Stellungnahme: 15-10


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (ProstSchG-RefE)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Der djb teilt und begrüßt das Ziel, eine transparente und einheitliche Regulierung des Prostitutionsgewerbes auf den Weg zu bringen und den Schutz der in der Prostitution tätigen Frauen und Männer zu erhöhen. Es ist positiv zu bewerten, dass der Entwurf auf die Abschaffung der Sittenwidrigkeit des Vertrages über sexuelle Dienstleistungen Bezug nimmt und die Prostitution ausdrücklich in den Kontext der Berufsfreiheit von Art. 12 Abs. 1 GG stellt. Der djb teilt die Einschätzung, dass die Regulierung der Prostitution u.a. angesichts der gesellschaftlichen Stigmatisierung einer Tätigkeit als Prostituierte (männlich/weiblich) schwierig ist und die Wahl der Regulierungsinstrumente deshalb besonderen Bedachts bedarf. Bei Lektüre des Entwurfs entsteht allerdings der Eindruck, dass die Umsetzung des Gesetzes vor allem die Berufsausübung für Prostituierte unzulässig erschwert.

Die geplante Anmeldepflicht für alle Prostituierten wird den Schutz dieser Personengruppe vor Ausbeutung, unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Gewalt, sowie den Schutz der Opfer von Menschenhandel und damit in Verbindung stehenden Straftaten nicht erhöhen. Sie hält im Ergebnis verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand, ihre Notwendigkeit zum derzeitigen Zeitpunkt sollte grundlegend überdacht werden. Die Kunden, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, bleiben von Anmelde-, Gesundheits- und Beratungspflichten (abgesehen von der Kondompflicht) unbehelligt.

Der djb sieht zudem gravierende Probleme bei der Ausgestaltung der gewerbe- und ordnungsrechtlichen Aspekte der neu zu schaffenden Prostitutionsaufsicht und erwartet Umsetzungsdefizite in der Praxis, sowie gegenüber der Prognose des Referentenentwurfes erheblich höhere Mehrkosten für die Bundesländer. Der djb empfiehlt, als den nächsten Schritt der Regulierung des Prostitutionsgewerbes zunächst auf ein einheitliches, auf verbindliche Mindeststandards abzielendes gewerberechtliches Spezialgesetz (Prostitutionsstättengesetz) zu setzen.[1] Die erheblichen finanziellen Mittel, die für die Bearbeitung und Kontrolle der individuellen Anmeldepflicht notwendig wären, sollten in die Finanzierung möglichst flächendeckender, niedrigschwelliger und mehrsprachiger Beratungsangebote (einschließlich einer Ausstiegsberatung) fließen.

A. Ziele und Instrumente des Referentenentwurfs

Unter dem Titel Regulierung und Schutz vereinigt der Referentenentwurf gewerbe- und ordnungsrechtliche Instrumente. Die mit dieser Regulierung verfolgten Ziele sind widersprüchlich. Geht es darum, die Prostitution in die gewerberechtliche Normalität zu überführen oder um eine polizei- und ordnungsbehördliche Aufsicht über die Prostitutionsbranche und vor allem die in ihr tätigen Menschen?

Das Prostitutionsgesetz von 2002 hatte das Ziel, die Prostitution in die rechtliche Normalität zu überführen. Wie der Referentenentwurf eingangs feststellt, ist dies nur zum Teil gelungen. Vor allem im Gewerberecht ist eine regional zersplitterte Praxis zu beobachten.[2] Aus politischen Gründen wurden mit dem Prostitutionsgesetz keine Regelungen im Gewerberecht geschaffen. Nicht in allen Bundesländern wurde die Wertung des Prostitutionsgesetzes zur Abschaffung der Sittenwidrigkeit in der gewerberechtlichen Praxis umgesetzt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Betrieb von Bordellen oder die Tätigkeit als Prostituierte sei weiterhin als unsittlich zu betrachten, mit der Folge, dass eine Anwendung gewerberechtlicher Regeln nicht erfolgt und Betriebe ggf. unter anderen Bezeichnungen geduldet werden. Auch im Bereich der Wohnungsprostitution bestehen Unterschiede bei der Handhabung. Das führt nicht nur zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für die Betreibenden von Prostitutionsstätten, sondern auch zu fehlenden gewerberechtlichen Kontrollmöglichkeiten. Rechtsfreie Räume, wie sie zum Teil auf das Prostitutionsgesetz zurückgeführt werden, sind zu einem großen Teil durch einen Verzicht auf die Auseinandersetzung mit dem Thema im Gewerberecht entstanden.

Ob zum Schutz von Prostituierten neben diesen wichtigen und überfälligen gewerberechtlichen Änderungen auch eine individuelle Anmeldung bei einer – im Referentenentwurf nicht näher festgelegten – Behörde überhaupt erforderlich ist, ist fraglich. Über Pflichtberatungen und regelmäßige Anmeldungen bei verschiedenen Behörden werden Opfer von Straftaten erfahrungsgemäß kaum erreicht werden. Über die eigenen Rechte kann auch durch die Wahl anderer Instrumente (freie Beratungsstellen, aufsuchende soziale Arbeit, Informationspflichten für Betreibende von Prostitutionsstätten) aufgeklärt werden. Gleichzeitig wird der Druck auf Prostituierte durch diese neuen Regelungen enorm erhöht. Für viele steht die sehr reale Angst vor einem Outing im Raum. Insofern dürfte die Anmeldepflicht weniger dem Schutz der Betroffenen, als dem Ziel einer Eindämmung der Prostitution dienen und durchaus auch neue rechtsfreie Räume schaffen, wenn der Pflicht zur Anmeldung nicht nachgekommen wird.

Die Kunden, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen und zum Teil als Nachfragende als das eigentliche Problem und die Verursacher von Prostitution gesehen werden, bleiben von Anmelde-, Gesundheits- und Beratungspflichten (abgesehen von der Kondompflicht[3]) unbehelligt. Mit diesem Kompromiss kann niemand zufrieden sein.

B. Die individuelle Anmeldepflicht für die Erbringung sexueller Dienstleistungen

Der djb spricht sich gegen die im Referentenentwurf vorgesehene individuelle Anmeldepflicht aus. § 3 ProstSchG-RefE sieht vor, dass sich Prostituierte bei Tätigkeitsaufnahme bei der zuständigen Behörde anmelden muss. Die örtliche Zuständigkeit der Behörde soll so begrenzt sein, dass die Anmeldung bei jedem Wechsel des Tätigkeitsortes in eine andere Kommune erneut durchzuführen ist. Die Erteilung der Anmeldebescheinigung kann gem. § 5 I Nr. 1–3 ProstSchG-RefE verweigert werden, wenn die bzw. der Prostituierte nicht über die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht verfügt, wenn eine Person unter 21 Jahren durch Dritte zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht werden soll oder wenn der Verdacht besteht, dass die Person als Opfer von Menschenhandel der Prostitution nachgehen soll.

Die Anmeldepflicht hält im Ergebnis verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand, diskriminiert durch ein Sonderrecht die Gruppe der Prostituierten, begegnet erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken, vermag die verfolgten Ziele nicht zu erreichen und führt umgekehrt zu unerwünschten und teils verfassungsrechtlich bedenklichen Folgen. Überdies gibt es geeignete und für Kommunen und Länder kostengünstigere Alternativen.

I. Entgrenzung des erfassten Personenkreises

Der Entwurf erfasst in § 2 Abs. 1, 2 ProstSchG-RefE alle Personen, die sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen. Diese Personen sind gemäß § 3 Abs. 1 ProstSchG-RefE bei Aufnahme ihrer Tätigkeit in der jeweiligen Kommune anmeldepflichtig. Schon die Wahl einer Legaldefinition als Prostituierte bzw. Prostituierter ist alles andere als glücklich.[4]

Der erfasste Personenkreis unterstreicht aber auch den sonderrechtlichen Status des ProstSchG gegenüber bestehendem Gewerberecht. Er schließt auch Personen ein, die sexuelle Dienstleistungen nur gelegentlich anbieten. Für den Begriff des „Gewerbes“ ist aber unstreitig eine gewisse Dauer der Tätigkeit konstitutiv.[5] Damit sollen Bagatellfälle ausgeschlossen werden, in denen nur eine einmalige Tätigkeit oder eine wiederholte Tätigkeit ohne Fortsetzungsabsicht vorliegt, da diese nur gelegentlichen Tätigkeiten am Markt nicht ernsthaft in Erscheinung treten und eine gewerberechtliche Kontrolle unverhältnismäßig wäre. Die Erstreckung weit über den gewerberechtlich relevanten Personenkreis bedarf einer Rechtfertigung, die vorliegend nicht ersichtlich ist, und weist auf den primär polizeirechtlichen Charakter der Regelung.

Hinzu kommt, dass nach der Begründung der Begriff „Entgelt“ weit zu verstehen ist und jede „im Rahmen eines wirtschaftlichen Tauschverhältnisses vereinbarte geldwerte Gegenleistung“[6] erfassen soll, insoweit jemand die sexuelle Dienstleistung „gezielt“ zum „Erhalt oder zur Steigerung des eigenen Lebensunterhalts“[7] anbietet. Somit werden auch Personen zu Prostituierten und damit anmeldepflichtig, die sich selbst so nicht bezeichnen und nicht als Teil des Milieus sehen würden, aber gleichwohl eine sexuelle Beziehung im Austausch gegen einen bestimmten Lebensstandard führen.[8]

Wie dies zu kontrollieren und von insoweit unverdächtigen sexuellen Beziehungen mit ungleich verteilten Ressourcen[9] abzugrenzen ist, bleibt völlig offen. Absehbar besteht dagegen die Gefahr von Denunziationen „verdächtiger“ Beziehungen und Personen. Der ohnehin in problematischer Weise definierte Personenkreis ist viel zu breit gewählt, die Regelung schon insoweit unbestimmt und unverhältnismäßig und würde in der Vollzugspraxis erhebliche Probleme verursachen.

II. Eingriff in die Berufsfreiheit

Die vorgesehene Anmeldepflicht stellt einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit dar. Prostitution gilt nicht mehr als sozial unwertige Tätigkeit und ist spätestens seit Inkrafttreten des ProstG im Jahr 2002 als Beruf anerkannt.[10] Die Anmeldepflicht ist eine berufsbezogene belastende Regelung. Die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs richtet sich gemäß der höchstrichterlich entwickelten Drei-Stufen-Theorie danach, ob eine Regelung der Berufsausübung oder der subjektiven oder objektiven Berufswahl vorliegt.

1. Subjektive Berufswahlregelungen

Die Anmeldepflicht gemäß § 3 ProstSchG-RefE scheint zunächst nur einen Aspekt der Berufsausübung zu betreffen, da sie nicht den Zugang zur Prostitution als solchen, sondern nur eine Modalität ihrer Ausübung regelt. Allerdings zeigt die Gesamtregelung der Anmeldung, dass es hier nicht um eine formale Registrierung und Kenntnisnahme durch die Behörde geht. Voraussetzung der Anmeldung ist eine jährlich durchzuführende medizinische Pflichtberatung nach § 9 ProstSchG-RefE. Prostituierte haben die Anmeldebestätigung bei Ausübung ihrer Tätigkeit stets bei sich zu führen. Die Tätigkeit ohne Anmeldung kann behördliche Anordnungen und schließlich Sanktionen nach sich ziehen. Zugleich ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 1–3 ProstSchG-RefE die Anmeldebescheinigung unter bestimmten Umständen nicht zu erteilen. Damit liegt insgesamt eine subjektive Berufswahlregelung vor.

Subjektive Berufswahlbeschränkungen, das heißt Bestimmungen, die die Berufswahl auf Grund persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten beeinträchtigen, sind nur zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter, welche der Freiheit der Einzelnen vorgehen, zulässig und müssen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.[11]

2. Verhältnismäßigkeitsprüfung

Ziele der Anmeldepflicht sind die Bekämpfung von Kriminalität in der Prostitution, insbesondere Menschenhandel, die allgemeine Kontrolle des Gewerbes, die Prävention von Gesundheitsrisiken sowie die Aufklärung von Prostituierten über ihre Rechte. Ob es bei all diesen Zielen gleichermaßen um überragende Gemeinschaftsgüter geht, kann letztlich dahinstehen. Die in § 3 i.V.m. § 2 Abs. 2, §§ 4, 5 und 9 ProstSchG-RefE vorgesehene Anmeldepflicht ist teils ungeeignet und teils unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.

Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie die Amtsleitenden von 25 Gesundheitsämtern haben sich gegen eine Anmelde- und Beratungspflicht für Prostituierte ausgesprochen, weil sie stigmatisierend ist, den Erfolg auf Vertrauen beruhender Präventionsarbeit gefährdet, besonders vulnerable Gruppen abschreckt und weder Opfer von Gewalt noch Menschenhandel schützt.[12] Bezüglich der Prävention von Infektionsrisiken ist die in § 3 i.V.m. § 2 Abs. 2, §§ 4, 5 und 9 ProstSchG-RefE vorgesehene Anmeldepflicht ungeeignet und nicht notwendig, da diesbezüglich bereits in § 19 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine spezialgesetzliche Regelung getroffen wurde, deren Effektivität und Wirksamkeit unter Gesundheitsexperten anerkannt ist.

Dass dies ebenso für die Bekämpfung von Menschenhandel gilt, wird nicht nur vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVÖGD) vertreten, ist aber umstritten. Dafür spricht, dass der entsprechende Opferschutz in Deutschland weiterhin defizitär und das Vertrauen zu Behörden dementsprechend gering ist und durch erzwungene Kontakte eher nicht wachsen wird. Auch können sich Personen, welche von sexueller Ausbeutung profitieren, dafür entscheiden, lieber eine illegale Tätigkeit zu riskieren, oder die unter ihrer Kontrolle stehenden Personen einfach zur Anmeldung schicken. Andererseits kämen Opfer von Gewalt und Menschenhandel in Kontakt mit Behörden, deren Hilfe trotz bspw. schwieriger aufenthaltsrechtlicher Regelungen nicht ausgeschlossen ist, so dass der Zweck ggf. gefördert werden könnte.[13]

Zur Kontrolle des Gewerbes und zur Beratung von Prostituierten sind die Regelungen auch grundsätzlich geeignet, obwohl die Aufnahmefähigkeit wie -bereitschaft angesichts der Zitierung auf ein Amt und der drohenden Verweigerung einer notwendigen Anmeldebestätigung herabgesetzt sein mag. Als milderes Mittel bieten sich bezüglich letzterem aufsuchende, anonymisierte und nicht-staatliche Beratungen an, die allerdings mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet sein müssten. In Bezug auf Menschenhandel und kommerzialisierte Vergewaltigung (sog. Zwangsprostitution) wäre eine funktionierende Strafverfolgung, basierend auf richtlinienkonformem Opferschutz und flankiert von erweiterten Möglichkeiten legaler Einreise zu Erwerbszwecken sicherlich ein weitaus effektiveres Mittel.

Soweit die Anmeldepflicht aus § 3 i.V.m. § 2 Abs. 2, §§ 4, 5 und 9 ProstSchG-RefE geeignet und erforderlich ist, ist sie jedenfalls unverhältnismäßig. Die mit verpflichtenden Beratungen verbundene Anmeldepflicht, deren Bestätigung versagt werden kann, trifft alle Prostituierten und ebenso Personen, die nur einmalig oder gelegentlich sexuelle Dienstleistungen erbringen. Schon insoweit ist sie unverhältnismäßig. Zu kritisieren ist auch, dass die Anmeldung grundsätzlich nur für eine oder mehrere angegebene Kommunen gelten soll. Diese Regelung schafft für deutschlandweit tätige Individuen einen unzumutbaren Aufwand. Wenn man davon ausgeht, dass § 3 Abs. 2 ProstSchG nicht so gemeint ist, dass man einmalig alle Kommunen Deutschlands in die Anmeldung eintragen kann, führt diese Regelung dazu, dass Menschen, die häufig (zum Beispiel wöchentlich) die Kommune wechseln in kürzesten Abständen Anmeldungen vornehmen und jeweils das Informations- und Beratungsgespräch in den einzelnen Kommunen durchführen müssen. Hinzu kommt, dass die Anmeldebescheinigung nicht sofort bei der Anmeldung, sondern erst fünf Tage später[14] erteilt werden muss (§ 5 Abs. 1 ProstSchG).

Die Anmeldung setzt eine verpflichtende Gesundheitsberatung voraus, welche die international anerkannte freiwillige, anonyme und aufsuchende Gesundheitsberatung[15] für eine Berufsgruppe mit teilweise besonders vulnerablen Personen wieder ausschließt. Sie führt zur Erhebung und Verarbeitung von Daten, welche nicht nur personenbezogen sind, sondern auch das Sexualleben betreffen und deshalb besonderem Schutz unterliegen. Diesen Schutz im Interesse einer allgemeinen Kontrolle oder zur besseren Rechtsberatung aufzuheben, ist angesichts der betroffenen Intimsphäre wie der fortdauernden Stigmatisierung der Prostitution ebenfalls unverhältnismäßig. Die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 ProstSchG-RefE ist verfassungswidrig (s.u. IV.) und ein so schwer wiegender Grundrechtseingriff, dass sie die Anmeldepflicht insgesamt als unverhältnismäßig erscheinen lässt.

Die Anmeldepflicht in der Ausgestaltung durch § 3 i.V.m. § 2 Abs. 2, §§ 4, 5 und 9 ProstSchG-RefE ist diskriminierend, lässt es an hinreichender Bestimmtheit mangeln, greift in das Persönlichkeitsrecht ein und fördert Willkür, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Dass sie auch nur eines der angestrebten Ziele erreichen kann, ist unwahrscheinlich. Einen Eingriff in die subjektive Berufswahlfreiheit kann sie daher nicht rechtfertigen.

III. Eingriff in das Recht auf (sexuelle und) informationelle Selbstbestimmung

Die vorgesehene Anmeldepflicht stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Menschen gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG im Hinblick auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, da mit ihr persönliche Daten im Zusammenhang mit dem Sexualleben der Person erhoben werden.

In Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG kann aufgrund Gesetzes eingegriffen werden, wobei die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit steigen, je tiefer der Eingriff ist. Die gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss darüber hinaus besonderen Anforderungen entsprechen[16]: Es bestehen besondere Anforderungen an die Bestimmtheit und Normenklarheit. Es müssen spezifische organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz der Daten vorgesehen sein, insbesondere in Form von Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten. Die Verwendungszwecke müssen präzise bestimmt sein.

In dieser Hinsicht sehr erfreulich ist, dass § 34 ProstSchG-RefE durchgehend eine klare Zweckbindung und § 34 Abs. 3 ProstSchG-RefE die Löschung der Anmeldedaten grundsätzlich spätestens drei Monate nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Anmeldung vorsieht. Eine Löschung aus dem System bedingt aber keine Löschung aus dem Gedächtnis staatlicher Hoheitstragenden, die nicht frei von moralischen Werturteilen zur Tätigkeit als Prostituierte bzw. Prostituierter sind. Und § 34 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 ProstSchG-RefE sieht eine Übermittlung personenbezogener Daten auch zur Abwehr „erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl“ vor, eine Generalklausel, die schon auf Grund ihrer Unbestimmtheit verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen dürfte.

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der Anmeldepflicht jeder bzw. jedes Prostituierten und einer Datenerhebung im Zusammenhang mit den Erlaubnispflichten für Prostitutionsgewerbe. Die individuelle Anmeldepflicht für alle Prostituierten ist unangemessen. Dabei ist für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Streubreite und Persönlichkeitsrelevanz der Daten zu beachten.[17] Die Anmeldepflicht führt dazu, dass sich Prostituierte bezüglich ihrer Tätigkeit gegenüber der Anmeldebehörde offenbaren müssen, und sie kann weitere Nachweiserfordernisse über die ordnungsgemäße Anmeldung hinaus nach sich ziehen.[18] Dies greift tief in das Persönlichkeitsrecht der Prostituierten ein, da das Datum der Prostitution ihr Sexualleben betrifft und sie eine noch immer gesellschaftlich stigmatisierte Tätigkeit ausüben.

Die Gefahr der Aufdeckung ihrer Tätigkeit und damit die Gefahr der Stigmatisierung steigt aufgrund der Anmeldepflicht signifikant. Für die Erhebung solcher sensibler Daten i.S.d. § 8 Abs. 1 RL 95/46/EG gelten besondere Anforderungen. Sie setzen gemäß § 8 Abs. 4 RL 95/46/EG voraus, dass ein „wichtiges öffentliches Interesse“ verfolgt wird. Die entsprechende Regelung in § 13 Abs. 2 Nr. 1 BDSG bleibt insoweit hinter der Richtlinie zurück, als sie dies nur als eine mögliche Alternative fordert und im Übrigen des Vorliegen einer Rechtsvorschrift genügen lassen will. Das Interesse an der ordnungsrechtlichen Überwachung der Prostitution ist jedoch nur ein allgemeines rechtsstaatliches Interesse, das diesen Anforderungen nicht entspricht.[19] Es kann einen so tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen.

IV. Hinreichende Bestimmtheit und Willkürschutz: die Befugnis zur Prüfung der „Einsichtsfähigkeit“

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 ProstSchG-RefE darf die Anmeldebescheinigung nicht erteilt werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass „eine Prostituierte oder ein Prostituierter nicht über die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht verfügt“. Dies genügt den rechtsstaatlichen Erfordernissen hinreichender Normenklarheit und -bestimmtheit nicht, da völlig offen bleibt, was die für die Ausübung der Prostitution erforderliche Einsicht ist und anhand welcher Kriterien Beschäftigte bei Verwaltung oder Polizei dies beurteilen sollen.

Zwar ist in der Gesetzesbegründung näher erläutert, dass die Anmeldebescheinigung in der Regel zu erteilen ist und nur ausnahmsweise versagt werden soll, wenn „ganz offenkundig und zweifelsfrei ‚auf den ersten Blick‘ erkennbar ist, dass eine Person nicht die Fähigkeit besitzt, die Reichweite ihres Handelns zu erkennen und einzuschätzen“. Als Beispiele werden eine stark ausgeprägte Intelligenzminderung und eine schwere geistige Behinderung benannt. Dieses strikt gedachte Regel-Ausnahme-Verhältnis und die hohen Anforderungen an eine Versagung der Anmeldebescheinigung kommen im Gesetzestext aber nicht zum Ausdruck.

Zudem bleibt trotz der Erläuterung in den Gründen unklar, was die für die Ausübung der Prostitution zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht ausmacht. Es existieren auch keine vergleichbaren Regelungen für andere Gewerbe. Zum einen werden Minderjährigkeit und Geschäftsfähigkeit ohnehin regelhaft bei Gewerbeanmeldungen festgestellt. Für eine Überprüfung jenseits des bereits üblichen kursorischen Rahmens ist die zuständige Gewerbebehörde auch gar nicht kompetent. Dafür müsste ein förmliches Betreuungsverfahren eingeleitet werden. Obwohl die Formulierung der Norm auch an ein solches erinnert, ist dies offensichtlich nicht gemeint.

Die Norm schafft eine Blankobefugnis für die Befragung von Personen, die ein Gewerbe zur Erbringung sexueller Dienstleistungen anmelden wollen, und öffnet der Möglichkeit behördlicher Willkür Tür und Tor. Hier sollte dringend nachgebessert werden. Die Formulierung schafft ein Einfallstor für die behördliche, und damit fremd- und sicher auch moralbestimmte, Einschätzung, ob sich jemand „völlig naiv“ auf eine Tätigkeit in der Prostitution einlässt. Da es an jeder Spezifikation oder Beschränkung zur Erlangung dieser völlig außerhalb der Kompetenz der Behörde liegenden „Erkenntnis“ mangelt, können (potentielle) Prostituierte sich mit beliebigen Fragen nach ihrer Person und ihrem Privatleben konfrontiert sehen, während die Verweigerung der Beantwortung zum Vorenthalten der notwendigen Anmeldebestätigung führt.

Da der Staat sich sonst jeglicher „Reifeprüfung“ enthält, wenn volljährige Personen einen legalen Beruf ergreifen wollen, liegt in § 5 Abs. 1 Nr. 1 ProstSchG-RefE auch ohne die zu befürchtende schikanöse Anwendung bereits eine Diskriminierung. Es ist nicht ersichtlich, wie diese gerechtfertigt werden könnte. Zur Bekämpfung von Kriminalität in der Prostitution ist § 5 Abs. 1 Nr. 3 ProstSchG-RefE eingeführt worden. Eine abstrakte „Gefährlichkeit“ des Berufs kann die Einführung einer Pflichtberatung mit Blankobefugnis zur persönlichen Befragung als Voraussetzung für die Anmeldung eines erlaubnisfreien Gewerbes nicht rechtfertigen. Prostituierte werden hier pauschal unter Verdacht gestellt, nicht einsichtsfähig und damit nicht mündig zu sein.

Die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 ProstSchG-RefE konterkariert die zentralen Ziele des Gesetzentwurfs, das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in der Prostitution zu stärken und die Rechtssicherheit für die legale Ausübung der Prostitution zu verbessern. Sie ist nicht hinreichend bestimmt, öffnet behördlicher Willkür Tür und Tor und stellt eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung dar. Sie sollte ersatzlos gestrichen werden.

V. Gewerberechtliches Spezialgesetz oder diskriminierendes Sonderrecht?

Die Abweichung der Anmeldepflicht nach dem ProstSchG-RefE von gewerberechtlichen Grundsätzen wird zunächst mit dem besonderen Datenschutzinteresse der Prostituierten begründet, die daher nicht als normale Gewerbetreibende behandelt werden könnten. Die Berücksichtigung der spezifischen Gefährdungslage durch eine ungewollte Offenbarung ist zwar grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings trägt diese Begründung auch nur spezielle Regelungen zur Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe personenbezogener Daten.

Nicht davon gedeckt ist die Erstreckung der Anmeldepflicht auf Personen, die einmalig oder nur gelegentlich sexuelle Dienstleistungen anbieten und damit gar kein Gewerbe ausüben. Gleiches gilt für die zwingende Versagung der notwendigen Anmeldebescheinigung und die damit verbundenen behördlichen Prüfbefugnisse, welche aus dem Anmeldungs- ein Zulassungsverfahren machen. Die Unterscheidung zwischen nur meldepflichtigem zulassungsfreiem und erlaubnispflichtigem Gewerbe wird damit aufgehoben und die Gewerbefreiheit empfindlich beschränkt. Die beispiellose Befugnis der Behörde zur Prüfung der „Einsichtsfähigkeit“ von Prostituierten konstituiert endgültig ein diskriminierendes Sonderrecht, für das auch eine wie auch immer geartete grundlegende Gefährlichkeit des Gewerbes nicht ersichtlich ist.

VI. Gesetzesfolgenabschätzung zur Anmeldepflicht: definierte Ziele, mögliche Zielerreichung, vorzugswürdige Alternativen

Als Ziele und Gründe für die Anmeldepflicht benennt der Entwurf[20]:

  • Die Prostituierten sollen nicht als Gewerbetreibende eingeordnet werden, um den Besonderheiten der Prostitution in datenschutzrechtlicher Hinsicht gerecht zu werden. Ihnen soll ein Gewerbetreibenden ähnlicher Status „sui generis“ verliehen werden. Ein Grund für die Anmeldung als solche wird nicht benannt, tragende Überlegung scheint aber den allgemeinen Zielen des Gesetzes gemäß zu sein, dass „die ordnungsrechtlichen Instrumente zur Überwachung der gewerblich ausgeübten Prostitution und der Prostitutionsgewerbebetriebe“ verbessert werden sollen.[21]
  • Ein hoher Anteil der Prostituierten meide bürokratische Anforderungen teilweise aus Unkenntnis über eigene Rechte und Pflichten und sei nur unzureichend über Unterstützungsmöglichkeiten informiert. Dem soll durch eine persönliche Anmeldepflicht, die mit einem Informations- und Beratungsgespräch durch die Anmeldebehörde gemäß §§ 6 f. ProstSchG-RefE verbunden ist, begegnet werden. 
  • Die eingeschränkte Transparenz des „Rotlichtmilieus“ schafft Spielräume für Ausbeutung und Menschenhandel. Dies dürfte im Zusammenhang mit dem allgemeinen Ziel des Gesetzes, „Kriminalität in der Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt gegen und Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei zu bekämpfen“[22], stehen. 
1. Überwachung des Prostitutionsgewerbes

Eine entgrenzte Anmeldepflicht kann die Überwachung des Prostitutionsgewerbes theoretisch erleichtern. Allerdings schlägt eine Regelung ohne Augenmaß in unangemessene ordnungsrechtliche Regulierungen mit erwartbaren Folgen um. Die Anmeldepflicht ist angesichts der behördlichen Prüfungsdichte eher einer Genehmigungspflicht vergleichbar, sie trifft eine Vielzahl von Personen, die auf Grund der damit verbundenen Stigmatisierungen eine Offenbarung ablehnen, und sie verschiebt Machtverhältnisse zwischen Prostituierten und ihren Kunden, die das Vorzeigen der stets mitzuführenden Bestätigung verlangen und daraus Kenntnis über persönliche Daten erlangen können.

Es ist nicht nur allgemein erwartbar, sondern durch Erfahrungen aus anderen Staaten belegt, dass sich eine Vielzahl von Prostituierten der Anmeldung und Registrierung entziehen wird.[23] Dies betrifft zum einen Personen, die nur gelegentlich tätig sind, aber vor allem auch Prostituierte, die auf Grund ihrer spezifischen Verletzlichkeit durch ihr soziales Umfeld, ihre Arbeitsbedingungen oder den Arbeitsort, Drogenabhängigkeit, fehlenden Aufenthaltsstatus, schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen u.ä. eine behördliche Registrierung nicht riskieren wollen oder können. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Personen wird weiterhin sexuelle Dienstleistungen anbieten, bei Nichterfüllung der Anmeldepflicht jedoch illegal und unter Bußgeldandrohung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, 2 ProstSchG-RefE.

Es ist mit dem Gesetzesziel der weiteren Legalisierung der Prostitution im Sinne der Rechte der Prostituierten unvereinbar, Ansatzpunkte für eine erneute Illegalisierung zu schaffen, zumal Prostituierte aufgrund ihres Persönlichkeitsrechts und dem auch in der jetzigen gesellschaftlichen Situation fortbestehenden Interesse an der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit nachvollziehbare Gründe haben, sich nicht anzumelden. Es ist zu befürchten, dass gerade vulnerable Personen, die sich gegen eine Anmeldung entscheiden, aufgrund dieser Illegalisierung weniger für Unterstützung durch Fachberatungsstellen erreichbar wären.[24] Auch lässt sich ein in die Illegalität gedrängtes Gewerbe keineswegs besser überwachen und werden Prostituierte, welche wegen Verstoßes gegen die Anmeldepflicht illegal tätig sind, kaum behördlichen oder polizeilichen Schutz in Anspruch nehmen. Die Anmeldepflicht in der geplanten Form ist daher nicht geeignet, das Gesetzesziel, das Selbstbestimmungsrecht der Prostituierten zu stärken und ihre Integrität zu schützen, zu verwirklichen.

2. Information und Beratung

Das Anbieten von Beratung und Information ist insbesondere gegenüber vulnerablen Personen zur Förderung ihrer sexuellen Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG legitim. Eine persönliche Anmeldepflicht, die mit einer behördlichen Erstinformation[25] und Beratung verbunden ist, ist grundsätzlich auch geeignet, den Prostituierten Informationen zur Berufsausübung und zu Unterstützungsangeboten zugänglich zu machen. Dieser Zweck kann aber auch durch einen Auf- und Ausbau niedrigschwelliger staatlicher und in freier Trägerschaft befindlicher freiwilliger Beratungsangebote erreicht werden.

Freiwillige Beratungsangebote sind zum einen zweckmäßiger, denn es ist zu erwarten, dass diese von vulnerablen Personen, die eine Anmeldung aus Scham oder ähnlichen Motiven trotz einer Pflicht dazu unterlassen, eher in Anspruch genommen werden und dann auch aufgrund der Offenheit für die Beratung erfolgreicher wären. Diese Auffassung wird von den anerkannten Beratungsstellen, die im KOK zusammengefasst sind geteilt.[26] Zum anderen greifen freiwillige Beratungs- und Informationsangebote weniger in das Persönlichkeitsrecht und die Berufsfreiheit ein, so dass eine Anmeldepflicht zwecks Absicherung von Erstinformation und Beratung nicht erforderlich erscheint.

3. Bekämpfung von Kriminalität in der Prostitution (Menschenhandel, Gewalt, Ausbeutung)

Die Bekämpfung des Menschenhandels, von Gewalt und Ausbeutung in der Prostitution dient dem Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung von Prostituierten auf der Basis einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

3.1 Bekämpfung des Menschenhandels

Das Wissen um die Personen, die in der Prostitution tätig sind, und um die Orte ihrer Tätigkeit kann auch die Bekämpfung von Menschenhandel und kommerzialisierter Vergewaltigung (sog. Zwangsprostitution) fördern, da es die Aufdeckung und Aufklärung der damit im Zusammenhang stehenden Delikte fördern kann. Es wird aber davon ausgegangen, dass proaktive Ermittlungen der Polizei kein effektives Mittel zu Bekämpfung von Menschenhandel sind, da nur 10 % der (ohnehin sehr wenigen) Verfahren durch Initiativermittlungen der Polizei, 64 % aber durch Anzeigen und Hinweise ausgelöst werden.[27]

Zudem wird der prekäre Aufenthaltsstatus der Opfer von Menschenhandel als Hindernis effektiver Aufklärung identifiziert, da diese Personen sich aus Angst, selbst wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht staatlich verfolgt zu werden, nicht an die Polizei wenden, zumal Täter_innen ein entsprechendes Bedrohungsszenario aufbauen.[28] Als besser geeignetes und – im Hinblick auf die Anmeldepflicht – milderes Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels ist für Betroffene ein Aufenthaltsrecht unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft in Strafverfahren vorzusehen.[29] Für den Vorrang der Straffreistellung der Opfer spricht im Übrigen, dass der – noch nicht umgesetzte, aber noch umzusetzende – Art. 8 RL 2011/36/EU vom 5.4.2011 vorsieht, dass die nationalen Behörden die Befugnis haben, Menschenhandelsopfer wegen der Beteiligung an strafrechtlichen Handlungen, zu denen sie gezwungen waren, nicht strafrechtlich zu verfolgen oder von Strafe abzusehen.

Als weiteres wirksameres und milderes Mittel stellt sich der Ausbau niedrigschwellig aufsuchender Sozialarbeit und der Möglichkeiten von Beratung dar, die auf die spezifische Situation von Menschenhandelsopfer zugeschnitten ist.[30] Schließlich sollten Polizist_innen im Hinblick auf die Kommunikation mit möglichen Opfern von Menschenhandel geschult werden, um die Aussagebereitschaft zu erhöhen.[31] Es ist zu erwarten, dass diese Maßnahmen wirksamer als eine Anmeldepflicht sind, um den Menschenhandel zu bekämpfen. Zudem greifen sie nicht in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein.

Die Anmeldepflicht ist daher zum Zwecke der Bekämpfung des Menschenhandels in der Prostitution nicht erforderlich. Sie könnte sogar dazu führen, die Kooperationsbereitschaft von Betroffenen weiter zu senken, da sie sich bei einem Kontakt mit einer Behörde bei einer erzwungenen Anmeldung nicht offenbart haben oder offenbaren konnten oder zu Recht befürchten, als registrierte Prostituierte auch im Herkunftsland bekannt zu werden. Personen ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland müssen zukünftig jederzeit eine behördliche oder polizeiliche Überprüfung der Anmeldebestätigung fürchten und werden daher erst recht jeglichen Kontakt mit staatlichen Institutionen vermeiden.

3.2 Unangemessenheit der Anmeldepflicht

Die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel dient dem Schutz des (sexuellen) Selbstbestimmungsrechts von Personen, die der Prostitution nicht freiwillig nachgehen oder ihr unter von Dritten bestimmten Umständen nachgehen müssen, die sie nicht gewollt haben. Dieses wird ebenso wie das Interesse freiwilliger Prostituierter daran, ihre Tätigkeit nicht outen zu müssen, von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt.

Die Anmeldepflicht greift tief in das Persönlichkeitsrecht von Prostituierten ein, und zwar auch derjenigen Prostituierten, die ihrer Tätigkeit jenseits krimineller Milieus nachgehen. Sie erhöht das Risiko gesellschaftlicher Stigmatisierung zudem erheblich. Dieser tiefe Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Personen, die selbstbestimmt die Prostitution ausüben , lässt sich nicht mit einer Maßnahme rechtfertigen, die nach dem oben Dargelegten voraussichtlich im Vergleich zu anderen Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution wenig Wirkung zeigen wird. 

C. Keinerlei Regelungen zu den Kosten der Anmeldung

Hochproblematisch muss es auch erscheinen, dass die Kosten der Anmeldung nicht geregelt werden. Nach allgemeinen verwaltungskostenrechtlichen Grundsätzen dürfen Kosten, die den Aufwand abdecken, für Verwaltungsleistungen verlangt werden. Wenn man hier die Anmeldung als solche, das Informationsmaterial, das Informations- und Beratungsgespräch einschließlich des Rechts, externe Berater oder Dolmetscher hinzuziehen (die die entsprechende Leistung nicht kostenfrei erbringen werden) betrachtet, können Kosten anfallen, die dazu führen, dass sich Prostituierte zu Beginn einer Prostitutionstätigkeit zunächst verschulden müssen, um die Kosten der Anmeldung aufzubringen – Kosten, die im Übrigen auch anfallen, wenn die Erteilung einer Anmeldebescheinigung abgelehnt wird. Auch das federführende Ministerium geht nach dem Gesetzesentwurf von einem Millionenaufwand aus (der aufgrund der Komplexität der Anforderungen des Entwurfs an die Verwaltung nach Einschätzung des djb deutlich höher sein dürfte, als der Gesetzentwurf beziffert), und der auf die zur Anmeldung Verpflichteten umgelegt werden kann und aller Wahrscheinlichkeit nach wird. Allein dieser Kostenfaktor kann zur Abhängigkeit führen und/oder Personen, die die Prostitution ausüben wollen, in die Illegalität treiben.

D. Anordnung gegenüber Prostituierten

Gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 ProstSchG-RefE kann die Behörde gegenüber Prostituierten jederzeit Anordnungen in Bezug auf die Ausübung der Prostitution erlassen, soweit dies erforderlich ist zum Schutz von Anwohner_innen, Anliegern und der Allgemeinheit vor Lärmemissionen, verhaltensbedingten oder sonstigen Belästigungen oder zur Abwehr anderer erheblicher Beeinträchtigungen oder Gefahren für sonstige Belange des öffentlichen Interesses.

In der Entwurfsbegründung wird erläutert, dass damit eine Steuerungsmöglichkeit gegenüber erlaubnisfreien Kleinstbetrieben, also Prostitutionsgewerben, in denen Inhaber_in und Erbringer_in sexueller Dienstleistungen identisch sind, geschaffen werden soll.[32] Das würde den Anwendungsbereich deutlich beschränken, denn schon mit Blick auf Arbeitszeiten und Sicherheit dürften Kleinstbetriebe selten nur aus einer Person bestehen. Auch der Zusammenschluss von zwei oder drei Prostituierten wird aber als erlaubnispflichtiges Prostitutionsgewerbe gewertet. Überdies erklärt diese Erläuterung nicht, warum genau dieselbe Regelung für erlaubnispflichtige Prostitutionsgewerbe gilt. Und der Wortlaut adressiert alle Prostituierten, also alle Personen, welche sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen. Neben den ausdrücklich in der Entwurfsbegründung genannten Wohnungsbordellen, Studios und Wohnmobilen im Ein-Personen-Betrieb dürften damit vor allem selbstständige Prostituierte betroffen sein, welche im Freien ihrer Tätigkeit nachgehen.

Die Regelung scheint zunächst einen notwendigen Ausgleich zur Erlaubnisfreiheit zu schaffen und die berechtigten Interessen von Nachbarschaft und Allgemeinheit zu schützen. Ihre weite Fassung erscheint unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung des Grundrechts nach Art. 12 Abs. 1 GG bedenklich, schafft erhebliche Rechtsunsicherheit und lässt die Regelung als Eingriffsgrundlage ungeeignet erscheinen. Die Ausübung der Prostitution als ohnehin stigmatisierte Tätigkeit unter den Vorbehalt sonstiger Belange des öffentlichen Interesses zu stellen, ist ein Freibrief für die Verdrängung jeglicher sichtbaren Prostitution.

Auch die Befugnis zu Anordnungen bei verhaltensbedingten oder sonstigen Belästigungen ist problematisch. Es ist bereits vorgekommen, dass Gerichte das Verbot eines Straßenstrichs bestätigt haben, weil Anwohnerinnen und Passantinnen von Freiern belästigt wurden. Damit wurden Prostituierte für das Verhalten ihrer Kunden haftbar gemacht, statt richtigerweise gegen die belästigenden Freier selbst vorzugehen. Das deutsche Recht kennt keinen Schutz gegen sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum – ein veritables Manko, das aber nicht durch falsch adressierte und damit unverhältnismäßige Maßnahmen gegen Prostituierte ausgeglichen werden sollte. Angesichts dieser Rechtslage bedarf es der Klarstellung, dass Prostituierte nur für ihr eigenes Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können. Und auch diese Verantwortlichkeit muss Grenzen haben, sonst verkommt § 10 Abs. 2 ProstSchG-RefE zur Blankettformel für ordnungsrechtliche Regulierungen.

Klärungsbedürftig ist schließlich, was „sonstige Belästigungen“ sein sollen, die weder Lärm noch verhaltensbedingt sind. Prostituierte erleiden schon jetzt erhebliche Nachteile, wenn sie ihrem Gewerbe nachgehen wollen, weil ihnen ohne jeden konkreten Anhalt „milieubedingte Unruhe“ unterstellt wird, die der Nachbarschaft regelmäßig nicht zuzumuten sei. Vorbehalte gegen diese Erwerbstätigkeit werden hier in Gesetzesform gegossen und zu Eingriffsbefugnissen umgewandelt. Die Gefahr, dass sich eine Person durch das reine Faktum der Prostitution „belästigt“ fühlt, besteht immer. Sie bedingt eine besondere Schutzbedürftigkeit der Prostituierten, nicht die Zulässigkeit von Anordnungen gegen sie. Die Anordnungsbefugnis sollte auf Maßnahmen gegen Lärmemissionen sowie erhebliche Belästigungen und Gefahren für konkrete Rechtsgüter beschränkt werden.

E. Gewerberechtliche Aspekte des Entwurfs

I. Keine Differenzierung nach Betriebsgröße

Die einheitlichen Regelungen ab §§ 11 ProstSchG für Prostitutionsgewerbe ab einer bzw- einem tätigen Prostituierten (§ 2 Abs 3 ProstSchG) scheinen unverhältnismäßig und belasten „Ein-Frau- oder Ein-Mann-Betriebe“ unverhältnismäßig. Die geplante Erlaubnispflicht gilt somit unterschiedslos für alle Prostitutionsgewerbe, also gleichermaßen für das Laufhaus mit zweihundert Zimmern wie für drei Individuen, die sich eine Wohnung für die Prostitutionsausübung teilen. Die faktische Folge dieser Regelungen wird eine deutliche Veränderung der Prostitutionsbranche in Deutschland sein. Es wird zu einer Dominanz der Großbordelle kommen, während kleinere, häufig von Frauen selbst betriebene, Erwerbsstätten aufgegeben oder illegal weiterbetrieben werden. Weil daran aus staatlicher Sicht kein Interesse besteht, hat beispielsweise Neuseeland verschärfte Erlaubnispflichten erst ab Betrieben mit mehr als fünf Personen geregelt.

II. Anforderungen an die Zuverlässigkeit (§ 14 ProstSchG)

Anders als die gewerberechtliche Rechtsprechung zu § 35 Gewerbeordnung (GewO), wonach es nicht auf die Verurteilung als solche, sondern auf das Verhalten der bzw. des potentiell „Unzuverlässigen“ ankommt, stellt der Entwurf allein auf die Verurteilung ab. Es erschließt sich nicht, weshalb der Referentenentwurf insoweit nicht auf die Rechtsprechung zur Unzuverlässigkeit/Zuverlässigkeit im Gewerberecht abstellt, sondern eigene Regelbeispiele nennt, die zu entkräften in der Praxis schwierig sein wird. Die Gesetzesbegründung zu diesen Regelbeispielen muss erstaunen. Zu Nr. 1 wird mitgeteilt, hier würde auf „einschlägig(e)“ Vorstrafen abgestellt. Relevant seien vor allem Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Körperverletzungsdelikte, sowie Delikte, die eine charakteristische Nähe zu Menschenhandelsdelikten und zur organisierten Kriminalität aufweisen. Die im Gesetzesentwurf vorgenommene Auswahl ist undifferenziert und spiegelt diese Kriterien teilweise nicht wieder:

Unter a) werden alle Verbrechen erfasst, also auch Verbrechen, die nicht die besagte Nähe zum Bereich der sexuellen Dienstleistungen aufweisen.

Unter b) bis d) sind zahlreiche Delikte erfasst, die nicht per se eine Nähe zu dem Bereich der Prostitution aufweisen. Hier werden Vermögensdelikte genannt, die in jedem Wirtschaftszweig verwirklicht werden können und im Einzelfall auch zur Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO führen können. Mit der in § 14 vorgesehenen Bestimmung von jeglicher Verurteilung (gleichgültig in welcher Höhe und in welchem Zusammenhang) wegen der dort genannten Delikte soll eine Gesetzeslage geschaffen werden, die abstrakt betrachtet, dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen dürfte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es erschließt sich nicht, weshalb jemand, der wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer geringfügigen Geldstrafe verurteilt ist, fünf Jahre lang unzuverlässig im Sinne des ProstSchG sein soll und wo hier der Bezug zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegen soll. Andererseits scheint selbstverständlich, dass auch Verurteilungen zu anderen Delikten (z.B. Steuerhinterziehung) zu einer Unzuverlässigkeitsentscheidung nach allgemeinen gewerberechtlichen Grundsätzen führen kann.

Auch die Grenze in e) von „mindestens“ zwei Jahren erschließt sich nicht. Bei Verurteilungen bis zu zwei Jahren kann die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Nach dem Gesetzesentwurf soll aber genau diese Freiheitsstrafe, die nach der Entscheidung des Gesetzgebers im StGB grundsätzlich noch als bewährungsfähig angesehen wird, schon die Grenze zur Unzuverlässigkeit bilden. Im Sinne des Grundsatzes der Einheit des Rechts, wäre es wesentlich schlüssiger, wenn als Kriterium für die Zuverlässigkeit eine Verurteilung zu „mehr als zwei Jahren“ Freiheitsstrafe gewählt würde.

III. Mindestanforderungen an zum Prostitutionsgewerbe genutzte Anlagen

§ 16 ProstSchG-RefE verwendet in Abs. 2 in den Ziffern 4 bis 6 unbestimmte Rechtsbegriffe („angemessen…, geeignet…“) deren Ausfüllung nicht den Behörden und der Rechtsprechung überlassen werden sollte. Auch der Gesetzgeber hat dies offenbar gesehen und insoweit die Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung vorgesehen. Es ist aber offen, ob eine Rechtsverordnung erlassen werden wird und es scheint wenig wahrscheinlich, dass eine solche Rechtsverordnung gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Gesetzes vorliegen wird. Der djb appelliert an den Gesetzgeber an dieser entscheidenden Stelle keine Lücke zu lassen, sondern entweder auf entsprechende Regelungen zu verzichten oder sogleich vorzusehen, dass das Nähere durch Rechtsverordnung bestimmt wird. Die im Entwurf gelassenen Lücken werden dazu führen, dass das Gesetz umgangen wird.

IV. Betriebskonzept

Die vorgesehenen Kriterien für ein Betriebskonzept als Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis für ein Prostitutionsgewerbe schaffen Rechtsunsicherheit und sind nicht geeignet, den Antragstellern und den Behörden klare Entscheidungskriterien an die Hand zu geben.

Nach dem Gesetzestext ist vollkommen unklar, welche Maßnahmen unter § 23 Abs. 2 Nr. 2 bis 6 ProstSchG-RefE fallen. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, die Gestaltung dieser Vorschrift als Sollvorschrift schaffe genügend Spielraum für den Betreiber. Diese Begründung offenbart eine erstaunliche Sicht auf Behördenpraxis. Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden davon ausgehen werden, sie könnten davon absehen, eine entsprechende Darlegung der aufgeführten Maßnahmen im Betriebskonzept zu verlangen. Die Regelung wird vielmehr dazu führen, dass deutschlandweit sehr unterschiedliche Anforderungen an Betriebskonzepte gestellt werden und letztlich die Verwaltungsgerichte über die Geeignetheit von Maßnahmen entscheiden müssen.

Im Einzelnen sollten folgende Änderungen in Betracht gezogen werden:

Zu § 23 Abs. 1 S. 2 ProstSchG-RefE: Dieser sollte wie folgt ergänzt werden: „Veränderungen des Betriebskonzeptes einschließlich der Preise und Mieten müssen gegenüber der zuständigen Behörde angezeigt werden.“

Zu § 23 Abs. 2 ProstSchG-RefE: Es sollte klar gestellt werden, dass die den Prostituierten angebotenen Mietverträge einschließlich der Preisgestaltung Bestandteil des Betriebskonzeptes sind. Auch die Preise für Nebenleistungen sollten angegeben werden und ob diese Leistungen auch von Dritten erbracht bzw. abgenommen werden dürften.[33]

Das Betriebskonzept sollte auch Aussagen dazu treffen, wie die Kommunikation und das rechtssichere und transparente Abschließen vorn Verträgen mit den Prostituierten gewährleistet werden soll.

Zu § 23 Abs. 4 ProstSchG-RefE: Auch hier sollte daran gedacht werden, dass es häufig an Sprachkenntnissen fehlt. Das Konzept sollte deshalb entweder auch in einer für die Prostituierte bzw. den Prostituierten verständlichen Sprache vorliegen oder zumindest in Kopie ausgehändigt und nicht nur zur Einsichtnahme bereitgehalten werden müssen.

Den Prostituierten sollte zudem ein Akteneinsichtsrecht in die Erlaubnisakte zugestanden werden, damit sie die von dem Betreibenden angebotenen Verträge und Preise sowie das Betriebskonzept mit den von der Behörde im Rahmen des Erlaubnisverfahrens geprüften Unterlagen vergleichen können.

Ferner sind noch einzelne Ungenauigkeiten zu korrigieren:

Zu § 21 ProstSchG-RefE: Der Hinweis aus der Begründung, dass die Regelung ergänzend zu §§ 48 und 49 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw. zu entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen gilt, sollte in den Gesetzestext übernommen werden, da das neue Gesetz ansonsten als vorrangig und allein anzuwendendes Spezialgesetz angesehen werden müsste.

Zu § 22 ProstSchG-RefE: Die Frist nach Abs. 2 von drei Jahren ist kürzer als die Fünfjahresfrist nach § 14 Abs. 1 Nr. 2. Letztere sollte überdacht werden. 

V. Versagensgründe
1. § 13 Abs. 2 Nr. 1 ProstSchG-RefE

Der Versagungsgrund nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 ist zu unbestimmt und nicht geeignet, als Maßstab für behördliche Entscheidungen zu dienen. Zum einen ist nicht deutlich, was unter dem (hier erstmals verwendeten) Begriff „Angebotsgestaltung“ auch in Abgrenzung zum Betriebskonzept – gemeint ist. Wichtiger ist aber die Frage, wann „aufgrund sonstiger tatsächlicher Umstände Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Art des Betriebes mit der sexuellen Selbstbestimmung unvereinbar ist“. Vor dem Hintergrund, dass nach wie vor teilweise auch die Auffassung vertreten wird, jegliche Art der Prostitutionsausübung verstoße gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist nicht ersichtlich, wie der einzelne Behördenmitarbeitende den Versagungstatbestand im Sinne von Nr. 1 anwenden soll und welche Kriterien die Entscheidung steuern sollen. Eine rechtsstaatliche Regelung einer Erlaubnispflicht ist nur denkbar, wenn klare Kriterien aufgestellt werden, die auf die Zuverlässigkeit des Betreibers und objektiv messbare Einheiten, wie Raumgrößen, Hygienische Einrichtungen und Ähnliches abstellen. Falls in diesem Kontext Flatrate-Angebote in Prostitutionsstätten gemeint sein sollten, ist darauf zu verweisen, dass zum einen Prostituierte diese Konzepte nicht einhellig als mit der sexuellen Selbstbestimmung unvereinbar einordnen und zum anderen es vorzugswürdig wäre, dies – bei unterstellter anderer Einschätzung durch den Gesetzgeber – im Gesetzestext auch ausdrücklich so benannt werden sollte.

2. § 13 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG-RefE

Auch der Versagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 2 ist zu unbestimmt. Zu kritisieren ist insbesondere das Abstellen auf einen Verstoß gegen § 26 Abs. 4 ProstSchG, der seinerseits nicht bestimmt regelt, was verboten und was erlaubt ist. In der Gesetzesbegründung wird mitgeteilt, es gehe darum „wucherähnliche“ Vertragskonstellationen zu verhindern. Nähere Einzelheiten, was der Gesetzgeber als „wucherähnlich“ ansieht, werden nicht mitgeteilt. Dies muss zu besonderer Unsicherheit bei der Rechtsanwendung insofern führen, als § 138 BGB den Begriff des Wuchers definiert und auch Rechtsprechung dazu existiert. Ein Rückgriff darauf ist aber offensichtlich gerade nicht gemeint, wenn von „wucherähnlichen“ Konstellationen die Rede ist.

VI. Hygienepläne

Unklar ist, was der Entwurf unter den in § 24 Abs. 5 ProstSchG-RefE vorgesehenen Hygieneplänen versteht. Eine Definition dieses Begriffs beinhaltet der Gesetzestext nicht. Auch die Begründung hilft nicht weiter: Hier heißt es nur, die Behörde könne Hygienepläne vorsehen, was den Eindruck erwecken könnte, es sei Aufgabe der Behörde, Hygienepläne zu erstellen. So ist § 24 Abs. 5 ProstSchG-RefE allerdings offenbar nicht gemeint. Der Betreiber soll zur Erstellung entsprechender Pläne verpflichtet werden. Die Vorschrift scheint in der jetzigen Form nicht hinreichend konkret zu sein. Hygienepläne sind in § 36 IfSG geregelt. Der djb ist allerdings der Auffassung, dass ein Prostitutionsgewerbe nicht mit den in § 36 IfSG aufgeführten Einrichtungen gleichbehandelt werden kann. Es sollte aber auch nicht der zuständigen Behörde – ohne jegliche gesetzlich vorgegebene Entscheidungskriterien – überlassen bleiben zu entscheiden, ob ein Hygieneplan erforderlich ist oder nicht. Die Vorschrift sollte daher ersatzlos entfallen.

VII. Fehlen jeglicher zeitlicher Vorgaben für die Entscheidung über eine Erlaubnis für ein Prostitutionsgewerbe

Der Gesetzgeber sollte zeitliche Vorgaben für die Bearbeitung beantragter Erlaubnisse vorsehen. Vor dem Hintergrund, dass zahlreiche der in Zukunft zuständigen Behörden bis zum Inkrafttreten des vorgesehenen Gesetzes es gänzlich ablehnten, Prostitutionsgewerbe überhaupt als Gewerbe anzuerkennen und eine schlichte Anmeldung entgegen zu nehmen, scheint die Vorgabe eines zeitlichen Rahmens für die Bearbeitung der Anträge sinnvoll. Dies könnte etwa in der Weise geschehen, wie auch bei einfachen Bauvorhaben vorgesehen, dass die Erlaubnis als erteilt gilt, wenn die Behörde nicht innerhalb von zwei Monaten entschieden und nicht weitere Unterlagen angefordert hat, die noch nicht vorliegen oder zwei Monate seit der Beibringung der zuletzt angeforderten Unterlagen vergangen sind.

VIII. Fehlen einer ausreichenden Umstellungszeit für die Behörden

Das vorgesehene Inkrafttreten sechs Monate nach Verkündung im BGBl geht von einem vollkommen unzureichenden Vorbereitungszeitraum bei den Behörden aus. Nach dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass für die Umsetzung der zahlreichen Anforderungen, die auf die zuständigen Behörden zukommen (Formulare für Anmeldungen, Anträge und Bescheinigungen, Informationsmaterial nach § 6 ProstSchG), Rechtsverordnungen erlassen werden können. Egal ob mit Rechtsverordnung oder ohne – es ist nicht realistisch, dass die zuständigen Behörden in der Lage sind, ihr Personal innerhalb von sechs Monaten aufzustocken und Formulare zu entwerfen, zu drucken und den erforderlichen zusätzlichen Raumbedarf zu schaffen. Wenn die vorgesehenen Anforderungen an die Behördentätigkeit realistisch umgesetzt werden sollen, ist es ausgeschlossen, diesen mit dem vorhandenen Personal und den vorhandenen Räumen zu erledigen. Personaleinstellungen erfordern ein Bewerbungsverfahren, neue Räume bedürfen des Abschlusses neuer Mietverträge. Hinzu kommt, dass umfangreiche Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendig sein werden, um das Gesetz in der vorgeschlagenen Form auch nur annähernd umsetzen zu können. Sie müssen zum Beispiel die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 ProstSchG erkennen können und das Informations- und Beratungsgespräch führen. Gerade in Regionen, in denen bislang Prostitutionsstätten behördlich nicht als Gewerbe akzeptiert wurden, dürfte es keine Beschäftigten geben, die über den erforderlichen Kenntnisstand verfügen.

F. Mehr Selbstbestimmung durch ordnungsrechtliche Regulierung?

Im Ergebnis hat der Entwurf in vielen Punkten mit dem titelgebenden Schutz von in der Prostitution tätigen Menschen wenig zu tun. Die extrem weit gefasste Definition der anmeldepflichtigen Tätigkeit, die unterschiedslose Erlaubnispflicht, verpflichtende Beratung durch eine Behörde, verpflichtende regelmäßige Gesundheitsberatung durch Gesundheitsämter und die sehr weit gefassten Anordnungsbefugnisse gegenüber Prostituierten und Betreibenden von Prostitutionsstätten machen deutlich, dass der Entwurf in seiner Umsetzung vor allem auf den Ausbau des Instrumentes der ordnungsrechtlichen Regulierung setzt. Die Selbstbestimmung von Menschen in der Prostitution wird deshalb im Entwurf bislang zu wenig geachtet und unzureichend geschützt. Dies geschieht vor allem durch ein Absprechen ihrer Autonomie und Fähigkeit zur Selbstbestimmung, wie es sich wie ein roter Faden durch den Entwurf zieht. Dem Entwurf fehlt es bislang an dem erforderlichen Augenmaß, da Menschenhandelsopfer und die Opfer von sogenannter Zwangsprostitution als Leitbild der Regulierung dienen, womit unverhältnismäßige Pflichten gegenüber freiwillig in der Prostitution tätigen Menschen gerechtfertigt werden. Die Verdrängung vieler freiwillig tätiger Prostituierter in eine gewerberechtliche Illegalität ist zu befürchten, mit wiederum negativen Folgen für diese Gruppe selbst (deren Vulnerabilität dadurch zunimmt). Zudem wird die Inanspruchnahme von notwendigen Unterstützungs- und Hilfeleistungen für Opfer von Straftaten – wie beispielsweise Menschenhandel – im Gegensatz zum gesetzlich Gewollten erschwert.

Mit dieser Kritik soll ausdrücklich nicht zu einer regelungsfreien Liberalität gegenüber der Prostitutionsbranche aufgerufen werden.[34] Es ist allerdings Augenmaß erforderlich: Wie aus anderen Ländern bekannt ist, schafft repressives Gewerberecht einen erheblichen illegalen Sektor, in dem sich die Bedingungen verschlechtern.[35] Die Entkriminalisierung der Prostitutionsausübung allein schafft noch keinen effektiven Zugang zum Recht und strikt ordnungsrechtliche Regulierung birgt beim gesellschaftlich stigmatisierten Thema Prostitution die Gefahr des Missbrauchs durch Ordnungs- und andere Behörden.[36] Aus diesem Grund sind klare und verhältnismäßige Anforderungen an die Verwaltungspraxis im Gesetzentwurf so wichtig und Nachbesserungen im gewerberechtlichen Teil des Entwurfs dringend anzuraten.

Um die Lebenssituation der in der Prostitution tätigen Menschen zu verbessern und ihnen Perspektiven zu eröffnen, sollte der Blick aber auch über die Instrumente des Ordnungsrechts hinausgehen. Wichtige staatliche Maßnahmen, die hier viel bewegen könnten, fehlen in dem vorgelegten Entwurf völlig. Dazu gehören Maßnahmen wie die Unterstützung durch freiwillige und mehrsprachige Beratungseinrichtungen, Ausstiegsangebote insbesondere für junge Menschen, sowie die aufsuchende Gesundheitsberatung. Der djb fordert, den Blick auf Finanzierung und flächendeckende Gewährleistung dieser sozialen Unterstützungsinfrastruktur zu richten.

Ramona Pisal                                                         
Präsidentin 

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Sabine Overkämping                                                          
Vorsitzende der Kommission                                   
Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht 

Prof. Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission
Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] Vgl. djb-Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution, st14-16 v. 15.9.2014, Abschnitt X 1. Online: <http://www.djb.de/st-pm/st/st14-16/> (Zugriff: 1.9.2015).

[2] Vgl. Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut Freiburg (SoFFI), 2005: Untersuchung „Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“ Abschlussbericht. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 142 ff. Online: <http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/prostitutionsgesetz/pdf/gesamt.pdf> (Zugriff: 1.9.2015).

[3] Zur Frage der Durchsetzbarkeit einer Kondompflicht sei auf die djb-Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution, st14-16 v. 15.9.2014, Abschnitt X 3 b verwiesen.

[4] Der Wortsinn von prostituere „zur Schau stellen, preisgeben“ knüpft bedenkenlos an gesellschaftliche Stigmatisierungen an und entspricht auch nicht der mehrheitlichen Selbstbezeichnung von Erbringer_innen sexueller Dienstleistungen. Überdies war die Legaldefinition von Personenkreisen durch Formulierungen nach dem Muster „eine solche Person ist, wer“ mit der Tätertypenlehre in die deutsche Gesetzgebung gekommen und ist zu Recht fast vollständig verschwunden.

[5] Vgl. nur BVerwG NJW 2014, 2214 (2214 Rz. 12).

[6] ProstSchG-RefE S. 55.

[7] Ebd., S. 56.

[8] Eine Grenze ist dann kaum noch zu ziehen – wie wären bspw. sexuell aktive Personen zu beurteilen, die sich im Rahmen der Kontaktaufnahme regelmäßig Getränke ausgeben lassen?

[9] Gender Pay Gap und ungleiche Verteilung von Sorgearbeit führen in Deutschland dazu, dass das klassische Familienernährermodell noch weit verbreitet ist. Die Entgrenzung des vom ProstSchG erfassten Personenkreises könnte das Diktum von Mary Wollstonecraft aus dem Jahr 1790 wieder aufleben lassen: „Marriage is legal prostitution.“ (in etwa: „Die Ehe ist legale Prostitution.“) Es erscheint aber mindestens untunlich, jede Intimbeziehung ab einer bestimmten Einkommensdifferenz zu überprüfen.

[10] Vgl. nur BVerfG v. 28.4.2009, NVwZ 2009, 905 ff.; BVerwG v. 6.11.2002, GewArch 2003, 122 ff.

[11] BVerfGE 64, 72 ff.; BVerfGE 55, 185 ff.; BVerfGE 7, 377 ff.; stRspR.

[12] BVÖGD-Stellungnahme v. 26.3.2015. Online:
<http://www.aerzte-oegd.de/archiv/2015/150410_prostituiertenschutzgesetz.html> (Zugriff: 1.9.2015).

[13] Schmidt, KJ 2015, S. 159 (171).

[14] Ob diese Frist in der Verwaltungspraxis überhaupt eingehalten werden kann, kann hier dahingestellt bleiben.

[15] Vgl. zu den Grundsätzen der Freiwilligkeit und Anonymität der Gesundheitsberatung djb-Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution, st14-16 v. 15.9.2014, Abschnitt X 3 a.

[16] Vgl. zum Ganzen Lorenz, Bonner Kommentar, 133. EL 4/2008 Art. 2 Abs. 1 Rn. 339 ff. und BVerfGE 115, 320 (344 f., 350).

[17] Vgl. Lorenz, Bonner Kommentar, 133. EL 4/2008 Art. 2 Abs. 1 Rn. 343; BVerfGE 115 , 320 (347 ff.). 

[18] ProstSchG-RefE S. 65.

[19] Vgl. KOK e.V. (Hrsg.): Herausforderungen des Datenschutzes in der Politik gegen Menschenhandel, 2015, S. 43 ff., 55 ff., insb. 59.

[20] ProstSchG-RefE, S. 59 f.

[21] Ebd., S. 32.

[22] ProstSchG-RefE S. 32.

[23] Dies belegen u.a. Erfahrungen aus Wien, Mexiko und Nevada.

[24] Vgl. KOK e.V. (Hrsg.): Herausforderungen des Datenschutzes in der Politik gegen Menschenhandel, 2015, S. 59 f.

[25] Ein Hinweis zum Inhalt der behördlichen Informationspflicht: Im Gesetzestext wird die Information über Sperrgebietsverordnungen nicht ausdrücklich erwähnt. Zwar wird in der Begründung darauf hingewiesen, dass Sperrgebietsverordnungen unter die erforderlichen Informationen fallen sollen. Gerade vor dem Hintergrund, dass es bis heute häufig für juristische Laien schwierig ist, die jeweils gültige Sperrgebietsverordnung zu recherchieren, sollten Sperrgebietsverordnungen ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen werden. In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich die Realitätsferne des Entwurfs auch daran zeigt, dass das Bestehen einer Sperrgebietsverordnung als Ablehnungsgrund für eine beantragte Anmeldebescheinigung nicht aufgenommen ist, obwohl in Gemeinden bis zu 50.000 Einwohnern die Prostitution vollständig verboten werden kann (Art. 297 EGStGB).

[26] Anhörung zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes BMFSFJ – Hinweise und Empfehlungen des KOK vom 27.6.2014, S. 7, 12 ff.

[27] Vgl. Frommel NK 2011, 117 (118 f.).

[28] Vgl. Frommel NK 2011, 117 (118 f.); Helfferich/Kavemann, NK 2011, 111 (112 ff.).

[29] Vgl. djb-Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution, st14-16 v. 15.9.2014, Helfferich/Kavemann, NK 2011, 111 (113); Frommel NK 2011, 117 (118).

[30] Vgl. Helfferich/Kavemann, NK 2011, 111 (113).

[31] Vgl. zu den Kommunikationsmängeln Helfferich/Kavemann, NK 2011, 111 (112).

[32] ProstSchG-RefE, S. 50.

[33] Fragen aus der Praxis sind beispielsweise: Darf die Wäsche selbst gewaschen werden? Muss die Verpflegung von einem bestimmten Anbieter bezogen werden?

[34] Der djb hat bereits in seiner Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution, st14-16 v. 15.9.2014 die Erlaubnispflicht für Betreibende von Prostitutionsstätten gefordert und eigene Eckpunkte für ein Prostitutionsstättengesetz vorgelegt (Abschnitt X 1).

[35] Halley/Kotiswaran/Shamir/Thomas, Harvard Journal of Law & Gender 29, 2006, S. 335-423.

[36] Gruskin/Ferguson, Reproductive Health Matters 2009, 17 (34): 108-118.