Stellungnahme: 19-21


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. März 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelic

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. März 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien.

I. Vorbemerkungen

Auf eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)[1] hin hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 26.3.2019 entschieden, dass der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist.[2] Der djb hatte in seiner Stellungnahme vom 15.3.2018 die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis unterstützt[3] und die Entscheidung des BVerfG begrüßt.[4] Das BVerfG hat eine Umsetzung bis zum 31.3.2020 gefordert.[5]

Der Entwurf sieht, kurzgefasst, die Einführung der Stiefkind- und Sukzessivadoption für nichteheliche Partner vor (Artikel 1 des Referentenentwurfs – § 1766a BGB-E und Folgeänderung in § 1746 BGB), ändert das internationale Adoptionsrecht (Artikel 2 des Referentenentwurfs – Änderungen an Art. 22, 23 EGBGB, Folgeänderung an Art. 17b EGBGB) und sieht die notwendigen Folgeänderungen im RPflG, FamFG und AdWirkG vor (Artikel 3-5 des Referentenentwurfs).

Allerdings erübrigt sich auch mit diesem Entwurf nicht die erforderliche Reform des Abstammungsrechts, sondern verdeutlicht die Problematik zwischen Abstammungs- und Adoptionsrecht. Der Entwurf stellt eine weitere „Insellösung“ dar und ist lediglich die (Minimal-)Antwort auf die Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Zumindest hätte als Nachbesserung der „Ehe für Alle“ die abstammungsrechtliche Gleichstellung lesbischer Eltern in diesem Entwurf geregelt werden müssen, um die nach wie vor erforderlichen Stiefkindadoptionen in gleichgeschlechtlichen Ehen zu vermeiden.[6]

II. Zu den vorgesehenen Änderungen im Einzelnen

1. Öffnung (nur) der Stiefkind- und Sukzessivadoption, nicht der gemeinschaftlichen Adoption

§ 1766a BGB-E ordnet an, dass für die erfassten nichtehelichen Lebensgemeinschaften „die Vorschriften dieses Untertitels über die Annahme eines Kindes des anderen Ehegatten entsprechend“ gelten. Dies nimmt aus dem Normenkomplex des Untertitels 1 Bezug auf §§ 1741 Abs. 2 S. 3, 1742, 1743 S. 1, 1749, 1751 Abs. 2, 4 S. 2, 1754 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 3, 1755 Abs. 2, 1756 Abs. 2, 1757 Abs. 2 S. 1 BGB.[7] Damit wird, wie vom BVerfG gefordert, die Stiefkindadoption geöffnet. Gleichzeitig wird, über den Verweis auf § 1742 BGB, auch die Sukzessivadoption für nichteheliche Lebensgefährten zulässig.[8] Eine Beibehaltung des Ausschlusses der Sukzessivadoption war zu Recht als verfassungswidrig angemahnt worden.[9] Die gemeinschaftliche Adoption bleibt den nichtehelichen Lebensgemeinschaften allerdings weiterhin verschlossen.

Im Vorfeld des Referentenentwurfs waren in einem Diskussionspapier des BMJV vom 7.6.2019 noch zwei Varianten vorgeschlagen worden:

Variante A öffnet, wie vom BVerfG gefordert, die Stiefkindadoption (und ggf. die Sukzessivadoption) für nichteheliche Lebensgefährten; Variante B gestattet nichtehelichen Lebensgefährten darüber hinaus die gemeinschaftliche Adoption. Das Votum in den Verbänden und Vereinen ist, soweit veröffentlicht, einhellig, d.h. für Variante B plädierten die Kinderrechtekommission des DFGT[10], der DNotV[11], das DIJuF[12], der DAV[13], und einige weitere Verbände.[14] Für eine Beschränkung auf Variante A sprach sich – konkludent – nur die „IG JMV (Interessengemeinschaft Jungen Männer Väter)“[15]  aus.

Der Referentenentwurf vom 21.8.2019 setzt nunmehr Variante A um, ohne sich mit dem Ergebnis der Anhörung zum Diskussionspapier zu befassen.

Der djb hält die Öffnung der gemeinschaftlichen Adoption für die nichtehelichen Lebensgefährten allerdings für die vorzugswürdigere Variante. Denn der formale Status der Ehe ist nach der Entscheidung des BVerfG im gesamten Adoptionsrecht kein notwendiges (und möglicherweise auch kein ausreichendes) Stabilitätskriterium mehr. Unter Gleichheitsgesichtspunkten ist es aus der Perspektive des Kindes angezeigt, Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften hinsichtlich der Adoption vollends gleichzustellen. Wächst ein Kind in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auf und ist dabei nur einem Partner oder einer Partnerin rechtlich zugeordnet, wird diesem Kind in vielfacher Hinsicht die Integration in die Familie erschwert, die gemeinsame Erziehung und Verantwortungsübernahme wird behindert und im Falle der Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mangelt es dem Kind an einer rechtlichen Bindung zum nichtehelichen faktischen Elternteil (allenfalls ist § 1685 Abs. 2 BGB einschlägig).[16] Die auf Grundentscheidungen von 1976 beruhende Ehezentriertheit des Adoptionsrechts ist nicht mehr zeitgemäß.[17] Auch wenn das BVerfG nur zur Konstellation der Stiefkindadoption Stellung zu nehmen hatte, so lassen sich doch die Erwägungen des BVerfG auch auf die Konstellation der gemeinschaftlichen Adoption übertragen. Da die zentrale Legitimation für die Beschränkung der gemeinschaftlichen Adoption auf Ehepaare – die Vermutung, dass nur Ehen die für das Kindeswohl erforderliche Stabilität bieten, die eine Adoption benötigt – mit der Entscheidung des BVerfG und seiner Umsetzung im vorliegenden Referentenentwurf weggefallen ist, besteht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass auch eine Verfassungsbeschwerde Erfolg hätte, die sich gegen die Versagung der gemeinschaftlichen Adoption wendet. Mit anderen Worten: Der fortdauernde Ausschluss der nichtehelichen Lebensgefährt*innen von der gemeinschaftlichen Adoption dürfte verfassungswidrig sein.[18] Der Ausschluss trägt umso weniger, als er bereits nach dem, was der vorliegende Entwurf vorschlägt, durch eine Einzeladoption und anschließende Stiefkindadoption (Sukzessivadoption) umgangen werden kann.[19] Gerade unverheirateten Pflegeeltern würde dies die Möglichkeit der Adoption der Pflegekinder eröffnen und so im Recht der Pflegefamilien einen Teil der Probleme entschärfen.[20]

Damit läuft der Entwurf seinem erklärten Ziel zuwider, die Belange des Anzunehmenden bzw. der Anzunehmenden zu stärken.

2. Abstellen auf die „verfestigte Lebensgemeinschaft“ verfehlt

Gemäß § 1766a BGB-E soll die Stiefkind- und Sukzessivadoption nun „zwei Personen, die in einer verfestigten Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt leben“, offenstehen.

Der djb trägt das Stabilitätskriterium an sich und die zwei Regelbeispiele des zweijährigen[21] Zusammenlebens und des Zusammenlebens mit einem gemeinsamen Kind grundsätzlich mit – obschon die Voraussetzungen für die Stabilität im Entwurf etwas strenger sind als den Stellungnahmen zum Diskussionspapier zu entnehmen war.[22]

Allerdings ist der Terminus der verfestigten Lebensgemeinschaft nicht zielführend.[23] Denn die vom Referentenentwurf bewusst gewählte Anlehnung an § 1579 Nr. 2 BGB[24] - Ausschluss oder Beschränkung des nachehelichen Unterhalts, wenn der Unterhaltsberechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt – passt inhaltlich nicht. Wie in der Begründung zum Referentenentwurf ausgeführt, entsprechen sich die Lebenssachverhalte zwar „weitgehend“, der Schwerpunkt im Unterhaltsrecht sei aber ein anderer, nämlich der des gemeinsamen Wirtschaftens, während es bei der Adoption – wie hier – um die Übernahme gemeinsamer Verantwortung für ein Kind gehe. Die „verfestigte Lebensgemeinschaft in § 1766 BGB-E sei (daher), so der Entwurf, enger zu verstehen, da ein gemeinsamer Haushalt erforderlich sei.[25]

Dem kann in der Argumentation so nicht beigetreten werden. Denn die Schutzrichtung des § 1579 Nr. 2 BGB ist eine gänzlich andere, nämlich die Frage nach der Unbilligkeit der Gewährung von nachehelichem Unterhalt.[26] Der Gesetzgeber meinte zu § 1579 Nr. 2 BGB, eine verfestigte Lebensgemeinschaft könne „insbesondere dann bejaht werden … , wenn objektive, nach außen tretende Umstände wie etwa ein über einen längeren Zeitraum hinweg geführter gemeinsamer Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, größere gemeinsame Investitionen wie der Erwerb eines gemeinsamen Familienheims oder die Dauer der Verbindung den Schluss auf eine verfestigte Lebensgemeinschaft nahelegen.“[27] Der entscheidende „Umstand [sei] allein,  dass der geschiedene Ehegatte, der eine neue Lebensgemeinschaft eingegangen ist, die sich verfestigt hat, sich damit endgültig aus der nachehelichen Solidarität herauslöst und zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt."[28] Dies sei „auch der Grund dafür, die „verfestigte Lebensgemeinschaft“ als Anwendungsfall der Unbilligkeit nach § 1579 BGB zu begreifen und nicht als Fall der bloßen Bedarfsdeckung im Sinne von § 1577 Abs. 1 BGB.“[29] Die Ratio von § 1579 Nr. 2 BGB ist danach ebenso komplex wie undurchsichtig und hat (berechtigte) Kritik erfahren. Die vom Gesetzgeber des UÄndG 2008 vorgetragene Motivation wird beispielsweise als „nebensächlich, nicht schlüssig und auch nicht aussagekräftig“[30] bezeichnet.

§ 1579 Nr. 2 BGB dürfte - zusammenfassend - auf zwei Situationen abzielen, die beide für sich allein das Eingreifen der Beschränkung oder Versagung des Anspruchs auslösen können – zum einen die Gründung einer neuen sozioökonomischen Unterhaltsgemeinschaft, zum anderen das Auftreten der neuen Partner in der Öffentlichkeit wie ein Ehepaar.[31]

Dies zeigt, dass der Fokus von § 1579 Nr. 2 BGB mitnichten auf der Existenz einer stabilen nichtehelichen Lebensgemeinschaft liegt, die einen angemessenen Rahmen für die Adoption eines Kindes bietet. Der Blickwinkel ist ein völlig anderer. Der Referentenentwurf möchte zwei gänzlich unterschiedliche Interessenlagen mit demselben Terminus belegen. Dies wird zwangsläufig in der familiengerichtlichen Praxis zu Verwerfungen führen.

Regelungstechnisch problematisch ist außerdem, dass der Referentenentwurf die „verfestigte Lebensgemeinschaft“ in der ersten Variante definiert als „eheähnliche“ Lebensgemeinschaft, deren Partner für mindestens zwei Jahre zusammenleben (§ 1766a Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB-E). Die Verquickung der beiden Begriffe „verfestigte“ und „eheähnliche“ Lebensgemeinschaft ist aber irreführend und daher verfehlt.

Dem djb ist bewusst, dass der Gesetzgeber für Bezugnahmen auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft noch kein kohärentes Konzept gefunden hat.[32] Indes ist die Übernahme des Begriffs der „verfestigten Lebensgemeinschaft“ nicht der richtige Weg, um das beschriebene Problem adäquat zu lösen. Angeregt wird, den Begriff der „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ in das Gesetz einzuführen, der in Literatur und Rechtsprechung seit Jahrzehnten vergleichsweise konsistent verwendet wird. Noch vorzugswürdiger wäre freilich der Begriff „faktische Lebensgemeinschaft“, weil er (mögliche) Diskriminierungen vermeidet. Alternativ könnte der Gesetzgeber den Begriff „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ oder „faktische Lebensgemeinschaft“ (gänzlich) vermeiden und eine eigenständige situationsadäquate Paraphrase wählen, wie an anderer Stelle schon formuliert.[33]

Dass eine nichteheliche Lebensgemeinschaft i.S.d. § 1766a BGB-E nicht neben einer Ehe bestehen kann, ist sicherlich für die meisten Fälle überzeugend. Eine Ausnahme sollte jedoch für den Fall formuliert werden, dass bereits ein Scheidungsverfahren rechtshängig ist und der Adoptierende bzw. der andere Elternteil bereits der Scheidung zugestimmt hat oder diese beantragt hat.

3.Verwirrende Begriffsvielfalt hinsichtlich der erfassten Lebensgemeinschaften

Die Überschrift des § 1766a BGB-E spricht vom „nichtehelichen Partner“, der Normtext des § 1766a BGB von der „verfestigten Lebensgemeinschaft“ und vom „eheähnlichen“ Zusammenleben, die Entwurfsbegründung von „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ (S. 8, 11, 13), „nichtehelichen Paaren“ (S. 11, 14), „nichtehelichen Partnern/Partnerschaften“ (S. 12, 13, 15) und „nichtehelichen Beziehungen“ (S. 11, 12, 13). Es wird nicht hinreichend deutlich, wie diese Begriffe zueinanderstehen. Es wird auch im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen deshalb angeregt, den Entwurf (jedenfalls) insoweit zu überarbeiten.

4. Fehlende Änderung von § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB

Als weitere Folgeänderungen sollte § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB („Wer nicht verheiratet ist, kann ein Kind nur allein annehmen.“) modifiziert werden. § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB ist eng verknüpft mit der Rechtsfolge des § 1755 Abs. 1 BGB – vollständige Ersetzungen der bisherigen verwandtschaftlichen Beziehungen des anzunehmenden Kindes mit den durch die annehmende Person vermittelten verwandtschaftlichen Beziehungen. Dies ist bei der neuen Stiefkindadoption und Sukzessivadoption durch nichteheliche Lebensgefährten gerade nicht gewollt. Freilich kommt § 1755 Abs. 1 BGB nach der geplanten Neuregelung durch die von § 1766a BGB-E angeordnete entsprechende Geltung von § 1755 Abs. 2 BGB – nur halbseitiges Erlöschen bei Stiefkindadoption und Sukzessivadoption durch einen Ehegatten – nicht zum Zuge. Diese Regelungstechnik ist in der praktischen Anwendung kompliziert und auch verwirrend, wenn § 1741 Abs. 2 S. 1 mit § 1755 Abs. 1 BGB sprachlich unverändert bestehen bleibt.[34]

5. Weitreichende und unzureichend begründete Änderungen an Art. 22 EGBGB

Während das geltende Recht für das auf die Annahme als Kind anzuwendende Recht bei unverheirateten Einzelpersonen auf das Heimatrecht des Annehmenden (Art. 22 Abs. 1 S. 1 EGBGB) und bei Ehegatten auf das Ehewirkungsstatut abstellt (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB), sieht der neue Art. 22 Abs. 1 EGBGB-E für Inlandsadoptionen die Anwendung deutschen Sachrechts vor und „im Übrigen“ die Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Anzunehmenden. Dazu ist folgendes anzumerken:

Erstens handelt es sich hierbei um eine außerordentlich weitreichende Änderung, das deutsche internationale Adoptionsrecht wird komplett verändert: Für die Inlandsadoptionen (Art. 22 Abs. 1 S. 1 EGBGB-E) wird die Regelung über die internationale Zuständigkeit des § 101 FamFG zur versteckten Kollisionsnorm (deutsches Recht ist immer dann anwendbar, wenn eine Adoption vor einem deutschen Gericht stattfindet; der Weg zu den deutschen Gerichten ist eröffnet, wenn ein Annehmender oder der Anzunehmende seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder die deutsche Staatsangehörigkeit hat). Dank der breiten internationalen Zuständigkeit wird die Anwendbarkeit deutschen Rechts stark ausgeweitet. Im Kontrast dazu war bislang für Inlands- (und vertragliche Auslands-)Adoptionen das anwendbare Recht unmittelbar (S. 1) oder mittelbar (Art. 22 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB) klar an der Staatsangehörigkeit des/der Annehmenden ausgerichtet. Auch für die ausländischen Vertragsadoptionen (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB-E) schaut die Norm nun nicht mehr auf den Annehmenden, sondern auf den Anzunehmenden und stellt nicht mehr auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Diesen deutlichen Paradigmenwechsel behandelt der Entwurf nicht.

Zweitens ist diese Änderung nicht, wie der Referentenentwurf behauptet[35], eine notwendige Folgeänderung der sachrechtlichen Neuerungen. Freilich kann, wie der Referentenentwurf zu Rechthervorhebt, Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB in seiner jetzigen Form nicht bestehen bleiben, weil nichteheliche Lebensgefährten kein Ehewirkungsstatut haben. Aber der rechtsvergleichende Blick zeigt, wie viel weniger Änderung als hier vorgeschlagen völlig ausreichen würde: So wird in vielen anderen Rechtsordnungen bei zwei Annehmenden das gemeinsame Heimatrecht und hilfsweise, bei divergierenden Staatsangehörigkeiten der Annehmenden, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts (Belgien, Italien, Luxemburg)/des gemeinsamen Wohnsitzes (Polen)/des gemeinsamen gewöhnlichen Wohnorts (Portugal) angewandt.[36] Denkbar wären auch verschiedene andere weitgehend systemerhaltende Konstruktionen (beispielsweise eine Leiter von Ehewirkungsstatut – hw. gemeinsame Staatsangehörigkeit – hw. gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt – hw. letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt etc.).

Drittens trägt die Begründung für Art. 22 Abs. 1 S. 1 EGBGB-E – dass es anderenfalls „in seltenen Fällen“ weiterhin möglich sei, dass deutsche Gerichte ausländisches Adoptionsrecht anwenden[37] – nicht. Dass deutsche Gerichte auch ausländisches Recht anwenden, ist Prämisse unseres gesamten Kollisionsrechts; anderenfalls wäre das Kollisionsrecht entbehrlich und die Regeln über die internationale Zuständigkeit würden genügen. Diese Begründung allein rechtfertigt somit die Einführung einer neuen einseitigen Kollisionsnorm nicht.[38]

Viertens kann der in Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBG-E vorgenommene Wandel vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip nicht schlicht mit dem pauschalen Verweis auf die „allgemeine internationale Entwicklung“ hin zum Aufenthaltsprinzip begründet werden, obschon es diese zweifellos gibt; erforderlich sind Sachargumente.

Der Referentenentwurf begründet das Abstellen auf den Aufenthalt des anzunehmenden Kindes damit, dass dessen „Belange zentral“ seien. Letzteres ist zweifellos richtig. Doch es ist durch nichts gewährleistet, dass das Adoptionskollisionsrecht[39] des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Anzunehmenden die Belange des Anzunehmenden in besonders guter Weise wahrt. Der Entwurf vermischt die Ebenen des Sach- und Kollisionsrechts.

Schließlich ist die Regelungstechnik des neu gefassten Art. 22 Abs. 1 EGBGB-E insoweit verwirrend, als nicht hinreichend deutlich wird, dass mit „im Übrigen“ (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB-E) gemeint ist, dass sich die Beurteilung ausländischer Dekretadoptionen nach den international-verfahrensrechtlichen Regeln der §§ 108, 109 FamFG und die Beurteilung ausländischer Vertragsadoptionen nach Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB-E richten soll. Auch diese Regelungstechnik wird in der Anwendungspraxis zu Problemen führen.

6. Entfallen der Begünstigung des Art. 23 S. 2 EGBGB

Der Referentenentwurf sieht vor, dass sich Art. 23 EGBGB künftig nicht mehr auf die Zustimmung zur Adoption erstreckt mit der Folge, dass die Zustimmung zur Adoption nicht mehr zusätzlich den Anforderungen des Heimatrechts des anzunehmenden Kindes entsprechen muss. Dies erscheint für die Fälle der Inlandsadoption (Art. 22 Abs. 1 S. 1 EGBGB-E) konsequent. Für die Fälle der ausländischen Vertragsadoption (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB-E) ist der ersatzlose Wegfall des Art. 23 EGBGB indes nicht einzusehen. Denn über Art. 23 S. 2 EGBGB ist gewährleistet, dass alternativ zum Heimatrecht des Kindes das deutsche Recht Anwendung kam, soweit dies zum Wohle des Kindes erforderlich war. Das deutsche Recht kommt nun in den Fällen der ausländischen Vertragsadoption für die Zustimmung zur Adoption in keinem Fall mehr zur Anwendung[40]. Was diesen Verlust rechtfertigen soll, ist nicht ersichtlich.

III. Fazit

Der Entwurf kann nur als minimalistisch bezeichnet werden. Der djb fordert daher, zur Vermeidung der Stiefkindadoption Regelungen auch zur abstammungsrechtlichen Gleichstellung lesbischer (Ehe-)Paare zu treffen und regt im Übrigen folgende Änderungen an:

  • Öffnung der gemeinschaftlichen Adoption auch für nichteheliche Lebensgemeinschaften,
  • Keine Verwendung des Konzeptes „verfestigte Lebensgemeinschaft“, stattdessen „faktische“ oder „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ oder situative Beschreibung,
  • klarstellende Änderungen in § 1741 Abs. 2 S. 1 oder § 1755 BGB.
  • Überdenken der Kollisionsnormen

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin                            

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften

[1] BGH, 8.2.2017, XII ZB 586/15, FamRZ 2017, 626 = NJW 2017, 1672 = DNotZ 2017, 375 = StAZ 2017, 174.

[2] BVerfG, 26.3.2019, 1 BvR 673/17, BGBl I 2019, 737 = FamRZ 2019, 1061 = NJW 2019, 473.

[3] Stellungnahme des djb vom 15.3.2018, https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K2/st18-03/, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

[4] Siehe Pressemitteilung des djb vom 6.5.2019, https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K2/pm19-16/, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

[5] BVerfG, 26.3.2019, 1 BvR 673/17, BGBl I 2019, 737 = FamRZ 2019, 1061 = NJW 2019, 473 Rn. 132.

[6] Vgl. www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K2/pm19-12

[7] Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 11.

[8] So ausdrücklich Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 11.

[9] Löhnig, NZFam 2019, 486, 487; ders., JA 2019, 626, 627

[10]https://www.dfgt.de/resources/SN-KiKo_Stellungnahme%20zum%20Diskussionspapier%20des%20Bundesministeriums%20der%20Justiz%20und%20f%C3%BCr%20Verbraucherschutz%20zur%20Umsetzung%20der%20Entscheidung%20des%20BVerfG%20vom%2026.3.2019%20%E2%80%93%201%20BvR%2067317.pdf, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

[11]https://www.dnotv.de/wp-content/uploads/StN-DNotV-Stiefkindadoption-nichtehelicher-Paare-.pdf, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

12 https://dijuf.de/tl_files/downloads/2019/DIJuF-Stellungnahme_Diskussionspapier%20Umsetzung%20BVerfG%20Stiefkindadoption_v._8.7.2019.pdf, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

[13]https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA190701718&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp, zuletzt abgerufen am 29.8.2019.

[14] Z.B. der PFAD Bundesverband (http://www.pfad-bv.de/dokumente/2019-07-08%20SN%20zum%20Diskussionspapier%20des%20BMJuV.pdf) und der Kinderschutzbund - Bundesverband (https://www.dksb.de/fileadmin/user_upload/download/stellungnahmen/Stellungnahme_des_DKSB_zum_Diskussionspapier_zur_Umsetzung_der_Entscheidung_des_Bundesverfassungsgerichts_vom_26._03._2019_Stiefkindadoption_in_nichtehelichen_Familien.pdf), beide zuletzt abgerufen am 29.8.2019. Ebenfalls für eine Öffnung der Fremdkindadoption hatten Helms, FamRZ 2019, 1072, 1073 sowie Löhnig, NZFam 2019, 486, 487 und ders., JA 2019, 626, 627 (jew. beschränkt auf Pflegekinder) plädiert.

[15]http://www.ig-jungen-männer-väter.de/Stellungnahme-Stiefkindadoption-05-07-2019/, zuletzt abgerufen am 29.8.2019. Eher zweifelnd auch Gatermann, NDV 2019, 295, 298.

[16] Stellungnahme des DFGT zum Diskussionspapier, S. 2.

[17] So auch Oldenburger, jurisPR-FamR 14/2019 Anm. 1; ähnlich Helms, FamRZ 2019, 1072, 1072.

[18] So auch Stellungnahme des DFGT zum Diskussionspapier, S. 1; Stellungnahme des DNotV zum Diskussionspapier, S. 3; Löhnig, NZFam 2019, 486, 487 und JA 2019, 626, 627 (beschränkt auf Pflegekinder).

[19] Bereits das Diskussionspapier, S. 3, zeichnet diesen Weg vor. Siehe auch Stellungnahme des DFGT zum Diskussionspapier, S. 3.

[20] Stellungnahme des DIJuF zum Diskussionspapier, S. 3; Stellungnahme des DFGT zum Diskussionspapier, S. 3.

[21] So schon Oldenburger, jurisPR-FamR 14/2019 Anm. 1.

[22] Das DIJuF mahnte, keine überzogenen Anforderungen an die Stabilität zu stellen (Stellungnahme des DIJuF zum Diskussionspapier, S. 2); der DAV schlug ein einjähriges Zusammenleben vor (Stellungnahme des DAV zum Diskussionspapier, S. 4), der DNotV möchte das Bestehen der Probezeit des § 1744 BGB genügen lassen und mithin auf gesonderte Stabilitätskriterien verzichten (Stellungnahme des DNotV zum Diskussionspapier, S. 2).

[23] Schon im Diskussionspapier war der Begriff verwendet worden und schon im Diskussionspapier hatte dies für Kritik gesorgt, siehe nur Stellungnahme des DNotV zum Diskussionspapier, S. 3.

[24] So ausdrücklich Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 10.

[25] Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 10.

[26] Stellungnahme des DNotV zum Diskussionspapier, S. 3.

[27] BT-Drs. 16/1830 S. 21 li. Sp.

[28] BT-Drs. 16/1830 S. 21 li. Sp.

[29] BT-Drs. 16/1830 S. 21 re. Sp.

[30] MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, BGB § 1579 Rn. 25.

[31] So richtig Johannsen/Henrich/Hammermann, 6. Aufl. 2015, § 1579 BGB Rn. 16.

[32] Vgl. nur § 178 I Nr. 1 ZPO – Ersatzzustellung an den „erwachsenen ständigen Mitbewohner“, § 563 II 3 BGB – Eintrittsrecht von "Personen, die mit dem Mieter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen“; § 844 III 1 BGB – Angehörigenschmerzensgeld für „Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand“; § 106 SGB X „Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben“, anwendbar auf den nichtehelichen Lebensgefährten laut BGH, Urteil vom 05.02.2013 - VI ZR 274/12, BeckRS 2013, 04308 m. Anm. Lugani, LMK 2013, 345111.

[33] Siehe die in Fn. 32 genannten Normen.

[34] Für eine Streichung von § 1741 II 1 BGB plädierte Oldenburger, jurisPR-FamR 14/2019 Anm. 1.

[35] Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 14.

[36] Staudinger/Henrich, 2019, Art. 22 EGBGB Rn. 7. Damit würde auch die vom Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019 (S. 14) als zu streng befürchtete kumulative Anwendung der Heimatrechte der Annehmenden, die in Österreich, Rumänien, der Tschechischen Republik und Ungarn vorgesehen ist (Staudinger/Henrich, 2019, Art. 22 EGBGB Rn. 7), vermieden.

[37] Referentenentwurf des BMJV vom 21.8.2019, S. 14.

[38] Wobei der djb nicht verkennt, dass andere Rechtsordnungen eine ähnliche Regel wie Art. 22 Abs. 1 S. 1 EGBGB-E kennen, bspw. Schweden (siehe Staudinger/Henrich, 2019, Art. 22 EGBGB Rn. 7).

[39] Der Entwurf äußert sich nicht zur Frage der Gesamt- oder Sachnormverweisung, weswegen davon auszugehen ist, dass es sich um einen Gesamtverweis (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) handelt.

[40] Wenn nicht ausnahmsweise bereits deutsches Recht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes war, Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGGB-E.