Stellungnahme: 19-06


zu weiterem Reformbedarf im Sexualstrafrecht

Stellungnahme vom

Die Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 hat eine wesentliche Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung bewirkt, doch damit ist es längst nicht getan. In der vorliegenden Stellungnahme legt der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) dar, welche weiteren rechtlichen Schritte ergriffen werden müssen, um einen umfassenden und effektiven Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Deutschland zu garantieren. Grundlage dieser Auseinandersetzung bildet der im Juni 2017 erschienene Abschlussbericht der durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzten Reformkommission zum Sexualstrafrecht. Diese hat in ihrem Bericht 61 zentrale Empfehlungen formuliert, die umfassenden Reformbedarf im Sexualstrafrecht deutlich werden lassen. Bislang sind diese Empfehlungen der Reformkommission nicht umgesetzt worden. In der vorliegenden Stellungnahme stellt der djb – auf Grundlage dieser Empfehlungen – Forderungen auf, die einen konsequenten Schutz der sexuellen Selbstbestimmung durch ein konsistentes und nachvollziehbares Sexualstrafrecht ermöglichen sollen.

I. Themenkomplex 1: Reformbedarf bei den durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) geschaffenen Straftatbeständen des sexuellen Übergriffs und der sexuellen Belästigung

Am 7. Juli 2016 hat der Bundestag eine Reform des Sexualstrafrechts verabschiedet, derzufolge nicht einverständliche sexuelle Handlungen ohne weitere Voraussetzungen unter Strafe gestellt werden (sog. Nein-heißt-Nein-Modell). Der djb begrüßt ausdrücklich die Implementierung des Nein-heißt-Nein-Modells, das den Anforderungen des Art. 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) grundsätzlich gerecht wird.[1] Um sicherzugehen, dass die gesetzgeberischen Intentionen auch in der Praxis gewährleistet werden, ist allerdings ein begleitendes Monitoring unerlässlich.

Außerdem weist der djb darauf hin, dass die Anforderungen der Istanbul-Konvention zur wirksamen Bekämpfung und Verfolgung sexualisierter Gewalt deutlich weiter gehen. Dies hat der djb zum einen in seiner Stellungnahme zur effektiven Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland[2] und zum anderen in seinem Policy Paper Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt[3] ausführlich dargelegt. Beide machen – zusätzlich zu dem in der vorliegenden Stellungnahme behandelten materiell-rechtlichem Reformbedarf – strukturellen und strafprozessualen Umsetzungsbedarf deutlich.

1. Zur Neuregelung des § 177 StGB (Sexueller Übergriff)

Der djb fordert die Beibehaltung des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB (Ausnutzen der schutzlosen Lage). Anders als die Reformkommission, die die Streichung dieses Qualifikationstatbestand empfohlen hat,[4] sieht der djb darin einen Bestandteil des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung: Zwar wurde die Schutzlücke, die ursprünglich von Nr. 3 geschlossen werden sollte, nun durch die Strafbarkeit nicht einverständlicher sexueller Handlungen ausgefüllt; das Ausnutzen einer schutzlosen Lage weist allerdings im Vergleich zum Grundtatbestand ein erhöhtes Unrecht auf. Dies sollte aus Sicht des djb auch in der Strafandrohung deutlich gemacht werden.

2. Zu § 184i StGB (Sexuelle Belästigung)

Der djb unterstützt die Empfehlung der Reformkommission, die Subsidiaritätsklausel des Straftatbestandes des § 184i Abs. 1 StGB („...wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“) dahingehend zu modifizieren, dass sie nur greift, wenn die Tat nicht in einer anderen Vorschrift des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB mit schwererer Strafe bedroht ist.[5] Die Subsidiaritätsklausel des § 184i Abs. 1 StGB kann zwar im Rahmen einer systematischen Auslegung bereits so verstanden werden, dass sie sich nur auf Delikte des 13. Abschnitts bezieht. Eine dahingehende Auslegung würde auch dem gesetzgeberischen Willen entsprechen.[6] Dies geschieht in der Rechtsprechung aber bisher überwiegend nicht.[7] Da aber die sexuelle Belästigung neben anderen Delikten, wie etwa der Körperverletzung o.ä. einen eigenständigen Unrechtsgehalt aufweist, sollte die Verletzung des Rechtsguts der sexuellen Integrität auch im Urteilstenor sichtbar werden. Ohne Aufnahme in den Schuldspruch käme der spezifische Unrechtsgehalt der Norm jedoch nicht ausreichend zum Ausdruck, sondern würde völlig in den Hintergrund gedrängt. Der Charakter des § 184i Abs. 1 StGB als Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung würde damit entwertet und es würde eine unsachgemäße Privilegierung des Täters darstellen.

Außerdem fordert der djb die Beibehaltung des § 184i Abs. 2 StGB (besonders schwerer Fall). Während die Reformkommission empfohlen hat, § 184i Abs. 2 StGB zu streichen,[8] ist der djb der Auffassung, dass die besondere Bedrohlichkeit und Gefährlichkeit gemeinschaftlich begangener sexuellen Belästigungen auch in der Strafzumessung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Die gemeinschaftliche Begehung stellt auch sonst im StGB regelmäßig einen Anknüpfungspunkt für ein erhöhtes Unrecht dar, so etwa in den Regelbeispielen der §§ 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 StGB sowie in den Qualifikationstatbeständen der §§ 176a Abs. 2 Nr. 2 und 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Als Regelbeispiel bleibt die Vorschrift zudem flexibel genug, um auf Ausnahmefälle reagieren zu können, in welchen das Bedrohungspotential nicht zum Tragen kommt.

II. Themenkomplex 2: Reformbedarf bei § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen)

Der djb begrüßt die Abschaffung des § 179 StGB a.F. Das Abstellen des neuen § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf die erhebliche Einschränkung in der Willensbildungs- oder Willensäußerung anstelle der Widerstandsunfähigkeit ist positiv zu bewerten: Dieses am Einverständnis ausgerichtete Modell wirkt der Gefahr einer sexuellen Entmündigung von Menschen mit Behinderungen entgegen. Die Kritik zu § 179 StGB a.F. ist damit weitestgehend durch die Neuregelung berücksichtigt, sodass weiterer Reformbedarf derzeit nicht ersichtlich ist. Die Implementierung eines Ja-heißt-Ja-Modells wird den Fällen, in denen die Willensbildung oder -äußerung erheblich beeinträchtigt ist, gerecht. Die Versicherung von der Zustimmung der anderen Person ist erforderlich, da aufgrund der Beeinträchtigung in der Willensbildung oder -äußerung nicht von einem Einverständnis ausgegangen werden kann, solange kein Widerspruch geäußert oder erkennbar wird.

III. Themenkomplex 3: Reformbedarf bei den Straftatbeständen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen

1. Sexueller Missbrauch von Kindern

Der djb unterstützt die Empfehlung der Reformkommission, § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB dahingehend zu ergänzen, dass sich auch strafbar macht, wer vor einem Kind sexuelle Handlungen durch einen Dritten an sich vornehmen lässt.[9] Aus Sicht des djb ist Ergänzung sinnvoll, da § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB bereits verschiedene Fälle sexueller Handlungen ohne Körperkontakt vor einem Kind beinhaltet, nämlich sexuelle Handlungen des*der Täter*in an sich selbst oder an einer dritten Person. Der Fall, dass der*die Täter*in an sich selbst durch eine dritte Person sexuelle Handlungen vornehmen lässt, ist trotz vergleichbaren Unrechtsgehalts bisher nicht erfasst und wird nur über eine Teilnahmestrafbarkeit sanktioniert. Eine Aufnahme dieser Tatbestandsalternative entspräche auch der Wertung des § 176 Abs. 1 StGB, der von einer Gleichwertigkeit von eigenhändiger Vornahme und Vornehmenlassen sexueller Handlungen ausgeht.

Des Weiteren unterstützt der djb die Empfehlung der Reformkommission, die Tatbestandsvariante von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dahingehend zu erweitern, dass sich auch als Täter der Qualifikation strafbar macht, wer über 18 Jahre alt ist und das Kind zum Beischlaf mit einer Person unter 18 Jahren bestimmt.[10] Hierbei handelt es sich aus Sicht des djb um eine sinnvolle Ergänzung, da sich auch ein altersbedingtes Machtgefälle zwischen der bestimmenden Person und dem Kind auswirken kann. Außerdem würde die Erweiterung der Wertung des § 182 Abs. 3 Nr. 2 StGB entsprechen; auf das Alter der dritten Person kommt es auch dort nicht an.

2. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Der djb schließt sich der Empfehlung der Reformkommission an, den Straftatbestand des § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) um Tathandlungen mit oder vor Dritten zu erweitern.[11] Die Aufnahme von Handlungen mit oder vor Dritten ist sinnvoll und entspricht der Wertung der §§ 176 Abs. 2, 177, sowie § 180 Abs. 3 StGB, nämlich dass die sexuelle Selbstbestimmung gleichermaßen betroffen ist, wenn Dritte in die Tathandlung einbezogen werden. Dieses umfassende Konzept des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung ist auch auf den Missbrauch von Schutzbefohlenen auszuweiten.

Ebenso unterstützt der djb die Empfehlung der Reformkommission, § 174 Abs. 3 StGB dahingehend zu ändern, dass sich das Erfordernis der Erregungsabsicht nicht auf die Nummer 2 bezieht.[12]Die sexuelle Selbstbestimmung des*der Schutzbefohlenen wird bereits durch die Vornahme der sexuellen Handlung verletzt. Ob der*die Täter*in handelt, um sich oder den*die Schutzbefohlene*n sexuell zu erregen, ist hierfür unerheblich.

Außerdem schließt sich der djb der Empfehlung der Reformkommission an, die Tatbestandsvarianten des § 174 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB nach der Maßgabe neu zu fassen, dass erstens: einheitlich Personen unter 18 Jahren erfasst werden, die dem Täter zur Erziehung, oder zur Betreuung anvertraut sind, wobei zugleich auf das Erfordernis des Missbrauchs einer mit dem Erziehungs-, oder Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit verzichtet wird und zweitens: einheitlich Personen unter 18 Jahren erfasst werden, die dem Täter im Rahmen eines Dienst-, Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind und bei denen der Täter zusätzlich eine mit dem Dienst-, Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis verbundene Abhängigkeit missbraucht.[13] Auch Personen unter 18 Jahren stehen im Rahmen von Erziehungs- oder Betreuungsverhältnissen in einem nahen Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis zur erziehenden oder betreuenden Person und befinden sich aufgrund dieser Abhängigkeit in einer vergleichbaren schutzbedürftigen Lage wie unter 16-jährige Personen. Aufgrund des nahen Abhängigkeitsverhältnisses kann der Missbrauch im Falle von sexuellen Handlungen indiziert werden, eine Differenzierung zwischen unter 16 und unter 18-jährigen Personen ist nicht sinnvoll.

Bei Dienst-, Arbeits-, und Ausbildungsverhältnissen ist das soziale und psychische Abhängigkeitsverhältnis weniger stark ausgeprägt. Das Hinzukommen eines Missbrauchserfordernisses ist daher sinnvoll. Auch hier ist eine Unterscheidung von Personen unter 16 und unter 18 Jahren nicht sachdienlich, sodass eine einheitliche Regelung für unter 18-jährige vorzuziehen wäre.

Der djb unterstützt die von der Reformkommission vorgeschlagene Streichung des § 174 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wodurch § 174 Abs. 2 StGB einheitlich Personen unter 18 Jahre bei Ausnutzen der Stellung als Erzieher*in oder Betreuer*in schützen würde.[14] Bislang ist das Ausnutzen der Stellung bei Personen unter 16 nicht erforderlich. Abs. 2 setzt aber, anders als Abs. 1, kein Obhutsverhältnis voraus, sodass das explizite Ausnutzungserfordernis sinnvoll ist, um die strafwürdigen Fälle herauszufiltern. Die Vereinheitlichung der Altersgrenzen würde dann Abs. 1 entsprechen. Anders als die Reformkommission spricht sich der djb jedoch dagegen aus, aus dem verbleibenden Tatbestand des § 174 Abs. 2 StGB die Ausbildungsverhältnisse herauszunehmen.[15] Auch zu Personen, die selbst nicht in einem Ausbildungsverhältnis zur betroffenen Person stehen, aber derselben Ausbildungseinrichtung angehören, kann ein Verhältnis bestehen, das in einer besonderen Druck- oder Abhängigkeitssituation für die betroffene Person resultiert. Den nicht strafwürdigen Fällen wird das Erfordernis, diese Stellung auszunutzen, gerecht.

3. §§ 180 Abs. 2, 182 Abs. 2 StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen gegen Entgelt)

Der djb unterstützt die Empfehlung der Reformkommission, die bisher in § 182 Abs. 2 StGB enthaltene Altersbeschränkung auf Täterseite in dem neuen Straftatbestand zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen gegen Entgelt zu streichen und den neuen Tatbestand um sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt zu erweitern.[16] Schutzzweck des § 182 Abs. 2 StGB ist, zu verhindern, dass die minderjährige Person in auf Dauer angelegte Prostitutionsstrukturen gerät. Die Gefahr besteht aber maßgeblich aufgrund der Verknüpfung der sexuellen Handlungen mit einem Entgelt und ist unabhängig vom Alter des*der Täter*in. Der schutzwürdige Freiraum Jugendlicher für die Entwicklung der eigenen sexuellen Selbstbestimmung wird durch das Verbot von sexuellen Handlungen gegen Entgelt nicht berührt. Hingegen kommt es bei den sexuellen Handlungen gegen Entgelt nicht darauf an, ob sie mit oder ohne Körperkontakt stattfinden, sodass die Fälle ohne Körperkontakt in die Vorschrift aufzunehmen sind.

4. Umsetzung der Lanzarote-Konvention

Neben dem von der Kommission ausgemachten Reformbedarf fordert der djb die Umsetzung von Art. 23 des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention).

Art. 23 der Lanzarote-Konvention sowie Art. 6 der RL 2011/93/EU[17] verpflichten die Mitgliedstaaten, „die Handlung eines Erwachsenen, wenn vorsätzlich begangen, als Straftat zu umschreiben, der mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologien ein Treffen mit einem Kind, das noch nicht das in Art. 18 Absatz 2 festgesetzte Alter erreicht hat, vorschlägt, um diesem gegenüber eine Straftat nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a zu begehen, sofern auf diesen Vorschlag auf ein solches Treffen hinführende konkrete Handlungen folgen.“

Das hier beschriebene „Grooming“ wird im deutschen Strafrecht von § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB behandelt. Die Tathandlung des § 176 Abs. 4 StGB – „einwirken“ – wird von der Rechtsprechung restriktiv ausgelegt und erfordert „eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art“[18]. Dies kann etwa in Form eines drängenden Überredens, oder Versprechungen oder Einschüchterung geschehen.[19]

Diese Auslegung des § 176 Abs. 4 StGB wird der Verpflichtung aus Art. 23 der Lanzarote-Konvention nicht gerecht, da das bloße Vorschlagen eines Treffens diesen Anforderungen an das Einwirken nicht zwangsläufig genügt. Die Anpassung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 oder 4 StGB an Art. 23 der Lanzarote-Konvention scheint nicht zielführend, da beide Vorschriften einen zu unterschiedlichen Anwendungsbereich haben. Während das Einwirken nach der herrschenden Rechtsprechung höhere Anforderungen beinhaltet, als das Vorschlagen eines Treffens, stellt die in der  Lanzarote-Konvention geforderte zusätzliche, auf das Treffen hinführende, Handlung, sogar höhere Anforderungen, als § 176 Abs. 4 Nr. 3, 4 StGB. Der djb befürwortet daher die Schaffung eines eigenen Tatbestandes, etwa in § 176 Abs. 4 Nr. 5 StGB. Die Vorschrift könnte wie folgt aussehen:

Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

5. als Person über 18 Jahren unter Verwendung von Informations- oder Kommunikationstechnologie einem Kind ein Treffen in der Absicht vorschlägt, ihm gegenüber eine Straftat nach Absatz 1 oder 2 dieser Vorschrift oder § 184b Abs. 1 Nr. 3 zu begehen, sofern dem auf ein solches Treffen hinführende konkrete Handlungen folgen.

Die Vornahme einer konkreten auf das Treffen hinführenden Handlung wird dabei als objektive Bedingung der Strafbarkeit ausgestaltet, auf die sich der Vorsatz nicht beziehen muss.

Da der deutsche Gesetzgeber die Fälle des § 176 Abs. 2 StGB, also die Tathandlung unter Einbeziehung Dritter, ausdrücklich den Fällen des Absatzes 1 gleichgestellt hat, ist diese Wertung auf die neue Norm zu übertragen und in die Verweisung mit einzubeziehen.

IV. Themenkomplex 4: Reformbedarf bei den übrigen Missbrauchstatbeständen (§§ 174a bis 174c StGB)

1. Erweiterung der der §§ 174a-c StGB (Sexueller Missbrauch in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen) um Tathandlungen mit Dritten

Der djb schließt sich der Empfehlung der Reformkommission an, die Straftatbestände der §§ 174a-c StGB (Sexueller Missbrauch in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen) um Tathandlungen mit Dritten zu erweitern.[20] Durch die Einbeziehung dritter Personen in die sexuelle Handlung wird ein vergleichbares Unrecht verwirklicht, die sexuelle Selbstbestimmung der Opfer wird ebenso verletzt und die Integrität der Institutionen bzw. der staatlichen Machtausübung ebenso erschüttert. Dies entspricht auch der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers, der auch in §§ 176 Abs. 1, 177, 180 Abs. 3 StGB anerkennt, dass diese Handlungsformen vergleichbar sind.

2. § 174a Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch Gefangener oder auf behördliche Anordnung verwahrter Personen) und § 174b Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung)

Außerdem unterstützt der djb die Empfehlung der Reformkommission, § 174a Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch Gefangener oder auf behördliche Anordnung verwahrter Personen) auf Täterseite dahingehend zu erweitern, dass auch das Anstaltspersonal erfasst wird, welchem das Opfer nicht persönlich anvertraut ist.[21] Die verwahrte Person geht üblicherweise auch bei sonstigem Personal von einem Machtverhältnis aus, dem sie sich nicht entziehen kann. Aufgrund vergleichbarer Schutzbedürftigkeit ist die Aufnahme des übrigen Personals der jeweiligen Einrichtung daher sinnvoll.

Der djb schließt sich des Weiteren der Empfehlung der Reformkommission an, § 174a Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch Gefangener oder auf behördliche Anordnung verwahrter Personen) und § 174b Abs. 1 StGB (Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung) auf Opferseite dahingehend zu erweitern, dass auch Personen vom Schutzbereich erfasst werden, die mit gerichtlicher Genehmigung untergebracht sind.[22] Behördliche Anordnungen umfassen nicht die Situationen, in denen die Unterbringung durch eine Person veranlasst wird, welche die Personensorge innehat, selbst wenn diese Unterbringung gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt gerichtlich genehmigt wird. Die sexuelle Selbstbestimmung der Betroffenen ist aber in diesen Fällen denselben Gefahren und Drucksituationen ausgesetzt, wie in denen der behördlichen Anordnung. Entscheidend sind der Umstand der Freiheitsbeschränkung sowie die daraus resultierenden Abhängigkeiten und Autoritätsverhältnisse. Auf welchem Wege eine solche Unterbringung letztlich beschlossen wurde, ist für die Betroffenen ohne Belang. Aufgrund vergleichbarer Schutzbedürftigkeit ist diese Ergänzung sinnvoll.

3. § 174c StGB (Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses)

Außerdem hält der djb die von der Reformkommission vorgeschlagene Empfehlung für sinnvoll, in § 174c StGB (Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) das Anvertrautsein wegen einer Vorsorge- oder Nachsorgeuntersuchung dem Anvertrautsein wegen einer körperlichen Krankheit oder körperlichen Behinderung gleichzustellen.[23]  Auch durch Vor- oder Nachsorgeuntersuchungen können besonders schutzbedürftige Situationen entstehen. Insbesondere gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen verdeutlichen, dass auch in diesen Fällen von einem Ausgesetztsein ohne Krankheitsbezug auszugehen ist. 

Auch die Empfehlung der Reformkommission, § 174c Abs. 2 StGB (Sexuelle Handlungen an einer Person, die zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist) dahingehend klarzustellen, dass der Tatbestand bei psychotherapeutischer Behandlung unabhängig davon eingreift, ob der Täter Psychotherapeut nach dem Psychotherapeutengesetz ist, unterstützt der djb.[24] Umfasst werden nach der Rechtsprechung des BGH[25] mit Hinweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) bisher nur Personen, die nach dem Psychotherapeutengesetz die Bezeichnung „Psychotherapeut“ bzw. „Psychotherapeutin“ führen dürfen. Ein vergleichbares Vertrauensverhältnis kann aber auch zu Personen entstehen, die zwar nicht Psychotherapeut*in im Sinne des Psychotherapeutengesetzes sind, die aber gleichwohl (als Fachärzt*in) eine fachgerechte Psychotherapie anbieten. Von der Forderung umfasst sind zudem „Scharlatane“, die gar nicht erst zum Durchführen einer Psychotherapie berechtigt sind. Die Schutzbedürftigkeit ist in beiden Fällen vergleichbar, sodass die Klarstellung sinnvoll ist.

Des Weiteren schließt sich der djb der Empfehlung an § 174c Abs. 2 StGB dahingehend klarzustellen, dass auch psychotherapeutische Behandlungen erfasst werden, die nicht als solche anerkannt sind.[26] Für das Opfer ist es unerheblich, ob die Behandlung nach dem Psychotherapeutengesetz anerkannt ist, solange es die Behandlung als psychotherapeutische Behandlung ansieht. Die Verletzung dieses Vertrauensverhältnisses ist vom Unrechtsgehalt mit dem bisher geregelten Fall vergleichbar, sodass die Klarstellung sinnvoll ist.

Hingewiesen werden soll auch darauf, dass nach der bestehenden Gesetzeslage sexueller Missbrauch im Zusammenhang mit seelsorgerlicher Betreuung und unter Ausnutzung eines damit verbundenen Abhängigkeitsverhältnisses nicht strafbewehrt ist. Hier werden ähnliche Vertrauensverhältnisse aufgebaut wie bei einer psychotherapeutischen Behandlung. Dies gilt insbesondere, wenn Jugendliche betroffen sind und die sexuelle Handlung nicht gemäß § 174 StGB strafbar ist, weil sie nicht im Rahmen eines eng gefassten Erziehungsverhältnisses erfolgt, sondern z.B. beim wöchentlichen Unterricht oder Jugendgruppensitzung angebahnt wird und zusätzlich ein seelsorgerliches Verhältnis besteht. Diese Strafbarkeitslücke gilt es aus Sicht des djb zu schließen.

V. Themenkomplex 5: Neuordnung des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches sowie Wertungswidersprüche

Der djb teilt die Empfehlung der Reformkommission, die §§ 176a Abs. 2 Nr. 2 und 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB dahingehend zu verschärfen, dass es für deren Erfüllung ausreicht, wenn die Tat wie in § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB „…mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich…“ begangen wird.[27] Gemäß §§ 176a Abs. 2 Nr. 2 und 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB liegt jeweils ein besonders schwerer Fall vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass dieser Straferschwerungsgrund jeweils Mittäterschaft voraussetze. Im Gegensatz dazu verwirklicht der*die Täter*in die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB bereits, wenn er*sie die Körperverletzung mit einem*einer anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Beteiligte*r ist aber nach § 28 Abs. 2 StGB ausdrücklich sowohl Täter*in als auch Teilnehmer*in, sodass für die Verwirklichung der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB die gemeinschaftliche Beteiligung mit einem*einer Teilnehmer*in ausreicht. Gleiches gilt für das erst mit Gesetz vom 23. Mai 2017[28] eingeführte Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StGB, welches den Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufgreift. Ein sachlicher Grund für die weitere Fassung der §§ 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist im Vergleich zu § 177 Abs. 6 Nr. 2 und § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht ersichtlich.

VI. Themenkomplex 6: Reformbedarf bei den Strafvorschriften zur Prostitution

Die Reformkommission empfiehlt, § 180a StGB: (Ausbeutung von Prostituierten) und § 181a StGB (Zuhälterei) in einer Vorschrift zusammenzufassen.[29] Wichtiger als die Zusammenfassung beider Vorschriften erscheint dem djb die Abschaffung des sog. Vermieter*innenprivilegs, welches sich aus dem Vergleich der beiden Tatbestände ergibt: Nach § 180a Abs. 2 Nr. 2 2. Var. StGB wird wegen Ausbeutung von Prostituierten mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer Person zur Ausübung der Prostitution eine Wohnung gewährt und diese ausbeutet. Wer hingegen eine Person, die der Prostitution nachgeht, ausbeutet, ohne ihr eine Wohnung zu gewähren, wird nach § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Zuhälterei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, sofern eine über den Einzelfall hinausgehende Beziehung[30] besteht. Unabhängig von dem Beziehungserfordernis im letzteren Tatbestand sind das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander und der unterschiedliche Strafrahmen nicht verständlich.

Der djb schließt sich der Empfehlung der Reformkommission an, in § 181a StGB (Zuhälterei) das einschränkende Tatbestandsmerkmal zu streichen, nach dem der Täter zu dem Opfer Beziehungen unterhalten muss, die über den Einzelfall hinausgehen (sogenannte Beziehungsklausel).[31] Unrechtsbegründend ist nicht das Bestehen einer über den Einzelfall hinausgehenden Beziehung, sondern die jeweilige Tathandlung des § 181a StGB, die sich zu Lasten der selbstbestimmten und unabhängigen Tätigkeit des Opfers auswirkt: Die Ausbeutung (Abs. 1 Nr. 1), Überwachung bzw. Fremdbestimmung der Tätigkeit (Abs. 1 Nr. 2) sowie die Beeinträchtigung der (persönlichen oder wirtschaftlichen) Unabhängigkeit (Abs. 2). Diese Tathandlungen sind unabhängig von der Art der Beziehung strafwürdig.[32]

Außerdem unterstützt der djb die Empfehlung der Reformkommission, § 184f StGB (Ausübung der verbotenen Prostitution) als Straftatbestand zu streichen.[33] Es entspricht der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers[34], dass die Ausübung von Prostitution legal ist. Die Ausübung der Prostitution in Sperrbezirken führt zudem nicht zu einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung. Die Norm dient lediglich einem weit gefassten und unkonkreten Belästigungsschutz. Soweit die Durchsetzung des Verbots durch die Ahndung von Verstößen sichergestellt werden soll, genügt die Ausgestaltung des § 120 OWiG als Ordnungswidrigkeit. Die Einordnung der Tathandlung als Ordnungswidrigkeit würde zugleich den Wertungswiderspruch beseitigen, der sich daraus ergibt, dass Personen, die ein Bordell innerhalb eines Sperrbezirks betreiben, lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 ProstSchG begehen. Die Strafbarkeit der Sexarbeiter*innen führt zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber den Betreiber*innnen und ist zu streichen.

VIII. Themenkomplex 8: Reformbedarf bei § 183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) und § 183a StGB (Erregung öffentlichen Ärgernisses)

Der djb spricht sich – anders als die Reformkommission[35] – für die Beibehaltung des § 183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) aus, fordert jedoch eine geschlechtergerechte Formulierung des Tatbestandes. § 183 StGB hat eine erhebliche kriminalpolitische Bedeutung.[36] Verstanden als Ergänzung zu § 184i StGB für die Fälle nicht körperlicher Belästigungen, bildet der Exhibitionismustatbestand einen wichtigen Teil des Schutzkonzepts der sexuellen Selbstbestimmung. Dabei sollten jedoch Sittlichkeitserwägungen, wie etwa die bloße Beeinträchtigung des Anstandsgefühls, außer Betracht bleiben.

Der djb fordert die geschlechtsneutrale Fassung des Tatbestandes. Hinter der Beschränkung der Vorschrift auf Männer steht auch ein erschreckendes Bild weiblicher Sexualität. Im Jahr 1999 erklärte das Bundesverfassungsgericht Art. 3 Abs. 2 und 3 GG „auf diese Bestimmung des Sexualstrafrechts nicht anwendbar.“[37] Dabei verwies es auf die Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit der Strafbarkeit der männlichen Homosexualität (§§ 175 f. StGB a.F.)[38], in welcher die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes aufgrund „biologische[r] Verschiedenheiten“[39] zwischen männlicher und weiblicher Sexualität abgelehnt worden war. Im dargelegten Begründungszusammenhang offenbart das Gericht eine biologistische Sicht, in der die weibliche Sexualität ausschließlich aus der Funktion ihrer Geschlechtsorgane abgeleitet wird.[40] Die geschlechtsneutrale Fassung ist daher auch aus gleichstellungspolitischen Gründen zu befürworten, da dies zu einem Abbau stereotyper Begründungszusammenhänge über die weibliche Sexualität führen würde. Schließlich ist die Beschränkung auf Männer auch deshalb abzulehnen, da inzwischen auch die Gesetzgebung erkannt hat, dass die binäre Geschlechterordnung, auf die § 183 StGB zugeschnitten ist, der Realität nicht entspricht.

Der djb unterstützt die Empfehlung der Reformkommission, § 183a StGB zu streichen.[41] Der Fokus der öffentlichen Begehung verdeutlicht, dass die Regelung nicht dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient. Aufgrund der fehlenden Zielgerichtetheit und Individualisierung einer zu belästigenden Person können sich Personen einer entsprechenden Situation leicht entziehen. Strafwürdige Handlungen, die mangels Körperkontakt nicht unter § 184i StGB fallen, durch eine Zielgerichtetheit auf eine bestimmte Person aber einen vergleichbaren Bedrohungscharakter aufweisen, könnten unter § 183 StGB[42] gefasst werden. Durch das Erfordernis der exhibitionistischen Handlung werden die strafwürdigen Fälle, in denen primäre Geschlechtsorgane zum Zwecke der Belästigung entblößt werden, herausgefiltert.

IX. Themenkomplex 9: Reformbedarf bei den §§ 184 ff. StGB (Pornographiedelikte)

Der djb schließt sich der Empfehlung der Reformkommission an, den Regelungsgehalt von § 184 StGB (Verbreitung pornographischer Schriften) zu modernisieren und auf Tathandlungen zu reduzieren, die dem Jugendschutz dienen.[43] Die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener wird durch die Konfrontation mit Pornographie nicht gefährdet, zumal sie sich im Falle einer unerwünschten Konfrontation selbiger leicht entziehen könnten, was ihnen auch zuzumuten ist. § 184 Abs. 1 Nrn. 3-6 StGB sind, da sie nicht dem Jugendschutz, sondern dem bloßen Schutz vor unerwünschter Konfrontation dienen, zu streichen. Gleiches gilt für § 184 Abs. 1 Nr. 9 StGB, der ebenfalls nicht im Zusammenhang mit einer möglichen Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung steht. Neben der Streichung dieser Normbestandteile ist auch die Modernisierung sinnvoll. Die Norm ist überwiegend auf im Einzelhandel vertriebene Zeitschriften zugeschnitten. Aufgrund der Digitalisierung geht diese Vorstellung an der Realität vorbei. Effektiver Jugendschutz muss sich den aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Allerdings fehlt in diesem Zusammenhang die Hinterfragung des Pornographiebegriffs, der teils noch auf Begriffsbestimmungen zur unzüchtigen Schrift zurückgeht (BGH Fanny Hill) und reflektieren sollte, vor welchen sexuell expliziten Darstellungen Jugendliche durch Fernhalten und Schutz vor ungewollter Konfrontation geschützt werden müssen.

X. Themenkomplex 10: Materielle und prozessuale Folgeänderungen

1. Aufnahme bestimmter Delikte in § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten)

Der djb fordert die Aufnahme bestimmter Sexualdelikte in § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten). Die Reformkommission hat sich mehrheitlich gegen eine solche Ergänzung ausgesprochen. Als Argumente wurden angeführt, dass sich eine Anzeigepflicht bereits deshalb schwierig gestalte, weil die Begehung einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Kindesmissbrauchs üblicherweise nicht geplant seien. Zudem könne die Gefahr einer Kriminalisierung Personen aus dem näheren Umfeld des Opfers davon abhalten, helfend tätig zu werden. Dieser Einschätzung schließt sich der djb nicht an. Gerade im Bereich der Missbrauchshandlungen zu Lasten von Kindern gibt es unzählige einschlägige Foren, in welchen entsprechende Taten – entgegen der Einschätzung der Kommissionsmehrheit – durchaus angekündigt und geplant werden. Die Strafbarkeit der Nichtanzeige könnte den Druck auf Forennutzer*innen, die selbst nicht an der Planung beteiligt sind, die entsprechenden Einträge aber gelesen haben, erhöhen, diese Erkenntnisse mit den Ermittlungsbehörden zu teilen. Der djb spricht sich daher mit einigen Mitgliedern der Reformkommission dafür aus, besonders schwere Sexualdelikte in § 138 StGB aufzunehmen. Hierdurch würde verdeutlicht, dass der Gesetzgeber diese Straftaten für besonders gravierend halte. Ferner ist es aus kriminologischer Sicht nicht zwingend, dass der sexuelle Missbrauch spontan und ungeplant erfolge. Dies ist etwa bei rituellen Missbrauchshandlungen nicht der Fall. Zu erwägen wäre allerdings, bei Aufnahme von Missbrauchstatbeständen zu Lasten von Kindern und Jugendlichen § 139 StGB dahingehend zu erweitern, dass auch die in § 4 Abs. 1 KKG genannten Berufsgruppen von der Strafbarkeit ausgenommen werden, sofern sie in dieser Eigenschaft Kenntnis erlangen, damit das dort vorgesehene Informations- und Gefährdungsabwendungskonzept nicht beeinträchtigt wird.

2. Beschleunigung

Die lange Verfahrensdauer in Strafverfahren stellt – neben den grundsätzlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Wahrheitsfindung – insbesondere für Kinder und Jugendliche, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sind, eine große Belastung dar. Eine gesetzliche Regelung zur Beschleunigung des Verfahrens hielt die Reformkommission jedoch nicht für zielführend. Eine Beschleunigung des Verfahrens erfordere ihrer Ansicht nach vielmehr Änderungen in der Praxis. Zu denken sei z.B. an die Verbesserung der Personalsituation an den Gerichten und Staatsanwaltschaften. Dies sieht der djb anders. Änderungen in der Praxis sind zwar wünschenswert, aufgrund der derzeitigen Personalsituation aber in naher Zukunft nicht zu erwarten. Um die Situation für missbrauchte und traumatisierte Kinder und Jugendliche zeitnah zu verbessern, kann hierauf nicht gewartet werden. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass oftmals einer Therapie vor Abschluss der Zeugenvernehmung abgeraten wird, sodass dem Kind wertvolle Hilfe zur Bewältigung des Erlebten nicht geleistet wird. Auch aus diesem Grund ist eine gesetzliche Vorschrift zur Beschleunigung des Verfahrens dringend erforderlich. Der Grundsatz, dass gerichtliche Verfahren, die sich belastend auf Kinder auswirken, besonders beschleunigt durchzuführen sind, ist dem Gesetz auch sonst nicht fremd. § 155 Abs. 1 FamFG legt die vorrangige und beschleunigte Durchführung besonders belastender Kindschaftssachen[44] fest und könnte als Vorbild für besonders belastende Strafverfahren, etwa wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, dienen.

XI. Fazit

Trotz des bedeutenden Fortschritts durch die Sexualstrafrechtsreform 2016 gibt es noch wesentlichen Reformbedarf beim strafrechtlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Ein umfassender Schutz durch ein konsistentes und nachvollziehbares Sexualstrafrecht ist bisher nicht erreicht.

Prof. Dr. Maria Wersig                          
Präsidentin   

Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

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[1] Vgl, dazu djb, Stellungnahme zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Anpassung des Sexualstrafrechts (insbesondere § 177 StGB) an die Vorgaben der Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von 2011, 09.05.2014, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st14-07/; djb, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz „Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ (Stand: 14.7.2015), 18.02.2016, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st16-03/.

[2] Vgl. djb, Stellungnahme zur effektiven Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland, 29.01.2018, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K6/st18-02/.

[3] Vgl. djb, Policy Paper: Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt, 22.11.2018, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/st18-18/.

[4] S. Empfehlung Nr. 5. Die Nummerierung der Empfehlungen der Reformkommission entspricht der im Abschlussbericht unter der Überschrift „Überblick über die Empfehlungen“ (S. 13-19) enthaltenen Nummerierung.

[5] S. Empfehlung Nr. 10.

[6] So BT-Drs. 18/9097, S. 30: „§ 184i StGB-E greift nur subsidiär ein, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften, die eine vergleichbare Schutzrichtung aufweisen, mit schwerer Strafe bedroht ist. Das ist insbesondere denkbar, wenn der sexuellen Belästigung eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nummer 1 StGB zugrunde liegt.“

[7] Vgl. BGH, Beschl. v. 13. 3. 2018 – 4 StR 570/17.

[8] S. Empfehlung Nr. 11.

[9] S. Empfehlung Nr. 16.

[10] S. Empfehlung Nr. 18.

[11] S. Empfehlung Nr. 22.

[12] S. Empfehlung Nr. 23.

[13] S. Empfehlung Nr. 24.

[14] S. Empfehlung Nr. 25.

[15] S. Empfehlung Nr. 25.

[16] S. Empfehlung Nr. 29.

[17] Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates.

[18] BGH, Beschl. v. 22.6.2010 – 3 StR 177/10.

[19] MüKo-Renzikowski, § 176 Rn. 42.

[20] S. Empfehlung Nr. 30.

[21] S. Empfehlung Nr. 32.

[22] S. Empfehlung Nr. 33.

[23] S. Empfehlung Nr. 35.

[24] S. Empfehlung Nr. 36.

[25] BGHSt 54, 169.

[26] S. Empfehlung Nr. 37.

[27] S. Empfehlung Nr. 39.

[28] 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften (BGBl. I, S. 1226).

[29] S. Empfehlung Nr. 43.

[30] Zur Beziehungsklausel s. die nächste Empfehlung.

[31] S. Empfehlung Nr. 45.

[32] Durch die Streichung der Beziehungsklausel wäre § 181a Abs. 3 StGB überflüssig und könnte gestrichen werden.

[33] S. Empfehlung Nr. 48.

[34] So zum Ausdruck gekommen im Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (ProstG; BGBl. I, S. 3983) und im Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen vom 21. Oktober 2016 (ProstSchG; BGBl. , S. 2372).

[35] S. Empfehlung Nr. 52.

[36] Für Verstöße gegen § 183 StGB finden sich in den Strafverfolgungsstatistiken regelmäßig die dritthöchsten Verurteilungszahlen des gesamten Dreizehnten Abschnitts (zuletzt 704 Verurteilungen im Jahr 2017, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2017, Abb. 2.1).

[37] BVerfG, Beschl. v. 22.3.1999, 2 BvR 398/99.

[38] BVerfGE 6, 389.

[39] BVerfGE 6, 389, 421.

[40] Besonders ernüchternd BVerfGE 6, 389, 426 f.: „Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. Dieser Unterschied der physiologischen Funktion läßt sich aus dem Zusammenhang des geschlechtlichen Seins nicht ausgliedern, er ist mit konstituierend für Mann und Frau als Geschlechtswesen (Kroh). Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau - der alle übrigen Unterschiede im Keim in sich schließt - ist aber unter dem generativ-vegetativen Aspekt die Tatsache, daß sich das Vatersein an den kurzen Zeugungsvorgang nicht über weitere generativ-vegetative Leistungen, sondern nur durch zeitlich davon getrennte soziale Leistungen anschließt, während die sozialen Leistungen des Mutterseins mit dem Vorgang des Empfangens über die generativ-vegetativen Leistungen der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens, also durch einen langdauernden natürlichen Prozeß, unmittelbar verknüpft sind. Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, daß das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. Damit mag es zusammenhängen, daß bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben (Wiethold-Hallermann).“

[41] 54. Vgl. dazu auch djb, Stellungnahme zum Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), 25.07.2014, abrufbar unter: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K3/14-14/.

[42] In geschlechtsneutraler und auf die strafwürdigen Handlungen beschränkter Form, s. Empfehlung 1 im selben Komplex.

[43] S. Empfehlung Nr. 55.

[44] Davon umfasst sind Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls.