Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Gleichstellungsrechts von Mecklenburg-Vorpommern (Gleichstellungsreformgesetz), Stand 1.12.2015, ist überwiegend zu begrüßen. Es wäre zu wünschen, dass er im Laufe des weiteren Abstimmungsverfahrens oder im Landesparlament nicht – wie dies ja bei Entwürfen von Gleichstellungsgesetzen in anderen Ländern immer wieder vorgekommen ist – abgeschwächt wird. Es handelt sich um einen brauchbaren Ansatz, die Gleichstellungsdefizite, die der Bericht der Landesregierung über die Umsetzung des Gesetzes zur Gleichstellung von Frau und Mann im öffentlichen Dienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Gleichstellungsbericht 2011/2012, Landtags-Drucksache 6/1169 vom 21.9.2012) für den öffentlichen Dienst aufgezeigt hat, weiter einzudämmen.
Dies vorausgeschickt, seien einige Anmerkungen gestattet, die die Bedeutung einzelner Vorschriften oder auch Probleme in diesen aus der Sicht des Deutschen Juristinnenbunds e.V: (djb) verdeutlichen sollen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.
1. Zielvereinbarungen (§ 5)
Zu begrüßen ist der Vorschlag, künftig auf Frauenförderpläne zu verzichten und stattdessen auf Zielvereinbarungen zwischen dem für Gleichstellung zuständigen Ministerium und den anderen obersten Landesbehörden zu setzen. Es handelt sich um eine Neuerung, die angesichts des Schattendaseins bisheriger Frauenförderpläne versucht werden sollte Eines der Probleme bisheriger Frauenförderplänen war, dass sie in der Regel von den freiwerdenden Stellen 50 % für Frauen reklamierten, wohl wissend, dass am Ende doch die Qualifikationssituation, genauer: die konkreten – teilweise taktischen – Beurteilungen der Bewerberinnen und Bewerber den Ausschlag gaben.
Trifft aber das jeweils für die Personalauswahl hierarchisch verantwortliche Ministerium eine Zielvereinbarung, so darf davon ausgegangen werden, dass dieses über mehr Möglichkeiten verfügt, die angestrebten Ergebnisse langfristig (z.B. über Personalentwicklungsmaßnahmen) vorzubereiten und am Ende in Zusammenarbeit mit den betroffenen Dienststellen und den Gleichstellungsbeauftragten auch durchzusetzen. Die jährliche Berichterstattung im Kabinett sorgt zudem dafür, dass die politische Verantwortung für Gleichstellung als Aufgabe der gesamten Landesregierung künftig deutlicher in Erscheinung tritt.
Allerdings gibt es einen Bereich der bisherigen Frauenförderpläne, der auch für eine Fundierung künftiger Zielvereinbarungen unverzichtbar sein dürfte: nämlich die dienststellenbezogene Befundaufnahme und Analyse der konkreten Situation von Frauen und Männern (auf allen Ebenen und in den „großen und kleinen“ Führungsämtern). Diese Befundaufnahmen sind weiterhin erforderlich. Es wäre zu wünschen, dass die Landesregierung den Dienststellen eine (mit Hilfe von Gleichstellungsbeauftragten entwickelte) Software zur Verfügung stellt, in denen über die Eingabe der anonymisierten Personaldaten der Dienststelle solche Befundaufnahmen schnell und aktuell jederzeit zur Verfügung stehen. Sie sollten dann nicht nur Grundlage möglichst detailreicher Zielvereinbarungen sein. Sie sollten auch bei der Umsetzung der Zielvereinbarungen jeweils aktuell zu Rate gezogen werden können. Insoweit würde sich gegebenenfalls eine Gesetzesergänzung empfehlen.
2. Auswahlentscheidungen – Bevorzugungsregel (Quote) bei "im Wesentlichen“ gleicher Qualifikation (§ 9)
Der Vorschlag, nicht mehr auf eine exakt gleiche Qualifikation sondern auf eine im wesentliche gleiche Qualifikation bei der Auswahlentscheidung abzustellen, wurde von Papier/Heidebach in deren Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen zur Frage der Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst gemacht (DVBl 2015, 125). Papier/Heidebach nahmen hierbei Bezug auf das Urteil des europäischen Gerichtshofes in Sachen Abrahamsson und Anderson (EuGH Rs. C-407/98, Rdnr. 62), in dem dieser für Auswahlentscheidungen eine fast gleichwertige Qualifikation genügen lässt (in der englischen Version: „equivalent or substantially equivalent merits“; in der französischen Version „sensiblement équivalents“).
Es ist erfreulich, dass der Entwurf sich mit dem Gutachten Papier/Heidebach nicht nur auseinandersetzt, sondern es auch in diesem zentralen Punkt aufnimmt. Damit einhergehend müsste eigentlich eine Reform des Beurteilungswesens stattfinden. In seiner Stellungnahme zur Geschlechtergerechtigkeit bei dienstlichen Beurteilungen von Beamtinnen und Tarifbeschäftigten vom 22.04.2015 hat der djb auf die Mängel des bisherigen Beurteilungswesens eingehend aufmerksam gemacht. Wie schon Papier/Heidebach bemerkt haben: „Es bestehen Erkenntnisse darüber, dass Geschlechterstereotypen und überkommene Rollenverteilungen die Leistungs- und Befähigungsbeurteilungen beeinflussen und sich eher zulasten der Bewerberinnen auswirken“ (DVBl. 2015, 125, 135).
Im Übrigen entspricht die Regelung des § 9 dem, was nach europäischer und nationaler Rechtslage ohne weiteres als europa- und verfassungskonform angesehen werden kann.
3. Gleichstellungsbeauftragte
Der Entwurf stärkt die Mitwirkungs- und Beanstandungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten, wenn auch nur geringfügig im Verhältnis zum geltenden Recht. Bei dem Beanstandungsrecht der GB (§ 20) setzt er auf ein aufschiebendes Veto mit der Möglichkeit, nach erfolgloser Beanstandung eine Entscheidung der vorgesetzten Dienststelle einzuholen. Ein Klagerecht fehlt weiterhin. Dies ist zu bedauern.
Positiv zu vermerken ist indessen, dass die Möglichkeiten der GB ihre Aufgaben gründlich und professionell zu erfüllen, gestärkt werden. So enthält der Entwurf erweiterte Freistellungsmöglichkeiten für die GB in Anlehnung an das Personalvertretungsrecht (§ 19 Abs. 4). Auch werden ihre umfassenden Informations- und Mitwirkungsrechte (§18) nunmehr klarer und eindeutiger geregelt.
4. Männerförderung und strukturelle Benachteiligung
Der Entwurf widmet sich nunmehr konsequent auch der Männerförderung. Das alte Gleichstellungsgesetz hatte Männerförderung sinnvollerweise auf verfassungsrechtlich vergleichsweise unproblematische Bereiche wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie beschränkt.
Der djb hat bereits in seiner Stellungnahme vom 07.10.2014 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zum Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (abzurufen unter www.djb.de/Kom/K1/st14-17/ - dort unter II. 1. b (1) <Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und 3 Abs. 2 GG>) im Einzelnen ausgeführt, warum Männerförderung unter verfassungsrechtlichen Aspekten höchst problematisch ist. Hierzu kann im Kern auch auf die verfassungsrechtlichen Ausführungen in dem bereits genannte Gutachten von Papier/Heidebach verwiesen werden (DVBl 2015, 125).
Der Entwurf versucht nun die verfassungsrechtlichen Hürden dadurch zu umgehen, dass er Frauen- ebenso wie Männerförderung streng daran bindet, dass das jeweilige Geschlecht strukturell benachteiligt ist. Richtig hieran ist, dass auch Gleichstellungrecht zugunsten von Frauen verfassungsrechtlich nach herrschender Meinung allein dadurch legitimiert ist, dass sie als Gruppe – immer noch –strukturell diskriminiert werden und Art. 3 Abs. 2 GG nur insoweit unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kompensatorische Eingriffe erlaubt. Diese Prämisse der strukturellen Diskriminierung als Gruppe wurde aber in früheren Gleichstellungsgesetzen regelmäßig nicht ausdrücklich, jedenfalls nicht außerhalb von Gesetzesbegründungen, erwähnt.
Um Männerförderung möglichst verfassungsfest zu legitimieren, bindet der Entwurf diese nun daran, dass bei Männern eine strukturelle Diskriminierung festzustellen ist. Strukturelle Diskriminierung wird definiert (§ 3 Nr. 1). Es wird so getan, als könne man den Spieß umdrehen: als würden spiegelbildlich Männer unabhängig von Qualifikation gesamtgesellschaftlich in weiten Bereichen diskriminiert und als sei es wie bei Frauen legitim, statistische Bezugsgrößen einzelner Dienststellen – Zahlen in den Eingangsämtern und in den Führungspositionen – als Indiz dafür heranzuziehen. Für eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Es gibt auch keine soziologischen Untersuchungen, die solches nahelegen könnten.
Männer sind jedenfalls nicht schon dann strukturell diskriminiert, wenn in einer Beschäftigungsgruppe der Anteil von Männern in den Eingangsämtern deutlich höher ist als in der entsprechenden Führungsebene. Solches findet sich gelegentlich, wenn auch nur völlig vereinzelt in den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen. Sucht man nach Begründungen dafür, so ist folgendes zu berücksichtigen:
Angesichts der relativ schlechten Vergütung im öffentlichen Dienst – im Verhältnis zur Privatwirtschaft – ist dieser für männliche Spitzenkräfte deutlich weniger attraktiv als für Frauen. Andererseits gibt es bestimmte Berufe (z.B. Handwerk/IT), in denen typischerweise mehr Männer als Frauen eingestellt werden. Weibliche Spitzenkräfte – in welcher Laufbahnrichtung auch immer – sind typischerweise weniger an der absoluten Einkommenshöhe, als an den generell besseren Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im öffentlichen Dienst interessiert.
Soweit Gesetze zugunsten von Frauen an deren zahlenmäßige Unterrepräsentanz anknüpfen, folgen sie hierin dem EuGH, der diesen – den üblichen juristischen Methoden widersprechenden – „statistical approach“ als einfachen indiziellen Nachweis von Frauenbenachteiligung gebilligt hat, weil die Diskriminierungsgeschichte von Frauen offen zu Tage lag und die Statistiken kaum anders zu interpretieren waren – unabhängig davon, ob dies in der einzelnen Dienststelle anders ist. Männerförderung ließe sich jedenfalls europarechtlich kaum vergleichbar begründen. Ihnen fehlt die entsprechende Diskriminierungsgeschichte.
Das Problem ist, dass sich der Begriff der strukturellen Benachteiligung nicht auf Einzelphänomene und auch nicht auf eine einzelne Dienststelle herunterbrechen lässt, bevor nicht zunächst plausibel feststeht und im Wesentlichen auch allgemein anerkannt ist, dass es eine gesamtgesellschaftliche Diskriminierungssituation gibt. Die Frage ist bereits, ob „strukturelle Benachteiligung“ als Rechtsbegriff taugt. Dies ist zu verneinen.
Die Definition des Entwurfs versucht das Problem dadurch zu lösen, dass es der allein subsumtionsfähigen Unterrepräsentanzregel die erforderliche gesamtgesellschaftliche Lage als Bedingung voranstellt. Es heiß dort (§ 3 Ziff. 1): „Strukturelle Benachteiligung: Ist das Ergebnis einer Diskriminierung von Frauen oder Männern aufgrund von vorherrschenden Strukturen der Gesamtgesellschaft und damit einhergehenden Rollenbildern und Vorurteilen gegenüber Beschäftigten des unterrepräsentierten Geschlechts. Ist in einer Beschäftigungsgruppe der Anteil des einen Geschlechts in den Eingangsämtern deutlich höher als in der entsprechenden Führungsebene, so kann auf eine strukturelle Benachteiligung dieses Geschlechts rückgeschlossen werden.“
Aber lässt sich strukturelle Diskriminierung in eine solche Definition pressen? Jedenfalls: Wer berufliche Benachteiligungen von Frauen als strukturelle Diskriminierung bezeichnet, verweist damit auf überaus komplexe Prozesse und umfassende Systeme von benachteiligenden Strukturen und Verhaltensweisen. Diese betreffen Frauen als Gruppe und lassen sich nur mittelbar aus gesamtgesellschaftlichen Indikatoren ablesen. Prämissen hierbei sind, dass Frauen nicht weniger leistungsfähig und leistungsbereit sind als Männer, dass wir derzeit die bestausgebildetste Frauengeneration aller Zeiten haben, dass dennoch im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft Frauen in Führungspositionen statistisch deutlich seltener als Männer anzutreffen sind, dies auch dann, wenn in den hierarchisch darunter stehen Positionen ausreichend Frauen vertreten sind, dass von Frauen bevorzugte Arbeitsbereiche vielfach in der Gesellschaft weniger Ansehen genießen und schlechter bezahlt werden, dass Familienarbeit immer noch überwiegend Frauen zugerechnet wird und vieles andere mehr.
Diskriminierungen im Einzelfall sind dabei selten nachzuweisen. Aus den ersten Jahrzehnten der BRD, in den weitgehend für anspruchsvollere (und besser bezahlte) Positionen eine 100%ige Männerquote herrschte, weiß man, dass die Benachteiligung von Frauen gerne damit begründet wurde, dass sie schwanger werden und ausfallen könnten. Wer heute mit Personalverantwortlichen spricht, weiß, dass auch heute noch selbst bei familiär (noch) ungebundenen Frauen – anders als bei vergleichbaren Männern – deren künftige Familiensituation im Sinne von Wünschen nach Beurlaubungen oder Teilzeitarbeit oder Abgelenktsein wegen kranker Kinder u.ä. antizipiert wird. Die dadurch möglicherweise irgendwann erhöhte Belastung der Personalverwaltung ist stets präsent. Wer viel an Bewerbungsgesprächen teilgenommen hat, weiß, dass dort Schwangerschaften zwar nicht mehr thematisiert werden (dürfen), aber der Gedanke daran und dass Frauen deshalb vermehrt ausfallen könnten oder Sonderwünsche haben gleichwohl in den Köpfen geblieben ist! Wer schon einmal Personalverantwortung getragen hat, vermag viele Beispiele zu nennen!
Dies gilt allerdings nicht umgekehrt auch für Männer im öffentlichen Dienst. Auch wenn sich heute (statistisch allerdings kaum nachweisbar) einige Männer mehr als früher in Familienarbeit engagieren. Männer sind nicht schon dann strukturell diskriminiert, wenn in einer Beschäftigungsgruppe der Anteil von Männern in den Eingangsämtern deutlich höher als in der entsprechenden Führungsebene. Solches findet sich gelegentlich, wenn auch eher vereinzelt in den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen (s.o.).
Nun ließe sich sagen: Wenn Männer gesamtgesellschaftlich nicht strukturell diskriminiert werden, auch gut, dann kommen halt die entsprechenden Vorschriften nie zur Anwendung! Dann enthält das Gesetz eben nur Regeln für den Fall, dass wir doch einmal – in 50 oder 100 Jahren? – den Zustand erreicht haben, dass Männer strukturell diskriminiert sind! Also eine Art „Vorratsgesetz“ zugunsten von Männern? Kann dies schaden?
Ja! In der Begründung des Entwurfs findet sich nicht, dass wir von dem Zustand einer strukturellen Diskriminierung von Männern faktisch so weit entfernt sind, dass die statistische Unterrepräsentanzregel niemals angewendet werden dürfte. Der Entwurf muss sich fragen lassen, warum er asymmetrischen gesellschaftlichen Verhältnissen zu Lasten von Frauen mit symmetrischen Regelungen begegnet, die so tun, als gebe es schon irgendwo eine strukturelle Benachteiligung von Männern. Wie die Gesetzesanwendung im Einzelfall der konkreten Dienststelle, insb. in Beförderungssituationen, aussehen wird, kann jetzt schon prophezeit werden: Ob die qualifikationsabhängige Bevorzugungsregel (Quote) angewandt wird oder nicht, wird künftig im Wesentlichen von der Rechnung abhängen: Wer hat in den Eingangsämtern den höheren Anteil, Männer oder Frauen? Wenn es Männer sind und ihr Anteil in den Führungspositionen der jeweiligen Besoldungs- und Entgeltgruppe noch nicht bei 50% liegt, dann müssen Bewerberinnen – wie ja ohnehin üblich – schon sehr viel besser qualifiziert sein als männliche Bewerber. Und auch, wenn diese Konstellation selten zutreffen wird, und am Ende es hoffentlich doch um Qualifikation gehen sollte: Die wider besseres Wissen faktisch propagierte gesetzliche Behauptung, es gebe eine strukturelle Diskriminierung von Männern, ist eines Gesetzgebers unwürdig.
Ramona Pisal
Präsidentin
Marion Eckertz-Höfer
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht,
Öffentliches Recht, Gleichstellung