Stellungnahme: 19-12


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags

Stellungnahme vom

I. Vorbemerkungen

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) stellt fest, dass der am 8. Mai 2019 zur Anhörung an die Verbände versandte Entwurf seriös bei einer gesetzten Frist von zwei Tagen nicht zu bearbeiten ist, was von den beteiligten Ministerien auch nicht verkannt wird.

Eine vertiefte Beschäftigung mit den angedachten (Gesetzes-)Änderungen ist jedoch – nicht zuletzt aufgrund der grund- und menschenrechtlichen Relevanz der vorgeschlagenen Regelungen – zwingend erforderlich. Selbst bei einer nur summarischen Prüfung fällt auf, dass dem Entwurf die „Binnenstimmigkeit“ fehlt.

Die Legaldefinitionen zu Intergeschlechtlichkeit (§ 18 BGB-E) und Transgeschlechtlichkeit (§ 19 BGB-E) vermögen in ihrer primären Anknüpfung am Körpergeschlecht nicht zu überzeugen, insbesondere nicht im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Geschlechtsidentität, aber auch nicht im Hinblick darauf, dass die Grenzen – aus medizinischer Sicht – zwischen Inter- und Transgeschlechtlichkeit durchaus fließend sein können.

Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die verfahrensrechtlichen Folgeänderungen zu Verwerfungen führen, die zu überdenken sein werden.

II. Materielle Änderungen

1) Artikel 1 – Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs

a) § 18 BGB-E

Ob die in Aussicht genommenen Regelungen an dieser Stelle richtig verortet sind, ist schon zweifelhaft, kann aber aus gegebenem Anlass nicht vertieft erörtert werden.

Vorab zu bemerken ist, dass § 18 BGB-E nicht dem § 45b PStG in seiner geltenden Fassung entspricht, obwohl so in der Begründung dargestellt (S. 1, 24): Absatz 3 ist offenbar nachträglich und ohne Anpassung der Begründung eingefügt worden. Sinn und Zweck der Regelung erschließen sich daher nicht.

Bezogen auf § 18 Abs. 2 BGB-E ist darauf hinzuweisen, dass bedauerlicherweise keine isolierte Änderung der Wahl des Vornamens zugelassen wird. Darin liegt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu § 19 Abs. 2 BGB-E. Ein Angewiesensein auf das NamÄndG-Verfahren für isolierte Vornamensänderungen bei intergeschlechtlichen Menschen erscheint nicht sachgerecht. Geboten ist zudem eine Abstimmung mit den Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft Namensrecht (BMJV/BMI).

Zu Absatz 4 ist anzumerken, dass die bereits im Rahmen des Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben Kritik am Erfordernis eines medizinischen Nachweises (vgl. https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K2/st18-11/), Anlass hätte sein müssen, diese kritisch zu reflektieren.

b) § 19 BGB-E

Kritisch zu sehen ist, dass trans Personen ihren Geschlechtseintrag weiterhin nur durch ein gerichtliches Verfahren sollen ändern können und nicht mittels Erklärung gegenüber dem Standesamt, wie es für inter Personen möglich ist, zumal § 19 Abs. 1 als Muss-Vorschrift ausgestaltet ist.

Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 3 BGB-E wird im Ergebnis an einer „Begutachtung“ festgehalten. Zwar wird die Bezeichnung „Beratung“ gewählt, diese hat jedoch zwingend zu erfolgen und an sie werden – nach der Begründung – im Wesentlichen die gleichen Anforderungen gestellt wie an die bisherigen Sachverständigengutachten. Es wird nicht nur eine Bestätigung über die Durchführung der Beratung, sondern eine begründete Stellungnahme der beratenden Person verlangt, die eine Hilfestellung für die Entscheidung des Gerichts sein soll. Dabei hat das Gericht kein Ermessen mehr („ordnet … an“), wenn die Bescheinigung (Nr. 3) vorliegt, die das Vorliegen der Nummern 1 und 2 bestätigt.

Damit hängt die Entscheidung über die Geschlechtszugehörigkeit maßgeblich von der Einschätzung von Ärzt*innen, Psycholog*innen und Psychotheratpeut*innen ab.

Kritisch wird außerdem gesehen, dass – abweichend von Absatz 1 – die Entscheidung nach Absatz 2 in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. In diesem Zusammenhang bleibt aber offen, welche Ermittlungen das Gericht zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen durchzuführen hat (§ 26 FamFG), wer konkret am Verfahren zu beteiligen ist und ob sich das Ermessen in bestimmten Fällen gar „auf Null“ reduzieren kann.

Der Logik des Referentenentwurfs entsprechend – Angleichung der Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags bei Inter- bzw. Transgeschlechtlichkeit – dürfte bei Vorliegen einer Beratungsbescheinigung, die die Voraussetzungen zur Änderung konstatiert, kein Ermessensspielraum mehr gegeben sein.

Nicht nur im Hinblick auf betroffene Minderjährige scheint zu § 19 BGB-E insgesamt eine sachliche Überarbeitung notwendig.

c) § 1631e BGB-E

Der Entwurf regelt einen Teil der Personensorge minderjähriger Kinder neu, die nicht ohne ergänzende Prüfung übernommen werden kann.

Die Norm ist im Kontext der verfahrensrechtlichen Folgeänderungen zu sehen, wobei zum einen – richtigerweise – die Zuständigkeit des Familiengerichts begründet wird (Satz 3 – s.a. § 168a FamFG-E zu den Mitteilungspflichten), zum anderen aber in Bezug auf die §§ 409a ff. FamFG-E die Zuständigkeit der allgemeinen (Zivil-)Abteilung des Amtsgerichts vorgesehen ist, die einen anderen Rechtsmittelzug auslöst (§ 409b FamFG-E) und die – nach der Begründung – die Zuständigkeit des § 151 Nr. 1 FamFG „verdrängen“ soll (S. 27).

Das ist wenig überzeugend und bedenklich im Hinblick auf § 23a Abs. 1 S. 2 GVG. Denn in der Konstellation der Transgeschlechtlichkeit wird das Kind in den Fällen, in denen es das 14. Lebensjahr nicht vollendet hat oder geschäftsunfähig ist, unter Umständen zwei Verfahren zu durchlaufen haben, wobei dies entsprechend gilt, wenn es älter als 14 Jahre ist, aber die Eltern ihre Zustimmung verweigern.

Dies führt im Ergebnis zu einem Kindschaftsverfahren (ohne Beschleunigungsgrundsatz) einerseits und andererseits zu einem allgemeinen (Zivil?)Verfahren. Der Prüfungsumfang der jeweiligen Verfahren ist nicht geregelt, auch nicht, ob einer Entscheidung ein Präjudiz zukommt.

Schließlich wird zu bedenken sein, dass den Eltern – aus Gründen des Kindeswohls – der Teil der Personensorge, den § 1631e BGB-E normiert, nach § 1666 BGB ggf. auch entzogen werden kann und muss, wenn Entscheidungen der Eltern nicht dem Wohl des Kindes entsprechen. Können sich die Eltern bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge nicht einigen, stellt sich außerdem die Frage, ob zuvor beispielsweise ein Verfahren nach § 1628 BGB zu führen ist.

Sollte es bei der Regelung verbleiben, d.h. Verortung im Personensorgerecht, wird angeregt, die Zuständigkeit bei Minderjährigen umfassend dem Familiengericht zuzuweisen.

2) Artikel 2 – Änderungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche

Auch Art.7a EGBGB-E wird im Einzelnen zu überarbeiten sein. Denn eine Rechtswahl (Abs. 3) in nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten unterliegt nach geltendem Recht häufig der notariellen Beurkundung (vgl. Art. 7 Rom III-VO iVm Art. 46e EGBGB und Art. 23 EuGüVO iVm § 1410 BGB). Davon wird, womöglich in Parallelität zu Art. 10 Abs. 3 S. 2 EGBGB, abgewichen, ohne dass sich die Notwendigkeit erschließt.

Ergänzend ist anzumerken, dass es an der Übereinstimmung mit § 18 BGB-E fehlt. Dies gilt zum einen in Bezug auf Artikel 7a Abs. 2 S. 2 EGBGB-E (ist der Wechsel des Vornamens gemeint?) und zum anderen mit Blick auf § 18 Abs. 1 S. 3 BGB-E und Artikel 7a Abs. 3 Halbs. 2 EGBGB-E.

Die Normen sollten sachlich angeglichen werden.

III. Verfahrensrechtliche Änderungen

1) Artikel 6 – Änderung des § 23a GVG

Nach der lex lata sind die in § 23a Abs. 2 GVG nicht enumerativ aufgeführten Verfahrensgegenstände, soweit sie der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sind, von dessen Nr. 11 erfasst, so auch das TSG (Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 1 Rn. 28; MüKoFamFG/Pabst, 3. Aufl. 2018, FamFG § 1 Rn. 25; BeckOK FamFG/Burschel, 30. Ed. 1.4.2019, FamFG § 1 Rn. 7).

Davon ausgehend erschließt sich die Einfügung einer Nr. 4a nicht, die im Übrigen an dieser Stelle – bezogen auf den Regelungsgehalt – wenig sachgerecht ist.

2) Artikel 7 – Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Wie bereits angemerkt, bestehen erhebliche Bedenken gegen den Vorrang der §§ 409a ff. FamFG-E bei minderjährigen Kindern. Denn übersehen wird, dass die Entscheidung im Hinblick auf §§ 18, 19 BGB-E ausdrücklich dem Sorgerecht zugeordnet und damit die ausschließliche Zuständigkeit des Familiengerichts begründet wird.

a) Es wird angeregt, § 409d FamFG-E – mit den Einschränkungen wie zu lit. b) benannt – in der in Aussicht genommenen Fassung zu streichen, zumal er über den geltenden § 3 Abs. 2 TSG, der allein die antragstellende Person als Verfahrensbeteiligte festlegt, hinausgeht.

b) § 409e FamFG-E knüpft für die Wirksamkeit der Entscheidung – abweichend von § 40 FamFG – an die Rechtskraft an. Auch das wird zu überdenken sein, denn ohne klare Auflistung der zu beteiligenden Personen greift § 7 Abs. 3 und 4 FamFG ein mit der Folge, dass eine Rechtskraft nicht eintritt oder durch Rechtsmittel zu beteiligender Personen erheblich verzögert wird.

c) Die Frist des § 409g FamFG-E erscheint „willkürlich“. Auch die Begründung (s.S. 28 des Entwurfs) verhält sich nicht dazu, warum alles unterhalb von drei Jahren „zeitlich kurz“ ist.

IV. Weitere (Folge-)Änderungen

1) Artikel 3 – Änderung des Passgesetzes

a) Änderung von § 4 Abs. 1 S. 4

Der einfache Austausch der Verweisnorm führt zu Unstimmigkeiten. Nach § 19 BGB-E werden vier Eintragungsmöglichkeiten bestehen. Der verbleibende Text, dass „auf Antrag ein Pass mit der Angabe des anderen, von dem Geburtseintrag abweichenden Geschlechts auszustellen“ sei, trägt dem nicht Rechnung, da weiterhin nur von zwei Geschlechtern (bzw. Geschlechtseintragsmöglichkeiten) ausgehend. Außerdem müsste geregelt sein, was gilt, wenn es beim Geburtseintrag keinen Eintrag zum Geschlecht gibt.

b) Änderung von § 6 Abs. 2a S. 1

Entsprechend reicht auch die bloße Änderung der Verweisnorm in § 6 nicht. Auch hier müsste statt von Geschlecht von Geschlechtseintrag gesprochen werden, da „divers“ kein Geschlecht, sondern eine Sammelbezeichnung ist und bei „keinem Geschlechtseintrag“ erst recht nicht von Geschlecht gesprochen werden kann.

Wenn das Passgesetz bei dieser Gelegenheit geändert wird, sollte auch § 4 Abs. 2 Nr. 8 PaßG an die bestehende Rechtslage angepasst werden. International und europarechtlich ist schon lange auch ein „X“ als Geschlechtseintrag möglich. Innerstaatlich wird das „X“ zudem seit Einführung des § 22 Abs. 3 PStG 2013 verwendet; so Bundesministerium des Innern, Bekanntmachung über Änderungen des Datensatzes für das Meldewesen – Einheitlicher Bundes-/Länderteil – (DSMeld) vom 10. Juni 2013: „Im Bereich der Datenübermittlung [sc. wenn kein Geschlechtseintrag im Geburtenregister gegeben ist] wird ein „x“ übermittelt.“ Dies betrifft u.a. die Meldung von Standesämtern an Meldebehörden gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 3 PStV; die Melderegister sind gemäß § 4 Abs. 1 S. 3 PaßG für den Eintrag zu Geschlecht maßgeblich.

Es erschließt sich nicht, warum die Gelegenheit einer Aktualisierung des Gesetzes hier nicht ergriffen wird.

2) Artikel 12 – Gesetz zur Beratung über die Geschlechtsidentität
(Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz – GIBG)

a) § 2 Qualifikation der beratenden Personen

Problematisch ist, dass die Anforderungen an die Qualifikation der beratenden Personen in Abs. 1 und Abs. 2 unterschiedlich geregelt werden. So sind die Voraussetzungen des Abs. 2 deutlich verschärft gegenüber dem Regelungsgehalt des Abs. 1 der Norm. Eine Begründung findet sich nicht.

Die Differenzierung ist kritisch zu sehen, da es an einem Rechtfertigungsgrund fehlt. Die Regelung wird – unabhängig von der fehlenden (Binnen-)Stimmigkeit – insgesamt zu überdenken sein, da die Anforderungsprofile unklar sind.

b) § 4 Beratungsbescheinigung

Der djb hat sich schon in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben gegen das Erfordernis einer ärztlichen Bescheinigung ausgesprochen (s.o. Ziffer II 1 lit. a).

Die Bedenken gelten mutatis mutandis auch für die Beratungsbescheinigung. Sollte es gleichwohl bei der in Aussicht genommenen Regelung verbleiben, ist jedenfalls von einer Begründungspflicht abzusehen. Denn sie schränkt die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen maßgeblich ein, da die qualifizierte Bescheinigung eine „Offenbarung“ voraussetzt, die objektiv nicht gerechtfertigt ist. 

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften