Stellungnahme: 18-14


zum Referentenentwurf der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung für ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) (Stand: 5. Juli 2018)

Stellungnahme vom

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Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt, dass sich die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung des Landes Berlin entschlossen hat, für die Verwaltung des Landes Berlin ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg zu bringen. Dabei begrüßt der djb besonders die Regelungen zur verbesserten Durchsetzung des Diskriminierungsverbots durch die Einführung der Verbandsklage und die Möglichkeit der Prozessstandschaft. Insbesondere mit der Verbandsklage besteht eine reale Chance, die Sensibilität für strukturelle Diskriminierungen zu erhöhen und bestehenden Vorurteilen und Stigmatisierungen wirksam entgegenzutreten.

Gleichwohl besteht an verschiedenen Stellen des Gesetzentwurfs noch erheblicher Verbesserungsbedarf.

Zu § 2 Diskriminierungsverbot

Erfreulicherweise erweitert der Entwurf den Diskriminierungsschutz über die im AGG erwähnten Kriterien hinaus auf Diskriminierungen wegen einer chronischen Erkrankung, der Nationalität und des sozialen Status. Unklar bleibt aber, weshalb die Gesetzesbegründung als Bezugspunkt der Erweiterungen Art. 10 Abs. 2 der Verfassung von Berlin nennt. Denn gerade die in dieser Norm genannten Kriterien, mit denen Zuschreibungen ethnischer Herkunft identifiziert werden können, werden nicht aufgegriffen. Dies betrifft insbesondere die Sprache. Da das Kriterium der Sprache in ethnischen Zuschreibungen besonders diskriminierungsanfällig erscheint, hätte es nahegelegen, es hier gleichfalls aufzunehmen, um Konsistenz herzustellen und um aktuelle Diskriminierungsgefahren einzudämmen. In einer Einwanderungsgesellschaft sollte die Anknüpfung an Sprache einer Rechtfertigungslast unterliegen. So wird sich zum Beispiel die Pflicht, an Schulen deutsch zu sprechen, in diesem Sinne sachlich rechtfertigen lassen.

Der djb hält es auch für unglücklich, dass Diskriminierungen wegen der wahrgenommenen Geschlechtsidentität nicht explizit erfasst werden. Nach der Begründung des Entwurfs soll dies vom Begriff der sexuellen Identität erfasst sein. Grundsätzlich spricht mehr dafür, die Geschlechtsidentität dem Begriff des Geschlechts zuzuordnen. Der Begriff „Geschlecht“ wäre auch grundsätzlich weit genug, sowohl sexuelle als auch geschlechtliche Identitäten und Zuschreibungen zu erfassen. Gleichzeitig ist auch dieses Verständnis nicht eindeutig genug, wie auch die Begründung des Entwurfs zeigt. Um individuelle Entwürfe jenseits gesellschaftlicher Konstruktionen zu schützen und zu ermöglichen, wäre deshalb die zusätzliche Aufnahme des Kriteriums „Geschlechtsidentität“ zu begrüßen.

Zu § 3 Geltungsbereich

Die Regelung in § 3 Abs. 2 ist zu wenig verpflichtend formuliert. Es gibt keinen Grund, weshalb das Land nicht darauf hinwirken sollte, dass juristische Personen des Privatrechts oder Personengesellschaften, an denen es unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, die Ziele dieses Gesetzes nicht nur berücksichtigen, sondern auch beachten (vergleiche dazu auch § 6 des Neutralitätsgesetzes, Gesetz zu Art. 29 der Berliner Verfassung).

Zu § 4 Formen der Diskriminierung

Der djb begrüßt, dass in § 8 Absatz 3 des Entwurfs bei drittbezogenen Diskriminierungen (assoziierten Diskriminierungen) ein eigener Schadensersatzanspruch der dritten Person ausdrücklich geregelt ist. Allerdings fehlt dieser Tatbestand bei den Definitionen in § 4. Es wird angeregt, dies zu ergänzen.

Zu § 5 Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen, positive Maßnahmen

1.   Zu begrüßen ist, dass in § 5 versucht wird, sämtliche Gründe, die eine unmittelbare und mittelbare Benachteiligung rechtfertigen können, in einem Paragraphen zusammenzufassen.

2.   Allerdings ist die Regelung zu den Rechtfertigungsgründen in § 5 Absatz 1 einerseits zu weitgehend und andererseits konturlos und damit unklar.

Zu weitgehend ist die Regelung, soweit sie jegliche Diskriminierung aufgrund von „Rechtsvorschriften“ erlaubt. Dass unmittelbar anwendbares Unionsrecht und Bundesrecht sowie spezielle Landesgesetze der allgemeinen Regelung im LADG vorgehen, bedarf keiner ausdrücklichen Regelung. Der Regelungsgehalt der Norm beschränkt sich also darauf, Ungleichbehandlungen zu erlauben, die lediglich aufgrund einer Rechtsverordnung oder einer öffentlich-rechtlichen Satzung erfolgen. Damit würden Diskriminierungen, die durch das Gesetz gerade verhindert werden sollen – beispielweise an Stereotypen anknüpfende untergesetzliche Bestimmungen – gerade ermöglicht. Der Rechtfertigungsgrund sollte deshalb entfallen.

Konturlos ist die Regelung zum sachlichen Grund, weil unklar ist, was unter einem hinreichend sachlichen Grund zu verstehen ist. Auch die Gesetzesbegründung, die auf die unterschiedlichen verfassungs- und europarechtlichen Rechtfertigungsmaßstände verweist, ohne diese zu benennen, macht nicht wirklich deutlich, was damit gemeint ist. Das Gesetz sollte zudem verdeutlichen, dass der Rechtfertigungsmaßstab für die unmittelbare Ungleichbehandlung deutlich strenger sein muss als für die mittelbare Diskriminierung. Insofern wäre in Bezug auf die unmittelbare Ungleichbehandlung eine Formulierung angezeigt, die sich am Maßstab des § 8 AGG orientiert (zum Beispiel: „Eine Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt, wenn sie wesentlich und entscheidend dafür ist, dass die mit dem jeweiligen Handeln bezweckten Ziele erreicht werden können, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“).

3.   Die Definition der positiven Maßnahmen in Abs. 2 ist ebenso wie in § 5 AGG sprachlich etwas verunglückt, weil nahegelegt wird, dass „bestehende“ Nachteile noch „verhindert“ werden könnten. Außerdem sollte deutlich gemacht werden, dass nicht jede Unterrepräsentation einen Nachteil im Sinne der Regelung darstellt. Den Zielen des § 1 dienen positive Maßnahmen nur, soweit sie auf strukturelle Nachteile und nicht auf zufällige oder gerechtfertigte Ungleichgewichte reagieren. Günstiger wäre deshalb beispielweise eine Formulierung wie:

„(2) Eine Ungleichbehandlung ist auch gerechtfertigt, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen strukturelle Nachteile wegen eines oder mehrerer der in § 2 genannten Gründe verhindert, beseitigt, gemildert oder ausgeglichen werden sollen (positive Maßnahmen).“

Für Praxis und Auslegung wäre es wünschenswert, wenn zumindest in der Gesetzesbegründung konkretisiert würde, welche Maßnahmen in Betracht kommen.

Zu § 7 Vermutungsregelung

Zu unterstützen ist das Anliegen, die Beweislast für den gesamten Tatbestand der Diskriminierung zu erleichtern, und die Beweiserleichterung nicht wie in § 22 AGG auf die Kausalität des Diskriminierungsmotivs zu beschränken.

Jedoch ist die Vermutungsregelung in ihren rechtlichen Wirkungen nicht vollständig klar. Sie verwendet den Begriff der Glaubhaftmachung, der im Unionsrecht überwiegend als Beweislastregel verstanden wird, begreift ihn aber ausweislich der Gesetzesbegründung auch als eine Regelung über Beweismittel (Ermöglichung der Versicherung an Eides statt nach § 294 Abs. 1 ZPO). Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte deshalb in den Gesetzestext ein ausdrücklicher Verweis auf § 294 Abs. 1 ZPO aufgenommen werden und in der Gesetzesbegründung deutlicher als bisher zum Ausdruck kommen, dass sich der Begriff Glaubhaftmachung sowohl auf die Beweismittel als auf das Beweismaß bezieht. Es genügt, wenn die behaupteten Tatsachen (Indizien), die das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 2 oder § 6 wahrscheinlich machen, unter anderem aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung überwiegend wahrscheinlich sind.

Darüber hinaus wäre es zu begrüßen, wenn zumindest in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht würde, dass zu den Tatsachen, die eine widerlegliche Vermutung im Sinne des § 7 begründen können, auch gehört, wenn eine positive Maßnahme (§ 5 Abs. 2) nicht umgesetzt wird.

Zu § 8 Schadensersatzpflicht; Rechtsweg

Der djb begrüßt ausdrücklich, dass individuelle Ansprüche auf Schadenersatz und/oder Entschädigung – anders als nach § 15 AGG und § 61b ArbGG – an keine kurzen Geltendmachungs- und Klagefristen geknüpft werden. Eine Verjährungsfrist von einem Jahr erscheint angemessen, selbst wenn sie deutlich unter der gesetzlichen Regelverjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) liegt. Allerdings sollte aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ausdrücklich geregelt werden, dass die Verjährung im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs (vgl. § 8 Absatz 1 Satz 2 des Entwurfs) entsprechend § 240 Absatz 1 Nummer 1 BGB gehemmt wird.

Zu den §§ 9, 10 und 11 - Erweiterte Rechtsschutzmöglichkeiten und Anerkennungsverfahren

Der djb begrüßt die Einführung der Verbandsklage insbesondere in Fällen institutioneller und struktureller Diskriminierung in § 9 außerordentlich. Dabei unterstützt der djb den Ansatz, die Verbandsklage in allen Fällen zu ermöglichen, in denen eine Diskriminierung nicht nur im Einzelfall erfolgt.

Auch die gesetzliche Anerkennung der Prozessstandschaft für individuelle Klagen diskriminierter Personen in § 10 hält der djb für richtig. Sie entspricht Regelungen in vergleichbaren antidiskriminierungsrechtlichen Gesetzen wie dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und sollte generell der Standard für die Umsetzung der entsprechenden unionsrechtlichen Anforderungen werden.

Der djb hält auch die in § 11 vorgesehen Kriterien für die Anerkennung eines mit den Befugnissen nach den §§ 9 und 10 ausgestatteten Verbandes grundsätzlich für sinnvoll und angemessen. Allerdings ist unklar, weshalb verlangt wird, dass der Verband seinen Sitz in Berlin hat. Verbänden, die ihren Sitz außerhalb von Berlin haben, sollte die Verbandsklage ebenfalls eröffnet werden, wenn ihre Tätigkeit sich auch auf das Land Berlin erstreckt.

In rechtstechnischer Hinsicht sollte in § 9 Abs. 1 und § 10 das Wort „berechtigter“ gegen das Wort „anerkannter“ ersetzt werden und in § 11 Abs. 1 der letzte Satz („Mit Anerkennung …“), weil dann überflüssig, gestrichen werden.

Sabine Wildfeuer
Vorsitzende des Landesverbands Berlin

Prof. Dr. Heide Pfarr
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht