Stellungnahme: 19-18


Schlussfolgerungen des Deutschen Juristinnenbundes e.V. aus der Evaluation des Entgelttransparenzgesetzes

Stellungnahme vom

Anfang Juli hat das Bundeskabinett den Bericht der Bundesregierung zur Wirksamkeit des Entgelttransparenzgesetzes beschlossen.[1] Das Gesetz wurde entsprechend des gesetzlichen Auftrags zwei Jahre nach Inkrafttreten am 6. Juli 2017 erstmals evaluiert (§ 23 EntgTranspG).  

Die Ergebnisse der Evaluation bestätigen, worauf der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bereits seit dem Gesetzgebungsverfahren hingewiesen hat [2] : Die Wirksamkeit des Entgelttransparenzgesetzes ist sehr begrenzt. Das Gesetz hat das Thema zwar kurzfristig auf die Agenda großer Unternehmen gesetzt, aber es leistet keinen bemerkenswerten Beitrag zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Weitere gesetzgeberische Schritte zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit sind erforderlich: Dazu gehören die Einführung eines Verbandsklagerechts und einer Verpflichtung der Unternehmen, betriebliche Entgeltsysteme zu überprüfen. Diese Schritte müssen nun zügig vorangetrieben werden.

1. Zum individuellen Auskunftsanspruch: Geringe Inanspruchnahme

In der Gesetzesbegründung des Entgelttransparenzgesetzes wurde davon ausgegangen, dass lediglich ein Prozent aller auskunftsberechtigten Beschäftigten ein Auskunftsverlangen stellen werden, das sind 70.275 Auskunftsverlangen im Jahr.[3]  Eine geringe Zahl angesichts von rund 33 Millionen Beschäftigten.[4] Die Hochrechnung[5] in der Evaluation weist nur 10.400 Auskunftsanfragen aus, dies entspricht 0,15 Prozent aller auskunftsberechtigten Beschäftigten. Die Unternehmen erwarten hier mehrheitlich keine Steigerung. Befragte gaben an, den Auskunftsanspruch aus Angst vor negativen Konsequenzen (16 Prozent) oder mangels Aussicht auf Verbesserung (36 Prozent) nicht geltend gemacht zu haben[6], was auch der Bericht hervorhebt.[7] In keinem einzigen Fall haben die Auskünfte nach Auffassung der Unternehmen Auffälligkeiten gezeigt; die Beschäftigten sahen das zum Teil anders.

Die geringe Inanspruchnahme des Auskunftsanspruchs überrascht nicht: Das Verfahren ist kompliziert, die Aussagekraft der erfragbaren Informationen gering. Die Vereinfachung des Auskunftsverfahrens ist daher eine naheliegende Forderung der Evaluation. Gleiches gilt für die Forderung, die Aussagekraft der Auskunft durch eine Erweiterung der zu gewährenden Informationen zu erhöhen und die Rechtsfolge in Form des Erfüllungsanspruchs klar im Gesetz zu regeln (zu letzterem vgl. bereits die Stellungnahme des djb vom 06.03.2017 zu § 7 und den §§ 10 ff.[8]).

Eine Erweiterung der Auskunftspflicht muss auch für Arbeitgeber gelten, die der Tarifbindung unterliegen. Weitergehend müssen die Privilegien für „tarifanwendende Arbeitgeber“ gänzlich entfallen, da das Vorliegen dieser Voraussetzung nicht überprüfbar ist.

Schlussfolgerung des djb:

Es ist unzumutbar, dass allein die Betroffenen den Erfüllungsanspruch durchsetzen können und so durch die Gesetzeskonzeption in einen Konflikt mit dem Arbeitgeber getrieben werden, den sie verständlicherweise scheuen. Es bedarf vielmehr eines Verbandsklagerechts.

Die Begrenzung des Auskunftsanspruchs auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten ist ein Kapitalfehler des Gesetzes. In 99,3 Prozent der deutschen Unternehmen arbeiten  weniger als 200 Beschäftigte.[9] In 85 Prozent der befragten Unternehmen wurden laut Befragung keine Maßnahmen zur Entgeltgleichheit ergriffen. Wenn der Gesetzgeber hier weiter auf Freiwilligkeit setzt, kommt er seinem Auftrag, das Entgeltgleichheitsgebot durchzusetzen, nicht nach.

2. Zum betrieblichen Prüfverfahren: Klare gesetzliche Richtschnur für Prüfverfahren fehlt

Die Mechanismen diskriminierender Entgeltstrukturen sind in den Unternehmen überwiegend nicht bekannt. So wundert es nicht, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen angeben, Entgeltungleichheit existiere bei ihnen nicht. Im Gegensatz zu den Einschätzungen der Beschäftigten ist Entgeltgleichheit aus Sicht der Unternehmen bei ihnen auch kein relevantes Thema. Der djb fordert – wie zuletzt in seiner Pressemitteilung vom 17.03.2019[10] – die gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung betrieblicher Prüfverfahren hinsichtlich der betrieblichen Entgeltpraxis und der im Betrieb geltenden Entgeltregelungen, damit die Betriebe erkennen können, ob diese dem Entgeltgleichheitsgebot entsprechen. Zu keinem anderen Ergebnis kommt die Evaluation, wenn sie fordert, die zentrale Rolle des individuell durchzusetzenden Auskunftsanspruchs zu überprüfen[11] und ein verpflichtendes Prüfverfahren einzuführen[12].

45 Prozent der befragten Unternehmen[13] geben laut der Evaluation an, ihre Entgeltstrukturen auf Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern überprüft zu haben. Allerdings sollen diese Überprüfungen gerade nicht auf der Grundlage des Entgelttransparenzgesetzes erfolgt sein.[14] Was und auf welche Weise die Unternehmen tatsächlich geprüft haben, hat die Evaluation nicht erhoben; jedenfalls haben 80 Prozent der Unternehmen keinen Handlungsbedarf entdeckt. Ob Betriebsrat und Belegschaft einbezogen wurden und ob es Gehaltsanpassungen gab, erfährt die (Betriebs-)Öffentlichkeit häufig nicht. Das ist das Gegenteil des Gesetzesziels: Intransparenz. Der Berichtspflicht zu Maßnahmen zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit kommen laut der Evaluation viele Unternehmen nicht nach.[15] Auch das verwundert nicht: ihr Unterlassen ist sanktions- und damit folgenlos. 

Schlussfolgerung des djb:

Für reale Entgelttransparenz muss es eine klare gesetzliche Richtschnur dafür geben, was Arbeitgeber überprüfen müssen und wie Korrekturen in Gehaltssystemen umzusetzen sind; Prüfverfahren müssen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zertifiziert sein.

3. Fazit

Der von der Bundesregierung angekündigte Ausbau von Informations- und Beratungsangeboten zum bestehenden Entgelttransparenzgesetz[16] reicht ausweislich der vorliegenden Evaluation nicht aus, um den schon seit Jahrzehnten bestehenden Rechtsanspruch auf gleiches Entgelt für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit tatsächlich durchzusetzen. Ein Individualanspruch, der einzelnen Beschäftigten die Durchsetzung ihrer Ansprüche überantwortet, erweist sich seit Jahrzehnten zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit als unwirksam. Die Einführung einer Verbandsklage kann eine Lücke schließen. Die Verpflichtung für die Unternehmen, die betrieblichen Entgeltsysteme zu überprüfen, ist unverzichtbar.                      

Prof. Dr. Maria Wersig                            
Präsidentin                                                                  

Prof. Dr. Heide Pfarr     
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht                 
                                                                                   

[1] Abrufbar unter: www.bmfsfj.de/entgelttransparenzbericht (im Folgenden zitiert als: Evaluation). 

[2] Vgl. djb-Stellungnahmen vom 27. Februar 2017 und vom 11. März 2019.

[3] BT-Drs. 18/11133, S. 78.

[4] Stand 1. Quartal 2019, Statistik Bundesagentur für Arbeit.

[5] Von den befragten Beschäftigten haben 2 % vom Auskunftsanspruch Gebrauch gemacht - in absoluten Zahlen entspricht das 43 Anfragen, 21 davon von Frauen und 22 von Männern, vgl. Evaluation, S. 88

[6] Evaluation, Abb. 33 des Berichts

[7] Evaluation, S. 124.

[8] Stellungnahme öffentlichen Anhörung des Familienausschusses des Deutschen Bundestages am 6. März 2017 – Entgelttransparenzgesetz: www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K1/st17-05/

[9] Evaluation, S. 110.

[10] Pressemitteilung „Equal Pay: Ein Prinzip ohne Praxis! Juristinnenbund fordert effektives Gesetz“: www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K1/pm19-11/.

[11] Vgl. Evaluation, S. 13 und 124 ff.

[12] Evaluation, S.127

[13] 45 % der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und 43 % der Unternehmen mit zwischen 201 und 500 Beschäftigten, vgl. Evaluation, S. 6. 

[14] Vgl. Evaluation, S. 12, 94.

[15] Vgl. Evaluation, S. 101.

[16] So die zentrale Schlussfolgerung der Bundesregierung, vgl. Bericht, S. 5.