Stellungnahme: 17-01


Nationales Reformprogramm 2017

Stellungnahme vom

 

Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Frau Bundesministerin
Andrea Nahles, MdB
Wilhelmstraße 49
10117 Berlin

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) möchte an seine Forderungen, die er mit Schreiben vom 14. Februar 2014 zum Nationalen Reformprogramm 2014 an Sie herangetragen hat, erinnern. Das Schreiben, das auch an die Bundeskanzlerin, den Bundesminister für Wirtschaft und Energie und den Bundesminister der Finanzen gerichtet war, ist als Anlage beigefügt.

Die Empfehlung des Rates vom 12. Juli 2016 zum Nationalen Reformprogramm Deutschlands 2016, ABl. EU C 299/19, empfiehlt wiederum, dass Deutschland negative Arbeitsanreize für Zweitverdienende abbaut. Zudem soll der Übergang aus Minijobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse erleichtert werden. Auch aktuelle Statistiken zeigen, dass die Steuer- und Abgabenbelastung für Zweitverdienende nach wie vor eine der höchsten innerhalb der EU ist.[1] Frauen sind zwar zunehmend erwerbstätig, wechseln aber gerade nach der Elternzeit nur selten in existenzsichernde Beschäftigung. Gründe dafür sind u.a. das Zusammenspiel von Ehegattensplitting, Lohnsteuerklasse V, unzureichender Absetzbarkeit erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten, beitragsfreier Mitversicherung und steuerlicher Privilegierung geringfügiger Beschäftigung.

Das deutsche Nationale Reformprogramm 2017, das derzeit erarbeitet wird, muss daher endlich effektive Maßnahmen aufzeigen, die die Empfehlungen des Rates umsetzen.

Das in Ihrem Antwortschreiben vom 28. März 2014 hervorgehobene Faktorverfahren ist – ohne weitere Maßnahmen – nicht geeignet, die negativen Arbeitsanreize für Zweitverdienende abzubauen.

Der djb empfiehlt die Ablösung des Ehegattensplittings durch eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag und gleichzeitig eine angemessene Berücksichtigung des Tatbestands „Kind/er“ im Einkommenssteuer- bzw. Kindergeldrecht. In einem ersten Schritt sollte zumindest die Steuerklasse V im Lohnsteuerverfahren abgeschafft werden. Wir können nachvollziehen, dass die Einführung einer Individualbesteuerung für bestehende Ehen und Lebenspartnerschaften derzeit politisch schwer umsetzbar ist. Angesichts der weitgehend übergangslosen Reform des nachehelichen Unterhaltsrechts und der damit schwerer wiegenden Risiken von Erwerbseinschränkungen während der Ehe sind jedoch Maßnahmen geboten, die zeitnah Veränderungen herbeiführen. Dafür wäre beispielsweise eine besondere steuerliche Entlastung für Zweitverdienende denkbar[2].

Im Nationalen Reformprogramm 2016 war festzustellen, dass die Zahl der Minijobs insgesamt um 3,9 Prozent angestiegen und für Minijobs als alleinige – nicht existenzsichernde – Beschäftigung ein Rückgang um 3,5 Prozent zu verzeichnen ist. Das ist kein Erfolg. Die Einführung der Midijobs ist zudem nicht geeignet, den Übergang aus den Minijobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu erleichtern.

Der djb empfiehlt die Abschaffung der sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Privilegierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse.

Der djb empfiehlt weiterhin, die beitragsfreie Mitversicherung von Eheleuten nach § 10 SGB V durch eine zeitlich befristete beitragsfreie Versicherung von Eltern in der gesetzlichen Krankenversicherung abzulösen und eine anschließende Versicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung auf freiwilliger Basis vorzusehen.

Der djb begrüßt eine Berücksichtigung der vorgetragenen Anliegen. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Ramona Pisal
Präsidentin

Prof. Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission Recht der
sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] European Commission, 2016, Tax Policies in the European Union. 2016 Survey, S. 35f.

[2] Siehe Ulrike Spangenberg, Steuern und Wirtschaft 4/2016, S. 351.