Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat zur Frage der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU und zur Diskussion weiteren rechtspolitischen Handlungsbedarfs zur Bekämpfung des Menschenhandels, Unterstützung der Opfer von Menschenhandel, Stärkung der Prävention und Regulierung des Prostitutionsgewerbes einen Arbeitsstab eingesetzt, der von Februar bis August 2014 gearbeitet und sich mit aktuellen Forderungen zu Reformen in den genannten Bereichen auseinandergesetzt hat. Der Arbeitsstab hat darüber hinaus eine Anhörung durchgeführt, bei der Vertreterinnen von Beratungsstellen, die mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, sowie Vertreterinnen der Verbände von Sexarbeiterinnen anwesend waren. Die Ergebnisse und Empfehlungen aus der Arbeit des Arbeitsstabs fasst diese Stellungnahme zunächst zusammen, das ausführliche Gutachten folgt im Anschluss.
Zusammenfassend empfiehlt der djb:
1. Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, Stärkung des Opferschutzes und der Prävention (Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36/EU):
Die Richtlinie 2011/36/EU legt Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich des Menschenhandels, Bestimmungen zur Stärkung des Opferschutzes und zur Stärkung der Prävention fest. Die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie endete am 6. April 2013. Deutschland droht wegen Nichtumsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren. Der bestehende Umsetzungsbedarf sollte für eine umfassende Reform genutzt werden. Der djb empfiehlt:
- Die Neufassung des Straftatbestands des Menschenhandels im Strafgesetzbuch.
- Die Verbesserung der strafprozessualen Bestimmungen zur Stärkung des Opferschutzes (vgl. Maßnahmenkatalog).
- Die Begründung von Aufenthaltsregelungen für Opfer von Menschenhandel, die unabhängig sind von der Bereitschaft zur Kooperation im Strafverfahren. Die vom Referentenentwurf des Bundesministeriums des Inneren (BMI)[1] vorgeschlagene Ergänzung des § 25 Abs. 4a AufenthG erreicht die notwendige Entkoppelung von Aussagebereitschaft bzw. Zeugenaussage von der Gewährung des Aufenthaltsrechts nicht.
- Der Schutz der Opfer von Menschenhandel ist in der Praxis zu verbessern (s. Empfehlungen im Einzelnen). Wichtig ist dabei vor allem die Kooperation von Fachberatungsstellen und der Polizei. Der djb empfiehlt eine bundesweite Evaluation aller bestehenden Kooperationskonzepte und ihrer Umsetzung. Ferner wird empfohlen, bei allen Polizeidienststellen bundesweit Fachkommissariate für Menschenhandel einzurichten.
- Die Verfolgung von Mietwucher sollte im Rahmen der Bekämpfung des Menschenhandels intensiviert werden.
- Vermögenssichernde Maßnahmen (Beschlagnahme, Gewinnabschöpfung) finden in Strafverfahren wegen Menschenhandels aktuell nur in erstaunlich geringem Umfang statt. Diese aktuelle Praxis stellt eines der größten Hindernisse bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen von Betroffenen dar. Ziel der Praxis muss es sein, die erwirtschafteten Gewinne effektiv zu entziehen. Es gilt, die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.
- Der djb spricht sich gegen ein Verbot der Prostitution und gegen eine allgemeine Strafbarkeit der Freier aus.
- Ein Verbot der Prostitution würde diese insgesamt in die Illegalität zurücktreiben, den Menschenhandel jedoch nicht verhindern, sondern lediglich seine Aufdeckung noch weiter erschweren. Ein Verbot der Prostitution wäre grundgesetzlich wegen des Eingriffs in Art. 12 GG nur dann zu rechtfertigen, wenn jedwede Form der Ausübung dieses Berufs als menschenrechtswidrig und der Gesellschaft schädlich eingestuft werden müsste. Dies ist nach der überwiegenden Auffassung im Arbeitsstab und – ausweislich einer Mitgliederbefragung – unter den Mitgliedern des djb nicht der Fall.[2] Vielmehr gilt es, Abhängigkeits- und Ausbeutungsstrukturen zu identifizieren und zu bekämpfen. Das wird nicht durch ein Verbot erreicht werden können, sondern durch gezielte Regulierung des Prostitutionsgewerbes.
- Eine generelle Strafbarkeit der Freier, wie sie z.B. in Schweden erfolgt ist, würde den Kernbereich von Art. 12 GG verletzen. Eine Strafbarkeit der Freier, die Dienste von Menschenhandelsopfern unter Kenntnis deren Situation in Anspruch nehmen, könnte eine erlaubte Bekämpfung strafwürdiger Verhaltensweisen darstellen. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dadurch die Bekämpfung des Menschenhandels effektiviert werden könnte. Freier, die den Strafverfolgungsbehörden mögliche Opfer von Menschenhandel benennen, würden sich gleichzeitig der Gefahr einer Bestrafung aussetzen. Ein wichtiges Beweismittel, die Zeugenaussage von Freiern, könnte somit verlorengehen. Diese Folge könnte allenfalls durch die gleichzeitige Einführung einer Vorschrift der fakultativen Straflosigkeit aufgrund tätiger Reue vermieden werden.
2. Zum Thema Regulierung des Prostitutionsgewerbes:
Eine Kriminalisierung der Prostitution oder der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen mit dem Ziel der Bekämpfung des Menschenhandels ist aus Sicht des djb wenig erfolgversprechend. Sie stünde außerdem im Widerspruch zu der vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich vorgenommenen Zuordnung der Prostitution zu Art. 12 GG und würde die Situation der aus eigener freier Entscheidung in der Prostitution tätigen Frauen (und Männer) verschlechtern. Vielmehr sollte eine weitere Regulierung des Prostitutionsgewerbes erfolgen, mit dem Ziel der Etablierung einheitlicher und transparenter Anforderungen an Betreibende von Prostitutionsstätten, Standards für gute Arbeitsbedingungen und den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen (und Männer). Insofern sind die im Eckpunktepapier „Eckpunkte eines Gesetzes zum Schutz der in der Prostitution Tätigen (Prostituiertenschutzgesetz, ProstSchG)“ vom 14. August 2014 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) benannten Ziele der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Prostituierten (männlich/weiblich) und der Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen und des Gesundheitsschutzes zu begrüßen. Aufsuchende Beratungs- und Informationsangebote sowie auf freiwillige anonyme Inanspruchnahme gerichtete Angebote der Gesundheitsversorgung sollten außerdem verbessert werden. Des Weiteren empfiehlt der djb:
- Die gewerberechtliche Regulierung des Prostitutionsgewerbes in einem Prostitutionsstättengesetz, das Anforderungen für den Betrieb von Prostitutionsstätten aufstellt. Dabei soll leitendes Ziel die Sicherstellung und Kontrolle guter Arbeitsbedingungen und Sicherung der sexuellen Selbstbestimmung von Prostituierten sein. Eine Erlaubnispflicht für das Betreiben einer Prostitutionsstätte, wie das Eckpunktepapier des BMFSFJ vorschlägt, unterstützt der djb ausdrücklich.
- Eine individuelle Anzeige-/Anmeldepflicht, wie sie das Eckpunktepapier des BMFSFJ für Prostituierte in den Raum stellt, lehnt der djb ab, weil die Gefahr der Stigmatisierung evident ist und hohe Anforderungen an die Erhebung und Verarbeitung von Daten, die mit der Sexualität eines Menschen zu tun haben, im Europarecht und bundesdeutschem Recht bestehen. Auch eine Pflicht zur Offenlegung der Namen gegenüber Kunden durch Bereitstellung eines „Nachweisdokuments“ könnte Gefahren und Persönlichkeitsrechtsverletzungen zur Folge haben.
- Verpflichtende regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen für die Gruppe der Prostituierten sind verfassungsrechtlich problematisch und faktisch kontraproduktiv, weil sie den Erfahrungen mit bewährten Strategien bei der Bekämpfung sexuell übertragbarer Krankheiten diametral widersprechen.
- Eine bundesweite Kondompflicht ist kaum durchsetzbar und birgt ebenfalls die Gefahr, dass Kontrollen und Sanktionen sich vor allem auf Prostituierte (und nicht ihre Kunden) negativ auswirken.
? Zur Langfassung der Stellungnahme
Ramona Pisal
Präsidentin
Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht
Sabine Overkämping
Vorsitzende der Kommission
Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht
Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich
[1]Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, Stand: 7.4.2014.
[2] Der djb hat im Jahr 2000 eine Mitgliederbefragung zur Beurteilung der Prostitution als sittenwidrig durchgeführt. 89 Prozent der befragten Mitglieder hielten die Prostitution nicht für sittenwidrig und unterstützten demnach das wesentliche Ziel des Prostitutionsgesetzes von 2001, vgl. djb-Pressemitteilung v. 20.9.2000.