] Vgl. dazu die Beiträge von Cormelius ZRP 2014, 164 (164) und Lembke KJ 2016, 385 (385 f.) sowie die Regelung in § 107c ÖSTGB.

[5] Das in der Entwurfsbegründung angegebene Beispiel lautet: „Wenn beispielsweise der Nutzer eines sozialen Netzwerks unter einen politischen Beitrag eines Verfassers in einem Kommentar zum Ausdruck bringt, dass man den Verfasser ‚mal einen Kopf kürzer machen müsste‘ (...)“ (S. 21).